Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2009 - psb

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Drogenabhängigkeit, psychische Inkonsistenz
und Soziale Unterstützung
Eine Analyse der psychosozialen Betreuung Substituierter
Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades der
Humanwissenschaftlichen Fakultät
der Universität Köln
vorgelegt von
Daniel Deimel
aus Köln
Köln, 2011
Erster Gutachter:
Professor Dr. Jörg Fengler
Zweiter Gutachter:
Professor Dr. XXX
Tag der Disputation:
11.11.2011
2
„Man kann den Wind nicht ändern, aber die Segel richtig setzen“
(Aristoteles, 384-322 v. Chr., griech. Philosoph).
Vorwort
Die Idee zu dieser Dissertation entstand während des Master-Studiengangs
„Suchthilfe“ an der Katholischen Hochschule in Köln. Im Rahmen der
Masterthesis beschäftigte ich mich mit der psychosozialen Situation und
Behandlung
substituierter
Drogenabhängiger.
Durch
die
praktischen
Erfahrungen meiner Berufstätigkeit als Sozialarbeiter und Suchttherapeut in
unterschiedlichen Einrichtungen der Drogenhilfe sowie die Ergebnisse, der im
Rahmen der Masterthesis durchgeführten Untersuchung entwickelte sich die
Idee zu der vorliegenden Studie. Seit meinem Studium der Sozialarbeit
beschäftigt mich die Frage, wie Sozialarbeit wirkt. Bei wem sind welche
Interventionen sinnvoll und erfolgsversprechend? Um in dem Bild des oben
genannte Zitates zu bleiben: Bei welchem Wind muss wie das Segel gesetzt
werden um zum Ziel zu gelangen? Welche Beschaffenheit muss das Boot für
die bevorstehende Reise haben? Wie kann ich als Lotse den Kapitän auf seiner
Reise unterstützen? Mit dieser Arbeit möchte ich einen Beitrag zu der
Beantwortung dieser Fragestellungen leisten.
Dank an soziales Netzwerk: Fengler und Familie, Freunde, Kolloquium etc.
Unterstützung Casu.
3
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung
6
2.
Fragestellung
7
3.
Stand der Forschung:
Situationsanalyse substituierter Opiatabhängiger
3.1
12
Opiatabhängigkeit
3.1.1 Ätiologie der Abhängigkeit
3.1.2 Folgen der Opiatanhängigkeit
3.1.3 Epidemiologie
3.1.4 Familiäre Situation Drogenabhängiger und Elternschaft
3.2
Stress, Coping und Soziale Unterstützung
27
28
3.2.1 Begriffsedinition
3.2.2 Stresskonzepte
3.2.4 Stress und Krankheit
3.2.4 Coping-Strategien
3.2.5 Soziale Unterstützung
3.3
Bedürfnisbefriedigung und psychische Gesundheit
41
3.3.1 Konsistenztheorie psychischen Geschehens
3.3.2 Konsequenzen für die Behandlung Opiatabhängiger
3.4
57
Substituionsbehandlung Opiatabhängiger
3.4.1 Definition der substitutionsgestützten Behandlung
3.4.2 Rechtliche Rahmenbedingungen und Indikation
3.4.3 Medizinischen Behandlung
3.4.4 Psychosoziale Behandlung
4
3.4.5 Wirksamkeit der substitutionsgestützten Behandlung
3.4.6 Schlussfolgerungen: Psychosoziale Behandlung zwischen
Sozialer Unterstützung und Psychotherapie
4.
Analyse der Psychosozialen Betreuung Substituierter –
Die PSB-Studie
4.1
Modell der Untersuchung & Fragestellungen
4.2
Hypothesen & Evaluationskriterien
4.3
Untersuchungsplanung
4.3.1 Untersuchungsdesign
4.3.2 Messinstrumente
4.3.3 Auswertungsmethodik
4.3.4 Zeitplanung
4.4
Untersuchungsverlauf
5.
Darstellung und Diskussion der Ergebnisse
5.1
Deskriptive Analyse und Darstellung der Ergebnisse
5.2
Darstellung der hypothesengestützten Auswertung
5.3
Interpretation und Diskussion der Ergebnisse
6.
Ausblick
7.
Literaturverzeichnis
8.
Anhang
5
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 3.1
Trias Modell nach Kielholz & Ludewig
Abbildung 3.2
Exemplarischer Störungsverlauf
Abbildung
Psychosoziale Folgen der Opiatabhängigkeit
Abbildung
Allgemeines Anpassungssyndrom (AAS) nach Selye
Abbildung
Transaktionales Stressmodell nach Lazarus
Zusammenhang zwischen sozialem Rückhalt und
Gesundheit
Abbildung 3.3
Konsistenztheoretisches Modell psychischen
Geschehens
Abbildung 3.4
Prozentuale Verteilung von AAI-Klassifikationen in
unterschiedlichen Stichproben
Abbildung 3.5
Das Inkongruenzniveau im psychischen Geschehen
Abbildung 3.6
Vulnerabilitäts-Stress-Modell psychischer Störungen
Abbildung 3.7:
Funktionale Rolle bedürfnisbefriedigender
Erfahrungen im Therapieprozess
Abbildung 3.8
Schematische Darstellung der Psychologischen
Therapie nach Grawe
6
Tabellenverzeichnis
Tabelle 3.1
Durchschnittsalter Opiatabhängiger bei
Betreuungsbeginn; Deutsche Suchthilfestatistik 2006
Tabelle 3.2
Arbeitssituation und Bildungsniveau Opiatabhängiger:
Deutsche Suchthilfestatistik 2006
999
Unterschiede zwischen akutem und chronischem Stress
Inhaltliche Typologie sozialer Beziehungen.
Skalen des FAMOS
7
Einleitung
Platzhalter für den Einleitungstext.
Es folgt die Beschreibung der einzelnen Kapitel und der Aufbau der Arbeit.
8
Fragestellung
Primäres Ziel der vorliegenden Untersuchung ist eine Analyse der
psychosozialen
Betreuung
substituierter
Opiatabhängiger.
Die
substitutionsgestützte Behandlung kann als Regelbhandlung Opiatabhängiger
angesehen
werden.
Innerhalb
dieser
integrierten
medizinischen
und
psychosozialen Behandlung, nimmt die psychosoziale Betreuung eine nicht
unerhebliche Stellung ein. Strukturell und konzeptionell existiert keine
einheitliche Basis auf deren Grundlage die psychosoziale Betreuung
durchgeführt wird. Zudem ist dieses Behandlungssegment bisher wenig gut
evaluiert. Die Untersuchung möchte dazu beitragen, diese Kenntnislücke zu
schließen und zu einer Weiterentwicklung der psychosozialen Betreuung
beitragen.
Im Rahmen einer Voruntersuchung
(n=30) konnte gezeigt werden, das
substituierte Drogenabhängige sich in komplexen und hochbelasteten
Lebenssituationen befinden. Sie äußerten einen psychosozialen Hilfebedarf in
den evaluierten Lebensbereichen Arbeit, Finanzen, Justiz und soziale
Beziehungen. Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen der
psychosozialen und der psychischen Situation der Substituierten. Patienten
ohne
eine
psychische
komorbide
Störung
und
Patienten
in
tagesstrukturierenden Maßnahmen erzielten bessere Behandlungsergebnisse.
Die psychosoziale Betreuung wurde von den Patienten als gut bewertet
(Deimel, 2008, 2009a & 2009b). Die Ergebnisse dieser Voruntersuchung
waren Grundlage für die Entwicklung der weiteren Fragestellungen.
Eine zentrale Grundannhame der gegenwärtigen Untersuchung ist, dass der
Erfolg der psychosozialen Behandlung mit einer Reduktion von psychischer
Inkongruenz (Grawe, 2004), einer bedeutenden Form von psychischer
Inkonsistenz, einhergeht. Diese sollte sich in den evaluierten Parametern, dem
Stressniveau sowie der psychischen und psychosozialen Belastungssituation
9
der Patienten, wieder spiegeln. Darüber hinaus sollte sich der Erfolg der
psychosozialen Behandlung in der Zufiedenheit der Patienten mit dieser
Behandlungsform zeigen.
Im Rahmen der Studie werden die Ergebnisse der Substituierten mit den zwei
Referenzguppen
„unbehandelte
Drogenabhängige“
in
Differenzierung
Bezug
hinsichtlich
Drogenabhängige“
gesetzt.
des
Darüber
und
hinaus
Behandlungssettings,
„nicht
findet
Behandlung
eine
in
Substitutionsambulanzen und Behandlung bei einem niedergelassenen Arzt in
Kombination mit Suchtberatungsstellen, statt.
Folgende Fragestellungen stehen im Einzelnen im Fokus der vorliegenden
Untersuchung:

Inwiefern
substituierte
unterscheiden
sich
Drogenabhängige,
unbehandelte
und
Nicht
–
Drogenabhängige,
Drogenabhängige
hinsichtlich ihrer psychosozialen und psychischen Situation sowie ihres
Stress- und Inkongruenzniveaus?

Inwiefern verändern sich die psychische und psychosoziale Situation
sowie das Stress- und Inkongruenzniveau der Drogenabhängigen im
Verlauf der substitutionsgestützten Behandlung?

Welche Patienten sind mit der psychosozialen Betreuung zufrieden,
welche sind mit ihr nicht zufrieden?

Welche Patientengruppen weisen hinsichtlich der psychosozialen
Betreuung bessere Behandlungsergebnisse auf?
10

Inwiefern
unterscheiden
sich
die
beiden
Behandlungstypen,
Substitution in einer Fachambulanz und Substitution bei einem
niedergelassenen
Arzt
in
Kombination
mit
Drogenberatung,
hinsichtlich der psychischen und psychosozialen Situation sowie des
Stress- und Inkonsistenzniveaus der Patienten?
11
Stand der Forschung: Situationsanalyse substituierter
Drogenabhängiger
Das folgende Kapitel gibt den Stand der Forschung wieder. Es wird eine
Übersicht
über
die
Entstehung,
Epidemiologie
und
Folgen
der
Opiatabhängigkeit gegeben. Es folgt eine Übersicht über die Forschung zu
Stress, Coping und sozialer Unterstützung. Ferner wird Inkonsistenztheorie
psychischen Geschehens von Grawe dargestellt. Sie wird in den Bezug zur
Opiatabhängigkeit
gesetzt.
Danach
erfolgt
eine
Darstellung
der
substitutionsgestützen Behandlung Opiatabhängiger.
3.1 Opiatabhängigkeit
Unter dem Begriff „Opiate“ versteht man Substanzen, die dreierlei Herkunft
haben können: sie können aus dem Saft der Mohnpflanze gewonnen werden
(Rohopium). Des Weiteren können sie halb- bzw. vollsynthetisch hergestellt
werden oder sie können auch im Körper von Menschen oder Säugetieren gebildet werden (Endorphine) (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2006).
Neben Opium existieren eine Reihe Derivate. Diese werden im Rahmen der
medizinischen Forschung und Behandlung entwickelt und genutzt. So extrahierte 1804 der Apotheker Friedrich Sertürmer aus Opium das noch stärker
wirkende Morphium. Dieses wurde als Schmerz-, Beruhigungs- und Schlafmittel eingesetzt. Im weiteren Verlauf der Entwicklung stellte man jedoch fest, das
Morphium, ebenso wie Opium, süchtig macht. Daher entwickelte man im Jahr
1898 aus dem Morphium eine neue Substanz. Diese sollte über kein
Abhängigkeitspotential verfügen. Der Name dieser Substanz ist Heroin. Auch
hier stellte man zu einem späteren Zeitpunkt ein sehr hohes Suchtpotential fest.
Neuere Derivate, wie das synthetisch hergestellte Methadon, kamen deutlich
später auf den Markt. Inzwischen sind Opiate, außer im Rahmen der medizinischen Behandlung, in Deutschland verboten (Comer, 2001).
12
Die körpereigenen Endorphine wirken, ähnlich wie die dem Körper von außen
zugefügten Opiate, schmerzlindernd. Über ihre Aktivierung des Dopaminsystems sprechen sie das Belohnungssystem (Nucleus accumbens) im Gehirn
an (Comer, 2001).
„Der Nucleus accumbens (…) ist maßgeblich am Lernen von Verhalten beteiligt, das angenehme Zustände herbeiführt und Furcht reduziert. Er spielt also
eine wichtige Rolle bei den Vorgängen, die in den behavioristischen Lerntheorien als positive und negative Verstärkung bezeichnet wurden.“ (Grawe, 2004;
S. 289)
Das Dopaminsystem spielt eine entscheidende Rolle für motivationale Anreize
und Belohnungen (Bierbaumer & Schmidt, 1991; Grawe, 2004). Der Mensch
empfindet durch Dopamin Glücksgefühle. Des Weiteren beeinflussen Opiate
die Atmung. Sie wird durch die Einnahme von Opiaten reduziert. Die
körpereigenen Endorphine wirken deutlich kürzer als die von außen
eingenommenen Opiate. Daher haben sie nur ein sehr geringes Abhängigkeitspotential. Die körpereigenen Endorphine haben aus evolutionsbedingter Sicht
eine sehr sinnvolle Funktion: bei Verletzungen lindern sie den Schmerz und
ermöglichen so Flucht oder Kampf.
Die regelmäßige Einnahme von Opiaten kann zu einem Abhängigkeitssyndrom
führen. Nach Definition des ICD-10 der WHO, liegt das Abhängigkeitssyndrom vor, wenn bei einem Menschen drei oder mehr der folgenden
Kriterien zusammen mindestens einen Monat lang Bestand haben. Falls sie nur
für eine kürzere Zeit gemeinsam auftreten, sollten sie innerhalb von zwölf
Monaten wiederholt auftreten:
1. Ein starkes Verlangen oder eine Art Zwang, die Substanz zu
konsumieren.
2. Die verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch, d.h. über Beginn,
Beendigung oder die Menge des Konsums. Dies wird daran deutlich, dass
13
die Substanz oft in größeren Mengen oder über einen längeren Zeitraum
als geplant konsumiert wird. Auch der anhaltende Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzkonsum zu verringern oder zu kontrollieren,
sind hierfür Indikatoren.
3. Das Auftreten eines körperlichen Entzugssyndroms, wenn die Substanz
reduziert oder abgesetzt wird, mit den für die Substanz typischen
Entzugssymptomen. Es wird auch nachweisbar durch den Gebrauch
derselben oder einer sehr ähnlichen Substanz, um die Entzugssymptome
zu mildern oder zu vermeiden.
4. Durch den Aufbau einer Toleranzentwicklung gegenüber den Wirkungen
der Substanz. Für eine Intoxikation oder um den gewünschten Effekt zu
erreichen, müssen größere Mengen der Substanz konsumiert werden,
oder es treten bei fortgesetztem Konsum derselben Mengen deutlich
geringere Effekte auf.
5. Einengung auf den Substanzgebrauch, deutlich an der Aufgabe oder Vernachlässigung anderer wichtiger Vergnügungen oder Interessensbereiche
wegen des Substanzgebrauches; oder ein hoher Zeitaufwand, die
Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich davon zu erholen.
6. Anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutig schädlicher Folgen, deutlich an dem fortgesetzten Gebrauch, obwohl der Betreffende sich über die
Art und das Ausmaß des Schadens bewusst ist oder bewusst sein könnte
(Weltgesundheitsorganisation, 2004).
Bereits kurz nach dem Absetzen der Substanz kann es zu typischen Entzugssymptomen kommen. Diese sind: das Verlangen nach Opiaten, Ängstlichkeit,
Gähnen, Schwitzen und Schlafstörungen. Dazu können dann im weiteren
Verlauf zusätzlich Glieder- und Muskelschmerzen, Heiß-Kalt-Wallungen und
Appetitlosigkeit kommen. Später kann es zu Fieber, Muskelkrämpfen, Bauch-
14
krämpfen, Diarrhö, Erbrechen, und Kreislaufversagen kommen (Deutsche
Hauptstelle für Suchtfragen, 2006).
Das ICD-10 bietet lediglich eine Beschreibung der gegenwärtigen Situation. Es
gibt keinerlei Auskunft über die Ätiologie der Erkrankung. Über die Beschreibung der aktuellen Situation, also des aktuellen Krankheitsbildes, herrscht in
der Fachwelt weitgehender Konsens. Diesen Konsens findet man jedoch nicht
in der Begründung der Krankheitsursache.
