Inhaltsverzeichnis 1. Allgemeine Begriffe der Makrostilistik. 1.1. Text und Kontext. 1.2. Komposition (Textkomposition) als Zusammenwirken des inneren und äußeren Textaufbaus: Inhalt-Form-Einheit. 1.2.1. Stoffliche Organisation des Textes. 1.2.2. Architektonik des Textes (Gliederung der Gesamtstruktur): Absatz, Abschnitt, Kapitel, Teil; Verszeile, Strophe; Szene, Akt. 1.2.3. Darbietungsform des Stoffes (Darstellungsart, Kombination von Darstellungsarten). 3. Außerlinguistische Faktoren, die die Komposition (den kompositorischen Aufbau) des Textes beeinflussen. 1. 4. Architektonische Funktion der linguostilistischen Mittel (die Anapher, die Epipher, das Leitmotiv, die Klimax und Antiklimax, der Parallelismus, die Antithese, die Frage und Antwort, die Intonation). 2. Erzählperspektive. 2. 1. Mittelbarer mündlicher Kommunikationsprozess. Sprechsituation. 2. 2. Kommunikationsprozess bei der Distanzstellung (Rundfunk, Fernsehen). 2. 3. Kommunikationsprozess beim schriftlichen Verkehr (in der Sachprosa, in der schöngeistigen Literatur). 2.4. Erzählperspektive im literarischen Kommunikationsprozess (Erzählperspektive des Autors, des Erzählers, der Figuren, des Lesers). 2. 5. Der räumlich-zeitliche Blickpunkt der Darstellung (Gebrauch der Zeitformen). 2. 6. Das Erzähltempo als eine der Komponenten der Erzählperspektive. 3. Arten der Rededarstellung. 3. 1. Die direkte Rede. 3. 2. Die indirekte (abhängige) Rede. 3. 3. Die erlebte Rede (verschleierte Rede, uneigentlich-direkte Rede, halbdirekte Rede, Imperfekt der Rede). Innerer Monolog. Fiktiver Dialog (Traumdialog, Denkdialog). 4. Sprachporträt (Sprachcharakteristik) als Erscheinung der Individualisierung und Typisierung der Figurensprache. 5. Methoden der linguostilistischen Textinterpretation. 6. Literaturverzeichnis 2 1. Allgemeine Begriffe der Makrostilistik Die Makrostilistik hat in ihrem Gegenstand solche Ganzheitsstrukturen wie die Funktionalstile, Textsorten usw., sie erforscht ihre Organisationsprinzipien in linguistischer und extralinguistischer Hinsicht. Die so aufgefasste Makrostilistik entspricht der Funktionalstilistik, die zu einem der wichtigsten Forschungsbereichen der modernen Sprachwissenschaft geworden ist. Aufgabe der Makrostilistik ist die Erforschung des Stils als Komplexerscheinung und Organisationsprinzip von Ganzheitsstrukturen. Ihr Forschungsmaterial bilden grundsätzlich abgeschlossene sprachliche Großeinheiten, wobei aber die Wechselbeziehung zwischen dem Ganzen und seinen Teilen stets beachtet werden muss. Zur Makrostilistik gehören: 1) die Funktionalstilistik als Beschreibung der einzelnen Stil- und Substilsysteme durch Registrierung der qualitativen und quantitativen Anwendungsnormen in den kommunikativen Bereichen des Gesellschaftsverkehrs; 2) die funktionale Textstilistik, d.h. die Interpretation inhaltlich und formal abgeschlossener Texte aus sämtlichen Sphären der Kommunikation. Eine scharfe Abgrenzung zwischen der Mikro- und Makrostilistik ist nicht möglich. Die Aufgabe eines Übersetzers bei der Makrostilistik ist die globale Reproduktion und Rekonstruktion der allgemeinen stilistischen Elemente. Das bedeutet, dass der Übersetzer nicht auf den lexikalischen, grammatischen, phonetischen Stilelementen und Stilfiguren basiert, sondern er bemüht sich um eine gesamte Wiedergabe eines Originaltextes. Zu dieser Kategorie gehören die Stilzüge, die Komposition des Textes, die Stilklassen und die Stilmuster. Als erste Sprachwissenschaftlerin hat E. Riesel im Jahre 1975 die Unterscheidung zwischen Makrostilistik und Mikrostilistik eingeführt. An sie hat später B. Sowinski angeknüpft. “Während E. Riesel nur „Funktionalstile“, Kontext, Komposition, architektonische Funktion sprachstilistischer Mittel, Darstellungsarten, Erzählperspektive, Rededarstellungen, Sprachporträts“ als makrostilistische Einheiten aufführt, ergänzt sie Sowinski (Autor dieses Buches) durch „Kommunikationsweisen (mündl.; schriftl.), Stilzüge, Stilfärbungen, Textsorten und Gattungen, Erzählweisen, Erzählverhalten usw. Wahrscheinlich lieβen sich noch weitere makrostilistische Kategorien entdecken.