EuGH, Urteil vom 5. September 2012 wegen Verfolgung aus

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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
5. September 2012(*)
„Richtlinie 2004/83/EG – Mindestnormen für die Anerkennung als Flüchtling oder als Person
mit subsidiärem Schutzstatus – Art. 2 Buchst. c – Flüchtlingseigenschaft – Art. 9 Abs. 1 –
Begriff ‚Verfolgungshandlungen‘ – Art. 10 Abs. 1 Buchst. b – Religion als Verfolgungsgrund
– Verknüpfung zwischen diesem Verfolgungsgrund und den Verfolgungshandlungen –
Pakistanische Staatsangehörige, die Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sind –
Handlungen der pakistanischen Behörden, mit denen das Recht, seine Religion öffentlich zu
bekennen, ausgeschlossen wird – Handlungen, die so gravierend sind, dass der Betroffene die
begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion haben kann – Individuelle Prüfung
der Ereignisse und Umstände – Art. 4“
In den verbundenen Rechtssachen C-71/11 und C-99/11
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom
Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 9. Dezember 2010, beim
Gerichtshof eingegangen am 18. Februar bzw. am 2. März 2011, in den Verfahren
Bundesrepublik Deutschland
gegen
Y (C-71/11),
Z (C-99/11),
Beteiligte:
Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,
Bundesbeauftragter für Asylangelegenheiten beim Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano,
J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.-C. Bonichot, des Richters A. Rosas, der Richterin
R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Levits, A. Ó Caoimh, L. Bay Larsen
(Berichterstatter), T. von Danwitz, A. Arabadjiev und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar
2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
–
von Y und Z, vertreten durch die Rechtsanwälte C. Borschberg und R. Marx,
–
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, N. Graf Vitzthum und K. Petersen
als Bevollmächtigte,
–
der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und B. Beaupère-Manokha
als Bevollmächtigte,
–
der niederländischen Regierung, vertreten durch C. M. Wissels und B. Koopman als
Bevollmächtigte,
–
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und
W. Bogensberger als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. April 2012
folgendes
Urteil
1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 Buchst. c und
Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über
Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder
Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz
benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304, S. 12, berichtigt in
ABl. 2005, L 204, S. 24, im Folgenden: Richtlinie).
2
Diese Ersuchen ergehen in Verwaltungsstreitsachen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Innern, dieses vertreten durch das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), einerseits und den
pakistanischen Staatsangehörigen Y und Z andererseits über die Ablehnung der von ihnen
gestellten Anträge auf Gewährung von Asyl und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
durch das Bundesamt.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
3
Das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Band 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]) trat am 22.
April 1954 in Kraft. Es wurde ergänzt durch das am 31. Januar 1967 in New York
abgeschlossene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, das am 4. Oktober 1967 in
Kraft trat (im Folgenden: Genfer Konvention).
4
Nach Art. 1 Abschnitt A Ziff. 2 Abs. 1 der Genfer Konvention findet der Ausdruck
„Flüchtling“ auf jede Person Anwendung, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung
wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen
Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann
oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose
infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen
Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten
Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will“.
Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
5
Die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutz
der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) sieht in ihrem Art. 9
(„Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“) vor:
„(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses
Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die
Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich
oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu
bekennen.
(2) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur
Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen
Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen
Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“
6
Art. 15 („Abweichen im Notstandsfall“) der EMRK bestimmt:
„(1) Wird das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand
bedroht, so kann jede Hohe Vertragspartei Maßnahmen treffen, die von den in dieser
Konvention vorgesehenen Verpflichtungen abweichen, jedoch nur, soweit es die Lage
unbedingt erfordert und wenn die Maßnahmen nicht im Widerspruch zu den sonstigen
völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragspartei stehen.
(2) Aufgrund des Absatzes 1 darf von Artikel 2 [‚Recht auf Leben‘] nur bei Todesfällen
infolge rechtmäßiger Kriegshandlungen und von Artikel 3 [‚Verbot der Folter‘], Artikel 4
Absatz 1 [‚Verbot der Sklaverei‘] und Artikel 7 [‚Keine Strafe ohne Gesetz‘] in keinem Fall
abgewichen werden.
…“
Unionsrecht
Charta der Grundrechte der Europäischen Union
7
Art. 10 („Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“) der Charta der Grundrechte
der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) enthält einen Abs. 1, der wörtlich mit Art. 9
Abs. 1 EMRK übereinstimmt.
8
Die Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen
werden darf, sind in den Art. 2, 4, 5 Abs. 1 und 49 der Charta verankert.
Richtlinie
9
Nach dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie stellt die Genfer Konvention einen
wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen
dar.
10 Wie sich aus ihrem zehnten Erwägungsgrund in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EUV
ergibt, achtet die Richtlinie die Rechte, Freiheiten und Grundsätze, die in der Charta
niedergelegt sind. Sie zielt insbesondere darauf ab, auf der Grundlage der Art. 1 und 18 der
Charta, die uneingeschränkte Wahrung der Menschenwürde und des Asylrechts für
Asylsuchende sicherzustellen.
11
Die Erwägungsgründe 16 und 17 der Richtlinie lauten:
„(16) Es sollten Mindestnormen für die Bestimmung und die Merkmale der
Flüchtlingseigenschaft festgelegt werden, um die zuständigen innerstaatlichen Behörden der
Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Genfer Konvention zu leiten.
(17) Es müssen gemeinsame Kriterien für die Anerkennung von Asylbewerbern als
Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention eingeführt werden.“
12 Ziel der Richtlinie ist nach ihrem Art. 1 die Festlegung von Mindestnormen für die
Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf
internationalen Schutz sowie des Inhalts des zu gewährenden Schutzes.
13
Nach ihrem Art. 2 bezeichnet im Sinne dieser Richtlinie der Ausdruck
„a) ‚internationaler Schutz‘ die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus im
Sinne der Buchstaben d) und f);
…
c) ‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor
Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet,
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch
nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will …
d) ‚Flüchtlingseigenschaft‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder eines
Staatenlosen als Flüchtling durch einen Mitgliedstaat;
…“
14 Nach Art. 3 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten günstigere Normen zur
Entscheidung der Frage, wer als Flüchtling gilt, und zur Bestimmung des Inhalts des
internationalen Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit dieser Richtlinie vereinbar
sind.
15 Art. 4 in Kapitel II („Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz“) der Richtlinie,
der die Einzelheiten der Prüfung der Ereignisse und Umstände festlegt, bestimmt in Abs. 3:
„Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu
berücksichtigen ist:
a) alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der
Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und
Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden;
b) die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen,
einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden
könnte …
c) die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich
solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten
zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er
ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung … gleichzusetzen sind;
…“
16 Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt
wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, „ein ernsthafter Hinweis darauf,
dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist“, es sei denn, stichhaltige
Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
17 Art. 6 („Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen
kann“) in dem genannten Kapitel II lautet:
„Die Verfolgung bzw. der ernsthafte Schaden kann ausgehen von
a)
dem Staat;
b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des
Staatsgebiets beherrschen;
c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure
einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht
willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu
bieten.“
18 Art. 9 Abs. 1 und 2 in Kapitel III („Anerkennung als Flüchtling“) der Richtlinie
definiert die Verfolgungshandlungen wie folgt:
„(1) Als Verfolgung im Sinne des Artikels 1A der Genfer Flüchtlingskonvention gelten
Handlungen, die
a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende
Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von
denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der [EMRK] keine Abweichung zulässig ist, oder
b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung
der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie
der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können unter anderem die folgenden
Handlungen gelten:
a)
Anwendung physischer oder psychischer Gewalt …,
b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche
diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
c)
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
…“
19 Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 der
Richtlinie genannten Verfolgungsgründen und diesen Verfolgungshandlungen bestehen.
20 Der ebenfalls in Kapitel III enthaltene Art. 10 („Verfolgungsgründe“) der Richtlinie
sieht in Abs. 1 vor:
„Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes:
…
b) Der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und
atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten
im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige
religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der
Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser
vorgeschrieben sind.
…“
21 Gemäß Art. 13 der Richtlinie erkennt der Mitgliedstaat dem Antragsteller die
Flüchtlingseigenschaft zu, wenn dieser insbesondere die in den Art. 9 und 10 der Richtlinie
festgelegten Voraussetzungen erfüllt.
Deutsches Recht
22
Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes lautet:
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“
23 Nach § 1 des Asylverfahrensgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.
September 2008 (BGBl. I S. 1798, im Folgenden: AsylVfG) gilt dieses Gesetz für Ausländer,
die Schutz als politisch Verfolgte nach Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes oder Schutz vor
Verfolgung nach der Genfer Konvention beantragen.
24 Nach § 2 AsylVfG genießen Asylberechtigte im Bundesgebiet die Rechtsstellung nach
der Genfer Konvention.
25 Die Rechtsstellung von Flüchtlingen war ursprünglich in § 51 des Gesetzes über die
Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet geregelt.
26 Mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der
Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970), das am 28. August 2007 in
Kraft getreten ist, hat die Bundesrepublik Deutschland u. a. die Richtlinie umgesetzt.
27 Gegenwärtig sind die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling in § 3
AsylVfG geregelt. In § 3 Abs. 1 AsylVfG heißt es:
„Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne [der Genfer Konvention], wenn er in dem Staat,
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt …, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 des [Gesetzes
über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im
Bundesgebiet in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162, im
Folgenden: AufenthG)] ausgesetzt ist.“
28
§ 60 Abs. 1 Sätze 1 und 5 AufenthG bestimmt:
„In Anwendung [der Genfer Konvention] darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen
seiner politischen Überzeugung bedroht ist. … Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach
Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie … ergänzend
anzuwenden.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
29
Im Januar 2004 bzw. im August 2003 reisten Y und Z nach Deutschland ein, wo sie
Asyl und Schutz als Flüchtlinge beantragten.
30 Zur Stützung ihres jeweiligen Antrags machten sie geltend, dass sie ihr Herkunftsland
wegen ihrer Zugehörigkeit zur muslimischen Ahmadiyya-Gemeinschaft, einer islamischen
Erneuerungsbewegung, verlassen hätten. Im Einzelnen trug Y vor, er sei in seinem
Heimatdorf von einer Gruppe von Leuten mehrmals auf dem Gebetsplatz geschlagen und mit
Steinen beworfen worden. Sie hätten ihn mit dem Tode bedroht und bei der Polizei wegen
Beleidigung des Propheten Mohammed angezeigt. Z führte aus, er sei wegen seiner religiösen
Überzeugung misshandelt und inhaftiert worden.
31 Den Vorlageentscheidungen ist zu entnehmen, dass nach Sec. 298 C des pakistanischen
Strafgesetzbuchs Angehörige der Ahmadiyya-Gemeinschaft mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, wenn sie den Anspruch erheben, Muslime zu sein,
ihren Glauben als Islam bezeichnen, ihn predigen oder propagieren oder andere auffordern,
ihren Glauben anzunehmen. Nach Sec. 295 C des Strafgesetzbuchs wird zudem mit dem Tode
oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft, wer den Namen des Propheten
Mohammed verunglimpft.
32 Mit Bescheiden vom 4. Mai und 8. Juli 2004 lehnte das Bundesamt die Asylanträge von
Y und Z als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung
als Flüchtling nicht vorlägen.
33
In diesen Bescheiden stellte das Bundesamt außerdem fest, dass nach dem anwendbaren
nationalen Recht keine Hindernisse für die Abschiebung von Y und Z nach Pakistan vorlägen,
und drohte ihnen die Abschiebung dorthin an. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus,
dass keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Antragsteller ihr
Herkunftsland aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätten.