3.1.1 Ätiologie der Abhängigkeit
Es existiert kein allgemeingültiges monokausales Erklärungsmodell zur Entstehung von Sucht und Abhängigkeit. Vielmehr bestehen eine Vielzahl von Erklärungsmodellen zur Entstehung von Sucht und Abhängigkeit nebeneinander. Je
nach Perspektive des Verfassers werden verschiedene Elemente in den Fokus
gesetzt und durch diese die Ursache von Sucht und Abhängigkeit begründet.
So entstanden eindimensionale Konzepte, die ihren Fokus auf die Person legen.
In ihr wird die Ursache der Suchterkrankung gesehen. Neben der so genannten
„Suchtpersönlichkeit“ entstand die Vorstellung einer Persönlichkeitsstörung,
die ursächlich für die Entstehung einer Suchterkrankung ist. Die Spanne reicht
hier von unangepassten Persönlichkeiten über psychisch gestörte Persönlichkeiten bis hin zu Personen, die sich auf der Suche nach immer höheren
Stimulationen befinden (so genannte „sensationseeker“).
Daneben existieren Risikofaktoren-Konzepte, die einzelne Faktoren als
mögliche Ursachen für Suchterkrankungen sehen. Markante Einflüsse sind
demnach biologische, familiäre oder psychische Risikofaktoren. So konnten
bei ca. 40% der Drogenabhängigen suchtkranke Eltern ermittelt werden
(Klein, 2003). Das Risiko selber suchterkrankt zu werden, ist von Kindern aus
alkoholbelasteten Familien im Vergleich zu Kindern aus unbelasteten Familien
um
bis
zu
dem
Sechsfachen
erhöht
(Klein
&
Zobel, 2001).
entwicklungsdynamische Theorien gehen davon aus, dass das elterliche
Verhalten und familiäre Besonderheiten einen starken Einfluss auf den
Konsumeinstieg in der Kindheit ausüben. Dagegen werden Peer-Einflüsse
15
sowie soziale und kulturelle Einflüsse in der Adoleszenz bedeutsamer
(Tossmann & Baumeister, 2008).
Systemische Konzepte verstehen die Suchterkrankung im Kontext einer
Mehrgenerationperspektive. Drogenabhängigkeit wird demnach als Ausdruck
einer generationsübergreifenden familiären Entwicklung und Prozesses
verstanden (Stachowske, 2008).
Prozess- und interaktionsorientierte Konzepte legen ihren Fokus auf die
Wechselwirkungen der Person mit ihrer Umwelt. Soziologische Ansätze sehen
die Auseinandersetzung des Individuums mit seiner sozialen Umwelt als
mögliche Ursache der Suchterkrankung. Dem Menschen gelingt es nicht, bestimmte kulturell bedingte Ziele auf sozial erwünschten Wegen zu erreichen.
Er reagiert darauf mit abweichendem Verhalten, wozu auch der Suchtmittelkonsum gehört. Neben lerntheoretischen Konzepten, die davon ausgehen, dass
normales wie abweichendes Verhalten über die gleichen Wege erlernt werden
kann, existieren sozialpsychologische und entwicklungspsychologische Konzepte der Entstehung der Suchterkrankung. Eine weite Verbreitung hat das
Trias-Modell von Kielholz und Ladewig (1973) gefunden. Im Rahmen dieses
Globalkonzeptes geht man davon aus, dass durch die Beeinflussung und Interaktion von biologischen, sozialen und psychischen Faktoren, Sucht und Abhängigkeit entstehen können. Da dieses Konzept sehr grob gehalten wurde, besteht
die Möglichkeit, andere Ansätze unterschiedlichster Herkunft in dieses Konzept zu integrieren. Es ist lediglich möglich, einzelne Variablen aufzuzeigen,
die unter die Kategorien „Person“, „Umwelt “ und „Droge “ fallen. Ihre
einzelnen Interaktionsweisen und explizite Ursachengefüge können mit diesem
Modell
nicht
herausgestellt
werden
(Künzel-Böhmer, Bühringer
&
Janik-Konecny, 2005).
16
Person:
Prämorbide Persönlichkeit, sexuelle
Entwicklung, aktuelle
Stresssituation, frühkindliches
Milieu, Erwartungshaltung, etc.
Drogen
abhängigkeit
Umwelt:
Soziales Milieu, Beruf, familiäre
Situation,Wirtschaftslage,
Religion, Gesetzgebung, etc.
Droge:
Applikationsart, Dosis, Dauer,
Griffnähe, Gewöhnung,
individuelle Reaktion, etc.
Abb. XXX: Trias Modell nach Kielholz & Ladewig.
Dieses Modell ist meines Erachtens für die Praxis dennoch sehr gut geeignet.
Mit Hilfe dieses Konzeptes ist es möglich, Betroffenen eine individuelle und
plausible Begründung ihrer Erkrankung verständlich zu machen. Nach dieser
Begründung fragen die Patienten. Sie wollen verstehen, wie und warum es zu
ihrer Erkrankung gekommen ist. Eine berechtigte Frage, die jedoch oft unterschätzt und zu wenig berücksichtigt wird. Des Weiteren ist ein schlüssiges
Konzept der Ätiologie sowie der Phatogenese einer Erkrankung notwendig, um
an ihm orientiert bzw. von ihm abgeleitet, ein Behandlungskonzept der Erkrankung zu entwickeln. Im weiteren Verlauf nehme ich dieses Konzept als Grundlage für meine Ausführungen.
Der Konsum von psychotropen Substanzen setzt in der Regel in der frühen
Jugend ein. Dies zeigt sich in den Ergebnissen der bereits erwähnten
Voruntersuchung zu dieser Studie.
In ihr
wurden 30 substituierte
Opiatabhängige unter anderem nach dem ersten Konsum von unterschiedlichen
psychotropen Substanzen befragt. Abbildung XXX stellt einen exemplarischen
Störungsverlauf auf Grund der erhobenen Daten dar. In der Untersuchung
wurde deutlich, dass der polyvalente Drogenkonsum regelhaft ist. Die
Heroinabhängigkeit entwickelt sich im Verlauf der Suchtkarriere.
17
Alter Erstkonsum
24
22
21.6
20
23.2
22.6
18.8
18
16
15.4
14
14.4
12
10
Substanz
Abb. XXX: Exemplarischer Störungsverlauf
Betrachtet man diese Ergebnisse aus der entwicklungspsychologischen
Perspektive ergibt sich folgendes Bild: Oerter & Dreher (1998) beschreiben die
Altersspanne zwischen dem 11. und 18. Lebensjahr als Jugendalter, zwischen
dem 18. Und 21. Lebensjahr als späte Adoleszenz und die Zeitspanne zwischen
dem 21. und 25. Lebensjahr als frühes Erwachsenenalter. Der Mensch
durchläuft
in
dieser
Zeitspanne
verschiedene
sehr
beutsame
Entwicklungsaufgaben: Neben der körperlichen Entwicklung vollziehen sich
die Identitätsentwicklung, die Entwicklung eines Körperselbstbildes, die
sexuelle Orientierung sowie eine starke Auseinandersetzung des Jugendlichen
mit seiner Umwelt (Familie, Peergroup). In der Regel findet in dieser Zeit der
Übergang in das Arbeitsleben statt. Kommt es in dieser Lebensspanne zu
einem fortgeschrittenen Konsum von psychotropen Substanzen, muß mit einem
beschleunigten Übergang zur Erwachsenenrolle gerchnet werden. Dies zeigt
sich durch eine frühe Mutter- oder Vaterschaft oder dem Einstig in ein
Arbeitsverhältnis in einem Alter, in dem andere noch ihre Ausbildungspläne
verfolgen. Die Folge ist eine nicht ausgeschöpfte Identitätsbildung sowie
Verlust an Qualität und Flexibilität der weiteren Entwicklung. Dies kann
langfristig bis zu einem gänzlichen Scheitern in der Bewältigung der
jugendtypischen Entwicklungsaufgaben führen (Silbereisen, 1998).
18
3.1.2 Folgen der Opiatabhängigkeit
Aufgrund des oft lang andauernden Opiatkonsums lässt sich eine Vielzahl von
physischen und psychosozialen Folgen ausmachen.
Der Großteil der Heroinabhängigen konsumiert die Drogen intravenös.
Schätzungen, die im Rahmen der Heroinstudie in Deutschland durchgeführt
wurden gehen von einem Anteil von 82,4% der intravenös konsumierenden
Abhängigen aus (Buhk, Zeikau & Koch 2006). Diese Konsumform und die
Konsumbedingungen (unsaubere Spritzbestecke, Konsum an öffentlichen
Plätzen und dementsprechend unter Stress), führen zu zum Teil schwerwiegenden Folgeerkrankungen wie z. B. Abszesse, Thrombosen, abzedierende
Pneumonien, und Endokarditis (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2006).
Etwa 70 – 90% aller intravenös konsumierenden Drogenabhängigen weisen
eine Hepatitis C Infektion auf. Sie bilden damit die am stärksten betroffene
Risikogruppe dieser Infektionskrankheit (Maier, 2002). Die Durchseuchungsrate in Bezug auf die Hepatitis A- und B-Viren liegt bei 50-80% (Deutsche
Aidshilfe, 2004). Der Anteil der durch den Drogenkonsum an AIDS erkrankten
Personen wird vom Robert-Koch-Institut (2007) für den Zeitraum von 2004 –
2007 mit 15% angegeben. Somit gehören intravenös konsumierende Drogenabhängige auch hier zu einer Hochrisikogruppe.
Das von den Abhängigen konsumierte Heroin hat mit 15 – 50% einen sehr
geringen Reinheitswert (Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und
Drogensucht, 2007). Beimischungen mit Substanzen (Tabletten, Instant-Tee,
etc.) sind die Regel. Dies bedingt, dass das Heroin mit Hilfe von Ascorbinsäure
in Wasser gelöst werden muss, um es sich injizieren zu können. Dieser Konsum führt zu Verletzungen der Venen. Bedingt durch das hektische und aggressive Leben in der Drogenszene vernachlässigen viele Abhängige ihre Körperpflege. Zudem fällt bei vielen eine ausgewogene und gesunde Ernährung weg.
Die Folge ist ein schlechter körperlicher Gesundheitszustand. Neben Heroin
konsumieren viele Abhängige zusätzlich Kokain, Benzodiazepine, Alkohol,
Amphetamine, THC und Tabak je nach Verfügbarkeit der Substanz, Präferenz
oder persönlicher Situation. Dieser polyvalente Konsum hat zur Folge, dass
19
sich der Schweregrad des süchtigen Verhaltens deutlich verstärkt und es zudem
zu schwerwiegenden Wechselwirkungen der einzelnen Substanzen untereinander kommen kann. So verstärkt zum Beispiel Alkohol die sedierende Wirkung
von Benzodiazepinen oder Opiaten. Als Folge des Mischkonsums kann eine
Atemdepression auftreten (Reymann & Gastpar, 2006). Ein polyvalenter
Substanzkonsum hat eine schlechtere Prognose hinsichtlich der mittelfristigen
Abstinenz gegenüber einer Einzelabhängigkeit (Gastpar et al., 2002).
Ein großer Teil der Opiatabhängigen leidet an einer zweiten psychiatrischen
Erkrankung. Je nach Untersuchung geht man von einer Quote von 50 – 70%
der Abhängigen mit einer komorbiden psychischen Störung aus. In einer
Untersuchung einer Gruppe von 350 Patienten wurde festgestellt, dass 5% eine
Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis aufwiesen, damit etwa fünfmal mehr als in der Normalbevölkerung. 32% hatten eine affektive Störung
oder wiesen eine solche, vorwiegend depressiv geprägte in ihrer Vorgeschichte
auf. Insgesamt 46% der Patienten hatten eine Angststörung (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2006). In einer weiteren Studie konnte eine
Lebenszeitprävalenz von psychischen Störungen bei Drogenabhängigen von
50% für Angst- und Zwangststörungen und 38% für affektive Störungen
ermittelt werden (Günthner et al., 2000). Im Rahmen einer fünfjährigen
Verlaufsuntersuchung in Hamburg wurde bei 272 Opiatabhängigen eine
Lebenszeitprävalenz einer weiteren psychiatrischen Störung nach ICD-10 von
55% ermittelt (Verthein et al., 1998). Für das Zusammentreffen von
psychischen
Theorien.
Störungen
und
Psychische
Drogenabhängigkeit
sein.
Drogenabhängigkeit
Erkrankungen
Sie
bedürfen
können
daher
existieren
Auslöser
einer
divergente
für
die
entsprechenden
Behandlung, da sonst die Suchterkrankung nicht erfolgreich behandelt werden
kann. Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit, dass der Drogenkonsum
der Auslöser für den Ausbruch weiterer psychiatrischer Erkrankungen ist (z.B.
drogeninduzierte Psychose). Bei einer Reihe von Opiatabhängigen kann der
Konsum von psychotropen Substanzen im Sinne der „Self-medication-These“
von Khantzian (1996) als ein erfolgloser Versuch der Selbsttherapie aufgefasst
werden (Gastpar et al., 2002; Schulz, 2000; Schwoon, 2001).
20
Opiatabhängige haben ein hohes Risiko, an den Folgen ihrer Sucht zu versterben. So sind im Jahr 2008 in Deutschland 1449 Menschen direkt an den
Folgen ihrer Drogenabhängigkeit gestorben (Die Drogenbeauftragte der
Bundesregierung, 2009). Die Mortalitätsquote Drogenabhängiger wird mit 12% angegeben. International wird das Todesrisiko von Drogenabhängigen auf
10-30mal höher im Vergleich zur Normalbevölkerung eingeschätzt. Eine
Untersuchung über die Hintergründe der einzelnen drogenbedingten Todesfälle
kam zu dem Schluss, dass es sich bei 72% der Fälle um unbeabsichtigte
Überdosierungen, bei 11% um Suizid und bei 2% um Unfälle gehandelt haben
muss. Bei 5% lag eine andere Erkrankung vor und bei 10% konnte kein Grund
ausfindig gemacht werden (Küfner & Rösner, 2005).
Neben diesen schwerwiegenden psychischen Folgen übt die Drogenabhängigkeit massiven Einfluss auf die psychosoziale Situation eines Menschen aus:
Da der Besitz und der Handel von Heroin illegal sind, machen sich die
Konsumenten strafbar. Hinzu kommt, dass für das Suchtmittel ein hoher Preis
auf dem Schwarzmarkt bezahlt werden muss. Die Folge ist ein Abrutschen in
die Beschaffungskriminalität. In einer im Jahr 2008 durchgeführten
Szenebefragung wurden 791 Opiatabhängige in 13 verschiedenen Städten
hinsichtlich ihrer gesundheitlichen und sozioökonomischen Situation befragt.
78% der Befragten Personen hatten bereits Hafterfahrungen (Thane, 2009). Die
Situation in den Justitzvollzugsanstallten stellt sich wie folgt dar: Von den in
Deutschland ca. 80.000 Inhaftierten sind ca. 10.000 - 15.000 opiatabhängig.
Nach Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums setzen davon ca. 40%
den Konsum in der Haft fort (Niemann & Soyka, 2007). Die Zahl der
Drogenabhängigen unter den Inhaftierten nahm jedoch in den letzten Jahren
kontinuierlich
zu.
Inzwischen
sind
mehr
als
ein
Drittel
der
in
Nordrhein-Westfalen inhaftierten Personen drogenabhängig (Justizministerium
NRW, 2006). Dieser Trend wurde mit der Veröffentlichung von zwei
deutschen multizentrischen epidemiologischen Studien bestätigt. Demnach
liegt der Anteil intravenöser Drogenkonsumenten zwischen 22 und 30%. Im
21
Vergleich zur Allgemeinbevölkerung, der Anteil liegt dort bei 0,3%, ist dies
eine Steigerungsfaktor um das 73-98fache. Lediglich 500-700 Opiatabhängige
befinden sich in Haft in einer dauerhaften Substitutionsbehandlung. (Die
Drogenbeauftragte der Bundesregierung, 2009; Eckert & Weilandt, 2008;
Eckert et al., 2008).
Insbesondere Frauen gehen oftmals der Prostitution nach, um ihre
Drogenkonsum zu finanzieren. Sie bewegen sich zudem in einem kriminellen
Umfeld und erleben in diesen Bezügen immer wiederkehrende traumatische
Verletzungen.
Der Großteil der drogenabhängigen Menschen ist verschuldet. Die Stiftung
„Integrationshilfe für ehemals Drogenabhängige“ ermittelte für den von ihr
verwalteten „Marianne von Weizsäcker Fonds“ für das Jahr 2007 eine
durchschnittliche Schuldenhöhe eines Drogenabhängigen von 9.070 (Stiftung
Integrationshilfe, 2008). Bei 62-70% aller Drogenabhängigen ist von einer
Überschuldung auszugehen (Meyer, 2008; Stiftung Integrationshilfe, 2000).