“ (Malá 2003, S. 40) Als makrostilistische Elemente (Stilmittel) sind solche textlichen Kategorien gedacht, die oberhalb der Satzebene die Struktur eines Textes variierend beeinflussen. Die Kategorien der Makrostilistik stützen sich auf Wahlentscheidungen, die durch Konventionen, Wirkungsabsichten und persönliche Neigung bestimmt sind. 3 Die makrostilistischen Analysekriterien der Textkonstitution sind: „Gattungsmerkmale, architektonische Funktion der sprachstilistischen Mittel, Darstellungsarten (Berichten, Erzählen, Beschreiben, Charakterisieren), Erzählperspektive (Autoren-, Figuren, Empfängerperspektive, Erzählhaltung, zeitliches Relief, Vor- und Rückblenden, Erzähltempo etc.)“ (Spillner 1984, S. 24) 1.1. Text und Kontext Der Kontext ist eine schriftliche oder mündliche Äußerung mit inhaltlichem und stilistischem Zusammenhang (Kohärenz). Das Verhältnis von Text und Kontext wurde und wird in den verschiedenen literaturwissenschaftlichen Schulen und Richtungen unterschiedlich bestimmt. Eine zweifellos überholte Auffassung ist die vom Kontext als "Hintergrund" eines Textes. Hingegen besteht unter auch verschiedene Positionen vertretenden Literaturwissenschaftlern ein breiter Konsens darüber, dass jede Textinterpretation kontextabhängig ist (vgl. u. a. Orientierung Literaturwissenschaft, 2000, S. 138). Dabei wird jedoch häufig zwischen engeren (literaturwissenschaftlichen) und breiteren (z. B. kulturellen, historischen, theologischen, sozialgeschichtlichen) Kontexten unterschieden. Man unterscheiden drei Arten des Kontextes: den Mikrokontext (Kleinstkontext und Kleinkontext), bestehend aus Wort, Wortgruppe, Einzelsatz. den erweiterten Kontext, der aus den sogenannten übersatzmäßigen Formen besteht, die sich von einigen inhaltlich und formal eng verbundenen Sätzen bzw. Absätzen bis zu einer kleinen Absatzfolge erstrecken können, den Makrokontext (Großkontext), der das thematisch und strukturell abgeschlossene Ganze umfasst. Menschliche Kommunikation vollzieht sich nicht im luftleeren Kaum, sondern in konkreten Situationen. Diese sind durch außersprachliche Faktoren bestimmt. Die Summe all dieser Faktoren nennt man außersprachlichen Kontext. Einige dieser Faktoren sind: - der situative Kontext Hierunter versteht man die äußeren Faktoren, die eine Kommunikation beeinflussen (Größe des Raums, Anzahl der Teilnehmer, Lärm usw.). - der normative Kontext Er umfasst einmal die gesellschaftlichen Rollen, die Sender und Empfänger innehaben (z.B. Vorgesetzter, Untergebener), und zum andern bestimmte sprachliche Regeln, die der Anlass der Kommunikation vorschreibt (Begrüßung, Festrede, Bewerbungsgespräch usw.). 4 - der historische Kontext Jede Kommunikation spielt sich in einer bestimmten geschichtlichen Situation, einer politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lage ab, die sich direkt oder indirekt im Text niederschlägt oder ihm zugrunde liegt, deren Kenntnis für sein Verständnis notwendig ist. 1.2. Komposition (Textkomposition) als Zusammenwirken des inneren und äußeren Textaufbaus: Inhalt-Form-Einheit Der Terminus Komposition ist vieldeutig. Unter der Komposition wird manchmal eine rein formale Gliederung des Textes in Kapitel, Absatze, Akte usw.verstanden. In anderen Fällen wird die Komposition mit der Sujetlinie identifiziert. E. Riesel sagt folgendes dazu: Architektonik und Komposition sind nahverwandte, aber nicht identische Begriffe. Auch die Komposition stellt eine Gliederung des Sinnganzen dar. Wenn aber bei der Architektonik das Formale im Vordergrund steht, so bei der Komposition das Inhaltliche. Zwischen den Begriffen besteht eine feste Wechselbeziehung: der äußere Aufbau in architektonische Einheiten hangt unmittelbar mit der