Geht die Gerechtigkeit verloren, wenn das Recht verkauft wird?

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Geht die Gerechtigkeit verloren, wenn das Recht
verkauft wird?
Referat beim Businesslunch des Wirtschaftsclubs im Literaturhaus e.V.
am 10. Januar 2008
von
Dr. Achim Dannecker
Rechtsanwalt und Steuerberater
Gleiss Lutz, Maybachstraße 6, 70469 Stuttgart, Tel.: 0711/8997-184
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Liebe Mitglieder und Freunde des Wirtschaftsclubs,
ich freue mich, heute zu Ihnen über ein gesellschaftlich wichtiges,
intellektuell anspruchsvolles und mich persönlich berührendes
Thema zu sprechen: Seit fast genau zehn Jahren bin ich jetzt
Rechtsanwalt. Deshalb habe ich die etwas ruhigere Zeit zwischen
den Jahren nicht nur für die Vorbereitung dieses Vortrags, sondern
auch für eine eigene Standortbestimmung nutzen können.
Der Titel „Geht die Gerechtigkeit verloren, wenn Recht verkauft
wird?“ deutet einen möglichen Konflikt an: Zwischen dem Dienst
des RA am Recht jenseits jeder ökonomischer Überlegungen – der
RA als „Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) - und einem an den
wirtschaftlichen Interessen der Mandanten und den eigenen
ökonomischen Bedürfnissen ausgerichteten Berufsverständnis.
Letzteres muss insbesondere gelten für den Wirtschaftsanwalt in
einer international tätigen Großkanzlei. Im diesem Fall liegt nämlich
der Verdacht nahe, dass der RA sich und evtl. das Recht verkauft
und die Aufgabe zur objektiven Rechtsfindung den ökonomischen –
u.U. angreifbaren – Interessen seiner Mandanten unterordnet. Ich
möchte zeigen, dass ich sowohl bei der Interessenverfolgung
zugunsten der Mandanten als auch hinsichtlich einer
„ökonomischen“ Berufsauffassung eines RA kein prinzipielles
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Problem sehe. Ich sehe darin vielmehr eine Verwirklichung
marktwirtschaftlicher Prinzipien, die nach meiner Überzeugung
nach wie vor der beste Garant für das Wohlergehen möglichst vieler
ist und damit eine wesentliche Voraussetzung für soziale
Gerechtigkeit darstellt. Ich möchte zeigen, dass das
marktwirtschaftliche Prinzip, nach dem die Interessenverfolgung
des Einzelnen den Wohlstand aller fördert, eine Entsprechung in der
Struktur des praktizierten Rechts findet. Dazu will ich
(1) kurz auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen des
Anwaltsberufs eingehen
(2) knappe biographische Anmerkungen zu meinem „Herkommen“
und meinem anwaltlichen Selbstverständnis machen
(3) ausführen zum rechtsphilosophischen Hintergrund des Themas
(4) die Gedankenlinien vor dem Hintergrund der
Gerechtigkeitsfrage und der Wahrnehmung sozialer Verantwortung
zusammenführen.
1.