Aufgrund der angespannten finanziellen Situation vieler Abhängiger kommt es
immer wieder zu Schwierigkeiten bei der Zahlung der Wohnungsmiete. Folgen
sind oft der Verlust der Wohnung und die damit verbundene Obdachlosigkeit.
Da der Beginn der Suchterkrankung in der Regel in der Jugend und im frühen
Erwachsenenalter auszumachen ist, haben die Betroffenen oftmals nur ein sehr
geringes Bildungsniveau. Hierdurch ist eine Entwicklung hinsichtlich einer
erfüllten Arbeitsbiographie deutlich erschwert. Durch den aktuellen Drogenkonsum ist es dem überwiegenden Teil der Abhängigen nicht möglich, einer
geregelten Arbeit nachzugehen. Sie sind daher arbeitslos und befinden sich im
Bezug von Sozialhilfe oder Leistungen für Arbeitslose (ALG I und ALG II).
Dieses äußerst geringe Einkommen stellt per se einen Risikofaktor hinsichtlich
der
Gesundheitssituation
dar.
Soziale
Unterschiede,
abhängig
vom
Einkommen, haben einen erheblichen Einfluss auf das Auftreten von
psychischen Erkrankungen (Jacobi & Harfst, 2007) sowie das Mortalitätsrisiko
von Menschen. So wurde für die englische Bevölkerung eine Differenz von
22
sieben Jahren in der Mortalität in Abhängigkeit von Einkommen, Bildungsgrad
und Sozialstatus ermittelt (Badura & Feuerstein, 1994). Zudem stellt die
Arbeitslosigkeit selbst eine Quelle unkontrollierbaren und chronischen
psychosozialen Stresses dar. Zudem weisen Langzeitarbeitslose eine geringere
Selbstwirksamkeitserwartung und ein geringeres Selbstwertgefühl auf als
Beschäftigte. Dies mündet in einer höheren Angst- und Depressivitätsquote
(Ertl et al., 2006; Weber et al., 2007).
Durch den Aufenthalt in der Drogenszene und durch Prostitution befinden sich
die Betroffenen in pathogenen sozialen Netzwerken. Aufgrund von
Gewalterfahrungen und des Einflusses der Illegalität ist ein Verlust von Werten
und Normen die Folge. Als Folge der Drogenabhängigkeit haben viele Betroffene protektive und unterstützende soziale Beziehungen verloren oder konnten
sie nicht entwickeln. Die Kontakte zu anderen Betroffenen aus der Drogenszene sind oftmals die einzigen sozialen Beziehungen, die sie haben. Das
Herauslösen aus solchen Bezügen und der Wechsel in eine Welt, in der andere
Normen und Werte als sinnvoll und erstrebenswert angesehen werden, ist für
viele Betroffene dadurch erschwert. Drogenabhängige stellen eine Randgruppe
in unserer Gesellschaft dar. Sie sind sozial ausgegrenzt und haben dadurch
einen erschwerten Zugang zum Hilfesystem.
Ein Teil der Drogenabhängigen ist obdachlos. Diese Situation führt zu einer
doppelten Stigmatisierung. Der Anteil der Drogenabhängigen unter den
Obdachlosen wird auf 15 – 27% geschätzt (Stimmer, 2004). In der bereits
zitierten deutschlandweiten Szenebefragung im Jahr 2008 hatten etwa
Eindrittel der Abhängigen keine gesicherte Wohnsituation (Thane et al., 2009).
In unterschiedlichen Studien konnte ein zum Teil deutlich höherer Anteil der
Obdachlosen
ermittelt
Substitutionstherapie
in
werden.
So
Hamburg
waren
im
Jahr
in
einer
1994
Analyse
rund
40%
der
der
Drogenabhängigen zu Beginn der Substitutionsbehandlung ohne festen
Wohnsitz. Dieser Status subsumiert drei Stufen der Obdachlosigkeit: die
temporäre Unterkunft bei Freunden und Bekannten, die öffentliche
Unterbringung in Einrichtungen und die Opbdachlosigkeit ohne jede
23
Unterbringung (Janczak & Wendelmuth, 1994). Im Rahmen einer weiteren
Untersuchung wurden 323 Drogenabhängige der offenen Drogenszene in
Hamburg
hinsichtlich
verschiedener
soziodemograßhischer
Paramenter
interviewt. Rund die Hälfte der Befragten war zu dem Untersuchungszeitraum
obdachlos (Thiel, G., Friedrich, E., Wiese, K., 1997).
Es wird deutlich, dass Drogenabhängigkeit in vielerlei Hinsicht schädigend
wirkt. Die Betroffenen haben es mit multifaktorellen Problemlagen zu tun.
Diese Faktoren sind aber nicht nur Folge der Erkrankung. Vielmehr können sie
den Beginn der Erkrankung begünstigen, deren weiteren Verlauf und die Genesung des Betroffenen massiv beeinflussen.
Beschaffungskriminalitä
t
Schulden
Arbeitslosigkeit
Prostitution
Drogenabhängigkeit
Niedriger
Bildungsstand
Obdachlosigkeit
Abb. 3.2:
Gewalterfahrunge
n
Soziale
Ausgrenzun
g
Psychosoziale Folgen der Drogenabhängigkeit
Aufgrund dieses Hintergrundwissens lässt sich ohne Zweifel feststellen, dass
es sich bei Opiatabhängigen um sehr schwer erkrankte Menschen handelt, die
sich in hochkomplexen und vielerlei Hinsicht massiv beeinträchtigten Lebenssituationen befinden.
3.1.3 Epidemiologie
Schätzungen über die Zahl der Heroin- und Opiatabhängigen variieren je nach
Untersuchung sehr stark. Man kann jedoch von rund 170.000 – 200.000 regel-
24
mäßigen bzw. problematischen Opiatkonsumenten in Deutschland ausgehen
(Wittchen, Apelt & Mühling, 2005). Es ist ebenso schwierig eindeutige Zahlen
vorzulegen, die die Gruppe der Opiatabhängigen näher beschreibt. Die Problematik liegt in der Datenerhebung. Da Opiatabhängigkeit keine meldepflichtige
Erkrankung ist, kann man sich lediglich auf Schätzungen über die Zahl und
jeweilige Situation der Erkrankten machen.
Im Weiteren beziehe ich mich auf die Daten der Deutschen Suchthilfestatistik.
Die dieser Statistik zu Grunde liegenden Daten stammen von den in Deutschland behandelten Personen aus dem Jahr 2006 XXX neuere Quelle und wurden
durch das Institut für Therapieforschung in München ausgewertet (Sonntag,
Bauer & Hellwich, 2007). Ich habe mich auf die Daten aus den ambulanten
Suchthilfeeinrichtungen konzentriert, da diese im Zusammenhang mit der
ambulant durchgeführten Substitutionsbehandlung am aussagekräftigsten sind.
Opiatabängigkeit ist vornehmlich ein Problem von Männern. Ihr Anteil bei den
Opiatstörungen liegt bei 77%. Das durchschnittliche Alter beim Erstkonsum
liegt für Heroin bei 20,1 Jahren. Das durchschnittliche Erstkonsumalter für
Methadon liegt bei 26,3 Jahren und entspricht dem durchschnittlichen Alter bei
Beginn einer Substitutionsbehandlung. Die nachfolgende Tabelle gibt einen
Überblick über die Altersstruktur von Opiatabhängigen, die sich 2006 in
ambulanter Behandlung befanden:
Tab. 3.1: Durchschnittsalter Opiatabhängiger bei Betreuungsbeginn;
Deutsche Suchthilfestatistik 2006
Alter
MW
SD
N
Männer
Frauen
Gesamt
32,6
7,7
21.422
31,3
8,2
6.352
32,3
7,9
27.823
Da die Klienten mit Opiatstörungen in der Regel polyvalent konsumieren, ist davon
auszugehen, dass der Anfang ihrer Suchtkariere zu einem früheren Alter und mit einer
anderen Substanz lag. Genauere Angaben hierzu können allerdings nicht gemacht
werden. Die von Klienten mit der Hauptdiagnose Opiate zusätzlich konsumierten
Substanzen sind vornehmlich Cannabis (34%), Kokain (24%), Alkohol (22,5%),
25
sowie Benzodiazepine und Barbiturate mit 14,5%. Laut einer Untersuchung aus den
USA liegt die Rate der Komorbidität zwischen Tabakabhängigkeit und Opiatabhängigkeit bei über 80% (Kalman, Morissette, Georg, 2005).
Opiatabhängige weisen den höchsten Arbeitslosenanteil bei Suchterkrankten auf.
Haben noch 52% der Personen mit einer Alkoholstörung einen Arbeitsplatz, so liegt
diese Zahl bei den Opiatabhängigen bei nur 26,7%. Diese Situation spiegelt sich im
Bildungsniveau dieses Personenkreises wieder. 71,4% der Opiatabhängigen haben
keinen oder lediglich einen Hauptschulabschluss. Ihre beruflichen Perspektiven sind
somit sehr eingeschränkt. Tabelle 2 gibt über diese Situation einen Überblick:
Tab. 3.2: Arbeitssituation und Bildungsniveau Opiatabhängiger;
Deutsche Suchthilfestatistik 2006
Arbeitssituation
Männer
Frauen
Gesamt
Arbeitslos
53,6 %
55,1 %
53,9 %
Arbeitsplatz vorhanden
28,7 %
19,7 %
26,7 %
Nicht erwerbstätig
11,3 %
17,2 %
12,7 %
Schüler, Azubi, Student
3,9 %
5,8 %
4,3 %
Berufliche Reha
1,0 %
1,1 %
1,0 %
56,2 %
45,3 %
53,7 %
17,5 %
27,0 %
19,7 %
17,7 %
18,0 %
17,7 %
(Fach-) Abitur
4,0 %
6,3 %
4,5 %
Sonderschulabschluss
2,4 %
1,5 %
2,2 %
Hochschulabschluss
1,0 %
1,3 %
1,1 %
Anderer Schulabschluss
1,2 %
0,6 %
1,1 %
Schulabschluss
Haupt-/ Volksschulabschluss
Realschulabschluss/
Polytech.
Ohne Schulabschluss/
in Schulausbildung
3.1.4 Familiäre Situation Opiatabhängiger und Elternschaft
26
Der überwiegende Anteil (74,1%) dieser Klientel ist ledig. Weniger als 14%
leben in formal stabilen Beziehungen. Mit 18% lebt ein erheblicher Anteil der
Klientinnen mit Kindern aber ohne Partner zusammen.
Ein erheblicher Teil der Drogenabhängigen hat Kinder. Die Zahlen schwanken
je nach Untersuchung zwischen 29-50%. Konservative Schätzungen gehen von
40.000-50.000 Kinder von Drogenabhängigen aus (Klein, 2008). Seit dem in
Deutschland flächenddeckend sich die Substitutionsbehandlung etabliert hat,
hat sich die Zahl der drogenabhängigen Frauen, die ein Kind gebären erhöht.
Dies wird auf die günstigen Bedingungen des Substituts auf die
Empfängnisfähigkeit der drogenabhängigen Frau zurück geführt. Die Tatsache,
dass die wenigsten Opiatabhängigen in formal stabilen Beziehungen leben ist
prikär und wird durch eine Elternschaft verschärt: In unterschiedlichen Studien
konnte gezeigt werden, das
drogenabhängige Mütter eine schlechtere
sozioökonomische Lage, ein höheres Stresserleben, eine stärkere soziale
Isolation und eine geringere soziale Unterstützung als bei demografisch
vergleichbaren Müttern in den gleichen Wohngebieten hatten. Dabei ist das
Vorhandensein sozialer Unterstützung im Falle Alleinerziehender besonders
wichtig, da dadurch psychosozialer Stress abgemildert werden kann. In einer
weiteren Untersuchung konnten bei Mütter in Substitutionsprogrammen die
Merkmale
Kindheitstrauma,
psychische
Störungen,
niedriger
sozioökonomischer Status und eine ambivalente Ausführung der Mutterrolle
gehäuft ermittelt werden (Klein, 2008).
Insbesondere die Themen Missbrauch und Vernachlässigung sowie das
Elternverhalten und die Eltern-Kind-Beziehung wurden bisher in Studien zu
drogenabhängigen Eltern erforscht. Demnach kommen Kindesmissbrauch und
–vernachlässigung bei Kindern heroinabhängiger Eltern häufiger vor, als bei
Kindern gesunder Eltern. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass diese Rate bei
Kindern aus extrem armen Familien ähnlich hoch ist. Die Opiatabhängigkeit
kann daher nicht als verursachender Faktor angesehen werden. In einer
Untersuchung zum Erziehungsverhalten konnte gezeigt werden das Mütter mit
Methadon-Substitution im Vergelich zu Kontrollmüttern eine größere
27
Häufigkeit
aversiver
Verhaltensweisen
wie
mehr
Kommandieren,
Nichtzustimmen, Provozieren und Drohen zeigten. Andere Studien erbrachten
wiederholt das Ergebniss, dass drogenabhängige Mütter insgesammt härtere
verbale Verhaltensweisen gegenüber ihren Kindern ausführten, das heißt sie
häufiger anschrieen und sie scharf tadelten (Klein, 2008).
Auf Grund dieser Datenlage fordert Klein (2008), dass insbesondere in
Substitutionsprogrammen und Entwöhnungsbehandlungen ein Einstig in das
Thema „Elternschaft Drogenabhängiger“ erfolgen sollte. Ferner sollte eine
kontinuierliche Betreuung und Kontrolle der Eltern und ihrer Kinder
sichergesetllt sein, um möglichst gute Entwicklungsergebnisse sicher zu stellen
und Schäden zu verhindern. Hierzu können spezielle Programme zur
Förderung der Erziehungskompetenz substituierter Drogenabhängiger Mütter
sowie eine Kooperation und Vernetzung zwischen den Trägern des
Gesundheitswesens sowie der Sucht- und Jugendhilfe dienen.
28
3.2 Stress, Coping und Soziale Unterstützung
Betrachtet man die Lebensbedingungen, Lebensbiografien sowie das psychische und somatische Befinden von Opiatabhängigen, so wird deutlich, dass sie
sich in vielerlei Hinsicht in einer prekären Situation befinden. Schwerwiegende
Begleit- und Folgeerkrankungen, traumatische Erlebnisse in der Biografie,
drohende Inhaftierung, oftmals ungesicherte finanzielle Verhältnisse, drohende
Obdachlosigkeit und geringe berufliche Perspektiven sind immer wieder
Bestanteile der aktuellen Lebenssituation von Opiatabhängigen und Themen in
der Behandlung. Diese Lebensbedingungen und gemachten Lebenserfahrungen
stellen massiven psychosozialen Stress für die Betroffenen dar.
Im Folgenden möchte ich näher auf die Aspekte des Stresses und dessen
Auswirkungen auf die Gesundheit eines Menschen eingehen. Zudem werde ich
auf die Konzepte der Stressbewältigung, insbesondere der sozialen
Unterstützung eingehen. Dies geschieht unter der besonderen Berücksichtigung
des Verlaufes und der Behandlung der Suchterkrankung.
3.2.1 Begriffsdefinition
In der Wissenschaft existiert keine allgemeingültige Definition für Stress.
Einen Überblick über die Geschichte des Stressbegriffes und der verschiedenen
Ansätz ist in Laux (1983) zu finden. Ich beziehe mich im weiteren auf die
Definition von Kaluza (2004; S. 15). Er definiert Stress als:
„ (…) ein[en] psychophysischer Zustand, bei dem Abweichungen von der
Homöostase vorliegen, die durch die verfügbaren, routinemäßigen Reaktionen
nicht kompensiert werden können.“
Der zentrale Ort des Geschehens liegt somit in der Person. Aufgrund einer
Diskrepanz zwischen ihrer bisher erfolgreich angewendeten Bewältigungsstrategien und der aktuellen ungelösten Situation entsteht ein Konflikt und
somit Stress als Resultat dieses Prozesses. Die Folge ist eine Reihe von physiologischen Vorgängen, die für das Stressgeschehen charakteristisch sind. Diese
sind z. B. die Aktivierung und Durchblutung des Gehirns, die Reduzierung des
29
Speichelflusses und ein trockener Mund, die Erweiterung der Bronchien und
eine Atembeschleunigung, eine erhöhte Muskelspannung und verbesserte
Reflexe, ein erhöhter Blutdruck und ein schnellerer Herzschlag. Der Körper
stellt über Zucker und Fette mehr Energie bereit, die Hände und Füße sind kalt
und es kommt zu einer erhöhten Gerinnungsfähigkeit des Blutes.
