Entwurf 21.08.2015 „Personalökonomie und Personalwirtschaftslehre“ – Beitrag zur Tagung „Ideengeschichte der Betriebswirtschaftslehre“, HSU Hamburg, 21. und 22. September 2015 von Dieter Sadowski, Trier Gliederung 1. Die personalökonomische Vorreiterrolle der USA 2. Grundfiguren der Personalökonomik 3. Gibt es Vorläufer und Vorbereiter der personalökonomischen Wende in den deutschsprachigen Personalwissenschaften? 4. Die Personalökonomik heute 5. Ein Blick nach vorne: Personalökonomisch Unerledigtes 1. Die personalökonomische Vorreiterrolle der USA Wie weit das Denken der mit Personalwesen oder Personalwirtschaft beschäftigten deutschsprachigen Betriebswirte 1990 von der herrschenden, kleine Zahlen betonenden Mikroökonomie entfernt war, hat Herbert Hax (1991) in einer programmatischen Zwischenbilanz eindrücklich festgehalten. Vertragsgestaltung zwischen Marktteilnehmern sei zum zentralen Problem avanciert, wobei angesichts asymmetrischer Informationsverteilungen die begrenzten Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung und die Gefahr opportunistischen Verhaltens insbesondere in auf Dauer angelegten Verträgen zu bedenken seien. Um über effiziente Verträge, die Handlungsanreize und Risikoaufteilung regeln, Aussagen machen zu können, sei die Annahme von Rationalverhalten nützlich, wenn nicht nötig, aber auch die Einsicht von Belang, dass ‚institutions matter‘ - dies nicht zuletzt auch deswegen, weil Ausbeutungsgefahren extern zu sichernde Schutzbedürftigkeiten erforderlich machten, um für beide Seiten akzeptable Tauschgleichgewichte zu ermöglichen. 2 Ökonomische Theorie sei zwar zunächst ein Sprachsystem, das logische Implikationen sichtbar mache, die sonst übersehen würden; wenn aber die Verhaltensannahmen als Aussagen über die Realität interpretiert würden, führe die Modellanalyse zu empirisch gehaltvollen und überprüfbaren Aussagen (ebd., 53). Während Herbert Hax 1990 schon manche Belege aus der Fruchtbarkeit der neuen Institutionenökonomie für die empirische Kapitalmarktforschung zitieren kann, muss er konstatieren, dass für die Personalwirtschaftslehre wegen ihrer verhaltenswissenschaftlichen Orientierung noch kein Kontakt zu mikroökonomischen Theorie entstanden sei. Den Fachvertretern sei gar nicht bewusst, dass Personalwirtschaft ebenso wie Marketing und Finanzierung ein marktbezogener Aufgabenbereich sei (ebd., 65). Mit Verweis auf die wenigen ökonomischen Spurenelemente, die Wunderer/Mittmann 1983 in den personalwirtschaftlichen Lehrbüchern nur entdecken konnten, und dem Urteil, dass die von ihm als Ausnahme erwähnte Habilitationsschrift Sadowskis aus dem Jahre 1980 noch keinen Einfluss auf die methodische Orientierung des Faches entfaltet habe, resümiert H. Hax das personalwirtschaftliche Ideenrepertoire im Jahre 1990 so: „Der Arbeitnehmer erscheint als Objekt von Motivations- und Führungstechniken; für sein Wohlergehen sorgen einerseits Gewerkschaften und Mitbestimmungsorgane, andererseits Appelle an die Unternehmensleitung zu ethisch fundiertem Verhalten; der Arbeitnehmer wird hingegen nicht als Vertragspartner gesehen, der seine Interessen auf dem Markt wahrnimmt und dessen Verhalten sich in den Marktverhältnissen niederschlägt.“ (Hax 1991, 65). Das war in den USA anders. 1993 hält Edward Lazear in Stockholm die Wicksell Lectures und prägt dabei nicht nur den Ausdruck „the economics of personnel“, kurz „personnel economics“, er präsentiert auch die Früchte einer schon Jahrzehnte alten Entwicklung. Zu der Buchveröffentlichung der Vorlesungen 1995 notiert Sherwin Rosen (auf dem Umschlag), selbst einer der Protagonisten des Faches: „Lazear sketches a comprehensive survey of a field he has essentially invented. This work has changed the way labor economics is taught in business schools as well as in economics departments and is likely to provoke further changes in the future. He presents rigorous, careful, and highly original economic analysis of a wide variety of personnel practices and empirical phenomena that are essential to the field.” 3 1998 erscheint Lazears Lehrbuch “Personnel economics for managers“, auf dessen Grundlage er 2001 mit Birgitta Wolff und Uschi Backes-Gellner eine deutsche Ausgabe erstellt. Die Bezeichnung „Personalökonomie“ hatte Sadowski schon 1996 für eine Schriftenreihe beim Hampp Verlag übernommen: „International vergleichende Schriften zur Personalökonomie und Arbeitspolitik“, Bd. 1: Ruth Böck: Betriebliche Kompensationspolitik im Wettbewerb nationaler sozialer Sicherungssysteme. München/Mering 1996. Der Zusatz „Arbeitspolitik“ markiert einen inhaltlichen und auch methodischen Unterschied zur reinen Personalökonomik: Fragen kollektiver Interessenvertretung und des Arbeitsrechts wird ein deutlich größeres Gewicht beigemessen, als sie es in den Analysen und Anwendungen Lazears haben. Für die Zeit 1991-2000 haben Matiaske und Nienhüser (2004) die Rezeption amerikanischer Quellen in der