Stellung des RA in der Rechtspflege
Hier geht es um die Interpretation des positiv gesetzten Rechts, also
ist die Kernkompetenz des Juristen angesprochen. Nach § 1 der
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Bundesrechtsanwaltsordnung ist der RA unabhängiges Organ der
Rechtspflege. Damit soll seine Stellung im Rahmen der
Gerichtsverfassung festgelegt werden. Zwar spielt das Betreiben
von streitigen Prozessmandaten für die meisten RAe eine große
praktische Bedeutung, dies gilt jedoch in aller Regel nicht für einen
beratenden Wirtschaftsanwalt. Ich selbst war nur wenige Male vor
Gericht. Unabhängig von der konkreten Betroffenheit betrifft dieser
Programmsatz jedoch ganz generell nur sehr eingeschränkt die
Tagesarbeit eines RA. Aussagekräftiger ist da schon § 43a BRAO,
in dem die „Grundpflichten des RA“ definiert werden. Genannt sind
dort u.a. die Pflicht zu Verschwiegenheit, zu sachlichem, der
Wahrheit verpflichtetem Verhalten, das Verbot des Vertretens
widerstreitender Interessen sowie verschiedene Grundtugenden wie
Sorgfalt und Fortbildung. Daneben findet sich ein Verbot,
Bindungen einzugehen, „die die berufliche Unabhängigkeit
gefährden“. Gemeint sind hier jedoch nur rechtliche
Verpflichtungen, va aufgrund Arbeitsvertrags – weswegen bis heute
Syndikusanwälte in der gerichtlichen Vertretung ihres Arbeitgebers
beschränkt sind. Nicht gemeint ist hingegen die wirtschaftliche
Abhängigkeit. Vielmehr wird in der jur. Literatur sogar betont, dass
die erfolgreiche Tätigkeit des Rechtsanwalts für seine Mandanten zu
einer wirtschaftlichen Abhängigkeit führen kann, die deswegen
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keinesfalls unter dieses Verbot fallen könne. Zusammenfassend
kann mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE vom 8.3.1983,
Bd. 63, 266, 282 ff.) gesagt werden: Die anwaltliche
Berufsausübung unterliegt grundsätzlich der freien und
unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Anwalts. Die
durch das Berufsrecht gesetzten Grenzen sind
Selbstverständlichkeiten, welche den RA in seiner normalen
beratenden und vertretenden Tätigkeit nicht einschränken. Genau so
habe ich das in meiner Praxis bisher auch erlebt: Das Berufsrecht
spielt keine größere praktische Rolle. Vielmehr geht es darum, den
Mandanten bei der Verwirklichung Ihrer wirtschaftlichen Interessen
zu helfen. Mit diesen Bemerkungen möchte ich auch schon das Feld
der juristischen Auslegung und damit den für den Juristen sicheren
Boden verlassen.
2.
Biographische Anmerkungen
Ich habe meine berufliche Karriere nach Studium, Referendariat und
Promotion zunächst in der Finanzverwaltung begonnen und war
zwei Jahre lang Finanzbeamter. Zu meinen Erfahrungen aus dieser
Zeit könnte ich einen eigenen Vortrag halten. Heute kommt es mir
nur auf ein – allerdings zentrales – Prinzip der Verwaltung und des
Rechtsstaates an: Das der Zuständigkeit. Es ist notwendig, um
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Rechtsstaatlichkeit in verfahrensrechtlicher Hinsicht zu garantieren.
Steht nicht fest, wer zuständig ist, führt dies zu Willkür. Neben der
Absicherung der richtigen Entscheidung in der Sache muss auch das
Verfahren und damit die Zuständigkeit geregelt sein. Dies führt
beim betroffenen Beamten zur ausführlichen Prüfung, ob er
zuständig ist. Jeder mag darüber urteilen, ob es dem Beamten bei
dieser Prüfung primär um rechtsstaatliche Grundsätze oder die
Minimierung der eigenen Arbeitsbelastung geht. Ich selbst habe das
Zuständigkeitsprinzip als etwas Unnatürliches erlebt, das hindert, da
zu helfen, wo es Not tut. Ich habe aber schnell verstanden,
Zuständigkeit als etwas Schicksalhaft-Negatives aufzufassen, das es
zu vermeiden gilt.
Der Wechsel in die Anwaltschaft hatte für mich etwas PositivBefreiendes. Dort konnte und kann ich mit meinen in vielen Jahren
erlernten juristischen Fähigkeiten den Mandanten ganz einfach
helfen. Der Mandant fragt nach Rat, den er braucht, um seine
wirtschaftlichen Ziele innerhalb eines rechtlich verlässlichen
Rahmens verwirklichen zu können. Der Anwalt gibt Rat, indem er
seine juristischen Kenntnisse und in letzter Konsequenz auch seine
Persönlichkeit in den Dienst und die Interessen seiner Mandanten
stellt. Dafür stellt er dann eine Rechnung. Ich habe dieses ganz
schlichte Marktprinzip sehr positiv und befreiend erlebt. Die jur.