3.2.2 Stresskonzepte
In der Stressforschung werden drei verschiedene Stresskonzepte unterschieden.
Es sind das reizorientierte, das reaktionsbezogene und das interaktionsbezogene Stresskonzept (Lazarus & Launier, 1981; Schulz et al., 2004). Im
Folgenden stelle ich die wichtigsten Ansätze dar.
Reizorientierte Stresskonzepte gehen davon aus, dass Stress ein Ereignis
darstellt, das eine Störungsreaktion induziert. Stressreize schließen demnach
verschiedene
Umweltereignisse
wie
Lärm,
Umwelkatastrophen,
Übervölkerung, Haft, Krankheit, Trauerfälle etc. mit ein. Dieser konzeptionelle
Ansatz enstpricht der Logik der behavioristischen Stimulus-ResponsePsychologie (Lazarus & Launier, 1981).
Vertreter der reaktionsbezogenen Stresskonzepte sehen im Stress eine Antwort
oder Reaktion aud die Umwelt oder Lebensereignisse. Einer der bedeutesten
Vertreter dieses Konzeptes ist der Stressforscher Hans Selye. Er definiert
Stress als
„ (...) der Zustand, der sich als ein spezifisches Syndrom kundtut, das aus allen
unspezifischen hervorgerufenen Veränderungen innerhalb eines biologischen
Systems besteht.“ (Selye 1991, S. 81).
Den unspezifischen Auslösereiz nennt Selye „Stressor“. Er fasst die
körperlichen Reaktionen im Rahmen einer Stressreaktion als allgemeines
Anpassungssyndrom (AAS) zusammen (Selye 1936, 1981 & 1991; Neylan,
1998). Demnach verläuft eine Stressreaktion in drei Phasen. Zu Beginn steht
die „Alarmreaktion“ mit der Schock- und Gegenschockphase. In ihr wird der
30
Köper in einem Schockzustand versetzt. Nach einer kurzzeitigen Erhöhung des
Blutdrucks innfolge einer Adrenalinausschüttung kommt es zu einer Senkung
des Blutdrucks. Den selben Verlauf nimmt die Blutzuckerkonsentration. Je
nach Intensität des Stressors variiert die Phase zwischen wenigen Minuten und
24 Stunden. In dieser Phase werden die Kräfte mobilisiert, die der Organismus
in der „Widerstandphase“ für die Bewältigung der Situation benötigt.
Chrakteristisch ist diese Widerstandsfähigkeit des Organismus gegenüber dem
spezifischen
Stressor,
dem
er
ausgesetzt
ist,
und
die
reduzierte
Widerstandsfähigkeit gegenüber anderen Stressoren. Die biochemischen
Veränderten der Alarmreaktion gehen in dieser Phase zurück. Der Organismus
hat in dieser Phase einen maximalen Adaptionszustand erreicht. Dauert die
Stresssituation eine längere Zeit an, werden die zur Verfügung stehenden
Ressourcen des Organismus aufgebraucht. Ab diesem Zeitpunkt befindet sich
die Person in der „Erschöpfungsphase“. In ihr fällt die Widerstandskraft unter
das Ausgangsniveau. In dieser Phase kollabiert der Anpassungsmechanismus
des Organismus zudem kann es zu irreversiblen Symptomen der Alarmreaktion
kommen. Es wird davon ausgegangen, dass innerhalb der Erschöpfungsphase
die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Erkrankungen steigt oder sie
tödlich enden kann (Selye, 1991; Laux, 1983; Kaluza & Vögele, 1999).
Normales
Widerstandsniveau
Schockphase
GegenSchockphase
Alarmreaktion
Abb. X:
Widerstandsphase
Erschöpfungssphase
Allgemeines Anpassungssyndrom (AAS) nach Selye.
31
Innerhalb
des
AAS
misst
Selye
der
„Hypothalamus-Hypophysen-
Nebennierenrinden-Achse“ (HHN-Achse) eine besondere Bedeutung zu:
Durch die Applikation eines Stressor wird...
Selye postuliert innerhalb seines Konzeptes die Unspezifischheit des Stressors,
er differenziert Stress jedoch hinsichtlich seiner Qualität und Wirkung für den
Betroffenen. Unter „Eustress“ versteht er Stress in Verbindung mit positiven
Folgen, unter „Distress“ fasst er Stress mit seinen negativen Konsequenzen
(Selye, 1981).
Das Stresskonzept von Selye wurde insbesondere von Mason wegen der
Unspezifischheit des Stressors kritisiert und als unzureichend bezeichnet
(Laux, 1983; Lazarus & Launier, 1981).
Im weiteren gehe ich detalierter auf das transaktionalen Stresskonzept von
Lazarus und die Theorie der Ressourcenerhaltung von Hobfoll ein. Für mich
stellen sie die Grundlage für die weiteren Überlegungen dar.
Das von Richard Lazarus 1974 entwickelte transaktionale Stressmodell beruht
auf der Annahme, dass ein Mensch nicht einfach passiv Stressoren ausgesetzt
ist, sondern sich mit seiner Umwelt in einem aktiven Austausch befindet und
sich somit selber mit ihr in ein Verhältnis setzten kann (Lazarus & Folkmann,
1984; Lazarus, 1990). Lazarus & Folkmann (1984; S. 19) definieren Stress wie
folgt:
„Psychological stress is a particular relationship between the person and the
enviroment that is appraised by the person as taxing or exeeding his or her
resources and endangering his or her well-beeing.“
Innerhalb des transaktionalen Stressmodelles kommt den kognitiven Prozessen
in
Form
von
bewertenden
Wahrnehmungen,
Gedanken
und
Schlussfolgerungen einer besonderen Bedeutung zu (Kaluza, 2004). Abbildung
XXX stellt eine schematische Darstellung dieses Modells dar.
32
Primäre
Bewertung
Motivation
Bedürfnisse
Ziele
Erwartungen
Werte
Situation
Person
Ressourcen
Erfahrungen
Kontrollüberzeugung
Selbstwirksamkeitserwartung
Sekundäre
Bewertung
Abb. XXX: Transaktionales Stressmodell nach Lazarus.
Eine Person bewertet eine Situation hinsichtlich ihrer gemachten Erfahrungen,
Bedürfnisse und Ziele (primary appraisel). Sieht sie die Befriedigung ihrer
Bedürfnisse oder das Erreichen ihrer Ziele als gefährdet an, wird sie die
Situation als Stress empfinden. Nach Lazarus kann diese primäre Bewertung
der Situation in „Bedrohung“, „Schaden-Verlust“ oder „Herausforderung“
unterteilt werden. Unter Schaden-Verlust sind Wahrnehmungen einer bereits
eingetretenen Schädigung (z. B. eine körperliche Verletzung), der Verlust einer
nahe stehenden Person oder auch nicht kontrollierbare Störungen gemeint.
Sieht eine Person ihre persönlichen „Sollwerte“ durch diese Schadens- oder
Verlustereignisse gefährdet, reagiert sie mit Gefühlen von Ärger, Wut oder
auch mit Trauer, Hilflosigkeit und Verzweiflung. Unter Bedrohung sind
Schädigungen zu verstehen, die noch nicht eingetreten sind aber befürchtet
werden. Das Erreichen von bestimmten Zielen und die Befriedigung von
Bedürfnissen könnten durch das Eintreten dieser Schädigungen in Gefahr
geraten und somit eine Bedrohung darstellen. Angst kann als Emotion daraus
resultieren. Diese Kategorie kann mit einem Schaden-Verlust-Ereignis
einhergehen und sich somit vermischen. Die dritte Kategorie, Herausforderung,
unterscheidet sich von den beiden Vorangegangenen deutlich. Eine Person
33
schätzt die Situation nicht als direkte Gefahr ein. Das Überwinden einer
Situation kann zwar mit einem gewissen Aufwand und Risiken verbunden sein,
am Ende werden aber positive Erwartungen an die Situation oder deren
Bewältigung verbunden. In der Situation wird somit eine Chance gesehen.
Diese Kategorie ist zumindest zeitweise mit positivem emotionalen Befinden
verbunden. Für das Auftreten einer Stressreaktion ist diese erste, primäre
Bewertung der Situation nicht ausreichend. Entscheidend ist vielmehr eine
weitere, sekundäre Bewertung (secondary appraisel) hinsichtlich der zu
erwarteten Bewältigung der Situation. Es handelt sich hierbei um die
Bewertung der eigenen Bewältigungsfähigkeiten. Die Einschätzung der
eigenen Selbstwirksamkeit und der zur Verfügung stehenden Ressourcen, die
zum Bewältigen der Situation nützlich sind, stellen entscheidende Faktoren
dar. Weiterhin spielen die bisher gemachten Erfahrungen einer Person eine
entscheidende Rolle. Die beiden Bewertungsprozesse können sich zeitlich
überlappen und gegenseitig beeinflussen. Nach diesem Prozess erfolgt eine
dritte Bewertung (reappraisel), in der die Person die affektive Bewertung der
Situation in Abhängigkeit von der gewählten Bewältigungsstrategie neu
bewertet. Aufgrund dieser Bewertung kann eine Situation als subjektiv
bewältigt gelten, oder der Prozess wird erneut in Gang gesetzt (Lazarus &
Folkman, 1984; Lazarus 1990; Kaluza & Vögele, 1999).
Erweiterung
des
Modells
durch
das
Konzept
von
Hobfoll
zum
Ressourcenerhalt. Buch KFH!
In der Stressforschung werden zwei Stresstypen unterschieden: Es gibt Stress,
der durch kritische Lebensereignisse oder Krisen (critical live events)
hervorgerufen wird sowie tägliche Belastungssituationen (daily hassles), die
Stress auslösend wirken. Unter kritischen
Lebensereignissen werden
außergewöhnliche Situationen (z. B. Tod des Partners, Geburt eines Kindes,
Trennung oder Scheidung und Umzug etc.) verstanden, die in einem gewissen
34
Zeitraum als Stressoren wirken. Holes und Rahe haben ein mit der Social
Readjustment Rating Scale (SRRS) einen Fragebogen entwickelt, der 43
solcher Ereignisse auflistet. Diese Ereignisse wurden mit Hilfe eines
Streßindikators (life change unit = LCU) qualitativ gewertet. Dieser Ansatz ist
stark kritisiert worden und wird heute kaum noch vertreten (Schwarzer, 2000).
Unter „daily hassles“ sind dagegen tägliche Belastungen gemeint, die
irritierend, entmutigend, mit quälenden Anforderungen oder konfliktreichen
Beziehungen verbunden sind. Von besonderer Bedeutung sind chronische und
immer wiederkehrende Belastungen im Alltag (Kaluza, 2004; Schwarzer
2000).
Neben dieser Typologie des Stresses, lässt sich eine Differenzierung zwischen
akutem und chronischem Stress vornehmen. Chronischer Stress steht in
Verbindung
mit
lang
andauernder
oder
häufig
wiederkehrender
Alltagsbelastung und phatogenen Auswirkungen. Nach McEwen entspricht
chronischem Stress dem wiederholten Auftreten unterschiedlicher Stressoren
oder einem Ausbleiben normaler adaptiver Mechanismen bei wiederholtem
Auftreten desselben Stresses (Schulz et al., 2004). In der Tabelle XXX sind die
Unterschiede zwischen akutem und chronischem Stress aufgeführt.
Tab. XXX:
Unterschiede zwischen akutem und chronischem Stress.
(aus Schulz et al., 2004; S.11)
Akuter Stress






Chronischer Stress
Einmalige, oft aßergewöhnliche
Belastungen
Beginn abrupt mit erkennbarem Anfang

Episodisch wiederkehrende Belastungen

Belastung von relativ kurzer Dauer und
erkennbarem Ende
Mit neuen Anforderungen und
wechselnden Umgebungsbedingungen
verbunden
Mangel bezüglich der Befriedigung
spielt eine untergeordnete Rolle
Tendenz sichtbar, besondere Bewältigungsmaßnahmen zur Stressreduktion
einzusetzen

Beginn kann schleichend ohne
erkennbarem Anfang sein
Belastung von meist langer Dauer ohne
erkennbares Ende
Mit täglicher Routine und eher
gleichbleibenden
Umgebungsbedingungen verbunden
Mangel an einer Befriedigung relevanter
Bedürfnisse ist bedeutsam
Keine Veranslassung, besondere
Bewältigungsmaßnahmen zur
Stressreduktion einzusetzen



35
Je nach Art des wahrgenommenen Stressors werden verschiedene an der
Stressreaktion beteiligte Hormonsysteme in unterschiedlicher Weise aktiviert.
Aufgrund
dieses
Hintergrundes
entwickelte
Henry
(1986),
ein
psychoneuroendokrinologische Stressmodell. Henry unterscheidet in seinem
Modell drei Formen von Stressreaktionen. Abbildung XXX stellt dieses
Modell vereinfacht dar.
Stressor
Verarbeitung im fronto-kortalen
Kortex
Emotionen
Ärger
Furcht
Depression/
Hilflosigkeit
Limbisches
System
Zentrale
Amygdala
Basale
Amygdala
Hippokampus
Septum
Verhalten
Kampf Anstrengung
Flucht Anstrengung
Unterordnung
Passivität
Noradrenalin +
Noradrenalin +
Noradrenalin +
Neuroendokrine
Reaktion
+
Adrenalin + +
Adrenalin +/ -
Adrenalin +
Kortisol + -
Kortisol - -
Kortisol + -
Testosteron + -
Testosteron + +
Testosteron + +
Abb. XXX: Psychoneuroendokrinologisches Stressmodell nach Henry.
(modifiziert nach Henry, 1986, S. 688)
36
Eine Stressreaktion, die innerhalb des Gehirns über den Hippokampus Septum
verläuft und mit den Emotionen Depression und Hilflosigkeit erlebt wird, zeigt
sich demnach mit einem passiven Verhalten. Macht ein Mensch diese Erfahrungen immer wieder, wird dies mit großer Sicherheit weitgehende Konsequenzen für seine psychische Gesundheit haben. Im Folgenden werde ich
darauf explizit eingehen.
3.2.3 Stress und Krankheit
Stress ist für den menschlichen Organismus generell nicht schädlich.
Wiederholte Erfahrungen mit dem Aushalten von begrenztem Stress können
positive Auswirkungen auf die spätere Stresstoleranz haben. Entscheidend ist
hierfür die Kontrollierbarkeit und verhaltensmäßige Beeinflussbarkeit des
Stresses (Krohne, 1997; Hüther, 1997).
„Als kontrollierbaren Stress empfindet man eine Belastung oder Anforderung
in der Regel dann, wenn man glaubt, sie im Prinzip bewältigen zu können,
wenn man aber des dafür notwendigen Verhaltens noch nicht so sicher ist, dass
die Anforderung überhaupt keine Stressreaktion mehr auslöst. Man könnte eine
solche Situation z. B. als Herausforderung empfinden.“ (Grawe 2004, S. 239)
Hierzu auch Schwarzer Buch 2000 S. 46 folgende!
Wenn nun der Stress als unkontrollierbar wahrgenommen wird, kann dies
erhebliche Auswirkungen auf den menschlichen Organismus haben. Eine
solche Situation ist z. B. ein andauerndes Missbrauchserlebnis. Das
menschliche Gehirn reagiert aufgrund seiner neuronalen Plastizität empfindlich
auf solche Ereignisse. In einer solchen Situation kommt es zu einer Reihe von
neuronalen Prozessen im Gehirn des Betroffenen, die zu einer allgemeinen
Destabilisierung des neuronalen/psychischen Geschehens führen. Vor allem
die Stresshormone Noradrenalin und Kortisol spielen hier eine entscheidende
Rolle (Hüther 2001 & 2007). Da die bisher in der Stressreaktion aktivierten
Verhaltensweisen sich als nicht geeignet erwiesen haben, den Stress zu
kontrollieren, werden sie durch das Gehirn „gelöscht“, um sie durch andere,
37
wirksamere zu ersetzen. Eines der Hirnareale, das in dieser Phase besonders
aktiv und „lernbereit“ ist, ist die Amygdala. Dieser Hirnregion wird eine große
Bedeutung bei der Entstehung von Angst zugesprochen. So ist es nicht
verwunderlich, dass bei einer anhaltenden unkontrollierbaren Stresssituation
eine Entwicklung von Angst bis hin zu Depressionen und gelernter
Hilflosigkeit festzustellen ist. An dieser Entwicklung dürften klassische
Konditionierungsprozesse maßgeblich beteiligt sein. Die Forschergruppe um
Alloy konzipiert, dass jemand in einem Zustand erregter Angst gerät, der sich
über seine Fähigkeiten, Kontrolle über eine Bedrohung zu gewinnen, unsicher
ist. Diese Phase wird als „ungewisse Hilflosigkeit“ beschrieben. Hält diese
unkontrollierte Bedrohung an, geht dieser Angstzustand in einen ängstlichdepressiven Zustand (Phase der „sicheren Hoffnungslosigkeit“) über, bis sie
schließlich in einem depressiven Zustand, der Phase der „tiefen Hoffnungslosigkeit“ endet. Somit kann unkontrollierbarer Stress zu dauerhaften Veränderungen des menschlichen Gehirns und zu einem vermehrten Auftreten von
Depressionen führen (Grawe, 2004; Kaluza, 2004).
