Paper - Hermes

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Entwurf 21.08.2015
„Personalökonomie und Personalwirtschaftslehre“ –
Beitrag zur Tagung „Ideengeschichte der Betriebswirtschaftslehre“, HSU Hamburg, 21. und
22. September 2015
von Dieter Sadowski, Trier
Gliederung
1. Die personalökonomische Vorreiterrolle der USA
2. Grundfiguren der Personalökonomik
3. Gibt es Vorläufer und Vorbereiter der personalökonomischen Wende in den
deutschsprachigen Personalwissenschaften?
4. Die Personalökonomik heute
5. Ein Blick nach vorne: Personalökonomisch Unerledigtes
1. Die personalökonomische Vorreiterrolle der USA
Wie weit das Denken der mit Personalwesen oder Personalwirtschaft beschäftigten
deutschsprachigen Betriebswirte 1990 von der herrschenden, kleine Zahlen betonenden
Mikroökonomie entfernt war, hat Herbert Hax (1991) in einer programmatischen
Zwischenbilanz eindrücklich festgehalten. Vertragsgestaltung zwischen Marktteilnehmern sei
zum zentralen Problem avanciert, wobei angesichts asymmetrischer
Informationsverteilungen die begrenzten Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung und die
Gefahr opportunistischen Verhaltens insbesondere in auf Dauer angelegten Verträgen zu
bedenken seien. Um über effiziente Verträge, die Handlungsanreize und Risikoaufteilung
regeln, Aussagen machen zu können, sei die Annahme von Rationalverhalten nützlich, wenn
nicht nötig, aber auch die Einsicht von Belang, dass ‚institutions matter‘ - dies nicht zuletzt
auch deswegen, weil Ausbeutungsgefahren extern zu sichernde Schutzbedürftigkeiten
erforderlich machten, um für beide Seiten akzeptable Tauschgleichgewichte zu ermöglichen.
2
Ökonomische Theorie sei zwar zunächst ein Sprachsystem, das logische Implikationen
sichtbar mache, die sonst übersehen würden; wenn aber die Verhaltensannahmen als
Aussagen über die Realität interpretiert würden, führe die Modellanalyse zu empirisch
gehaltvollen und überprüfbaren Aussagen (ebd., 53). Während Herbert Hax 1990 schon
manche Belege aus der Fruchtbarkeit der neuen Institutionenökonomie für die empirische
Kapitalmarktforschung zitieren kann, muss er konstatieren, dass für die
Personalwirtschaftslehre wegen ihrer verhaltenswissenschaftlichen Orientierung noch kein
Kontakt zu mikroökonomischen Theorie entstanden sei. Den Fachvertretern sei gar nicht
bewusst, dass Personalwirtschaft ebenso wie Marketing und Finanzierung ein
marktbezogener Aufgabenbereich sei (ebd., 65). Mit Verweis auf die wenigen ökonomischen
Spurenelemente, die Wunderer/Mittmann 1983 in den personalwirtschaftlichen
Lehrbüchern nur entdecken konnten, und dem Urteil, dass die von ihm als Ausnahme
erwähnte Habilitationsschrift Sadowskis aus dem Jahre 1980 noch keinen Einfluss auf die
methodische Orientierung des Faches entfaltet habe, resümiert H. Hax das
personalwirtschaftliche Ideenrepertoire im Jahre 1990 so:
„Der Arbeitnehmer erscheint als Objekt von Motivations- und Führungstechniken; für
sein Wohlergehen sorgen einerseits Gewerkschaften und Mitbestimmungsorgane,
andererseits Appelle an die Unternehmensleitung zu ethisch fundiertem Verhalten;
der Arbeitnehmer wird hingegen nicht als Vertragspartner gesehen, der seine
Interessen auf dem Markt wahrnimmt und dessen Verhalten sich in den
Marktverhältnissen niederschlägt.“ (Hax 1991, 65).
Das war in den USA anders. 1993 hält Edward Lazear in Stockholm die Wicksell Lectures und
prägt dabei nicht nur den Ausdruck „the economics of personnel“, kurz „personnel
economics“, er präsentiert auch die Früchte einer schon Jahrzehnte alten Entwicklung. Zu
der Buchveröffentlichung der Vorlesungen 1995 notiert Sherwin Rosen (auf dem Umschlag),
selbst einer der Protagonisten des Faches:
„Lazear sketches a comprehensive survey of a field he has essentially invented. This
work has changed the way labor economics is taught in business schools as well as in
economics departments and is likely to provoke further changes in the future. He
presents rigorous, careful, and highly original economic analysis of a wide variety of
personnel practices and empirical phenomena that are essential to the field.”
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1998 erscheint Lazears Lehrbuch “Personnel economics for managers“, auf dessen
Grundlage er 2001 mit Birgitta Wolff und Uschi Backes-Gellner eine deutsche Ausgabe
erstellt.
Die Bezeichnung „Personalökonomie“ hatte Sadowski schon 1996 für eine Schriftenreihe
beim Hampp Verlag übernommen: „International vergleichende Schriften zur
Personalökonomie und Arbeitspolitik“, Bd. 1: Ruth Böck: Betriebliche Kompensationspolitik
im Wettbewerb nationaler sozialer Sicherungssysteme. München/Mering 1996. Der Zusatz
„Arbeitspolitik“ markiert einen inhaltlichen und auch methodischen Unterschied zur reinen
Personalökonomik: Fragen kollektiver Interessenvertretung und des Arbeitsrechts wird ein
deutlich größeres Gewicht beigemessen, als sie es in den Analysen und Anwendungen
Lazears haben.
