Seminar: Theorie und Praxis rassismuskritischer Bildungsarbeit Seminarleitung: Dipl. Päd. Jeanne Dornow Datum: 7.7.2015 Stundengestaltung: Christiane Bochröder, Jermaine Kreis, Lucia-Sophie Hansel, Julia Bauer Rassismuskritische Bildungsarbeit mit Kindern Übersicht 1. Konstruktionsprozesse von Weißsein und Schwarzsein/ethnischer Differenz im Kindergarten → auch von Machtverhältnissen geprägt: 1. Kinderbücher 2. Lieder 3. Spiele 4. Institutioneller Rassismus durch Pädagog*innen → siehe Kulturalisierung als Bewältigungsstrategie 2. Bedeutung für Identitätsbildungsprozesse bei Kindern → Machtstrukturen auf 3 verschiedenen Ebenen (nach P. Bourdieus Theorie der sozialen Ungleichheit), die den frühen Konstruktionsprozessen zugrunde liegen → Ethnisierende Differenzierungen 3. Ansatzpunkte für rassismuskritische Bildungsarbeit im Kindergarten Die 3 Ebenen des Machtverhältnisses von Bourdieu (Eggers, „Diversity Matters“) 1. Symbolische Ordnung auch symbolische Gewalt schwer greifbar kann ihrer symbolischen Stärke beraubt werden, indem bewusst gemacht wird, wie sie wirkt (Verankerung der Prinzipien des Bewertens beseitigen) in jedem Handlungsinhalt verborgen unbewusst im Habitus der Akteure verankert (Gewohnheit/Unbewusst sein) 2. soziale Praxis Handlungen geschehen bewusst und unbewusst, aber bewusste Handlungen basieren auch auf dem Habitus (wie unbewusste Handlungen) →bewusstes Handeln basiert auf unbewussten Prinzipien des Bewertens bzw. Denkens 3. soziale Strukturen soziologische Einteilung menschlicher Gesellschaften nach sozialen Merkmalen Institutionell geprägt (Gymnasium, Hauptschule...) Entstehung von Rassismus im Kindesalter (Wagner & Sulzer, „Kleine Rassisten?“) Identitätsentwicklung junger Kinder in enger Verbindung mit sozialen und politischen Dominanzverhältnissen während weiße Kinder in Deutschland in der Kita zum ersten Mal auf PoC treffen könnten, so geschieht dies andersherum nicht →PoC sind immer in Kontakt mit Weißen und sehen, dass von eben diesen die meisten "wichtigen" Positionen besetzt werden "nicht weiße" Kinder bemerken die eigene Minderheit in der Kita und spüren ebenso eine Mehrheitsbestärkung weißer Kinder →führt zur Konstruktion von Bildern sehen "weiße Überlegenheit" als normal/unveränderlich an →so wird der diskriminierende Zustand vorangetrieben/bleibt erhalten sehen, dass Angehörige der eigenen Altersgruppe aufgrund von Hautfarbe privilegiert werden/anders behandelt werden fehlende Konzepte im Umgang mit "schwarz" und "weiß" Forschung in diesem Feld in Deutschland liegt weit zurück, da "Kinder keine Vorurteile haben" Ethnisierende Differenzierungen im Kindergartenalltag (Kuhn „Ethnisierende Differenzierungen“ – siehe Quellenverzeichnis) Ethnizität = widersprüchlich, da sie einerseits zur Bildung beiträgt/beitragen soll (a), andererseits aber für Bildungsungleichheit sorgt (b) (a) Implizit oder explizit Gegenstand von Erziehungs-und Bildungsprozessen um gesellschaftl. Herrschaftsverhältnisse für Kinder erfahrbar zu machen (b) Kinder, die nicht zur privilegierten Mehrheit gehören, werden benachteiligt und diskriminiert (Ethnizität strukturiert demnach Bildungschancen) →Ethnizität ist als Mittel zur pädagog. Bildung zu hinterfragen Was wird Kindern wie über ethnische Differenz vermittelt? (a) auf individuumsbezogen Weise (z.B. Geburtsort der Mutter bei Kind mit Migrationshintergrund wird thematisiert) (b) auf nicht-individuumsbezogene Weise (das Kennenlernen landestypischer Gerichte) Wozu dient ethnische Differenzierung auf nicht-individuumsbezogener Weise? (am Bsp. des Liedes „Wir fliegen um die ganze Welt“ innerhalb eines Kindegeburtstages) →Doppelfunktion: Wissensproduktion und Gruppenkonstitution - ethnisierende Differenzierung findet durch verschiedene Perspektiven statt: (a) ethnomethodologische Perspektive Mit welchen Methoden wird eine soziale