logischen und expressiven Gliederung des Ideeninhalts zusammen, der innere Aufbau nach kompositionellen Einheiten kommt durch architektonische Gestaltung zum Ausdruck . Die Komposition des Textes bildet nach Riesel eine Struktur, die aus mehreren Komponenten besteht. Dazu gehören: 1) Stoffliche Organisation, d. h. Anordnung der thematischen Einheiten, Sujetlinien, Motive, Ideen, Charakterzeichnung; 2) Gliederung der Gesamtstruktur in architektonische Einheiten: Absatz, Abschnitt, Kapitel, Teil, Akt, Szene, Strophe; 3) Darbietungsform: Schilderung, Erzählung, Bericht, Kommentar, Monolog, Dialog. Die Komposition eines künstlerischen Textes ist von extralinguistischen Faktoren abhängig und zwar: a) Inhalt und Zweck des Werkes, b) Funktionalstil, c) Stil des Verfassers, d) Epoche. Eine jede Genreart bewirkt in bestimmter Weise die Komposition des Textes. Die Werke des Epos, Dramas und der Lyrik unterscheiden sich in erster Linie nach ihrer Komposition. In den epischen Werken ist die Wirkung des Genres nicht so stark zu spuren. Die Verfasser der epischen Werke bedienen sich unbeschrankt aller Mittel der Literatursprache, greifen oft zur Lexik und zu den grammatischen Formen der Alltagsrede bzw. Mundart. In der Komposition des epischen Werkes werden verschiedene Kombinationen der einfachen Komponenten benutzt, z. B.: Elemente des dynamischen Erzahlens, der 5 statischen Schilderung, Berichten, Betrachtung, Monolog, Dialog, innerer Monolog, Autodialog, Brief usw. Manche Formen der epischen Werke bestimmen jedoch ihre Komposition, manchmal ihre Sprachgestaltung. Zu solchen Formen gehören: Roman in Briefen, Roman-Tagebuch, Rahmenerzählung, Marchen, Fabel. In einem poetischen (lyrischen) Werk wird der Autor durch die Strophenform, Rhythmus, Reim im Gebrauch der sprachlichen Mittel beschränkt. Manche Formen der poetischen Werke wie Sonett, Rondo, Triolett, Elegie, Ode bestimmen die Architektonik des Verses. Das Drama setzt den Gebrauch des Monologs-Dialogs voraus, Autorenrede ist ganz lakonisch und hat meistens die Form der elliptischen Sätze. Die Charakteristik der handelnden Personen wird also durch die Figurenrede geschaffen, daher ist die individualisierende Rolle der Figurenrede besonders groß. Bestimmte sprachlich-stilistische Mittel haben im Text eine architektonische Funktion, sie gestalten den thematischen und gedanklichen Gehalt des Textes. Zu solchen textgestaltenden Mitteln gehören: Anapher, Epipher, sprachliches Leitmotiv, Klimax, Antithese, Parallelismus, Frage und Antwort. Ein jedes sprachlich-stilistisches Mittel hat seine Wirkung. Komposition eines Textganzen aus beliebigem kommunikativem Bereich ist demnach die untrennbare dialektische Einheit inhaltlicher und formaler Aufbauglieder der Gesamtstruktur, materiell erfasst in ihrer sprachstilistischen Ausformung. Es handelt sich um die Gliederung des Textganzen in folgende Komponenten: 1.2.1. Stoffliche Organisation bestimmter Mitteilungen. In wissenschaftlicher Prosa etwa die logische Aufeinanderfolge von Problemstellung, theoretischer und praktischer Beweisführung, Schlussfolgerungen. In literarisch-künstlerischen Werken die durch ästhetische Faktoren beeinflusste Anordnung thematischer Einheiten (Handlungsstränge oder Sujetlinien, Motive, Ideen- und Gefühlsablauf, Charakterzeichnung u.a.); 1. 2. 2. Architektonik des Textes (Gliederung der Gesamtstruktur) in ihr Äußeres Baugerüst, in architektonische Einheiten (in künstlerischer Prosa und Sachprosa: Absatz, Abschnitt, Kapitel, Teil; in der Poesie: Verszeile, Strophe; im Drama: Szene, Akt). 1. 2. 