25.03.,10.15 Uhr, Mosaik: "Taugt Glaube im Alltag, wenn wir trauern

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Wenn etwas uns
Trauer ist ganz allgemein –so versteht es auch Rilke in
Fortgenommen wird
seinem Gedicht – die normale Reaktion auf einen
Womit wir tief
bedeutenden Verlust. Dabei ist es egal, wer oder was mit
Und wunderbar
dem Verlust gemeint ist: der geliebte Partner, den man
Zusammenhängen
durch Tod oder Trennung verloren hat, die gewohnte
So ist viel
Umgebung, die man mit einem Umzug verlassen hat, der
Von uns selber
Arbeitsplatz, den man im Ruhestand oder nach einer
Mit fortgenommen.
Kündigung hinter sich lässt, oder auch nur das Spielzeug,
Gott aber will
das nach jahrelangem Hin- und Hergeworfen werden
Dass wir uns wiederfinden
schließlich auf dem Boden zersplittert. Gerade dieses letztes
Reicher um das Verlorene
Beispiel
Und vermehrt um
Individuelles ist, das nicht immer alle nachvollziehen
Jenen unendlichen Schmerz. (R. M. Rilke)
können (oder wollen): Trauer ist jedes Mal einzigartig, weil
macht
deutlich,
dass
Trauer
etwas
ganz
jede Beziehung einzigartig ist. Niemand sonst kann das
Liebe Gemeinde, das kurze Gedicht von Rainer Maria Rilke
fühlen, was ich fühle, wenn ich meine Frau sehe. Deshalb
soll uns auf unser Thema einstimmen: Taugt Glaube im
könnte auch niemand sonst nachvollziehen, wie es ist, wenn
Alltag, wenn wir trauern oder trauernden Menschen
ich meine Frau nicht mehr sehen könnte und sich dieses
begegnen?
Gefühl nicht mehr einstellt. Deshalb sollten wir auch
vermeiden, trauernden Menschen mit Sätzen zu begegnen
wie „Ich versteh das.“ „Ich weiß, wie du dich fühlst.“
verlassen
Wissen wir es wirklich, was jetzt gerade in der anderen
Zukunftsaussichten und die gegenwärtige Stütze verloren.
Person vorgeht? Auch wenn wir ähnliche Situationen
Da kann man nicht von jetzt auf nachher Lösungsvorschläge
durchlebt haben: Muss es so sein, dass mein Gegenüber
parat haben – man muss es auch im ersten Moment nicht.
genauso denkt, fühlt, empfindet? Es wäre in einer solchen
In der Trauer können wir also lernen, hilflos zu sein und das
Situation besser zu erzählen, wie es mir in dieser ähnlichen
an uns zu akzeptieren. Und ich denke, da kommen wir einer
Situation ging und was mir geholfen hat. Das signalisiert,
christlichen Grundeinstellung nahe, die uns auch die
dass ich eine ähnliche Situation schon erlebt habe und somit
Jahreslosung vermitteln will. Gottes Kraft ist in den
die andere Person nicht allein ist in ihrem Erleben. Und zum
Schwachen mächtig, d.h. wir selbst müssen nicht die
zweiten stülpt man keine Gefühle über, die man von sich
Mächtigen sein und auf alles eine Antwort und Lösung
auf andere projiziert.
haben. Gerade da, wo wir unsere Begrenztheit und
Doch weit wichtiger als Worte ist es, einfach da zu sein,
Hilflosigkeit oder eben unsere Schwäche erleben, können
gemeinsam
die
wir lernen, auf die Kraft Gottes zu hoffen. Und wo wir uns
Hilflosigkeit miteinander auszuhalten. Denn Worte in der
diese Hilflosigkeit eingestehen und um Gottes Hilfe bitten,
Trauer werden oft als kraftlose Floskeln verstanden und oft
können wir es in vielen Fällen erleben, wie wir Kraft
sind sie ja auch aus der Hilflosigkeit geboren.
bekommen. Jede Trauer, jeder Verlust macht uns immer
Und hilflos stehen wir als trauernde und begleitende
wieder deutlich, dass irdisches Leben und irdische
Menschen oft vor einem Verlust. Denn mit dem Toten, mit
Bindungen Grenzen haben. Die Vergänglichkeit gehört zu
dem verlorenen Arbeitsplatz oder dem Partner, der mich
unserem Leben. Jeder Verlust beweist es uns. Doch wissen
zu
schweigen,
den
Schmerz
und
hat,
gehen
ja
auch
Lebensträume,
wir Christen, die wir von der Vergänglichkeit umgeben
werden in Zeiten, wo man sonst den Halt verloren hat. Auch
sind, auch, dass Gottes Welt und seine Liebe unvergänglich
deshalb, liebe Konfis, lohnt es sich, manches auswendig zu
sind. Bei allem, was uns verloren geht, dürfen wir an dem
können oder zumindest gut im Ohr und im Herz zu haben.
