Predigt: Heilig Abend 2004 Dreifaltigkeitskirche

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Für Veröffentlichungen dieser Predigt gilt ein Sperrvermerk
bis 24.12.2004, 19.30 Uhr
Predigt des Stadtsuperintendenten im Evangelischen
Stadtkirchenverband Köln, Ernst Fey, Heiligabend 2004,
Dreifaltigkeitskirche, Köln-Ossendorf
Text: 1. Johannes 3, 16 „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen
Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige
Leben haben.“
Liebe Gemeinde!
Weihnachten, das „Fest der Liebe“ - und dann doch tatsächlich das: Der Krippe von
Bethlehem wurde Gewalt angetan! Maria und Josef - verbeult und verbogen am
friedlichen Ort - ! - und anschließend verschleppt und verschwunden hinter den
Kulissen. Und darauf hieß es, die umstrittene Krippe sei wieder weg, immerhin – was
war geschehen, da neulich, im Lande der Briten?!
Eben dort, in London, im berühmten Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud,
hatte ein Unbekannter die Weihnachtskrippe zerstört, in der Victoria und David
Beckham (der legendäre englische Fußballspieler) die Heilige Familie darstellten.
Der Mann habe dem wachsweichen Paar mehrmals seine Faust ins Antlitz
geschlagen, berichteten die Times und der Mirror einmütig. Als Heilige Drei Könige
standen übrigens Georg W. Bush, Tony Blair und Prinz Philip Pate, war noch zu lesen
- man war „not amused“ und erhitzte sich über das Sakrileg ein paar Tage lang
durchaus heftig...
Heute ist Heiligabend, und da frage ich Sie mal, jetzt, aber ganz unaufgeregt: Der
Fußballgott und die Pop-Queen, umrahmt von den Heerführern der westlichen Welt
aus dem letzten Kreuzzug gegen das Böse (...sozusagen die neuen „Kings“ aus dem
Morgenland, könnte man sagen...) im „Prinzenglanz“ - war das nun schräger
englischer Humor oder einfach bloß Kitsch und schlechter Geschmack, oder vielleicht
doch schon hart an der Grenze zur Gotteslästerung?
Ob zweimal „Ja“ und nur einmal „Nein“ - bewerten Sie selbst - ohne Zweifel aber
geriet diese Inszenierung zum „Event“ – und sie reiht sich damit nahtlos ein in die
alljährliche Parade von „Aufführungen“ solcher vorweihnachtlicher Spektakel, weil
man schon gar nicht mehr weiß, was man noch alles anstellen soll, um
Aufmerksamkeit zu erregen - der kommerzielle Zweck heiligt längst alle Mittel...
Doch Weihnachten, das Fest der Liebe, ist doch eigentlich ganz anders. Und
Johannes, der biblische Zeuge, nimmt das Ereignis - und Weihnachten ist ein Ereignis
- ganz unscheinbar und unspektakulär in den Blick. Nicht einmal eine Geschichte
erzählt er uns, sondern er schreibt eine Erklärung nieder an uns für das wunderbare
Geschehen, die da lautet:
„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle,
die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
Begreifen wir das aber? Verstehen vor allem die jungen Menschen noch, was da
gemeint ist? Hören wir noch die Botschaft durch all den Weihnachtstrubel und den
Lärm der Weihnachtsmärkte und durch all die Geschäftigkeit und die Hast gerade
dieser unserer Tage?
Berührt uns denn die schlichte Weihnachtsbotschaft hinter den geschmückten
Fassaden der überladenen Geschäfte, berühren uns die Worte des Johannes überhaupt
noch in unserem „wirklichen“ Leben, in unserem Innern - jenes Wort:
„Also hat Gott die Welt geliebt...?“
Das heißt nichts anderes, als das: Gott hat sich selbst, aus Liebe zu dieser Welt, in
Jesus Christus, den wir seinen Sohn heißen, als Geschenk für uns Menschen gegeben.
Das heißt doch nichts anderes, als das: Gott hat sich auf unsere Welt eingelassen, in
letzter Konsequenz - mit all ihren Freuden und Schattenseiten und Unwägbarkeiten.