3. Darbietungsform des Stoffes, d.h. die Art und Weise, in welchen Kombinationen von Darstellungsarten der Sender sein Thema dem Empfänger nahe bringen will: episch berichtend, schildernd, erörternd, kommentierend, propagierend u.a.; monologisch erzählend, dialogisch inszenierend, mit kinematographischem Ablauf u.a. 6 Wenn die thematische Verteilung von Stoff und Ideengehalt einen primärinhaltlichen Aspekt bildet (innerer Aufbau) und die architektonische Gliederung des Textes einen primär-formalen Aspekt (äußerer Aufbau), so kann die aus unterschiedlichen Seh- und Gestaltungsweisen des Senders resultierende Darbietungsform, und damit jede einzelne Darstellungsart, als Bindeglied zwischen innerem und äußerem Aufbau aufgefasst werden, als inhaltlich-formaler Aspekt. Auf der dialektischen Verschränkung dieser drei Strukturelemente beruht die Textkomposition. 1. 3. Außerlinguistische Faktoren Der kompositorische Aufbau eines beliebigen Textes ist vor allem von außerlinguistischen Faktoren abhängig: vom Inhalt und Zweck der konkreten Mitteilung, vom Verständigungsweg und er Verständigungsart, von der konkreten Redesituation; vom Wesen des Funktionalstils, Gattungs- oder Genrestils, von der Spezifik der Textsorte; vom Individualstil des Verfassers, von der Anpassungsfähigkeit an den Empfänger; von der Epoche und dem Zeitgeschmack Gewiss ist die kompositorische Charakteristik eines lyrischen Gedichts anders als die der Handelskorrespondenz oder einer wissenschaftlichen Abhandlung. Aber selbst bei Gleichheit des Funktional- und Gattungsstils, bei Gleichheit des Themas und der Abfassungszeit, kann ein und dieselbe Information in ihrem inhaltlichformalen Geflecht gewisse Unterschiedlichkeiten an sich haben: bald lenkt die eine, bald eine andere der drei Gliederungskomponenten die Aufmerksamkeit des Lesers stärker auf sich. Dennoch bleibt ihre wechselseitige Durchdringung immer bestehen. 1.4. Architektonische Funktion der linguostilistischen Mittel Unter der architektonischen Funktion einer sprachlichen Einheit verstehen wir ihren Beitrag zur Ausgestaltung des gesamten thematischen und formalen Baus eines Textes aus beliebiger kommunikativer Sphäre. Jedes einzelne Satzglied, jedes einzelne Stilistikum kann architektonische Funktion ausüben und damit unterschiedliche Ausdruckswerte der Information von Seiten des Senders übermitteln sowie unterschiedliche Eindruckswerte auf den Empfänger bewirken. Meist handelt es sich um einen hohen Grad von Eindringlichkeit und Einprägsamkeit des Gesagten. In der Presse dient die architektonische Anapher als relevantes Mittel der Überzeugungskraft. So etwa, wenn in einem Leitartikel einige Absätze hintereinander mit den Worten beginnen: Wir fordern..., worauf der Inhalt der Forderung folgt. Bei gleichem Wortlaut der Einleitung werden anschließend 7 unterschiedliche Formulierungen bestimmter politischer oder sozialer Missstände gegeißelt. Ähnliches gilt für die mehrfache Wiederholung eines Wortes, einer Wortgruppe, eines Satzes (selbst eines ganzen Absatzes) am Ende eines Sinnesabschnittes, also für die architektonische Epipher, wie etwa im kraftvollen Abschluss: Nie mehr! Wenn Becher im poetischen Refrain die „Nimmerwiederhehr desselbent sieht, so könnte man eben diese treffende Erklärung auch für die Anapher und Epipher in architektonischer Funktion geben. Als sprachliches Leitmotiv bezeichnen wir die architektonische Wiederholung eines Wortes, einer Wendung, eines Satzes, ja eines ganzen Absatzes im Verlauf eines Textes, sei es in der Presse, der Publizistik oder in der schönen Literatur. Dieses Leitmotiv kann einen Romanhelden durch wiederholte äußere Beschreibung oder wiederholte Erwähnung eines Charakterzugs ständig begleiten; in der Fachliteratur wird es oft mit dem bildkräftigen Ausdruck Visitenkartentechnik bezeichnet. Dem sprachlichen Leitmotiv ist häufig symbolische Bedeutung eigen. So z.B. meint A. Seghers mit den winzigen hellen Pünktchen (Fünkchen) in den Augen ihrer Gestalten heimliche Zeichen gegenseitigen Verständnisses zwischen Bleichgesinnten, progressiven und revolutionären Menschen (z.B. in den Werken: „Das siebte Kreuz"; „Die Saboteure"; „Die Rettung"; „Die Toten bleiben jung"; „Die Entscheidung".) Die architektonische Steigerung (Klimax) ist Aufbauprinzip in der Volksdichtung (Volksmärchen, Sagen, Rätsel, Zaubersprüche). Im Verlauf des geschlossenen Textes zeigt die steigende Aufzählung das Anwachsen der Handlung, wobei auf die letzte Aussage der gedankliche Hauptakzent fällt, gewöhnlich in ausführlichster und wirksamster sprachlicher Ausformung. In der Stilistik der Volkskunde wird die architektonische Funktion der Steigerung als Achtergewicht (von achter, niederdeutsch für hinter, hinten) bezeichnet. Der Name erklärt, dass das letzte Glied der Aufzählung (gewöhnlich das dritte) das eigentliche Gewicht trägt und damit den Höhepunkt darstellt. Sehr beliebt sind architektonischer Parallelismus und architektonische Antithese in der wissenschaftlichen Prosa als treffliche Mittel zum Hinweis auf Gleichheit und Verschiedenheit der Aussage, auf den Gegensatz von Vergangenem und Gegenwärtigem, Falschem und Richtigem; Frage und Antwort in architektonischer Funktion leiten zum logischen Mit- und Nachdenken an. 2. Erzählperspektive Der Begriff Erzählperspektive bildet die Grundlage der Textstilistik und der linguostilistischen Interpretation. Die Erzählperspektive wird als „Blickrichtung des Textes in räumlicher, zeitlicher, personaler, gedanklicher Hinsicht" (Kleines 8 Wörterbuch der Stilkunde) definiert. Sie widerspiegelt die ideologische, psychologische und ästhetische Einstellung des Verfassers. Obwohl die Erzählperspektive gerade jenes Gebiet darstellt, wo die Literaturwissenschaft und die Stilistik fast verschmelzen, versuchen wir uns auf die sprachlichen Kennzeichen der Erzählperspektive zu konzentrieren, und ohne uns mit Individualstilen zu befassen, allgemeine Richtlinien anzudeuten. Während der Texterfassung kann der Schriftsteller folgende sprachliche Mittel zu benutzen: 2.1. Mittelbarer mündlicher Kommunikationsprozess. Sprechsituation An dem natürlichen mündlichen Kommunikationsprozess beteiligen sich die räumlich und zeitlich unmittelbar miteinander verbundenen Gesprächspartner: Sender und Empfänger (oder die Empfänger bei der Massenkommunikation). Die Erzählperspektive ergibt sich naturgemäß aus der Sprechsituation. 2.2. Kommunikationsprozess bei der Distanzierung (Rundfunk, Fernsehen) Bei der Distanzstellung (Rundfunk, Fernsehen) wird die unmittelbare räumliche Beziehung gestört, die zeitliche dagegen bleibt erhalten. Beim schriftlichen Verkehr fehlen beide Kontakte in Raum und Zeit, allerdings ist in der Sachprosa mit ihrem objektiv-sachlichen Informationsgehalt die Erzählperspektive ziemlich eindeutig. 2.3. Kommunikationsprozess beim schriftlichen Verkehr (in der Sachprosa, in der schöngeistigen Literatur) Ganz anders ist die sog. fiktionale (schöngeistige) Literatur geartet, wo es sich um erfundene, dichterische Geschehnisse und Personen handelt, wo der Sender und Empfänger zeitlich und räumlich getrennt sind, wo es nicht einmal klar ist, wer der eigentliche Sender ist, wo die Erzählperspektive immer wechselt. Anscheinend ist der Sender identisch mit dem Autor, doch ist, wie wir weiter sehen werden, der Autor durch mannigfaltige Gestalten vertreten. Empfänger in diesem Fall ist der Leser. 2.4. Erzählperspektive im literarischen Kommunikationsprozess Die Zahl der am literarischen Kommunikationsprozess beteiligten Personen und ihr Verhalten sind für die Erzählperspektive ausschlaggebend. Es bildet sich folgende Kette: der Autor als Schöpfer des Werkes, als konkreter Verfasser, z.B. A. Seghers, L. Tolstoi, 9 der Erzähler im literarischen Werk entweder in der Ich-Form oder in der Er-Form. Der Erzähler ist nicht immer das Sprachrohr des Autors; der Autor wählt zum Erzähler eine beliebige erfundene Person: ein Kind („Tinko" von Strittmatter), eine Frau („Brief einer Unbekannten" von Stefan Zweig), einen Abenteurer („Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" von Th. Mann), ein Tier („Lebensansichten des Katers Murr" von E.T.A. Hoffmann) etc., die