Wenn etwas uns Trauer ist ganz allgemein –so versteht es auch Rilke in Fortgenommen wird seinem Gedicht – die normale Reaktion auf einen Womit wir tief bedeutenden Verlust. Dabei ist es egal, wer oder was mit Und wunderbar dem Verlust gemeint ist: der geliebte Partner, den man Zusammenhängen durch Tod oder Trennung verloren hat, die gewohnte So ist viel Umgebung, die man mit einem Umzug verlassen hat, der Von uns selber Arbeitsplatz, den man im Ruhestand oder nach einer Mit fortgenommen. Kündigung hinter sich lässt, oder auch nur das Spielzeug, Gott aber will das nach jahrelangem Hin- und Hergeworfen werden Dass wir uns wiederfinden schließlich auf dem Boden zersplittert. Gerade dieses letztes Reicher um das Verlorene Beispiel Und vermehrt um Individuelles ist, das nicht immer alle nachvollziehen Jenen unendlichen Schmerz. (R. M. Rilke) können (oder wollen): Trauer ist jedes Mal einzigartig, weil macht deutlich, dass Trauer etwas ganz jede Beziehung einzigartig ist. Niemand sonst kann das Liebe Gemeinde, das kurze Gedicht von Rainer Maria Rilke fühlen, was ich fühle, wenn ich meine Frau sehe. Deshalb soll uns auf unser Thema einstimmen: Taugt Glaube im könnte auch niemand sonst nachvollziehen, wie es ist, wenn Alltag, wenn wir trauern oder trauernden Menschen ich meine Frau nicht mehr sehen könnte und sich dieses begegnen? Gefühl nicht mehr einstellt. Deshalb sollten wir auch vermeiden, trauernden Menschen mit Sätzen zu begegnen wie „Ich versteh das.“ „Ich weiß, wie du dich fühlst.“ verlassen Wissen wir es wirklich, was jetzt gerade in der anderen Zukunftsaussichten und die gegenwärtige Stütze verloren. Person vorgeht? Auch wenn wir ähnliche Situationen Da kann man nicht von jetzt auf nachher Lösungsvorschläge durchlebt haben: Muss es so sein, dass mein Gegenüber parat haben – man muss es auch im ersten Moment nicht. genauso denkt, fühlt, empfindet? Es wäre in einer solchen In der Trauer können wir also lernen, hilflos zu sein und das Situation besser zu erzählen, wie es mir in dieser ähnlichen an uns zu akzeptieren. Und ich denke, da kommen wir einer Situation ging und was mir geholfen hat. Das signalisiert, christlichen Grundeinstellung nahe, die uns auch die dass ich eine ähnliche Situation schon erlebt habe und somit Jahreslosung vermitteln will. Gottes Kraft ist in den die andere Person nicht allein ist in ihrem Erleben. Und zum Schwachen mächtig, d.h. wir selbst müssen nicht die zweiten stülpt man keine Gefühle über, die man von sich Mächtigen sein und auf alles eine Antwort und Lösung auf andere projiziert. haben. Gerade da, wo wir unsere Begrenztheit und Doch weit wichtiger als Worte ist es, einfach da zu sein, Hilflosigkeit oder eben unsere Schwäche erleben, können gemeinsam die wir lernen, auf die Kraft Gottes zu hoffen. Und wo wir uns Hilflosigkeit miteinander auszuhalten. Denn Worte in der diese Hilflosigkeit eingestehen und um Gottes Hilfe bitten, Trauer werden oft als kraftlose Floskeln verstanden und oft können wir es in vielen Fällen erleben, wie wir Kraft sind sie ja auch aus der Hilflosigkeit geboren. bekommen. Jede Trauer, jeder Verlust macht uns immer Und hilflos stehen wir als trauernde und begleitende wieder deutlich, dass irdisches Leben und irdische Menschen oft vor einem Verlust. Denn mit dem Toten, mit Bindungen Grenzen haben. Die Vergänglichkeit gehört zu dem verlorenen Arbeitsplatz oder dem Partner, der mich unserem Leben. Jeder Verlust beweist es uns. Doch wissen zu schweigen, den Schmerz und hat, gehen ja auch Lebensträume, wir Christen, die wir von der Vergänglichkeit umgeben werden in Zeiten, wo man sonst den Halt verloren hat. Auch sind, auch, dass Gottes