Heiliger Abend, Joh

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Joh 7, 28-29, Christvesper
Sabine Bäuerle
Predigt
„Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen
sind.“ Vermutlich kennen Sie dieses Weihnachtslied noch aus ihren Kindertagen.
Alle Jahre wieder, liebe Gemeinde, feiern wir Weihnachten. Alle Jahre wieder backen
wir Plätzchen und schmücken einen Baum. Wir machen uns Gedanken, mit welchen
Geschenken wir unseren Lieben eine Freude machen können. Wir planen, wo und
mit wem wir das Weihnachtsfest verbringen und was wir an den Feiertagen
miteinander essen wollen.
In vielen Familien gibt es Weihnachtsrituale, die jedes Jahre begangen werden. Z.B.,
dass die Kinder erst ins Wohnzimmer hereinkommen dürfen, wenn die Kerzen am
Baum angezündet sind und das Glöckchen läutet. Auch der Ablauf des Heiligen
Abends ist häufig immer der gleiche. Kaffeetrinken, in die Kirche gehen, danach die
Bescherung und das Essen. In manchen Familien treffen sich alle am 1. Christtag bei
den Großeltern oder man kocht gemeinsam mit Freundinnen und Freunden.
Auch hier in der Kirche ist vieles an jedem Weihnachtsfest gleich. Wir haben eine
schön geschmückte Tanne, Kerzen, die alten Weihnachtslieder. In jedem
Gottesdienst hören wir die Weihnachtsgeschichte: „Es begab sich aber zu der Zeit,
dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging...“ Im Gottesdienst mit den
Kindern spielen wir die bekannte Geschichte von Maria und Josef, die keinen Platz in
der Herberge finden, wir erzählen von den Hirten auf dem Felde, die ihre Schafe
hüten und von den himmlischen Engelschören.
Alle Jahre wieder wiederholt sich vieles, ist vieles gleich. Aber, liebe Gemeinde, nicht
alles.
In einer Familie ist ein Kind auf die Welt gekommen und liegt in seiner Wiege dabei.
Letztes Jahr war es noch nicht geboren.
Ein Mann sitzt in seiner Wohnung, er hat für Weihnachten keine Tanne geholt. Ihm
ist nicht nach feiern zumute. Im letzten Jahr waren sie noch beieinander, seine Frau
wurde extra wegen Weihnachten aus dem Krankenhaus entlassen. Im Sommer ist
sie gestorben und nun ist er allein.
Eine Familie ist umgezogen in eine größere Wohnung. Und dies ist der erste
Heiligabend im neuen Zuhause. Sie haben mehr Platz, darum sind dieses Jahr auch
die Großeltern über die Feiertage gekommen.
Seit dem letzten Weihnachten ist vieles passiert. Eine hat geheiratet, ein anderer hat
eine neue Stelle gefunden. Eine hat ihren Mann verlassen, ein anderer weiß seit drei
Monaten seine schlechte Diagnose. Einer ist von zu Hause ausgezogen und freut
sich, dass er in diesem Jahr nicht mit seiner Familie feiern muss.
Vieles ist alle Jahre wieder gleich, aber nicht alles. Und gerade an Weihnachten
denken wir häufig besonders an das, was sich verändert hat, was anders geworden
ist, wie wir selbst uns verändert haben.
„Weißt du noch, letztes Jahr, da war ich gerade schwanger, und jetzt sind wir schon
zu dritt.“
„Wisst Ihr noch, wie klein unser Weihnachtsbäumchen letztes Jahr war. Sonst hätten
wir gar nicht alle ins Esszimmer gepasst.“
„Vor einem Jahr waren wir noch alle zusammen. Und jetzt liegt die Mutter auf dem
Friedhof.“
Für viele ist Weihnachten eins der schönsten, wenn nicht sogar das schönste Fest im
Jahr. Wir freuen uns trotz aller Vorbereitungshektik darauf und tun viel dafür, dass es
schön und gemütlich wird, dass wir Zeit füreinander haben und uns miteinander wohl
fühlen.
Es ist eine besondere Zeit im Jahr. Eine, die viele Gefühle und Sehnsucht wachruft.