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Problemlösung ist anspruchsvoll, weil wir in einer komplizierten
Welt leben, aber auch, weil jur. Beratungsarbeit va. helfen soll,
tatsächlichen oder potenziellen Streit zu vermeiden. Die notwendige
vorausschauende Eliminierung möglicher Gefahren setzt präzises
Denken und Erfahrung voraus – man könnte es mit einem
Schachspiel vergleichen, bei dem nicht die Kenntnis der
Grundregeln reicht, sondern das Umgehen mit komplexen
Konstellationen vorausschauend notwendig ist. In der
vorausschauenden, auf Sicherung eines Konsenses angelegten
Arbeit liegt für mich persönlich eine große Befriedigung. Der
Konflikt wird gedacht, ohne dass er in aller Regel ausgetragen wird.
Letztlich ergibt sich ein Wettstreit des besseren
Rechtsverständnisses zwischen den RA’en verschiedener Parteien,
bei der offen Interessenvertretung betrieben wird.
Ist dieses Berufsbild vereinbar mit dem Verständnis vom richtigen
Recht, das es zu verwirklichen gilt? Oder bestätigt sich das Bild
vom Rechtsverdreher? Ich plädiere für das erstere und möchte dies
im Folgenden in einem kleinen rechtsphilosophischen Ausflug
begründen.
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3.
Recht und Gerechtigkeit
Folgt man der These, dass es ein „richtiges“ Recht gebe, das es zu
erkennen und in der Wirklichkeit umzusetzen gilt, so tut man sich
mit dem Bild des Anwalts als Interessenvertreter schwer. Vertritt
der RA einseitig die Interessen seines Mandanten, so gerät er
unweigerlich in Konflikt mit dem - richtigen - Recht. Er wäre dann
primär diesem richtigen Recht und weniger seinem Mandanten
verpflichtet. Diese Meinung liegt in der Tradition der historischen
Rechtsschule, deren berühmtester Vertreter zu Beginn des 19.
Jahrhunderts Friedrich Carl von Savigny war. Durch seine Schrift
„vom Beruf unserer Zeit zu einer allgemeinen Gesetzgebung“ trat er
eine Welle der rechtswissenschaftlichen Gelehrsamkeit los, welche
die Tätigkeit der Rechtswissenschaft primär als ein logischdeduktives Ableiten der richtigen Einzelfallschlüsse aus dem a
priori gegebenen Recht auffasste (das sich nebenbei bemerkt aus
römischen und gemein – deutschrechtlichen Quellen speiste).
Puchta, ein berühmter Nachfolger, definierte die
Begriffsjurisprudenz als eine Ableitung aller juristischen
Entscheidungen ohne Wertung mit logischen Mitteln.
Dieses Verständnis ist m.E. falsch. Das wird allein schon aus der
semantischen Unschärfe von Begrifflichkeiten deutlich. Recht ist
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und muss zudem immer lückenhaft sein, da es nie alle Einzelfälle
erfassen und vorausdenken kann und deshalb auf Fortbildung
angelegt ist. Wie in jüngerer Zeit Canaris (Systemdenken und
Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983) überzeugend
dargelegt hat, ist das Recht zudem kein in sich geschlossenes
logisches System, da es sich nicht aus wenigen Axiomen ableiten
lässt, sondern vielmehr Regeln für das Zusammenleben der
Menschen in seiner unermesslichen Vielschichtigkeit gibt. Nur zum
ersten Punkt, der Unschärfe unserer Begrifflichkeit, sei etwas
vertiefend ausgeführt: Erich Kaufmann hatte bereits 1927 erkannt,
dass „die bloß techn. Rechtswissenschaft eine Hure sei, die für alle
und zu allem zu haben sei“ (in Veröffentlichung der Dt.
