Sperrfrist: 17. Juni 2014, 12.00 Uhr Basel, 17. Juni 2014 Ist der Föderalismus an der Zersiedelung schuld? Das Siedlungsgebiet der Schweiz wächst rasant und frisst sich ungebremst in die Landschaft hinein. Politik und Bevölkerung stehen dieser Entwicklung mit grossem Unbehagen gegenüber. Tragen Kantönligeist und direkte Mitsprache der Bevölkerung zur Zersiedelung bei? Eine Studie ging dieser Frage nach und kommt zum Schluss: Weder Föderalismus noch direkte Demokratie sind unmittelbare Ursachen für die Zersiedelung. Acht Fussballfelder pro Tag – um diese Fläche wächst das Siedlungsgebiet täglich und dehnt sich dabei immer weiter in die Landschaft aus. Klare Siedlungsgrenzen sind oft nicht mehr zu erkennen und manche Gebäude stehen scheinbar planlos in der Landschaft verstreut (siehe Beispielfotos). Folgen dieser Zersiedelung sind nicht nur hohe finanzielle Kosten für Bau, Betrieb und den Werterhalt der erforderlichen Infrastruktur, sondern vor allem auch der Verlust an wertvollem Kulturland und die Beeinträchtigung von Natur und Landschaft. Neben dem Bevölkerungswachstum und dem gestiegenen Platzbedarf werden häufig der schweizerische Föderalismus sowie die direkte Demokratie als Verursacher der Zersiedelung genannt. Diesem Vorwurf ging der Raumplanungsexperte Rudolf Muggli in der von der Sophie und Karl Binding Stiftung initiierten Studie «Ist der Föderalismus an der Zersiedelung schuld?» nach. Föderalismus ist keine unmittelbare Ursache für die Zersiedelung Mit einem interdisziplinären Ansatz ging der Bau- und Planungsjurist Rudolf Muggli der Frage nach, ob die schweizerische Form von Föderalismus und die direkte Demokratie die Zersiedelung fördern. Zersiedelung wird dabei verstanden als ungeplantes, ressourcenintensives Siedlungs- und Infrastrukturwachstum, das keinem nachhaltigen Konzept folgt. Bevölkerungs- und Siedlungswachstum bedeuten also per se noch keine Zersiedelung – vielmehr kommt es auf die Art und Weise des Wachstums an. Die Studie kommt zum Schluss, dass weder der Föderalismus noch die direkte Demokratie als unmittelbare Ursache für die Zersiedelung betrachtet werden können. Beide bieten zwar keine Garantie gegen Fehlentwicklungen oder Vollzugsdefizite, aber sind auch offen für die der Zersiedelung entgegenwirkenden Kräfte und bieten Spielräume für raumplanerische Experimente und Innovationen. Zudem bilden Demokratie, Föderalismus und Rechtsstaat ein wirksames System gegenseitiger Kontrolle und Machtbegrenzung, das entscheidend zur Qualität der Raumplanung beiträgt. Trotzdem sind, so die Studie, angesichts der fortschreitenden Zersiedelung Verbesserungen unabdingbar. Gefordert sind ökonomische Instrumente und die Stärkung des Rechtsstaates Neben wertvollen Hinweisen auf den Zusammenhang zwischen Föderalismus, Raumordnungspolitik, direkter Demokratie, Rechtsstaat und Zersiedelung liefert die Studie auch konkrete Massnahmen. So seien ökonomische Kontrollinstrumente wie die Internalisierung der externen Kosten der Mobilität, der Abbau zersiedelungsfördernder Subventionen und ein Planungsmehrwertausgleich unverzichtbar, um die Zersiedelung einzuschränken. Da starke wirtschaftliche Kräfte auf dem Bodenmarkt in Richtung grosszügiger Einzonungen wirken, bräuchte es auch eine Weiterentwicklung von ökonomischen Instrumenten, die zur Kostenwahrheit beitragen. Und die fehlende Übereinstimmung der politischen Handlungsräume «Kanton» bzw. «Gemeinde» mit den funktionalen Räumen fördere eine Kultur der Verantwortungslosigkeit. Um dem entgegen zu wirken, müssten die Bürgerinnen und Bürger dort mitentscheiden können, wo sie die raumplanerischen Auswirkungen ihres Handelns selber se- hen und spüren können. Zudem plädiert der Autor dafür, die rechtsstaatlichen Instrumente in der Raumplanung zu verstärken, beispielsweise durch ein Klagerecht von Behörden und ideell ausgerichteten Verbänden, da es oft keine Kläger gegen die Verletzung öffentlicher Interessen gebe. Interdisziplinäres Expertengremium Die Studie ist aus einem von der Basler Sophie und Karl Binding Stiftung ins Leben gerufenen informellen Arbeitskreis aus Juristen, Politologen und Volkswirtschaflern hervorgegangen. Zu diesem Arbeitskreis gehörten Prof. Dr. Andreas Auer (öffentliches Recht, Univ. Zürich), Prof. Dr. René L. Frey (Ökonomie, Univ. Basel), Prof. Dr. Alain Griffel (Staats- und Verwaltungsrecht, Univ. Zürich), Prof. Dr. Daniel Kübler (Politologie, ZDA Aarau). Prof. Dr. Martin Schuler (Geografie, ETH Lausanne), Prof. Dr. Bernhard Waldmann (öffentliches Recht, Institut für Föderalismus, Univ. Freiburg) und Lukas Bühlmann (Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung VLP-ASPAN). Rudolf Muggli hat es übernommen, eine Pilotstudie zu erstellen und nach Diskussionen im Arbeitskreis zu überarbeiten. Ergänzt wird die Studie mit fünf Thesen, in denen die Mitglieder des Arbeitskreises erläutern, warum Föderalismus und direkte Demokratie nicht für alle Mängel der schweizerischen Raumplanung verantwortlich sind und was zur wirksamen Bekämpfung der Zersiedelung nötig ist. Die von der Sophie und Karl Binding im NZZ Libro Verlag herausgegebene Pilotstudie enthält eine französische sowie eine italienische Zusammenfassung. Die Thesen sind in drei Landessprachen erhältlich. ca. 5200 Zeichen Die Medienmitteilung, Luftbilder zur Zersiedelung sowie die «Fünf Thesen zur Raumplanung und Zersiedelung» finden Sie unter www.binding-stiftung.ch > Medien Publikation Muggli, Rudolf: Ist der Föderalismus an der Zersiedelung schuld? Hrsg. Sophie und Karl Binding Stiftung. Verlag Neue Zürcher Zeitung 2014. 210 Seiten, mit französischer und italienischer Zusammenfassung, 34 Illustrationen ISBN: 978-3-03823-897-3 Beigelegt ist eine Thesenbroschüre in Deutsch, Französisch und Italienisch, verfasst von: Prof. Dr. Andreas Auer, Lukas Bühlmann, Dr. Bernhard Christ, Prof. Dr. René Frey, Prof. Dr. Alain Griffel, Prof. Dr. Daniel Kübler, Rudolf Muggli, Prof. Dr. Martin Schuler und Prof. Dr. Bernhard Waldmann. Weitere Auskünfte Autor: Rudolf Muggli, Rechtsanwalt Fachanwalt SAV für Bau- und Immobilienrecht [email protected] Tel. 031 350 01 80 Herausgeberschaft: Jan Schudel, Projektleiter Sophie und Karl Binding Stiftung [email protected] Tel. 061 317 12 39 / 076 479 98 78 Sophie und Karl Binding Stiftung Die Sophie und Karl Binding Stiftung ist eine gemeinnützige Förderstiftung und ist politisch und religiös unabhängig. Sie fördert Projekte in den Bereichen Umwelt, Soziales, Bildung und Kultur in der ganzen Schweiz. Dabei unterstützt die Stiftung sowohl Projekte auf Grund von Gesuchen als auch eigene Projekte in den vier Bereichen. Die Stiftung vergibt den Binding Waldpreis, den mit Fr. 200‘000.- höchstdotierten Umweltpreis der Schweiz. Landschaftsschutz ist das Programmthema der Stiftung im Umweltbereich.