deutschen Personalwissenschaft auf originelle Weise untersucht. Danach gehörte Lazear in dieser Zeit noch nicht zu den zehn am häufigsten zitierten Autoren, sondern es waren unter den Institutionenökonomen Oliver E. Williamson (Markets and Hierarchies 1975, The Econonomic Institutions of Capitalism 1985) sowie Paul Milgrom und John Roberts mit ihrem Lehrbuch „Economics, Organization and Management (1992), Werke also, in denen die Grundbegriffe und Argumentationsfiguren der neuen Institutionenökonomie auch schon auf Arbeitsverhältnisse bezogen entwickelt und frühere Autoren – nicht zuletzt Herbert A. Simon 1951, und vor allem Gary S. Becker 1964 sowie Stephen Ross 1973 – gewürdigt werden. Bemerkenswert ist die Feststellung von Wenzel Matiaske und Werner Nienhüser, dass die mit dem Stand der damaligen Personalwirtschaftslehre kritischen und institutionenökonomisch programmatischen Aufsätze von Herbert Hax – und im selben Band von Dieter Sadowski (1991) – zu den 10 am häufigsten zitierten Arbeiten gehörten, und weiterhin, dass sich in diesem Jahrzehnt am Rande schon eine ökonomische Sinnprovinz – nach A. Schütz Gebiete , in denen sich Wissenschaftler mit gemeinsamen Theorien oder Themen begegnen – unter den deutschen Personalwissenschaftlern ‚methodenrobust‘ ausmachen lasse, zu der Schauenberg, Sadowski, Kräkel, Dietl, Backes-Gellner und Frick gehörten, und zwar in der Nachbarschaft von Albach und Gutenberg – wohingegen das Gebiet im Übrigen in der Mitte zersiedelt sei und große Heterogenität - „Multikulti“ (Matiakse / Nienhüser 2004, 132) – 4 vorherrsche, wenn man die psychologische Führungsforschung ausnehme. Der „ökonomische Silberstreif“, den Sadowski et al. (1994) sogar in Lehrbüchern erkannt hatten, hatte sich also deutlich verstärkt. Im Folgenden halte ich ganz kurz die wichtigsten Argumentationsfiguren des personalökonomischen Denkens noch einmal fest, die weitestgehend von USamerikanischen Autoren entwickelt worden sind. Dann frage ich danach, ob sich in der älteren deutschsprachigen Literatur Vorläufer dieses Denkens ausmachen lassen. Dabei verlasse ich mich auf die historischen Analysen anderer: Dieter Schneider, Eduard Gaugler, Gertraude Krell, Thomas Breisig und Ruth Rosenberger. Am Schluss zeige ich, dass personalökonomische Analysen deutschsprachiger Autoren – Modellanalysen ebenso wie vor allem statistische Arbeiten – heute in die internationale Diskussion eingebettet sind und in ihr anerkannt werden. 2. Grundfiguren der Personalökonomik Um die Personalökonomik zu charakterisieren und ihre Geschichte insbesondere in den deutschen Sozialwissenschaften nachzuzeichnen, ist es nützlich, daran zu erinnern, dass sich eine wissenschaftliche Perspektive (Sinnprovinz?) in unterschiedlichen Dimensionen darstellt: - Welchen Problemen gilt die Aufmerksamkeit? - Von welchem theoretischen Standpunkt aus wird argumentiert? - Welche Methoden werden bevorzugt genutzt? - Sind Erklärungsziele oder Absichten, die Praxis zu gestalten, leitend? - Bilden – mehr oder weniger offene – Werturteile, also ethisch-normative Betrachtungen, wesentliches Element der Überlegungen? Meine knappe Antwort auf diese Fragen lautet: Die Personalökonomik schließt thematisch keine der üblicherweise von Personalwissenschaftlern bearbeiteten Felder der Personalarbeit in Unternehmen aus, betont aber insbesondere den Umgang mit Chancen und Risiken längerfristiger 5 Arbeitsbeziehungen, in Deutschland auch der kollektiven Arbeitsbeziehungen. Das theoretische Gerüst bildet die informations- und institutionenökonomische Mikrotheorie des Arbeitsvertrages. Kanonisch werden aus Modellimplikationen empirisch prüfbare Hypothesen abgeleitet, die empirisch geprüft werden; Labor-und Feldexperimente sowie die Arbeiten mit Unternehmensdaten (Panelanalysen‚ insider econometrics‘‚ ‚Human Resource Analytics‘) machen heute den Kern der personalökonomischen Arbeiten aus - faktisch allerdings oft ohne axiomatische Modellierung und stattdessen mit anscheinend verhaltenswissenschaftlichen Ad-hoc-Annahmen. Praktische Gestaltungsabsichten werden zwar proklamiert – von niemandem stärker als Ed Lazear –, aber in der Mehrheit der Fälle stehen Erklärungs- und Rekonstruktionsversuche im Vordergrund. Liberale Überzeugungen von der Nützlichkeit individueller Wahl – bei manchen Differenzen hinsichtlich der angenommenen Nutzenfunktionen und Menschenbilder – , und von Privateigentum und Vertragsfreiheit sind dominant. Vertrags- und Marktversagen werden dem Grunde nach als legitime Gründe für externe Regulierung akzeptiert, für ethische Appelle besteht kein rechter argumentativer Raum, sieht man von ordnungsethischen Vorstellungen ab, etwa Homann (1995). Die Theorie längerfristiger Arbeitsverhältnisse, die sowohl von symmetrischer Unsicherheit als auch von Informationsasymmetrie bei partiellen Interessendivergenzen geprägt sind – kurz die Theorie „prekärer Partnerschaften“ (Schelling 1960) oder „konstruktiver Wundertüten“ (Birk 1973, 60) – sei inhaltlich noch mit zentralen Stichworten charakterisiert1, damit klar ist, welche Spuren wir suchen. - (Vollständige oder unvollständige, verifizierbare oder nicht verifizierbare) explizite, implizite und relationale Verträge - Vor- und nachvertraglicher Opportunismus - Anreizverträglichkeit, high powered and low powered incentives - Leitungsmacht, Ausbeutung, Shirking, Fairness, Loyalität, Reziprozität, „Treu und Glauben“ 1 - Nichtkontrahierbarkeit ko-spezialisierter Humankapitalinvestitionen - Selbstbindung, self-enforcing contract, Quasi-Vertrauen Ausführlich und mit Nachweisen bei Sadowski 2002, Kapitel 5:72-91. 