Exzerpt_Gerlach (III).

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26.06.2013
Name: Lisa Gerlach [129200]
Seminar: Einführung in die Medizinsoziologie
Dozent: Tobias Franzheld (M.A.)
Institut für Soziologie der FSU Jena
3. Exzerpt zum 01.07.13:
Wehling, Peter, Viehöver, Willy, Keller, Reiner, Lau, Christoph (2007): Zwischen
Biologisierung der Sozialen und neuer Biosozialität: Dynamiken der biopolitischen
Grenzüberschreitung
In ihrem Beitrag zur Biologisierung des Sozialen und der neuen Biosozialität stellen die Autoren Peter
Wehling, Willy Viehöver, Reiner Keller und Christoph Lau vier biopolitische Dynamiken vor, anhand
derer sie Grenzziehungen und –überschreitungen in der Medizin erklären wollen. In ihrer Einleitung
verweisen sie darauf, dass es im Hinblick auf das biopolitische Feld einen expliziten Unterscheid
zwischen der Biologisierung und Naturalisierung des Sozialen und der Herausbildung neuer
Biosozialitäten gibt.
Jenseits von Gesundheit und Krankheit?:
In diesem Abschnitt ihres Textes verdeutlichen die vier Autoren, dass die Naturgegebenheit des
Körpers anscheinend ihre Bedeutung als normativen Wert und als kulturelle Handlungsorientierung
zunehmend verliert. Dieser Zustand führt mehr und mehr zu Entgrenzungstendenzen, die durch
Manipulation, Optimierung und Transformation des menschlichen Körpers zustande kommen. Hinzu
kommt hierbei auch noch der technische Fortschritt, der somit auch soziale, kulturelle und
wirtschaftliche Faktoren mit sich bringt. Vor allem in den letzten Jahren, wird es für immer mehr
Menschen normal und alltäglich, seinen Körper durch medizinische Eingriffe zu verändern. Dies
verstärkt die Entgrenzungstendenzen. Infolgedessen verschwimmt die Grenze zwischen „Heilung“ und
„Verbesserung“, stellen die Autoren fest. Daraus entwickelten sich neue Fragestellungen, die zum
Beispiel auch Soziologen wie Jürgen Habermas und Michel Foucault aufgenommen haben, in denen
es um diese neuen Dynamiken und Grenzen geht.
Um den Unterschied von „Krankheit vs. Gesundheit“ und „Heilung vs. Verbesserung“ bringen die
Autoren vier Dynamiken der biopolitischen Entgrenzung hervor.
1.Dynamik: Ausweitung medizinischer Diagnostik:
Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Aufmerksamkeitsstörung ADHS. Hier verfließen die Grenzen
zwischen „gesund“ und „krank“, und „normal“ und „abweichend“. Behandelt wurde diese Krankheit
mit Methylphenidat, was sehr umstritten war, weil die Frage aufkam, ob sich durch den medizinischen
Fortschritt ADHS immer mehr ausbreitete oder ob durch Methylpenidat eine Biologisierung
abweichenden Verhaltens stattfand. Zusammengefasst scheint es so, als ob psychische Erkrankungen
immer häufiger auftreten und diese Patienten dann irgendein medizinisches Gegenmittel dafür haben
wollen.
2. Dynamik: Entgrenzung von Therapie:
Ein Beispiel für diese Dynamik ist die Schönheitschirurgie, das bedeutet also, dass an die Stelle der
Heilung einer Krankheit die Verbesserung des gesunden menschlichen Körpers tritt. Diese Eingriffe
werden immer häufiger und auch immer alltäglicher, denn vor allem die Medien und der Einfluss
verschiedener Kulturen tragen zunehmend dazu bei, dass immer mehr Menschen sich aus
Schönheitsidealgründen operieren lassen. Dabei kommen natürlich auch Probleme auf, wie z. B. die
Kostenübernahmeverhandlung mit der Krankenversicherung.
3. Dynamik: Entzeitlichung von Krankheit:
Diese Dynamik beschreiben die Autoren als eine zunehmende Ablösung des Krankheitsbegriffes von
zeitlich manifesten Symptomen und Beschwerden. Dabei geht es einerseits um eine Neudefinition des
Begriffes „Krankheit“, z.B. als „Noch-Nicht-Kranke“ oder auch „gesunde Kranke“ und andererseits
um eine neue Wahrnehmung von Krankheit, die von den Symptomen auf genetische Besonderheiten
verlagert werden. Gentechnik wird in Zukunft ein immer weitergreifendes Thema werden und
deswegen müssen auch die Grenzen von Gesundheit und Krankheit neu definiert wird. Ebenso wird
das Thema in verschiedenste Bereiche, wie den Sozialen oder den Politischen, eindringen.
4.Dynamik: Perfektionierung und Transformation der menschlichen Natur:
Diese letzte Dynamik beinhaltet nach den vier Autoren eine Perfektionierung des menschlichen
Körpers über das natürliche Maß hinaus. Ein Beispiel dafür ist die Verlangsamung oder komplette
Abschaffung des Alterns durch Gentechnik. Hierbei gibt es zwei Besonderheiten, nämlich, dass es
gegenwärtig nur auf Forschungen und Visionen basiert und dass die Enhancement-Strategien
anscheinend unter einem höheren Legitimationsdruck als die anderen drei Dynamiken stehen.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede:
Laut den vier Autoren eröffnen alle Dynamiken neue Handlungsspielräume für Individuen und
professionelle Akteure, erzeugen damit aber auch neue Uneindeutigkeiten im alltäglichen Handeln.
Einige Unterschiede liegen hier in den Dynamiken an sich, dass zum Beispiel die „Entgrenzung
medizinischer Therapie“ vor allem im schönheitschirugischen Bereich liegt, währenddessen sich die
vierte Dynamik eher an die Gentechnik wendet.
Biologisierung des „Sozialen“ oder neue „Biosozialität“?:
Die Autoren lassen unter diesem Punkt anklingen, dass diese Entgrenzungsprozesse angesichts der
Herstellung und Festlegung der Zukunft zu irreversiblen Veränderungen und Überschreitungen der
menschlichen Natur führen könnten. Sie stellen die These auf, dass der Körper, den man hat, mehr und
mehr zu einem Objekt technischer Umgestaltung und Perfektionierung wird. Das führt im weiteren
Verlauf zu häufigeren Unsicherheiten im alltäglichen Handlungs- und Entscheidungsprozess und die
Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit müssen neu ausgehandelt werden.
Der Anthropologe Paul Rainbow versteht unter „Biosozialität“ so etwas wie die Bildung von
Selbsthilfegruppen. Doch genau diese individuellen Dinge drohen unterzugehen, merken die Autoren
hier an. Zusammenfassend zu diesem Punkt muss gesagt werden, dass in Zukunft alle Grenzen des
sozialen, wirtschaftlichen oder auch politischen neu gezogen werden müssen, weil sich die Grenzen
der Medizin immer weiter verschieben und in immer mehr Bereiche eindringen. Es muss eine neue
Unterscheidung zwischen dem natürlich Gegebenen und der Optimierung dessen gefunden werden.
Anmerkung: Erschreckend finde ich die Tatsache, wie manche Menschen mit ihrem Körper umgehen,
nur um irgendeinem Schönheitsideal zu folgen. Solange Gentechnik keinen Schaden anrichtet und z.B.
in der Krebsforschung zur Heilung beiträgt, finde ich diese nicht verwerflich. Dennoch ist es ein
bisschen furchteinflößend zu lesen, wie sich die Grenzen von Gesundheit und Krankheit verschoben
haben und wie sie sich noch verschieben werden.
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