Für die Zeit 1991-2000 haben Matiaske und Nienhüser (2004) die Rezeption amerikanischer
Quellen in der deutschen Personalwissenschaft auf originelle Weise untersucht. Danach
gehörte Lazear in dieser Zeit noch nicht zu den zehn am häufigsten zitierten Autoren,
sondern es waren unter den Institutionenökonomen Oliver E. Williamson (Markets and
Hierarchies 1975, The Econonomic Institutions of Capitalism 1985) sowie Paul Milgrom und
John Roberts mit ihrem Lehrbuch „Economics, Organization and Management (1992), Werke
also, in denen die Grundbegriffe und Argumentationsfiguren der neuen
Institutionenökonomie auch schon auf Arbeitsverhältnisse bezogen entwickelt und frühere
Autoren – nicht zuletzt Herbert A. Simon 1951, und vor allem Gary S. Becker 1964 sowie
Stephen Ross 1973 – gewürdigt werden.
Bemerkenswert ist die Feststellung von Wenzel Matiaske und Werner Nienhüser, dass die
mit dem Stand der damaligen Personalwirtschaftslehre kritischen und institutionenökonomisch programmatischen Aufsätze von Herbert Hax – und im selben Band von Dieter
Sadowski (1991) – zu den 10 am häufigsten zitierten Arbeiten gehörten, und weiterhin, dass
sich in diesem Jahrzehnt am Rande schon eine ökonomische Sinnprovinz – nach A. Schütz
Gebiete , in denen sich Wissenschaftler mit gemeinsamen Theorien oder Themen begegnen
– unter den deutschen Personalwissenschaftlern ‚methodenrobust‘ ausmachen lasse, zu der
Schauenberg, Sadowski, Kräkel, Dietl, Backes-Gellner und Frick gehörten, und zwar in der
Nachbarschaft von Albach und Gutenberg – wohingegen das Gebiet im Übrigen in der Mitte
zersiedelt sei und große Heterogenität - „Multikulti“ (Matiakse / Nienhüser 2004, 132) –
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vorherrsche, wenn man die psychologische Führungsforschung ausnehme. Der
„ökonomische Silberstreif“, den Sadowski et al. (1994) sogar in Lehrbüchern erkannt hatten,
hatte sich also deutlich verstärkt.
Im Folgenden halte ich ganz kurz die wichtigsten Argumentationsfiguren des
personalökonomischen Denkens noch einmal fest, die weitestgehend von USamerikanischen Autoren entwickelt worden sind. Dann frage ich danach, ob sich in der
älteren deutschsprachigen Literatur Vorläufer dieses Denkens ausmachen lassen. Dabei
verlasse ich mich auf die historischen Analysen anderer: Dieter Schneider, Eduard Gaugler,
Gertraude Krell, Thomas Breisig und Ruth Rosenberger. Am Schluss zeige ich, dass
personalökonomische Analysen deutschsprachiger Autoren – Modellanalysen ebenso wie
vor allem statistische Arbeiten – heute in die internationale Diskussion eingebettet sind und
in ihr anerkannt werden.
2. Grundfiguren der Personalökonomik
Um die Personalökonomik zu charakterisieren und ihre Geschichte insbesondere in den
deutschen Sozialwissenschaften nachzuzeichnen, ist es nützlich, daran zu erinnern, dass sich
eine wissenschaftliche Perspektive (Sinnprovinz?) in unterschiedlichen Dimensionen
darstellt:
-
Welchen Problemen gilt die Aufmerksamkeit?
-
Von welchem theoretischen Standpunkt aus wird argumentiert?
-
Welche Methoden werden bevorzugt genutzt?
-
Sind Erklärungsziele oder Absichten, die Praxis zu gestalten, leitend?
-
Bilden – mehr oder weniger offene – Werturteile, also ethisch-normative
Betrachtungen, wesentliches Element der Überlegungen?
Meine knappe Antwort auf diese Fragen lautet:
Die Personalökonomik schließt thematisch keine der üblicherweise von
Personalwissenschaftlern bearbeiteten Felder der Personalarbeit in Unternehmen aus,
betont aber insbesondere den Umgang mit Chancen und Risiken längerfristiger
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Arbeitsbeziehungen, in Deutschland auch der kollektiven Arbeitsbeziehungen. Das
theoretische Gerüst bildet die informations- und institutionenökonomische Mikrotheorie des
Arbeitsvertrages. Kanonisch werden aus Modellimplikationen empirisch prüfbare
Hypothesen abgeleitet, die empirisch geprüft werden; Labor-und Feldexperimente sowie die
Arbeiten mit Unternehmensdaten (Panelanalysen‚ insider econometrics‘‚ ‚Human Resource
Analytics‘) machen heute den Kern der personalökonomischen Arbeiten aus - faktisch
allerdings oft ohne axiomatische Modellierung und stattdessen mit anscheinend
verhaltenswissenschaftlichen Ad-hoc-Annahmen. Praktische Gestaltungsabsichten werden
zwar proklamiert – von niemandem stärker als Ed Lazear –, aber in der Mehrheit der Fälle
stehen Erklärungs- und Rekonstruktionsversuche im Vordergrund. Liberale Überzeugungen
von der Nützlichkeit individueller Wahl – bei manchen Differenzen hinsichtlich der
angenommenen Nutzenfunktionen und Menschenbilder – , und von Privateigentum und
Vertragsfreiheit sind dominant. Vertrags- und Marktversagen werden dem Grunde nach als
legitime Gründe für externe Regulierung akzeptiert, für ethische Appelle besteht kein
rechter argumentativer Raum, sieht man von ordnungsethischen Vorstellungen ab, etwa
Homann (1995).
Die Theorie längerfristiger Arbeitsverhältnisse, die sowohl von symmetrischer Unsicherheit
als auch von Informationsasymmetrie bei partiellen Interessendivergenzen geprägt sind –
kurz die Theorie „prekärer Partnerschaften“ (Schelling 1960) oder „konstruktiver
Wundertüten“ (Birk 1973, 60) – sei inhaltlich noch mit zentralen Stichworten
charakterisiert1, damit klar ist, welche Spuren wir suchen.