Staatsrechtslehrer 1927, 22). Wie recht er behalten sollte zeigte sich
bereits kurz darauf in der Zeit des Dritten Reiches, als
hervorragende Juristen ihre Fähigkeiten in den Dienst des Unrechts
stellten. Dies war ihnen möglich, weil sie durch Neubesetzung von
Begriffen den Inhalt von Rechtsnormen um-werteten, ohne dass sie
ein Problem mit der dahinter stehenden Ideologie hatten. Karl
Larenz z.B. schaffte es mit seiner Lehre von den konkretallgemeinen Begriffen unter Rechtsgenossen nur noch
Volksgenossen zu verstehen, welche deutschen Blutes zu sein hatten
(näher Rüthers, Rechtstheorie, 3. Aufl. 2007, Rn. 563 ff.).
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Diesem bloß logisch-deduktiven System der Rechtswissenschaft
tritt die Schule der Interessenjurisprudenz entgegen. Sie wurde von
Philipp Heck in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts begründet und
fand einen wortstarken Verfechter in Rudolf von Jehring, wovon
schon der Titel eines seiner Hauptwerke kündet: „Der Kampf ums
Recht“. Hier wird akzeptiert, dass Recht und auch die Arbeit am
und mit dem Recht immer zweckgerichtet ist, und zwar im Hinblick
auf alle Beteiligte, sei es der Gesetzgeber, der Richter, der
Rechtsanwalt oder der Bürger. Rechtsnormen sind SollensAnordnungen, deren Inhalt mitgestaltet wird durch die Interessen
und Zweckverfolgung der am Rechtsleben Beteiligten– und das sind
in letzter Konsequenz alle in einer Gemeinschaft lebenden
Menschen. Primär der Gesetzgeber, aber auch Richter und die
Verwaltung arbeiten am Ausgleich der beteiligten Interessen, um
möglichst umfassend die Bedürfnisse möglichst vieler zu einem
möglichst großen Grad zur Geltung zu verhelfen. Idealtypisch geht
es um die Entfaltung von Freiheit des Einzelnen bei gleichzeitiger
Gewährleistung der Sicherheit der Lebensgrundlagen aller.
Der Kampf um Interessenausgleich ist zentral; Philipp Heck
formuliert: „Gesetze sind Resultate der in jeder Rechtsgemeinschaft
einander gegenübertretenden und um Anerkennung ringenden
Interessen materieller, nationaler, religiöser und ethischer
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Richtung.“ Gilt dies für die Gesetzgebung, so muss es erst recht für
die Gesetzesanwendung gelten. MaW: Es ist systembedingt,
systemkonform und gewünscht, dass ein einzelner
Rechtsbetroffener, sei es eine nat. Person oder ein Unternehmen,
seine Interessen bestmöglich vertritt. Der Rechtsanwalt hilft dabei
und kann ohne prinzipielle Probleme helfen, weil sich im Recht nur
das abbildet und manifestiert, was Teil der menschlichen Natur ist
und wovon die Marktwirtschaft lebt, nämlich zu versuchen, die
eigenen Interessen bestmöglich durchzusetzen. Gerade das
Zusammenwirken der unterschiedlichsten Beteiligten im
verlässlichen Rahmen einer Rechtsordnung führt zu einem
zivilisierten Miteinander. Das Recht ist kein gegebenes System,
sondern Produkt des Ausgleichs, das einer ständigen
Fortentwicklung ausgesetzt ist.
Auf diese Art und Weise kann man also von einem „Rechtsmarkt“
im besten und auch positiven Sinne sprechen. Jeder Beteiligte
kämpft um seine Interessen im Rahmen der gesetzten Ordnung,
wobei ihm der RA helfen kann.
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4.
Und wo bleibt die Gerechtigkeit?