Dem Konsum von Drogen im Zuge einer Stressreaktion kann eine hohe
Funktionalität
dysfunktionale
zugesprochen
werden.
Bewältigungsstrategie
Rauscherleben
und
die
Der
Drogenkonsum
angesehen
werden.
Aktivierung
der
kann
als
Durch
das
verschiedenen
Neurotransmittersysteme werden die durch die Stressreaktion hervorgerufenen
aversiven Gefühle reguliert oder zumindest kurzfristig ausgeschaltet. Wird
dieses
Verhalten
in
Konditionierungsprozesse.
Stresssituationen
Der
Konsument
wiederholt,
lernt,
entstehen
in
solchen
Belastungssituationen seine negativen Gefühle durch Drogen zu beheben.
Diese
erlernten
Erfahrungen
führen
zu
einer
erhöhten
Auftretenswahrscheinlichkeit dieses Verhaltens in zukünftigen Situationen.
Zudem wird den eigenen funktionalen Bewältigungsstrategien eine immer
geringere Funktion und Wirkung zugesprochen. Dies hat schließlich eine
geringere Selbstwirksamkeitserwartung des eigenen Handelns zu Folge. Es
entstehen kognitive, emotionale und physische Teufelskreise, die wiederum zur
Aufrechterhaltung des Suchtmittelkonsums beitragen. Das Erlernen und
38
Erleben von alternativen, funktionalen Bewältigungsstrategien sind daher
zentrale Themen in der Behandlung von Suchtkranken.
3.2.4 Coping-Strategien
Ab hier Literatur und Quellen in Liste übertragen!
Der Begriff Coping (engl. to cope with = umgehen mit) umfasst alle kognitiven
und verhaltensmäßigen Versuche eines Individuums, eine ausgelöste Stresssituationen zu bewältigen. Man kann daher auch von Stressbewältigungsstrategien sprechen. Copingprozesse können automatisch, das heißt unbewusst
ablaufen. Sie sind aber dennoch als kognitive und handlungsorientierte Strategien des Ichs anzusehen. Es handelt sich dabei also um Prozesse, in deren Verlauf eine aktive Auseinandersetzung mit der Bedrohungssituation stattfindet
(Misek-Schneider, 1998). Insbesondere bei der Bewältigung von schweren
Krankheiten kommt den Coping-Strategien eine entscheidende Funktion zu
(Filipp & Aymanns, 1996). Lazarus (1984) differenziert Coping hinsichtlich
einer emotionsorientierten und einer problemorientierten Form. Unter
emotionsorientiertem Coping können eine Vielzahl von Strategien verstanden
werden, die durch kognitive Prozesse auf die Minimierung des Stresses hinwirken. Hierzu zählen Strategien wie Vermeiden, Distanzieren, Minimalisieren
oder auch eine veränderte selektive Aufmerksamkeit innerhalb einer Stresssituation. Ebenso kann die positive Bewertung oder ein positives Fazit der
Stresssituation eine solche Bewältigungsstrategie sein. Diese Strategien haben
alle gemein, dass durch eine kognitive Neubewertung der Situation eine Entlastung eintritt. Die Stresssituation an sich wird nicht verändert. Der Prozess findet ausschließlich innerhalb der Person statt. Das problemorientierte Coping
beinhaltet den Prozess des Problemlösens. Hierzu zählen die Beurteilung des
Problems bzw. der Situation und das Finden von alternativen Lösungsstrategien. Es folgt ein Abwägen zwischen Kosten und Nutzen verschiedener
Lösungswegen, eine Auswahl der vermeintlich besten Strategie sowie deren
Umsetzung in die Praxis. Der Fokus liegt hier auf der Veränderung der Stresssituation durch einen objektiven, analytischen und zielgerichteten Prozess.
Beide Formen, emotionsorientiertes und problemorientiertes Coping, können
miteinander verbunden auftreten, sich gegenseitig begünstigen aber auch
39
behindern. Entscheidend für die Bewältigung einer Situation sind die der
Person zur Verfügung stehenden Coping-Ressourcen. Im Folgenden gebe ich
einen Überblick über sechs verschiedene Bereiche von Coping-Ressourcen
(Lazarus, 1984):
1. Gesundheit und Energie
Gesundheit an sich ist eine wichtige Coping-Ressource. Eine kranke, gebrechliche und angeschlagene Person wird nicht so viel Kraft und Energie haben,
eine stressreiche Situation zu bewältigen, wie dies bei einer gesunden, robusten
Person der Fall ist.
2. Positiver Glaube
Der positive Glaube ist eine ebenso fundamentale psychische Ressource. Die
Zuversicht, dass eine bestimmte Behandlung oder kompetente Person (z. B.
Arzt oder Therapeut) einem weiterhilft, eine belastende Situation zu
bewältigen, hat einen großen Einfluss auf den weiteren Verlauf des
Stressgeschehens. Auch der Glaube an Gott kann eine entlastende Funktion
haben. Entscheidend ist jedoch, inwiefern die Person ihre Kontrollüberzeugung
(locus of control) gegenüber der Stresssituation einschätzt: Sieht sie sich nicht
im Stande, die Situation von innen heraus zu kontrollieren, dann schreibt sie
äußeren Faktoren („das ist halt mein Schicksal“) eine hohe Kontrolle über die
Situation zu. Ein externaler „locus of control“ kann in Hilflosigkeit münden
und ist daher keine Coping-Ressource. Ebenso kann ein schwacher Glaube an
die eigene Selbstwirksamkeit sich negativ auf das Bewältigungsgeschehen
auswirken.
3. Problemlösefähigkeiten
Die Fähigkeit, eine Situation zu analysieren, neue Informationen zu beschaffen
und alternative Handlungsabläufe zu finden und diese umzusetzen, sind wichtige Problemlösefähigkeiten und stellen demzufolge eine wichtige Coping-Ressource dar. Die Grundlage hierfür stellen vor allem die bisher gemachten
positiven Erfahrungen in der Bewältigung von ähnlichen Situationen dar. Dies
40
hat wiederum einen Einfluss auf die Selbstwirksamkeitserwartung und Selbstkontrolle einer Person.
4. Soziale Fertigkeiten
Die Fähigkeit, Kontakt mit anderen Personen aufzunehmen und mit ihnen zu
kommunizieren, stellt eine wichtige Grundvoraussetzung dar, um soziale
Unterstützung zu erhalten.
5. Materielle Ressourcen
Der Zugang zu materiellen Ressourcen wie Geld und der zum Teil erst dadurch
mögliche Zugang zu weiteren unterstützenden Dienstleistungen stellt ebenso
eine wichtige entlastende Ressource dar. Gerade im Hinblick auf den Zugang
zu medizinischen oder sozialen Leistungen stellt dies ein entscheidendes Element dar.
6. Soziale Unterstützung
Die Unterstützung durch andere Personen in belastenden Situationen stellt eine
sehr wichtige Ressource dar. Sie kann auf verschiedenen Ebenen wirken: neben einer emotionalen Unterstützung durch andere Personen kann sie über
direkte, greifbare Unterstützung durch andere wirken oder auch durch die
Beschaffung von und den Zugang zu Informationen durch andere Personen.
Diese Ressource stellt eine Kernfunktion der Arbeit mit Drogenabhängigen
dar. Daher gehe ich im Folgenden auf diesen Bereich näher ein.
41
3.2.5 Soziale Unterstützung
Der sozialen Unterstützung oder auch „Social Support“ kommt bei der Bewältigung
von Belastungssituationen eine besondere Bedeutung zu. Badura (1981, S. 157)
definiert soziale Unterstützung als:
„Fremdhilfen, die dem einzelnen durch Beziehungen und Kontakte mit seiner sozialen Umwelt zugänglich sind und die dazu beitragen, daß die Gesundheit erhalten bzw.
Krankheiten vermieden, psychische oder somatische Belastungen ohne Schaden für
die Gesundheit überstanden und die Folgen von Krankheiten bewältigt werden.“
Auf Basis dieser Definition lässt sich eine inhaltliche Typologie sozialer Unterstützung (Diewald, 1991) erstellen. Wie in Tabelle X dargestellt, zeigt sich sehr deutlich,
dass das Spektrum der einzelnen Maßnahmen sehr groß ist. Eine Einteilung kann in
die Kategorien „Konkrete Interaktionen“, „Vermittlung von Kognitionen“ sowie
„Vermittlung von Emotionen“ vorgenommen werden.
Tab. X: Inhaltliche Typologie sozialer Beziehungen.
Konkrete Interaktionen
(Verhaltensaspekte)
1. Arbeitshilfen
2. Pflege
3. Materielle
Unterstützung
Vermittlung von
Koginitionen
9. Vermittlung von
14. Vermittlung von
Anerkennung
Geborgenheit
10. Orientierung
11. Vermittlung eines
4. Intervention
Zugehörigkeitsbe-
5. Information
wusstseins
6. Beratung
7. Geselligkeit
8. Alltagsinteraktion
Vermittlung von
Emotionen
15. Vermittlung von Liebe
und Zuneigung
16. Motivationale
Unterstützung
12. Erwartbarkeit von
Hilfen
13. Ort für den Erwerb
sozialer Kompetenz
Soziale Unterstützung lässt sich neben dieser inhaltlichen Differenzierung auch auf
der Strukturebene differenzieren: Die geleistete und erhaltene Unterstützung findet in
informellen (z. B. Freunde und Bekannte) oder formellen (z. B. Beratungsstelle)
sozialen Netzwerken statt. Für das Ausmaß der gewährten und erhaltenen
42
Unterstützung ist entscheidend, in welcher Qualität und Quantität Personen über
soziale Beziehungen verfügen. Das Konstrukt soziales Netzwerk eignet sich, um die
Qualität und das Ausmaß an sozialer Unterstützung zu untersuchen. Da der
Netzwerkbegriff inflationär verwendet wird, verstehe ich hierunter in Anlehnung an
Laireiter (1993a), Systeme interpersonaler Beziehungen und egozentrierte oder
personale Netzwerke, in deren Mittelpunkt das Individuum steht. Die Wirkung von
sozialer Unterstützung wird in zweierlei Hinsicht untersucht und beschrieben. Zum
einen als direkte Einflussgröße auf das Wohlbefinden oder als Puffereffekt zwischen
Stress und Belastungsreaktion. Unterschiedliche Studien haben beide Effekte sozialer
Unterstützung hinsichtlich ihrer protektiven Funktion im Bezug auf die Entstehung
von Störungen belegt. Hauptsächliche oder direkte Effekte werden in erster Linie
durch Strukturparameter sozialer Beziehungen vermittelt. Hierzu gehören
Größenparameter wie soziale Integration, Größe des Netzwerkes, Anzahl der
verfügbaren Unterstützer, Verfügbarkeit von Freunden. Puffereffekte sind durch vier
Merkmalgruppen gekennzeichnet: 1. emotional nahe stehende Personen (z. B.
Ehepartner oder sehr enge Freunde), 2. die emotionale Qualität sozialer Beziehungen
(z. B. Grad der partnerschaftlichen Intimität und Nähe), 3. die Stabilität enger
Beziehungen über den Belastungszeitraum hinweg und 4. von engen und wichtigen
Personen wahrgenommene emotionale, kognitive und Selbstwertunterstützung
(Laireiter, 1993b).
Konzeption zu Sozialer Unterstützung Schwarzer Buch 2000 Modell Abbildung S. 60
Formen von Sozialer Unterstützung
Effekte Sozialer Unterstützung
Soziale Unterstützung und Krankheit
43
Soziale Integration
Struktur des sozialen
Netzwerkes
Subjektiv
wahrgenommene
Unterstützung
Stresseinschätzung
Aforderung vs.
Optionen
Evaluation
Persönlichkeit
Selbstkonzept
Soziale Kompetenz
Physiologische
Prozesse
Bewältigungsverhalten
Gesundheitsverhalten
Krankheitsverhalten
Kardiovaskuläre Reaktivität
Immunkompetenz
Erhaltene
Unterstützung
Mobilisierung
Evaluation
Entwicklung &Verlauf
Krankheit
Schweregrad
Genesung
Abb. XXX: Zusammenhang zwischen sozialem Rückhalt und Gesundheit
(modifiziertes Modell nach Schwarzer, 2000; S. 60)
Die soziale Unterstützung von Drogenabhängigen ist durch mehrere Studien
hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Entstehung, den Verlauf und die Behandlung der
Abhängigkeitserkrankung evaluiert worden. Ein entscheidendes Merkmal der sozialen
Unterstützung Drogenabhängiger ist, dass sie deutlich geringer ausfällt, als bei nicht
Abhängigen. Neben einer geringeren Personenzahl im sozialen Netzwerk der
Erkrankten ist zudem von einer geringeren Anzahl von Kontakten zu Bezugspersonen
auszugehen. Weiterhin werden ein reduziertes Maß an erlebter Unterstützung sowie
eine geringere Zufriedenheit mit der erhaltenen Unterstützung festgestellt (Feineis,
1998).
Feineis (1998) definiert die Mikrosysteme Arbeit und Familie als „tägliche Basis sozialer Beziehungen“. Fallen diese Bereiche weg, so besitzt die Person keine vorgegebenen täglichen Kontakte mehr. Weiter heißt es dort (S. 127):
44
„Der Verlust der täglichen Basis führt zu einer immer stärkeren Isolierung der Betroffenen und durch den Verlust von wichtigen drogenfreien Bezugspersonen zu einer
starken Orientierung hin zu suchtbezogenen Kontakte. Dieser soziale Teufelskreis
trägt stark zur Chronifizierung der Abhängigkeit bei.“
Ein weiteres Merkmal der sozialen Unterstützung von Drogenabhängigen ist die
Verschiebung der Unterstützung von informellen hin zu formellen Netzwerken.
Private unterstützende Kontakte werden mit der Zeit der Abhängigkeit immer
seltener, wohingegen professionelle, öffentliche Helfer eine immer größere Rolle
spielen. Aufgrund der hohen Rate an psychiatrischer Komorbidität, des oftmals frühen
Störungsbeginns und durch die gemachten Erfahrungen von inkonsistenten
Beziehungen, dürfte eine Erklärung dafür sein, dass viele Drogenabhängige
Schwierigkeiten haben, mit anderen Personen in Kontakt zu treten und soziale
Unterstützung effektiv zu nutzen. Dies könnte ebenso eine Erklärung für die geringere
Anzahl an informellen supportiven Netzwerken sein. Betrachtet man die
psychosoziale Betreuung von Drogenabhängigen unter dem Aspekt der sozialen
Unterstützung, so kann sie durch ihre Direkt- und Pufferwirkung eine wichtige
entlastende Funktion darstellen.
Bei der Auseinandersetzung mit Stress und dessen auslösenden Bedingungen, ist eine
Betrachtung der Motivation bzw. der Motive einer Person zwingend erforderlich.
Stress ist, wie bereits beschrieben, eine Reaktion des Organismus auf unspezifische
Ausgangssituationen. Es ist davon auszugehen, dass eine Gefährdung von individuell
wichtigen Zielen einer Person mit einem höheren Stresserleben verbunden ist. Aber
was sind nun „wichtige Ziele“? Im weiteren Verlauf der Arbeit werde ich in diesem
Zusammenhang auf die Konsistenztheorie von Klaus Grawe näher eingehen. Durch
sie wird sehr gut deutlich, welche grundlegenden Bedürfnisse des Menschen sein
Handeln motivieren und es zur Entwicklung bringen, was also „wichtige Ziele“ sind.
Es wird zudem deutlich, wie eine Nichtbefriedigung dieser Bedürfnisse der Person
schadet und sie krank macht.
