Gibt die Sprache in Goethes Faust auch einen Hinweis auf den

Werbung
Gibt die Sprache in Goethes Faust auch einen Hinweis auf den Charakter der
Personen?
Goethes Faust ist in Versform geschrieben. Er verwendet aber nicht für jede Person
dasselbe Versmass und auch unter den Personen variiert die Versform. Während dem
der Anfang, also die Zueignung in sehr regelmässigen Stanzen geschriebene ist, gibt es
Abschnitte ohne erkennbares Reim- und Versschema, es gibt Lieder, Beschwörungsformeln, Prosa… Warum nun hat Goethe überhaupt die Versform gewählt? Und wenn er
sie schon gewählt hat, warum hat er sie nicht regelmässig durchgezogen? Steckt dahinter
einfach Faulheit alles richtig zu reimen? Wohl kaum. Schliesslich hat Goethe über sechzig
Jahre an diesem Werk gearbeitet. Hätte er sich aus Faulheit dafür entschieden die
Reimstruktur nicht regelmässig durchzuziehen, dann hätte er wohl auch nicht sechzig
Jahre durchgehalten, um dieses Buch perfekt zu machen. Es ist also wohl Absicht, das
kann man schon mal voraussetzen. Im Folgenden wird also nur erörtert inwiefern dies
beabsichtig wurde. Ob jede Person ihre eigene Sprache hat, ob die Sprache je nach
Laune der Person variiert, oder ob die Sprache einer Person sich im Laufe der Tragödie
verändert. Dabei orientiere ich mich an den drei Hauptpersonen, Nebenpersonen werden
weggelassen.
Mephisto kommt im Prolog im Himmel zum ersten Mal vor. Er ist im Dialog mit Gott und
den Erzengeln. Die Erzengel sprechen in Knittelversen, was sich dort sehr altmodisch
anhört. Mephisto spricht zuerst auch regelmässig, nämlich in fünffüssigen Jamben im
Kreuzreim, erklärt dann aber im Vers 275, dass er selber nicht‚ hohe Worte machen kann‘
und geht dann auch gleich in den unregelmässigeren Madrigalvers über. Während der
ganzen Tragödie behält Mephisto dann diesen Stil bei, der auch zu ihm passt. Diese
Versform ermöglicht es, den jeweiligen Partner zu verspotten oder zu parodieren, was ja
ein typisches Merkmal von Mephisto ist (siehe Dialog mit dem Schüler), ausserdem ist der
Madrigalvers zwar schon gereimt und ist auch rhythmisch aufgebaut, aber er ist nicht
regelmässig. Es könnnen zum Beispiel Waisen vorkommen oder sowohl jambische,
trochäische und auch daktylische Zeilen. Dies passt auch sehr gut zum Charakter von
Mephisto. Er ist eben nicht vollkommen, wie er selbst sagt, weiss er nicht alles (Vers
1583). Auch ein Hinweis darauf, dass er ebenfalls Teil von Gottes Schöpfung ist, somit
also nicht das Gegenstück zu Gott, sondern ein Teil der Schöpfung.
In der ersten Szene als Faust auftritt, spricht er anfangs in Knittelversen. Er ist da sehr
aufgeregt und aufgewühlt. Man bemerkt seine Heftigkeit und Unausgeglichenheit und
seinen Ärger über seinen stagnierenden Erfolg. Dies sieht man auch in den Versformen.
In dieser Szene ‚Nacht‘ verwendet Goethe viele verschiedene Versformen. Nach dem
Beginn mit Knittelversen, wo Faust sehr aufgewühlt ist, kommt eine Phase, in der er sich
1
beruhigt und nachdenklich wird. Man sieht ab Vers 410, dass auch der Knittelvers nun
regelmässiger wird. Er wird zu einem regelmässigen Vierheber mit regelmässig gefüllten
Senkungen. Als Faust nachdenkt kommt ihm plötzlich die Idee, dass er sein Problem
doch noch lösen könnte, nämlich mit Magie. Und als er diese Idee hat, als ihm auffällt,
dass doch noch nicht alles verloren ist und dass er vielleicht doch noch seine Antwort
bekommt, verändert sich auch seine Sprache wieder. Er ist wieder aufgeregt und freut
sich, will seine neuste Erkenntnis gleich ausprobieren. Dieses Gefühl der aufgeregten
Freude erkennt man auch in seiner Sprechweise wider, denn ab Vers 430 beginnt Faust
im Madrigalvers zu sprechen. Als er dann zur Tat schreitet und wirklich Geister
beschwört, verändert sich seine Sprache noch einmal, er beginnt mit freien Rhythmen. Er
spricht nicht mehr in ganzen Sätzen, sondern nur noch in aneinandergereihten Wörtern,
ein Zeichen dafür, wie aufgeregt er ist.