-
(Vollständige oder unvollständige, verifizierbare oder nicht verifizierbare) explizite,
implizite und relationale Verträge
-
Vor- und nachvertraglicher Opportunismus
-
Anreizverträglichkeit, high powered and low powered incentives
-
Leitungsmacht, Ausbeutung, Shirking, Fairness, Loyalität, Reziprozität, „Treu und
Glauben“
1
-
Nichtkontrahierbarkeit ko-spezialisierter Humankapitalinvestitionen
-
Selbstbindung, self-enforcing contract, Quasi-Vertrauen
Ausführlich und mit Nachweisen bei Sadowski 2002, Kapitel 5:72-91.
6
-
Ressourcenpool (Kollektivverträge, lokale öffentliche Güter und “bads”)
-
Interner Arbeitsmarkt
-
Vertrags- und Marktversagen
3. Gibt es Vorläufer und Vorbereiter der personalökonomischen Wende in den
deutschsprachigen Personalwissenschaften?
Dieter Schneider(2001, 194) sieht etwa ab 1912 eine wissenschaftliche Gemeinschaft der
„Betriebswirtschaftslehre“ entstehen, zunächst unter dem Namen
„Privatwirtschaftslehre“. In Auseinandersetzungen mit den Katheder-Sozialisten, die
durchaus auch auf die Arbeitsbeziehungen in Unternehmen zielen, wird die Forderung
Lujo Brentanos, dass Arbeitnehmer und Unternehmer bei Lohnverhandlungen gleich
mächtig sein müssten, und dessen Vorwurf gegen die Privatwirtschaftslehre, allein das
Sonderinteresse der Unternehmer zu sehen, zu einer Verlängerung des Werturteilsstreits
aus der Volkswirtschaftslehre. In dessen Folge verpflichten sich überraschender und
ironischer Weise Betriebswirte, die ursprünglich praktisch-gestaltend Unternehmen
unterstützen wollten, auf ethisch-normative Wissenschaftsziele. Dieter Schneider (ebd.,
199) nennt Schär, Nicklisch, Dietrich und auch Schmalenbachs unernsthaftes und
inkonsistentes, jedenfalls nur kurzzeitiges Bekenntnis zur Gemeinwirtschaftlichkeit.
Widersprüchlichkeit sieht Dieter Schneider auch bei Nicklisch, dessen Absichten zwar
normativ-wertend waren, in der konkreten Forschung etwa zur betrieblichen Lohnpolitik
argumentiere er jedoch „empirisch-realistisch“, ohne über viele Schriften des 19.
Jahrhunderts hinaus zu gelangen und ohne die Begründungsschritte
(Begriffsexplikationen, Messbarkeitsüberlegungen) zu tun, die eine gesellschaftlichverpflichtete einzelwirtschaftliche Theorie von Sozialgeschwätz unterscheide (ebd., 212).
Nicklisch wendet sich gegen die Lehre vom Arbeitsvertrag als „Tausch“, er sieht in ihm
das Mittel, „die ‘Gliedschaft der Arbeit zu organisieren‘“ (Nicklisch 1932, 285f., zitiert
nach Krell (1994, 61).
„Individuelle Interessen, die den gemeinschaftlichen entgegenstehen, verteufelt er
als Egoismus. Menschen, die egoistische Interessen vertreten, die ‚Gewissenlosen‘,
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sind für ihn Schädlinge und Parasiten, denen das Handwerk gelegt gehört…“ (zitiert
nach Krell (1994, 74).
Die Idee der Betriebs- oder Arbeitsgemeinschaft gehe auf Dietrich 1914 zurück. „Da
Unternehmer und Beschäftigte Organe der Unternehmung seien, komme dem
gemeinsamen Interesse an deren Wohlergehen eine sehr viel größere Bedeutung zu als
Interessengegensätzen…“ (ebd., 57, Anm. 8). Die Vorstellung, dass Menschen sich
zusammentun, um einen Zweck gemeinsam zu verwirklichen, definiert heute rechtlich
eine Personen- oder Kapitalgesellschaft. Die Metaphorik, dass so aus dem
Betriebsmechanismus ein Organismus werde, ist der heutigen Organisationstheorie
dagegen fremd. Immerhin zieht Nicklisch die Konsequenz, dass Betriebsräte eine
notwendige Einrichtung seien. Mit Dietrich (1914) betrachtet er den Betrieb als
Empfänger der Wertschöpfung, nicht dessen Eigentümer, woraus die Forderung nach
Gewinnbeteiligung folgt. Der Soziologe Tönnies (1928, zit. nach Krell 1994, 117f.)) merkt
schon früh an, dass der Begriff „Betriebsgesellschaft“ angemessener gewesen wäre, wo
es auf ‚rechnende Vernunft‘ statt auf Gemeinschaftsschwärmerei ankomme und
Gewerkschaften als ‚Waffe der Schwachen’ nötig seien.
Trotz der holistischen Betrachtung und der Ablehnung des Arbeitsvertrages als
Tauschvertrag fallen also Ähnlichkeiten mit der Figur des Ressourcenpools auf. Diese
Ähnlichkeit hat aber deutliche Grenzen. Rosenberger (2008) zeichnet in einer
eindrucksvollen Studie im Detail das personalwissenschaftliche Denken im 20.