Welt und seine Liebe unvergänglich deshalb, liebe Konfis, lohnt es sich, manches auswendig zu sind. Bei allem, was uns verloren geht, dürfen wir an dem können oder zumindest gut im Ohr und im Herz zu haben. Ewigen festhalten. Damit verdeutlicht jeder Verlust, was Eine Geschichte aus der Bibel, die mir für meine Jesus meint, wenn er sagt: „Himmel und Erde werden Trauerarbeit ganz wichtig geworden ist, ist die Geschichte vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Von von den Emmausjüngern. Die beiden Jünger Jesu brechen daher könnten wir unser Thema ändern in die Formulierung: nach Jesu Tod aus Jerusalem auf und begeben sich auf dem „Was taugt es für den Glauben, wenn wir trauern oder zweistündigen Fußmarsch zurück in ihren Ort Emmaus. trauernden Menschen begegnen?“ Sehr viel, denke ich... Schon hier möchte ich kurz stoppen: Die beiden befinden Und darum steckt in der Trauer auch eine Chance, im sich auf einem Weg – und genau das ist Trauer. Sie ist ein Glauben und natürlich in der Persönlichkeit zu reifen. Weg, manchmal ein langer und steiniger, manchmal aber Doch bleiben wir bei der ursprünglichen Formulierung: auch nur kurz, aber intensiv. Und diesen Weg darf man oder „Taugt Glaube im Alltag, wenn wir trauern oder trauernden besser sollte man gehen. Trauer darf gelebt werden, es darf Menschen begegnen?“. Wie jede Trauer individuell ist, so geweint und geklagt werden. Es darf raus kommen, was ist natürlich auch die Antwort auf diese Frage nicht mit alles an Gefühlen da ist – übrigens auch die Wut und die einem eindeutigen Ja zu beantworten. Doch kenne ich Enttäuschung, die man vielleicht auf den Verstorbenen hat. Menschen, die sagen, dass sie einen großen Halt im Denn diese Gefühle sind normale Reaktionen unseres Glauben gefunden haben, als sie trauerten. Lieder, Körpers und es tut gut, sie los zu werden. Und wenn sie Psalmverse, Bibelworte und Gebete können Geländer heraus kommen, dann kann man auch mit ihnen umgehen. Sonst bleiben sie irgendwo im Verborgenen und schwelen Einzige ist, der nicht mitbekommen hat, was da in weiter. Trauer hört auch nicht nach einer gewissen Zeit auf. Jerusalem von statten ging, sie berichten ihm trotzdem über Die Trauer begleitet uns vielleicht ein Leben lang. Es wär Jesus, seinen Tod, ihre enttäuschten Erwartungen und auch doch auch schlimm, wenn dieser Verlust, der mich einmal über die seltsame Botschaft, die sie gehört haben, nämlich, getroffen hat, irgendwann nicht mehr empfunden wird. dass Jesus wieder lebendig sei. Schließlich ist damit ja auch Stück von mir verloren Legen wir an dieser Stelle wieder einen kurzen Stopp ein: gegangen. Aber die Trauer verändert sich. Zumindest wäre Was hilft in der Trauer? Erstens wenn, man Begleiter hat. es gut, wenn es so kommt. Wenn sie integriert ist in das Nichts ist schlimmer, wie wenn mir plötzlich die Bekannten Leben, in den Alltag ohne dass sie auf Dauer beschwert und aus dem Weg gehen, weil sie nicht wissen, wie sie mit mir lähmt. Es geht also darum, dem Grab in unserem Leben in meiner Trauer umgehen sollen. Wenn ich das Gefühl einen Platz zu geben, die Lücke zuzulassen, die Leere habe, dass ich mit dem Tod meines Partners auch gleich auszuhalten – und doch einen Weg zurück in unseren Alltag noch meine Freunde verloren habe, weil sie sich nicht mehr zu finden. bei mir melden. In der Trauer werden Begleiter gebraucht. Zurück zu den Emmausjüngern: Die beiden sind unterwegs Und wie schon gesagt, die müssen nicht perfekt sein – von Jerusalem nach Emmaus. Auf ihrem Weg erzählen sie sondern den anderen wahrnehmen, Nähe zeigen. Und da sich von dem, was sich in den letzten Tagen ereignet hat. Da sind wir auch als Gemeinde gefragt. Denn wie heißt es: nähert sich ein Dritter und gesellt sich zu ihnen. Sie Leidet ein Glied, dann leiden alle anderen mit. erkennen nicht, wer er ist. Er fragt sie: „Von was redet ihr?