handelnden Personen (Figuren), von denen eine jede die Erzählung übernehmen und weiterleiten kann, der Leser schließt die Kette ab, da er der eigentliche Empfänger des im Werk mitgeteilten Gehalts ist. Je nachdem, in welchem Maße die Schilderung auf den Autor, den Erzähler, eine Figur oder den Leser eingestellt ist, hält man auseinander: die Erzählperspektive des Autors, des Erzählers, der Figur, des Lesers. Der Autor kann offen in Szene treten (besonders in der Ich-Form der Erzählung, in autobiographischen Werken, Tagebüchern, Reisebeschreibungen, Memoiren) oder „sich tarnen". Sogar die Ich-Form kann, wie gesagt, bloß eine „Tarnkappe" sein. Trotzdem entscheidet der Autor alles. Er schafft das Sujet, den Erzähler und die Figuren, er lässt sie reden und handeln. Ungeachtet dessen, ob sich der Autor als Schöpfer hinter seinen Romanfiguren versteckt oder sich offen zeigt, Objektivität oder Subjektivität anstrebt, trägt sein Werk den Stempel seiner Individualität. Die zweite Gestalt im literarischen Kommunikationsprozess ist der Erzähler in der Ich- oder Er-Form. Beide können mit dem Autor identisch sein oder eine beliebige erfundene Gestalt darstellen. Danach richten sich der Inhalt und die sprachliche Form des Werkes. Ein Kind erzählt ganz anders als ein bejahrter Abenteurer oder eine verzweifelte Frau. Es können sich mehrere Erzähler einstellen (pluralischer Erzähler): der eine übergibt dem andern das Wort. Die „Schachnovelle" von Stefan Zweig wird vom auktorialen (=auktoralen) Erzähler eingeleitet, dann gibt der personale Erzähler das Geschehen wieder, zum Schluss schaltet sich nochmals der auktoriale Erzähler ein. So entsteht die sogenannte Rahmenerzählung. Manche Werke sind nach dem Prinzip der Schachtelerzählung aufgebaut, wenn der erste Erzähler den zweiten, der zweite den dritten ablöst („Schimmelreiter" von Storm) Je nach der Darstellungsart entstehen verschiedene „Gestalten des auktorialen Erzählers": er kann möglichst objektiv, distanziert, sachlich berichten, ohne seine Stellungnahme zu verraten (sie bricht auf eine andre Weise durch), dann behält er die Haltung eines Beobachters oder eines Chronisten, ebenso wie der Regieführer in einem Dokumentarfilm; er mischt sich in die Ereignisse nicht ein, als ob er ihre 10 Ursachen und ihre Reihenfolge nicht kenne. Ganz anders benimmt sich der Erzähler, der nicht gleichgültig bleiben will, sondern seine Meinung, seine Einschätzung äußert, Kommentare und persönliche Betrachtungen anstellt. Er ist ein subjektiver Betrachter. Er greift zum Erzählen, Schildern, Charakterisieren. Doch sogar bei der Haltung eines berichtenden Chronisten besteht meist kein Zweifel an seiner ideologischen Einstellung. Die Erzählperspektive der Figuren manifestiert sich in der Figurensprache selbst, in der erlebten Rede, teilweise auch in der Autorsprache (=Autorensprache). Das Geschehen kann vom Blickpunkt einer Figur geschildert werden. Es kann so viele Erzählperspektiven geben, als handelnde Personen mitwirken. Davon signalisieren die Wortwahl und die grammatischen Mittel wie: Artikelgebrauch, Zeitformen-, Moduswechsel, Satzaufbau. Die Erzählperspektive des Lesers (Empfängers, Publikums) kann in verschiedenem Grad zur Geltung kommen. Jeder Autor ist bestrebt, seinen Leser zu beeinflussen, der eine tut es offen, der andere versteckt. Die offene Einstellung auf den Leser wird sprachlich durch verschiedene Mittel angezeigt: durch die Anrede an den Leser; durch Fragesätze, die den Leser aktivieren sollen; Ausrufesätze, Schaltsätze, die die Kommentare des Autors enthalten; die lexische Auswahl; die Berücksichtigung der Informiertheit des Lesers beim Artikelgebrauch. Die Ich-Form schafft den Eindruck der Kontaktaufnahme mit dem Leser. Ein Roman im Briefstil erweckt den Anschein, an einen Adressaten gerichtet zu sein, daher ist diese Form vertraulicher, intimer als die Er-Form der Erzählung. 