34 Y erhob Klage beim Verwaltungsgericht Leipzig, das mit Urteil vom 18. Mai 2007 den
gegen ihn erlassenen Bescheid des Bundesamts aufhob und dieses zu der Feststellung
verpflichtete, dass in seiner Person die Voraussetzungen des Abschiebungsverbots als
Flüchtling in Bezug auf Pakistan vorlägen.
35 Z focht den Bescheid des Bundesamts beim Verwaltungsgericht Dresden an. Mit Urteil
vom 13. Juli 2007 wies dieses seine Klage ab, da er sein Herkunftsland nicht aus begründeter
Furcht vor Verfolgung verlassen habe.
36
Mit Urteilen vom 13. November 2008 wies das Sächsische Oberverwaltungsgericht
–
die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten beim Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesbeauftragter) gegen das erstinstanzliche
Urteil im Fall Y zurück und
–
änderte das Z betreffende erstinstanzliche Urteil auf dessen Berufung und verpflichtete
das Bundesamt zu der Feststellung, dass in der Person von Z die Voraussetzungen des § 60
Abs. 1 AufenthG vorlägen, weshalb er als Flüchtling nicht nach Pakistan abgeschoben werden
dürfe.
37 Das Oberverwaltungsgericht führte insbesondere aus, dass es nicht darauf ankomme, ob
Y und Z bereits vor ihrer Ausreise aus Pakistan von individueller Verfolgung bedroht
gewesen seien. Als aktive Ahmadis seien sie in Pakistan jedenfalls einer sie kollektiv
treffenden Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt.
38
Ihnen sei nämlich eine Fortführung ihrer öffentlichkeitswirksamen religiösen
Betätigung bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht ohne konkrete Verfolgungsgefahr möglich,
was im Rahmen eines Asylverfahrens, mit dem festgestellt werden solle, ob ihnen die
Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei, zu berücksichtigen sei.
39
In den Urteilen vom 13. November 2008 stellte das Sächsische Oberverwaltungsgericht
fest, dass die Situation in Pakistan für einen dem Glauben eng verbundenen Ahmadi, zu
dessen Überzeugung es auch gehöre, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben, eine
schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstelle. Angesichts der angedrohten
erheblichen Strafen sowie der zahlreichen ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen
lege es für einen Ahmadi der gesunde Menschenverstand nahe, alle öffentlichkeitswirksamen
Glaubensbetätigungen zu unterlassen.
40 Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sind Y und Z mit ihrem Glauben
eng verbunden und haben ihn in Pakistan aktiv gelebt. Auch in Deutschland übten sie ihren
Glauben weiterhin aus, und sie empfänden die Betätigung ihres Glaubens in der Öffentlichkeit
für sich selbst als unverzichtbar, um ihre religiöse Identität wahren zu können.
41 Das Bundesamt und der Bundesbeauftragte legten gegen diese Urteile Revision beim
Bundesverwaltungsgericht ein und machten geltend, das Berufungsgericht habe den
Anwendungsbereich der Art. 9 und 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie zu weit gezogen.
42 Sie verwiesen auf die in Deutschland vor Umsetzung der Richtlinie im Jahr 2007
herrschende Rechtsprechung, wonach eine asylerhebliche Verfolgung nur bei Eingriffen in
den „Kernbereich“ der Religionsfreiheit angenommen worden sei, nicht aber bei
Beschränkungen der öffentlichen Betätigung des Glaubens, und vertraten die Auffassung,
dass die Beschränkungen für Ahmadis in Pakistan, die die Betätigung ihres Glaubens in der
Öffentlichkeit beträfen, keinen Eingriff in diesen Kernbereich darstellten.
43
Im Übrigen ergebe sich aus den Feststellungen des Sächsischen
Oberverwaltungsgerichts zu der Frage, wie Y und Z ihren Glauben in Deutschland
praktizierten, nicht, dass für sie Handlungsweisen, die über den Kernbereich der religiösen
Betätigung hinausgingen, unverzichtbar wären.
44 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts geht es in den bei ihm anhängigen Fällen um
die Frage, welche konkreten Eingriffe in die Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 EMRK zur
Anerkennung als Flüchtling im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie führen können. Das
Gericht ist zwar der Auffassung, dass Eingriffe in die Religionsfreiheit eine „schwerwiegende
Verletzung“ der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der
Richtlinie darstellen können, bezweifelt aber, dass andere Eingriffe in die Religionsfreiheit als
diejenigen, die die wesentlichen Bestandteile der religiösen Identität des Betroffenen
berühren, die Annahme einer für die Anerkennung als Flüchtling erheblichen Verfolgung
rechtfertigen.
45 Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht die Verfahren ausgesetzt
und dem Gerichtshof folgende, in den Rechtssachen C-71/11 und C-99/11 nahezu identisch
formulierte Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.
Ist Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen, dass nicht jeder Eingriff in
die Religionsfreiheit, der gegen Art. 9 EMRK verstößt, eine Verfolgungshandlung im Sinne
der erstgenannten Vorschrift darstellt, sondern liegt eine schwerwiegende Verletzung der
Religionsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht nur dann vor, wenn ihr Kernbereich
betroffen ist?
2
Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:
a)
Ist der Kernbereich der Religionsfreiheit auf das Glaubensbekenntnis und auf
Glaubensbetätigungen im häuslichen und nachbarschaftlichen Bereich beschränkt, oder kann
eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie auch darin
liegen, dass im Herkunftsland die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit zu einer Gefahr für
Leib, Leben oder physische Freiheit führt und der Antragsteller deshalb auf sie verzichtet?
b) Falls der Kernbereich der Religionsfreiheit auch bestimmte Glaubensbetätigungen in der
Öffentlichkeit umfassen kann:
–
Genügt es in diesem Fall für eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit,
dass der Antragsteller diese Betätigung seines Glaubens für sich selbst als unverzichtbar
empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren,
–
oder ist außerdem erforderlich, dass die Religionsgemeinschaft, der der Antragsteller
angehört, diese religiöse Betätigung als zentralen Bestandteil ihrer Glaubenslehre ansieht,
–
oder können sich aus sonstigen Umständen, etwa den allgemeinen Verhältnissen im
Herkunftsland, weitere Einschränkungen ergeben?
3.
Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:
Liegt eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie
dann vor, wenn feststeht, dass der Antragsteller bestimmte – außerhalb des Kernbereichs
liegende – religiöse Betätigungen nach Rückkehr in das Herkunftsland vornehmen wird,
obwohl sie zu einer Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit führen werden, oder ist es
dem Antragsteller zuzumuten, auf solche künftigen Betätigungen zu verzichten?
46 Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 24. März 2011 sind die
Rechtssachen C-71/11 und C-99/11 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren
sowie zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
47 Aus den Erwägungsgründen 3, 16 und 17 der Richtlinie geht hervor, dass die Genfer
Konvention einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz
von Flüchtlingen darstellt und dass die Bestimmungen der Richtlinie über die
Voraussetzungen der Anerkennung als Flüchtling und über den Inhalt des Flüchtlingen zu
gewährenden Schutzes erlassen wurden, um die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei
der Anwendung der Genfer Konvention auf der Grundlage gemeinsamer Konzepte und
Kriterien zu leiten (Urteile vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a., C-175/08, C-176/08,
C-178/08 und C-179/08, Slg. 2010, I-1493, Randnr. 52, sowie vom 17. Juni 2010, Bolbol,
C-31/09, Slg. 2010, I-5539, Randnr. 37).
48 Die Bestimmungen der Richtlinie sind daher im Licht der allgemeinen Systematik und
des Zwecks der Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention und einschlägigen
anderen Verträgen, auf die Art. 78 Abs. 1 AEUV Bezug nimmt, auszulegen. Diese Auslegung
muss zudem, wie dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie zu entnehmen ist, die Achtung
der in der Charta anerkannten Rechte gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile Salahadin
Abdulla u. a., Randnrn. 53 und 54, Bolbol, Randnr. 38, sowie vom 21. Dezember 2011, N. S.
u. a., C-411/10 und C-493/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht,
Randnr. 75).
Zur ersten und zur zweiten Frage
49 Mit seinen ersten beiden Fragen in beiden Rechtssachen, die zusammen zu prüfen sind,
möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie dahin
auszulegen ist, dass jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1
der Charta verstößt, eine „Verfolgungshandlung“ im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie
sein kann und ob insoweit zwischen einem „Kernbereich“ der Religionsfreiheit und ihrer
Ausübung in der Öffentlichkeit zu unterscheiden ist.
50
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass nach dem Wortlaut des Art. 2 Buchst. c der
Richtlinie mit „Flüchtling“ insbesondere ein Drittstaatsangehöriger bezeichnet wird, der sich
„aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und der
den „Schutz“ dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder „wegen dieser Furcht“ nicht
in Anspruch nehmen will.
51 Der betreffende Staatsangehörige muss somit aufgrund der in seinem Herkunftsland
gegebenen Umstände und des Verhaltens der Akteure, von denen die Verfolgung ausgehen
kann, eine begründete Furcht vor einer Verfolgung haben, die sich aus zumindest einem der
fünf in der Richtlinie und der Genfer Konvention genannten Gründe gegen seine Person
richtet, wobei einer dieser Gründe seine „Religion“ ist.
52 Gemäß Art. 13 der Richtlinie erkennt der betroffene Mitgliedstaat dem Antragsteller die
Flüchtlingseigenschaft zu, wenn dieser die insbesondere in den Art. 9 und 10 der Richtlinie
festgelegten Voraussetzungen erfüllt.
53 Art. 9 der Richtlinie definiert die Merkmale, die es erlauben, Handlungen als
Verfolgung zu betrachten. So müssen die fraglichen Handlungen gemäß Art. 9 Abs. 1
Buchst. a der Richtlinie, auf den sich das vorlegende Gericht in seinen ersten beiden Fragen
bezieht, aufgrund ihrer Art oder Wiederholung „so gravierend“ sein, dass sie „eine
schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen“, insbesondere der
absoluten Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist.
54 Außerdem stellt Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie klar, dass eine Kumulierung
unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die „so
gravierend“ ist, dass eine Person davon in „ähnlicher“ wie der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der
Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist, ebenfalls als Verfolgung gilt.
55 Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den
Verfolgungsgründen, darunter dem in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definierten
Verfolgungsgrund der „Religion“, und den Verfolgungshandlungen bestehen.
56 Das in Art. 10 Abs. 1 der Charta verankerte Recht auf Religionsfreiheit entspricht dem
in Art. 9 EMRK garantierten Recht.
57 Die Religionsfreiheit ist eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft und
stellt ein grundlegendes Menschenrecht dar. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit
kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle
gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie als Anhaltspunkt für die
Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten.
58 Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 der Charta
garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung darstellt, die die
zuständigen Behörden verpflichten würde, denjenigen, der diesem Eingriff ausgesetzt wird,
als Flüchtling im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie anzuerkennen.
59 Aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie ergibt sich vielmehr, dass eine
„schwerwiegende Verletzung“ dieser Freiheit vorliegen muss, die den Betroffenen erheblich
beeinträchtigt, damit die betreffenden Handlungen als Verfolgung gelten können.
60 Somit sind Handlungen, die gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Ausübung
des Grundrechts auf Religionsfreiheit im Sinne von Art. 10 Abs. 1 der Charta darstellen, ohne
deswegen dieses Recht zu verletzen, von vornherein ausgeschlossen, da sie durch Art. 52
Abs. 1 der Charta gedeckt sind.