Bedeutung und gesellschaftl. Realität geschaffen und erhalten? Annahme: Pädagogische Akteure wissen nicht, was und wie sie tun. (b) performative Perspektive Wie stehen das Gesagte und die Handlung zueinander? Kollektive Inszenierung als Interaktionsalltag im Kindergarten: Ein gemeinschaftliches Ritual erzeugt kollektives Wissen und kollektive Handlungspraktiken (Macht durch Gemeinschaft). Performative Handlungen erzeugen Sinn durch sich selbst und schaffen dadurch eine Wirklichkeit. Ergebnisse: Wissenproduktion: auf ethnomethodologischer Perspektive: Benennung eines Landes, Symbolisierung über best. Praktiken zur Herstellung der Differenzkategorie Ethnizität Praktiken werden als landestypisch verinnerlicht Körperliche Inszenierung kultureller Praktiken auf performativer Perspektive: Über das Sprechen anderer Sprachen, andere Bewegungs-und Verhaltensmuster, anders Aussehen und andere Traditionen wird das Anderssein der Menschen konstruiert (mimetischer Nachvollzug stereotypischer Differenzierungen auf kognitiver, körperlicher und emotionaler Ebene) - - Gemeinschaftskonstitution: Durch die Aufführung des Kinderliedes wird die Kindergruppe nach innen zur homogenen Gemeinschaft, nach außen wird eine Abgrenzung und gleichermaßen ethnisierte Differenz deutlich Kollektivbildung auf 3 Ebenen: sprachlich (im Lied oft wiederholtes Wir), leiblich (gemeinsame Art und Weise des Tanzens) und räumlich (Geburtstagsritual der Kindergartengemeinschaft) Nachdem wir uns nun ausführlich mit identitätsbildenden Prozessen und rassistischen Markierungen im Kindergartenalltag beschäftigt haben, sich über „Lösungsansätze“ in der Pädagogik Gedanken zu machen. Wichtig wäre in dem Fall der Blick auf die Erzieher*innen in den Kindergärten und welche Rolle sie in der antirassistischen Bildungsarbeit spielen. Dabei treten mitunter auch Schwierigkeiten auf, die ebenso im Folgenden genannt werden sollen. Bewältigungsstrategien pädagogischer Fachkräfte - es entsteht der Eindruck, dass das Problem die Eltern sind: das Problem ist viel mehr der institutionelle Rassismus und auf Seiten der Erzieherinnen die Schwierigkeit richtig pädagogisch zu handeln, es entsteht ein sogenannter Kompetenzdruck, und Kompetenzen erfordern Sicherheit hinsichtlich Wissen, Methoden und Erfahrung in der Umsetzung - Dilemmasituation: Schuldzuweisungen an Eltern, Gefühle der Unsicherheit, Überforderung und Ambiguität - strukturelle Missstände: Fehlen von Personalressourcen - Diskussion in eine andere Richtung lenken: anstatt das Problem bei den "Ausländern" zu suchen, das Problem bei den Professionellen suchen - Problem heute: hauptsächliche Förderung von interkulturellen Kompetenzen: das kann zu Problemen führen: "othering", die "Anderen" und "Wir", fehlende Kontextualisierung birgt die Gefahr kulturalisierende Deutungen zu verstärken und soziohistorische Rahmenbedingungen zu vernachlässigen → blind für die Thematisierung und Reflexion gesellschaftlicher Machtverhältnisse im Allgemeinen, Rassismus im Speziellen - Gefahr des Problems: Kinder gleich zu behandeln und Kinder zu besondern: Unterschiede ansprechen, aber dabei Gemeinsamkeiten betonen - Erzieherinnen als "pädagogische Zehnkämpferinnen" - rassismuskritische pädagogische Arbeit ist als Prozess zu sehen, der eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit und Wachsamkeit gegenüber häufig subtilen Mechanismen von Privilegien, ausgrenzenden Normalitätsvorstellungen und Diskriminierung erfordert - benötigt: Zeit, Unterstützungssysteme auf mehreren Ebenen, um Anerkennungsverhältnisse zu erwirken, die Bildungsgerechtigkeit ermöglichen, ohne Vielfalt zu homogenisieren Ausblick/Anknüpfen an das pädagogische Arbeiten Vorstellung: Das Projekt "Kinderwelten" - ISTA = Institut für den Situationsansatz Fachstelle Kinderwelten entstand 2011 und steht für den Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung in Kitas und Schulen Basiert auf den Situationsansatz und dem Anti-Bias-Approach Ansatz: jedes Kind hat ein Recht auf Bildung und jedes Kind hat ein Recht auf Schutz vor Diskriminierung Anspruch der Inklusion, Respekt für Verschiedenheit zu verbinden mit dem NichtAkzeptieren von Ausgrenzung und Diskriminierung Projekte in Berliner Kitas, "Inklusionshandbuch", "Pflasterprojekt" (Beschwerde an Pflasterhersteller wegen "hautfarbener" Pflaster) Mögliche Ideen eines Ansatzes - Um gegen Diskriminierung vorzugehen und handlungsfähig zu werden, muss man erkennen, wie in der Gesellschaft "normalerweise" mit Diskriminierung umgegangen wird (ausgiebige Selbstreflexion und Wissen über gesellschaftliche Zusammenhänge) Diskriminierung wird nicht von allen gleich empfunden! Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien und Benachteiligungen sind wichtig Erfahrungen, die Erzieherinnen an Kinder weitergeben müssen: 1. Jede Person ist wertvoll, Respekt voreinander ist unerlässlich. 2. Jede Äußerung hat einen Sinn, auch wenn ich die Äußerung der anderen Person nicht gleich verstehe. 3. Jeder soll sich darauf verlassen können, dass ihr oder ihm einfühlend begegnet wird. 4. Jede Erfahrung von Unterschiedlichkeit birgt sehr viele Lernmöglichkeiten. Sie ist deshalb fruchtbar und wertvoll. Methodik (in der Fortbildung für Erzieherinnen) 1. Naming my world (jeder Mensch hat seine eigene Sicht auf die Welt, welche bei jedem wertvoll ist, bei dieser Methode kommt jeder zu Wort und äußert seine Sichtweise und Gefühle zur Thematik) 2. Biografische Übungen (sich an diskriminierende Situationen erinnern, bzw. in denen sie selber diskriminierend agiert haben, Erfahrungsaustausch in kleinen Gruppen, es kommt darauf an aus beiden Perspektiven Diskriminierung zu betrachten, dabei muss ausreichend Zeit und Platz für die emotionale Ebene dieser Methode geschafft werden) 3. Perspektivenwechsel 4. Orientierung an den eigenen Stärken (Ressourcenorientierung, Erzieherinnen haben in ihrem Handeln gemerkt, dass sie etwas bewirken und von ihren Erfolgen lernen, Erfahrungsaustausch in diesem Bereich ermöglicht eine Horizonterweiterung) 5. Position beziehen (die Leitung respektiert natürlich alle Beteiligten, fallen jedoch diskriminierende Äußerungen, so schreitet sie ein und unterbindet diese) 6. Wertschätzende und beispielgebende Gesprächsführung (Schuldzuweisungen vermeiden, da Schuldgefühle handlungsunfähig machen, die Leitung achtet darauf, dass niemand ausgeschlossen wird) - - - Neben der ausgesprochenen Diskriminierung ist, wie schon genannt, auch die institutionelle Diskriminierung ein Problem, durch Öffnungszeiten, Pausenzeiten, Ausstattung, Regeln, Sprache, Spiele, Bücher... Dabei hilft das Anti-Bias-Curriculum: Untersuchung von Spielmaterial, Büchern und Bildern: Welche Wirkung haben diese Gegenstände auf Kinder? Welche Stereotype werden dargestellt? Welche Darstellungen von Rollenverhältnissen zwischen Mann und Frau werden dargestellt? Welche Hautfarben sind dominant, wie werden Homosexuelle oder Menschen mit Behinderung vertreten? Beispiel: Buntstifte in der Farbe "hautfarbe" (hellrosa), falsches Selbstbild für Kinder anderer Hautfarbe, hierbei ist die Aufklärung von allerhöchster Priorität (durch Sachwissen, dass jeder Mensch eine besondere Hautfarbe hat, die genau bestimmt werden kann und die bei jedem etwas anders ist), Stereotype müssen in der Kita erkannt und wahrgenommen werden wird nicht mit den Kindern über die Thematik der Diskriminierung gesprochen, so lässt man sie mit dieser komplexen Thematik alleine Möglicher Handlungsansatz in einer Kita 1. 2. 3. 4. 