Jahrhundert in Deutschland nach, und sie betont dessen Rezeption in der
Unternehmenswelt. Nach ihrem Urteil ist die Literatur noch in die 1960er Jahre hinein im
Kern „harmonisch-vergemeinschaftend“, sie sei nicht liberal-individualistisch fundiert. In
den Worten Dieter Schneiders: „Die Steigerung der Arbeitsergiebigkeit durch
betriebliche Sozialpolitik wird [ab 1950, Kalveram] ein Forschungsleitbild für die
betriebswirtschaftliche Personallehre für die nächsten Jahrzehnte.“ (Schneider 2001,
241). Die Arbeiten von Guido Fischer (1929, 1948 im Wesentlichen unverändert) und
Josef Kolbinger (1972) unterscheiden sich nach Rosenberger theoretisch und methodisch
nicht von den Vorgängerarbeiten, und die Partnerschaftsprogrammatik bleibe auch
weiterhin ohne weitreichende Konsequenzen. Es würden Kompromisse zwischen
normativer und empirisch-realistischer Betriebswirtschaftslehre angeboten und die
christlich-sittliche Aufgabe des Unternehmens gegenüber dem Arbeitnehmer betont.
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Kolbinger (1972, 51) ist deutlich: „Nach heutiger Auffassung ist also ‚…das
Arbeitsverhältnis ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis, der Arbeitsvertrag
ein gemeinschaftsbegründender Vertrag, der seine Parallele nicht im Kauf-, sondern im
Gesellschaftsvertrag findet‘ (Hueck, S. 116). Die enge Verbindung mit den
‚Partnerschaftsbestrebungen‘ …wird damit auch durch das Recht offenbar.“
Auch der „Mythos Notgemeinschaft“ in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg, der nach
Breisig (1990, 108) zu einem ‚ängstlichen, ja beinahe unterwürfigen, auf bereitwillige
Kooperation mit den Gewerkschaften gerichtetes Handeln‘ geführt hätte, habe keine
Änderung bewirkt. Hasenacks (1952) Programm etwa einer anthropologischen
Betriebslehre habe versucht, die Betriebswirtschaftslehre an ‚große universale
Zusammenhänge‘ anzubinden, habe aber die Forderung eingeschlossen, neben
Betriebspsychologie, Betriebssoziologie, Betriebspädagogik, Betriebsrecht,
Betriebsgeschichte und Betriebsorganisation als wichtiges Kerngebiet die betriebliche
Arbeitswissenschaft zu berücksichtigen (Rosenberger 2008, 134).
Ansätze, die den Subjektcharakter von Arbeitnehmern ernst nahmen, hat es außerhalb
der Betriebswirtschaftslehre schon früh gegeben. Der frühere evangelische Pfarrer und
spätere Berufspolitiker Friedrich Naumann hat schon Ende des 19. Jahrhunderts eine
Wirtschaftsverfassung vorgeschlagen, in der rechtlich abgesichert Gewerkschaften die
überbetriebliche Interessenvertretung und Betriebsräte die innerbetriebliche
Mitbestimmung der Arbeitnehmer übernehmen sollten. Dieser wirtschaftsdemokratische
oder ‚fabrikparlamentarische Ansatz‘2 macht aus dem Industrieuntertanen einen
Industriebürger, also eine Persönlichkeit oder ein durch Rechte und Pflichten
gekennzeichnetes, handelndes Individuum in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem
(nach Rosenberger 2008, 71).
Nach Prion (1936) hat die Einrichtung der Betriebsräte nach dem (ersten) Weltkrieg
„…nicht nur versagt, sondern oft sogar die betrieblichen Spannungen noch verschärft“
(Prion 1936, 101). Den Wechsel von patriarchalischen zu rationalen Betriebsformen
nimmt er – mit Bedauern ? – jedoch als gegeben hin: „Im versachlichten Betrieb …stört
jede persönliche Note: kein gefühlsbetontes Treueverhältnis, sondern ein juristischer
2
Gaugler (2002, 249) hält fest, dass eine Reihe von Unternehmen schon seit der Jahrhundertwende
Erfahrungen mit dem Konzept der ‚Konstitutionellen Fabrik‘ gesammelt hätten. Teuteberg (1961, 254 – 275)
datiert die ersten Beispiele auf 1840ff.
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Vertrag bestimmt das Arbeitsverhältnis, das Art und Dauer der Arbeitsleistung festlegt
und kollektiv, ganz unpersönlich, durch Tarifvertrag abgeschlossen wird“ (ebd., 99), und
er zögert auch nicht, Machtunterschiede zwischen den Arbeitsmarktparteien
anzusprechen.
Sowohl die Volksgenossenschaft der Arbeitnehmer in der Nazizeit als auch die
gescheiterten Versuche Potthoffs und Pirkers, das gewerkschaftliche
Wirtschaftswissenschaftliche Institut als soziologisch ausgerichteten Think-tank der
Gewerkschaften zu etablieren und die Arbeitsdirektoren der Montanmitbestimmung zu
Personalexperten zu machen, übergehe ich hier (vgl. aber hierzu Rosenberger 2008,
198ff.) Noch für den Anfang der sechziger Jahre belegt Rosenberger eine breite Ignoranz
westdeutscher Unternehmer gegenüber personalpolitischen Fragen, das Thema
partizipativer Führungsstil dominierte die Arbeiten.
„1961 beschäftigte sich die alljährliche Pfingsttagung des Verbandes der
Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre erstmals nach dem Krieg explizit mit
einem personalpolitische relevanten Thema: „Arbeit und Lohn als Forschungsobjekt
der BWL“. Zugleich beendete Josef Kolbinger die Arbeit an seinem Lehrbuch zum
betrieblichen Personalwesen. (Kolbinger verwendet 1975 den Begriff
„Humanökonomie“, will darunter nicht nur Interessenkonflikte, sondern
„gestalthaftes Selbstbewusstsein“ untersuchen (Kolbinger 1975, 1719). Und an der
Mannheimer Universität wurde 1961 die erste Professur für „Personalwesen und
Arbeitswissenschaft“ eingerichtet (August Marx, Theologe), was mit der Aufnahme
dieses Fachs als spezielle Betriebswirtschaftslehre in die Prüfungsordnung für
Diplomkaufleute einherging.“ (Rosenberger 2008, 367).