Eine Zeit, die unsere Erinnerungen weckt. Erinnerungen an die Weihnachtsfeste
unserer Kindheit, Erinnerungen an die Zeiten im und nach dem Krieg, als es nichts
gab und man trotzdem irgendetwas organisieren konnte.
An Weihnachten sind wir sensibler und dünnhäutiger. Wo die Veränderungen in
unserem Leben schmerzhaft waren - weil wir Abschied nehmen mussten, weil wir
verletzt wurden oder Getrenntes nicht zusammenbringen konnten, da spüren wir den
Schmerz gerade an Weihnachten besonders. Weil es doch friedlich sein soll und
harmonisch.
In diesen Tagen spüren wir unsere Sehnsucht mehr als sonst. Unsere Sehnsucht
nach Frieden, nach Geborgenheit und danach, aufgehoben zu sein.
So betrachtet, liebe Gemeinde, ist Weihnachten eine sehr sensible Angelegenheit.
Darüber erzählt auch unser Predigttext, der beim ersten Hören gar nicht
weihnachtlich anmutet.
Predigttext lesen
Unser Predigttext erzählt nicht vom Kind in der Krippe, sondern vom erwachsenen
Jesus. Er ist mit seinen Jüngerinnen und Jüngern nach Jerusalem gekommen. Dort
tritt er öffentlich im Tempel auf und sorgt für Verwirrung und ziemlichen Ärger. Es
geht um seine Person und die Frage: Ist Jesus nun der ersehnte Messias oder ist er
es nicht? Ist er von Gott gesandt oder ist er ganz einfach nur der Sohn von Maria und
Josef?
Viele kennen Jesus schon lange. Sie wissen, dass er in Bethlehem geboren wurde
und mit seinen Geschwistern und Eltern in Nazareth aufgewachsen ist. Sie wissen,
dass er von seinem Vater den Beruf des Zimmermanns gelernt hat, dann aber, statt
zu arbeiten und eine Familie zu gründen, lieber als heimatloser Wanderprediger
durch die Ortschaften zieht. Und ausgerechnet er, von dem man doch weiß, wo er
her kommt, ausgerechnet der soll der Messias sein? Der Sohn Gottes? Das kann
man sich nun beim besten Willen nicht vorstellen. Der Messias, der Retter, der
Heiland, das kann doch kein gewöhnlicher Zeitgenosse sein! Der Sohn Gottes muss
etwas haben, was normale Sterbliche nicht haben, sonst ist er nicht der echte
Messias. Einer, den man seit Kindesbeinen kennt, kann sich nicht als der Messias
erweisen!
Wer von einem Menschen weiß, aus welcher Familie er stammt, welchen Beruf sie
hat, wie sich ihre derzeitige familiäre Situation gestaltet, wie er aussieht, weiß viel,
aber längst nicht alles. Denn wir alle haben Seiten in uns, die wir nach außen nicht
zeigen wollen und auch nicht können. Aus taktischen Gründen oder um uns zu
schützen. Denn wo wir unsere schwachen Seiten zeigen, machen wir uns verletzlich
und laufen Gefahr, verletzt zu werden.
Wenn wir unsere Stärke einsetzen und selbstbewusst sehen lassen, wo wir etwas
können, laufen wir Gefahr, den Neid anderer auf uns zu ziehen und uns unbeliebt zu
machen. Auch unsere Wut behalten wir in den meisten Situationen lieber im Bauch.
Das vermeidet Konflikte - und wer hat die schon gern.
Wir alle haben verschiedene Seiten, die wir in unterschiedlichen Situationen und
Bezügen zeigen - oder eben auch nicht. Wir alle leben mit Unterscheidungen. Das ist
angemessen und lebenspraktisch durchaus sinnvoll. Aber dennoch spüren wir
manchmal auch die Sehnsucht, ehrlicher sein und offener unsere wahren Gefühle
zeigen zu können. Ohne die Angst, uns lächerlich oder angreifbar zu machen. Die
Sehnsucht, verschiedene Seiten näher zueinander zu bringen.
Vieles können wir in unserem Leben nicht zusammenbringen. Wir machen die
Erfahrung, dass verschiedene Seelen in unserer Brust nicht zusammenkommen.
Dass Menschen nicht mehr zueinander finden und zueinander kommen können.
Dass es Brüche gibt, die nicht heilen wollen. Erfahrungen, die schmerzen und die wir
als leidvoll erleben.