61 Handlungen, die zwar gegen das in Art. 10 Abs. 1 der Charta anerkannte Recht
verstoßen, aber nicht so gravierend sind, dass sie einer Verletzung der grundlegenden
Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall
abgewichen werden darf, können ebenfalls nicht als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1
der Richtlinie und Art. 1 A der Genfer Konvention gelten.
62 Um konkret festzustellen, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9
Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten können, ist es nicht angebracht, zwischen Handlungen,
die in einen „Kernbereich“ („forum internum“) des Grundrechts auf Religionsfreiheit
eingreifen sollen, der nicht die religiöse Betätigung in der Öffentlichkeit („forum externum“)
erfassen soll, und solchen, die diesen „Kernbereich“ nicht berühren sollen, zu unterscheiden.
63 Diese Unterscheidung ist nicht vereinbar mit der weiten Definition des
Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie, die alle Komponenten dieses
Begriffs, ob öffentlich oder privat, kollektiv oder individuell, einbezieht. Zu den Handlungen,
die eine „schwerwiegende Verletzung“ im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie
darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers,
seinen Glauben im privaten Kreis zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit,
diesen Glauben öffentlich zu leben.
64 Diese Auslegung ist geeignet, Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie einen Anwendungsbereich zu
sichern, in dem die zuständigen Behörden alle Arten von Eingriffen in das Grundrecht auf
Religionsfreiheit prüfen können, um festzustellen, ob sie aufgrund ihrer Art oder
Wiederholung so gravierend sind, dass sie als Verfolgung gelten können.
65 Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere
verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht
darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern
auf die Art der Repressionen, denen der Betroffene ausgesetzt ist, und deren Folgen, wie der
Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge ausgeführt hat.
66 Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der Charta garantierten Rechts eine
Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich deshalb danach,
wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen
ergriffen werden oder ergriffen werden können.
67 Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine
Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der
Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a.
tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure verfolgt
oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu
werden.
68
Insoweit ist anzumerken, dass eine zuständige Stelle, wenn sie nach Art. 4 Abs. 3 der
Richtlinie einen Antrag auf internationalen Schutz individuell prüft, alle Akte berücksichtigen
muss, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um
festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als
Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können.
69 Da der in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definierte Religionsbegriff auch die
Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit
anderen, umfasst, kann das Verbot einer solchen Teilnahme eine hinreichend gravierende
Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung
darstellen, wenn sie in dem betreffenden Herkunftsland für den Antragsteller u. a. die
tatsächliche Gefahr heraufbeschwört, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten
Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung
unterworfen zu werden.
70 Bei der Prüfung einer solchen Gefahr wird die zuständige Behörde eine Reihe
objektiver wie auch subjektiver Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben. Der subjektive
Umstand, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis in der
Öffentlichkeit, die Gegenstand der beanstandeten Einschränkungen ist, zur Wahrung seiner
religiösen Identität besonders wichtig ist, ist ein relevanter Gesichtspunkt bei der Beurteilung
der Größe der Gefahr, der der Antragsteller in seinem Herkunftsland wegen seiner Religion
ausgesetzt wäre, selbst wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis keinen zentralen
Bestandteil für die betreffende Glaubensgemeinschaft darstellt.
71 Aus dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie geht nämlich hervor,
dass der Schutzbereich des mit der Religion verknüpften Verfolgungsgrundes sowohl
Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die die Person für sich selbst als
unverzichtbar empfindet, d. h. diejenigen Verhaltensweisen, „die sich auf eine religiöse
Überzeugung stützen“, umfasst, als auch solche Verhaltensweisen, die von der Glaubenslehre
angeordnet werden, d. h. diejenigen, die „nach dieser [Überzeugung] vorgeschrieben sind“.
72
In Anbetracht all dessen ist auf die erste und die zweite Frage in beiden Rechtssachen
zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass
–
nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der
Charta verstößt, bereits eine „Verfolgungshandlung“ im Sinne dieser Bestimmung der
Richtlinie darstellt;
–
eine Verfolgungshandlung sich aus einem Eingriff in die öffentliche Ausübung dieser
Freiheit ergeben kann und
–
bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der
Art. 10 Abs. 1 der Charta verletzt, eine „Verfolgungshandlung“ darstellen kann, die
zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen prüfen
müssen, ob er aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a.
tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure verfolgt
oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu
werden.
Zur dritten Frage
73 Mit der dritten Frage in beiden Rechtssachen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob
Art. 2 Buchst. c der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine begründete Furcht des
Antragstellers vor Verfolgung dann vorliegt, wenn er eine Verfolgung in seinem
Herkunftsland dadurch vermeiden kann, dass er auf die Vornahme bestimmter religiöser
Betätigungen verzichtet.
74
Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Frage ist zu bemerken, dass sie den – in den
Ausgangsverfahren vorliegenden – Fall betrifft, dass der Antragsteller nicht bereits wegen
seiner Religion verfolgt oder unmittelbar mit Verfolgung bedroht worden ist.
75 Da es an einem solchen „ernsthaften Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers
begründet ist“, im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie fehlt, stellt sich für das vorlegende
Gericht die Frage, inwieweit von dem Antragsteller, wenn er seine Furcht nicht mit einer
wegen seiner Religion bereits erlittenen Verfolgung begründen kann, verlangt werden könnte,
dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland die tatsächliche Gefahr einer Verfolgung
weiterhin vermeidet.
76 Hierzu ist festzustellen, dass nach der Systematik der Richtlinie die zuständigen
Behörden, wenn sie nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie prüfen, ob ein Antragsteller
begründete Furcht vor Verfolgung hat, herauszufinden versuchen, ob die festgestellten
Umstände eine solche Bedrohung darstellen, dass der Betroffene in Anbetracht seiner
individuellen Lage begründete Furcht haben kann, tatsächlich Verfolgungshandlungen zu
erleiden.
77 Diese Beurteilung der Größe der Gefahr, die in allen Fällen mit Wachsamkeit und
Vorsicht vorzunehmen ist (Urteil Salahadin Abdulla u. a., Randnr. 90), beruht ausschließlich
auf einer konkreten Prüfung der Ereignisse und Umstände anhand der Regeln, die
insbesondere in Art. 4 der Richtlinie enthalten sind.
78 Keine dieser Regeln deutet darauf hin, dass bei der Beurteilung der Frage, wie groß die
Gefahr ist, dass der Betreffende tatsächlich Verfolgungshandlungen in einem bestimmten
Kontext erleiden wird, berücksichtigt werden müsste, ob der Antragsteller die Gefahr einer
Verfolgung möglicherweise dadurch vermeiden kann, dass er auf die betreffende religiöse
Betätigung und folglich auf den Schutz, den ihm die Richtlinie mit der Anerkennung als
Flüchtling garantieren soll, verzichtet.
79 Sobald feststeht, dass sich der Betroffene nach Rückkehr in sein Herkunftsland in einer
Art und Weise religiös betätigen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung
aussetzen wird, müsste ihm daher nach Art. 13 der Richtlinie die Flüchtlingseigenschaft
zuerkannt werden. Dass er die Gefahr durch Verzicht auf bestimmte religiöse Betätigungen
vermeiden könnte, ist grundsätzlich irrelevant.
80 Nach alledem ist auf die dritte Vorlagefrage in beiden Rechtssachen zu antworten, dass
Art. 2 Buchst. c der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine begründete Furcht des
Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im
Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen
ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die
ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines
Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht
zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten.
Kosten
81 Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei
dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor
dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
1.
Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004
über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen
oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen
Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin
auszulegen, dass
–
nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt, bereits eine
„Verfolgungshandlung“ im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie darstellt;
–
eine Verfolgungshandlung sich aus einem Eingriff in die öffentliche Ausübung
dieser Freiheit ergeben kann und
–
bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit,
der Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt, eine
„Verfolgungshandlung“ darstellen kann, die zuständigen Behörden im Hinblick auf die
persönlichen Umstände des Betroffenen prüfen müssen, ob er aufgrund der Ausübung
dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der
in Art. 6 der Richtlinie 2004/83 genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
2.
Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass eine begründete
Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der
zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers
vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland
religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer
Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als
Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen
Betätigungen zu verzichten.
Unterschriften
Anmerkungen von Reinhard Marx (erscheint im Asylmagazin 2012)
Verfolgung aus Gründen der Religion aus menschenrechtlicher Sicht
Anmerkungen zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes
vom 5. September 2012 in den verbundenen Rechtssachen
C-71/11 und C-99/11 – Y und Z
1.
Einleitung
Der EuGH hat am 5. September 2012 auf Vorlage des BVerwG1 eine grundlegende
Entscheidung zur Verfolgung aus Gründen der Religion am Beispiel der Ahmadis in
Pakistan getroffen, die für die deutsche Asylpraxis weitreichende Folgen haben wird.
Bekanntlich wird in Deutschland seit 1987 aufgrund einer – ebenfalls am Beispiel der
1
BVerwGE 138, 270 (282 f.) = NVwZ 2011, 755 (758).
Ahmadis entwickelten - Leitentscheidung des BVerfG die traditionelle Asylrechtsdogmatik
gepflegt, welche die Religionsfreiheit in einen Kernbereich, der „auf das
Glaubensbekenntnis und auf Glaubensbetätigungen im häuslichen und nachbarschaftlichen
Bereich“ beschränkt ist, von einem weiteren Schutzbereich, der die „Glaubensausübung in
der Öffentlichkeit“ erfasst, aufspaltet. In Abweichung von international anerkannten Normen
und ohne Bezeichnung eines nachvollziehbaren Grundes wird in Deutschland bislang im
Asylverfahren lediglich das »religiöse Existenzminimum« (Kernbereich) geschützt. Dieses
schließt zwar ein kommunikatives Element ein, nämlich die religiöse Kommunikation
(gemeinsames Gebet, Gottesdienst). Diese muss indes abseits der Öffentlichkeit stattfinden.2
Politische Verfolgung liegt daher nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht vor, wenn die
die Religionsfreiheit unterdrückenden Maßnahmen der Durchsetzung des öffentlichen
Friedens unter verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressivintoleranten Glaubensrichtungen dienen und zu diesem Zweck etwa einer religiösen
Minderheit untersagt wird, gewisse Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der
Öffentlichkeit zu verwenden, obwohl sie für die Minderheit identitätsbestimmend sind. 3
Diese Rechtsprechung hat das BVerwG in der Folgezeit in Stein gemeißelt.
Es kann daher nicht verwundern, dass mit Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie
2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) am 6. Oktober 2006 diese Rechtsprechung in
Begründungsnot geriet, weil nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b) der Richtlinie auch die
öffentliche Ausübungsfreiheit geschützt wird. Ausgehend von der spezifisch deutschen,
weder in anderen Mitgliedstaaten noch international anerkannten Dogmatik hatte das
BVerwG dem EuGH eine Reihe von Fragen zur Klärung vorgelegt, die sich auf drei
herunter brechen lassen:
1. Wann liegt eine Verfolgungshandlung vor?
2. Ist die Freiheit der öffentlichen Glaubensbetätigung geschützt?
3. Ist ein Verzicht auf die öffentliche Ausübungsfreiheit zwecks Vermeidung von
Verfolgung zumutbar?
Insbesondere die letzte Frage, die ja insbesondere bei Konvertiten Bedeutung erlangt und
seit jeher in der deutschen Verwaltungspraxis die Gemüter erhitzt hat, dürfte wohl der Grund
für die seit einem Vierteljahrhundert mit dogmatischer Starre durchgesetzte deutsche
Verengung des Begriffs der Religionsfreiheit sein.
2.