45
3.3 Bedürfnisbefriedigung und psychische Gesundheit
Bereits 1954 entwickelte der amerikanische Psychologe Abraham Maslow
(2005) seine Theorie zur Motivation und Bedürfnisbefriedigung. Deutlich
später, Ende der 90er Jahre, entwickelte Klaus Grawe die Konsistenztheorie.
Grundlegend ist in beiden Theorien die Annahme, dass die Befriedigung von
Bedürfnissen die Motivation und damit das Handeln eines Menschen
determiniert. Werden wichtige Bedürfnisse einer Person nicht befriedigt, kann
sie daran psychisch erkranken. Stress kann in diesem Zusammenhang zum
einen als Indikator für Situationen, in denen die Grundbedürfnisse nicht
ausreichend befriedigt werden und zum anderen als Verstärker der phatogenen
Wirkung dieser Situationen angesehen werden. Im Folgenden werde ich auf
diese Zusammenhänge näher eingehen.
3.3.1 Konsistenztheorie psychischen Geschehens
Klaus Grawe (1998 & 2004) konzepierte die Konsistenztheorie psychischen
Geschehens. Diese Theorie beinhaltet die Hypothese, dass der meschliche
Organismus nach der Übereinstimmung oder Vereinbarkeit der gleichzeitig
ablaufenden
neuronalen/psychischen
Prozesse
strebt.
Diesen
Zustand
beschreibt Grawe als Konsistenz. Die „Cognitive-Experiential Self-Theory
(CEST)“ von Seymour Epstein sowie die Kontrolltheorie von William T.
Powers stellen für Grawe das theroretische Fundament der Konsistenztheorie
dar.
Die Konsistenztheorie basiert auf der Annahme, dass das menschliche Handeln
durch die vier Grundbedürfnisse Bindung, Orientierung & Kontrolle,
Selbstwerterhöhung
&
Selbstwertschutz
sowie
Lustgewinn
&
Unlustvermeidung determiniert ist. Diese psychischen Grundbedürfnisse sind
eher abstrakt formulierte und breit gefasste Absichten. Teilweise interagieren
sie miteinander und lassen sich nicht klar voneinander abgrenzen. Deren
Befriedigung ist jedoch für das psychische Wohlergehen aller Menschen sehr
bedeutsam. Im Laufe der Lebensspanne entwickelt der Mensch auf Grund
seiner gemachten Erfahrungen verschieden Strategieen um eine erfolgreiche
Bedürfnisbefriedigung zu realisieren oder sie vor mögliche Verletzungen zu
46
schützen. Diese Strategieen differenziert Grawe und benennt sie als
Annäherungs- und Vermeidungsschemata. Der Mensch versucht eine
möglichst gute Bedürfnisbefriedigung zu realisieren, mit dem Ziel, das sein
Organsimus konsistent ist.
Können die Grundbedürfnisse nicht ausreichend befriedigt werden, ensteht ein
psychischer Zustand den Grawe als Inkongruenz bezeichnet. Ein erhötes
Inkongruenzniveau ist als ein höchst komplexer Stresszustand zu bezeichnen.
Ist die Realisierung eines Grundbedürfnisses mit motivationalen Konflikten
verbunden,
dies
ist
Vermeidungsschemata
z.
B.
der
gleichzeitig
Fall
aktiviert
wenn
Annäherungs-
sind,
entsteht
und
psychische
Diskordanz. Beide Zustände, Inkongruenz oder Diskordanz führen zu
psychischer Inkonsistenz.
Die
Entstehung
psychischer
Störungen
wird
im
Kontext
zum
Vulnerabilitäts-Stress-Modell (Wittchen & Hoyer, 2006) verstanden.
Vulnerabilität beinhaltet die Bereitschaft zu negativen Emotionen wie z. B.
schlechte Emotionsregulation, geringe Kontrollerwartungen, starke
Vermeidungstendenzen und unsichere Bindungsmuster. Treffen diese
interpersonellen Voraussetzungen auf hohe Belastungen in der aktuellen
Lebenssituation, entsteht Ingongruenz und Stress. Die Folge sind
psychische Störungen.
In Abbildung 3.3 ist die Inkonsistenstheorie schematisch darggestellt und die
einzelnen Konstrukte zueinander in Beziehung gesetzt. Es wird deutlich, dass
die einzelnen Ebenen hierachsich organisiert sind. Im Nachfolgenden gehe ich
auf die einzelnen Elemente des Konzeptes detaliert ein.
47
Abb. 3.3: Konsistenztheoretisches Modell des psychischen Geschehens.
(aus Grawe, 2004; S. 189)
Das Bindungsbedürfnis
Das Bindungsbedürfnis kann als das empirisch am besten abgesicherte
Grundbedürfnis angesehen werden. Unter dem Bindungsbedürfnis ist das
Angewiesensein des Menschen auf eine nahe Bezugsperson zu verstehen.
Durch
frühe
kindliche
Beziehungserfahrungen
werden
Bindungsstile
entwickelt.
„Das Kind verinnerlicht seine frühen dyadischen Beziehungserfahrungen. Sie
schlagen sich in seinem impliziten Gedächtnis in Form von Wahrnehmungs-,
Verhaltens-,
emotionalen
Reaktionsbereitschaften
und
motivationalen
Bereitschaften nieder“ (Grawe, 2004; S. 193).
Durch mehere Untersuchungen konnten bei Kindern, die von ihren primären
Bezugspersonen
getrennt
wurden,
vier
immer
wieder
vorkommende
Bindungsmuster festgetsellt werden:
48
1.
Kinder mit sicheren Beziehungsverhalten
Sie reagierten mit Beunruhigung auf eine Trennung mit der Mutter und
suchen
sofort
ihre
Nähe,
wenn
sie
wiederkommt.
Dieses
Bindungsmustergeht mit einem guten Urvertrauen einher und ermöglicht
die Entwicklung konfliktfreier Annäherungsschemata zur Befriedigung
des Bindungsbedürfnisses.
2.
Kinder mit unsicherer Bindung und vermeidenden Beziehungsverhalte
Sie vermeiden nach der Trennung Nähe und Kontakt zur Mutter und
reagieren schon auf die Trennung selbst nicht mit der bei sicher
gebundenen Kindern üblichen Beunruhigung. Bei diesem Bindungsmuster
überwiegen die Vermeidungsschemata die Annäherungsschemata. Das
Individuum setzt sich keinen Verletzungen mehr aus, indem es sich auf
Nähe nicht mehr einlässt. Der Preis dafür ist eine schlechte positive
Befriedigung des Bindungsbedürfnisses.
3.
Kinder mit unsicherer Bindung und ambivalentem Beziehungsverhalten
Diese Kinder sind während der Trennung sehr verängstigt und wechseln
nach Rückkehr der Mutter zwischen einer aggressiven Ablehnung des
Kontaktes und der Suchenach Nähe. Diese Kinder sind nach der Trennung
ganz mit der Beziehung beschäftigt und unfrei für andere Aktivitäten.
Dieses Bindungsmuster ist durch konflikthafte motivationale Schemata
gekennzeichnet. Bei Nähe entstehen Befürchtungen, sie zu verlieren, und
bei fehlender Nähe entsteht Angst vor dem Alleinsein.
4.
Kinder mit unsicherer Bindung und desorganisiert/desorganisiertem
Beziehungsverhalten
Diese Kinder reagieren auf Trennung von und Rückkehr der
Bindungsperson mit bizarren und stereotypen Verhaltensweisen. Dieses
Bindungsmuster kommt wenig häufig vor als die anderen. Es beruht auf
einer schweren Verletzung des Bindungsbedürfnisses durch eine felende
oder missbrauchteBeziehung zu einer primären Bezugsperson mit
schwerwiegenden Folgen für die intrapsychische Regulation.
49
Die Nichtbefriedigung des Bindungsbedürfnisses kann schwerwiegende
Schäden zur Folge haben. Diese machen insbesondere Ergebnisse aus der
Tierforschung deutlich: so zeigen junge sozial lebende Tiere wie Küken oder
Rhesusaffen die man in einer fremden Umgebung alleinlässt, typische Muster
von Reaktionen die zusammenfassend als „Protestreaktion“ beschrieben
werden kann. Diese Reaktionen bestehen aus Klanglauten, die dem Weinen
ähnlich sind, verstärkte motorische Aktivität und wachsames Absuchen der
Umgebung, beschleunigter Herzschlag; gesteigerte Körpertemperatur sowie
Ausschüttung von Stresshormonen. In Untersuchungen bei denen man junge
Tiere über einen längeren Zeitraum von der Mutter getrennt hatte, ging diese
„Protestphase“ in eine „Verzweiflungsreaktion“ über. Diese Reaktion stellt in
vielem das Gegenteil der Protestphase dar: die motorische Aktivität, die
Klagelaute, der Kontakt und das Spielen mit anderenTieren lassen nach. Die
Tiere haben eine schlaffe Körperhaltung, einen traurigen Ausdruck und
nehemn kaum noch etwas zu sich. Es zeigten sich Verhaltensweisen, die an
Hospitalismus erinnern. Zudem ist die „Verzweiflungsreaktion“ durch
verlangsamten, unregelmäßigen Herzschlag, erniedrigte Körpertemperatur,
veringertem Sauerstoffverbrauch, Gewichtsverlust, verringerte REM-Phasen
im Schlaf bei erhötem Aroussl, durch eine verringerte Ausschüttungvon
Wachstumshormonen und eine verschelchterte Immunabwehr gekennzeichnet
In anderen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass eine relativ milde
Störung der Bindungsbeziehung zu einer langfristig erhöhten Stressanfälligkeit
führt (Grawe, 2004).
In mehreren Untersuchungen wurde der Zusammenhang zwischen den
verschiednenen Bindungsmustern und psychischen Störungen bei Erwachsenen
erforscht. Zum Einsatz kam dabei fast immer das Adult Attachment Interview
(AAI). Es handelt sich dabei um ein semistrukturiertes Interview, das die
aktuelle Repräsentation der Bindungserfahrungen in der Vergangenheit und
Gegenwart erfasst. Aus dem AAI resultiert eine Zuordnung in die folgenden
fünf Bindungstypen:
50
1.
Sicher autonome Person ( F)
2.
Unsicher-distazierte Person (Ds)
3.
Unsicher-verstrickte Personen (E)
4.
Personen mit ungelösten Trauma/ungelöster Trauer (U)
5.
Nicht klassifizierbare Person (CC)
In einer Metaanalyse von Dozier, Stovall und Albus (Schauenberg &
Strauß, 2002) wurden klinische Studien hinsichtlich der psychischen
Störungen und der Verteilung der AAI-Bindungstypen analysiert. Die
Ergebnisse sind wie in Abbildung 3.4 dargestellt, eindeutig: der Anteil der
sicher gebundenen Patienten lag bei den meisten Störungen etwas über 10%.
Bei der Mehrheit der Störungen
überwiegt der unsicher-verstrickte
Bindungstyp deutlich den vermeidenden. Sehr deutlich ist dies bei der
Borderline-Störung. Bei der Schizophrenie herrscht allerdings umgekehrt in
einem noch extremen Ausmaß der vermeidende Bindungstyp vor. In der
Untersuchung konnte zudem gezeigt werden, dass sich bei den meisten der
Störungen für 70-90% der Patienten deutliche Hinweise auf schwerwiegende
traumatische Erfahrungen ergeben, wenn sie über ihre Beziehungsgeschichte
erzhählen.
51
Abb. 3.4: Prozentuale Verteilung von AAI-Klassifikationen in unterschiedlichen
Stichproben. (in %; F = sicher; E = verstrickt; Ds = distanziert; BPS =
Borderline-Persänlichkeitsstörung; APS = Antisoziale Persönlichkeitsstörung) (aus Strauß et al., 2002, S. 283).
Das Bedürfnis nach Orientierung & Kontrolle
Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle ist das grundlegenste
Bedürfnis des Menschen. Jeder Mensch entwickelt mit der Zeit ein Modell der
Realität, an dem er seine realen Erfahrungen anpasst. Der Mensch setzt sich
mit seiner Umwelt aktiv auseinander und versucht die Realität hinsichtlich der
Realisierung der jeweils aktualisierten Ziele abzugleichen. Dieser Prozesses
geht mit dem Versuch einher, Konrolle über die Warnehmungen zu erziehlen.
„Die realen Lebenserfahungen gehen notwendigerweise entweder mit der
Erfahrung einher, dass man erreicht, was man jeweils angestrebt hat, oder
dass man es nicht erreicht. Man macht also notwendigerweise positive oder
negative Kontrollerfahrungen. Der Kontrollaspekt ist mit der zielorientierten
Aktivität untrennbar verbunden“ (Grawe, 2004; S. 231).
Positive Kontrollerfahrungen, also Erfahrungen, dass man bestimmte Ziele
durch sein eigenes Verhalten erreichen konnte, führen zu positiven
52
Kontrollüberzeugungen oder zu positiven Selbstwirksamkeitserwartungen. Das
Kontrollbedürfnis bezieht sich demnach auf den Kompetenzaspekt der
psychischen Aktivität.
Wenn eine Person etwas im Sinne ihrer eigenen für wichtig empfundenen Ziele
nicht kontrollieren kann erlebt sie eine schwerwiegende Verletzung des
Bedürfnisses nach Kontrolle. Psychische Störungen, die von den Betroffenden
als unkontrollierbar erlebt werden, stellen daher auch immer eine Verletzung
des Kontrollbedürfnisses dar. Werden die anderen Grundbedürfnisse verletzt,
waren
die
Kontrollmechanismen
nicht
ausreichend
wirksam.
Diese
Verletzungen gehen daher oft mit einer Verletzung des Kontrollbedürfnisses
einher.
Insbesondere in der frühen Kindheit ist das Kontrollbedürfnis stark mit dem
Bindungsbedürfnis gekoppelt, da Kinder versuchen über Bezugspersonen
Kontrolle über Situationen auszuüben. Erst in späteren Jahren differenzieren
sich die Bedürfnisse voneinander.
Der Kontrollaspekt ist insbesondere hinsichtlich der Kontrollierbarkeit von
Inkongruenz die daraus resultierenden Folgen für das psychische Befinden sehr
bedeutsam. Ich werde darauf zu einem späteren Zeitpunkt näher eingehen.
Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung & Selbstwertschutz
Dieses Grundbedürfnis unterscheidet sich in mehrer Hinsicht von den anderen
genannten Bedürfnissen. Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und
Selbstwertschutz ist ein spezifisches menschliches Bedürfnis. Es setzt
Qualitäten wie ein Bewusstsein seiner selbst als Individuum und reflexivem
Denken voraus. Das Selbstbild entwickelt sich in der Interaktion mit andren
Menschen. Dies geschieht insbesondere über die sprachliche Kommunikation.
Bei der Selbstwertregulation handelt es sich um neuronale Regelkreise der
höchsten Stufe der hierachischen Informationsverarbeitung.
Es existieren zur Selbstwertregulation bisher keine neurowissenschaftlichen
53
Forschungsarbeiten. Was bisher zu diesem Thema empirisch fundierte gesagt
werden kann, stammt aus sozialpsychologischen Untersuchungen mit
erwachsenen menschlichen Versuchspersonen.
Für die Entwicklung des Bedürfnisses nach Selbstwerterhöhung und
Selbstwertschutz eine ausreichende Befriedigung des Bindungs- und
Kontrollnedürfnisses von entscheidender Bedeutung. Dies wird an dem
folgenden Beispiel deutlich: ein Kind erlebt eine schlechte oder unzureichende
Bindung zu seiner Mutter. Es kann sein Bindungsbedürfnis nicht ausreichend
befriedigen. In der Denkweise des Kindes gibt es zwei Möglichkeiten: Ich bin
gut und die Mutter ist schlecht oder ich bin schlecht und die Mutter ist gut. Für
ein kleines Kind, das von der Mutter abhängig ist, mag die erste Alternative die
weitaus schlimmere sein. Ein Kind, das von einer „schlechten“ Mutter
abhängig ist, ohne die Hoffnung, das es selbst etwas an der Situation ändern
kann, erlebt Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit, ständige Enttäuschungen, Wut
auf die Mutter und Hoffnungslosigkeit. Die andere Alternative ist aus der Sicht
des Kindes besser: Wenn das Kind das Verhalten der Mutter auf sein eigenes
„schlechtes“ Verhalten attribuiert, geht dies zwar auch mit negativen Geühlen
und dem Gedanken einher, nicht mehr Wert zu sein besser behandelt zu
werden. Es bleibt aber die Hoffnung, die Situation in Zukunft selbst ändern zu
können. Es bleibt ein gewisses Gefühl der Kontrolle.
