konflikte und stress

Werbung
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
KONFLIKTE und STRESS
1. Was ist „Stress“?
Der Begriff „Stress“ (engl. = „Druck“) stammt ursprünglich aus der Werkstoffkunde und benennt den
Zustand eines Materials, das unter Zug oder Druck steht.
Dies entspricht unserem Alltagsverständnis von Stress als Situation unter Druck und als Zustand
besonderer psychischer und körperlicher Anspannung.
Stress, die „Epidemie“ der modernen Leistungsgesellschaft, begegnet uns im Alltag, am Arbeitsplatz,
in der Schule, in der Familie und sogar in der Freizeit.
Die Erwartungen vieler Unternehmen im Hinblick auf Mobilität, Flexibilität und Identifikation mit der
Unternehmenskultur geraten vielfach in Widerstreit mit den eigenen Werthaltungen, der eigenen
Lebensplanung (intrapersoneller Konflikt) oder den Erwartungen und Einstellungen des Partners, der
Familie und der Freunde (interpersonelle Konflikte).
Interessenskollisionen und Konflikte zwischen Berufs- und Privatleben lassen das negative
Belastungspotential weiter ansteigen, vor allem dann, wenn man nicht gelernt hat, mit Konflikten und
psychischen Krisen umzugehen.
Der Mensch befindet sich in einer Streßsituation tatsächlich in einem Zustand erhöhter
Alarmbereitschaft, was in unterschiedlichen körperlichen Reaktionen zum Ausdruck kommen kann:








Das Herz schlägt schneller
Der Blutdruck und die Atmungsfrequenz erhöht sich
Die Durchblutung des Gehirns und der Skelettmuskulatur ist erhöht
Der Blutzuckerspiegel ist erhöht
Verdauungsprozesse, Sexualfunktionen u. Immunabwehr werden gehemmt
Muskelverspannungen
Schweißausbrüche
Das Gehör und das Sehvermögen werden schärfer
2. Arten von Stress
Es gibt 2 Arten von Stress: Eustress und Distress (Selye 1976).
Als Eustress (griech.: eu = gut) bezeichnet man belastende Reize, die als angenehm empfunden
werden (= positiver Stress), z. B. Herausforderung bei einem Spiel oder ein Fallschirmsprung.
Unter Distress versteht man den Zustand der Überlastung, wie z.B. Überforderung am Arbeitsplatz
(= negativer Stress).
„Distress oder Eustress?“
Inwieweit Belastungssituationen zu einem negativen Stress werden, hängt zum einen von der Dauer
der Belastung sowie den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten und Erfahrungen aus
vergleichbaren Situationen ab, zum anderen von den wahrgenommenen Bewältigungsmöglichkeiten,
d. h. der persönlichen Selbsteinschätzung.
Besitzt man die Fähigkeiten und Fertigkeiten, den Anforderungen gerecht zu werden sowie die
Möglichkeit, die freiwerdenden körperlichen Energien auch auszuleben, hat man es mit positivem
Stress zu tun. Dann kann Stress sogar das Selbstvertrauen und Wohlbefinden steigern, was in Fitness
oder Vitalität resultiert.
In Abweichung von Selye, der noch zwischen positivem Eustress und negativem Distress unterschied,
betrachtet man heute Stress meist als negativen, unangenehm empfundenen Spannungszustand (Greif
1978), dessen Folgen allerdings positiver Art sein können (z.B. Erhöhung der Handlungskompetenz
bei Bewältigung der Streßsituation oder Erweiterung der Frustrationstoleranz eines Individuums).
1
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
3. Stressoren
Stressreaktionen werden ausgelöst durch Stressoren (= belastende Reize).
Stressoren werden unterteilt in 4 verschiedene Arten von Reizen: Körperliche, seelische, chemische
und soziale Reize.