Ewigen festhalten. Damit verdeutlicht jeder Verlust, was
Eine Geschichte aus der Bibel, die mir für meine
Jesus meint, wenn er sagt: „Himmel und Erde werden
Trauerarbeit ganz wichtig geworden ist, ist die Geschichte
vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Von
von den Emmausjüngern. Die beiden Jünger Jesu brechen
daher könnten wir unser Thema ändern in die Formulierung:
nach Jesu Tod aus Jerusalem auf und begeben sich auf dem
„Was taugt es für den Glauben, wenn wir trauern oder
zweistündigen Fußmarsch zurück in ihren Ort Emmaus.
trauernden Menschen begegnen?“ Sehr viel, denke ich...
Schon hier möchte ich kurz stoppen: Die beiden befinden
Und darum steckt in der Trauer auch eine Chance, im
sich auf einem Weg – und genau das ist Trauer. Sie ist ein
Glauben und natürlich in der Persönlichkeit zu reifen.
Weg, manchmal ein langer und steiniger, manchmal aber
Doch bleiben wir bei der ursprünglichen Formulierung:
auch nur kurz, aber intensiv. Und diesen Weg darf man oder
„Taugt Glaube im Alltag, wenn wir trauern oder trauernden
besser sollte man gehen. Trauer darf gelebt werden, es darf
Menschen begegnen?“. Wie jede Trauer individuell ist, so
geweint und geklagt werden. Es darf raus kommen, was
ist natürlich auch die Antwort auf diese Frage nicht mit
alles an Gefühlen da ist – übrigens auch die Wut und die
einem eindeutigen Ja zu beantworten. Doch kenne ich
Enttäuschung, die man vielleicht auf den Verstorbenen hat.
Menschen, die sagen, dass sie einen großen Halt im
Denn diese Gefühle sind normale Reaktionen unseres
Glauben gefunden haben, als sie trauerten. Lieder,
Körpers und es tut gut, sie los zu werden. Und wenn sie
Psalmverse, Bibelworte und Gebete können Geländer
heraus kommen, dann kann man auch mit ihnen umgehen.
Sonst bleiben sie irgendwo im Verborgenen und schwelen
Einzige ist, der nicht mitbekommen hat, was da in
weiter. Trauer hört auch nicht nach einer gewissen Zeit auf.
Jerusalem von statten ging, sie berichten ihm trotzdem über
Die Trauer begleitet uns vielleicht ein Leben lang. Es wär
Jesus, seinen Tod, ihre enttäuschten Erwartungen und auch
doch auch schlimm, wenn dieser Verlust, der mich einmal
über die seltsame Botschaft, die sie gehört haben, nämlich,
getroffen hat, irgendwann nicht mehr empfunden wird.
dass Jesus wieder lebendig sei.
Schließlich ist damit ja auch Stück von mir verloren
Legen wir an dieser Stelle wieder einen kurzen Stopp ein:
gegangen. Aber die Trauer verändert sich. Zumindest wäre
Was hilft in der Trauer? Erstens wenn, man Begleiter hat.
es gut, wenn es so kommt. Wenn sie integriert ist in das
Nichts ist schlimmer, wie wenn mir plötzlich die Bekannten
Leben, in den Alltag ohne dass sie auf Dauer beschwert und
aus dem Weg gehen, weil sie nicht wissen, wie sie mit mir
lähmt. Es geht also darum, dem Grab in unserem Leben
in meiner Trauer umgehen sollen. Wenn ich das Gefühl
einen Platz zu geben, die Lücke zuzulassen, die Leere
habe, dass ich mit dem Tod meines Partners auch gleich
auszuhalten – und doch einen Weg zurück in unseren Alltag
noch meine Freunde verloren habe, weil sie sich nicht mehr
zu finden.
bei mir melden. In der Trauer werden Begleiter gebraucht.