Verfolgungshandlung (Art. 9 RL 2004/83/EG
In der Vorlagefrage 1 hatte das BVerwG ausgehend von seiner ständigen Rechtsprechung die
Frage aufgeworfen, ob eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit nur dann
vorliegt, wenn ihr Kernbereich betroffen ist. Als Kernbereich identifizierte es dabei die
Ausübungsfreiheit im privaten Bereich. Für das BVerwG liegt die von Art. 9 Abs. 1 Buchst.
a) RL 2004/83/EG vorausgesetzte schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden
Menschenrechtes nur dann vor, wenn die Verfolgung der Religionsbetätigung im privaten
Bereich gilt. Bereits gegen die Formulierung dieser Frage sprechen methodische Bedenken,
weil das BVerwG nicht zwischen den tatbestandlichen Merkmalen der Verfolgung und den
BVerfGE 76, 143 (159) = EZAR 200 Nr. 20 = NVwZ 1988, 237 = InfAuslR 1988, 87 – Ahmadiyya II; zuletzt
noch BVerwG, InfAuslR 2004, 319 (320) = NVwZ 2004, 1000 = AuAS 2004, 125.
3
BVerfGE 76, 143 (160) = EZAR 200 Nr. 20 = NVwZ 1988, 237 = InfAuslR 1988, 87; zur Unbeachtlichkeit von
Sektion 298-B, 298-C PPC s. BVerwGE 92, 278 (280) = NVwZ 1993, 788 = EZAR 201 Nr. 24; BVerwG,
NVwZ 1993, 788 (789); BVerwG, NVwZ 1994, 500; s. aber BVerfG (Kammer), InfAuslR 1992, 145 (148), zur
Ermittlungstiefe.
2
für diese maßgeblichen Gründen differenziert, sondern sich bei der Frage, ob Maßnahmen die
erforderliche Schwere aufweisen, auf den verengten, lediglich privaten Schutzbereich der
Religionsfreiheit bezieht und damit die Verfolgung selbst nach Maßgabe der Kriterien der
Verfolgungsgründe definiert.4
Auf diesen methodischen Fehler weist der EuGH das BVerwG mit der Feststellung hin, dass
nach Art. 9 Abs. 3 RL 2004/83/EG zwischen der Verfolgung und den Verfolgungsgründen
eine Verknüpfung bestehen (Rdn. 55), also zunächst zwischen beiden getrennt werden muss.
Was aber getrennt werden muss, muss auch jeweils eigenständig bestimmt werden. Es kann
daher im Rahmen von Art. 9 RL 2004/83/EG nicht auf eine „schwerwiegende Verletzung der
Religionsfreiheit“ ankommen. Maßgebend ist vielmehr die schwerwiegende Verletzung eines
„grundlegenden Menschenrechts“ (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) RL 2004/83/EG) unabhängig
davon, ob damit auf das Recht des Betroffenen auf politische Betätigung, auf
Meinungsfreiheit oder Religionsfreiheit gezielt wird. Bei der Verfolgung wird vielmehr
danach gefragt, ob in der Art und Weise der Repression eine schwerwiegender Verletzung
eines grundlegenden Menschenrechtes erkannt werden kann. Wird diese Frage bejaht, ist nach
Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie im Rahmen der Anknüpfung danach zu fragen, ob damit ein
geschützter Status des Betroffenen, etwa die politische Meinungsfreiheit (politische
Überzeugung) oder die Religionsfreiheit getroffen werden soll.
Grundlage für den verfehlten methodischen Ansatz des BVerwG ist, dass es den in der
deutschen Rechtsprechung 1987 entwickelten Ansatz, wonach nur die schwerwiegende
Verletzung der Religionsfreiheit einen Asylanspruch begründet, zur Grundlage des
Unionsrechts macht und darauf die Vorlagefragen beruhen.5 Diese deutsche Dogmatik weist
der Gerichtshof mit der Feststellung zurück, dass bei der Bestimmung der Handlungen, die
aufgrund ihrer Schwere verbunden mit den Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten
können, nicht darauf abgestellt werden darf, „in welche Komponente der Religionsfreiheit
eingegriffen wird, sondern auf die Art der Repressionen, denen der Betroffene ausgesetzt ist“
(Rdn. 65). Es ist damit für die Bestimmung der Verfolgung unerheblich, ob die Maßnahmen
in die private oder öffentliche Glaubenspraxis eingreifen. Vielmehr kommt es auf die
schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte an.
Der Zweck des Flüchtlingsschutzes erfordert eine methodisch sachgerechte Erfassung der
tatbestandlichen Voraussetzungen des Flüchtlingsbegriffs und damit eine Trennung zwischen
seinen einzelnen Elementen. Der Verfolgungsbegriff kann nicht präzise definiert werden.
Während die Schwere einer Menschenrechtsverletzung nicht abschließend geregelt ist und
wegen des jederzeit wandelbaren Charakters der Art, Schwere und Erscheinungsform
politischer Repressionen auch nicht enumerativ geregelt werden kann, Maßnahmen der
Verfolger sich nämlich wandeln und in unterschiedlichen Formen auftreten können, sind die
den Maßnahmen zugrunde liegenden Gründe in der Konvention wie in der Richtlinie
abschließend geregelt. Dies hat seinen Grund darin, dass die Schutzbedürftigkeit der in ihren
Menschenrechten verletzten Personen einen von den Vertragsstaaten akzeptierten Konsens
über die Anwendung des maßgeblichen Diskriminierungsverbots voraussetzt, wie er seinen
Ausdruck in den Konventionsgründen findet, der Grund für die Menschenrechtsverletzung
also anders als deren Form (Schwere) nicht offen bleiben kann.
Unmissverständlich stellt der Gerichtshof klar, um konkret festzustellen, welche Handlungen
als Verfolgung gelten können, sei es nicht angebracht, zwischen Handlungen, die in einen
„Kernbereich“ („forum internum“) des Grundrechts auf Religionsfreiheit eingreifen sollten,
4
5
Marx, ZAR 2010, 1; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., 2012, § 21 Rdn. 25 ff.
Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., 2012, § 21 Rdn. 29.
der nicht die religiöse Betätigung in der Öffentlichkeit („forum externum“) erfassen solle, und
solchen, die diesen „Kernbereich“ nicht berührten, zu unterscheiden (Rdn. 62). Im Verfahren
vor dem EuGH hatte keiner der Beteiligten, weder die Kommission noch die französische
noch die niederländische Regierung, diesen Ansatz vertreten. Auch die Bundesregierung wies
in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass eine derartige Unterscheidung nicht in das
Unionsrecht übertragen werden könne.6 Der Gerichtshof hebt deshalb auch hervor, diese sei
nicht vereinbar mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in der Richtlinie, die alle
Komponenten dieses Begriffs, ob öffentlich oder privat, kollektiv oder individuell,
einbeziehe. Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung im Sinne der Richtlinie
darstellen könnten, gehörten nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers,
seinen Glauben im privaten Kreis zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit,
diesen Glauben öffentlich zu leben (Rdn. 63). Damit schafft der EuGH eindeutige Klarheit.
Ein Vierteljahrhundert gehegte deutsche Gewissheiten sind unwiderruflich erschüttert und
dürfen in Zukunft die Anerkennungspraxis nicht mehr bestimmen. Soweit ist die
Entscheidung für die deutsche Rechtsentwicklung vorwärtsweisend. Andererseits prägt die
Entscheidung ein unklarer Verfolgungsbegriff. Das verwundert allerdings bei religiösen
Verfolgungen nicht, weil sich diese häufig in Formen von Diskriminierungen äußern, diese
jedoch schwerwiegend sein müssen. Wie aber kann der Begriff der schwerwiegenden
Rechtsverletzung bestimmt werden?
3.
Begriff der „schwerwiegenden“ Menschenrechtsverletzung
Der Gerichtshof führt aus, dass die Religionsfreiheit eines der Fundamente einer
demokratischen Gesellschaft sei und ein grundlegendes Menschenrecht darstelle. Ein Eingriff
in dieses Recht könne „so gravierend sein, dass es einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK
genannten Fälle gleichgesetzt werden“ könne (Rdn. 47). Damit verweist der EuGH auf den
notstandsfesten Kern der Menschenrechte, zu denen insbesondere das Folterverbot nach Art. 3
EMRK sowie das Recht auf Leben nach Art. 2 EMRK gerechnet werden. Die anderen in Art.
15 Abs. 2 EMRK bezeichneten Rechte sind für das Asylverfahren praktisch nicht relevant,
wie z.B. das Verbot der Sklaverei oder Leibeigenschaft (Art. 4 Abs. 1 EMRK). Das in Art. 7
EMRK enthaltene strafrechtliche Rückwirkungsverbot gibt für die Begriffsbestimmung der
Verfolgung wenig her. Damit muss die Verfolgung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) RL
2004/83/EG die begrifflichen Kriterien einer Foltermaßnahme oder einer unmenschlichen
Behandlung oder Bestrafung erfüllen. Weniger schwerwiegende Beeinträchtigungen sind
danach nicht erfasst.
Lässt der Gerichtshof in Rdn. 57 noch offen, ob auch die Verletzung anderer als der
notstandsfesten Rechte der EMRK „so gravierend“ sein kann, dass sie den Verfolgungsbegriff
erfüllen, stellt er in Rdn. 61 fest, dass nur solche gravierenden Verletzungen erfasst werden:
Handlungen, die zwar das in Art. 10 Abs. 1 GRCh anerkannte Recht auf Religionsfreiheit
verletzten, aber nicht so gravierend seien, dass sie einer Verletzung der grundlegenden
Menschenrechte gleichkämen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall
abgewichen werden dürfe, könnten nicht als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der
Richtlinie und Art. 1 A Nr. 2 GFK gelten. An anderer Stelle verweist der EuGH zwar auf den
Kumulationsansatz von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b) RL 2004/83/EG (Rdn. 54). Die an sich nicht
schwerwiegenden Maßnahmen müssen jedoch insgesamt „so gravierend“ sein, dass der
Antragsteller davon in „ähnlicher“ wie in der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) RL 2004/83/EG
beschriebenen Weise betroffen sei. Man kann die Ausführungen des Gerichtshofs dahin
6
Stellungnahme der Bundesregierung in den verbundenen Rechtssachen C-71/11 und C-99/11 vom 17. Juni
2011, Rdn. 34.
verstehen, dass die Repressionen, die als solche jeweils nicht die Schwelle von Art. 3 EMRK
erreichen, diese jedoch in ihrer Gesamtwirkung erreichen müssen.