6 - Ressourcenpool (Kollektivverträge, lokale öffentliche Güter und “bads”) - Interner Arbeitsmarkt - Vertrags- und Marktversagen 3. Gibt es Vorläufer und Vorbereiter der personalökonomischen Wende in den deutschsprachigen Personalwissenschaften? Dieter Schneider(2001, 194) sieht etwa ab 1912 eine wissenschaftliche Gemeinschaft der „Betriebswirtschaftslehre“ entstehen, zunächst unter dem Namen „Privatwirtschaftslehre“. In Auseinandersetzungen mit den Katheder-Sozialisten, die durchaus auch auf die Arbeitsbeziehungen in Unternehmen zielen, wird die Forderung Lujo Brentanos, dass Arbeitnehmer und Unternehmer bei Lohnverhandlungen gleich mächtig sein müssten, und dessen Vorwurf gegen die Privatwirtschaftslehre, allein das Sonderinteresse der Unternehmer zu sehen, zu einer Verlängerung des Werturteilsstreits aus der Volkswirtschaftslehre. In dessen Folge verpflichten sich überraschender und ironischer Weise Betriebswirte, die ursprünglich praktisch-gestaltend Unternehmen unterstützen wollten, auf ethisch-normative Wissenschaftsziele. Dieter Schneider (ebd., 199) nennt Schär, Nicklisch, Dietrich und auch Schmalenbachs unernsthaftes und inkonsistentes, jedenfalls nur kurzzeitiges Bekenntnis zur Gemeinwirtschaftlichkeit. Widersprüchlichkeit sieht Dieter Schneider auch bei Nicklisch, dessen Absichten zwar normativ-wertend waren, in der konkreten Forschung etwa zur betrieblichen Lohnpolitik argumentiere er jedoch „empirisch-realistisch“, ohne über viele Schriften des 19. Jahrhunderts hinaus zu gelangen und ohne die Begründungsschritte (Begriffsexplikationen, Messbarkeitsüberlegungen) zu tun, die eine gesellschaftlichverpflichtete einzelwirtschaftliche Theorie von Sozialgeschwätz unterscheide (ebd., 212). Nicklisch wendet sich gegen die Lehre vom Arbeitsvertrag als „Tausch“, er sieht in ihm das Mittel, „die ‘Gliedschaft der Arbeit zu organisieren‘“ (Nicklisch 1932, 285f., zitiert nach Krell (1994, 61). „Individuelle Interessen, die den gemeinschaftlichen entgegenstehen, verteufelt er als Egoismus. Menschen, die egoistische Interessen vertreten, die ‚Gewissenlosen‘, 7 sind für ihn Schädlinge und Parasiten, denen das Handwerk gelegt gehört…“ (zitiert nach Krell (1994, 74). Die Idee der Betriebs- oder Arbeitsgemeinschaft gehe auf Dietrich 1914 zurück. „Da Unternehmer und Beschäftigte Organe der Unternehmung seien, komme dem gemeinsamen Interesse an deren Wohlergehen eine sehr viel größere Bedeutung zu als Interessengegensätzen…“ (ebd., 57, Anm. 8). Die Vorstellung, dass Menschen sich zusammentun, um einen Zweck gemeinsam zu verwirklichen, definiert heute rechtlich eine Personen- oder Kapitalgesellschaft. Die Metaphorik, dass so aus dem Betriebsmechanismus ein Organismus werde, ist der heutigen Organisationstheorie dagegen fremd. Immerhin zieht Nicklisch die Konsequenz, dass Betriebsräte eine notwendige Einrichtung seien. Mit Dietrich (1914) betrachtet er den Betrieb als Empfänger der Wertschöpfung, nicht dessen Eigentümer, woraus die Forderung nach Gewinnbeteiligung folgt. Der Soziologe Tönnies (1928, zit. nach Krell 1994, 117f.)) merkt schon früh an, dass der Begriff „Betriebsgesellschaft“ angemessener gewesen wäre, wo es auf ‚rechnende Vernunft‘ statt auf Gemeinschaftsschwärmerei ankomme und Gewerkschaften als ‚Waffe der Schwachen’ nötig seien. Trotz der holistischen Betrachtung und der Ablehnung des Arbeitsvertrages als Tauschvertrag fallen also Ähnlichkeiten mit der Figur des Ressourcenpools auf. Diese Ähnlichkeit hat aber deutliche Grenzen. Rosenberger (2008) zeichnet in einer eindrucksvollen Studie im Detail das personalwissenschaftliche Denken im 20. Jahrhundert in Deutschland nach, und sie betont dessen Rezeption in der Unternehmenswelt. Nach ihrem Urteil ist die Literatur noch in die 1960er Jahre hinein im Kern „harmonisch-vergemeinschaftend“, sie sei nicht liberal-individualistisch fundiert. In den Worten Dieter Schneiders: „Die Steigerung der Arbeitsergiebigkeit durch betriebliche Sozialpolitik wird [ab 1950, Kalveram] ein Forschungsleitbild für die betriebswirtschaftliche Personallehre für die nächsten Jahrzehnte.