Gerechtigkeit wird immer da thematisiert, wo sich jemand
ungerecht behandelt fühlt. Der Grossteil unserer täglichen
Handlungen hat rechtlichen Gehalt, ohne dass wir es merken
würden und ein Problem damit hätten. Erst im Konflikt wird Recht
als ungerecht empfunden. Bei Auseinandersetzungen kann es
naturgemäß nicht nur Gewinner geben. Ich kann mich an dieser
Stelle nicht intensiver mit der Theorie der Gerechtigkeit
beschäftigen und mich etwa auf eine Interpretation des
Aristotelischen Begriffspaares der ausgleichenden und austeilenden
Gerechtigkeit einlassen. Jedenfalls meine ich im Ergebnis, dass die
anwaltliche Arbeit im Sinne eines „legal business“ nicht dem Gebot
gerechten Handelns widerspricht, sondern daran mitwirkt, das
Rechtssystem weiterzuentwickeln und der Gerechtigkeit damit
Wirkkraft zu verleihen. Primär geht es um die Arbeit am Ausgleich
von Interessen und damit um ausgleichende Gerechtigkeit, für mich
der wesentliche Teil der Aristotelischen Gerechtigkeitsvorstellung
aus dem Blickwinkel des Bürgers. Gerechtigkeit manifestiert sich
am ehesten da, wo offen und ehrlich miteinander umgegangen wird.
Und so wie Interessenkonflikte offen ausgetragen werden, müssen
wir uns über Wertkonflikte des Rechts offen unterhalten und
auseinandersetzen. Der RA kann zu einer kultivierten und fairen
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Auseinandersetzung beitragen, freilich im Rahmen des Rechts. Der
RA ist mit seinen Diensten selbst Teilnehmer am Rechtsmarkt, was
kein Problem darstellt, sondern mE ein Optimum an Effizienz des
Rechtssystems mit sich bringt. Nach meiner festen Überzeugung
funktioniert auch hier kein System besser als ein Markt.
Wie nun ist es aber mit der sozialen Verantwortung im Sinne des
derzeitigen Rahmenthemas des Wirtschaftsclubs? Zugespitzt könnte
man sagen: Wenn das Rechtssystem unter den dargestellten
Prämissen gerecht sein soll, dann hat dieses System des „der
Stärkere setzt sich durch“ nichts mit sozialer Verantwortung zu tun.
Meines Erachtens hingegen wird der sozialen Verantwortung
wesentlich bereits durch zwei Prinzipien immanent Rechnung
getragen:
a.
Gerade weil es sich um eine an Marktregeln ausgerichtete
Tätigkeit handelt, ist die Tätigkeit im Kern gerecht. Das
Funktionieren des Marktes „Recht“ führt wie in anderen
Bereichen auch zu einer Optimierung des Wohlstands und
damit zu Gerechtigkeit. Ich meine, dass die Bedeutung des
Marktes zur Zeit unterschätzt wird, wenn es um Gerechtigkeit
und insbes. soziale Gerechtigkeit geht. Dann wird nämlich in
aller Regel und zuallererst staatliche Umverteilung
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angesprochen. Ich hingegen bin Befürworter eines möglichst
ungehinderten Marktes. Ich meine, dass gerade ein in sich
stimmiges und kohärentes Rechtssystem Raum für
Gerechtigkeit hat. Jedes demokratische Rechtssystem basiert
auf Gleichheit, was die zentrale Grundbedingung von
Gerechtigkeit aber auch vom Markt ist. Zudem ist ein
Rechtssystem immer auch auf Nachhaltigkeit angelegt, da es
generell gilt.
b.
Unbenommen ist, dass der Markt den Stärkeren bevorzugen
kann und bestimmte Belange nicht berücksichtigt. Im Hinblick
auf das erste ist auch der Gesetzgeber gefordert. Er soll
behutsam, ohne den Grundsatz des freien Marktes in Frage zu
stellen, Regeln zur Sicherung der Schwachen aufstellen. Diese
gibt es im Bereich des Rechts auch, zum Beispiel
Prozesskostenhilfe oder kostenlose Rechtsberatung. Im
Hinblick auf das zweite, die „unberücksichtigten“ Belange,
erlauben Sie mir eine Anm. zu Beobachtungen der letzten
Veranstaltungen des Wirtschaftsclubs: Mit der
Ausdifferenzierung der Gesellschaft rücken gerade die per se
marktfernen Felder der Gesellschaft wie Kunst, Kultur, Umwelt
und auch das Soziale in das Blickfeld der Märkte. Diese werden
damit ganz selbstverständlich Teil des ökonomisch orientierten
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Handelns von Unternehmen, sozusagen Teil der Agenda
erfolgreicher Marktteilnehmer. Das geschieht nicht nur durch
Stärkung von soft skills (Stichwort: zweckfreie Kunst, aus
welcher der homo oeconomicus „schöpfen“ kann) oder des
Images (ich erinnere an Dr. Speck), sondern auch durch die
Entdeckung und Entwicklung der Kunst oder des Sozialen als
Markt: So investieren Fonds mittlerweile auch in Altenheime
und Kindergärten. Dies liegt mE darin begründet, dass der
Mensch in seiner Totalität und damit auch als moralisches
Wesen Teil des Marktgeschehens ist.
