Borg, S. (2009). Teacher Cognition and Language

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Koordinaten einer allgemeinen Fachdidaktik – ein interdisziplinärer Prozess in drei Schritten
Manfred Bardy-Durchhalter, Christiane Dalton-Puffer, Ingrid Krumphals, Petra Marksteiner
& Robert Schelander, Barbara Schönfeldinger, Christian Vielhaber1
1. Einleitung und Darstellung des Prozesses
Ein Ziel der Theoriearbeit innerhalb der Forschungsplattform Theory and Practice of Subject
Didactics ist es, die in der Praxis vorhandene und handelnd gelebte, konzeptuell aber schwer greifbare
Identität der Fachdidaktiken zu konturieren und so zu ihrer Weiterentwicklung und Etablierung als
wissenschaftliches Feld beizutragen.
Diese Zielsetzung ist keineswegs fundamental neu, vielmehr besteht in den deutschsprachigen
Bildungswissenschaften eine längere Tradition der Auseinandersetzung mit Fragen der Abgrenzung
zwischen Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktiken (z.B. Plöger 1999, Timmerhaus 2001) einerseits
und der Frage nach dem Wesen der Fachdidaktik an sich andererseits. So wird im Rahmen der
Gesellschaft für Fachdidaktik auch die Fragestellung nach einer Allgemeinen Fachdidaktik verfolgt.
Dieser Diskurs bildet die Folie für das gegenwärtige Papier, allerdings unterscheidet sich die hier
vorgestellte Arbeit in ihrer epistemologischen Ausrichtung: hier wird kein Modell ‚gesetzt‘ oder
übernommen, vielmehr werden in einem induktiven Verfahren erste Koordinaten oder
Modellbestandteile identifiziert, wobei diese Identifizierung als ein zyklischer, dialogischer
Aushandlungsprozess abläuft und keineswegs abgeschlossen ist. Unserer Einschätzung nach ist aber
die erfolgte Konkretisierung bereits jetzt als positives Ergebnis sichtbar.
Dieser Text formuliert also die Überlegungen des Autorenteams zu der Frage, aus welchen Bausteinen
oder Bestandteilen ein gemeinsamer Kern aller Fachdidaktiken bestehen könnte. Um die Metaphorik
etwas zu erweitern könnte man auch sagen, dass die folgenden Ausführungen versuchen wollen,
mehrere Kristallisationskerne zu beschreiben, die, in einen Zusammenhang gebracht, unseres
Erachtens ein brauchbares Grundgerüst für die Entwicklung einer Theorie der Fachdidaktik bilden
können. Dieser Text ist zugleich als eine Übung im transdisziplinären Diskurs bzw. als eine Übung in
der Transformation des Interdisziplinären zum Transdisziplinären zu sehen. Er folgt keinem gängigen
Genremuster akademischer Buchbeiträge, sondern bildet in seiner Struktur die Genese eines
interdisziplinären Multilogs ab:
1. Phase: Reaktion und Diskussion
2. Phase: Exploration und Kollaboratives Schreiben
3. Phase: Reflexion und Kommentar
1
Wir danken Konrad Kleiner für seine kritischen und konstruktiven Anmerkungen.
1
Auf der Ebene des physischen Textes (siehe Abschnitt 2) beschreiben wir zunächst kurz den Arbeitsund Diskussionsprozess der Gruppe. Die stark mündlich geprägte 1. Phase kann hier nur berichtend
wiedergeben werden. Den quantitativen Hauptanteil auf der physischen Textebene macht deshalb das
Produkt der Kollaborativen Schreibphase aus (2. Phase). Dieses wird dann in einer 3. Phase von Teilen
des AutorInnenteams kommentiert. Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit wurden diese Kommentare
und Reflexionen direkt zu den jeweils angesprochenen Themen gestellt. Sie wurden jedoch
typographisch durch eingefärbte Textfelder gekennzeichnet, um ihre chronologische Nachgeordnetheit
sichtbar zu machen.
Beschreibung des Arbeitsprozesses
1. Phase: Diskussion von fachdidaktischen Beiträgen
Im Frühsommer 2010 bildete die Forschungsplattform Theory and Practice of Subject Didactics vier
Lesecluster, die sich vornahmen, fachdidaktische Publikationen von Plattformmitgliedern die nicht
Teil des jeweiligen Leseclusters waren zu rezipieren und zu kommentieren. Der vorliegende Text
basiert auf der Arbeit des Leseclusters I (=Autorenteam), welches sich aus VertreterInnen der
Unterrichtsfächer Bewegung und Sport, Biologie, Chemie, Geografie, Evangelische Religion,
Englisch und Physik zusammensetzte. Die wissenschaftlichen Publikationen, die der Arbeit als Folie
und Anstoß dienten, kamen aus den Fächern Geschichte (Ecker 2002), Slowenisch (Jenko 2001) und
Mathematik (Götz 2009). Die Thematiken dieser Publikationen reichten vom Profil der
Lehramtsausbildung im Fach Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung über die prekäre
Situation von Unterrichtsmaterialen für ‚kleine‘ Sprachen bis zu fundamental ideas bezüglich der
Stochastik.
Für den individuellen Leseprozess lautete die Aufgabenstellung, einerseits Gemeinsamkeiten und
Differenzen zwischen den gelesenen Texten aufzuspüren, sowie andererseits aus der Sicht der je
‚eigenen‘ Fachdidaktik auf Einzeltexte sowie Querverbindungen Bezug zu nehmen. In diesem Prozess
traten somit einerseits das Fremde und zunächst Unverständliche, aber auch das vordergründig
Bekannte und möglicherweise Gemeinsame in den Fokus. In einer zweiphasigen Gruppendiskussion
wurden die individuellen Lesebefunde ausgetauscht und heftig diskutiert. Diese Gruppendiskussion
resultierte in einem Poster, das eine konzeptuelle Landkarte der Lektüre- und Diskussionsarbeit der
Gruppe darstellte.
2
Bild 1
Abbildung 1: Produkt der Gruppendiskussion von Lesecluster I
Dieses Poster wurde von Christiane Dalton-Puffer im Anschluss verschriftlicht und in den
Gruppenprozess zurückgegeben.