“ (Schneider 2001, 241). Die Arbeiten von Guido Fischer (1929, 1948 im Wesentlichen unverändert) und Josef Kolbinger (1972) unterscheiden sich nach Rosenberger theoretisch und methodisch nicht von den Vorgängerarbeiten, und die Partnerschaftsprogrammatik bleibe auch weiterhin ohne weitreichende Konsequenzen. Es würden Kompromisse zwischen normativer und empirisch-realistischer Betriebswirtschaftslehre angeboten und die christlich-sittliche Aufgabe des Unternehmens gegenüber dem Arbeitnehmer betont. 8 Kolbinger (1972, 51) ist deutlich: „Nach heutiger Auffassung ist also ‚…das Arbeitsverhältnis ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis, der Arbeitsvertrag ein gemeinschaftsbegründender Vertrag, der seine Parallele nicht im Kauf-, sondern im Gesellschaftsvertrag findet‘ (Hueck, S. 116). Die enge Verbindung mit den ‚Partnerschaftsbestrebungen‘ …wird damit auch durch das Recht offenbar.“ Auch der „Mythos Notgemeinschaft“ in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg, der nach Breisig (1990, 108) zu einem ‚ängstlichen, ja beinahe unterwürfigen, auf bereitwillige Kooperation mit den Gewerkschaften gerichtetes Handeln‘ geführt hätte, habe keine Änderung bewirkt. Hasenacks (1952) Programm etwa einer anthropologischen Betriebslehre habe versucht, die Betriebswirtschaftslehre an ‚große universale Zusammenhänge‘ anzubinden, habe aber die Forderung eingeschlossen, neben Betriebspsychologie, Betriebssoziologie, Betriebspädagogik, Betriebsrecht, Betriebsgeschichte und Betriebsorganisation als wichtiges Kerngebiet die betriebliche Arbeitswissenschaft zu berücksichtigen (Rosenberger 2008, 134). Ansätze, die den Subjektcharakter von Arbeitnehmern ernst nahmen, hat es außerhalb der Betriebswirtschaftslehre schon früh gegeben. Der frühere evangelische Pfarrer und spätere Berufspolitiker Friedrich Naumann hat schon Ende des 19. Jahrhunderts eine Wirtschaftsverfassung vorgeschlagen, in der rechtlich abgesichert Gewerkschaften die überbetriebliche Interessenvertretung und Betriebsräte die innerbetriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer übernehmen sollten. Dieser wirtschaftsdemokratische oder ‚fabrikparlamentarische Ansatz‘2 macht aus dem Industrieuntertanen einen Industriebürger, also eine Persönlichkeit oder ein durch Rechte und Pflichten gekennzeichnetes, handelndes Individuum in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem (nach Rosenberger 2008, 71). Nach Prion (1936) hat die Einrichtung der Betriebsräte nach dem (ersten) Weltkrieg „…nicht nur versagt, sondern oft sogar die betrieblichen Spannungen noch verschärft“ (Prion 1936, 101). Den Wechsel von patriarchalischen zu rationalen Betriebsformen nimmt er – mit Bedauern ? – jedoch als gegeben hin: „Im versachlichten Betrieb …stört jede persönliche Note: kein gefühlsbetontes Treueverhältnis, sondern ein juristischer 2 Gaugler (2002, 249) hält fest, dass eine Reihe von Unternehmen schon seit der Jahrhundertwende Erfahrungen mit dem Konzept der ‚Konstitutionellen Fabrik‘ gesammelt hätten. Teuteberg (1961, 254 – 275) datiert die ersten Beispiele auf 1840ff. 9 Vertrag bestimmt das Arbeitsverhältnis, das Art und Dauer der Arbeitsleistung festlegt und kollektiv, ganz unpersönlich, durch Tarifvertrag abgeschlossen wird“ (ebd., 99), und er zögert auch nicht, Machtunterschiede zwischen den Arbeitsmarktparteien anzusprechen. Sowohl die Volksgenossenschaft der Arbeitnehmer in der Nazizeit als auch die gescheiterten Versuche Potthoffs und Pirkers, das gewerkschaftliche Wirtschaftswissenschaftliche Institut als soziologisch ausgerichteten Think-tank der Gewerkschaften zu etablieren und die Arbeitsdirektoren der Montanmitbestimmung zu Personalexperten zu machen, übergehe ich hier (vgl. aber hierzu Rosenberger 2008, 198ff.) Noch für den Anfang der sechziger Jahre belegt Rosenberger eine breite Ignoranz westdeutscher Unternehmer gegenüber personalpolitischen Fragen, das Thema partizipativer Führungsstil dominierte die Arbeiten. „1961 beschäftigte sich die alljährliche Pfingsttagung des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre erstmals nach dem Krieg explizit mit einem personalpolitische relevanten Thema: „Arbeit und Lohn als Forschungsobjekt der BWL“. Zugleich beendete Josef Kolbinger die Arbeit an seinem Lehrbuch zum betrieblichen Personalwesen. (Kolbinger verwendet 1975 den Begriff „Humanökonomie“, will darunter nicht nur Interessenkonflikte, sondern „gestalthaftes Selbstbewusstsein“ untersuchen (Kolbinger 1975, 1719). Und an der Mannheimer Universität wurde 1961 die erste Professur für „Personalwesen und Arbeitswissenschaft“ eingerichtet (August Marx, Theologe), was mit der Aufnahme dieses Fachs als spezielle Betriebswirtschaftslehre in die Prüfungsordnung für Diplomkaufleute einherging.