Andererseits fällt auf, dass sich der Gerichtshof in diesem Zusammenhang nicht auf die
Schlussanträge des Generalanwalts Bot bezieht. Im Blick auf die erforderliche Art der
Repressionen weist dieser darauf hin, dass die Verfolgung eine „äußerst gravierende
Handlung“ darstelle, weil mit ihr „in flagranter Weise hartnäckig die grundlegendsten
Menschenrechte“ vorenthalten würden. Geht es hier um die Vorenthaltung von
Menschenrechten, also um klassische Formen der Diskriminierung aus religiösen Gründen,
bezieht sich der Generalanwalt für den Eingriff in derartige Rechte auf die Rechtsprechung
des EGMR zum Refoulementschutz nach Art. 9 EMRK. So habe der EGMR nur „unter
außergewöhnlichen Umständen, wenn für den Betroffenen die „tatsächliche Gefahr einer
flagranten Verletzung“ der Religionsfreiheit bestehe, eine Verpflichtung der Vertragsstaaten
zum Refoulementschutz anerkannt. Zur Verdeutlichung fasst der Generalanwalt in seinem
Vorschlag zur Beantwortung der ersten Vorlagefrage zusammen, dass eine Verfolgung im
Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) RL 2004/83/EG anzunehmen sei, wenn der Antragsteller
aufgrund der Ausübung der Religionsfreiheit oder aufgrund von Verstößen gegen
Beschränkungen dieser Freiheit der tatsächlichen Gefahr ausgesetzt sei, „exekutiert, gefoltert
oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, versklavt oder
in Leibeigenschaft gehalten oder willkürlich verfolgt oder inhaftiert zu werden.7
Diese Ausführungen übernimmt der Gerichtshof nicht. Dies dürfte in dem fragwürdigen
methodischen Ansatz des Generalanwalts begründet sein. So kann der Refoulementschutz
nach Art. 33 GFK, um den es beim Flüchtlingsschutz geht, nicht nach Maßgabe des vom
EGMR für Art. 9 anerkannten Refoulementschutzes bestimmt werden. Ferner hat der EGMR
in aller Deutlichkeit Refoulementschutz bislang nur für Art. 3 EMRK anerkannt und
Refoulementschutz aus anderen Konventionsnormen nur dann bejaht, wenn deren Verletzung
im Ergebnis eine Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Behandlung zur Folge hat.8 Darüber hinaus
berücksichtigt der Generalanwalt anders als der Gerichtshof nicht den Kumulationsansatz
nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b) RL 2004/83/EG. Folglich macht sich der Gerichtshof auch nicht
die extremen Zuspitzungen des Generalanwalts zu eigen, sondern formuliert eher abstrakt,
dass die Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen „so gravierend“ sein muss, dass der
Antragsteller in „ähnlicher“ Weise wie bei Zuwiderhandlungen gegen Art. 3 EMRK davon
betroffen sein muss. Es muss sich also weder um „äußerst“ gravierende noch um
„hartnäckige, flagrante“ Rechtsverletzungen handeln. Bei der Frage, ob weniger gravierende
Maßnahmen in ihrer Gesamtwirkung „so gravierend“ sind wie Verletzungen absolut
geschützter Rechte (Art. 15 Abs. 2 EMRK), bleibt den Mitgliedstaaten damit ein erheblicher
Beurteilungsspielraum, den der Gerichtshof offensichtlich nicht einschränken wollte. Zu
bedenken ist auch, dass mit der Formulierung „in ähnlicher Weise“ zureichender Spielraum
für einen offenen und pragmatischen Umgang mit dem Begriff der „schwerwiegenden
Menschenrechtsverletzung“ geschaffen wird, was ja insbesondere auch durch die
Regelbeispiele in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie bestätigt wird. Der Gerichtshof hatte keinen
Anlass, den Kumulationsansatz näher zu vertiefen, weil die Vorlagefragen ausschließlich auf
Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie gemünzt waren.
Damit kann festgehalten werden, dass sich der Gerichtshof lediglich zu Buchstabe a) von Art.
9 Abs. 1 RL 2004/83/EG geäußert, den in Buchst. b) enthaltenen Kumulationsansatz jedoch
7
Schlussanträge des Generalanwalts Bot in den verbundenen Rechtssachen C-71/11 und C-99/11 vom 19. April
2012, Rdn. 56, 76, 107
8 S. zur neueren Rechtsprechung des EGMR Lehnert, Asylmagazin 2012, 226 (Refoulementschutz nach Art. 5
und 6 EMRK).
nicht abschließend geklärt und der Generalanwalt diesen überhaupt nicht behandelt hat.
Religiöse Verfolgung kann verschiedene Formen annehmen. Je nach den besonderen
Umständen des Einzelfalls einschließlich der Auswirkungen auf den Betroffenen, zählt dazu
das Verbot, Mitglied einer Glaubensgemeinschaft zu sein, das Verbot der Unterweisung in
dieser Religion, das Verbot, die Riten dieser Religion in Gemeinschaft mit anderen privat
oder öffentlich auszuüben, oder schwere Diskriminierung von Personen wegen ihrer
Religionsausübung, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft oder
ihres Wechsels der Glaubensrichtung.9 Am Beispiel religiöser Verfolgung wird im Handbuch
des UNHCR also der generelle Ansatz des Verfolgungsbegriffs aufgegriffen, wonach die
Bedrohung des Lebens oder der Freiheit aus den Gründen der Konvention stets eine
Verfolgung darstellt, hingegen andere Verstöße gegen die Menschenrechte schwerwiegend
sein müssen.10
Nicht jede religiöse Diskriminierung stellt daher notwendigerweise religiöse Verfolgung dar.
Der Ansatz des Gerichtshofs, dass nicht jede Handlung, die gegen das in Art. 10 Abs. 1 GRCh
verankerte Recht auf Religionsfreiheit verstößt, eine Verfolgung darstellt (Rdn. 61), bringt ein
im Flüchtlingsrecht anerkanntes Prinzip zum Ausdruck.11 Der Verfolgungsbegriff schließt
zwar konzeptionell alle Menschenrechte ein. Den Flüchtlingsschutz unterscheidet jedoch vom
Menschenrechtsschutz, dass mit diesem nicht die ungehinderte größtmögliche
Ausübungsfreiheit der Menschenrechte gewährt, sondern die Flüchtlingseigenschaft nur
zuerkannt werden soll, wenn deren Verletzung ernsthaft genug ist. Allgemein anerkannt ist,
dass Bedrohungen von Leben und Freiheit stets als Verfolgung angesehen werden. 12 Einigkeit
besteht auch, dass schwerwiegende Diskriminierungen Verfolgungen darstellen. Wann
Diskriminierungen schwerwiegend sind, wird jedoch sehr unterschiedlich bewertet. Dem
Begriff der Verfolgung ist damit ein unvermeidbares Element der Relativität immanent,13 das
ja auch die Abgrenzung zwischen unmenschlichen und allgemein hinzunehmenden
Maßnahmen in der Rechtsprechung des EGMR kennzeichnet.14
In der Staatenpraxis geht es hierbei in der Regel um Fälle der Vorenthaltung an sich allgemein
zugänglicher Bildungs- und beruflicher Maßnahmen, die Angehörigen bestimmter
Religionsgemeinschaften mit Blick auf ihre Zugehörigkeit zu diesen vorenthalten werden.
Hier ist die Praxis generell restriktiv.15 Verfolgung liegt aber vor, wenn Maßnahmen darauf
gerichtet sind, die Angehörigen einer Religionsgemeinschaft physisch zu vernichten oder mit
vergleichbar schweren Sanktionen, z.B. Austreibung oder Vorenthaltung elementarer
Lebensgrundlagen, zu bedrohen.16 Elementare Lebensgrundlagen können auch berührt
werden, wenn der Zugang zu den normalerweise verfügbaren Bildungs- und
Gesundheitseinrichtungen versperrt wird.17 Ob solche Akte der Diskriminierung eine
schwerwiegende Diskriminierung darstellen, muss unter Berücksichtigung aller Umstände
entschieden werden. Allein die Herausbildung eines feindlichen Umfeldes für eine religiöse
Minderheit verbunden mit erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen reicht
9
UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rdn. 72.
UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rdn. 51.
11 Musalo, Claims for Protection Based on Religion, IJRL 2004, 165 (177), mit Hinweisen.
12 So auch BVerfGE 54, 341 (357) = EZAR 200 Nr. 1 = NJW 1980, 2641 = JZ 1980, 804 – Ahmadiyya I.
13 Goodwin-Gill/McAdams, The Refugee in International Law, 3. Aufl., 2007, S. 132.
10
EGMR, RJD 1999-V = HRLJ 1999, 238 - Selmouni v. France; EGMR, HRLJ 1999, 459 (468) – V v UK; EGMR, HRLJ
2002, 378 (384) – Kalashnikov; s. auch EGMR, HRLJ 1990, 335 (362) = EZAR 933 Nr. 1 = NJW 1990, 2183 – Soering;
EGMR, NVwZ 2008, 1330 (1332) Rdn. 135 – Saadi; s. auch Harris/O'Boyle/ Warbrick, Law of the European Convention on
Human Rights, 1995, S. 62.
14
15
S. Hinweise bei Musalo, Claims for Protection Based on Religion, IJRL 2004, 165 (1178 ff.).
BVerfGE 76, 143 (158) = EZAR 200 Nr. 20 = NVwZ 1988, 237 = InfAuslR 1988, 87 – Ahmadiyya II.
17
UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft
aufgrund religiöser Verfolgung, Mai 2002, S. 7.
16
nicht aus. Der Antragsteller muss mehr vorbringen, nämlich die Erwartung ernsthafter und
nicht zu rechtfertigender Schädigungen.18 Dabei wird die Furcht vor Verfolgung umso eher
begründet sein, wenn der Antragsteller bereits eine Reihe diskriminierender Akte dieser Art
zu erdulden hatte und daher ein kumulatives Moment vorliegt.19
Die Verfasser der Konvention wollten den Begriff der Verfolgung nicht definieren, weil sie
die Unmöglichkeit erkannten, alle denkbaren Formen ernsthafter Einschränkungen von
Rechten aus Gründen der Konvention zu definieren. Es bestand von vornherein kein starres
und absolutes Verständnis von Verfolgung, wie es die Bezugnahme auf die Rechte, die unter
dem absoluten Schutz von Art. 15 Abs. 2 EMRK stehen, nahe legt. Andererseits entwickelt
auch der EGMR im Rahmen von Art. 3 EMRK kein starres Anwendungskonzept: Zur
gebotenen Abgrenzung von insoweit unbedenklichen Maßnahmen kommt es nach seiner
Rechtsprechung darauf an, ob die Maßnahmen darauf abzielen, den Betroffenen zu
erniedrigen oder zu entwürdigen, und ob in Ansehung der Auswirkungen dieser Maßnahme
die Persönlichkeit des Betroffenen in einer Weise beeinträchtigt wird, die mit Art. 3 EMRK
unvereinbar ist. Maßnahmen »unmenschlichen« Charakters im Sinne von Art. 3 EMRK treten
in unterschiedlichen Formen auf. Körperliche Angriffe, die Verwendung psychologischer
Vernehmungsmethoden oder die Inhaftierung einer Person unter unmenschlichen
Bedingungen verletzen Art. 3 EMRK.20 Auch wenn eine Maßnahme nicht den erforderlichen
Grad an »unmenschlicher Behandlung« erreicht hat, kann sie gleichwohl »erniedrigenden«
Charakter haben. Der EGMR verweist auf den absoluten Charakter von Art. 3 EMRK. Zwar
wäre es absurd, wegen ihres gewöhnlicherweise für den Betroffenen erniedrigenden
Charakters eine Bestrafung generell als »erniedrigend« im Sinne von Art. 3 EMRK
anzusehen. Vielmehr müssten zusätzliche Elemente festgestellt werden können, um eine
derartige Feststellung treffen zu können.