Auch A. Marx ist den gemeinschaftsorientierten Ansätzen zuzurechnen (Krell 1999, 131). Bis
die Kommission Personalwesen 1973 im VHB gegründet wurde, passierte in der
betriebswirtschaftlichen Literatur nicht viel, allerdings ergab sich seit 1964 an der Universität
München eine engere Kooperation zwischen Arthur Mayer und Guido Fischer und damit die
Neuausrichtung eines Fachteils der Psychologie, der von einer eigenen,
betriebswirtschaftlich orientierten Ausrichtung geprägt war einerseits, andererseits eine
Neuorientierung der Arbeitswissenschaften im Hinblick auf eine Öffnung in Richtung sozialer
und sozialpsychologischer Aspekte anstrebte (nach Rosenberger 2008, 367f.)
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Selbst wo Psychologie und Soziologie an die Stelle der Ethik getreten sind, wie in der
verhaltenswissenschaftlich orientierten Betriebswirtschaftslehre, gehe das „zu Lasten der
Einsichten, die auf den Aspekt des Einkommenserwerbs und der Einkommensverwendung
gerichtet sind“ (Schneider 2001, 136), zumal dann, wenn sich die „Ablehnung einer Methode
isolierender Abstraktion verbindet mit der Verniedlichung von Interessengegensätzen in
Organisationen“ (ebd., 243). Die Übernahme verhaltenswissenschaftlicher Methoden
anstelle eines wirtschaftstheoretischen Denkstils berge die Gefahr des Dilettantismus (ebd.,
262), menschliche Grenzen für eine Theoriebildung seien stets zu beachten. Auch die
Entwürfe Heinens und Ulrichs stellen für Schneider ein nicht geglücktes Gemisch aus
erklärenden und gestaltenden Theorie- und Wunschvorstellungen dar.
Schneider zeichnet auch nach, wie Mellerowicz 1952 mit seiner Forderung, dem praktischen
Betriebe zu dienen, die „Unterordnung wissenschaftlichen Arbeitens unter die Interessen
gebundene Parteilichkeit der Unternehmensführung (sagen wir ruhig: der Arbeitgeber)“
(ebd., 250)) befördert. Da war Dietrich 1914 schon weiter, als er zwar eine Personalabteilung
für unnötig hielt, aber in einer Stabsstelle Wissenschaftler in der Nähe der Geschäftsführung
als sachlich und persönlich unparteiische Schiedsstelle befürwortet hat (vgl. Rosenberger
2008, 57f.). Dietrichs Position blieb ohne Wirkung, vielleicht auch deshalb, weil er kein
Hochschullehrer war (Rosenberger 2008, 57f.)
Für die Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg insgesamt war die auf die
Produktivitätsbeziehung gründende Unternehmenstheorie Erich Gutenbergs (methodisch
1929, inhaltlich 1951ff.) als mikroökonomische Grundlegung der Betriebswirtschaftslehre
der entscheidende Modernisierungsschritt. Die personalwirtschaftlichen Implikationen
dieser Unternehmenstheorie entfaltet Albach 1982. Sandig, ein Schüler Nicklischs, akzeptiert
1966 die Kritik Gutenbergs an Nicklischs Ansatz und räumt ein, dass sich die
Betriebswirtschaftslehre nicht aus der Idee der Betriebsgemeinschaft bilden lasse (Sandig
1966, zitiert nach Gaugler (1999, 9)). Die Unterscheidung Gutenbergs von
systemindifferenten und systembezogenen Tatbeständen nimmt eine
institutionentheoretische Sicht ein, sie ist in D. Schneiders Sicht ‚eher der Tradition des
deutschen Idealismus‘ (Schneider 2002, 252) als der angelsächsischen ‚logischpositivistischen‘ Wissenschaftstheorie verhaftet. Gutenberg gibt der Mitbestimmung der
Arbeitnehmer einen bestimmten Raum, aber für die Entwicklung der Personalökonomik in
der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre haben weder die Isolierung
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systemabhängiger Faktoren noch die organisationstheoretischen Arbeiten Gutenbergs oder
die Ausführungen zum dispositiven Faktor sowie das Solidaritätsaxiom, das sich auch in der
Teamtheorie Marschaks findet, den entscheidenden Schritt bedeutet (vgl. Sadowski / Pull /
Schneider 1999).
Dem Solidaritätsaxiom zufolge verfolgen alle Mitarbeiter im Unternehmen nicht ihre
individualistischen Interessen, sondern das Unternehmensinteresse. „Gutenberg wusste sehr
wohl, daß das Solidaritätsaxiom eine theoretische Setzung ist, die das Problem der
Interessenkonflikte im Betrieb ausklammern hilft….Gutenberg nahm die neueren
Entwicklungen [Prinzipal-Agenten-Theorie, Theorie unvollständiger Verträge] wahr, konnte
sie aber nicht mehr befriedigend in seine Theorie der Unternehmung integrieren.“ (Albach
1997, 1263)
Karl Hax hat sich früh um eine das Mitbestimmungsprobleme erfassende „personal
ausgerichtete…Unternehmenstheorie“, also Fragen der Unternehmensverfassung, bemüht
(zumindest 1959, nach Schneider 2001, 254). Auch ihm war unzweifelhaft, dass die
Betriebswirtschaftslehre nicht als Betriebssoziologie, sondern als Wirtschaftswissenschaft zu
betreiben sei. Dazu räumte er die Möglichkeit einer arbeitnehmerbezogenen
(gemeinwirtschaftlichen) Theorie ein – neben einer kapital- und einer
managementorientierten (Karl Hax (1977, 17f.), wie sie tatsächlich damals als
Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre am WSI entworfen wurde (Projektgruppe im WSI
1974).