2. Phase – kollaboratives Schreiben
In der nächsten Gruppendiskussion standen dann nicht mehr die Ausgangstexte von Ecker, Götz und
Jenko im Mittelpunkt, sondern die Erstversion der Verschriftlichung der gruppeneigenen
Diskussionsinhalte. Naturgemäß ergab sich, je nach aktueller Interessenslage der einzelnen in der
Gruppe vertretenen Fachdidaktiken und deren aktuellem Diskussionstand der Bedarf nach
Präzisierung und Elaborierung an verschiedenen Stellen. Diese Phase wurde, insbesondere von den
ForschungsassistentInnen, in Form eines gemeinsamen, zeitlich begrenzten, virtuellen Schreibraums
(google-docs) durchgeführt. Vielfache Nachfragen und daraufhin gesetzte Klärungen verdeutlichten
den Bedarf nach interdisziplinärer Aushandlung von scheinbar gängigen Begriffen, sodass der Text bis
zum Jahresbeginn 2011 noch mehrere Stadien der Ergänzung und Edition durch die zu diesem
Zeitpunkt schreibaktiven Gruppenmitglieder durchlief. Es ist dieser kollaborative Text, in dem die
NachwuchsforscherInnen eine wichtige Stimme hatten, der in der Folge als Haupttext abgedruckt ist.
3
3. Phase – Kommentare
Die Dynamik des Arbeitsmarktes für junge LehrerInnen brachte es mit sich, dass mehrere
Nachwuchsmitglieder der Forschungsplattform in die Schulpraxis wechselten und den weitergehenden
Diskussionsprozess bezüglich des gegenständlichen Papers nicht mehr mitvollziehen konnten. Wir
haben deshalb für den vorliegenden Text ein Layout gewählt, das diese chronologische Schichtung für
den Leser/die Leserin sichtbar machen soll. In den grau unterlegten Kästen finden sich daher
Kommentare der Senior Researchers im Autorenteam aus dem Blickwinkel der von den beiden
Personen vertretenen Fachdidaktiken: Schelander (evangelische Religion) und Dalton-Puffer
(Englisch).
2. Fünf Ankerpunkte der Fachdidaktik: ein Vorschlag
Inspiriert von den Anlassfällen der von uns gelesenen Artikel, stellen wir in der Folge fünf
Ideenbündel vor, von denen wir festgestellt haben, dass sie sich in allen uns vertrauten Fachdidaktiken
finden bzw. dort eine Rolle spielen. Wir meinen, dass sie eine brauchbare Entwicklungsgrundlage
bieten.
2.1. Fachinhalte und fundamental ideas vs. Alltagswissen und basic beliefs
Trotz ihrer mitunter sehr unterschiedlich gelagerten Lehr-/Lernziele sehen sich die Fachdidaktiken
aller Schulfächer vor die Aufgabe gestellt, Prinzipien und Strategien zu formulieren wie Alltagswissen
und Alltagserfahrung und die daraus abgeleiteten Vorstellungen in systematisches Wissen, eben
Bildungswissen, überführt werden können. In diesem Sinne ist die aktuelle internationale
Auseinandersetzung mit basic beliefs und ihrer Rolle im Lernprozess einerseits und fundamental ideas
(Inhalte und Prämissen der dem Schulfach zugeordneten Wissenschaftsdisziplin) andererseits für alle
Fachdidaktiken von zentralem Interesse. Auch wenn konkrete basic beliefs/Alltagsvorstellungen und
fundamental ideas fachspezifisch variieren, so besteht doch ein wichtiges gemeinsames Anliegen
darin, beide Konzepte theoretisch und methodisch zu fassen.
Was nun die Beschaffenheit der Prozesse betrifft, durch die diese Wissensvermittlung stattfindet, so
werden in der FPL derzeit insbesondere drei Ansätze mit erhöhtem Interesse verfolgt: Pedagogical
Content Knowledge (PCK) (vgl. Abell 2008; Kind 2009; Park & Oliver 2008), Systemtheorie (vgl.
Luhmann 1984, 2002) und der (Sozial-)Konstruktivismus (vgl. Bruner 1990; Vygotsky 1934). Eine
genaue Durchleuchtung dieser Ansätze im Hinblick auf ihre Haltung zum Verhältnis zwischen den
verschiedenen Wissenstypen und deren Ausgestaltung wird noch zu führen sein.
Wichtig zu unterscheiden sind hierbei die Lehrenden und die Lernenden. Für Lehrpersonen spielt,
zumindest in der aktuellen Naturwissenschaftsdidaktik, PCK eine große Rolle. Im Bereich des
Professionswissens von Lehrkräften wird unterschieden zwischen den Gebieten Fachwissen,
fachdidaktisches Wissen und pädagogisches Wissen, wobei über eine wechselseitige Beeinflussung
der drei Domänen grundsätzliche Einigkeit besteht (z.B. Gess-Newsome & Lederman 1999; Kind
4
2009). Die Lernenden betreffend spielen Alltagsvorstellungen, auch Schülervorstellungen genannt,
eine wichtige Rolle. SchülerInnen kommen mit Vorstellungen zu bestimmten Phänomen, Begriffen
und Prinzipien, welche sie sich aus ihren Alltagserfahrungen konstruiert und die sich in ihrem Alltag
bewährt haben, in den Unterricht. Diese Vorstellungen stammen beispielsweise nach Duit (1992) aus
alltäglichen Handlungen und Erfahrungen, der Alltagssprache, Medien, Büchern, Gesprächen im
persönlichen Umfeld und auch aus dem Unterricht.
Viele dieser Vorstellungen stimmen jedoch nicht mit der fachlichen Sichtweise überein, manchmal
stehen sie dieser auch konträr gegenüber. Beispielsweise besagt die Alltagserfahrung, dass eine
Gänsedaune langsamer zu Boden fällt als eine Eisenkugel. Seit Galileo offenbart uns hingegen die
fachliche Sicht, dass dieses Phänomen nur für eine Beobachtung in unserer Atmosphäre gilt – im
Vakuum fallen diese Objekte gleich schnell. Das Lernen bestimmen aber nicht nur Bereiche
inhaltlicher Phänomene, Begriffe und Prinzipien, sondern auch über die fachspezifischen Inhalte
hinausgehende Vorstellungen – dazu gehören in den Naturwissenschaften Vorstellungen über das
Wesen des naturwissenschaftlichen Wissens (Nature of Science) aber auch Vorstellungen über das
eigene Lernen (vgl. Gebhard 2007).
Oft sind diese Schülervorstellungen Ursache von Lernschwierigkeiten. Da Lernen in einem
konstruktivistischen Sinn bedeutet, an bereits Vorhandenem aufzubauen, sind Lehrkräfte aufgerufen
diese Alltagsvorstellungen im Unterricht zu beachten, um das Lernen von fachlichen Inhalten zu
erleichtern (vgl. z.B. Duit 2004).
Das in konstruktivistischer Tradition stehende Konzept der didaktischen Rekonstruktion (vgl.