Nach Ansicht des Gerichtshofes muss die Erniedrigung oder Entwürdigung mithin eine
bestimmte Schwere erreicht haben und in jedem Fall über das übliche Maß an Erniedrigung
hinausgehen, das gewöhnlicherweise mit Bestrafungsmaßnahmen verbunden ist. Daraus, dass
Art. 3 EMRK ausdrücklich »unmenschliche« und »erniedrigende« Bestrafung verbiete, könne
geschlossen werden, dass zwischen derartiger und allgemeiner Bestrafung grundsätzlich ein
Unterschied bestehe. Die Demütigung oder Herabsetzung müsse einen bestimmten Grad
erreichen, um als »erniedrigende« Bestrafung eingestuft zu werden, die gegen Art. 3 EMRK
verstoße und jedenfalls anders als das gewöhnliche Element der Demütigung wirken. Die
Einordnung sei naturgemäß relativ. Alles hänge von den Umständen des Einzelfalles ab und
insbesondere von der Art und dem Zusammenhang der Strafe wie auch der Art und Weise
ihrer Durchführung.21
Die Flüchtlingseigenschaft beruht auf der Gefahr ernsthafter Schädigungen, setzt jedoch nicht
tödliche Gefahren voraus. Ernsthafte Schädigungen einzuschließen, ist Zweck des
Kumulationsansatzes. Zusätzlich zum Entzug grundlegender bürgerlicher und politischer
Rechte wollten die Verfasser der Konvention auch ernsthafte soziale und wirtschaftliche
Auswirkungen von gezielten Maßnahmen mit dem Konzept der Verfolgung auffangen. 22
Dabei ist ein komplexes Bündel von Faktoren zu berücksichtigen, wie z.B. die Intensität und
Dauer der Maßnahmen und deren Auswirkungen auf die Gesundheit, das Familienleben oder
18
19
20
21
22
Helton/Münker, Religion and Persecution, IJRL 1999, 310 (319).
UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rdn. 55.
Harris/O'Boyle/Warbrick, Law of the European Convention on Human Rights, 1995, S. 62.
EGMR, Series A 26 = EuGRZ 1979, 162 (164) (§ 30) – Tyrer.
Hathaway, The Law of Refugee Status, 1991, S. 102 f.
die Möglichkeit, am politischen Leben einer Gesellschaft teilzunehmen.23 Für die Praxis
bedeutsam ist der Hinweis des Gerichtshofs, dass die Feststellungsbehörden alle Akte
berücksichtigen müssen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden
droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese
Handlungen als Verfolgung gelten können (Rdn. 68). Diese auf Art. 4 Abs. 3 RL 2004/83/EG
zurückgehende Praxisanleitung empfiehlt bereits das Handbuch von UNHCR.
3.
Subjektiv geprägtes Verständnis der Religionsfreiheit
Bei der Prüfung, ob der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt zu werden, hat die
Behörde eine Reihe objektiver wie subjektiver Gesichtspunkte zu berücksichtigen (Rdn. 70).
Nach Auffassung des Gerichtshofs ist der subjektive Umstand, dass für den Betroffenen die
Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner
religiösen Identität besonders wichtig ist, ein relevanter Gesichtspunkt bei der Beurteilung der
Größe der Verfolgungsgefahr, selbst wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis
keinen zentralen Bestandteil für die betreffende Glaubensgemeinschaft darstellt (Rdn. 70).
Der Gerichtshof stützt sich hierbei auf Art. 10 Abs. 1 Buchst. b) RL 2004/83/EG. Hieraus
gehe hervor, dass der Schutzbereich des mit der Religion verbundenen Verfolgungsgrundes
sowohl Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die die Person für sich selbst als
unverzichtbar empfinde, d.h. diejenigen Verhaltensweisen, „die sich auf eine religiöse
Überzeugung stützen“, umfasse, als auch solche Verhaltensweisen, die von der Glaubenslehre
angeordnet würden, d.h. diejenigen, die „nach dieser (Überzeugung) vorgeschrieben sind“
(Rdn. 71). Es ist danach der asylrechtlichen Sachentscheidung ein subjektiver
Religionsbegriff zugrundezulegen. Anders könnte die Konversion gar nicht erfasst werden
Das BVerwG hatte bereits im Vorlagebeschluss angedeutet, dass es nunmehr auch seiner
Ansicht nach auf die subjektive religiöse Überzeugung des Antragstellers ankommt.24 Damit
hatte es seine frühere, starre Rechtsprechung, wonach weder das Selbstverständnis der
Religionsgemeinschaft noch das des einzelnen Gläubigen von der Bedeutung des
Glaubenselements, das von dem staatlichen Eingriff betroffen ist, maßgebend ist,25 bereits von
sich aufgegeben. Jedoch konnte sich das BVerwG für seine frühere Rechtsprechung nicht auf
das BVerfG stützen, weil auch dieses von einer Verfolgung ausgeht, wenn die Maßnahme
darauf gerichtet ist, eine Verleugnung oder gar Preisgabe tragender Inhalte der
Glaubensüberzeugungen durchzusetzen.26 Überzeugungen sind stets subjektiv und damit einer
objektiven Bewertung nicht zugänglich.
Für die Feststellungspraxis hat die subjektive Glaubensprägung zur Folge, dass es zuallererst
auf die subjektive Glaubensüberzeugung des Asylsuchenden ankommt. Nicht was der
amtliche Ermittler als objektiven Inhalt des vom Asylsuchenden ausgeübten Glaubens
versteht, leitet die Ermittlungen. Erforderlich ist vielmehr eine sorgfältige Prüfung des
individuellen Profils und der persönlichen Erfahrungen des Antragstellers, seiner religiösen
Glaubensrichtung, Identität oder Lebensform, deren Bedeutung für diesen, der Auswirkungen
der Einschränkungen auf diesen, des Wesens seiner Rolle und Aktivitäten innerhalb der
Religionsgemeinschaft, der Frage, ob der Verfolger hiervon Kenntnis erlangt hatte oder
erlangen wird und ob dies zu einer Behandlung führen könnte, die die Grenze zur Verfolgung
23
Zimmermann/Mahler, in: Zimmermann,The 1951 Convention relating tot he Statis of Refugees and its 1967
Protocol. A Commentary, 2011, Art. 1 A para. 2, Rdn. 227.
24 BVerwGE 138, 270 (286) Rdn. 43 = NVwZ 2011, 755 (758).
25
BVerwGE 80, 321 (325) = EZAR 201 Nr. 16 = NVwZ 1989, 477 = InfAuslR 1989, 167; BVerwGE 85, 139 (147) EZAR
202 Nr. 18 = NVwZ 1990, 1175 = InfAuslR 1990, 312 ; BVerwGE 87, 52 (58) = EZAR 201 Nr. 21 = NVwZ 1991, 337.
26
BVerfGE 76, 143 (158) = EZAR 200 Nr. 20 = NVwZ 1988, 237 = InfAuslR 1988, 87 – Ahmadiyya II.
überschreitet.27 Die Behörde muss die entsprechenden Ermittlungen umsichtig führen und sich
bewusst machen, dass Handlungen, die einem Außenstehenden trivial erscheinen mögen,
innerhalb des Glaubens des Antragstellers eine zentrale Bedeutung haben können. Die
Überprüfung der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Tatsachen ist bei Anträgen aufgrund
religiöser Verfolgung von zentraler Bedeutung. Allerdings ist eine umfassende Feststellung
oder Überprüfung der Grundlagen oder Kenntnisse der Religion des Antragstellers nicht stets
erforderlich oder angemessen.28
Demgegenüber hat nach dem BVerwG der Asylsuchende zur vollen Überzeugung des
Gerichts die für ihn verpflichtende religiöse Grundentscheidung nachzuweisen. Maßgebend
ist, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und welche Glaubensbetätigungen für ihn persönlich
nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar seien. In jedem Fall sind bei Überprüfungen
des Kenntnisstandes einer Religion die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen,
insbesondere weil die entsprechenden Kenntnisse je nach sozialem und wirtschaftlichem
Hintergrund, Bildungsstand, Alter und Geschlecht der betroffenen Person sehr unterschiedlich
gestaltet sein können. Geringe Kenntnisse können durch Nachforschungen hinsichtlich der
besonderen Praktiken der jeweiligen Religion in der betroffenen Region oder durch
Untersuchung der subjektiven und persönlichen Umstände des Antragstellers aufgeklärt
werden.29 Auf diese Grundsätze weist ja auch der EuGH in Rdn. 68 hin.
4.
Unzumutbarkeit des Verzichts auf die öffentliche Glaubensbetätigung
Die von jeher am heftigsten umstrittene und von den Kontrahenten mit viel Herzblut
ausgefochtene Streit im Bereich religiöser Verfolgungen zielt auf die Frage, ob dem
Asylsuchenden zwecks Vermeidung der Verfolgung der Verzicht auf bestimmte
Äußerungsformen der Religionsfreiheit zugemutet werden darf. Hierauf gerichtete Fragen
beherrschten insbesondere bei Konvertiten die bisherige Verwaltungspraxis. Das BVerwG
hatte deshalb um Klärung gebeten, ob ein Verzicht auf die Glaubensbetätigung zwecks
Vermeidung der Verfolgung vom Antragsteller verlangt werden kann. Es wies zur
Begründung auf seine bisherige Rechtsprechung hin, dass die öffentliche Glaubensbetätigung
nur dann geschützt sei, wenn der Asylsuchende im Herkunftsland bereits öffentlich seinen
Glauben praktiziert habe und deshalb verfolgt worden sei. Berufe er sich hingegen allein
darauf, dass zu erwartende zukünftige Betätigungen nach der Rückkehr in das Herkunftsland
zu einer Verfolgung führten, fehle es an der erforderlichen Unmittelbarkeit der Gefährdung.
Denn die Realisierung der Gefahr hänge „noch von einer willensgesteuerten Handlung“ des
Antragstellers ab, die sich nicht sicher prognostizieren lasse. Ihm werde daher zugemutet, die
Gefahr zu vermeiden, soweit dadurch nicht der (private) Kernbereich seiner Religionsfreiheit
verletzt werde30
Diese Rechtsprechung will sich nicht von willensgesteuerten Handlungen des Einzelnen
abhängig machen. Dies hat das BVerwG in einem anderen Fall bereits 1988 anschaulich
dadurch demonstriert, dass es für die Rückkehrprognose eine „unentrinnbare schicksalhafte
Festlegung auf homosexuelles Verhalten verlangte.31 Willensgesteuertes zukünftiges
homosexuelles Verhalten, das für die Identität des Betroffenen prägend ist (Art. 10 Abs. 1
Buchst. d) RL 2004/83/EG) und sich auf die allgemein anerkannte Freiheit der sexuellen
27
UNHCR, Fn 17, S. 5.
28
UNHCR, FN 17, S. 5 f., 11 f.
UNHCR, FN 17, S. 11 f.
29
30
31
BVerwGE 138, 270 (288) Rdn. 50= NVwZ 2011, 755 (758).
BVerwGE 79, 143 (147) = EZAR 201 Nr. 13 = NVwZ 1988, 838 = InfAuslR 1988, 230.
Selbstbestimmung (Art. 8 Abs. 1 EMRK) berufen kann,32 wurde daher nicht anerkannt, wird
aber in Zukunft als Konsequenz der Rechtsprechung des EuGH anerkannt werden müssen,
wie das BVerwG in seinem Vorlagebeschluss bereits selbst angedeutet hat.33
Zunächst stellt der Gerichtshof mit Hinweis auf Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG klar, dass sich
diese Frage nur für die Asylsuchenden stellt, die nicht bereits im Herkunftsland wegen ihrer
Religion verfolgt oder unmittelbar mit Verfolgung bedroht wurden (Rdn. 74). Dabei macht es
keinen Unterschied, ob sie wegen privater oder öffentlicher Glaubensbetätigung verfolgt oder
bedroht wurden. In einem wie im anderen Fall beantwortet bereits Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie
die Frage nach der Verfolgungsgefahr. Daher stellt sich für den Gerichtshof die
Verzichtsfrage nur für die Antragsteller, die ihre Furcht vor Verfolgung nicht mit einer wegen
ihrer Religion bereits erlittenen Verfolgung begründen können (Rdn. 75). Es geht also
einerseits um diejenigen Asylsuchenden, die sich vor ihrer Ausreise religiös indifferent
verhalten haben und nach ihrer Ausreise Glaubensaktivitäten – zumeist in Form einer
Konversion – entfalten. Andererseits geht es um Asylsuchende, die vor ihrer Ausreise zwar
privat ihren Glauben konkret gelebt haben, aber deshalb nicht verfolgt wurden und die
nunmehr mit Blick auf ihre im Bundesgebiet entfaltete öffentliche Glaubensbetätigung ihre
Rückkehr verweigern. Für die Ahmadis in Pakistan, die um des Überlebens willen auf die
öffentliche Glaubensbetätigung verzichtet, aber ihren Glauben privat gelebt haben und
deshalb ernsthaften Diskriminierungen ausgesetzt waren, löst sich die Frage der
Verfolgungsgefahr nach Art. 4 Abs. 4 RL 2004(83/EG). Haben sie hingegen ihren Glauben
zwar privat ausgeübt, können sie aber keine ernsthaften Diskriminierungen glaubhaft machen,
kommt es auf die Art der religiösen Lebensführung im Bundesgebiet an. Kann ihnen nunmehr
mit Hinweis auf ihre frühere Beschränkung auf die private Glaubensbetätigung für die
Rückkehr zwecks Vermeidung der Verfolgung ein Verzicht auf die öffentliche
Glaubensbetätigung auch für die Zukunft abverlangt werden?