2.5. Der räumlich-zeitliche Punkt der Darstellung Die zweite Komponente der Erzählperspektive ist der räumlich-zeitliche Blickpunkt der Darstellung. Wir betrachten die zeitliche und die räumliche Perspektive aus Bequemlichkeitsgründen getrennt, in Wirklichkeit sind sie kaum abzusondern. Der Verfasser und der Leser haben keinen unmittelbaren zeitlichen Kontakt, da sie sich auf verschiedenen objektiven Koordinaten befinden, die sich außerdem verändern Wichtig für den Inhalt und die Form des Werkes ist die fiktive Zeit, die sogenannte Erzählzeit. Die Erzählzeit kann stillstehen oder sich in unterschiedlichem Tempo entwickeln. Als durchgehende Zeitformen, die den Hintergrund der Schilderung malen, dienen das Präteritum oder das Präsens. Die Er-Form der Erzählung begünstigt das Präteritum, die Ich-Form das Präsens. Beide Zeitformen fungieren als Grenzsignale zwischen der realen Welt des Autors und des Lesers und der fiktiven Welt des Romans. Sie verlieren ihren eigentlichen zeitlichen Wert als Angaben der Vergangenheit oder der Gegenwart. 11 Für einen historischen Roman, einen Zukunftsroman, einen Gegenwartsroman können beide Zeitformen gewählt werden. Beide eignen sich für das Grundtempus der Erzählung wegen ihrer kurzen syntaktischen Form und semantischen Elastizität; sie sind mehrdeutig, können deshalb leicht in das Gebrauchsgebiet anderer Zeitformen transponiert werden. Das Präteritum sieht man häufiger dem Präsens vor, weil es eine distanzierte Perspektive schafft und in Bezug auf die Aktionsart (vollendete/dauernde Handlung) indifferent ist. Durch die Kombination des Grundtempus mit andern Tempora schafft der Autor ein zeitliches Relief. Den Zeitformenwechsel nutzt man zur Angabe der veränderten Erzählperspektive sowie zur Beschleunigung oder Verlangsamung des Erzähltempos aus. Auffallend ist, dass der Märcheneinsatz unbedingt im Präteritum steht: Es war einmal... während im Märchenschluß oft das Präsens gebraucht wird, z.B. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch. Der Märchenerzähler kehrt aus der Märchenwelt in die Welt seiner Zuhörer zurück. Die Änderung der zeitlichen Perspektive bedeutet zugleich auch die Änderung des räumlichen Standpunkts. Das Präsens in der präteritalen Umgebung markiert die Grenze zwischen der geschilderten Wirklichkeit und den Träumen im Schlaf einer handelnden Person: In dieser Nacht hatte er einen Angsttraum. Er sitzt zehn Jahre alt und schon erwachsen zugleich wieder allein in der letzten Bank. Der Lehrer Dürr ruft ihn auf (L. Frank „Links, wo das Herz ist“). Man nutzt den Zeitformenwechsel aus, um den Leser aus einer Epoche in die andre hinüberzutragen. In eine Kette von präteritalen Formen kann das Perfekt hineingeschoben werden, das einen Zeitabschnitt von dem andern trennt, indem es zugleich den Abschluss einer Zeitspanne andeutet. Das eingeschaltete Perfekt kann auf eine andere Weise die zeitliche Perspektive beeinflussen: Einsam stand der Ritter noch lange bei der Statue des Laokoon, sein Antlitz war ebenso verzerrt und weiß, bewusstlos entblätterte er alle Rosen des Rosenbaums; er zerknackte sogar die jungen Knospen - der Baum hat nie wieder Tüten getragen - in der Ferne klagte eine wahnsinnige Nachtigall. (Heine, Ideen. „Das Buch Le Grand“). Das Perfekt im Schaltsatz bricht den Erzählrahmen durch und bedeutet einen Blick in die folgende zeitliche Sphäre, näher zum Zeitpunkt des Lesers. Die Abfolge Präteritum - Perfekt weist auf eine fernere und nähere Erzählperspektive hin. Die Wirkung des Perfekts beruht auf seinem Sem „Gegenwartsbezogenheit". Dank diesem Sem hebt das Perfekt die Aussage hervor, es verleiht ihr eine größere Ausdruckskraft: das sogenannte Eröffnungsperfekt kann das sich weiter 12 entwickelnde Thema ankündigen; das einen Textabschnitt abschließende Perfekt (Schlußperfekt) enthält eine Zusammenfassung oder eröffnet eine weitere Perspektive. 