Nach Fausts Spaziergang mit Wagner, sitzt er wieder in seinem Studierzimmer, immer
noch geplagt von Unruhe, denn auch die Geisterbeschwörung hat ihn nicht weiter
gebracht. Seine erneute Unruhe ist auch in seiner Sprache zu erkennen, welche sehr
unruhig ist und kein genaues Muster erkennen lässt. Als sich dann Mephisto verwandelt
und vorstellt und Faust sein Angebot macht, wird Faust aber plötzlich sehr ruhig. Er
erkennt, dass er, egal was er versucht, nicht weiterkommen wird. Ihm ist klar, dass er, um
das zu erfahren, was er wissen möchte, mehr einsetzen muss, als er bisher eingesetzt
hatte. Aber obwohl er um das Risiko weiss, das er trägt wenn er sich mit Mephisto
einlässt, siegt seine Neugier und er nimmt Mephistos Angebot an. Dieses kühle Abwägen
des einen Übels gegen das Andere bringt Faust auf den Boden zurück. Er entscheidet
sich sehr besonnen für das, was ihm wichtiger ist. Seine plötzliche Ruhe erkennt man
auch in seiner Sprache, er beginnt in einem alternierenden Vers zu sprechen. Im
weiteren Verlauf der Tragödie ist Fausts Sprache nicht mehr so auffällig an seine
Stimmungen angepasst. Meist hebt sich aber seine Sprache ein wenig von Mephistos
Sprache ab, was vor allem in der Szene in der Hexenküche deutlich wird, wo Fausts
Sprache sich im Wortklang eindeutig von den anderen differenziert, obwohl sie alle in
Madrigalversen sprechen. Bei der ersten Begegnung mit Gretchen kehrt Faust dann
wieder zum Knittelvers zurück, den er auch ganz am Anfang benutzt hat. Ein Zeichen
dafür, dass das wieder ein Anfang ist, der Anfang ihrer Beziehung und auch ein Zeichen
dafür, dass Faust aufgeregt ist, weil er sich gerade Hals über Kopf in Gretchen verliebt
hat. In der weiteren Handlung spricht Faust meist zuerst in Knittelversen, sobald aber
Mephisto auftaucht sprechen sie beide in Madrigalversen. Mephisto zieht Faust quasi auf
seine Ebene hinunter, was Faust auch bewusst war, als er sich auf Mephisto eingelassen
hatte. Wenn Faust jedoch alleine ist, wie dies in der Szene Wald und Höhle vorkommt,
verändert sich seine Ausdrucksweise. In dieser Szene ist Faust ruhiger als bei seinem
2
letzten Monolog, er hat durch Gretchen eine Art inneres Gleichgewicht gefunden und
spricht deshalb in hymnischen Blankversen. Sobald aber Mephisto auftaucht, überredet
der ihn, Gretchen ins Verderben zu ziehen und Faust beginnt sofort in Madrigalversen zu
sprechen. Auch bei Faust‘s Antwort auf die Gretchenfrage ist Mephistos Einfluss auf
Faust zu erkennen. Faust antwortet in freien Rhythmen. Ein Zeichen für die
Schwammigkeit seiner Antwort, denn er versucht ja mit komplizierten Worten Gretchen so
zu verwirren, dass diese nicht richtig merkt, dass er eigentlich gar nicht auf ihre Frage
geantwortet hat. Aber die freien Rhythmen sind wohl auch ein Zeichen dafür, dass Faust
etwas nervös ist. Schliesslich merkt er, dass Gretchen irgendwie intuitiv durchschaut hat,
dass eben genau die Religion sein ‚Laster‘ ist und dass Mephisto nicht so harmlos ist, wie
er scheint.
Gretchen tritt nicht von Anfang an auf, trotzdem ist ihre Sprache, ähnlich wie die von
Faust, sehr variabel. Sie hat nicht wie Mephisto eine bestimmte Versform, die sie immer
wieder verwendet, sondern je nach Gefühlslage und Situation benutzt sie andere Formen.
Bei ihrem ersten Auftritt spricht Gretchen in Knittelversen, was auf ihre Herkunft aus der
Mittelschicht schliessen lässt, obwohl Faust sie mit Fräulein anspricht, was eigentlich nur
bei Adeligen gemacht wurde. Ihre Knittelverse zeichnen sich allerdings durch eine
gewisse Leichtigkeit aus. Die Schlichtheit und Bescheidenheit des Knittelverses zeigen
auch den Charakter Gretchens als reines und bescheidenes Mädchen des Mittelstandes.
Auch das Lied vom König von Thule spricht für ihren Charakter als reines Geschöpf, da ja
meistens kleinere Kinder sich singend ausdrücken. Je mehr sie dann aber mit Faust zu
tun hat, desto vornehmer beginnt sie zu sprechen. Sie passt sich Faust an und benutz
Modewörter der grossen Welt. Auch als Mephisto zwischendurch in den Alexandriner
verfällt, passt sich Gretchen dem an. Entweder um Faust zu beeindrucken oder aber tut
sie das instinktiv, weil sich alle irgendwie Mephisto anpassen, sowohl Faust, als eben
auch Gretchen. Mephisto hat also auch eine gewisse Macht über Gretchen.