Der Gerichtshof beantwortet diese Frage klar und eindeutig und hält der deutschen
Rechtsprechung entgegen, die Beurteilung der Größe der Gefahr - nach deutscher
Terminologie die Verfolgungsprognose - beruhe allein auf einer konkreten Prüfung der
Ereignisse und Umstände anhand der in Art. 4 der Richtlinie aufgestellten Regeln. Keine
dieser Regeln deute darauf hin, dass bei dieser Beurteilung berücksichtigt werden müsste, ob
der Antragsteller die Verfolgungsgefahr „möglicherweise dadurch vermeiden kann, das er auf
die betreffende religiöse Betätigung und folglich auf den Schutz, den ihm die Richtlinie mit
der Anerkennung als Flüchtling garantieren soll, verzichtet“ (Rdn. 78). Sobald feststehe, „dass
sich der Betroffene nach Rückkehr in sein Herkunftsland in einer Art und Weise religiös
betätigen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen wird, müsste ihm
nach Art. 13 der Richtlinie die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden. Dass er die Gefahr
durch Verzicht auf bestimmte religiöse Betätigungen vermeiden könnte, ist grundsätzlich
irrelevant“ (Rdn. 79). Die Vorstellung, es sei dem Antragsteller zuzumuten, sich nach
Rückkehr einer öffentlichen Glaubenspraxis zu enthalten, ist unvereinbar mit Art. 1 A Nr. 2
GFK.34
Maßgebend ist danach nicht in erster Linie das zukünftige Verhalten des Asylsuchenden,
sondern das zukünftige Verhalten der Verfolgungsakteure (Art. 6 RL 2004/83/EG).
Ausgangspunkt der Beurteilung sind „alle Akte“, denen „der Antragsteller ausgesetzt war
EGMR, HRLJ 1992, 358 ((361) (§ 44)) – B. v. France; . s. hierzu ausführlich Marx, Handbuch zum
Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., 2012, § 24 Rdn. 6 ff.
.
33 BVerwGE 138, 270 (289) Rdn. 53 = NVwZ 2011, 755.
32
34
Hathaway, The Law of Refugee Status, 1991, S. 147.
oder ausgesetzt zu werden droht“ (Rdn. 68). Dass er früher seinen Glauben nicht öffentlich
praktiziert hat, ist unerheblich, wenn er für die Zukunft aufgrund öffentlicher
Glaubensbetätigung Verfolgung „ausgesetzt zu werden droht“ (Rdn. 68). Ist aufgrund seiner
konkreten Lebensführung davon auszugehen, dass für das subjektive Verständnis des
Betroffenen die öffentliche Glaubensbetätigung wesentlich ist und droht ihm deshalb
Verfolgung, kann er zu deren Abwendung nicht zum Verzicht gezwungen werden (Rdn. 79).
Eine menschenrechtliche Sicht der Religionsfreiheit beruht auf „willensgesteuerten
Handlungen“, mag sich auch ordnungspolisches Denken gegen diese Einsicht sperren. Beruft
sich der Asylsuchende auf seine ihm nach dem Völkerrecht und der Richtlinie umfassend
gewährleistete Religionsausübungsfreiheit und haben die zuständigen Instanzen des
Mitgliedstaates festgestellt, dass die Verfolgungsakteure im Herkunftsland die Ausübung
bestimmter Gewährleistungsfreiheiten der Religionsfreiheit mit Verfolgungshandlungen im
Sinne von Art. 9 RL 2004/83/EG unterdrücken, droht ihm Verfolgung aus Gründen der
Religion unabhängig davon, ob er vor seiner Ausreise sämtliche Gewährleistungsfreiheiten
der Religionsfreiheit in Anspruch genommen hat oder nicht.35 Die Grundrechte stehen nicht
unter dem Vorbehalt, dass bei drohender Verfolgung auf ihre Ausübung zu verzichten ist.
Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen.
5.
Fazit
Der Gerichtshof stellt das Flüchtlingsrecht mit seinem Hinweis auf die Grundrechtscharta zu
Recht offensiv in den Kontext der Menschenrechte und weist in eindeutigen und klaren
Worten bisherige unerschütterliche deutsche Gewissheiten zurück. Gerade religiöse
Verfolgungen mit ihrer spezifischen Ausprägung vielfältiger Diskriminierungen haben in
Deutschland von jeher die Gemüter erhitzt. Bereits die erste grundlegende Entscheidung des
BVerfG zum materiellen Asylrecht betraf religiöse Verfolgungen.36 Bei der Bestimmung des
Schutzbereichs der Menschenrechte, der für den Anknüpfungsvorgang nach Art. 9 Abs. 3 RL
2004/83/EG maßgebend ist, sind Einschränkungen der Menschenrechte unzulässig. Dass der
allgemein anerkannte Umfang der geschützten Menschenrechte für die Bestimmung des
Verfolgungsbegriffs nicht vollständig herangezogen werden kann, ist in der Besonderheit des
Flüchtlingsschutzes, nicht den größtmöglichen Ausübungsgebrauch der Menschenrechte,
sondern Schutz vor ernsthaften Rechtsverletzungen zu gewährleisten, begründet. Diesen
differenzierenden menschenrechtlichen Ansatz hat die deutsche Rechtsprechung bislang
verkannt: Nicht alle Erschwernisse und Belastungen, sondern nur ernsthafte werden als
Verfolgung anerkannt. Bei der individuellen Inanspruchnahme menschenrechtlicher
Verbürgungen, sei es die aktive politische oder religiöse Betätigung oder die sexuelle
Selbstbestimmung, gibt es hingegen keine Abstriche.
35
Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., 2012, § 21 Rdn. 90 ff.
BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1 = NJW 1980, 2641 = JZ 1980, 804 – Ahmadiyya I.
36
62nd International Study Congress AWR
on the subject
The State of the European Union Asylum Directives
September 23-26, 2012, D-85354 Freising/Germany
Intervention by
Reinhard Marx
The Refugee Definition of the European Union with Specific Regard to
Persecution on Religious Grounds
I.
The Qualification Directive and the Refugee Definition
The Qualification Directive of the European Union can be seen as an ambitious attempt to
harmonize Member States’ Practice on refugee recognition. A huge group of 27 Contracting
States of the 1951 Refugee Convention are now developing a common approach to its
definition of refugees and, this will certainly have a tremendous impact on customary law
which is relevant for the development of the Convention in State practice. This process offers
opportunities and risks for the universal approach of this definition. After World War II it was
Europe which established basics of refugee law. The European Union, therefore, has a
specific responsibility to improve state practice so far.
With the Qualification Directive the Union undertakes to create a common European asylum
system based on a full and inclusive application of the Refugee Convention, and particularly,
its definition of refugees. Therefore, Article 2 lit. c) of the Directive assures that the
determination of refugee claims in the Union is based on the international refugee defintion as
enshrined in Article 1 para. 2 of the Convention. Conceptually, the Directive distinguishes
between three interrelated key elements of the refugee definition, that is, the concept of
persecution (Article 9), the failure of state protection (Articles 6 to 8), and the concept of
reasons for persecution (Article 10). However, a key element of the international refugee
defintion is missing, i.e. the concept of a well-founded fear of persecution. The definition of
refugees of the Directive seem to be based on a purely objective perception, leaving no room
for consideration of the subjective fears of claimants. Indeed, in refugee law the definition
also comprises objective reasons for persecution. However, the starting point is wether
objective reasons cause a well-founded fear from the standpoint of the claimant. For three
decades Europe has developed an exclusively objective approach to the definition of refugee,
thereby losing sight of the key conceptual element of the definition, i.e. the idea of wellfounded fear. However, Article 4 para. 3 lit. c) of the Directive conatins a procedural
requirement to take account of the individual situation and the personal circumstances of the
claimant. Whereas determination officers have, thus, to consider individual aspects this does
not lead necessarily to the consequence that persecution is seen through the eyes of the
claimant which is the function of the well-founded fear-concept.
II.
Importance of Religion-Based Asylum Claims
The travaux preparatoires of the Convention show that religion-based persecution formed an
integral and accepted part of the definition throughout the drafting process. The Convention
thus puts special importance on this reason for persecution. In history, religion or belief have
long been the basis upon which governments and non-state actors have singled individuals out
for persecution. The Jewish victims of the Holocaust were clearly contemplated by the
drafters of the Convention when they included religion as one of the five grounds for
protection in the Convention. The persistence of religious persecution into the twenty-first
century assures that it will continue to be a Convention ground upon which claims for
protection are based. Some scholars have observed that religion will not only continue to be a
significant ground, but that it is likely to gain increasing prominence as a ground of protection
because of the resurgence of fundamentalism and nationalism, the relationship between
religion and the rights of women, and the sustained concern for religious freedom at the
international as well as State level.37
Religion-based claims are among the most complex in may respects. They often overlap with
other grounds of protection, paticularly, with the notion of membership of a particular social
group, they raise unique credibility problems, and they often involve sur-place claims due to a
possibility of post-departure conversion.38 Religion is not limited to traditional religions or to
religions and beliefs with institutional characteristics or practices analogoues to those of
traditional religions, as the Human Rights Committee notes in its General Comment No. 22
(1993). It is the individual and his or her consciously held religious beliefs which are the
starting point of the determination procedure. Consequently, Article 10 para. lit. b) of the
37
Karen Musalo, Claims for Protection Based on Religion or Belief, 16 IJRL 167 (2004); James C. Hathaway,
The Law of Refugee Status, 1991, pp 165, 167.
38
Andreas Zimmermann/Claudia Mahler, The 1951, Article 1 A, para. 2 § 353.
Directive does not limit the notion of religion to traditional practices but has so far left the
defintion open. Let us now focus on the key elements of persecution for religious reasons.
III.
The Reach of the Right to Freedom of Religion in Refugee Law
The most important aspect of the Convention ground of persecution on religion is its wellaccepted human rights foundation. Various important provisions contained in major
international law instruments guarantee the fundamental right to freedom of religion.
Accordingly, it is also enshrined in Article 10 para. 1 of the Charter of Fundamental Rights of
the European Union. Recently, the Grand Chamber of the European Court of Justice ruled that
freedom of religion is one of the foundations of a democratic society and is a basic human
right. The Court ruled that the individual is the starting point of religion-based claims. In
assessing a real risk of persecution on account of religion the determining officer has to
consider the claimant’s specific conviction and beliefs, even if the observance of religious
practice does not constitute a core element of faith for the religious community he or she
belongs to.39 The objective perception of the freedom of religion denoted in German
jurisprudence40 was, thus, not adopted by the Court.
