FH-NEWS Information zur Pressekonferenz mit Dr. Eva Maria BAUR Oberärztin, Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie Innsbruck Dr. Hubert EGGER Professor, Department für Medizintechnik – FH Oberösterreich, Linz Wolfgang RANGGER Diplompädagoge, Prothesenpatient am 8. Juni 2015 um 10:00 Uhr zum Thema Erste fühlende Beinprothese zeigt unter Laborbedingungen positive Studienergebnisse Weiterer Gesprächsteilnehmer: FH-Prof. DI Dr. Martin ZAUNER MSc, Leiter des Departments für Medizintechnik der FH Oberösterreich, Linz Rückfragehinweise: Dr. Hubert Egger, Department für Medizintechnik, Fakultät für Gesundheit und Soziales Linz der FH Oberösterreich, +43(0)50804-52191, [email protected] OÄ Dr. Eva-Maria Baur, Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie Innsbruck; +43(0)512-504-80905, [email protected] Dr. Andreas Berndt MA, Marketing/Öffentlichkeitsarbeit, Fakultät für Gesundheit und Soziales Linz der FH OÖ, 0043/(0)50804-54010, [email protected] Erste fühlende Beinprothese zeigt unter Laborbedingungen positive Studienergebnisse Gemeinsam mit seinem Team entwickelte der Prothetik-Experte Dr. Hubert Egger bei einem Prothetik-Konzern die erste fühlende Armprothese, welche durch die Gedanken des Patienten gesteuert werden kann. Diese von den Medien verbreitete Weltneuheit erfährt nun ihre Fortsetzung. Der seit 2012 an der Fakultät für Gesundheit und Soziales der FH Oberösterreich tätige Professor für Prothetik und die Universitätsklinik Innsbruck stellen mit einem aus Oberösterreich stammenden Patienten das Studienergebnis mit der ersten fühlenden Beinprothese vor. Das Forschungsprojekt „Gedankengesteuerte und fühlende Armprothese“ hat eine alltagstaugliche High-Tech-Armprothese hervorgebracht, die in den USA im Jahr 2014 die Zulassung der FDA (Food and Drug Administration) erhielt. Einzelne Menschen, vor allem mit schwersten körperlichen Beeinträchtigungen, konnten bisher mit dieser Technologie prothetisch versorgt und weitgehend selbständig und unabhängig von fremder Hilfe werden. Der seit 2012 am Department für Medizinische Technologien der FH Oberösterreich in Linz tätige Professor für Prothetik, Hubert Egger, hat die Forschung nun auch auf die Beinprothetik ausgedehnt und sich zum Ziel gesetzt, die Prothetik-Technologie einem möglichst breiten Patientenkreis leistbar zugänglich zu machen. Verbindung von Mensch zu Beinprothese Wolfgang R. (54), Diplompädagoge aus Oberösterreich, wurde im Jahr 2007 beinamputiert. Trotz einer Standard-Prothesenversorgung war der Familienvater weitgehend immobil und litt unter enormen Schmerzen im Amputationsstumpf. Im Jahr 2013 wurde der Patient in das Forschungsprojekt Fühlende Beinprothese der FH Oberösterreich aufgenommen. Im Oktober 2014 wurde im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs an der Universitätsklinik für Plastische-, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie in Innsbruck, einem Oberösterreich, ein selektiver Nerventransfer Kooperationspartner der FH - Targeted Sensory Reinnervation (TSR) - durchgeführt. Zusätzlich war die Indikation für die Operation möglichst schmerzhafte Nervennarben (Neurom) durch die Umleitung der Nerven positiv zu beeinflussen. Im Vordergrund der erstmals durchgeführten chirurgischen Umleitung sensorischer Nervenenden im Beinbereich stand diesmal die Verbindung von Mensch zu Beinprothese: die Reaktivierung von Nervenenden als Überträger sensorischer Informationen von künstlichen Sensoren aus einer neuartigen fühlenden