An Weihnachten öffnet sich der Himmel. In dem göttlichen Kind kommen Himmel und
Erde zueinander. In dieser heiligen Nacht kommt im Stall von Bethlehem zusammen,
was sonst unvereinbar ist.
Und dennoch bedeutet Weihnachten für uns nicht die Erfüllung. Auch am Christfest
kommt nicht alles zusammen, was getrennt ist. Das wäre ein falsches Versprechen.
Weihnachten ist nicht die Erfüllung, sondern immer mehr als das, was sich
tatsächlich erfüllt.
Unsere Sehnsucht wird nicht komplett gestillt.
Aber trotzdem, liebe Gemeinde, geschieht an Weihnachten etwas. Mit uns und in
unserem Leben. Wenn sich der Himmel öffnet, öffnet sich auch in unserer Seele
Verschlossenes. Wir spüren mehr. Wir sind sensibler für uns selbst und für das, was
ist.
Wo wir uns und unser Leben so wahrnehmen können, da passiert etwas mit uns. Wir
spüren unsere Sehnsucht und sind durchlässiger. Und dann werden viele Dinge
möglich, die sonst nicht möglich sind.
Amen.
Vorschläge zur Liturgie
Gebet zum Eingang:
Gott, heute feiern wir die Geburt des Lichtes.
Du bist Mensch. Ein kleines Kind im Stall.
Du bleibst nicht in unendlicher Ferne, sondern kommst uns nahe.
Das ist beglückend. Darum feiern wir heute, mit Liedern und Lichtern.
Darum lassen wir uns anrühren in unserem Innersten.
Aber deine Nähe ist uns auch fremd.
Tief drinnen spüren wir das Ungewohnte einer solchen Nähe.
Wie schwer es ist zuzulassen, dass uns jemand so nahe kommt.
Weil wir innerlich verwundet sind und uns schlecht freuen können.
Oder weil wir doch sonst auch keine und keinen brauchen.
Gott, bewege an diesem Heiligen Abend unser Herz,
dass es sich öffnet für die Freude und für die Nähe.
Dass wir das Fremde überwinden und du unser eigen wirst.
Amen.
Schlussgebet:
Du Gott bist Mensch geworden,
ein kleines Kind in einer Krippe.
Dir ist nichts Menschliches fremd.
Darum bitten wir dich an diesem Weihnachtsabend für alle,
die nicht bekommen, was sie brauchen.
Die kein Dach über dem Kopf haben und nicht genug zu essen.
Die krank sind und nicht mehr geheilt werden können.
Die einsam sind und niemanden finden, dem sie sich verbunden fühlen.
Sei du ihnen nahe und steh ihnen bei.
Wir bitten dich für alle,
die nicht wissen, was ihnen fehlt.
Die sich ständig unter dem Druck fühlen, etwas leisten zu müssen und keine Ruhe
finden.
Die sich nicht wohl fühlen in ihrer Haut und ihren Körper nicht akzeptieren können.
Die Angst haben und in dunkle Löcher fallen, aus denen sie nicht wieder
herausfinden.
Sei du ihnen nahe und zeig einen Weg.
Wir bitten dich für alle,
denen verwehrt wird, was ihnen zusteht.
Die Kinder, die Gewalt erleiden und die nicht gut versorgt werden.
Die Alten, die abgeschoben und respektlos behandelt werden.
Die Flüchtlinge, die keine Heimat finden.
Sei du ihnen nahe und verhilf ihnen zu ihrem Recht.
Für jede und jeden von uns haben wir ganz verschiedene Bitten. Wir denken still an
das, was wir für uns selbst erbitten und bringen es vor dich.
- Stille Wenn ich dich anrufe, Gott, so hörst du mich und gibst meiner Seele große Kraft.
Amen.
Lesung und Lieder:
Die Weihnachtsgeschichte aus Lk 2, unterbrochen durch Weihnachtslieder.
Lied: Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, EG 27,1-3.6
Lesung: Lukas 2,1-7
Lied: Ich steh an deiner Krippen hier, EG 37, 1.2.4
Lesung: Lukas 2,8-14
Lied: Kommet ihr Hirten, EG 48, 1-3
Lesung: Lukas 2,15-20
Lied: Stern über Bethlehem, EG 542,1-3
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