Ein kleines Kind wird in einer solchen Situation dazu neigen sich schlecht und
wertlos zu fühlen. Wiederholt sich diese Situation immer wieder, baut das Kind
ein stabiles-negatives Selbstbild und Selbstwertgefühl auf.
Menschen, die ein schlechtes Selbstwertgefühlbesitzen, zeigen häufig
Verhaltensweisen, die dieses schlechte Selbstwertgefühl aufrecht erhalten.
Diese Verhaltensweisen können als Resulatat vorwegnehmender und
schützender Vermeidungsstrategien angesehen werden. Ihr Ziel ist es
Schmerzen
zu
vermeiden
und
im
Sinne
des
Kontrollprinzips
das
Kontrollbedürfnis ausreichend zu befriedigen.
54
Selbstwerterhöhendes Verhalten korreliert positiv mit dem Grad der
psychischen Gesundheit. Dies geht sogar über das Maß der real gegebenen
Gegebenheiten hinaus. Gesunde Menschen neigen zu Selbstwertillusionen.
Dagegen nehmen Depressive und Personen mit niedrigem Selbstwertgefühl
positive
und
negative
Aspekte
bei
sich
wahr
und
stimmen
ihre
Selbstbeurteiliung mehr mit der Fremdbeurteilungen überein. Grawe geht
davon aus, dass die fehlende Tendenz zur Selbstwerterhöhung bei Depressiven
mit zur Aufrechterhaltung des depressiven Zustandes beiträgt. Er sieht in ihr
jedoch nicht die Urache der Depression. Vermutlich hängt dies mit der
Überaktivierung des Vermeidungssystems im Gehirn zusammen, dass das
Annäherungssystem aktiv hemmt. Die Selbstwertillusion ist kann daher als ein
Zeichen guter seelischer Gesundheit angesehen werden.
Das Bedürfnis nach Lustgewinn & Unlustvermeidung
Das Grundbedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung ist das dem
Erleben
am
besten
zugängliche
Bedürfnis.
Grundlegend
ist
die
Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt. Er identifiziert und
kategorisiert automatisch sämtliche Erfahrungen hinsichtlich der Qualität „gut“
oder „schlecht“. Wie ein Reiz emotional bewertet wird, hängt nicht von seinen
objektiven Merkmalen sondern von den bisher gemachten Erfahrungen und des
aktuellen Zutands des Individuums ab. Dinge die man gerne macht, die einem
Lust verschaffen gehen mit einem inttinsisch motivierten Zustand einher.
Eine vollkommende Befriedigung dieses Bedürfnisses kann im Sinne der
Konzeption von Csikszentmihalyi als „flow experience“ angesehen werden. Es
ist aus der Sicht der Konsistenztheorie ein Zustand der völligen
Übereinstimmung der gleichzeitig ablaufenden psychischen und physischen
Prozesse. Aktuelle Warnehmungen und Ziele stimmen völlig miteinander
überein. Zudem existiert keine konkurrierende störende Intention.
Die
beschriebenen
Grundbedürfnisse
lassen
sich
nur
schwer
durch
Beobachtungen oder Messungen operationalisieren. Auf der Ebene des
Individuums finden sie ihren Ausdruck in dessen Motivationalen Zielen und
55
Schemata. Sie dienen einer guten Bedürfnisbefriedigung. Der Mensch
entwickelt sie im Laufe seiner Sozialisation. Genetische Bereitschaften und
Präferenzen, kulturelle und geselschaftliche Lebensbedingungen sowie die
konkreten individuellen Sozialisationsbedingungen innerhalb der jeweiligen
Gesellschaft nehmen auf die Entwicklung der individuellen Ziele sowie der zur
Verfügung stehenden Mittel zu ihrer Realisierung Einfluss (Grosse Holforth,
Grawe & Tamcan; 2004).
Annäherungs- & Vermeidungsziele
Annäherungs- und Vermeidungsziele bilden keine Gegenpole, es handelt sich
dabei
vielmehr
um
qualitativ
unterschiedliche
Zieltypen.
Bei
Annäherungszielen geht es darum, die Diskrepanz zu einem positiv besetzten
Ziel zu verringern. Bei Vermeidungszielen wird dagegen versucht, die
Diskrepanz
zu
seinem
negativ
bewerteten
Ziel
zu
vergrößern.
Annäherungsziele sind klar formuliert, gehen mit positiven Emotionen einher,
können mit intrinsischer Motivation verfolgt werden und deren Realisierung
liegt in der Hand des Individuums. Es wird zudem sehr schnell klar, ob man
sich dem Ziel annähernd. Vermeidungsziele sind dagegen breiter gefasst. Sie
benötigen eine verteilte Aufmerksamkeit und ein erhöhtes Maß an Kontrolle.
Vermeidungsziele gehen häufig mit neativen Emotionen einher, da die
Warnehmung darauf ausgerichtet ist, Negatives auszumachen, um es
abzuwehren und vermeiden zu können. Vermeidungsziele sind keine günstigen
Ziele, was eine gute Zielerreichung und gute Bedürfnisbefriedigung angeht.
In mehreren Studien konnte der positive Zusammenhang zwischen
körperlichen
Sypmtomen
und
Vermeidungszielen
festgestellt
werden.
Probanden, bei denen unter den von ihnen frei genannten Zielen mehr
Vermeidungsziele enthalten waren, hatten signifikant mehr körperliche
Symptome wie Kopfschmerzen, Husten, Schnupfen, Kurzatmigkeit, Brustoder Herzschmerzen, Magenschmerzen, Schweindel- und Schwächegefühle
(Grawe, 2004).
Das Team um Grawe entwickelte den „Fragebogen zur Analyse Motivationaler
56
Schemata“ (FAMOS) um die motivationaler Zielkomponenten einer Person zu
erfassen. Auf Grund der durch das Instrument erhobenen Informationen wird
eutlich, welche Ziele für eine Person besonders wichtig bzw. schlimm sind. In
Tabelle 3.3 sind die einzelenen Skalen des FAMOS aufgeführt (Grosse
Holforth & Grawe, 2004).
Tab. 3.3: Skalen des FAMOS (aus Grosse Holforth & Grawe, 2004, S. 13)
Skalen Annäherungsziele
Intimität/Bindung
Geselligkeit
Anderen helfen
Hilfe bekommen
Anerkennung/Wertschätzung
Überlegensein/Imponieren
Autonomie
Leistung
Kontrolle haben
Bildung/Verstehen
Glauben/Sinn
Das Leben auskosten
Selbstvertrauen/Selbstwert
Selbstbelohnung
Skalen Vermeidungsziele
Alleinsein/Trennung
Geringschätzung
Erniedrigung/Blamage
Vorwürfe/Kritik
Abhängigkeit/Autonomieverlust
Spannungen mit anderen
Sich verletzbar machen
Hilflosigkeit/Ohnmacht
Versagen
Zusammenfassende Skalen
Intensität Annäherungsziele
Intensität Vermeidungsziele
Vermeidungsdominaz
Annäherungs- und Vermeidungsschemata
Im Laufe der Lebensspanne eines Menschen bilden sich motivationale
Schemata heraus die als Ordnungsmuster der psychischen Aktivität angesehen
werden können. Sie sind hierachisch Organisiert und dienen der Befriedigung
von Grundbedürfnissen. Analog zu den Zielen, die ein Mensch verfolgt,
können sie in motivationale Annäherungs- und Vermeidungsschemata
differenziert
werden.
Ausschlaggebend
sind
hierfür
die
gemachten
Lebenserfahrungen des Individuums.
„Wächst ein Mensch in einer Umgebung auf, die ganz auf die ganz auf die
Befriedigung seiner Bedürfnisse eingestellt ist, wird er hauptsächlich
annähernde motivationale Ziele entwickeln und erwirbt viel Erfahrung mit
positiver Befriedigung. Dazu gehören entsprechende Erwartungen und ein
differenziertes Verhaltensrepertoire zur Realisierung der Ziele unter
verschiedenen Bedingungen. Wächst ein Mensch dagegenin einer Umgebung
auf, in der seine Grundbedürfnisse immer wieder verletzt, bedroht oder
57
enttäuscht werden, entwickelt er Vermeidungsschemata, um sich vor weiteren
Verletzungen zu schützen“ (Grawe, 2004; S. 188).
Vermeidende Schemata führen zu einer schlechten Bedürfnisbefriedigung,
gehen mit und gehen mit einer ungünstigen psychischen Gesundheit einher
(Grawe, 2004; Fries, 2005).
Nicht nur die Entwicklung der motivationlen Schemata unterliegt dem Einfluss
der menschlichen Umgebung. Auch das menschliche Gehirn verändert sich auf
Grund von Umwelt- und sensorischen Einflüssen, indem sich seine
synaptischen
Verbindungen
umorganisieren.
Dieser
sich
strukturell
Veränderungsprozess
oder
in
findet
ihrer
auch
Effizienz
noch
im
Erwachsenenalter statt (Gauggel, 2006). Auf Grund der gemachten
Erfahrungen werden im Gehirn des Menschen neuronale Kaskaden in Gang
gesetzt. Das Ziel ist eine gute Bedürfnisbefriedigung bzw. Schutz vor
Bedürfnisverletzungen. Wiederholen sich die gemachten Lebensefahrungen,
werden ebenfals die selben neuronalen Erregungsmuster aktiviert. Durch
diesen Lernprozess werden neuronale Strukturen „gebahnt“, die in der Zukunft
in ähnlichen Situattionen leicht aktiviert und abgerufen werden können. Diese
neuronalen
Bahnungen
korrespondieren
mit
der
Entwicklung
von
Annäherungs- und Vermeidungsschemata.
Inkonsistenz psychischen Geschehens
Die Unvereinbarkeit gleichzeitig ablaufender psychischer Prozesse miteinander
wird als Inkonsistenz bezeichnet. Sie kann unterschiedliche Formen haben, die
Grawe wie folgt differenziert:
1. Interferenz zweier oder mehrer psychischer Prozesse
Dies ist der Fall, wenn z. B. zwei unterschiedliche Reaktionstendenzen
ausgelöst
werden,
die
sich
widersprechen.
Man
bekommt
beispielsweise in blauer Schrift das Wort „rot“ dargeboten.
58
2. Kognitive Dissonanzen
Dies beinhaltet, dass zwei Kognitionen füreinander relevant, aber nicht
miteinander vereinbar sind. Eine Frau hat eine starke Ablehnung
gegenüber einer Partei. Sie verliebt sich in einen Mann und erfährt nach
einiger Zeit, dass er dieser Partei angehört.
3. Motivationale Konflikte – Diskordanz
Grundlegend ist, dass es zu Konflikten kommt, da sich der Mensch
zwischen verschiedenen Situationen entscheiden muss. Aus der
klinischen Perspektive haben die motivationalen Konflikte die größte
Relevanz, bei
denen
Annäherungs- und
Vermeidungsschemata
gleichzeitig aktiviert sind.
4. Inkongruenz motivationaler Ziele
Inkongruenz bezeichnet den Zustand, indem die motivationalen Ziele
und der realen Wahrnehmungen stark auseinander gehen und somit die
Bedürfnisse der Person nicht ausreichend befriedigt werden.
Hohe Diskordanz und Interferenz psychischer Prozesse führen unmittelbar zu
Inkongruenz, da durch sie die Grundbedürfnisse nicht gut befriedigt werden
können (Grosse Holforth & Grawe, 2004). Grawe misst insbesondere der
Inkongruenz einer großen Bedeutung bei der Entstehung von psychischen
Erkrankungen zu. Inkongruenz steht mit einer Vielzahl von Lebensbereichen in
einem direkten oder indirektem Zusammenhang. Dies wird in Abbildung 3.5
deutlich.
„Inkongruenz kann sehr unterschiedliche Gründe haben, z. B. allgemein
ungünstige Lebensbedingungen wie finanzielle Probleme, keine Arbeit oder
schlechte Bildung, oder z. B. Defizite, mangelnde individuelle Ressourcen.
Diskordanz meint gleichzeitig unvereinbare motivationale Tendenzen, also
innere Konflikte, z. B. der Wunsch nach etwas, z. B. Nähe, aber Angst vor
Zurückweisung, oder zwei verschiedene Wünsche, die sich gleichzeitig nicht
59
verwirklichen lassen, z. B. der Wunsch, Karriere zu machen und gleichzeitig
der Wunsch, viel Zeit für die Familie zu haben.“ (Heiniger Haldimann, 2007).
Abb. 3.5: Das Inkongruenzniveau im psychischen Geschehen.
(aus Grawe, 2004, S. 347).
Einer großen Bedeutung wird der Kontrollierbarkeit von Inkongruenz
eingeräumt. XXX Bezug zu Seite 28 herstellen!
Entstehung psychischer Erkrankungen
„Bei der Frage der lebensgeschichtlichen Entstehung psychischer Störungen
kann die Entstehung von Vulnerabilitäten demnach als Zusammenspiel von
genetischen Voraussetzungen und bedürfnisverletzenden Lebenserfahrungen,
die zu unkontrollierbarer Inkongruenz führen, betrachtet werden.“ (Heiniger
Haldimann, 2007)
Psychische Erkrankungen enstehen demnach im Sinne des Vulerabilitäts-
60
Stress-Modells. Vulerabilität in Kombination mit Stress führt zu einer Störung,
wobei Stress als Inkonsistenz verstanden werden kann. Vulnerabilität oder
Diathese meint eine erhöhte Anfälligkeit für psychische Erkrankungen. Diese
können, wie in Abbildung 3.6 zu sehen ist, in der Person liegen
(Intraindividuell) oder durch die soziale Umwelt begünstigt werden (Wittchen
& Hoyer, 2006).
Abb. 3.6: Vulnerabilitäts-Stress-Modell psychischer Störungen.
(aus Wittchen & Hoyer, 2006, S. 20).
Die Forschergruppe um Klaus Grawe hat in mehreren Untersuchungen den
Zusammenhang zwischen motivationalen Ziele, Inkongruenzniveau und
psychischen Befinden untersucht (Grosse Holforth, Grawe & Tamcan, 2003;
Grawe, 2004). Die Ergebnisse sind eindeutig: In einer Stichprobe von 283
Psychotherapiepatienten konnte eine Korrelation zwischen Inkongruenz und
dem Wohlbefinden von -.78 ermittelt werden. Bei einer gemischten Stichprobe
(n = über 1000) von Personen verschiedener klinischer Gruppen und
Normalpersonen lag die Korrelation sogar bei -.87. Das Wohlbefinden hängt
demnach sehr deutlich davon ab, inwieweit es jemanden gelingt seine
motivationalen
Ziele
Annäherungsinkongruenz
zu
lag
realisieren.
dabei
noch
Die
Korrelation
etwas
höher
als
für
für
die
die
61
Vermeidungsinkongruenz (-.77 gegenüber -.63). Das psychische Wohlergehen
eines Menschen ist also noch mehr davon abhängig, wie gut es ihm gelingt
seine Annäherungsziele zu realisieren, als wie gut es ihm gelingt negative
Situationen zu vermeiden.
XXX
Konsistenzsicherungsmechanismen
sind
Awehrmechanismen,
Coping,
Emotionsregulation etc. S. 191
3.3.2 Konsequenzen für die Behandlung Opiatabhängiger
Grawe entwickelte auf Grund der Konsistesnztheorie psychischen Geschehens
die
Psychologische
Therapie,
ein
Therapieschulen
übergreifendes
Therapiekonzept (Grawe, 1998 & 2004). Im weiteren Verlauf werde ich darauf
näher eingehen und sich daraus ableitende Konsequenzen für die Behandlung
Opiatabhängiger benennen.
Grawe beschreibt den Ansatz seines Behandlungskonzeptes wie folgt:
„Ich bezeichne das als Inkonsistenzbehandlung, als eine Verbesserung der
Bedürfnisbefriedigung. Man muss sich die fragen: Was hat denn diesen
Menschen
so
verletzlich
gemacht,
dass
es
zu
dieser
schlechten
Bedürfnisbefriedigungssituation gekommen ist, die man auch als Stress
bezeichnen
könnte.
Das
kann
z. B.
eine
schlechte
Emotions-
und
Stressregulation sein, also eine Bereitschaft, auf Belastungen sehr leicht und
schnell mit negativen Emotionen zu reagieren, verbunden mit der
Schwierigkeit, sie wieder herunterzuregulieren“ (Grawe, 2005a).