Die vertragstheoretische Wende in der personalwirtschaftlichen Literatur ist nicht in der
deutschsprachigen Literatur vorbereitet worden. Es lassen sich allenfalls frühe Ansätze der
Theorie des Ressourcenpoolings, also von Sozialverträgen, im fabrikparlamentarischen
Ansatz von Naumann und in den Arbeiten zur Unternehmensverfassung (K. Hax, E.
Gutenberg) erkennen. Auch die Theorie interner Arbeitsmärkte ist – trotz gewichtiger
Beispiele in der deutschen Wirtschaftsgeschichte – erst über den Umweg US-amerikanischer
Autoren in der deutschsprachigen personalwirtschaftlichen Theorie heimisch geworden –
trotz früher Bemerkungen Guido Fischers zur Sicherung einer Stammbelegschaft ( G. Fischer
1955, 37; zitiert nach Krell 1994, 186). Die Rezeption ökonomischer Rekonstruktionen
interner Arbeitsmärkte erfolgte in der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre nicht vor
1990. Dann aber war die Ausbildung der Personalökonomik als Disziplin oder Sinnprovinz in
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der deutschsprachigen Personalwirtschaftslehre so rasant, dass Weibler/Wald (2004, 268)
schon von einer ‚ökonomischen Vormachtstellung‘ sprechen.
Theoretisch und methodisch hätten die heutigen Denkstiländerungen in Deutschland das
Fach Jahrzehnte früher befruchten können, wenn nicht die mikroökonomischen
Organisationstheoretiker wie Aumann, Marschak, Morgenstern und Wald von den Nazis zur
Emigration gezwungen worden wären. An diesem Urteil Schneiders gibt es sicher nichts zu
rütteln. (Schneider 2001, 229).3
Die Entwicklung in der deutschsprachigen Personalwirtschaftslehre ist auch realgeschichtlich
erklärbar. Breisig (1990) resümiert für die zwanziger Jahre, „…daß das Unternehmenswachstum, die immensen Rationalisierungsschübe und das radikalisierte innenpolitische
Klima bzw. die gesteigerte Machtposition der Gewerkschaften dazu geführt haben, dass die
Personalführung… erstmals in der Geschichte des Kapitalismus in Deutschland in das
Gegenstandsfeld bewusster betriebswirtschaftlicher Maßnahmen und Überlegungen gerückt
ist: gesucht wurde die ‘richtige‘ Menschenbehandlung, wie die Personalführung damals gern
bezeichnet wurde, die zu Produktivitätssteigerungen (insbesondere in Verbindung mit dem
Einsatz neuer maschineller Anlagen) führt und auf eine Befriedigung der aufgeführten
Massen und eine Zurückdrängung des Einflusses der Gewerkschaften hoffen lässt… ‚Die
soziale Frage ist damit zum Problem der Menschenführung geworden…‘ (Schenz 1930, 66,
zitiert nach Breisig 1990, 62)“ (ebd.).
In der Zeit der DINTA, des Deutschen Instituts für technische Arbeitsschulung, wurde in der
Schulung der Führungskräfte als Novum das betriebliche Vorschlagswesen betont, um den
schlummernden Ideenreichtum der Arbeiter und Angestellten zu nutzen (ebd., 84); auch der
organisierte Massentourismus der Deutschen Arbeitsfront, „Kraft durch Freude“) stach
hervor. 1960 war Vollbeschäftigung erreicht, die Existenzunsicherheit war verschwunden.
Die deutschen Unternehmen orientierten sich mit ihren Exporten auf dem Weltmarkt,
Innovationsschübe waren häufig, und die tayloristische oder fordistische großbetriebliche
3
Zur Bedeutung ‚gemeinhin weniger geschätzter deutscher spätklassischer Autoren des 19. Jahrhunderts, wie
Riedel, Mangoldt, Schäffle‘, wo D. Schneider die Ursprünge der institutionellen Mikroökonomie sieht, enthalte
ich mich eines Urteils (vgl. Schneider 2001, 1034). Vgl. aber: D. Schneider (2012): „Vorläufer einer
‚Personalökonomik‘ und ein Vorschlag zur Arbeitnehmermitbestimmung im 19. Jahrhundert, in diesem Band –
Andererseits hat ‚das theoretisch bedeutende Werk von Emminghaus 1868‘ nach Brockhoff (2014, 139) keine
nachhaltige Wirkung entfalten.
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Organisation strebte ihrem Höhepunkt zu (ebd., 110ff.). Fragen der Personalführung spielten
keine herausragende Rolle mehr: „Motivation und Identifikation der Beschäftigten war
durch die ökonomische Leistung und ihre Anteilnahme [sic] an der steigenden Prosperität
gesichert.“ (Breisig 1990,112). Konzepte der gemeinschaftlichen Praxis erhielten erneut
Bedeutung, so das „Mit-Unternehmertum“ oder die Partnerschaft, die mit Gewinn- und
Kapitalbeteiligung einherging. Grundsätze kooperativer Führung, Mitbestimmung am
Arbeitsplatz und eine kooperative Unternehmenskultur waren dominierende Themen, deren
vergemeinschaftender Charakter deutlich ist.
Die Erfindung des Intrapreneurs, von Profit-Centern und das Managment by Objectives sind
Konzepte, die die 1980er Jahre bestimmten (Rosenberger 2008, 430). Ob
Arbeitskraftunternehmer, „Ich-Unternehmer“ – eine kritische soziologische Bezeichnung –
als handelnde Subjekte oder auf Stimuli reagierende Agenten zu betrachten sind, wäre zu
diskutieren, aber diese Konzepte machen jedenfalls den Arbeitnehmer als mit
diskretionärem Spielraum und Eigeninteressen ausgestatteten Akteur sichtbar, als Akteur
also, der vertragstheoretisch belangvoll sein könnte und sollte. Das ist zunächst nicht
passiert, stattdessen kann Breisig (1990, 131) eindrucksvoll zeigen, wie sich die
verhaltenswissenschaftliche Öffnung zum homo psychologicus im Handbuch der
Betriebswirtschaft niedergeschlagen hat.