Als Gretchen dann später alleine ist, beginnt sie wieder zu singen. Das Lied um ihre
verlorene Ruhe klingt sehr schwermütig, auch wegen den metrischen
Unregelmässigkeiten. Sie ist sehr aufgewühlt und singt ihre Gefühle vor sich hin, da sie
sonst keine Möglichkeit hat, sich auszudrücken. Sie ist zwar sehr verliebt in Faust, aber
sie spürt auch, dass diese Liebe für sie nicht zum Besten ausgehen könnte. Sie
beschliesst wohl auch deshalb, am nächsten Tag Faust auf die Zukunft ihrer Liebe
anzusprechen. Die Gretchenfrage ist in regelmässigen Vierhebern gestellt, im Gegensatz
zu Fausts Antwort, die in freien Rhythmen gegeben wird. Die Regelmässigkeit in
Gretchens Frage zeigt, wie tief sie in ihrem Glauben verwurzelt ist, währendem Faust
nicht daran glaubt. Obwohl Gretchen Fausts Antwort nicht richtig verstanden hat, weiss
3
sie doch, dass er nicht beabsichtigt, sie zu heiraten. Als sie dann noch mit Lieschen redet,
wird ihr endgültig bewusst, dass diese Beziehung zu Faust nicht unbedingt zu ihrem
Besten enden wird, sie besinnt sich auf Gott zurück und betet zur Mater Dolores wieder in
Liedform, diesmal aber zu einem Gegenüber.
Sehr schön sieht man dann in der Szene im Dom wie sich bei Gretchen ihr Sprachstil
ihrer Gefühlslage anpasst. Hier ist Gretchen völlig aufgelöst, die Religion bietet ihr keinen
Halt mehr. Sie spricht in freien Versen.
Man kann also sagen, dass in Goethes Faust die Vers- Reim- und Strophenform eindeutig
einen Hinweis auf die verschiedenen Charaktere und Stimmungen der Personen gibt.
Mephistos spricht fast immer im Madrigalvers, eine unregelmässige Versform, und auch
Faust beginnt im Madrigalvers zu sprechen, sobald Mephisto da ist. Sogar Gretchen kann
manchmal nicht widerstehen und passt sich Mephistos Sprachstil an. Im Gegensatz zu
Mephisto haben Faust und Gretchen nicht nur einen Vers, den sie hauptsächlich
benutzen, sondern je nach Stimmung benutzen sie andere Formen. Bei Faust ist vor
allem Knittelvers und freier Rhythmus vorherrschend. Gretchen spricht anfangs im
Knittelvers, oder im regelmässigen Vierzeiler, erst am Ende wechselt sie zum ersten Mal
in den freien Rhythmus, den Faust schon viel vorher benutzt. Dieser freie Rhythmus
könnte ein Anzeichen für das Nicht-Religiöse sein. Faust hat nie an Gott geglaubt und
benutzt diese Form von Anfang an, wenn er aufgeregt ist. Gretchen verliert ihren Glauben
und ihre gesamte Lebenseinstellung erst am Ende, wo sie dann auch beginnt in freien
Rhythmen zu sprechen.
Allgemein könnte man also den Madrigalvers im Faust als den Vers, der für das
‚Schlechte‘ steht bezeichnen. Der freie Rhythmus steht für das Magische, alles nicht
religiöse, was für Gretchen den Verlust ihrer Lebenseinstellung bedeutet. Den Knittelvers
könnte man vielleicht als die Sprache des Menschen bezeichnen. Gretchen benutzt
diesen Vers am Anfang, Faust benutzt ihn ebenfalls am Anfang und die meisten anderen
Nebenpersonen, die noch vorkommen, benutzen diesen Vers. Er steht für das ‚Normale‘,
quasi die Parallelwelt zu der Welt, in der Faust ist und in die Gretchen durch ihn
hineingezogen wird.
Man sieht also, dass die Versformen in Faust fast alle eine Bedeutung haben. Ich weiss
nicht, ob sich Goethe das wirklich alles so überlegt hat, wie ich es hier nun hergeleitet
habe, denn es scheint mir so unglaublich viel Arbeit und auch eine enorme Geduld nötig
zu sein um in nur 135 Seiten so viele versteckte Andeutungen und Hinweise zu machen.
Aber ich denke es ist unleugbar, dass die Versformen für die Tragödie eine Bedeutung
haben. Ob er sich aber wirklich alles so gedacht hat, wie ich es hergeleitet habe, bleibt mir
trotz allem etwas fragwürdig.
4
Herunterladen