Kattmann 2007; Kattmann, Duit, Gropengießer & Komorek 1997) versucht fachwissenschaftliche
Sichtweisen und Schülervorstellungen miteinander in Beziehung zu setzen, um Lernumgebungen und
Lernangebote zu gestalten, und Lernschwierigkeiten dadurch zu vermeiden. Verdeutlicht wird dies in
Kattmanns (2007) Fachdidaktischem Triplett:
Didaktische Strukturierung
Fachliche
Klärung
Erfassung von
Lernerperspektiven
Fachdidaktisches Triplett, (Kattmann et al., 1997)
5
●
Die Fachliche Klärung besteht in einer systematischen und kritischen, inhaltsanalytischen
Aufarbeitung der Fachinhalte unter fachdidaktischer Perspektive.
●
Die Erfassung von Lernerperspektiven inkludiert das Erheben der Vorstellungen zu einem
Thema, z.B. zu bestimmten Fachbegriffen.
●
Die Didaktische Strukturierung verknüpft die Ergebnisse der fachlichen Klärung mit den
Lernerperspektiven. Dabei sollen erwartbare Lernhindernisse und lernförderliche Elemente
deutlich gemacht werden.
Die Bedeutung des Begriffs der Vorstellungen im Rahmen der didaktischen Rekonstruktion baut auf
konstruktivistischen Konzepten auf, wie sie beispielsweise von Gropengießer (2001) oder Baalmann et
al. (2004) beschrieben werden. Vorstellungen sind dementsprechend subjektive gedankliche Prozesse,
die durch lebensweltliche Erfahrungen geprägt sind. Sie können nicht transferiert, aber abhängig von
bereits bestehenden kognitiven Strukturen gebildet oder verändert werden. SchülerInnen verfügen im
Sinne einer konstruktivistischen Sichtweise schon über Vorstellungen zu einem Thema, bevor sie mit
Inhalten dazu im Unterricht konfrontiert werden (vgl. Kattmann et al. 1997). Außerdem weisen
Vorstellungen (vgl. Kattmann 2007) neben kognitiven auch emotionale und biografische Anteile auf.
Eine Begriffsklärung bezüglich in der Literatur auftauchender Begriffe wie z.B. Fachinhalte,
fundamental ideas, Alltagswissen und basic beliefs halten die AutorInnen für wichtig, kann in diesem
Beitrag aber nicht vollständig geleistet werden. In einem ersten Schritt werden in untenstehender
Tabelle anhand ausgewählter Unterrichtsfächer die dort verhandelten verwandten Begriffe kurz
vorgestellt und mit Beispielen illustriert. Eine solche Gegenüberstellung der vorhandenen Vielfalt
stellt den ersten Schritt zu einer Begriffsklärung dar.
Fach
Fachperspektive
Lernerperspektive
Physik
Fachinhalte: Physikalische Inhalte,
Alltagswissen:
allg.: Inhalte aus dem Bezugsfach
Schülervorstellungen, auch
Fundamental Ideas: Grundideen
Alltagsvorstellungen, allg.: Vorstellungen
(Grundkonzepte) der
aus Lernendensicht in Bezug auf den
Fachwissenschaft; z.B.: Energie,
Lerninhalt
Wechselwirkung,...
Englisch
expert theories:
learner beliefs:
Sprache ist soziales Handeln im
Sprache besteht aus Vokabeln und
kulturellen Umfeld/Kontext;
Grammatikregeln
Sprache ist variabel und dynamisch
6
Bewegung
Fachinhalte:
individuelles Sportverständnis: Welches
und Sport
auf Schulebene:
Bild haben SchülerInnen vom Sport?: Kraft,
Bewegungshandlungen
Durchsetzung, hart, unsensibel sein,… -->
(spielerische BWH,
Differenz zwischen medialer Darstellung
leichtathletische BWH,...);
des Sports und dem Schulfach „Bewegung
und Sport“
auf Hochschulebene: Trainingslehre Bewegungsvorstellung: bezieht sich nicht
(z.B. Superkompensation),
nur auf das kognitive Verstehen eines
Sportdidaktik (z.B. methodische
Bewegungsablaufes, sondern auch auf eine
Reihen), Biomechanik
körperlich-sinnliche Wahrnehmungsebene
(Bewegungsabläufe),...
Mathematik
Fundamental Ideas
Basic Beliefs
Wahrscheinlichkeit nährt sich aus
relative Häufigkeiten werden mit
drei Quellen:
Wahrscheinlichkeiten gleichgesetzt
- subjektive Erfahrung
(hinderlich)
- Symmetrie
Wahrscheinlichkeiten werden aus
- relative Häufigkeit
subjektiver Erfahrung abgeleitet (positiv)
Nach Verfassen des Haupttextes wurde von der Forschungsplattform die Beschäftigung mit dem
Konstrukt der Pedagogical Content Knowledge (Shulman 1986, 1987; Kind 2009) in den Blick
genommen. Ohne hier auf die verschiedenen Mutationen einzugehen, die Shulmans Grundkonzept
seit seiner ersten Veröffentlichung durchlaufen hat und durchläuft, lässt sich doch verallgemeinern,
dass auch in diesem Modell des Professionswissens von LehrerInnen das Wissen um
Schülervorstellungen eine wichtige Rolle einnimmt. Neben dem fachlichen Wissen stellen die
Aufmerksamkeit der Lehrperson auf jene Vorstellungen und Haltungen, die die SchülerInnen in den
Lernprozess einbringen einen Grundpfeiler fachdidaktischen Handelns dar, dessen Kerngebiet ja das
Wissen um geeignete Strategien der Vermittlung zwischen den beiden Wissensarten darstellt. Für das
Lernen fertigkeitsorientierter Fächer wie Fremdsprachen sind allerdings weniger
Schülervorstellungen zu propositionellen Inhalten per se relevant, als vielmehr Vorstellungen
darüber, wie Sprache funktioniert und gelernt werden kann. In der Fremdsprachenlernforschung wird
diese Thematik zumeist unter dem Titel Learner Beliefs about Language Learning abgehandelt, das
PCK Modell hat darin bisher nur eine Nebenrolle gespielt. Eine verwandte Fragestellung auf Seiten
der Lehrpersonen wird unter dem Titel Teacher Cognition verhandelt (z.B. Borg 2003). Allen
gemeinsam ist, dass Lernen als sozial kontextualisierter Prozess verstanden wird, in dem neben dem
7
Vorwissen auch die Haltungen, Einstellungen, Überzeugungen der AkteurInnen sehr
wirkungsmächtig sind. (Dalton-Puffer)
Die Spannung zwischen Fachinhalt und Alltagswissen ist für fachdidaktische Reflexion konstitutiv
und für unterrichtliches Handeln konstruktiv zu nutzen. In manchen Beiträgen aus den
Fachdidaktiken erscheint das Alltagswissen als störendes Vorurteil, welches es so schnell als möglich
zu überwinden gilt. Die basic beliefs spielen für die Planung der Lehrprozesse keine konstruktive
Rolle. Sie sind eher Hindernisse, die „umschifft“ werden sollen. Lehrende sollen von ihnen wissen
bzw. sie im Unterricht abfragen und aufspüren um „ungehindert“ die fachlich richtigen Vorstellungen
präsentieren zu können.