Im Mittelpunkt von Weihnachten, ja im Mittelpunkt unseres Lebens an jedem Tag,
steht die Gabe der Liebe Gottes, sein großes Geschenk an uns, seine unbedingte Nähe.
Da geschieht ein Wunder, ganz ohne unser Dazutun.
Und da steht nicht etwa der Appell zur Liebe – „Du sollst...“ - am Anfang als ein
kategorischer Imperativ, eine Handlungsanweisung für unser menschliches Leben.
Nein, der Grund und der Ausgangspunkt von Weihnachten ist Gottes Liebe für uns
Menschen. Wir werden heute an eine Kraft außerhalb dessen erinnert, was wir je
selbst könnten und tun. Gott, jenseits aller unserer Möglichkeiten - an Weihnachten
feiern wir seine Nähe, Licht in dunkler Nacht...
Es ist die sich verschenkende Gottesliebe, die Weihnachten zu einem Gegenmodell
und zu einem leuchtenden „Dennoch!“ macht zu all den bedrückenden Ereignissen
auf der Welt; und auch gegen jene niedere „Geiz ist geil-Mentalität“ einer
Gesellschaft, in der es - und nicht, weil es Winter geworden ist - immer kälter wird...
Bei Gott geht es um Liebe - und nicht um jene Triebkraft, die allein auf Leistung und
Gegenleistung angelegt ist und sich an Profitmaximierung als letztem Ziel orientiert.
Nein, Gott verschenkt sich, vorbehaltlos.
Heute ist Weihnachten.
Doch können wir - im Gewirr und Begehren der Stimmen auch dieser unserer Tage die leise Stimme der Liebe Gottes, der ganz und gar bescheidenen und darum so
großen Hingabe überhaupt noch wahrnehmen?
Warum lassen wir Menschen „das“ nicht einfach zu?
Ich denke: Es ist nicht leicht. Denn wir wissen und haben ja gelernt, dass unsere Welt
sogar beim Schenken (fast) immer auf Gegengeschenke angelegt ist, man könnte
sagen: auf Wiedergutmachung, auf „Revanche“ - Geschenke machen wir meistens mit
„Hintergedanken“.
In unserer Gesellschaft gibt es unzählige Beispiele im privaten, im politischen, im
wirtschaftlichen Bereich, wo diese „Geschenkmentalität“ geradezu vorherrscht.
Liegt nicht darin also das Problem unserer Zeit - dass wir Gott – und somit: das Glück
der Erfahrung: ICH, MENSCH, BIN GELIEBT ! – als unsere ursprüngliche Mitte in
Gott so verloren haben? Ist es ein Wunder, dass die Verwandlung von Weihnachten
in ein „Fest des Schenkens“ ohne tieferen Sinn immer mehr Menschen nervt, weil sie
doch spüren, das da „etwas“ fehlt, nicht nur an Weihnachten, tief drinnen, fehlt...?
In einer Welt der Überfülle an Waren, Informationen und
Unterhaltungsmöglichkeiten steht jeder Mensch - immer, und auch zur
Weihnachtszeit - in einem unerbittlichen Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit.
Und - reiht sich da nicht auch die Kirche ein? Geht uns Christen selbst etwa der
Glaube an die Attraktivität - an den Kern - der Weihnachtsbotschaft verloren?
Brauchen nicht auch wir immer neue „Events“, um die Botschaft „herum“, damit sie
- so glauben wir - noch jemanden erreicht?
Ängstlich sehen wir nach den jungen Leuten – besorgt um sie und in Sorge, sie zu
erreichen: Ist eine Jugend , die in einer „Event-Kultur“ aufwächst, nicht für den
christlichen Glauben verloren, wenn sich das Evangelium nicht „präsentiert“ - nicht in
einem Feuerwerk der Attraktionen, die den Kids den „Kick“ bringen, über die Rampe
kommt wie der Sound bei einem Konzert?