Körperliche Stressoren sind z. B. Hitze, Kälte, Lärm, Hunger, Infektionen und Verletzungen.
Als seelische Stressoren bezeichnet man u. a. Versagensängste, Zeitdruck,
Leistungsüberforderung- bzw. Unterforderung und Prüfungssituationen.
Von sozialen Stressoren spricht man bei Konflikten, Meinungsverschiedenheiten, Verlust von
Angehörigen und Ablehnung durch andere Menschen, Isolation, Gruppendruck, Rivalität und
Intrigen.
Drogenmissbrauch, Chemikalien im Beruf sind Beispiele für chemische Stressoren.
Weitere Stressoren, die im Arbeitsbereich auftreten sind:
-
Organisationsbedingt: z.B. bürokratische Strukturen, steile Hierarchien, unklare Kompetenzen.
Rollenbedingt: z.B. durch Rollenambiguität oder Rollenkonflikte
Personenbedingt: z.B. durch Übermotivierung, Unsicherheit, Ängste, mangelnder Bezug zur
Arbeit, Konflikte zwischen Familie und Karriere.
Die Belastungsforschung hat sich insbesondere mit einseitigen physischen Belastungen beschäftigt.
Sie entstehen überall dort, wo monotone und einseitige Beanspruchungen auftreten, also etwa bei
Berufsgruppen, die ständig wiederkehrende Abläufe zu bewältigen haben (Fließbandtätigkeiten,
Bedienung von Tastaturen) oder deren Sinne einseitig belastet werden (Beobachtung von
Bildschirmen, Arbeit in Lärmsituationen) oder bei denen der Biorhythmus durcheinander gerät (z.B.
bei Schichtarbeit).
Generell kann ausgesagt werden, daß sich infolge des technischen Wandels die
Belastungsschwerpunkte verlagert haben: Während körperliche Belastungen durch manuelle
Maschinenbedienung tendenziell abnehmen, steigen psychisch-geistige Belastungen.
Schwerwiegende negative Ereignisse, wie der Tod einer nahe stehenden Person, scheinen so viel
seelischen Schmerz auszulösen, dass die Abwehrkräfte des Körpers geschwächt werden.
Ärzte berichten, daß vielen Erkrankungen Todesfälle oder Trennungen vorausgegangen sind.
Verluste dieser Art bewirken bei dafür besonders empfänglichen Menschen einen Zustand der
Hoffnungslosigkeit und inneren Resignation. Dieser psychische Zustand bringt biologische
Veränderungen mit sich, die wiederum für bestimmte Krankheiten empfänglich machen.
Einschneidende traumatische Ereignisse wie Unfälle, Katastrophen und Kriegserfahrungen können
zu einem Leiden führen, das heute als posttraumatische Belastungsreaktion (engl.: post-traumatic
stress disorder, PTSD), bezeichnet wird.
Im Krieg wurde diese Störung früher als Kriegs- oder Bombenneurose bezeichnet.
Der Begriff PTSD wurde geprägt, als dieses Stresssyndrom bei vielen amerikanischen
Vietnamveteranen deutlich wurde, deren Wiedereingliederung in das zivile Leben sich als
problematisch erwies.
Die Symptome können unter Umständen erst Monate nach dem erlittenen traumatischen Erlebnis
auftreten. Sie äußern sich nach anfänglicher Abgestumpftheit u. a. in nervöser Reizbarkeit,
Kontaktstörungen und Depression.
Aber auch positive Veränderungen wie ein neuer Arbeitsplatz oder die Geburt eines neuen
Familienmitgliedes können die normale Fähigkeit eines Menschen, Krankheiten abzuwehren,
beeinträchtigen.
Die amerikanischen Forscher, Thomas Holmes und Richard Rahe, stellten die These auf,
einschneidende Veränderungen der Lebensbedingungen griffen unter Umständen nachhaltig die
menschliche Gesundheit an.
2
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
Sie entwickelten eine Liste von Ereignissen, die eine Veränderung des Lebensstils erforderlich
machen, und ordneten jedem Ereignis eine bestimmte Punktezahl zu, so daß für jedes Individuum die
Anzahl von einschneidenden Veränderungen über einen Zeitraum von beispielsweise einem Jahr
berechnet werden konnte. Holmes und Rahe behaupteten, ein hohes Maß an Veränderungen erhöhe
deutlich die Wahrscheinlichkeit einer späteren Erkrankung.
Diese These überprüften sie auf zweierlei Weise: retrospektiv durch den Vergleich von Lebensläufen
kranker und gesunder Menschen; und prospektiv, indem sie Menschen im Hinblick auf ihre
Lebenserfahrungen kategorisierten und aufgrund der so ermittelten Werte Voraussagen über ihre
zukünftige Entwicklung trafen.
Retrospektiv benennen kranke Menschen für das Jahr vor der Erkrankung mehr Ereignisse, die mit
Stress verbunden waren, als eine Vergleichsgruppe von gesunden Menschen.
Prospektiv kam man zu dem Schluss, dass diese Korrelation vielleicht einfach die Tendenz kranker
Menschen wiederspiegelt, in ihrer niedergedrückten Stimmung hauptsächlich unangenehme Erlebnisse
anzusprechen. Und es ist auch möglich, dass die negativen Lebenserfahrungen der Krankheit in
Wirklichkeit nicht vorausgingen, sondern dass die Erkrankung im Frühstadium schon vor diesen
Erfahrungen bestand und daher mit zu ihrem Eintreten beigetragen hat.
Es ist z. B. vorstellbar, dass eine Herzerkrankung im frühen Stadium dazu führt, dass die betreffende
Person bei der Arbeit weniger leistungsfähig ist, oder sogar seine Stelle verliert. Dieser Verlust würde
dann im nachhinein für einen nachfolgenden Herzinfarkt verantwortlich gemacht.
4. Psychologische Stressmodelle
 S-O-R-Modell
Im Sinne des S-O-R-Modells ergibt sich die folgende elementare Beziehung:
Stressoren

Stress

Stressreaktion
Stressoren lösen Stress aus, welcher dann zu einer Stressreaktion führt.
Kritik: Dieses Modell ist sehr allgemein und berücksichtigt nicht die verschiedenen
Persönlichkeitsmerkmale und Situationsdeutungen (siehe unter Punkt 7). Diese intervenierenden
Variablen bestimmen im Zusammenklang mit auftretenden Stressoren Ausmaß und Qualität des
wahrgenommenen/ erfahrenen/ erlebten/ kognizierten Streß.
 „Misfit-Modell“ von Harrison (1978)
Nach Harrison tritt Stress immer dann auf, wenn (aus der Sicht des Individuums) zwischen
Fähigkeiten des Individuums und den leistungsbezogenen Anforderungen Divergenzen bestehen
und/oder wenn die Ressourcen/Möglichkeiten der Arbeitssituation nicht den Bedürfnissen/Motiven
des Individuums entsprechen.
Ein „Misfit“ zwischen „Environment“ (E) und „Person“(P) wirkt demnach als Stressor (P-E-fitModell).
Kritik: Dieses Konzept ist sehr allgemein, zumal über die jeweils von Individuen gewählten
Streßreaktionen bzw. Bewältigungsstrategien nichts Spezifisches ausgesagt wird.
 Transaktionales Erklärungsmodell von Lazarus (1984)
Das transaktionale Erklärungsmodell von Lazarus betrachtet Stresssituationen als komplexe
Wechselwirkungsprozesse zwischen den Anforderungen der Situation und der handelnden Person.
3
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
Dieses Stressmodell differenziert nach der Frage, ob das Individuum glaubt, die Situation kontrollieren
zu können und ob die Gefahr höher eingeschätzt wird als die eigenen Kräfte.
Im Unterschied zum sehr einfachen S-O-R-Modell werden Persönlichkeitsfaktoren sowie Variablen
der Situationsdeutung als wichtige vermittelnde Größen berücksichtigt.
So wird z.B. ein Individuum mit positivem/stabilen Selbstbild sowie hoher Kontrollüberzeugung aktiv
auf jene Umstände einwirken, die den Stress verursachen oder entsprechende Lösungsversuche
einleiten. Menschen können gegenüber einem bestimmten Stressor also höchst unterschiedlich anfällig
sein.
Bedeutsam für den Stressgehalt einer Situation oder eines Ereignisses sind nicht die objektiven
Merkmale dieser Situation, sondern die Gedanken, Empfindungen und Überlegungen der davon
betroffenen Person. Ein Reiz ist nicht deshalb stressend, weil er, wie Selye annahm, eine bestimmte
Intensität übersteigt. Zu einem Streßreiz wird er erst durch die subjektiven Wahrnehmungen und
Bewertungen dessen, der ihn erlebt.
Selbststress
Persönlichkeitsfaktoren, z.B.
Belastbarkeit
Motivation
motorische
Ebene
Stressoren
(z.B. Lärm, Tadel,
Aufgabenkomplexität)
Stress
Situationsdeutung, z.B.
Attribution,
Konstanz
emotionale
Ebene
kognitive
Ebene
Stresskontrolle
hoch
niedrig
z.B.
z.B.
Angriff
Zittern
z.B.
Ärger
z.B.
Angst
z.B.
Strategiebildung
z.B.
Bagatellisierung
Kritik: Dieses Modell zeigt sehr gut die Zusammenhänge zwischen Stressoren, Stress und den
möglichen Stressreaktionen unter Berücksichtigung von intervenierenden Variablen.
Weiters werden alle Handlungen, die darauf gerichtet sind, die Bedrohlichkeit einer Situation
abzuwenden, dabei als „Coping-Prozesse“ bezeichnet, die eine Art Selbstregulierungs-Mechanismus
darstellen (siehe Punkt 6).
 Neuere Entwicklungen der Stressforschung
Neuere Entwicklungen der Stressforschung betreffen integrative Bemühungen, z.B. den Stellenwert
des Stresskonzepts im Rahmen der Gesundheitspsychologie (Zimbardo 1992) die Rückbesinnung auf
die emotionspsychologischen Grundlagen der Stressforschung und die Einstufung des Konzepts als
Teil einer umfassenden Emotionspsychologie (Lazarus 1991).
Bislang unverbundene psychologische Stresskonzepte werden als sich wechselseitig ergänzende
Modellvorstellungen auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau und mit unterschiedlichen
Geltungsbereichen aufgefasst (Edwards 1992).
4
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
5. Phasen einer Streßreaktion
Grundsätzlich sind Streßreaktionen auf verschiedenen Ebenen zu unterscheiden:




auf der physiologischen Ebene (z.B. Nervosität, Gesundheitsstörungen),
auf der motorischen Ebene (z.B. Flucht, Rückzugsverhalten, Aggression),
auf der emotionalen Ebene (z.B. Angst, Ärger, Frustration),
auf der kognitiven Ebene (z.B. Wahrnehmungsverzerrung, Wandel von Kontrollüberzeugungen,
Bagatellisierung).
Der Arzt Hans Selye, eine Autorität auf dem Gebiet der Stressforschung (er experimentierte v.a. mit
Ratten, die er intensiven „Stressreizen“ aussetzte), definierte Stress als die Summe aller auf einen
Organismus einwirkenden Reize und entwickelte ein einfaches Reiz-Reaktionsmodell des
Stresssyndroms. Hiernach folgen auf jeden intensiven Reiz 4 Phasen der körperlichen Stressreaktion:
1.
2.
3.
4.
Schockphase
Alarmreaktion
Widerstandsphase
Erholungs- bzw. Erschöpfungsphase
In der 1. Phase, der Schockphase, erkennt der Körper die Stresssituation und bereitet sich darauf vor,
zu handeln: Nahezu alle Kreislauf- und Stoffwechselfunktionen werden schlagartig reduziert, um die
bevorstehende Mobilisierung aller Kräfte nicht durch störende Aktivitäten zu behindern. Das Gehirn
schlägt Alarm. Impulse des Hypothalamus (Steuerzentrum im Zwischenhirn, Schaltstelle zwischen
dem Nerven- und Hormonsystem) führen zunächst einmal zu einer Denkblockade („Ruhe vor dem
Sturm“). Nachdenken könnte in einer bedrohlichen Situation zuviel Zeit in Anspruch nehmen oder
sogar tödlich sein.
In der 2. Phase, der Alarmreaktion, werden vom Organismus alle Reserven aktiviert. Es werden alle
Kräfte bereitgestellt, um der Gefahr zu begegnen oder ihr mit größter Eile zu entfliehen.
Über afferente und efferente Nervenbahnen wird nun die Nebenniere dazu veranlasst, in erhöhtem
Maße Adrenalin und Noradrenalin an das Blut abzugeben.
In Sekundenbruchteilen bringen die Nebennieren-Hormone Atmung, Kreislauf, Muskulatur und
Stoffwechsel auf Hochtouren. So pumpt das Herz z. B. mehr Blut in die Muskeln und deckt deren
erhöhten Zucker- und Sauerstoffbedarf.
Die Hormone schalten gleichzeitig alle nicht lebensnotwendigen Funktionen
(z. B. Verdauungsprozesse und Sexualfunktionen) vorübergehend ab.
Zur Steigerung der Wahrnehmungsfähigkeit erweitern sich die Pupillen. Der Organismus ist nun
optimal gerüstet. Alle für die Abwehr der Gefahr wichtigen Organe sind bestens versorgt, sogar das
Blut gerinnt leichter, so dass bei einer ev. Verletzung die Wunden schneller schließen.
Alle Energie ist auf die bevorstehende Handlung ausgerichtet und drängt darauf, eingesetzt und
verbraucht zu werden.
In der 3. Phase, der Widerstandsphase, setzt sich der Mensch aktiv mit der Streßsituation
auseinander. In der Bewältigung der bedrohlichen Situation, sei es nun durch aktive Beseitigung der
gefährdenden Störgrößen oder durch schnelle Flucht aus der Gefahrenzone, werden die
bereitgestellten Energien verbraucht.
In dieser Handlungs- und Abwehrphase baut der Körper die Stresshormone ab, die durch die
Alarmreaktion ausgeschüttet wurden. Hält die Streßsituation jedoch an, bleibt der Körper im
Alarmzustand und kann schädliche Folgen nicht verhindern.
Wurden die Streßhormone abgebaut, folgt die Erholungsphase. Die Erregung klingt ab. Kreislaufund Stoffwechselfunktionen kehren in die Normallage zurück. Unter Umständen sinken sie
vorübergehend unter das Ausgangsniveau ab, um sich dann wieder auf den individuellen
Normalzustand zu stabilisieren.
5
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
Wird der Widerstand aber länger aufrechterhalten, tritt als 4. Phase die Erschöpfung ein, aus der eine
stressbedingte Gesundheitsstörung resultieren kann.
Man nennt die Stressreaktion in diesem Zusammenhang auch Kampf-/Fluchtreaktion.
Die Stressreaktion hat in seiner ursprünglichen Funktion einen positiven Sinn, denkt man an die
starken körperlichen Anforderungen, denen der Mensch der Urzeit („Steinzeitstress“) ausgesetzt war.
Der moderne Mensch hat in Stresssituationen jedoch nur in seltenen Fällen die Möglichkeit, die
körperlichen Reaktionen auch tatsächlich in der Situation abreagieren zu können.
Das kann in der Folge von Dauerbelastungen zu Distress und stressbedingten Krankheiten führen.
Selye nahm an, daß dieser Reaktionsverlauf eine allen Lebewesen eigene, universell gültige biologisch
funktionale Anpassungsreaktion an Gefahrensituationen sei, die fest im Erbgut verankert ist und bei
uns Menschen in gleicher Weise funktioniert wie bei allen anderen Lebewesen.
In der modernen medizinischen und psychologischen Streßforschung spielt seine Annahme aber nur
noch eine untergeordnete Rolle, da empirische Untersuchungen ergaben, daß sich die Streßreaktionen
einzelner Menschen stark unterscheiden und sogar je nach Situation auch bei derselben Person
erheblich variieren können.
6. Coping
Um aus einer stressrelevanten Überforderungssituation wieder herauszukommen oder den psychischen
Druck zu verringern, werden die unterschiedlichsten Bewältigungsstrategien angewendet.
„Coping“ ist ein von Lazarus geprägter Sammelbegriff für all die Reaktionen, die Menschen bei der
Konfrontation mit potentiell bedrohlichen oder belastenden Situationen zeigen.
Nach Lazarus hat „Coping“ hauptsächlich folgende Aufgaben:
1. Den Einfluß schädigender Umweltbedingungen reduzieren und die Aussicht auf Erholung
verbessern.
2. Negative Ereignisse oder Umstände ertragbar machen bzw. den Organismus an sie anpassen.
3. Ein positives Selbstbild aufrechterhalten.
4. Das emotionale Gleichgewicht sichern.
5. Befriedigende Beziehungen zu anderen Personen fortsetzen.
Welche Coping-Reaktionen jemand in einer bestimmten Situation wählt, hängt von einer Reihe von
Faktoren ab:
-
allgemeiner Gesundheitszustand
Grad der psychischen und/oder physischen Belastung
Bereich, von dem die Anforderungen ausgehen
Zeitfaktor
Frühere Erfolge bzw. Mißerfolge bei ähnlich strukturierten Anforderungssituationen
Grad der subjektiven Bedeutsamkeit
Coping ist ein prozeßhaftes Geschehen mit außerordentlich vielen Variationsmöglichkeiten. Praktisch
gibt es kaum eine Verhaltensweise, die im Umfeld von Streß nicht als Coping-Reaktion interpretiert
werden kann, so daß es nur schwer möglich ist, einen systematischen Überblick zu geben.
 Menschen reagieren auf Herausforderungen u. Belastungen entweder ereignisbezogen (z.B.
„Dafür muß es doch eine Lösungsmöglichkeit geben“) oder selbstzentriert (z.B. „Wäre ich nur
nicht ans Telefon gegangen...“).
6
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
 Um aus einer Streßsituation wieder heraus zu kommen, suchen die einen nach Möglichkeiten
sozialer Unterstützung, holen sich Rat u. Hilfe bei Kollegen, Freunden oder in der Familie,
während andere z.B. aus Angst vor Ansehens- u. Prestigeverlust versuchen, unter allen Umständen
allein damit fertig zu werden.
 Emotion-focused coping: Anstrengungen werden primär darauf gerichtet, die eigene emotionale
Befindlichkeit zu verbessern.
Zum emotionalen Coping gehört sowohl die Strategie des positiven Denkens („Ich habe noch vier
Tage Zeit, mich intensiv mit der Lösung dieses Problems zu beschäftigen. In der Zeit kann ich viel