Fußprothese. Neues Lebensgefühl – wieder mobil und von Schmerzen befreit Aufgrund der neuronalen Verbindung der fühlenden Fußprothese mit ausgewählten sensorischen Fußnerven fühlt der Prothesenträger an der Fußprothese - er erkennt die Beschaffenheit des Bodens sowie Hindernisse besser. Damit wird nicht nur die Sturzgefahr beim Gehen reduziert: der wiederhergestellte Informationstransfer trägt auch zur natürlicheren Integration der Prothese in das Körperbild des Patienten bei. Zusätzlich hat inzwischen die Nervenumleitung zum gänzlichen Verschwinden der Schmerzen geführt. Eine Schmerzbehandlung ist nicht mehr notwendig. FH Oberösterreich Die FH Oberösterreich ist die nach Studierenden, Studiengängen und insbesondere nach der Forschungsleistung größte Fachhochschule in Österreich und umfasst vier Fakultäten in Linz, Wels, Steyr und Hagenberg. Im Jahr 2014 standen 342 Projekte in der Angewandten Forschung und ein dadurch erreichter F & E-Umsatz von 13,8 Mio. Euro zu Buche. Dieser Wert bedeutet sowohl eine Position als klare Nummer 1 in Österreich als auch eine führende Rolle unter den Fachhochschulen im gesamten deutschsprachigen Raum. Das Department für Medizintechnik ist an der Linzer Fakultät der FH Oberösterreich angesiedelt. Studierende werden in einem Bachelor- sowie einem englischsprachigen Masterstudiengang ausgebildet. Die Forschungsschwerpunkte sind Medizinische Simulationssysteme, Prothetik, Rehabilitationstechnik + Bewegungsmessung, Medizinische Mikroskopie und Biomedizinische Life Sciences. Medizinische Universität Innsbruck - TILAK Im Rahmen des Universitätsgesetzes 2002 wurde die ehemalige Medizinische Fakultät aus der Leopold-Franzens-Universität herausgelöst und als Medizinische Universität Innsbruck zu einer eigenen Universität erhoben. Die Med-Uni ist heute mit rund 3.000 Studierenden und etwa 1.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die bedeutendste medizinische Forschungs- und Bildungseinrichtung in Westösterreich. Zu den zentralen Aufgaben der Medizinischen Universität Innsbruck zählen Lehre und Ausbildung auf höchstem Standard, Forschung auf internationalem Niveau und die kontinuierliche Verbesserung von Spitzenmedizin. Die Organisationseinheiten der Med-Uni gliedern sich in einen medizinisch theoretischen Bereich, einen klinischen Bereich und in weitere (Service-) Einrichtungen. Die Kliniken sind am Tiroler Landeskrankenhaus angesiedelt, das gleichzeitig als Klinik der Medizinischen Universität Innsbruck fungiert. Der Funktionsbereich Forschung an der Univ.-Klinik für Plastische-, Rekonstruktiveund Ästhetische Chirurgie besteht aus sechs Forschungsgruppen, welche sich mit aktuellen Forschungsfragen auseinandersetzen. OÄ Dr. Eva Maria BAUR OA Dr. Thomas BAUER Univ.-Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie Innsbruck Targeted Sensory Reinnervation Die Verbindung zwischen Mensch und Beinprothese Mit Targeted Sensory Reinnervation kann eine neuronale Verbindung zwischen einer Prothese und dem sensorische Nervensystem hergestellt werden. Damit empfindet der Anwender die Prothese nicht mehr als gefühllose Gliedmaße sondern als Teil seines Körpers. Über motorischen Nervenbahnen werden einerseits Informationen von der "Schaltzentrale" Gehirn zum Körper geleitet, andererseits leiten sensorische Nervenbahnen Informationen vom Körper zum Gehirn. Der somatische Anteil des sensorischen Nervensystems nimmt Informationen, wie zum Beispiel Berührungen, Temperaturempfindungen oder Schmerzreize, von