In bestimmten Fachdidaktiken gibt es jedoch Ansätze, welche das Vorwissen der SchülerInnen nicht
nur zum Ausgangspunkt von Lernprozessen machen, welcher dann möglichst schnell in Richtung
richtiges Fachwissen zu verlassen ist, sondern der Umgang der Schüler mit diesem Wissen wird
zentraler Ansatz von Lernprozessen. Die Lehrenden verzichten nicht auf Lehrinterventionen oder auf
die Präsentation von fachwissenschaftlichen Inhalten, diese stehen aber in einem prinzipiell offenen
Deutungsprozess (z.B. Philosophieren mit Kindern). Diese und ähnliche fachbezogenen didaktischen
Ansätze können Impulse für andere Fächer einbringen: Können auch hier basic beliefs eine
konstruktive Rolle beim Lernen des Faches spielen? Solche fachdidaktischen Fragestellungen stellen
auch Rückfragen an das Fach selbst.
Ebenso scheinen mir die Ansätze der Elementarisierung von Fachinhalten in didaktischen Kontexten
einen Weg zu zeigen, wie mit dieser Spannung in anderer Weise umgegangen werden kann. In einem
vordergründigen Sinne geht es um eine Vereinfachung und Anpassung des Fachinhaltes an das
„geistige Auffassungsvermögen“ der Lernenden. Versteht man Elementarisierung als Befragung der
Fachinhalte daraufhin was sie an elementaren Strukturen, Erfahrungen usw. bieten (Schnitzler 2007)
so wird die Spannung zwischen fachlichen Vorstellungen und jenen der Schüler nicht aufgehoben,
aber doch in ein produktives „Zueinander“ gestellt.
In all diesen Fällen spielt der fachliche Bezug eine wichtige Rolle. Das Verhältnis von basic beliefs
und fundamental ideas stellt sich in jedem Fach (und z.T. spezifischem Fachinhalt) anders dar. Es legt
sich die Vermutung nahe, dass sowohl in der fachdidaktischen (und fächerübergreifenden) Forschung
als auch in der universitären Ausbildung (Lehre) dieses Spannungsfeld von Fachinhalt und
Alltagswissen produktive Ergebnisse zu zeitigen vermag. (Schelander)
8
2.2 Lernorte und Lernbedingungen
Fachdidaktiken stehen vor der Herausforderung, die im ersten Punkt kurz angerissenen Transfer- und
Lernprozesse auf konkrete Lernsituationen rückzubinden. Diese Lernsituationen konstituieren sich aus
verschiedenen Zielgruppen (Alter, Gender, Kultur und sonstige Variablen) und aus unterschiedlichen
Lernorten. Hierbei ist wiederum an unterschiedliche Ausformungen bezüglich der institutionellen und
auch physischen Verfasstheit dieser Orte zu denken (Klassenzimmer, Hörsaal, Museum, Sportplatz,
Labor, Betrieb,...), sowie aus einer technischen (Medienausstattung und Verfügbarkeit) und einer
zeitlichen Dimension. Folglich ergibt sich daraus der konkrete situative Kontext als eine
entscheidende Determinante für didaktische Arrangements und die damit angepeilten Lernprozesse,
was bedeutet, dass fachspezifische Lehr-/Lerninhalte nur in expliziter und reflektierter Rückbindung
an spezifische Lehr-/Lernsituationen umgesetzt werden können. In der Fremdsprachendidaktik wird
dies schon länger von Widdowson (z.B. 1990) gefordert (vgl. Johnson 2009).
Lernen muss nicht immer in der Bildungsinstitution geschehen, in der fachdidaktischen Literatur wird
auch oft von außerschulischen Lernorten (ALO) wie Freilandexkursionen, Museen, Science Center,
Zoos, Aquarien oder Schülerlaboren gesprochen (vlg. Guderian 2006, 11). Allen ALO2 gemein ist,
dass hinausgehend über die Möglichkeiten der Schule ein Lernen, sowie wertvolle Erfahrungen
möglich sind (vgl. Mayer 2008). ALO gelten als Lernorte des informellen Lernens (vgl. z.B. Mayer
2008; Rennie 2007).
Beim informellen Lernen liegt der Fokus auf einer positiven Erfahrung im Umgang mit einem
bestimmten Inhalt oder einer bestimmten Handlung (Guderian 2006, 11).
Ob man der obigen Position bezüglich des informellen Lernens zustimmt oder nicht, es ist für die
Fachdidaktik von großer Bedeutung, möglichst konsequent zwischen universitären/schulischen und
außerschulischen Lernorten zu unterscheiden. Laborunterricht in der Schule sieht (wahrscheinlich)
ganz anders aus als an der Universität, in Museen, Science Centern oder im Freilandunterricht. Je
nachdem um welche Art von Praktikum es sich handelt werden dementsprechende Inhalte gewählt
sowie verschiedene Methoden, Materialien verwendet und angewandt. Die Differenzierung zwischen
schulischen und universitären, sowie außerschulischen und außeruniversitären Lernorten, ist in den
Beschreibungen dieses Abschnittes mitgedacht und soll stets im Hinterkopf behalten werden. Diese
Unterscheidung ist für die Fachdidaktik von grundlegender Bedeutung, da es u.a. eine Aufgabe der
Fachdidaktik ist sich auch dieser unterschiedlichen Bereiche anzunehmen.
Im Folgenden soll nun näher auf Lernorte und Lernsituationen außerhalb des Klassenzimmers oder
des Seminarraumes eingegangen werden. Ist eine Lehrperson mit den Lernenden nicht mehr in der
üblichen Lernumgebung, in unserem Fall sind dies die Klassenzimmer, so stellt sich dieser Lehrkraft
ein gewisse Herausforderung, denn ein Lernort außerhalb der Bildungsinstitution birgt, alleine durch
andere räumliche Gegebenheiten (Größe, Aufteilung, Ausstattung etc.), ein größeres Risiko, die
2
Beispiele von außerschulischen Lernorten aus dem Bereich der Biologie sind auf der Homepage des Kompetenzzentrums
für Didaktik der Biologie (AECC-BIO) der Universität Wien unter dem Stichwort „Grüne Schule“ zu finden.