Auf Grund dieses Ansatzes postuliert Grawe drei Komponenten auf die sich
die Psychotherapie integriert ausrichten sollte:
1. die Symptomatik oder Störung mit ihrer Eigendynamik,
62
2. die unmittelbate Entstehungsbedingungen der Symptomatik, also der
Inkonsistenz erzeugende Lebenskontext, indem sich die Störungen
entwickelt haben und
3. den Ansatz an den Ursachen für Verletzlichkeiten, unsicheren
Bindungsmuster, schlechte Emotionsregulation, schlechte Kontroll- und
Kompetenzerwartungen etc.
Es stellt sich die Frage, was das für die Behandlung Opiatabhängiger bedeutet.
In diesen drei Komponenten spiegeln sich die drei Faktoren Droge, Person und
Umwelt des bereits erwähnten Trias-Konzeptes von Kielholz und Ladewig
wieder. In der Behandlung Opiatabhängiger müssen diese Bestandteile
integriert werden: Die Störung mit ihrer Eigendynamik beinhaltet die Effekte
der Droge, auftretende Entzugssymptome, neurobiologische Effekte des
Substanzkonsums und vieles mehr. Die unmittelbaren Enstehungsbedingungen
der Symptomatik beinhalten unter anderem die soziale Umwelt, die familiäre
Situation sowie dem Milieu in dem die Abhängigkeit ensteht. Zudem
beinhalten
sie
die
aktuelle
Lebenssituation
(Arbeitssituation,
Schuldensituation, juristische Situation etc.) des Betroffenen. Zudem müssen in
der Behandlung individuelle personelle Faktoren wie z. B. dysfunktionale
Kognitionen, unsichere Bindungsmuster, schlechte Emotionsregulation sowie
schelchte kompetenz- und Kontrollerwartungen berücksichtigt und in die
Behandlung integriert werden. Es wird deutlich, dass die Behandlung
Opiatabhängiger sehr vielschichtig ist und einer Mehrperspektivität bedarf.
In seinem Therapiekonzept formuliert Grawe (2005) die Notwendigkeit dieser
Mehrpespektivität des Therapeuten als Grundlage für eine erfolgreiche
Psychotherapie:
Die Störungsperspektive
Es exestieren störungsspezifische Interventionen, die bereits gut evaluiert und
wirksam sind. Ein Therapeut sollte sich dieser Maßnahmen bedienen.
63
Die interpersonale Perspektive
Die interpersonale Perspektive bezieht sich zum einen auf die TherapeutenPatienten-Beziehung. Andereseits bezieht sie sich auch auf das Eingebettet sein
des Patienten in sein interpersonales Umfeld. Die Bedeutung von sozialen
Netzwerken kommt hier zum tragen.
Die motivationale Perspektive
Es stellt sich die Frage, wozu der Patient bereit ist. Wie sieht seine
Veränderungsmotivation
aus?
In
welcher
Phase
des
therapeutsichen
Geschehens befindet er sich? Zudem sollte berücksichtigt werden inwiefern
und welche motivationalen Konflikten der Patient hat. Der Fokus liegt in der
motivationalen Konsistenz des psychischen Geschehens.
Die entwicklungsgeschichtliche Perspektive
Die Frage nach der Entsehung der Störung beschäftigt viele Patienten. Wie ist
es dazu gekommen? Sie wollen wissen wo sie stehen und sich einordnen
können. Die Klärung dieser Frage ist für die Behandlung der Störung hilfreich,
da der Patient ein eigenes Krankheitskonzept entwickeln und sie angehen kann.
Die Ressourcenperspektive
Der Patient soll nicht alleine auf seine Probleme und Defizite reduziert werden.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass seine Fähigkeiten und Kompetenzen
im Therapieprozess berücksichtigt werden. Dies beinhaltet auch seine
Wünsche, was er erreichen möchte und zu was er motivational bereit ist
(Gassmann & Grawe, 2009).
Das Ziel der psychotherapeutischen Behandlung ist, wie erwähnt, eine
Verbesserung der Konsistenz psychischer Prozesse. Grawe sieht die größten
Möglichkeiten der Konsistenzverbesserung in der Realisierung der folgenden
drei Ansätze:
Konsistenzverbesserung durch störungsorientierte Behandlung
64
Psychische Erkrankungen stellen an sich eine zusätzliche Inkonsistenzquelle
dar. Sie behindern die Realisierung motivationelr Ziele und stellen eine
Verletzung der Grundbedürfnisse dar. Durch eine störungsorientierte
Behandlung kann eine Störung reduziert werden. Gelingt dies, wird eine
verbesserte Konsistenz im psychischen Geschehen realisiert. Zudem können
motivationale Ziele können besser erreicht werden. Grawe (2004) konnte
empirisch eine Korrelation zwischen der Abnahme psychophatologischer
Symptome und der Abnahme der Inkongruenz von .64 ermitteln. Er misst dem
positiven Effekt einer gelungenen störungsorientierten Behandlung eine große
Bedeutung zu. Durch ihn werden weitere Rückkopplungsprozesse ausgelöst,
die sich in einer Verringerung von Vermeidungszielen, verbesserter
Kompetenzerwartung und Coping-Verhalten sowie einer besseren Nutzung von
Ressourcen führt. Interpersonale Konfikte sollten demnach schwächer werden.
Konsistenzverbesserung durch positive Erfahrungen im Therapieprozess
Insbesondere zu Beginn der Behandlung erleben Patientienten auf Grund ihrer
Störung Kontrollverlust. Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle sind
aktiviert. Hier sollte der Therapeut durch sein Vorgehen klar und transparent
gestalten. Er kann ein plausibles Verständnis der Störung vermitteln und dem
Patienten erklären, was er selber tun kann, damit es ihm besser geht. Der
Therapeut sollte hierbei auf die Erfahrungen, Anregungen und Vorschläge des
Patienten eingehen und diese Berücksichtigen. Der Patient sollte die Erfahrung
machen, zwischen verschiedenen Möglichkeiten selber wählen zu können.
Erlebt er zudem, dass er einzelne Aufgaben im Rahmen der Behandlung gut
umsetzen kann wird sein Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle befriedigt.
Der Therapeut sollte bei seinem Vorgehen die Fähigkeiten des Patienten als
Ressource nutzen und positiv herausstellen. Dieses ressourcenaktivierende
Vorgehen wirkt sich positiv auf den Therapieerfolg aus.
Im Rahmen der Behandlung können z. B. Techniken wie die Hypnose,
Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson und Autogenes Training
eingesetzt werden, um bei dem Patienten positive Zustände hervor zu rufen.
65
Macht der Patient in der Zusammenarbeit mit dem Therapeuten viele solcher
positiven Erfahrungen, findet ein motivationales Priming statt. Dies beinhaltet,
dass das Annäherungssystem durch emotional positive Erfahrungen aktiviert
und vorgebahnt wird. Es besteht die tendenz zu posiziven emotionen und zu
annähernden Verhalten. Negative Emotionen und Vermeidungsreaktionen
werden dagegen abgeschwächt. Durch diese Erfahrungen wird der Patient
offener für therapeutische Interventionen. Offenheit des Patienten ist nach
Grawe (2004) einer der wichtigsten
Therapieerfolg.
Abbildung
3.7
Prädiktoren für einen guten
macht
die
funktionale
Rolle
von
bedürfnisbefriedigenden Erfahrungen im Therapieprozess deutlich.
Ressourcenaktivierung
und maßgeschneiderte
Beziehungsgestaltung
Störungs- und
problemspezifische
Intervention
Positive Erfahrungen
für das Bindungs-,
Kontroll-, Selbstwertund Lustbedürfnis
Annäherungspriming,
Aktivierung des
Annäherungsmodus
Abnahme von
Ingongruenz
Bahnung neuer
neuronaler
Erregungsmuster, die
das Problemverhalten
hemmen oder ersetzen
Verringerung der
Symptome und
Probleme
Verbessertes
Wohlbefinden
Abb. 3.7: Funktionale
Rolle
bedürfnsbefriedigender
Erfahrungen
im
Therapieprozess. (aus Grawe, 2004, S. 408).
66
Psychische Erkrankungen, insbesondere die Suchterkrankung, sind oftmals mit
einem negativen Selbstwertgefühl der Betroffenden verbunden. Sie erleben
ihre Erkrankung als persönliches Versagen. Gerde deswegen sind die Patienten
für selbstwerterhöhende Erfahrungen empfänglich. Der Therapeut sollte dies
berücksichtigen und die Stärken und Ressourcen des Patienten wahrnehmen,
diese widerspiegeln und ihm selbstwerterhöhende Erfahrungen ermöglichen.
Konsistenzverbesserung durch Behandlung individueller Inkongruenzquellen
Psychische Störungen sind das Resultat von zu hoher Inkongruenz im
psychischen Geschehen und tragen selber wieder zu einer Erhöhung des
Inkongruenzniveaus bei. Sie wären aber ohne eine Inkongruenzquelle nicht
entsanden. Im Rahmen einer Therapie sollte daher eine Inkongruenzanalyse
durchgeführt werden um zum einen festzustellen ob überhaubt ein erhöhtes
Inkongruenzniveau vorliegt und worin gegebenenfalls die Inkongruenzquelle
liegt. Ursachen erhöhter Inkongruenz sind nach Grawe:
1. Ungünstige gegenwärtige Lebensbedingungen
wie Armut, Arbeitslosigkeit, schlechte soziale Umgebung, geringe
Unterstützungsmöglichkeiten,
Krankheiten
und
körperliche
Beeinträchtigungen,
2. Ungünstige Beziehungen in denen der Patient gegenwärtig lebt,
3. Ungünstiges Beziehungsverhalten des Patienten,
4. Ungünstige Konsistenzsicherungsmechanismen,
5. Ungünstige Kognitionen,
6. Übermäßig ausgeprägte Vermeidungsschemata.
Berücksichtigt man bei der Betrachtung dieser Aufzählung die Lebenssituation
von Drogenabhängigen, wird sehr schnell klar, dass sie sich in Situationen
erhöhter Inkongruenz befinden die durch sehr viele und unterschiedliche
Quellen gespeisst wird. Die Behandlung sollte sich insgesamt auf eine
Verringerung von Inkongruenz ausrichten.
67
Die Wirksamkeit einer psychotherapeutischen Behandlung schreibt Grawe
nicht Therapieschulen und einzelnen Therapiemethoden sondern allgemein
formulierten therapeutischen Wirkfaktoren zu (Grawe, 2005b). Sein Team hat
im Rahmen von Metaanalysen fünf Wirkfaktoren kenntlich gemacht die als
gemeinsame Merkmale in erfolgreichen Therapieen zum tragen kamen.
1. Wirkfaktor Ressourcenaktivierung
Das Nutzen der Fähigkeiten des Patienten als Ressource, insbesondere
seiner motivationalen Bereitschaften für die Therapie. Einen guten
Überblick bietet hierzu das von Flückiger und Wüsten (2009)
entwickelte Manual zur Ressourcenaktivierung.
2. Wirkfaktor Problemaktualisierung
Probleme, die im Rahmen der Behandlung bearbeitet werden sollen
unmittelbar Erfahrbar gemacht werden. Dies kann durch Aufsuchen von
speziellen Orten erfolgen, durch Rollenspiele oder die Einbindung von
wichtigen Bezugspersonen.
3. Wirkfaktor Problembewältigung
Im Rahmen der Behandlung erlebt der Patient eine direkte
Unterstützung bei der aktiven Bewältigung seiner Probleme.
4. Wirkfaktor motivationale Klärung
Der Patient erhält ein klareres Bild von seinen Problemen. Ihm werden
die Zusammenhänge und Bestandteile seines problematischen Erlebens
und Verhaltens bewusst.
5. Wirkfaktor Therapiebeziehung
Eine vom Patienten erlebte positive Beziehung zu seinem Therapeuten
wirkt sich signifikant positiv auf das Therapieergebnis aus.
Es wird deutlich, dass es sich bei der Psychologischen Therapie um ein
therapieschulen und störungsunabhängiges Globalkonzept handelt. Grawe
68
erfasst den Patienten in seiner aktuellen und entwicklungsgeschichtlichen
Situation durch mehrere Perspektiven. Auf diesem Hintergrund ist ein
ganzheitliches Therapiekonzept entstanden, das mehrere parallel ablaufender
Behandlungsstrategieen und Ansätze beinhaltet. Abbildung 3.7 stellt das
Therpiekonzept in einer Übersicht dar.
Therapeut
Patient
Setting
Institution
Soziales Umfeld
Lebensbedingungen
Interaktion
Ausrichtung der Therapie auf die drei
Komponenten:
Symptomatik mit ihrer Eigendynamik
Entstehungsbedingungen der
Symptomatik/Lebenskontext
Ansatz für die Ursachen von interpersonellen
Problemen
Wahrnehmung des Patienten in fünf Perspektiven:
Störungsperspektive
Interpersonale Perspektive
Motivationale Perspektive
Entwicklungsgeschichtliche Perspektive
Ressourcenperspektive
Konsistenzverbesserung durch drei Ansätze:
Konsistenzverbesserung durch störungsorientierte Behandlung
Konsistenzverbesserung durch Erfahrungen im Therapieprozess
Konsistenzverbesserung durch Behandlung individueller
Inkonsistenquellen
Therapeutischen Wirkprinzipien:
Ressourcenaktivierung
Problemaktualisierung
Problembewältigung
Motivationale Klärung
Therapeutische Beziehung
Ziel der Therapie: Konsistenzverbesserung
Abb. 3.8:
Schematische Darstellung der Psychologischen Therapie nach
Grawe.
69
Was bedeutet dies für die Behandlung Opiatabhängiger?
Auch wenn dieses therapeutische Konzept nicht expliziet für die Behandlung
Suchterkranker erstellt wurde kann es als Grundlage für diese angesehen
werden. Wie bereits beschrieben, leben Opiatabhängige in hoch belasteten
inkongruenzauslösenden Lebenssituationen. Da diese Problemlagen sehr
vielfältig und komplex sind, sollte sich die Behandlung integrativ verschiedene
Maßnahmen beinhalten um möglichst eine gute Konsistenzverbesserung zu
erziehlen. Dies macht multiprofessionelles Handeln notwendig. Auf Grund der
oftmals bereits langen Krankheitsdauer und der damit manifestierten
Problemlage ist eine intensive und kontinuierliche Behandlung notwendig. Die
Konfrontation mit den hochbelasteten Lebenssituation des Opiatabhängigen hat
für den Therapeuten oft zur Folge das seine Warnhemung sich auf die
Probleme fokussiert. Die Fähigkeiten und Ressourcen des Patienten werden in
einer leicht übersehen und nicht wahrgenommen.
Aktuelle
Problemlagen
wie
Wohnungslosigkeit,
Schulden,
juristsiche
Schwierigkeiten oder akut auftretende Entzugsymptome stellen massive
Inkongruenzquellen dar und behindern die psychotherapeutische Behandlung
massiv. Daher sollten im Rahmen einer integrativen Behandlung diese
Bereiche „abgesichert“ werden um in einem nächsten Schritt weitere
Inkonsitenzquellen anzugehen.
Des weiteren sollte das soziale Umfeld des Drogenabhängigen in die
Behandlung integriert werden. Sie haben im Sinne der Sozialen Unterszützung
eine wichtige Funktion innerhalb des Krankheitsprozesses.
70
Wirksamkeit von psychiatrischer Behandlung unter Substitution:
Aus: Comorbid mental disorders and substance use disorders: epidemiology,
prevention and treatment S. 105/106 als PDF im Ordner Komorbdiatät
Medications for opiate dependence
Depressive and anxiety disorders are common in people with narcotic dependence
who are treated with methadone maintenance (Mason et al., 1998).Woody and
colleagues (1987; 1984) randomly assigned 110 male war veterans enrolled in a low
dose methadone maintenance program to one of three conditions:
supportiveexpressive psychotherapy (SE) plus drug counselling (DC); CBT plus DC;
and DC alone. Therapy sessions were scheduled weekly for six months.
Significantimprovements were found at seven months for low psychiatric severity (as
measuredby the ASI) patients in all three groups and the addition of SE or CBT
offered noadvantage. However, in the patients with medium and high psychiatric
severity, there were clear benefits of psychotherapy on numerous measures.Woody
and colleagues recommended that psychotherapy can be beneficial to patients
enrolled in methadone maintenance programs with severe psychiatric symptoms.
Some cases of psychotic episodes during methadone tapering have been reported
(Levinson, Galynker, & Rosenthal, 1995), suggesting increased monitoring for
exacerbations may be required in comorbid schizophrenia or other psychoses during
withdrawal. Methadone may also alter neuroleptic requirements in schizophrenia
(McKenna,1982;Verebey,Volavka, & Clouet, 1978).
71
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