Die Auseinandersetzungen um eine angemessene Konzeptualisierung der
Interessengemeinsamkeiten und -differenzen im Unternehmen führte zu einer gewissen
Zerrissenheit des Forschungsfeldes „Personalwesen“, wie Wolfgang Weber 2002
konstatiert: Ökonomische Rationalität und personale oder soziale Anforderungen stünden in
einer bislang nicht überbrückten Spannung, es gebe keine integrierten Ansätze: „In den
Lehrbüchern wird nahezu durchgängig verhaltenswissenschaftliche Basiswissen als
zusätzliche Komponente des personalwirtschaftlichen Wissens referiert.“ (Weber 2002,
1833f.) Ähnlich urteilt Eduard Gaugler zur gleichen Zeit: Nach dem Zweiten Geldkrieg seien
bemerkenswerte Monographien in verschiedenen Nachbardisziplinen entstanden, in der
Psychologie, der Soziologie, der Arbeitsmedizin, den Arbeitswissenschaften, der
Betriebspädagogik und auch dem Arbeitsrecht – aber zur Literatur , die sich auf die Neue
Institutionenökonomie stützt, findet sich in seiner Bestandsaufnahme nur ein kurzer Satz
(Gaugler 2002, 259 bzw. 255).
14
4. Die Personalökonomik heute
Noch 1999 differenziert auch Krell (1999, 133) zwischen „Personalökonomie“ und
„Personalwirtschaft verhaltenswissenschaftlich angereichert“, sie ist sich aber nicht sicher,
ob die Polarisierung „Ökonomie vs. Verhaltenswissenschaft“ weiterhin die
Orientierungsdiskussion dominieren sollte. Obwohl sie für die Personalökonomie – mit
Verweis auf den eingangs zitierten Vortrag auf der VHB-Tagung in Frankfurt 1990 von
Sadowski (1991) – zuerkennt, dass gegenüber Gutenberg nun das Personal vom
Kostenfaktor zum Humankapital avanciere, unterliegt sie einem partiellen Missverständnis.
Zwar bleibt Personal in dieser Sicht („Vordenker Sadowski“, Krell ebd.) einem ökonomischen
Kalkül unterworfen, aber die Pointe liegt darin, dass auch der Arbeitgeber einem solchen
Kalkül von seinen Beschäftigten „unterworfen“ wird, anders ausgedrückt, dass Personal auch
als Subjekt oder Akteur gedacht wird (ausgeführt in Sadowski 2002).
Als Weibler / Wald 2004 wegen der „ökonomischen Hegemonie“ die Krise der Disziplin der
Personalwirtschaftslehre beklagen – schon damals im Wesentlichen zu Unrecht, wie die
Diskussion ihres Beitrages durch Grieger, Kräkel, Backes-Gellner und Pull gezeigt haben4 ─,
stützen sie ihren Befund nicht mehr auf Lehrbücher, sondern auf Zeitschriftenliteratur.
Weitere 10 Jahre später zählen Süß/Altmann (2015, 15) mit einer vergleichbaren
Zeitschriftenauswahl für das Verhältnis ökonomisch zu verhaltenswissenschaftlich
ausgerichteter Beiträge statt 30 : 7 damals, nun 50 : 46, also beinahe ein ausgeglichenes
Verhältnis in den Jahren 2004 - 2013. Die Autoren bemerken auch, dass in der
„verhaltensökonomischen, experimentellen Forschung“ Verbindungen zwischen beiden
Richtungen (oder Sinnprovinzen?) gesucht werden. Das können sie mit ihrer Stichprobe
(noch) nicht belegen, aber eine Sichtung der 83 akzeptierten Beiträge zum 18. Colloquium on
Personnel Economics (Wien, März 2015) zeigt Folgendes:
(Nur) 10 Beiträge waren reine Modellanalysen, (nur) 10 weitere verbanden
Modellanalysen mit empirischen Schätzungen. Unter den 73 empirischen Beiträgen
insgesamt basierten 12 auf Laborexperimenten und 3 auf Feldexperimenten. 58
4
Mit einer Replik von Weiber und Wald erschienen in: DBW 55(2005), 79-100.
15
Beiträge haben ihre Beobachtungen statistisch analysiert. Nur 3 Vorträge waren eher
Psychologie als Ökonomik, alle anderen empirischen Arbeiten sind m.E. als
„behavioral economics“ zu kategorisieren. Insofern ist die Überwindung der
Barrieren also erfolgt: „Successful innovations in economics find new variables that
’matter‘ [in economic settings, DS] and, in addition, show how these variables can be
identified and measured.“ (Pesendorfer 2006: 714)
Auch die Internationalisierung der Personalökonomik unterschätzt die vorsichtige
„Annäherung“ durch Süß/Altmann beträchtlich. Der Blick allein auf personalwirtschaftliche
Zeitschriften und die allgemeinen betriebswirtschaftlichen Zeitschriften ist inzwischen
irreführend, da viele Beiträge deutscher Personalökonom_innen auch in
bildungsökonomischen, organisationstheoretischen oder allgemein ökonomischen Organen
akzeptiert werden. Für vier willkürlich ausgewählte, mir und Bernd Schauenberg
näherstehende Autor_innen aus der Stichprobe von Süß/Altmann habe ich die Zahl der
internationalen Veröffentlichungen mit einer größeren Auswahl an Zeitschriften im
Beobachtungszeitraum gezählt, sie übertreffen alle das dort angegebene Maximum von 7
Beteiligungen an internationalen Zeitschriftenveröffentlichungen mindestens um das
Doppelte.