9
Kontrolle über die Inhalte abgeben zu müssen, als der gewohnte, bekannte und vertraute Ort. Das
bedeutet wiederum, der gewählte Lernort und die Lernbedingungen haben Auswirkungen auf den
Organisationsrahmen und die Methoden, die im Unterricht zum Einsatz kommen können. Zum
Beispiel muss beim Sportunterricht am Rasenplatz im Freien, der um einiges weitläufiger ist als der
Turnsaal, bereits bei der Planung berücksichtigt werden, wann, wie, wo und wie oft die Gruppe
zusammengerufen werden muss. Das Sammeln der Gruppe wird länger dauern als im Turnsaal, dies ist
auch bei der Auswahl der Methoden (Gruppenarbeit, deduktive Vermittlungsmethoden,...) zu
berücksichtigen.
Gerade in der Biologie können jahreszeitliche Schwankungen, Vielfalt von Lebewesen und
Lebensräumen an ALO wesentlich umfangreicher demonstriert werden als in den Klassenräumen. Die
dadurch möglichen vielfältigen sozialen und emotionalen Erlebnisse können eine Wertschätzung der
Natur hervorrufen (vgl. Mayer 2008) und gelten somit als Einflussfaktor für umweltgerechtes
Verhalten (vgl. Pfligersdorffer 1984). Lerneffekte von ALO sind mehrfach in empirischen Studien
untersucht worden (eine Beispielsliste in Mayer 2008, 428). Es gibt Anzeichen dafür, dass
leistungsschwächere SchülerInnen von Exkursionen besonders profitieren können (vgl. Pfligersdorffer
1984), dass also ‚Lernschwäche‘ (und -stärke) eigentlich nicht unabhängig vom situativen Kontext
gedacht werden sollte.
Es gibt in der Fremdsprachenlehr/lernforschung, insbesondere der englischsprachigen, bereits eine
längere Tradition von Beschäftigung mit Lernsituationen, die zwar mit dem institutionellen Lernen in
Verbindung stehen, aber nicht unbedingt im Klassenzimmer während traditioneller
stundenplanmäßiger Unterrichtsstunden stattfinden. Nicht gemeint sind hier Ansätze, die sich mit dem
ungesteuerten Spracherwerb auseinandersetzen. In der Disziplin selbst werden die folgenden
Teilgebiete zum Teil seit Jahren intensiv beforscht:
1. Learner Autonomy
2. Study Abroad
3. Content and Language Integrated Learning, bilingualer Unterricht und Content-based instruction
4. Net-based multiliteracy und computer mediated communication
Ad 1) Der Begriff der Lernerautonomie (learner autonomy) bedeutet die Fähigkeit, das eigene Lernen
bewusst in die Hand zu nehmen und zu steuern. Das aktuelle Verständnis von Lernerautonomie zielt
dabei sowohl auf Prozess und Inhalt als auch auf das Ergebnis des Lernprozesses ab, sodass im
Endeffekt Lernerautonomie und Wachsen der Sprachkompetenz einander bedingen (Little 2007; Lamb
& Reinders 2008). Sozio-psychologische und kognitive Evidenz unterfüttern eine sozialkonstruktivistische Sicht auf das Lernen von Sprachen, in der SprachlernerInnen mit einer Umwelt
interagieren, die nicht nur aus der Lehrperson und den Peers besteht. Daraus werden drei Prinzipien
abgeleitet: Selbstverantwortlichkeit, Reflexion und aktive Sprachverwendung. Diese Prinzipien fließen
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ein in das Design so unterschiedlicher Dinge wie LernDVDs, Self-Access Centres, Tandemlernen
(z.B. Kaltenböck 2001)
Ad 2) Sprachaufenthalte werden unter dem Schlagwort „study abroad“ derzeit besonders intensiv
beforscht. (vgl. Kinginger 2011, Davidson 2010) Diese Forschung zeigt dass study abroad sehr
positive Ergebnisse vor allem im Bereich der sozialen Interaktion zeitigt, jedoch nicht bei allen
LernerInnen. Um eine optimale Nutzung der Lernsituation zu erreichen, müssen die Lernenden eine
strukturierte Einbindung in die Gastgebercommunity erfahren. Kinginger (2011) argumentiert daher
nachdrücklich dafür, dass bei der Konzeption von Sprachaufenthalten FachdidaktikerInnen mit der
Planung von Beobachtung, Teilnahme und Reflexion betraut werden, die die LernerInnen während des
Aufenthalts durchlaufen.
Ad 3) Im Bestreben, den traditionellen Fremdsprachenunterricht zu erweitern und zu ergänzen, wurde
in vielen europäischen Ländern (und auch anderswo) in den letzten 15 Jahren das Unterrichten von
sogenannten Sachfächern in einer Fremdsprache forciert. Aus Sicht der Fremdsprachendidaktik
verspricht man sich davon eine bedeutungsorientierte Lernumgebung, wo formale sprachliche
Korrektheit in den Hintergrund tritt, wovon die LernerInnen insbesondere auf die affektive Dimension
sowie Vokabular und Sprechflüssigkeit profitieren. Von Seiten der Sachfächer berichtet die Forschung
zwar auch von guten Lernergebnissen, die Skepsis, inwieweit sich dies von Pilotprojekten auf
durchschnittliche Lernkontexte übertragen lässt, ist aber verständlicher Weise größer (vg. DaltonPuffer 2011).
Ad 4) Im Bezug auf die Fremdsprache Englisch kann man nicht ignorieren, dass sie als internationale
Lingua Franca auch in anderen Sprachgemeinschaften eine erhebliche Präsenz besitzt, was das
Englische von anderen Sprachen deutlich unterscheidet. Die computerbasierte Kommunikation
eröffnet aber für sämtliche Zielsprachen neue Dimensionen, wie LernerInnen mit den Sprachen und
ihren SprecherInnen in Kontakt treten können. Sich dieser Tatsache bewusst zu sein und für den
Lernprozess der SchülerInnen zu nutzen ist eine Aufgabe der Lehrpersonen
Als zusätzliche Anregung nehme ich mit dem Begriff der ALOs aus der Biologie und Geografie auf,
dass auch schulnahe Inszenierungen, wie die Veranstaltung von Sprachintensivtagen in der Schule
selbst, aber auch Film- und Theaterbesuche in das Portfolio der relevanten ALOs einzubeziehen
wären. (Dalton-Puffer)
Ist Schule der richtige Ort für das Lernen? Oder spielt der Lernort (gegenüber anderen
Lernvoraussetzungen auf Seiten der Lernenden und der Lehrenden) nur eine untergeordnete Rolle?