“ (Rosenberger 2008, 367). Auch A. Marx ist den gemeinschaftsorientierten Ansätzen zuzurechnen (Krell 1999, 131). Bis die Kommission Personalwesen 1973 im VHB gegründet wurde, passierte in der betriebswirtschaftlichen Literatur nicht viel, allerdings ergab sich seit 1964 an der Universität München eine engere Kooperation zwischen Arthur Mayer und Guido Fischer und damit die Neuausrichtung eines Fachteils der Psychologie, der von einer eigenen, betriebswirtschaftlich orientierten Ausrichtung geprägt war einerseits, andererseits eine Neuorientierung der Arbeitswissenschaften im Hinblick auf eine Öffnung in Richtung sozialer und sozialpsychologischer Aspekte anstrebte (nach Rosenberger 2008, 367f.) 10 Selbst wo Psychologie und Soziologie an die Stelle der Ethik getreten sind, wie in der verhaltenswissenschaftlich orientierten Betriebswirtschaftslehre, gehe das „zu Lasten der Einsichten, die auf den Aspekt des Einkommenserwerbs und der Einkommensverwendung gerichtet sind“ (Schneider 2001, 136), zumal dann, wenn sich die „Ablehnung einer Methode isolierender Abstraktion verbindet mit der Verniedlichung von Interessengegensätzen in Organisationen“ (ebd., 243). Die Übernahme verhaltenswissenschaftlicher Methoden anstelle eines wirtschaftstheoretischen Denkstils berge die Gefahr des Dilettantismus (ebd., 262), menschliche Grenzen für eine Theoriebildung seien stets zu beachten. Auch die Entwürfe Heinens und Ulrichs stellen für Schneider ein nicht geglücktes Gemisch aus erklärenden und gestaltenden Theorie- und Wunschvorstellungen dar. Schneider zeichnet auch nach, wie Mellerowicz 1952 mit seiner Forderung, dem praktischen Betriebe zu dienen, die „Unterordnung wissenschaftlichen Arbeitens unter die Interessen gebundene Parteilichkeit der Unternehmensführung (sagen wir ruhig: der Arbeitgeber)“ (ebd., 250)) befördert. Da war Dietrich 1914 schon weiter, als er zwar eine Personalabteilung für unnötig hielt, aber in einer Stabsstelle Wissenschaftler in der Nähe der Geschäftsführung als sachlich und persönlich unparteiische Schiedsstelle befürwortet hat (vgl. Rosenberger 2008, 57f.). Dietrichs Position blieb ohne Wirkung, vielleicht auch deshalb, weil er kein Hochschullehrer war (Rosenberger 2008, 57f.) Für die Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg insgesamt war die auf die Produktivitätsbeziehung gründende Unternehmenstheorie Erich Gutenbergs (methodisch 1929, inhaltlich 1951ff.) als mikroökonomische Grundlegung der Betriebswirtschaftslehre der entscheidende Modernisierungsschritt. Die personalwirtschaftlichen Implikationen dieser Unternehmenstheorie entfaltet Albach 1982. Sandig, ein Schüler Nicklischs, akzeptiert 1966 die Kritik Gutenbergs an Nicklischs Ansatz und räumt ein, dass sich die Betriebswirtschaftslehre nicht aus der Idee der Betriebsgemeinschaft bilden lasse (Sandig 1966, zitiert nach Gaugler (1999, 9)). Die Unterscheidung Gutenbergs von systemindifferenten und systembezogenen Tatbeständen nimmt eine institutionentheoretische Sicht ein, sie ist in D. Schneiders Sicht ‚eher der Tradition des deutschen Idealismus‘ (Schneider 2002, 252) als der angelsächsischen ‚logischpositivistischen‘ Wissenschaftstheorie verhaftet. Gutenberg gibt der Mitbestimmung der Arbeitnehmer einen bestimmten Raum, aber für die Entwicklung der Personalökonomik in der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre haben weder die Isolierung 11 systemabhängiger Faktoren noch die organisationstheoretischen Arbeiten Gutenbergs oder die Ausführungen zum dispositiven Faktor sowie das Solidaritätsaxiom, das sich auch in der Teamtheorie Marschaks findet, den entscheidenden Schritt bedeutet (vgl. Sadowski / Pull / Schneider 1999). Dem Solidaritätsaxiom zufolge verfolgen alle Mitarbeiter im Unternehmen nicht ihre individualistischen Interessen, sondern das Unternehmensinteresse. „Gutenberg wusste sehr wohl, daß das Solidaritätsaxiom eine theoretische Setzung ist, die das Problem der Interessenkonflikte im Betrieb ausklammern hilft….Gutenberg nahm die neueren Entwicklungen [Prinzipal-Agenten-Theorie, Theorie unvollständiger Verträge] wahr, konnte sie aber nicht mehr befriedigend in seine Theorie der Unternehmung integrieren.“ (Albach 1997, 1263) Karl Hax hat sich früh um eine das Mitbestimmungsprobleme erfassende „personal ausgerichtete…Unternehmenstheorie“, also Fragen der Unternehmensverfassung, bemüht (zumindest 1959, nach Schneider 2001, 254). Auch ihm war unzweifelhaft, dass die Betriebswirtschaftslehre nicht als Betriebssoziologie, sondern als Wirtschaftswissenschaft zu betreiben sei. Dazu räumte er die Möglichkeit einer arbeitnehmerbezogenen (gemeinwirtschaftlichen) Theorie ein – neben einer kapital- und einer managementorientierten (Karl Hax (1977, 17f.), wie sie tatsächlich damals als Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre am WSI entworfen wurde (Projektgruppe im WSI 1974). Die vertragstheoretische Wende in der personalwirtschaftlichen Literatur ist nicht in der deutschsprachigen Literatur vorbereitet worden. Es lassen sich allenfalls frühe Ansätze der Theorie des Ressourcenpoolings, also von Sozialverträgen, im fabrikparlamentarischen Ansatz von Naumann und in den Arbeiten zur Unternehmensverfassung (K. Hax, E. Gutenberg) erkennen. Auch die Theorie