Ich meine - und ich mache uns Mut: Trauen wir doch dem Evangelium ein bisschen
mehr zu! Weihnachten erinnert an die andere, die eigentliche Lebensform, auch in
modernen Zeiten: Im Fühlen und Begreifen, dass Gott uns nahe sein will, gibt es den
solidarischen und verlässlichen Ansatz eines anderen Miteinanders, der
Gemeinschaft.
Ich bin von der Sehnsucht der Menschen – ob jung, ob alt, ob mitten im Lebenskampf
der Arbeitswelt – fest überzeugt. Wir suchen. Und sehnen. Und hoffen. Weil wir
Menschen sind.
Christinnen und Christen sind Menschen, die das nicht vergessen haben und die sich
„das“ trauen - die, und das nicht nur zur Weihnachtszeit - den kommerziellen
Verwehungen der Zeit einen starken und lebendigen Glauben entgegensetzen, indem
sie - indem wir - Gottes Geschenk, das Kommen, Leben, Lehren, Heilen und Sterben
und Vergeben - seines Sohnes Jesus Christus als Sinnstiftung - als den großen
Zusammenhang ! - für unser Leben und Sterben annehmen.
Die Sehnsucht in uns ist so wichtig. Wir können diese tief in uns spürbare Hoffnung
nach „etwas“, was doch so unerreichbar scheint, nicht ignorieren, ohne uns zu
verlieren – den Sinn, die Liebe, den Anderen. Diese Sehnsucht ist unaufgebbar.
Wir brauchen sie, diese echte Erfahrung von Glück, Nähe und Zärtlichkeit und
Vertrauen, aus der wir selbst erst zur Liebe, zum Mitgefühl fähig werden.
Die vertrauliche Frage sei erlaubt: Wünschen wir uns DAS nicht alle im Tiefsten
unseres Herzens?
Eine bessere Welt ohne Kriege, ohne flüchtende Menschen mit dem Ausdruck
blanken Entsetzens in ihren Augen, ohne Tränen, die nicht mehr fließen können, weil
der Hunger und das Leid alles ausgetrocknet haben. Wir wünschen uns so sehr, dass
die Menschen erkennen: Hass und Gewalt sind keine Optionen, bieten niemals
Antworten auf die Ungerechtigkeiten, Nöte und großen und kleinen Fragen der
Menschen.
Fromme Kinderwünsche? Am Ende doch nur Gefühlsduselei und ein bisschen
harmonische Begleitmusik an ein paar freien Tagen ohne Arbeit? Mensch, darf denn
Weihnachten nicht einmal die Stunde und – in dieser Kirche – der Ort sein, der ganz
anderen, großen Sehnsucht in uns allen nachzugehen?
Und auch das: Weihnachten darf ruhig, ja muss doch auch Erinnerung sein und
bleiben daran, was in dieser Welt, die Gott liebt, nicht verloren und untergehen darf in
allem Geiz, aller Geilheit, aller Geschäftemacherei - die Sehnsucht nach Frieden und
Gerechtigkeit, ein Leben in Vertrauen und menschlicher Wärme und ehrlicher
Verlässlichkeit, ein Leben, in dem sich die Menschen aufrichtig in die Augen schauen
können.
Weihnachten bleibt das Fest der Liebe - und die Krippe von Bethlehem bleibt der
friedliche Ort, an dem Maria und Josef aufrecht auf der Bühne der Welt stehen - ganz
ohne Glamour und Glanz und zweifelhafte Gefolgschaft, und sie sind auch nicht
hinter den Kulissen verschwunden.
Und auch nicht die Hirten, von denen die Story von Madame Tussaud und den
Beckhams, von George „Doubleyou“ und den anderen ja so gar nichts zu berichten
wusste.
Bei den Hirten ist unser Platz – und ohne die Hirten ist es keine „richtige“ Krippe,
nicht wahr? Wenn wir - mit ihnen – in dieser Nacht zur Krippe des Kindes kommen,
dann wird es Weihnachten.
„Kommt, lasst ihn uns anbeten – come, let us adore him“ – „Frohe Weihnachten!“
Amen.
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