Welches Lernen ermöglicht Schule, so wie sie organisiert und gestaltet ist (von den architektonischen
Möglichkeiten bis hin zur Schulkultur)? Manche Fächer benötigen eigene Lernräume: vom
Chemielabor bis zum Musiksaal. Benötigen manche Fächer keine speziellen Räume? Ist dies nur eine
11
Frage der „technischen Ausstattung“? Wie sieht dies aus der Sicht der Fächer aus? In den einzelnen
Fächern hat sich eine Fülle von Ansätzen entwickelt, welche die Lernmöglichkeiten auch außerhalb
der Schule berücksichtigen.
Lernorte an denen Schüler mit „Vorfindlichem“ statt „Inszeniertem“ arbeiten. Die Ausstattung des
Lernortes ist wichtig, aber auch die Lernmöglichkeiten die im Lernort selbst liegen. Viel wurde über
Orte mit „originaler Begegnungsmöglichkeit“ nachgedacht (Heinrich Roth, Friedrich Copei). Sehe
ich recht, so haben sich die jüngeren Ansätze unabhängig voneinander in den einzelnen
Fachdidaktiken entwickelt. Zum Teil wurden diese Ansätze außerhalb des schulischen Kontextes
entwickelt z.B. für Gruppen von Erwachsenen. Wenn der Fächerbezug im Bezug auf Lernorte und
ihre Lernmöglichkeiten konstitutiv mitgedacht wird, ergeben sich neue Anregungen und
Fragestellungen für die fachdidaktische Forschung. Auch die universitäre Lehre könnte
fachübergreifend bereichert werden: Warum nicht mit Studierenden der Geschichte eine
„kirchenraumpädagogische“ Führung machen? (Schelander)
2.3. (Fach)Sprache in der Fachdidaktik
Sprache stellt für die Fachdidaktiken in dreierlei Hinsicht ein Thema dar, und zwar als
1. Sprache des Faches (Fachsprache des jeweiligen Wissensbereichs bzw. Wissenschaftsdisziplin)
2. Unterrichtssprache (Unterrichtsdiskurs)
3. Sprache der Fachdidaktik als Wissenschaft
2.3.1. Sprache des Faches
Egal ob man schulische Unterrichtsgegenstände im Sinne einer wissenschaftlichen Propädeutik direkt
aus Wissenschaftsdisziplinen begründet oder sie eher als institutionsspezifische, curricularen
Traditionen verpflichtete ‚Gegenstände‘ sehen möchte; fest steht, dass Inhalte, Konzepte, Ideen und
Wissensstrukturen sich in entscheidendem Maße sprachlich konstituieren und zugänglich sind. Ein
bestimmtes Fach zu unterrichten heißt deshalb automatisch, dessen Sprache zu gebrauchen und den
Gebrauch an die Lernenden weiterzugeben. Zu denken ist dabei natürlich zum einen an
Fachausdrücke, aber auch an charakteristische Funktionen des Sprechens und Schreibens (wie z.B.
Hypothesen bilden, Bewerten, Beschreiben). Ein akutes Bewusstsein dafür entsteht in Lehrenden
häufig, wenn sie in einer Fremd- oder Zweitsprache unterrichten sollen oder wenn viele ihrer
SchülerInnen die Unterrichtssprache nicht ausreichend beherrschen. Allerdings wird im zweiten Fall
das Problem fast ausschließlich bei den Lernenden gesehen, während es im ersten Fall vorwiegend als
Charakteristikum der ‚Situation Fremdsprache als Unterrichtsprache‘ konstruiert wird. Eine enge
Querverbindung zum Punkt ‚basic beliefs – fundamental ideas‘ besteht in Punkto Sprache darin, dass
die Transformation von ersteren in zweitere in entscheidendem Maße daran hängt, in den Lernenden
eine Transformation des sprachlichen Ausdrucks anzustoßen.
12
2.3.2. Unterrichtsdiskurs
Eine weitere zentrale Dimension eines fachdidaktischen Interesses am Thema Sprache ist der
Unterrichtsdiskurs. Die Tätigkeit von Lehrenden spielt sich typischerweise in der Organisationsform
„Unterrichtseinheit“ ab, welche sehr stark von Mündlichkeit geprägt ist. Lernen im Unterricht wird
also über weite Strecken im direkten Gespräch zwischen Lehrenden und Lernenden verhandelt. Eine
sehr pointierte Aussage dazu stammt von den beiden Soziolinguisten Ehlich & Rehbein:
Die Kommunikation in der Schule erscheint als eine unablässige, äußerst dichte, selten
abbrechende Folge des Sprechens. Die sprachlichen Äußerungen kennzeichnen diese
Institution wie kaum etwas anderes (Ehlich & Rehbein 1986, 1).
Wenngleich es natürlich unzutreffend wäre, Lernen mit Sprechen/Schreiben gleichzusetzen, so bleibt
bis auf weiteres diese Handlungsebene (Sprachhandlungsebene) jener Ort an dem sich Lernen sehen,
ablesen und empirisch festmachen lässt.
Im Unterricht bekommt die Sprache eine besonders wichtige Bedeutung, wenn über nicht referentiell
verortbare Dinge gesprochen wird (Abstrakta) bzw. wenn die Fachsprache nicht der Alltagssprache
und den daraus resultierenden Schülervorstellungen entspricht. Diese Unterschiede spielen
beispielsweise im Fach Physik eine wesentliche Rolle, da oft große Differenzen bezüglich der
Bedeutung einzelner Begriffe im Alltag und in der Wissenschaft herrschen (z.B. Kraft, Arbeit,...).
Aber auch in anderen Fächern kann die divergente Verwendung von Begriffen in der Fachsprache und
im Alltag zu Verwirrung bei SchülerInnen führen, wie folgende Beispiele aus der Biologie zeigen.
●
Viele Tiere aus systematisch unterschiedlichsten Gruppen fressen Insekten. Innerhalb der
Säugetiere besteht aber auch eine Ordnung der Insektenfresser (Insectivora) – gekennzeichnet
durch ihr „Insektenfressergebiss“. Zu ihnen zählen in Europa Igel, Spitzmäuse und
Maulwürfe.
●
Blumen und Blüten sind fachlich genauso unterschiedliche Dinge wie Stiel und Stängel, Obst
und Gemüse haben überhaupt keine Äquivalente in der systematischen Gliederung der
Pflanzen. Wein-Trauben sind im Fachterminus Wein-Rispen, die Beere der Erdbeere eine
Sammelnussfrucht.
●
Nicht real sichtbare Bereiche der Biologie werden häufig mit bildlichen Vergleichen
umschrieben – Ribosome sind die Fabriken der Zelle, Zellen besitzen Zellwände,
Nukleinsäuren der DNA gleichen Buchstaben, Gene werden abgelesen, im Zellkern ist das
Buch des Lebens enthalten.