Dieser Aspekt ist meines Erachtens ganz entscheidend: Zwar macht
sich der Markt die Bedürfnisse und Interessen des Einzelnen mit der
berühmten „unsichtbaren Hand“ von Adam Smith zu eigen. Das
entlässt den Marktteilnehmer und damit jeden einzelnen von uns
jedoch nicht aus seiner moralischen und gesellschaftlichen
Verantwortung, im Gegenteil: Freiheit muss immer verantwortet
werden, gerade auch dann wenn keine Normen und Regeln ein
bestimmtes Verhalten aufnötigen. Und dies gilt zuallererst in
freiheitlichen Systemen – die Marktwirtschaft ist ein solches. Da die
Verantwortung der Freiheit jedoch nicht von selbst funktioniert,
sondern immer neu ins Bewusstsein gebracht und eingefordert
werden muss, ist hier eine ständige Aufgabe mit „moralischem
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Gehalt“ gegeben. Wichtig scheint mir in unserer gegenwärtigen
Situation, nicht den Markt zu verteufeln, weil er zu Missbräuchen
führen kann, sondern moralisches Verhalten einzufordern, weil wir
ein freiheitliches System haben und es bewahren wollen. Dies ist in
einer pluralistischen und zunehmend multikulturellen Gesellschaft
sicher nicht einfach, da es weithin nicht mehr gesellschaftliche
Glaubensüberzeugungen gibt, auf die wie selbstverständlich
rekurriert werden könnte. Ich erinnere nur an Ernst-Wolfgang
Böckenförde, der den freiheitlich demokratischen Staat als von
Voraussetzungen lebend beschrieben hat, die er nicht selbst
garantieren kann. Gerade in diesem Spannungsverhältnis liegt
jedoch eine Hauptherausforderung unserer Gesellschaft und damit
für jeden einzelnen von uns. Mit der zunehmenden Unfähigkeit des
Staates, für soziale Belange zu sorgen, wird nach meiner
Überzeugung ohnehin das bürgerschaftliche Engagement der
Einzelnen zunehmen. Auch das ist eine Chance, denn der Staat
lähmt die Eigeninitiative. Sie erwacht dann wieder, wenn der
Einzelne gefordert ist.
5.
Fazit
Die letzten Bemerkungen haben etwas vom Thema des
Rechtsanwaltsberufs weggeführt. Sie lassen sich jedoch ohne
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weiteres übertragen: M.E. ist die Ausübung des Anwaltsberufs ohne
weiteres im Sinne eines ökonomischen Wirtschaftens möglich, ohne
dass das Recht schaden nimmt. Im Gegenteil wird durch die
wirksame Vertretung von Interessen Gerechtigkeit möglichst
weitgehend verwirklicht. Viele an sich „unwirtschaftlichen“ Felder
der gesellschaftlichen Realität können und werden mehr und mehr
ökonomisiert. Das gilt auch für die Tätigkeit des Anwalts, sowohl
was den Gegenstand als auch die Art der Tätigkeit betrifft. Schaden
tut das nicht. Was bleibt ist ein Raum, in dem der Einzelne als
moralisches Wesen gefordert ist – das liegt in der Natur des
menschlichen Daseins und der offenen Anlage unserer Gesellschaft.
Ich freue mich auf die Diskussion.
Vielen Dank.
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