erreichen!“ anstatt „Ich habe es in den letzten drei Tagen nicht geschafft, dann werde ich es in den
verbleibenden vier Tagen bestimmt auch nicht schaffen!“) wie auch der Versuch, Ängste,
Anspannungen, negative emotionale Zustände durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum zu
vermindern.
Vs. Problem-focused coping: Versuch, die Problemlage positiv zu verändern, eine Lösung des
Problems herbeizuführen, die Bedingungen von denen Herausforderung, Bedrohung oder
Schädigung ausgeht, zu verändern.
Problemorientiertes Coping würde sich in diesem Fall darauf richten, die Ursachen des
Termindrucks zu beseitigen, indem man beispielsweise weniger wichtige Termine streicht oder
einen Teil der Aufgaben delegiert.
 Coping-Reaktionen können sich zum einen rein innerpsychisch abspielen. Sie sind dann auf
Gefühle und Gedanken begrenzt. Etwa wenn der Versuch gemacht wird, den zunächst als hoch
eingeschätzten Bedeutungsgehalt einer Situation oder deren Folgen in einer Art Uminterpretation
herunterzuspielen, sich von der Anforderung kognitiv zu distanzieren, sich selbst aus der
Verantwortung zu entlassen.
Oder aber sie manifestieren sich in direkten Aktivitäten. Hier reicht die Spanne möglicher
Reaktionen von Flucht und Vermeidung bis zu einer selbstbewussten und selbstbestimmten
aktiven Auseinandersetzung mit der Herausforderung:
Man lotet zunächst einmal die Möglichkeit aus, das Problem mit den Mitteln, die einem selbst zur
Verfügung stehen, in den Griff zu bekommen. Erweisen sich diese als nicht ausreichend, wird man
versuchen, den eigenen Informationsstand zu erweitern oder aber nach Wegen suchen, die eigenen
Kompetenzen zu erweitern.
Bsp.: Stress durch Verkehrsstau auf der Autobahn während der Fahrt zu einem wichtigen
Kundentermin
Eine innerpsychische Reaktion wären beispielsweise die Gedanken: „Der Kunde wird für meine
Verspätung Verständnis haben“ oder „Wenn der Termin platzt, sind die Folgen nicht mein
Problem“.
Coping durch direkte Aktivität wären in diesem Fall sowohl das Dauerhupen als auch das
Abhören des Verkehrsfunks und die Suche nach einer alternativen Fahrroute bei der nächsten
Abfahrt.
Gefahr besteht nun darin, daß manche Coping-Reaktionen zwar in der Lage sind, momentane
Erleichterungen zu bringen, die Ursachen der psychischen Belastung langfristig aber meistens nicht zu
beseitigen sind, z. B. wenn einem nach einigen Gläsern Wein alle Probleme als lösbar erscheinen oder
wenn gute Freunde uns in unserer ablehnenden Haltung einer beruflichen Umorientierung gegenüber
bestärken.
Wer sich bei seinem Umgehen mit den Stressquellen seines Lebens bevorzugt auf solche Formen des
Coping verlässt, gleicht sehr bald einem Schiff, das in die falsche Richtung steuert und irgendwann
manövrierunfähig hilflos im Sturm treibt.
7
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
7. Stressbedingende Einstellungen/ Persönlichkeit und Streß
Inwieweit belastende Situationen zu Distress werden, kann wie schon früher erwähnt, auch davon
abhängig sein, mit welchen Einstellungen und Bewertungen man diesen Stressoren begegnet.
Dies ist offenbar eine Frage differentieller Persönlichkeitsmerkmale (z.B. Belastbarkeit, Parallelität
von extremer Leistungsmotivation und extremem Rivalitätsverhalten) sowie eine Frage
unterschiedlicher Situationsdeutung (z.B. Kausalattribution, Einschätzung der Situation als
vorübergehend, als beherrschbar, als herausfordernd etc.).
Interessant ist, daß das Individuum sich im Sinne des „reziproken Determinismus“ (Bandura) seine
eigenen Stressoren verschaffen bzw. setzen kann. Dies geschieht insb. im Falle intrinsischer
Motivation, nämlich dann, wenn das Individuum sich seine eigenen Leistungsziele setzt und sein
Anspruchsniveau ständig erhöht (Selbststreß).
So wird ein bestimmter Verhaltenstyp untersucht, den Wissenschaftler „Typ A“ nennen.
Mit diesem Begriff bezeichnete man ursprünglich Menschen, die zu Erkrankungen der
Koronararterien neigen.
Dieser „Typ A“ ist durch extremen Ehrgeiz, Konkurrenzdenken, starke Identifikation mit seiner
Arbeit, ständige Zeitknappheit, Ungeduld und unterschwellige Feindseligkeit gekennzeichnet.
Der ehrgeizige, auf Konkurrenz eingestellte Typ A ist beispielsweise in der US-amerikanischen
Gesellschaft häufig anzutreffen, und es gibt zunehmend Hinweise, dass dieser Verhaltenstyp in
Zusammenhang mit erhöhtem Auftreten verschiedener stressbedingter Gesundheitsstörungen steht
(z.B. ist das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden für den Typ A doppelt so hoch wie bei anderen
Menschen).
Das Ausmaß der tatsächlichen Belastung und Stressempfindung hängt häufig mit einer
Übersteigerung der eigenen Ansprüche an sich selbst zusammen.
Viele Stressgeplagte erwarten von sich, immer 100% Leistung und mehr bringen zu müssen. Ein
Muss-Denken begleitet sie in vielen Bereichen ihres Lebens.
Aber sind solche übersteigerten Bewertungsmuster wirklich hilfreich und leistungsfördernd?
Durch einen überhöhten Selbstanspruch kann ein innerlicher Druck entstehen, der letztendlich auch zu
einer Abnahme der eigenen Leistungsfähigkeit führt. In gleicher Weise wird durch ein Übermaß an
Streß die Leistungsbereitschaft und die Arbeitszufriedenheit beeinträchtigt.
Aus der Theorie des Aktivationsniveaus sowie aus der Theorie der Leistungsmotivation folgt, daß
Menschen Unter- und Überaktivierung im allgemeinen nicht schätzen. Individuen werden am ehesten
stimuliert und herausgefordert durch Aufgaben mittlerer Schwierigkeit (Aufgaben, die fordern, nicht
überfordern). Auch Atkinson (1964) vermutet, daß ein Zustand der Übermotivation (im Sinne von:
“etwas unbedingt wollen“) als Streßfaktor wirkt.
Das Yerkes-Dodson-Gesetz veranschaulicht dies:
8
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
8. Burn out
Der Begriff Burn-out (dt.: Ausbrennen, Durchbrennen von Sicherungen) ist im deutschen Sprachraum
Ende der 80er Jahre populär geworden. Als auf Menschen bezogenes Phänomen ist mit Burnout das
Abnutzen, Verausgaben bzw. der Verlust vorhandener Fähigkeiten und Fertigkeiten gemeint.
Im American Heritage Dictionary (Morris, 1982) wird Burnout als „Erschöpfung auf Grund von lang
andauerndem Stress, physischer oder emotionaler Erschöpfung“ von Mitarbeitern in helfenden
Berufen und Dienstleistungsberufen gekennzeichnet.
Als Symptome werden herabgesetzte Moral, hohe Jobwechselraten, zunehmender Alkohol- und
Medikamentenkonsum, vermehrte Konflikte innerhalb der Familie sowie dehumanisierende
Ansichten genannt (Corsini, 1987).
Neuerdings wird das Burnout-Konzept (Maslach, 1982) generell auf den arbeits- und
organisationspsychologischen Bereich, ebenso wie auf Erwerbslose oder (Ehe-)Partner als
Burnoutgefährdete, übertragen (Nerdinger/Pfann, 1993).
Maslach ermittelte drei relevante Dimensionen von Burnout: Emotionale Erschöpfung,
Depersonalisierung und Antriebsverlust.
Nicht also die helfende Interaktion, sondern die Beanspruchung durch den arbeitsbedingten Kontakt
zu anderen Menschen wird somit zum Kernstück des Burnout.
Symptome des Burnout
Schaufeli (1992) differenziert fünf Kategorien:

Psychische
Die psychischen Symptome beinhalten emotionale (z.B. Schuldgefühle), kognitive (z.B.
Rigidität im Denken) und motorische (z.B. Verspannungen) Beeinträchtigungen.

Physische
Bei den physischen Symptomen zeigen sich erhöhte psychosomatische Beschwerden (z.B.
Schlafstörungen), Erkrankungen (z.B. Kopfschmerzen) und physiologische Reaktionen (z.B.
erhöhte Herzschlagrate).

Verhaltensbezogene
Verhaltensauffälligkeiten äußern sich individuell z.B. in erhöhter Aggressivität, exzessivem
Alkoholkonsum oder im Beruf durch Fernbleiben von der Arbeit (Absentismus).

Soziale
Veränderungen im Umgang mit Klienten (z.B. Verlust von positiven Gefühlen den Klienten
gegenüber), mit Kollegen (z.B. Isolierung) oder auch im Privatleben (z.B. Einsamkeit)
kennzeichnen soziale Symptome.

Einstellungsbezogene
Bei ausgebrannten Personen ändert sich darüber hinaus die Einstellung zu ihrer Arbeit. Diese
zeigen sich im Umgang mit ihren Klienten (z.B. Stereotypisierung von Klienten, Zynismus)
oder in der Arbeit (z.B. negative Arbeitseinstellung).
Bei von Burnout betroffenen Personen ist ein erhöhtes Konfliktpotential zu erkennen
Unrealistische Zielsetzungen, zu hohe Erwartungen, mangelnde Bewältigungskompetenz etc. werden
als Ursachen für Burnout benannt. Aus der arbeitspsychologischen Forschung ist bekannt, dass
mangelhafte Arbeitsbedingungen wie z.B. Zeitdruck, mangelnder Handlungsspielraum,
Rollenkonflikte und mangelnde Rückmeldung zu Befindensbeeinträchtigung führen können.
9
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
9. Stressbedingte Gesundheitsstörungen
Die psychosomatische medizinische Forschung hat für eine Vielzahl physischer Symptome und
Erkrankungen einen mehr oder weniger direkten Zusammenhang mit psychischen Vorgängen
nachweisen können.
So wurde beispielsweise in ausgedehnten arbeitsmedizinischen Untersuchungen eine Beteiligung von
beruflichem Streß an der Entstehung oder Weiterentwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis
hin zum Infarkt, chronisch erhöhtem Blutdruck, Störungen des Immunsystems und bösartigen
Tumoren festgestellt.
Die Liste der mit Streß in Zusammenhang gebrachten Krankheiten und Beeinträchtigungen ist lang :
Konzentrationsstörungen, Nervosität, Depressivität, Angst, Schlafstörungen, Migräne,
Muskelverspannungen, Allergien, Gefäßerkrankungen, Magen-Darm-Erkrankungen, Asthma,
Suchtkrankheiten wie Alkohol- und Medikamentenmissbrauch.
In letzter Zeit wird diese Liste immer häufiger ergänzt durch das sogenannte Chronische
Erschöpfungssyndrom (Chronique Fatique Syndrom – CFS), bei dem vielfältige körperliche
Beschwerden mit massiven Konzentrationsstörungen, allgemeiner Leistungs- und Antriebsschwäche
und einer ständigen, starken Müdigkeit einhergehen.
Es gilt heute als erwiesen, dass nichtbewältigter Stress vor allem auf längere Sicht die Gesundheit
beeinträchtigt und das Auftreten von Krankheiten begünstigt. Die Frage, auf welchem Wege dies
geschieht, ist allerdings noch weitgehend unbeantwortet.
Die von Selye aus den Ergebnissen seiner Tierversuche abgeleitete These, dass zwischen
Reizhäufigkeit, Reizintensität und gesundheitlicher Beeinträchtigung ein direkter kausaler
Zusammenhang besteht, scheint zwar für physischen Stress (Lärm, extreme Temperaturschwankungen, Umweltgifte etc.) zuzutreffen, bei psychischem Stress sind die Ursache-WirkungsZusammenhänge aber wesentlich komplizierter.
Vermutlich aber ist jeder Mensch nur begrenzt dazu in der Lage, langanhaltende, starke psychische
Belastungen völlig ohne gesundheitliche Schädigung zu ertragen.
Wichtig in diesem Zusammenhang scheint auch die Tatsache, daß Stressoren und Streßreaktionen auf
längere Sicht bei vielen Menschen zu kritischen Veränderungen ihres Gesundheitsverhaltens
führen und damit auch indirekt das psychosomatische Erkrankungsrisiko erhöhen:




Schneller Griff zu „alltäglichen Beruhigungsmitteln“ wie Zigaretten, Alkohol, Schlafmittel;
Nicht genügend Zeit für Erholungspausen, unregelmäßige Einnahme der Mahlzeiten und
unausgewogene Zusammensetzung der Nahrung (fast food);
Zu wenig Schlaf;
Zu wenig Bewegung (Freizeitaktivitäten, Ausgleichssport).
Durch eine solche gesundheitsabträgliche Lebensweise verursachte Erkrankungen vermindern nicht
nur die eigenen Leistungsmöglichkeiten und setzen damit die persönliche Belastbarkeit und
Streßtoleranz herab, sie wirken auch ihrerseits wieder als belastendes Lebensereignis und
Streßsituation. Es entsteht ein Teufelskreis, bei dem Ursache und Wirkung bald nicht mehr
voneinander zu trennen sind.
Anzeichen negativer Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden bei psychischem Streß:
Man fühlt sich unsicher, nervös, gereizt, emotional angespannt, innerlich unausgeglichen, häufigen
und starken Stimmungsschwankungen zwischen Euphorie und Depression ausgesetzt, kann nicht mehr
klar denken, fühlt sich getrieben und gehetzt.
Man merkt, daß einem die Kontrolle über sich selbst zu entgleiten droht und fühlt sich gleichzeitig
hilflos. Man weiß, daß man anderen gegenüber aggressiver und ungeduldiger reagiert als früher und
damit zwischenmenschliche Beziehungen aufs Spiel setzt. Viele verlieren auch das Vertrauen in die
10
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
eigene Kraft und Leistungsfähigkeit, Welt- und Selbstsicht werden zunehmend pessimistischer. Die
Lebensfreude geht verloren. Das Selbstwertgefühl wird instabil. Ängste nehmen mehr und mehr zu
(vor beruflichem Mißerfolg, von anderen als Versager angesehen zu werden, vom Partner verlassen
zu werden etc.).
Das Endstadium sind dann Verzweiflung, Depression, Gefühle völliger Hilflosigkeit, manchmal sogar