In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass die Verwendung von bildhafter Sprache im
Unterrichtsdiskurs nicht notwendig verdunkelnd (z.B. DNA als „Buch des Lebens“ im Zellkern)
sondern durchaus auch erhellend wirken können. Sie können im Unterricht zum Einsatz kommen um
an den Vorstellungen der SchülerInnen anzusetzen. Zum Beispiel können Metaphern als sprachliche
Methode im Unterrichtsfach Bewegung und Sport dazu dienen um Bewegungsabläufe schneller
13
erklären zu können. Im Gegensatz zu der Erklärung in welche Position die einzelnen Körperteile in
welcher Reihenfolge und in welcher Geschwindigkeit zu bringen sind, kann die Bewegungsanweisung
„Gehe so wie ein Storch geht“ oder „Laufe so wie ein Tiger läuft“ viel schneller und freudvoller
umgesetzt werden.
Trotz der zentralen Rolle des Unterrichtsgesprächs, die hier soeben skizziert wurde, möchten wir die
Erweiterung auf andere, dezentrale Lernformen nicht völlig unbeachtet lassen. In diesem Sinne sind
auch Unterrichtsmaterialien, Lehrbücher oder E-Learning – Angebote als eine erweiterte Form des
Unterrichtsdiskurses zu betrachten, und FachdidaktikerInnen sind gefordert, zielgruppengerechte
(sprachliche) Darstellungen des zu vermittelnden Wissens/Könnens und der dazugehörigen
Lernaufgaben zu gestalten.
Eine weitere mitzudenkende Ebene ist die nonverbale Kommunikation: vor allem im Unterricht
spielen neben der Sprache (verbale Ebene) auch andere Dimensionen der Kommunikation, wie etwa
die Körpersprache, eine entscheidende Rolle.
2.3.3. Sprache der Fachdidaktik als Wissenschaft
Wie sich aus unserer Erfahrung als Mitglieder der Forschungsplattform vor allem im ersten
Arbeitsjahr gut ablesen lässt, spielt sich der identitätsstiftende Gruppenprozess über gemeinsames Tun
ab. Da wir jedoch nicht gemeinsam Gemüsebeete bestellen, sondern uns im gedanklichen Raum
bewegen, sind wir dabei vor allem sprachhandelnd unterwegs. Die gemeinsame Tätigkeit der
verschiedenen Arbeits-, Klein- und Großgruppen spielt sich also sehr wesentlich im Bereich
sprachlichen Handelns ab (wobei wir uns mit dem Verfassen dieser gegenwärtigen Papiere nun
langsam neben der Mündlichkeit auch die Schriftlichkeit hinzu erobern).
Sowohl für die Eigen- als auch für die Fremdwahrnehmung der Fachdidaktik wird es von
entscheidender Bedeutung sein, dass sie als etwas wahrgenommen wird, das Identität besitzt. Solche
Identität stiftet sich aus gemeinsamen Zielen, Gegenständen, Handlungsweisen und eben auch
Redeweisen. Im Zuge der Arbeit der Forschungsplattform hat sich bereits gezeigt, dass solch eine
fachdidaktische Fachsprache, also die Wissenschaftssprache der Fachdidaktik, durchaus besteht. Auch
FachdidaktikerInnen benutzen, genauso wie andere Wissenschaftler, ihre Fachtermini (z.B.
didaktische Rekonstruktion, Elementarisierung, Schülervorstellungen etc.) und eine Fachsprache, die
jedoch durch Überlappungen mit ‚dem Fach‘ (Biologie, Physik) und der Bildungswissenschaft nicht
immer als solche wahrgenommen wird. FachdidaktikterInnen bewegen sich also beruflich und
sprachlich in verschiedenen Registern: dies sind die Wissenschaftssprache des Fachs, die Sprache der
dazugehörigen Fachdidaktik und jene Sprache, die während des Unterrichtsdiskurses verwendet wird.
Die Fachsprache (in der oben entfalteten Dreigliedrigkeit) ist ein starkes Argument für die
Notwendigkeit der je besonderen Fachdidaktiken. Sie ist zugleich, dies wurde in der Arbeit der
Forschungsplattform immer wieder deutlich, dasjenige was die Fachdidaktiken voneinander trennt
und daher einer gemeinsamen Fachdidaktik im Wege steht. Die gemeinsame Aufgabe für alle
14
Fachdidaktiken besteht darin didaktische (und pädagogische) und fachliche Sprachspiele in
Beziehung zu setzten. Dies muss fachlich unterschiedlich ausfallen. Daher kann es nicht Ziel sein
eine gemeinsame Sprache der Fachdidaktik zu etablieren.
Die einzelnen Unterrichtsfächer tragen jedoch auch zu den Zielen von Schule und Unterricht
insgesamt bei. Sprachfähigkeit und die Ermächtigung zur Kommunikation ist ein solches Ziel. Für
fachdidaktische Forschung und Lehre eröffnet sich hier ein weites Feld, gerade in der Überschreitung
fachbezogener Grenzen. (Schelander)
2.4. „Methoden“
Unter diesem gemeinsamen Etikett subsumieren sich zwei sehr unterschiedliche Dinge, die unserer
Erfahrung nach in konkreten Gesprächen mitunter Gefahr laufen, miteinander verwechselt oder gar
vermischt zu werden. Daher:
1.
zum einen geht es um Unterrichtsmethoden oder -techniken, die in Lerneinheiten
(Schulstunden, Seminaren) zum Einsatz kommen können und bei denen sich natürlich
Überschneidungen im Repertoire der Fächer ergeben, sodass daraus gemeinsame
Begrifflichkeiten, Entwicklungen und Repertoires erwachsen. Ein erweiterter
Begriffsklärungsbedarf eröffnet sich, wenn man den Bogen in Richtung Methodologien bzw.
Unterrichtsansätze aufspannt, bei denen der Anspruch besteht, konkrete Unterrichtsmethoden
(Paararbeit, Vortrag usw.) stringent aus Theorien über den Gegenstand sowie über das Lernen
abzuleiten.
2.
zum anderen geht es aber, und dies ist uns im Zusammenhang der Forschungsplattform noch
wichtiger, um Forschungsmethoden, die in der fachdidaktischen Forschung zum Einsatz
kommen. Die Fachdidaktik sieht sich in diesem Kontext vor allem als eine Sozial- und
Kulturwissenschaft und bedient sich der in diesem disziplinären Bündel zur Verfügung
stehenden vielfältigen Methoden.