“ Und ein zweites: Der Fremde fragt: Was ist passiert? Und Sie sind zwar etwas verwundert, weil er scheinbar der damit entlockt er den beiden einen Bericht. Warum ist diese Frage gut? Weil sie den Trauernden die Möglichkeit gibt, erinnern sich die Jünger daran, dass Jesus genau das am Tag über etwas zu reden, was sie sachlich erklären können. Das seiner Verurteilung gemacht hatte und sie erkennen, dass gibt Sicherheit und zwingt nicht, zu viel über sich selbst der Fremde Jesus selbst ist. preis geben zu müssen. Aber die Frage bietet die Zwei Punkte möchte ich an dieser Stelle noch deutlich Möglichkeit, etwas aufblitzen zu lassen von dem Schmerz machen: An einem schlichten Ritual erkennen die beiden und dem Unverständnis, das man gerade empfindet. In der Emmausjünger Jesus: Am Brechen und Verteilen des aktuellen Trauerforschung wird der Aspekt Erzählen und Brotes, so wie er es beim letzten Mahl mit seinen Jüngern Erinnern hervor gehoben. Durch Erzählen und Erinnern, gemacht hat. Und das tun wir ja bis heute, wenn wir auch an Hand von Bildern, kann Trauer bearbeitet werden. Abendmahl feiern. Rituale können uns helfen, die Sie wird greifbar und macht aber auch die Endgültigkeit des entstandene Lücke zu füllen. Das kann der Gang auf den Verlustes deutlich. Und das ist enorm wichtig. Denn diese Friedhof sein, das kann das Anzünden einer Kerze an muss auch ausgesprochen und angenommen werden. bestimmten Tagen sein, vielleicht ist es auch ein immer Doch fahren wir fort in der Geschichte der Emmaus-Jünger: wiederkehrendes Gebet zu Gott. Rituale helfen in eine Nachdem der Fremde mit den beiden mitgelaufen ist und Zukunft aufzubrechen, die man nicht kennt. Sie schaffen ihnen etwas aus der Heiligen Schrift erzählt hat, bitten sie Vertrautheit im Unvertrauten. ihn, dass er sie nach Hause begleitet und mit ihnen isst. Als Und das zweite: Die Geschichte der beiden Emmausjünger er bei ihnen zu Hause am gedeckten Tisch sitzt, nimmt er bringt uns die Auferstehungsbotschaft nahe: Jesus ist das Brot vom Tisch, spricht ein Dankgebet, bricht es und auferstanden. Er ist lebendig, zwar auf eine uns nicht verteilt es an die, die am Tisch sitzen. In diesem Moment vorstellbare Weise, aber er lebt und ist uns gegenwärtig. Und zweitens dürfen wir darauf hoffen, dass wir wie er auferstehen. Trotz aller Begrenztheit und Endlichkeit, die Ich möchte meine Erinnerungen nicht totschweigen. Ich suche Menschen, wir bei jedem Verlust erleben, lautet die Auferstehungshoffnung: Dem Glaubenden sind keine denen ich mitteilen kann, was mich bewegt. Grenzen gesetzt. Marie-Luise Wölfing hat auf sehr schöne Weise all das Gesegnet seien alle, die mir zuhören, zusammengefasst in einem Segen der Trauernden: auch wenn das, Gesegnet seien alle, was ich zu sagen habe, die mir jetzt nicht ausweichen. sehr schwer zu ertragen ist. Dankbar bin ich für jeden, der mir einmal zulächelt Gesegnet seien alle, und mir seine Hand reicht, die mich nicht ändern wollen. wenn ich mich verlassen fühle. sondern geduldig so annehmen, wie ich jetzt bin. Gesegnet seien die, die mich immer noch besuchen, Gesegnet seien alle, obwohl sie Angst haben, die mich trösten etwas Falsches zu sagen. und mir zusichern, daß Gott mich nicht verlassen hat. Gesegnet seien alle, die mir erlauben Oh Herr, birg Du uns alle von dem Verstorbenen zu sprechen. in Deiner Hand; nimm Du Dich unserer an. Bei Dir bleiben wir ganz gleich, ob wir noch leben oder gestorben sind.