Furthermore, the Court clarified a further question of utmost controversy, presumably, only in
Germany but not in other Member States. German jurisprudence for 25 years only accepted
religion-based claims if the claimant established persecution on account of his or her practice
in private but not in public.41 No other Member State or Contracting Party to the Convention
applied such an odd concept of the right to freedom of religion. The Court, thus ruled, that it
is considered to be incompatible with the broad definition of religion given by Article 10 para.
1 lit. b) of the Directive, which encompasses all its constituent components, be they public or
private, collective or individual.42 International law does not know a legal doctrine of „core
areas“ („forum internum“) of the basic right to freedom of religion, which do not include
religious activities in public. And it has to be said that German jurisprudence has at no time
European Court of Justice, Y. and Z. v. Germany, Decion of 5 September 2012 – C-71/1, C-99/11, para.70.
Federal Administrative Court, 138 Collection of Decisions 270, 286, para. 43 (2010).
41
Federal Constutional Court, 76 Collection of Decisions 143 (1987).
42
European Court of Justice, Y. and Z. v. Germany, Decion of 5 September 2012 – C-71/1, C-99/11, para.63.
39
40
undertaken to give a plausible and convincing account of its wilful restriction of the
fundamental right of freedom of religion.
The Court goes a step further and clearly states that when assessing the extent of the risk of
actual acts of persecution in a particular situation, it is inadmissible to take account of the
possibility open to the claimant of avoiding the risk of persecution by abstaining from
religious practice in question and, consequently, renouncing the protection. It follows that,
where it is established that, upon return claimants will follow a religious practice in public
which will expose them to a real risk of persecution, they should be granted refugee status.
The fact that they could avoid that risk by abstaining from certain religious practice is, in
principle, irrelevant.43 Therefore, German jurisprudence which denied protection if the
claimant upon return was able to enjoy „core areas“ of the right to freedom of religion but not
religious activities in public44 is incompatible with Community law. Of course, such human
rights-based refugee protection is open to misuse. However, in my experience as a practitioner
most claimants from Islamic countries, particularly, from Iran, are seriously in need of search
for meaning. Furthermore, the possibility of misuse is no reason to create restricted legal
concepts incompatible with human rights standards. Determination officers, adjudicators and
judges are used to examining the credibility of claimants.
IV.
The Notion of Severe Discrimination on account of Religion
The Court of Justice is very clear with regard to the reach of the right to freedom of religion,
it is, however, less clear in giving guidance to Member States on how to apply the concept of
persecution in religion-based claims. The Union’s juridicial definition of persecution is laid
down in Article 9 of the Directive. The Convention does not define it. The authors of the
Convention intended that an open and flexible notion should lead the determination of refugee
status to cover as many conceivable situations of persecution as possible. In contrast, the
Directive elaborates a judicial definition. The focus is on „severe human rights violations“
meeting the test of Article 15 para. 2 of the European Convention on Human Rights, which
means in practice ill-treatment in the sense of its Article 3. According to Article 9 para. 1 lit.
a) there must be a „serious violation“ of religious freedom having a siginificant effect on the
person concerned in order for it to be possible for the acts in question to be regarded as acts of
persecution. The Court, thus ruled that a violation of the right to freedom of religion may
43
44
European Court of Justice, Y. and Z. v. Germany, Decion of 5 September 2012 – C-71/1, C-99/11, paras. 78.
Federal Administrative Court, 138 Collection of Decisions 270, 288 (2010).
constitute persecution within the meaning of Article 9 para. 1 lit. a) where an applicant, as a
result of excercising that freedom, runs a risk of, inter alia, being prosecuted or subject to
inhuman or degrading treatment or punishment.45 Moreover, Article 9 para. 1 lit. b) states that
an accumulation of various measures, including violations of human rights, which is
sufficiently severe as to affect an individual in a manner similar to that referred to in Article 9
para. 1 lit. a), is also to be regarded as amounting to persecution. However, the Court did not
say when various acts of repression are „sufficiently severe“ to be regarded as acts of
persecution. The reason for this retention is that the Court was only asked to give guidance on
how to interprete Article 9 para. 1 lit. b) of the Directive.
The concept of severe discrimination amounting to persecution carries with it a significant
element of relativity and is, thus, hardly to define in clear-cut juridical terms. Therefore, it
comes as no surprise that the Court does not support Advocate-General Bot’s view of
persecution. The Advocate-General in his opinion held that persecution is an „act of utmost
gravity, because it sets out flagrantly and persistently to deny the most esssential rights of the
human person.“ Therefore, persecution in the meaning of Article 9 para. 1 lit a) of the
Directive means that a claimant must run „a real risk of being executed or subjected to torture,
or inhuman or degrading treatment, of being reduced to slavery or servitude, or of being
prosecuted or imprisoned arbitrarliy.“46 Obviously, the Advocate-General dennotes the nonderoagable rights as enshrined in Article 15 para. 2 of the European Human Rights
Convention to which Article 9 para. 1 lit b) of the Directive refers to, but does not take into
account the concept of cummulation of various acts of repression as outlined in Article 9 para.
1 lit a) of the Directive.
I seems that this is the reason why the Court did not refer to the opinion of the AdvocateGeneral in this respect. Furthermore, it did not adopt the extreme terms of exaggerations, like
utmust gravity and flagrantly and persistently, of the Advocate-General’s description of
persecution. Rather, it repeated only the wording of Article 9 para. 1 lit. b) of the Directive
without giving any guidance on how to apply the notion of cummulation of various acts of
repressions. One can assume that the Court had no intention of reducing persecution to „acts
of utmust gravity“. Therefore, Member States have a wide margin of appreciation to assess
when various acts of repression amount to persecution. The phrase „in a manner similar to“
European Court of Justice, Y. and Z. v. Germany, Decion of 5 September 2012 – C-71/1, C-99/11, para. 67.
Opinion of the Advocate-General Bot in the joined cases C-71/11and C-99/11 of 19 April 2012, paras. 56,
107.
45
46
leaves them sufficient scope to determine religion-based claim in a fair and reasaonable
manner.
Persecution for religious reasons may take various forms. In its respective guidelines UNHCR
outlined the following examples so far: prohibition of membership of a religious community,
of worship in community with others in public or in private, of religious instruction, or
serious measures of discrimination imposed on individuals because they practise their
religion, belong to or are identified with a particular religious community, or have changed
their faith.47 Mere membership of a particular religious community will normally not be
enough to substantiate a claim. However, there may be special circumstances where mere
membership suffices, particularly when taking account of the overall political and religious
situation in the country of origin, which may indicate a climate of genuine insecurity for the
members of the religious community concerned. Member States are very reluctant to consider
such a a climate of genuine insecurity. Their fear that such a necessary generous approach
may provoke abusive claims ignores the fact that members of religious communities within a
hostile environment suffer from a long history of severe discrimination. Their decision to bear
such discrimination over a long time may not be turned against them as proof that their fear is
not well-founded.
Even though discrimination for reasons of religion is prohibited, not all discrimination
constitutes the basis for a claim to refugee protection. It is only when the discrimination is of
a „grave enough nature“ to raise the level of persecution.48 The notion of persecution, indeed,
includes human rights. Unlike human rights law refugee law does not assure the widest
possible exercise of human rights but only protection against severe violations of human
rights. The UNHCR Handbook gives guidance on this issue by stating that it is only in certain
circumstances that discrimination will amount to persecution. This would be so if measures of
discrimination lead to consequences of a substantially prejudicial nature for the person
concerned, for example, serious restrictions on his or her right to earn his or her livelihood,
his or her right to practice his or her religion, or his or her access to normally available
educational facilities. Where measures of discrimination are, in themselves, not of a serious
character, they may nevertheless give rise to a reasonable fear of persecution if they produce,
in the mind of the person concerned, a feeling of apprehension and insecurity as regards his or
47
UNHCR, Guidelines on International Protection: Religion-based Refugee Claims under Article 1 A (2) of the
1951 Convention and/or the 1967 Protocol relating to the Status of Refugees, 28 April 2004, p. 4.
48
Karen Musalo, Claims for Protection Based on Religion or Belief, 16 IJRL 167, 177 (2004).
her future existence. Whether or not such measures of discrimination in themselves amount to
persecution must be determined in the light of all circumstances. A claim of fear of
persecution will of course be stronger when a person has already been the victim of a number
of discriminatory measures of this type and where there is thus a cumulative element
involved.49 The Court, principally, endorsed this approach. It stated that an assessment of an
asylum claim should be carried out on an individual basis. Determination officers are required
to take account of all acts to which the claimant has been, or risks being, exposed, in order to
determine whether, in the light of the claimant’s personal circumstances those acts may be
regarded as constituting persecution.50
UNHCR’s outline of severe discrimination illustrates that an element of relativity is perhaps
inherent and inescapable in determining asylum claims,51 which also characterizes the
jurisprudence of the European Human Rights Court when it determines whether certain
measures run counter to Article 3 of the European Human Rights Convention.52 From the
beginning, there was no monolithic or absolute conceptual standard of wrongfulness, the
implication being that a variety of measures in disregard of human dignity might constitute
persecution. Refugee status was premised on the risk of serious harm, but not on the
possibility of consequences of life or death proportions. In addition to the Convention’s
acceptance of deprivation of basic civil and political freedoms as sufficient cause for
international concern, serious social and economic consequences were also acknowlegded to
be within the purview of persecution.53
V.
Conclusion
State practice often does not meet the requirements of religion-based claims. Critics stress that
discriminatory measures of a substantially prejudicial nature, limitations on religion, and
forced compliance which religious norms are often not recognized as persecution, even
though they merit such recognition when analyzed within the framework of international
49
UNHCR, Handbook on Procedures and Criteria for Determining Refugee Status under the 1951 Convention
and the 1967 Protocol relating to the Status of Refugees, 1977, paras. 54.
50
European Court of Justice, Y. and Z. v. Germany, Decion of 5 September 2012 – C-71/1, C-99/11, paras. 78.
51
Guy S. Goodwin-Gill/Jane McAdams, The Refugee in International Law, 3d edn., 2007, p. 132.
52
EGMR, RJD 1999-V = HRLJ 1999, 238 - Selmouni v. France; EGMR, HRLJ 1999, 459 (468) – V v UK;
EGMR, HRLJ 2002, 378 (384) – Kalashnikov; s. auch EGMR, HRLJ 1990, 335 (362) = EZAR 933 Nr. 1 = NJW
1990, 2183 – Soering; EGMR, NVwZ 2008, 1330 (1332) Rdn. 135 – Saadi; s. auch Harris/O'Boyle/ Warbrick,
Law of the European Convention on Human Rights, 1995, S. 62.
53
James C. Hathaway, The Law of Refugee Status, 1991, p. 103.
human rights norms. It is said that this can be remedied by greater incorporation of
international guidance into the evaluation of whether a case of harm constitutes persecution. 54
In the light of these observations the Court’s ruling of 5 September 2012 is a very important
step of the European Union to progressively develop refugee law. There is recognition of the
analytical complexity posed by religion-based claims.55 The clear-cut and open-minded
perception of the Court’s decision on such claims for protection places them into the context
of human rights law and, thus, the decision is an encouraging signal to the European region to
take responsibility for victims of severe human rights violation.
Marx, 14 September 2012
54
55
Karen Musalo, Claims for Protection Based on Religion or Belief, 16 IJRL 266 (2004).
Karen Musalo, Claims for Protection Based on Religion or Belief, 16 IJRL 168 (2004).
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