Ein verwandter Problemkreis ergibt sich im Brückenschlag zwischen den Punkten ‚Methoden‘ und
‚angewandte Forschung‘: der Nützlichkeitsanspruch an angewandte Forschung beinhaltet nicht
selten eine normative Ebene im Sinne dessen, dass man sich Antworten auf Fragen wie „was ist zu
tun?“, „was ist richtig?“, „war das jetzt richtig?“ erwartet, um daraus, in unserem Fall
pädagogische, Handlungsanleitungen ablesen zu können. Daraus eröffnet sich der
fachdidaktischen Forschung ein weiteres Spannungsfeld, nämlich das zwischen normativen,
hermeneutischen und empirischen Ansätzen. Auch dies ist ein gemeinsamer Nenner der
Fachdidaktiken und gleichzeitig Ausdruck ihres/r Verortungsbedarfs, -problems – eine
Herausforderung in jedem Fall (siehe Text von Cluster III).
Der Text macht deutlich, dass Unterrichtsmethoden und fachliche Methoden zwei sehr
15
unterschiedliche Dinge sind. Aber stehen beide nicht auch (!) in einem engen Zusammenhang?
Wollen unterrichtsmethodische Übungen, wie sie im Ausbildungskontext stattfinden, nicht nur zu
einem Unterrichtshandeln anleiten, das vielfältig, abwechslungsreich, die verschiedenen Sinne
ansprechend etc. ist, sondern auch den Lerninhalt angemessen berücksichtigt, so rücken beide
„Methoden“ näher zueinander. Vielfach noch unberücksichtigt sind methodische Überlegungen und
Auseinandersetzungen in den Fachwissenschaften selbst, welche für unterrichtmethodisches Handeln
fruchtbar gemacht werden können. Sehe ich recht, so bedeutet die gegenwärtige Hinwendung zur
Kompetenzorientierung eine Aufforderung diese Verbindungen deutlicher zu profilieren.
(Schelander)
2.5. Fachdidaktik als „angewandte Wissenschaft“
Als Wissenschaft befindet sich die Fachdidaktik möglicherweise noch stärker als andere angewandte
Forschungsrichtungen in einem Spannungsfeld zwischen den möglichen wissenschaftlichen Zielen
„Erkenntnis“ und „Nutzen“. Mit dieser Spannung sind nicht nur ein erhöhter Reflexionsbedarf und
mögliche Konflikte bezüglich der Forschungsziele und -strategien verbunden, sondern auch ein
komplexer und in sich widersprüchlicher Anspruch bezüglich der Kommunikation mit der Umwelt
konkreter fachdidaktischer Forschungsprojekte. AdressatIn fachdidaktischer Forschungsergebnisse ist
nämlich nicht nur die Scientific Community sondern auch Schule, LehrerIn und Schulpolitik. Daraus
ergibt sich eine besondere Herausforderung für Fachdidaktik-ForscherInnen nicht zuletzt bezüglich
ihrer Publikationspraxis. Es ist nicht genug, die gewonnenen Erkenntnisse einfach mit der Scientific
Community in der Form von Publikationen und Tagungsvorträgen zu teilen, wie dies in den meisten
Disziplinen der Fall ist, sondern es ist darüber hinaus erforderlich – und liegt den meisten
FachdidaktikerInnen genauso am Herzen – Forschungsergebnisse auch an die Praxis zu
kommunizieren (bzw. Forschungsergebnisse direkt in die Praxis einfließen zu lassen). Dies geschieht
zum Teil über Publikationen in Fachzeitschriften für LehrerInnen (z.B. Sportunterricht, Mathematisch
Naturwissenschaftlicher Unterricht [MNU], Unterricht Biologie [UB], Der fremdsprachliche
Unterricht), zum Teil über die Schiene der Lehreraus- und Fortbildung, wo FachdidaktikerInnen
häufig als Lehrende gefragt sind. Dieser zweite der Fachdidaktik als Wissenschaft inhärente Aspekt
hatte aber in der Sachlogik universitärer Qualitätskriterien bisher so gut wie nie einen nennenswerten
Stellenwert. Wenn man allerdings die Praxis Britischer Universitäten betrachtet, in denen Kriterien
wie ‚outreach‘ oder ‚professional/applied impact‘ von Forschungsaktivitäten eine bedeutende Rolle
spielen, so kann man auf eine Weiterverbreitung dieser Einsicht hoffen.
In der Diskussion dieses Aspekts wurde auch angeregt, ein Inventar an Textsorten zu erheben, die
FachdiaktikerInnen für gewöhnlich produzieren. Dies könnte der Sichtbarmachung der oben
umrissenen erhöhten Kommunikationsanforderungen dienen, aber auch der internen Klärung
bezüglich der AdressatInnengruppe konkreter Schriften.
16
Aus dem Punkt ‚Fachdidaktik ist angewandte Wissenschaft‘ ergibt sich natürlich auch eine
Querverbindung zum Punkt Methoden: angewandte Forschung ist auch empirische Forschung,
weshalb die Empirie im Selbstverständnis der fachdidaktischen Wissenschaft eine wichtige Rolle
einnimmt. Die Verständigung über und Entwicklung von gemeinsamen fächerübergreifenden
Forschungsmethoden hat in der Forschungsplattform längere Zeit eine bedeutende, vielleicht sogar
eine bestimmende Rolle gespielt und bleibt weiterhin Herausforderung und Anspruch.
3. Schlussbemerkung von Schelander und Dalton-Puffer
Die hier angesprochenen Spannungsfelder fachdidaktischer Arbeit bilden den Kern einer, für
Ergänzung offenen, Reihe von gemeinsamen Themen für fachdidaktische Forschung und Lehre. Jeder
dieser Punkte betont die Notwendigkeit des fachlichen Bezuges und zugleich die Sinnhaftigkeit des
wechselseitigen Austausches. Für die Beteiligung der Fachdidaktik an der Lehrerbildung liegen hier
wichtige Aufgaben, welche – dies hoffen wir deutlich gemacht zu haben – nicht nur, aber auch in einer
fächerübergreifenden Weise angegangen werden sollen.
Eine andere Hoffnung, die wir mit der Wahl des hier vorliegenden unorthodoxen Texttyps verknüpfen
ist, zu demonstrieren, dass die AkteurInnen der Fachdidaktik ihr Feld als lernendes System verstehen.
Arbeitsprozesse offenzulegen ist riskant und nicht unbedingt gelebte Realität im Wissenschaftsbetrieb.
Jedoch ist die radikale Offenlegung unseres Arbeitsprozesses nicht zuletzt unser Bekenntnis zu einem
sozial-konstruktivistischen Verständnis von Lernen. Dem Prinzip der Selbstähnlichkeit folgend wollen
wir sozial-konstruktivistische Positionen nicht bloß ‚vermitteln‘ sondern erfahrungsgesättigt ‚selbst
leben‘.
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