Zurück zu den Emmausjüngern: Die beiden sind unterwegs
Und wie schon gesagt, die müssen nicht perfekt sein –
von Jerusalem nach Emmaus. Auf ihrem Weg erzählen sie
sondern den anderen wahrnehmen, Nähe zeigen. Und da
sich von dem, was sich in den letzten Tagen ereignet hat. Da
sind wir auch als Gemeinde gefragt. Denn wie heißt es:
nähert sich ein Dritter und gesellt sich zu ihnen. Sie
Leidet ein Glied, dann leiden alle anderen mit.
erkennen nicht, wer er ist. Er fragt sie: „Von was redet ihr?“
Und ein zweites: Der Fremde fragt: Was ist passiert? Und
Sie sind zwar etwas verwundert, weil er scheinbar der
damit entlockt er den beiden einen Bericht. Warum ist diese
Frage gut? Weil sie den Trauernden die Möglichkeit gibt,
erinnern sich die Jünger daran, dass Jesus genau das am Tag
über etwas zu reden, was sie sachlich erklären können. Das
seiner Verurteilung gemacht hatte und sie erkennen, dass
gibt Sicherheit und zwingt nicht, zu viel über sich selbst
der Fremde Jesus selbst ist.
preis geben zu müssen. Aber die Frage bietet die
Zwei Punkte möchte ich an dieser Stelle noch deutlich
Möglichkeit, etwas aufblitzen zu lassen von dem Schmerz
machen: An einem schlichten Ritual erkennen die beiden
und dem Unverständnis, das man gerade empfindet. In der
Emmausjünger Jesus: Am Brechen und Verteilen des
aktuellen Trauerforschung wird der Aspekt Erzählen und
Brotes, so wie er es beim letzten Mahl mit seinen Jüngern
Erinnern hervor gehoben. Durch Erzählen und Erinnern,
gemacht hat. Und das tun wir ja bis heute, wenn wir
auch an Hand von Bildern, kann Trauer bearbeitet werden.
Abendmahl feiern. Rituale können uns helfen, die
Sie wird greifbar und macht aber auch die Endgültigkeit des
entstandene Lücke zu füllen. Das kann der Gang auf den
Verlustes deutlich. Und das ist enorm wichtig. Denn diese
Friedhof sein, das kann das Anzünden einer Kerze an
muss auch ausgesprochen und angenommen werden.
bestimmten Tagen sein, vielleicht ist es auch ein immer
Doch fahren wir fort in der Geschichte der Emmaus-Jünger:
wiederkehrendes Gebet zu Gott. Rituale helfen in eine
Nachdem der Fremde mit den beiden mitgelaufen ist und
Zukunft aufzubrechen, die man nicht kennt. Sie schaffen
ihnen etwas aus der Heiligen Schrift erzählt hat, bitten sie
Vertrautheit im Unvertrauten.
ihn, dass er sie nach Hause begleitet und mit ihnen isst. Als
Und das zweite: Die Geschichte der beiden Emmausjünger
er bei ihnen zu Hause am gedeckten Tisch sitzt, nimmt er
bringt uns die Auferstehungsbotschaft nahe: Jesus ist
das Brot vom Tisch, spricht ein Dankgebet, bricht es und
auferstanden. Er ist lebendig, zwar auf eine uns nicht
verteilt es an die, die am Tisch sitzen. In diesem Moment
vorstellbare Weise, aber er lebt und ist uns gegenwärtig.
Und zweitens dürfen wir darauf hoffen, dass wir wie er
auferstehen. Trotz aller Begrenztheit und Endlichkeit, die
Ich möchte meine Erinnerungen
nicht totschweigen.
Ich suche Menschen,
wir
bei
jedem
Verlust
erleben,
lautet
die
Auferstehungshoffnung: Dem Glaubenden sind keine
denen ich mitteilen kann,
was mich bewegt.
Grenzen gesetzt.
Marie-Luise Wölfing hat auf sehr schöne Weise all das
Gesegnet seien alle,
die mir zuhören,
zusammengefasst in einem Segen der Trauernden:
auch wenn das,
Gesegnet seien alle,
was ich zu sagen habe,
die mir jetzt nicht ausweichen.
sehr schwer zu ertragen ist.
Dankbar bin ich für jeden,
der mir einmal zulächelt
Gesegnet seien alle,
und mir seine Hand reicht,
die mich nicht ändern wollen.
wenn ich mich verlassen fühle.
sondern geduldig so annehmen,
wie ich jetzt bin.
Gesegnet seien die,
die mich immer noch besuchen,
Gesegnet seien alle,
obwohl sie Angst haben,
die mich trösten
etwas Falsches zu sagen.
und mir zusichern,
daß Gott mich nicht verlassen hat.
Gesegnet seien alle,
die mir erlauben
Oh Herr, birg Du uns alle
von dem Verstorbenen zu sprechen.
in Deiner Hand;
nimm Du Dich unserer an.
Bei Dir bleiben wir ganz gleich, ob wir noch leben
oder gestorben sind.
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