der Umwelt auf und leitet sie an das Gehirn, den Ort der bewussten Wahrnehmung, weiter. Bei Menschen mit Gliedmaßen-Amputationen sind somatosensorische Nerven abgetrennt. Obwohl die im Körper verbleibenden Nervenreste intakt sind, nehmen sie keine Informationen mehr auf. Am Nervenende bildet sich eine häufig schmerzhafte Nervennarbe (Neurom). Innerhalb der kortikalen Repräsentanz des betroffenen Gliedes kommt es durch das Fehlen der sensorischen Information zu einer Art Überkompensation mit im Gehirn autonom generierten Signalen, die zu Phantomschmerzen führen können. Bei der Targeted Sensory Reinnervation (TSR) werden abgetrennte, sensorische Nervenreste chirurgisch so in Hautareale des Amputationsstumpfes geleitet, dass diese Verbindungen mit Rezeptoren (biologische Reizaufnehmer) herstellen. Im konkreten Fall erregen sechs an der Hautoberfläche platzierte Stimulatoren (künstliche Reizgeber) die Rezeptoren gemäß dem Muster der momentanen Druckverteilung an der Sohle der Fußprothese. Die auf diese Weise in den Nervenden erzeugten elektrischen Signale (Aktionspotentiale) werden wie bei einem natürlichen Fuß zum Gehirn geleitet. Sie stellen reale Informationen des Fußes dar, die nicht mehr von autonom generierten Signalen kompensiert werden müssen. Wolfgang RANGGER Diplompädagoge, Prothesenpatient Neues Lebensgefühl Frei von Schmerzen und wieder mobil Diplompädagoge litt seit seiner Beinamputation im Jahr 2007 unter enormen Phantomschmerzen. Eine Studie mit einer fühlenden Beinprothese hat zu Schmerzfreiheit und weitgehender Mobilität geführt. Von der neuartigen Versorgungstechnik könnten in Zukunft mehr Menschen profitieren. Der Diplompädagoge aus Oberösterreich, Wolfgang Rangger (54) erlitt 2007 einen Schlaganfall. Aufgrund einer Thrombose im Vorfuß musste dem Patienten sein rechtes Bein knapp unterhalb des Kniegelenkes amputiert werden. Nach einer Standard-Prothesenversorgung folgten intensive Therapien in verschiedenen Rehakliniken. „Am schlimmsten waren die Schmerzen und die zunehmende Hoffnungslosigkeit“, schildert der Patient seine damalige Lebenssituation, die von enormen Schlafstörungen – nur ca. 2-3 Stunden Schlaf täglich - geprägt war. Zur Schmerztherapie wurden dem Patienten zuletzt täglich intravenös Opiate verabreicht. Die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit war nicht mehr möglich. „Jetzt bin ich wieder mobil und komme ganz ohne Schmerztherapie aus. Ich kann wieder nahezu alles machen. Mein nächstes Ziel ist es, wieder eine Arbeit zu finden“, schildert der 54-jährige seine Situation heute. Die fühlende Beinprothese versorgt das Gehirn des Patienten wie ein gesunder Fuß mit Sensorinformationen von der Fußsohle: so etwa spürt der Patient besser, ob ein Boden eben, uneben und geneigt ist und ob er auf ein Hindernis tritt. Damit wird nicht nur die Sturzgefahr beim Gehen reduziert: der wiederhergestellte Informationstransfer trägt aufgrund der natürlichen Empfindung zur Integration der Prothese in das Körperbild des Patienten bei und hat so zum Verschwinden der Schmerzen geführt. Dr. Hubert EGGER Professor am Department für Medizintechnik der FH Oberösterreich, Linz Fühlende Beinprothese Mehr Sicherheit beim Gehen Eine Fußprothese stellt wie ein gesunder Fuß den unmittelbaren Kontakt zum Boden her. Merkmale, wie etwa die Federung, die Dämpfung, die Freiheitsgrade oder die Steuerung der Gelenksachsen zum raschen Ausgleich von Bodenunebenheiten sind maßgeblich verantwortlich für das Gangbild, die