Noch wichtiger als die Publikation ist die internationale Rezeption der Beiträge ursprünglich
deutschsprachiger Autoren. Die autoritative Sichtung der Literatur zu „behavioral contract
theory“ von Köszegi 2014 nennt im deutschsprachigen Raum beheimatete Autoren mit
maßgeblichen Beiträgen zu ‚psychology-and-economics‘ auch in
nichtpersonalwirtschaftlichen, aber vielfach übertragbaren Kontexten: Ernst Fehr, Nick
Netzer, Björn Bartling, Armin Schmutzler, Zürich; Achim Wambach, Köln; Klaus M. Schmidt
und Florian Englmaier, München; Florian Herold, Bamberg; Fabian Herweg, Bayreuth;
Ferdinand v. Siemens, Roman Inderst und Michael Kosfeld, Frankfurt; Armin Falk, Bonn; Dirk
Sliwka und Patrick W. Schmitz, Köln). (Ohne deutsche Autoren im Ausland.) Kurz: Auch wenn
D. Schneider (2002, 252) mit Blick auf die Personalökonomik jedenfalls Recht zu geben ist,
dass ‚die deutschsprachige Betriebswirtschaftslehre im Weltmaßstab der letzten 50 Jahre
einem eher provinziellen Markt gleiche‘, so sind heute personalökonomische Beiträge sich
auf Englisch äußernder deutschsprachiger Wissenschaftler_innen in der internationalen
16
Community der Ökonomen angekommen.5 Gleiches gilt auch für die internationale Nutzung
deutscher Datensätze, etwa GSOEP oder LIAB, die Employer-Employee-Linked-Data des IAB.
5. Ein Blick nach vorne: Personalökonomisch Unerledigtes
Wenn der Königsweg ökonomischer Forschung darin besteht, axiomatisch Rationalverhalten
zu modellieren, um Ad-Hoc-Hypothesen zu vermeiden, sodann die entscheidenden Variablen
valide zu operationalisieren und schließlich die abgeleiteten Zusammenhänge empirisch zu
analysieren, dann gibt es für die Personalökonomik trotz aller Fortschritte noch Einiges zu
tun. Ohne dies hier weiter zu verfolgen, möchte ich die Aufmerksamkeit auf zwei weitere
Desiderate lenken.
Die Frage nach den „vorvertraglichen Grundlagen von Verträgen“ ist seit Dürkheim eine
klassische Frage der Soziologie, die sich natürlich auch für Arbeitsbeziehungen stellt. Für
Albach (1997, 1269) ist klar: „Die Basis von Geschäftsbeziehungen ist Vertrauen.“ – weshalb
er ein Harmoniemodell des Unternehmens dem Konfliktmodell der Vertragstheorie als
vermutlich produktiver vorzieht. Und: „Harmonie kann also bei anfangs durchaus
unterschiedlichen Zielsetzungen im Diskurs [und vor Vertragsabschluss] hergestellt werden“
(ebd. 1277). Herrschaftsfreie Diskurse sind zwar vielen eine fremde Vorstellung für real
existierende Arbeitsbeziehungen, aber ein prinzipielles Misstrauen dürfte in der Tat lähmend
für alle Formen des Ressourcenpoolings wirken. Worauf beruht dann bedingtes Vertrauen in
der Geschäfts- und Arbeitswelt? North (1990, 164ff, passim) bringt kulturelle
Werttraditionen, Ideologien und Transaktionskosten der Vertragsdurchsetzung zur Erklärung
in Anschlag, ohne eine allgemeine Theorie zu behaupten.
Klassisch ist gleichfalls die Frage nach der Bedeutung – und Vermeidung – ungleicher und
unbestimmter Verträge. Es ist weitgehend unkontrovers, dass zwingende Einschränkungen
der Vertragsfreiheit durch Gesetze und Kollektivvereinbarungen zwischen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern grundsätzlich eine Rahmenordnung bilden müssen, um faire
5
Das macht auch das internationale Herausgebergremiums eines special issue „Advances in Personnel
Economics“ der lange Zeit der Personalökonomik gegenüber mehr als reservierten Zeitschrift für
Personalforschung sinnfällig (submissions May 2016, publication January 2017).
17
einzelvertragliche Verhältnisse zu ermöglichen. Wo solche rechtliche Rahmen fehlen, ist es
unwahrscheinlich, dass Arbeitnehmer zu Wirtschaftsbürgern werden, die durch Verträge ihr
Schicksal gestalten können. Streeck (1990: 137ff.) ist in seiner Analyse nur vertraglich
begründeter, also privater Ordnung von Arbeitsbeziehungen mehr als skeptisch.
Insbesondere relationale Kontrakte zur Nutzung spezialisierter Ressourcen konstitutierten
keine Wirtschaftsbürgerschaft, sie hätten überhaupt keine öffentliche, rechtliche Qualität.
Was aussehe wie ein bürgerschaftlicher Status, sei allein auf Eigentumsrechte gegründet.
„The New Institutional Economics“…is nothing other than a renewed attempt to base social
order…theoretically, practically and ideologically on market and contract“ (ebd., 137) – und
sei daher ein Irrweg. Empirische Prüfungen der Vorteilhaftigkeit der deutschen
Mitbestimmungsinstitutionen, also rechtlich zwingend gestalteten Ressourcenpoolings
leiden noch unter mangelnder Robustheit (vgl. Frick /Bermig, 2011; Jirjahn 2011; Jirjahn /
Mohrenweiser / Backes-Gellner 2010). Die Bestimmung der angemessenen Reichweite
privater Ordnung oder der Selbstregulierung der Vertragsparteien ist somit auch noch zu
leisten.
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