interner Arbeitsmärkte ist – trotz gewichtiger Beispiele in der deutschen Wirtschaftsgeschichte – erst über den Umweg US-amerikanischer Autoren in der deutschsprachigen personalwirtschaftlichen Theorie heimisch geworden – trotz früher Bemerkungen Guido Fischers zur Sicherung einer Stammbelegschaft ( G. Fischer 1955, 37; zitiert nach Krell 1994, 186). Die Rezeption ökonomischer Rekonstruktionen interner Arbeitsmärkte erfolgte in der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre nicht vor 1990. Dann aber war die Ausbildung der Personalökonomik als Disziplin oder Sinnprovinz in 12 der deutschsprachigen Personalwirtschaftslehre so rasant, dass Weibler/Wald (2004, 268) schon von einer ‚ökonomischen Vormachtstellung‘ sprechen. Theoretisch und methodisch hätten die heutigen Denkstiländerungen in Deutschland das Fach Jahrzehnte früher befruchten können, wenn nicht die mikroökonomischen Organisationstheoretiker wie Aumann, Marschak, Morgenstern und Wald von den Nazis zur Emigration gezwungen worden wären. An diesem Urteil Schneiders gibt es sicher nichts zu rütteln. (Schneider 2001, 229).3 Die Entwicklung in der deutschsprachigen Personalwirtschaftslehre ist auch realgeschichtlich erklärbar. Breisig (1990) resümiert für die zwanziger Jahre, „…daß das Unternehmenswachstum, die immensen Rationalisierungsschübe und das radikalisierte innenpolitische Klima bzw. die gesteigerte Machtposition der Gewerkschaften dazu geführt haben, dass die Personalführung… erstmals in der Geschichte des Kapitalismus in Deutschland in das Gegenstandsfeld bewusster betriebswirtschaftlicher Maßnahmen und Überlegungen gerückt ist: gesucht wurde die ‘richtige‘ Menschenbehandlung, wie die Personalführung damals gern bezeichnet wurde, die zu Produktivitätssteigerungen (insbesondere in Verbindung mit dem Einsatz neuer maschineller Anlagen) führt und auf eine Befriedigung der aufgeführten Massen und eine Zurückdrängung des Einflusses der Gewerkschaften hoffen lässt… ‚Die soziale Frage ist damit zum Problem der Menschenführung geworden…‘ (Schenz 1930, 66, zitiert nach Breisig 1990, 62)“ (ebd.). In der Zeit der DINTA, des Deutschen Instituts für technische Arbeitsschulung, wurde in der Schulung der Führungskräfte als Novum das betriebliche Vorschlagswesen betont, um den schlummernden Ideenreichtum der Arbeiter und Angestellten zu nutzen (ebd., 84); auch der organisierte Massentourismus der Deutschen Arbeitsfront, „Kraft durch Freude“) stach hervor. 1960 war Vollbeschäftigung erreicht, die Existenzunsicherheit war verschwunden. Die deutschen Unternehmen orientierten sich mit ihren Exporten auf dem Weltmarkt, Innovationsschübe waren häufig, und die tayloristische oder fordistische großbetriebliche 3 Zur Bedeutung ‚gemeinhin weniger geschätzter deutscher spätklassischer Autoren des 19. Jahrhunderts, wie Riedel, Mangoldt, Schäffle‘, wo D. Schneider die Ursprünge der institutionellen Mikroökonomie sieht, enthalte ich mich eines Urteils (vgl. Schneider 2001, 1034). Vgl. aber: D. Schneider (2012): „Vorläufer einer ‚Personalökonomik‘ und ein Vorschlag zur Arbeitnehmermitbestimmung im 19. Jahrhundert, in diesem Band – Andererseits hat ‚das theoretisch bedeutende Werk von Emminghaus 1868‘ nach Brockhoff (2014, 139) keine nachhaltige Wirkung entfalten. 13 Organisation strebte ihrem Höhepunkt zu (ebd., 110ff.). Fragen der Personalführung spielten keine herausragende Rolle mehr: „Motivation und Identifikation der Beschäftigten war durch die ökonomische Leistung und ihre Anteilnahme [sic] an der steigenden Prosperität gesichert.“ (Breisig 1990,112). Konzepte der gemeinschaftlichen Praxis erhielten erneut Bedeutung, so das „Mit-Unternehmertum“ oder die Partnerschaft, die mit Gewinn- und Kapitalbeteiligung einherging. Grundsätze kooperativer Führung, Mitbestimmung am Arbeitsplatz und eine kooperative Unternehmenskultur waren dominierende Themen, deren vergemeinschaftender Charakter deutlich ist. Die Erfindung des Intrapreneurs, von Profit-Centern und das Managment by Objectives sind Konzepte, die die 1980er Jahre bestimmten (Rosenberger 2008, 430). Ob Arbeitskraftunternehmer, „Ich-Unternehmer“ – eine kritische soziologische Bezeichnung – als handelnde Subjekte oder auf Stimuli reagierende Agenten zu betrachten sind, wäre zu diskutieren, aber diese Konzepte machen jedenfalls den Arbeitnehmer als mit diskretionärem Spielraum und Eigeninteressen ausgestatteten Akteur sichtbar, als Akteur also, der vertragstheoretisch belangvoll sein könnte und sollte. Das ist zunächst nicht passiert, stattdessen kann Breisig (1990, 131) eindrucksvoll zeigen, wie sich die verhaltenswissenschaftliche Öffnung zum homo psychologicus im Handbuch der Betriebswirtschaft niedergeschlagen hat. Die Auseinandersetzungen um eine angemessene Konzeptualisierung der Interessengemeinsamkeiten und -differenzen im Unternehmen führte zu einer gewissen Zerrissenheit des Forschungsfeldes „Personalwesen“, wie Wolfgang Weber 2002 konstatiert: Ökonomische Rationalität und personale oder soziale Anforderungen stünden in einer bislang nicht überbrückten Spannung, es gebe keine integrierten Ansätze: „In den Lehrbüchern wird nahezu durchgängig verhaltenswissenschaftliche Basiswissen als zusätzliche Komponente des personalwirtschaftlichen Wissens referiert.