Selbstmordgedanken.
Je länger solche Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens anhalten und je weniger
Hoffnungen die betroffene Person hat, daß die auslösenden Umstände sich in absehbarer Zeit ins
Positive verändern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie irgendwann auch organisch
erkranken wird.
In manchen Fällen scheint es fast so, als habe sich der Organismus auf diese Weise eine
Erholungspause erzwungen und gleichzeitig ein eindeutiges Warnsignal geben wollen.
Werden die Warnsignale ignoriert und kommt es nicht zum Umdenken mit der krankmachenden
Lebensweise Schluß zu machen, hat sich u. U. sogar schon eine Tendenz zur Selbstzerstörung
manifestiert, dann besteht durchaus die Gefahr, daß sich die betreffende Person im wahrsten Sinn des
Wortes „tot arbeitet“ und eines Tages durch Hirnschlag, Embolie oder Herzinfarkt vielleicht sogar am
Arbeitsplatz während einer Mitarbeiterbesprechung plötzlich und unerwartet stirbt.
In Japan hat dieser Tod durch Überarbeitung bereits einen Namen: „Karoshi“.
1990 gab es hier fast 600 Schadenersatzforderungen von Hinterbliebenen, 33 Fälle wurden vom
japanischen Arbeitsministerium anerkannt. Heute bestehen in ganz Japan Zentren zur Prävention und
Behandlung „Karoshi“-gefährdeter Arbeitnehmer.
10. Stressbewältigung und Stressbewältigungsstrategien
Bei der Entwicklung wirksamer Stressbewältigungsstrategien stehen 3 Überlegungen im
Vordergrund:
 Wie kann man die Anzahl der Stressoren verringern und den Alltag besser strukturieren
(Zeitmanagement)
 Mit welchen Einstellungen und Lebensregeln kann es einem gelingen auf die vermeintlich
unvermeidlichen Stressoren erst gar nicht bzw. mit geringerer Anspannung zu reagieren
(Einstellungsänderung und mentales Training)
 Wie kann man die aufgebauten Energien angemessen und gesundheitsfördernd abbauen
(Sport und Entspannung)
Therapien zielen darauf ab, stressgeplagten Menschen zu helfen, die Stressursache zu beheben oder
zumindest zu lernen, sie erfolgreicher zu bewältigen.
Dabei ist zuerst eine Analyse stressauslösender Situationen, Einstellungen und Lebensregeln zu
nennen. Danach kommt es zu einer Reflexion über die berufliche und private Lebenssituation und zur
Entwicklung wirksamer Stressbewältigungsstrategien.
Anschließend sollen kurz einige Möglichkeiten zur systematischen Streßbewältigung erläutert werden
(Linneweh, 1996):
(a) Verbesserung des persönlichen Arbeitsverhaltens
Nicht selten geraten wir bei der Erledigung von Aufgaben und Pflichten in eine Zeitnot, die wir selbst
verursacht haben. Die Verbesserung unseres persönlichen Arbeitsverhaltens ist eine der wesentlichen
11
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
Maßnahmen zur Streßprophylaxe – nicht nur im Berufsleben. Richtiges Arbeitsverhalten kann das
Ausmaß an Streß, mit dem wir konfrontiert werden, bereits im Entstehen erheblich reduzieren.
Wenn heute über Termindruck, Überlastung und Überarbeitung geklagt wird, dann liegt das häufig in
einer falschen Termin- und Arbeitsorganisation begründet.
Stressfreies Arbeitsverhalten heißt:
 Prioritäten setzen;
„Der Wert eines Mitarbeiters in einer Organisation richtet sich danach, wie gut er das Wichtige
erledigt, nicht, wie gut er das weniger Wichtige erledigt“ (Mackenzie, 1974).
 Delegieren;
Der Mangel an Bereitschaft zu delegieren ist meist kein organisatorisches, sondern ein
persönliches Problem. Menschen, denen Delegieren schwerfällt, haben die Tendenz, zusätzliche
Arbeiten an sich zu reißen, um ihre Bedeutung und ihre Unersetzbarkeit zu demonstrieren.
 Rationalisierung der Arbeit;
Die Erfahrung zeigt, daß häufig trotz guter Planung und trotz Delegierens nur 80 % des geplanten
Arbeitsumfanges erledigt werden können. Dies liegt häufig daran, daß zu eng geplant, zu wenige
Zeitpuffer, zuwenig Zeit für Unvorhergesehenes reserviert wurde.
 Selbstmotivation
Neben der richtigen Arbeitsmethodik spielt für die Streßprophylaxe die Freude an der Arbeit eine
große Rolle. Viele Untersuchungen zeigen, daß Personen, die Freude an der Arbeit haben, kaum
oder gar nicht unter Streßsymptomen zu leiden haben.
Wirksame soziale Unterstützung und befriedigende Sozialkontakte sind ein wirksamer Puffer
gegenüber den belastenden und schädigenden Einflüssen von Stress und Überforderung.
So haben verschiedene Untersuchungen gezeigt, daß wirkungsvolle soziale Unterstützungssysteme
am Arbeitsplatz nicht nur die Arbeitszufriedenheit, die Leistungsbereitschaft und die
Leistungsfähigkeit erhöhen, sondern auch zuverlässig vor Burn out schützen.
(b) Maßnahmen zur körperlichen Streßbewältigung
Eine gesundheitsbewusste Lebensführung ist eine wichtige Voraussetzung mit Streßsituationen besser
fertig zu werden. Denn wer körperlich fit ist, bietet dem Alltagsstreß weniger Angriffsmöglichkeiten.
Gesundheitsbewusste Lebensführung heißt:
 Affektstau durch körperliche Aktivitäten abzureagieren;
 Durch bewußte Lebensführung die Risikofaktoren wie Übergewicht, Alkohol, Nikotin, Drogen
weitgehend zu minimieren;
 Durch bewußte Ernährung körperlichen Schäden soweit wie möglich vorzubeugen;
 Erholung durch bewußte Entspannung einzuplanen.
(c) Suggestiv-meditative Methoden
Die Psychologie hat eine Vielzahl von Methoden entwickelt, die geeignet sind, Folgen einer erhöhten
Erregungsbereitschaft und Unfähigkeit zur Entspannung wie Ängste, Gereiztheit, Nervosität und
verschiedene andere Streßsymptome zu beheben, überhöhte Spannungszustände abzubauen und einen
neuen Gleichgewichtszustand zu erreichen und zu stabilisieren.
12
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie

Bettina Sest
SS 2000
Progressive Muskelentspannung – wirkt in erster Linie auf die motorische Ebene, wobei vor
der Entspannung die einzelnen Muskeln bewußt kräftig angespannt werden.
Die Methode der progressiven Muskelentspannung wurde von Edmund Jacobson in Amerika
entwickelt. Er ging von der Beobachtung aus, dass Muskelverspannung und Angst wechselseitig
zusammenhängen, dass mit allen Gefühlen von Unruhe, Angst und Erregung eine deutliche
Erhöhung des Muskelapparates einhergeht. Aufgrund dieser Beobachtung entwickelte er seine
progressive Muskelentspannungstechnik als Möglichkeit der Angstreduzierung.
Sie basiert auf dem einfachen Grundgedanken, dass muskuläre Entspannung und stressbedingte
Erregung oder Angst miteinander unvereinbar sind, dass Muskelentspannung eine Senkung des
Erregungsniveaus des gesamten Organismus zur Folge hat.
Jacobson fand nun eine sehr einfache und einleuchtende Methode, die Muskeln schnell und
effektiv zu entspannen: das systematische, bewusste und intensive vorherige Anspannen der
Muskeln. Er machte sich dabei die Tatsache zunutze, dass jeder Muskel die Tendenz hat, zu
ermüden, wenn er vorher starker Belastung ausgesetzt wird.
Gleichzeitig hat das Anspannen aber noch einen anderen Zweck: Es dient der
Wahrnehmungsschulung für kleine Spannungsunterschiede im Bereich unserer Skelettmuskulatur.
Wir werden damit allmählich sensibler bei unserer „inneren Wahrnehmung“, entwickeln nach und
nach einen „Muskelsinn“. Dadurch wird es uns möglich, Anspannungen und beginnende
Verspannungen rechtzeitig wahrzunehmen und dann entsprechend gezielt mit Entspannung darauf
zu reagieren.
Der Muskelapparat ist der am besten geeignete Ansatzpunkt für einen Einstieg in eine
Entspannung des gesamten Organismus, da die motorische Ebene unserem willkürlichen Einfluss
durch bewusstes An- und Entspannen bestimmter Muskelgruppen (z. B. Hand zur Faust ballen und
wieder loslassen) direkt zugänglich ist. Die Aufmerksamkeit lässt sich beim Ballen der Faust auf
spürbar vorhandene Empfindungen lenken, die uns mehr oder weniger vertraut sind, da wir im
Umgang mit unserer Skelettmuskulatur bereits ein hohes Maß an Erfahrung haben.
Außerdem birgt die Technik der progressiven Muskelentspannung keinerlei gesundheitliche
Risiken. Sie kann daher auch ohne Bedenken auch im Selbstunterricht erlernt werden.