Gangsicherheit und damit den langfristigen Rehabilitationserfolg. Der mikroprozessorgesteuerte High-Tech Prothesenfuß „élan“ von Endolite / Blatchford ist mit seinem autoadaptiven Gelenk der Natur eines gesunden Fußes sehr nahe und wurde im Rahmen des gegenständlichen Forschungsprojektes mit zusätzlicher Sensorik für die Fühlfunktion ausgestattet. Die viskoelastische Eigenschaft des Gelenks bewirkt, dass einerseits Energie absorbiert wird und dadurch für den Patienten belastende Stöße abgeschwächt werden (viskoser Anteil), andererseits die Prothese während der Schwungphase in ihre voreingestellte Fußstreckung übergeführt wird (elastischer Anteil). Die abgeschwächten Druckspitzen schonen die gesamte Gelenkkette des Patienten sowie seinen Stumpf, vor allem bei geringer Weichteildeckung. Die typischen Schaftprobleme werden somit signifikant herabgesetzt. Die Fußstreckung während der Schwungphase schafft mehr Bodenfreiheit und reduziert damit die Stolper- und Sturzgefahr. Die dem gesunden Fuß nachgebildete anatomische Wölbung der Karbonsole wirkt aufgrund ihrer vordergründig elastischen Eigenschaften als Feder. Ein Teil der von den Bodenreaktionskräften zugeführten Energie wird als potentielle Energie zwischengespeichert und bei der Standphasenausleitung in Bewegungsenergie umgewandelt. Der dabei entstehende mechanische Impuls unterstützt, wie beim gesunden Fuß, den Zehenabstoß und führt zu einem energieeffizienten, weitgehend natürlichen Gangbild. Weist der ebene Boden Störungen auf, wie zum Beispiel bei der Kante eines Gehsteiges oder Hindernissen, leitet der Mikroprozessor Ausgleichsbewegungen ein Visionen Arm- und Beinprothesen müssen für alle zugänglich sein Der Standard in der Prothesenversorgung von Menschen mit Amputationen hinkt im Vergleich zu anderen Lebensbereichen hinterher. Nur wenige Menschen können sich eine High-Tech-Versorgung leisten. In Schwellenländern und Entwicklungsländern findet man noch immer Menschen mit Amputationen, darunter Kinder, die unversorgt sind. Das muss sich ändern! Vergleicht man die Verbreitung von High-Tech Konsumartikel mit der von High-Tech Arm- und Beinprothesen bei Menschen mit Amputationen stellt man fest, dass der Versorgungsstandard in der Prothetik teilweise unterdurchschnittlich ist und nur wenige Menschen rasch von Neuentwicklungen profitieren. Zudem gibt es Menschen aller Altersgruppen, vor allem in Schwellenländern, Entwicklungsländern und Kriegsgebieten, die zur Gänze unversorgt sind. Das muss sich ändern! Eine Brille zur Korrektur der Fehlsichtigkeit mag vor etwa einem Jahrhundert nur einem elitären Kreis zugänglich gewesen sein. Heute ist sie eine Selbstverständlichkeit – bis weit über die industrialisierten Länder hinaus. Es muss gleichermaßen zur Selbstverständlichkeit werden, dass Menschen mit High-Tech Arm- und Beinprothesen versorgt werden, um sie weitgehend mobil und unabhängig von fremder Hilfe machen. Damit können Betroffene am Arbeitsleben teilnehmen und entlasten den Kostenträger, in dem sie selbst wieder Beiträge zahlen. Visionen richten sich auf: mehr Forschungseinrichtungen, die sich mit Arm-und Beinprothetik befassen und anwenderspezifische Forschungsergebnisse Unternehmen zur Verfügung stellen. mehr Unternehmen, welche die alltagstaugliche Entwicklung, Produktion und Fertigung von Arm- und Beinprothesen übernehmen den Ausbau eines globalen Vertriebsnetzes, um High-Tech Prothesen in größeren Stückzahlen zu vertreiben und sie damit für mehr Menschen leistbar zu machen