“ (Weber 2002, 1833f.) Ähnlich urteilt Eduard Gaugler zur gleichen Zeit: Nach dem Zweiten Geldkrieg seien bemerkenswerte Monographien in verschiedenen Nachbardisziplinen entstanden, in der Psychologie, der Soziologie, der Arbeitsmedizin, den Arbeitswissenschaften, der Betriebspädagogik und auch dem Arbeitsrecht – aber zur Literatur , die sich auf die Neue Institutionenökonomie stützt, findet sich in seiner Bestandsaufnahme nur ein kurzer Satz (Gaugler 2002, 259 bzw. 255). 14 4. Die Personalökonomik heute Noch 1999 differenziert auch Krell (1999, 133) zwischen „Personalökonomie“ und „Personalwirtschaft verhaltenswissenschaftlich angereichert“, sie ist sich aber nicht sicher, ob die Polarisierung „Ökonomie vs. Verhaltenswissenschaft“ weiterhin die Orientierungsdiskussion dominieren sollte. Obwohl sie für die Personalökonomie – mit Verweis auf den eingangs zitierten Vortrag auf der VHB-Tagung in Frankfurt 1990 von Sadowski (1991) – zuerkennt, dass gegenüber Gutenberg nun das Personal vom Kostenfaktor zum Humankapital avanciere, unterliegt sie einem partiellen Missverständnis. Zwar bleibt Personal in dieser Sicht („Vordenker Sadowski“, Krell ebd.) einem ökonomischen Kalkül unterworfen, aber die Pointe liegt darin, dass auch der Arbeitgeber einem solchen Kalkül von seinen Beschäftigten „unterworfen“ wird, anders ausgedrückt, dass Personal auch als Subjekt oder Akteur gedacht wird (ausgeführt in Sadowski 2002). Als Weibler / Wald 2004 wegen der „ökonomischen Hegemonie“ die Krise der Disziplin der Personalwirtschaftslehre beklagen – schon damals im Wesentlichen zu Unrecht, wie die Diskussion ihres Beitrages durch Grieger, Kräkel, Backes-Gellner und Pull gezeigt haben4 ─, stützen sie ihren Befund nicht mehr auf Lehrbücher, sondern auf Zeitschriftenliteratur. Weitere 10 Jahre später zählen Süß/Altmann (2015, 15) mit einer vergleichbaren Zeitschriftenauswahl für das Verhältnis ökonomisch zu verhaltenswissenschaftlich ausgerichteter Beiträge statt 30 : 7 damals, nun 50 : 46, also beinahe ein ausgeglichenes Verhältnis in den Jahren 2004 - 2013. Die Autoren bemerken auch, dass in der „verhaltensökonomischen, experimentellen Forschung“ Verbindungen zwischen beiden Richtungen (oder Sinnprovinzen?) gesucht werden. Das können sie mit ihrer Stichprobe (noch) nicht belegen, aber eine Sichtung der 83 akzeptierten Beiträge zum 18. Colloquium on Personnel Economics (Wien, März 2015) zeigt Folgendes: (Nur) 10 Beiträge waren reine Modellanalysen, (nur) 10 weitere verbanden Modellanalysen mit empirischen Schätzungen. Unter den 73 empirischen Beiträgen insgesamt basierten 12 auf Laborexperimenten und 3 auf Feldexperimenten. 58 4 Mit einer Replik von Weiber und Wald erschienen in: DBW 55(2005), 79-100. 15 Beiträge haben ihre Beobachtungen statistisch analysiert. Nur 3 Vorträge waren eher Psychologie als Ökonomik, alle anderen empirischen Arbeiten sind m.E. als „behavioral economics“ zu kategorisieren. Insofern ist die Überwindung der Barrieren also erfolgt: „Successful innovations in economics find new variables that ’matter‘ [in economic settings, DS] and, in addition, show how these variables can be identified and measured.“ (Pesendorfer 2006: 714) Auch die Internationalisierung der Personalökonomik unterschätzt die vorsichtige „Annäherung“ durch Süß/Altmann beträchtlich. Der Blick allein auf personalwirtschaftliche Zeitschriften und die allgemeinen betriebswirtschaftlichen Zeitschriften ist inzwischen irreführend, da viele Beiträge deutscher Personalökonom_innen auch in bildungsökonomischen, organisationstheoretischen oder allgemein ökonomischen Organen akzeptiert werden. Für vier willkürlich ausgewählte, mir und Bernd Schauenberg näherstehende Autor_innen aus der Stichprobe von Süß/Altmann habe ich die Zahl der internationalen Veröffentlichungen mit einer größeren Auswahl an Zeitschriften im Beobachtungszeitraum gezählt, sie übertreffen alle das dort angegebene Maximum von 7 Beteiligungen an internationalen Zeitschriftenveröffentlichungen mindestens um das Doppelte. Noch wichtiger als die Publikation ist die internationale Rezeption der Beiträge ursprünglich deutschsprachiger Autoren. Die autoritative Sichtung der Literatur zu „behavioral contract theory“ von Köszegi 2014 nennt im deutschsprachigen Raum beheimatete Autoren mit maßgeblichen Beiträgen zu ‚psychology-and-economics‘ auch in nichtpersonalwirtschaftlichen, aber vielfach übertragbaren Kontexten: Ernst Fehr, Nick Netzer, Björn Bartling, Armin Schmutzler, Zürich; Achim Wambach, Köln; Klaus M. Schmidt und Florian Englmaier, München; Florian Herold, Bamberg; Fabian