Autogenes Training – beeinflußt vor allem das vegetative System und arbeitet mit einer
Technik, die der Hypnose sehr verwandt ist.
Die Methode des autogenen Trainings („Methode der konzentrativen Selbstentspannung“) wurde
von dem Berliner Psychiater J. H. Schultz im Verlauf seiner Tätigkeit als Hypnosearzt entwickelt.
Schultz ging von der Annahme aus, dass konzentrierte und beständige Arbeit an sich selbst den
einzelnen zu einer Vertiefung seiner Erlebnisfähigkeit, einer Bereicherung der geistigen Kräfte
und, über eine bewusstere Lebensführung, zu einer positiven Lebenseinstellung führt.
Das autogene Training beruht auf der Technik der Hypnose und macht sich die menschliche
Empfänglichkeit für Suggestionen zunutze.
In der Hypnose ist das Erregungsniveau des gesamten Organismus weitgehend gesenkt, die
Aufmerksamkeit auf und die Wahrnehmung für äußere Reize ist ausgeschaltet und allein auf das
innere Erleben und die Anleitungen des Hypnotiseurs gerichtet. In diesem Zustand ist der
Hypnotisierte in hohem Maße empfänglich für die Einwirkungen des Therapeuten (Suggestionen).
Unter der Bereitschaft des einzelnen, sich beeinflussen zu lassen, kann mit der Hypnose der
Zustand vollkommener Entspannung erreicht werden
Ziel des autogenen Trainings ist nun, diesen Hypnosezustand selbst herbeizuführen – durch
„Autosuggestion“ (Konditionierung von Reizen durch formelhaft gesprochenen Satz, z.B. „Ich bin
ganz ruhig und entspannt“).
Die vegetative Ebene ist als erster Ansatzpunkt für eine Entspannung des Gesamtorganismus
weniger gut geeignet, da wir sie nur über „Vorstellungs- und Denkinhalte der Suggestion“ (Huber,
1977) beeinflussen können.
Huber betont, dass Vorbedingungen zur Wirksamkeit suggestiver Verfahren eine gewisse
Entspannungsfähigkeit und eine Fähigkeit des Wahrnehmens von Körperempfindungen sind, die
13
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
uns heute zum großen Teil fehlen. Er empfiehlt daher das Erlernen des autogenen Trainings im
Selbstunterricht nur unter der Vorbedingung des Beherrschens der progressiven
Muskelentspannung.

Meditationstechniken – zielen besonders auf die Entspannung des kognitiv/affektiven Bereich
ab, und bedienen sich in hohem Maße der geistigen Konzentration (z.B. Zen-Meditation, Yoga).
Ziel der Meditation ist die Selbstfindung, das Finden der eigenen Mitte. „Meditieren“ leitet sich
von dem lateinischen Begriff „meditari“ ab und meint sowohl nachdenken, überdenken, sinnen als
auch sich vorbereiten, sich einüben.
Unter den verschiedenen Meditationsrichtungen lassen sich Techniken der Betrachtung und
Techniken der „Tiefenmeditation“ unterscheiden. Die Betrachtungen sind an „Meditationsobjekte“
gebunden, über die meditiert werden soll – Gegenstände unserer Umwelt wie z. B. eine Blume,
eine brennende Kerze, Lautmalereien (Mantra-Technik), geometrische Figuren (Mandala) etc..
Die Tiefenmeditation verzichtet auf alle materiellen Vorlagen, ihr Inhalt sind Vorstellungen,
Gedanken, Fragen des Seins, Sinnfragen. Sie ist die höchste Form der Meditation überhaupt.
Mit Hilfe der Meditation kann allmählich die Fähigkeit erreicht werden, einer Vielzahl von
Situationen gewachsen zu sein, und ein Gefühl erweiterten Könnens, eine Ausweitung der in uns
liegenden Kräfte und eine Zunahme unserer Fähigkeit, auch im Alltag genauer zu sehen und
wirkungsvoller zu handeln.
Die kognitive Ebene erscheint als erster und direkter Zugang zur Entspannung des
Gesamtorganismus am wenigsten geeignet, da eine Ruhigstellung des kognitiven Bereichs eine
weitgehende Ruhigstellung der anderen beiden Bereiche voraussetzt, da anderenfalls ja von
dorther ständig Reize in die kognitive Ebene gesendet werden.
Aus diesem Grund schreiben auch nahezu alle Meditationstechniken des Ostens umfangreiche
körperliche Entspannungsübungen als Vorbereitung auf die höheren Stufen der Meditation vor.
Vorzüge der suggestiv-meditativen Methoden:
-
-
-
Wenn man sie einmal beherrscht, sind sie jederzeit einsetzbar, z. B. vor einer wichtigen
Sitzung, während einer schwierigen Auseinandersetzung, im Flugzeug etc. Sie können den
Griff zur Beruhigungstablette ersetzen.
Da alle drei Methoden zu einer erhöhten Wahrnehmungssensibilisierung in bezug auf
unsere Körpervorgänge führen, versetzen sie uns in die Lage, schon auf erste Anzeichen
von Stressreaktionen zu reagieren.
In allen drei Methoden wird dem Übenden nahegelegt, sich für die Zeit der Übung von
äußeren Reizen zurückzuziehen mit dem Ziel, die Aktivitäten seines Alltagslebens soweit
wie möglich abzuschalten, um sich ausschließlich mit sich und seinem Körper zu
beschäftigen und statt vieler Dinge nur eine Sache auf einmal zu tun, sich dieser aber ganz
hinzugeben.
14
Seminararbeit Wirtschaftspsychologie
Bettina Sest
SS 2000
Literaturverzeichnis
BERRYMAN, Julia u. a., (1991), „Psychologie – Eine Einführung“, Bern: Hans Huber
BRENGELMANN, Johannes C., (1993), „Erfolg und Streß“, Weinheim; Basel: Beltz,
Psychologie-Verl.-Union
COOPER, Cary/ STRAW, Alison, (1998), „Successful Stress Management in a week“,
Institute of Management, London: Hodder & Stoughton
GUSY, Burkhard, (1995), „Stressoren in der Arbeit, soziale Unterstützung und Burnout : eine
Kausalanalyse“, München; Wien: Profil Verl.
LINNEWEH, Klaus, (1996), „Streßmanagement“, Stuttgart: Dt. Sparkassenverlag
PELZMANN, Linde, (1988), „Wirtschaftspsychologie: Arbeitslosenforschung,
Schattenwirtschaft, Steuerpsychologie“, Wien; New York: Springer
WISWEDE, Günter, (1995), „Einführung in die Wirtschaftspsychologie“, Basel: E.Reinhardt,
UTB für Wissenschaft: Grosse Reihe
15
Herunterladen