5. Wahrnehmen Vergleichen und Hinterfragen Ziele definieren Handeln Reflektieren und Dokumentieren Weitere Ideen/Überlegungen - Kinder müssen von vornherein auf Vorurteile sensibilisiert werden, da viele Kinder schon einen einseitigen Blick auf Mitmenschen haben Arbeit mit Diskriminierung erfordert, dass Erzieherinnen eine aktive Rolle einnehmen und zwar nicht erst auf Hinweise von Kindern/Eltern etc., sie müssen Werte zeigen und Position beziehen sensible Sprachpraxis "Unterstützen Sie bei jedem Kind die Entwicklung seiner Ich-Identität und seiner Bezugsgruppenidentität basierend auf Wissen und Selbstvertrauen" → Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls Weitere Kompetenzen für Erzieherinnen mit dem Fokus auf Inklusion 1. Werteorientierte Handlungskompetenz: Inklusion als wertebezogenen Begründungszusammenhang zu vertreten 2. Analysekompetenz: Diversitätbewusst und diskriminierungskritisch wahrnehmen, beobachten und interpretieren 3. Fachkompetenz: Um Heterogenität und Diskriminierung und ihre Implikationen für junge Kinder wissen 4. Selbstreflexionskompetenz: Fachliches Handeln auf Einseitigkeiten hin überprüfen 5. Methodenkompetenz: Diversitätsbewusst und diskriminierungskritisch Praxis gestalten 6. Kooperationskompetenz: Wertschätzend kindorientiert zusammenarbeiten Dies könnten mögliche Ansatzvorschläge sein, jedoch steckt die Forschung zu dieser Thematik noch in den Kinderschuhen. Abschließend noch unser Fazit zu den vorangegangenen Überlegungen. Fazit - rassifizierende Prägung (institutionell) schon im Kindealter Ziel nicht völlige Gleichheit, sondern bewusste Thematisierung von mehr Vielfältigkeit auf Basis der Gemeinsamkeiten Professionalisierung im Bereich der pädagogischen Arbeit (Methoden etc.) wichtig: Bewusstsein entwickeln & schaffen Quellenverzeichnis Eggers, Maureen Maisha (2013): Diversity Matters: Thematisierungen von Gleichheit und Differenz in der rassismuskritischen Bildungs- und Soziale Arbeit. S.1-12 Aus: Landeshauptstadt München Direktorium, Antidiskriminierungsstelle für Menschen mit Migrationshintergrund, AMIGRA München (Hrsg.): Dokumentation Fachtagung Rassismuskritische Bildungs- und Soziale Arbeit. 23.03.12 München Eggers, Maureen Maisha: Die Auswirkung rassifizierter (post-) kolonialer Figurationen auf die sozialen Identitäten von weißen und schwarzen Kindern in Deutschland. Aus: BechhausGerst, Marianne/Gieseke, Sunna (Hrsg.): Koloniale und postkoloniale Konstruktionen von Afrika und Menschen afrikanischer Herkunft in der deutschen Alltagskultur. 2006, Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main. Kuhn, Melanie: Vom Tanzen in ‚Russland‘ und Lächeln in ‚Japan‘ – Ethnisierende Differenzierungen im Kindergartenalltag. S. 141-155 Aus: Diehm, I./Panagiotopoulou (Hrsg.): Bildungsbedingungen in europäischen Migrationsgesellschaften. 2011, VS Verlag für Sozialwissenschaften/Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Wiesbaden. Machold, Claudia: Rassismusrelevante Differenzpraxen im elementarpädagogischen Kontext. Eine empirische Annäherung. S. 163-178. Aus: Broden, Anne/Mecheril, Paul (Hrsg.): Rassismus bildet- Bildungswissenschaftliche Beiträge zu Normalisierung und Subjektivierung in der Migrationsgesellschaft. 2010, transcript Verlag, Bielefeld. Wagner, Petra/Sulzer, Annika: Konturen rassismuskritischer Pädagogik in Kindertageseinrichtungen. S.211-223 Aus: Scharathow, Wiebke/Leiprecht, Rudolf (Hrsg.): Rassismuskritik – Band 2: Rassismuskritische Bildungsarbeit. 2011 (2.Auflage) WOCHENSCHAU Verlag, Schwalbach. Texte Kinderwelten: (vgl. www.kinderwelten.net) Fachstelle KINDERWELTEN für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung, Institut für den Situationsansatz, Internationale Akademie gGmbH Hahn, Stefani: „Wie kommt der Tiger in die Küche?“ Einseitigkeiten in der Kindertageseinrichtung auf der Spur. Hahn, Stefani/Höhme-Serke, Evelyne: „Das ist nicht fair!“ Bei Diskriminierung eingreifen – Werte zeigen und Position beziehen. Wagner, Petra: Inklusion und Kompetenzen pädagogischer Fachkräfte.