Herweg, Bayreuth; Ferdinand v. Siemens, Roman Inderst und Michael Kosfeld, Frankfurt; Armin Falk, Bonn; Dirk Sliwka und Patrick W. Schmitz, Köln). (Ohne deutsche Autoren im Ausland.) Kurz: Auch wenn D. Schneider (2002, 252) mit Blick auf die Personalökonomik jedenfalls Recht zu geben ist, dass ‚die deutschsprachige Betriebswirtschaftslehre im Weltmaßstab der letzten 50 Jahre einem eher provinziellen Markt gleiche‘, so sind heute personalökonomische Beiträge sich auf Englisch äußernder deutschsprachiger Wissenschaftler_innen in der internationalen 16 Community der Ökonomen angekommen.5 Gleiches gilt auch für die internationale Nutzung deutscher Datensätze, etwa GSOEP oder LIAB, die Employer-Employee-Linked-Data des IAB. 5. Ein Blick nach vorne: Personalökonomisch Unerledigtes Wenn der Königsweg ökonomischer Forschung darin besteht, axiomatisch Rationalverhalten zu modellieren, um Ad-Hoc-Hypothesen zu vermeiden, sodann die entscheidenden Variablen valide zu operationalisieren und schließlich die abgeleiteten Zusammenhänge empirisch zu analysieren, dann gibt es für die Personalökonomik trotz aller Fortschritte noch Einiges zu tun. Ohne dies hier weiter zu verfolgen, möchte ich die Aufmerksamkeit auf zwei weitere Desiderate lenken. Die Frage nach den „vorvertraglichen Grundlagen von Verträgen“ ist seit Dürkheim eine klassische Frage der Soziologie, die sich natürlich auch für Arbeitsbeziehungen stellt. Für Albach (1997, 1269) ist klar: „Die Basis von Geschäftsbeziehungen ist Vertrauen.“ – weshalb er ein Harmoniemodell des Unternehmens dem Konfliktmodell der Vertragstheorie als vermutlich produktiver vorzieht. Und: „Harmonie kann also bei anfangs durchaus unterschiedlichen Zielsetzungen im Diskurs [und vor Vertragsabschluss] hergestellt werden“ (ebd. 1277). Herrschaftsfreie Diskurse sind zwar vielen eine fremde Vorstellung für real existierende Arbeitsbeziehungen, aber ein prinzipielles Misstrauen dürfte in der Tat lähmend für alle Formen des Ressourcenpoolings wirken. Worauf beruht dann bedingtes Vertrauen in der Geschäfts- und Arbeitswelt? North (1990, 164ff, passim) bringt kulturelle Werttraditionen, Ideologien und Transaktionskosten der Vertragsdurchsetzung zur Erklärung in Anschlag, ohne eine allgemeine Theorie zu behaupten. Klassisch ist gleichfalls die Frage nach der Bedeutung – und Vermeidung – ungleicher und unbestimmter Verträge. Es ist weitgehend unkontrovers, dass zwingende Einschränkungen der Vertragsfreiheit durch Gesetze und Kollektivvereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern grundsätzlich eine Rahmenordnung bilden müssen, um faire 5 Das macht auch das internationale Herausgebergremiums eines special issue „Advances in Personnel Economics“ der lange Zeit der Personalökonomik gegenüber mehr als reservierten Zeitschrift für Personalforschung sinnfällig (submissions May 2016, publication January 2017). 17 einzelvertragliche Verhältnisse zu ermöglichen. Wo solche rechtliche Rahmen fehlen, ist es unwahrscheinlich, dass Arbeitnehmer zu Wirtschaftsbürgern werden, die durch Verträge ihr Schicksal gestalten können. Streeck (1990: 137ff.) ist in seiner Analyse nur vertraglich begründeter, also privater Ordnung von Arbeitsbeziehungen mehr als skeptisch. Insbesondere relationale Kontrakte zur Nutzung spezialisierter Ressourcen konstitutierten keine Wirtschaftsbürgerschaft, sie hätten überhaupt keine öffentliche, rechtliche Qualität. Was aussehe wie ein bürgerschaftlicher Status, sei allein auf Eigentumsrechte gegründet. „The New Institutional Economics“…is nothing other than a renewed attempt to base social order…theoretically, practically and ideologically on market and contract“ (ebd., 137) – und sei daher ein Irrweg. Empirische Prüfungen der Vorteilhaftigkeit der deutschen Mitbestimmungsinstitutionen, also rechtlich zwingend gestalteten Ressourcenpoolings leiden noch unter mangelnder Robustheit (vgl. Frick /Bermig, 2011; Jirjahn 2011; Jirjahn / Mohrenweiser / Backes-Gellner 2010). Die Bestimmung der angemessenen Reichweite privater Ordnung oder der Selbstregulierung der Vertragsparteien ist somit auch noch zu leisten. Literatur Albach, Horst (1997): Gutenberg und die Zukunft der Betriebswirtschaftslehre. ZfB 67, 12571283. Albach, Horst (1982): Organisations- und Personaltheorie. In: Koch, Helmut (Hrsg.): Neuere Entwicklungen in der Unternehmenstheorie. Wiesbaden, 1-22. Backes-Gellner, Uschi / Edward P. Lazear / Birgitta Wolff (2001): Personalökonomik – Fortgeschrittene Anwendungen für das Management. Stuttgart. Becker, Gary S. (1964): Human Capital, 2nd ed., New York. Birk, Rolf (1973): Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht. Köln. Breisig, Thomas (1990): Skizzen zur historischen Genese betrieblicher Führungs- und Sozialtechniken. München, Mering. Brockhoff, Klaus (2014):Betriebswirtschaftslehre in Wissenschaft und Geschichte. 4. Aufl. Wiesbaden. 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