2.6. Das Erzähltempo als einen der Komponenten der Erzählperspektive Im Zusammenhang mit der zeitlichen Perspektive steht das Erzähltempo. Es kann. ruhig, episch oder rasch, dynamisch, auch sprunghaft sein. Als sprachliches Hauptzeichen des Erzähltempos dienen wiederum die Zeitformen. Das Präteritum schildert die Ereignisse in ihrer natürlichen linearen Folge. Oder es dient zum statischen Beschreiben und Charakterisieren, dann kommt das Erzähltempo zum Stillstand Das Präsens als Durchgangsform der Erzählung (das epische Präsens) wird zu demselben Zweck verwendet. Seine Eigenart besteht vielleicht in der Beschleunigung des Erzähltempos, wenn man einzelne Feststellungen als Laufbilder aufnimmt. Der Tempowechsel tritt besonders deutlich beim Zeitformenwechsel innerhalb derselben Realzeit zutage. Wenn das Präteritum als Grundform der Erzählung stellenweise durch das Präsens historicum unterbrochen wird, wird das Erzähltempo rascher: Später, als es ganz dunkel geworden, trat sie vor die Türe. Ich kam – ich näherte mich - sie zieht sich langsam zurück in den dunklen Hausflur - ich fasse sie bei der Hand und sage: ich bin ein Liebhaber von schönen Blumen und Küssen und ich küsste sie rasch... (Heine, “Die Harzreise“). Das Plusquamperfekt am Eingang eines Erzählabschnitts enthält eine Einleitung, Exposition, zugleich einen retrospektiven Überblick: Das Plusquamperfekt trägt zur Zeitraffung bei, indem es den Abschluss, die Folgen einer Episode zusammenfasst. Das Erzähltempo wird auch durch Vorblenden beschleunigt, die einen Zeitsprung in Bevorstehendes bewirken. Das kann sogar ohne Tempuswechsel erfolgen. Der Erzähler prophezeit die Zukunft seiner handelnden Personen: Die verarmte Gräfin Reventlow, klein, schmal und noch elegant gekleidet, die später ein heiteres Buch über ihre Liebeserlebnisse veröffentlichte, trat ein und winkte (L. Frank, „Links, wo das Herz ist“). Die Vorblende kann auch durch den Tempuswechsel markiert werden: Hier wie überall kooperiert die Morphologie mit der Lexik und der Syntax: die lexikalischen Zeitangaben: jetzt, damals, vor Jahren u.a., der nominale oder der verbale Stil, die Temporalnebensätze, Schaltsätze, eingliedrige und elliptische Satzstrukturen helfen das zeitliche Relief malen und das Erzähltempo regeln. Das Erzähltempo wird auch durch die Wahl der Darstellungsart beeinflusst: das detaillierte Charakterisieren und Schildern, sowie die eingeschobenen Kommentare 13 und allgemeine Betrachtungen verlangsamen den Gang der Erzählung, das knappe Erzählen ohne großen Wortaufwand beschleunigt ihn. Die lokale und die zeitliche Perspektive stehen in enger Beziehung. Zeit und Raum des Geschehens können zusammenfallen, sich auch unabhängig voneinander ändern, z.B. verschiedene Raumbezüge zu derselben Zeit, oder verschiedene Zeitbezüge in demselben Raum. Für beide Fälle stehen dem Verfasser mannigfache Sprachmittel zur Verfügung. 3. Arten der Rededarstellung Rededarstellung ist ein Oberbegriff für: Wiedergabe einer realen mündlichen oder schriftlichen Äuβerung; Darstellung von Äuβerungen in künstlerischer Literatur (fiktive Redewiedergabe). Man unterscheidet die Autoren- und die Figurensprache. 3.1. Die direkte Rede Die direkte Rede ist eine wörtliche mündliche oder schriftliche Äußerung einer oder mehrerer Personen, äußert sich in Monolog oder Dialog. Man kann sie in der Publizistik, Wissenschaft (in der Form eines Zitats), in den Dichtwerken (der Autor lässt seine Figuren selbst sprechen) und in der mündlichen Rede (man führt die Aussagen anderer Personen ein) treffen. Der Text eines Bühnenwerkes besteht nur aus der direkten Rede, ausgesehen von Kommentaren. Schöngeistige Literatur – Voraussetzungen: Beschreibung und Charakterisierung des Sprechers, Bemerkungen darüber, wie etwas gesagt wird (ängstlich, zögernd). Dazu dienen Anleitende Verben (verba dicendi), Angaben der Gesten, Mimik, Handlungen: Sie blickt ihn ruhig an, fast erstaunt. „Ich bin nicht traurig“ (H. Mann). Blankdialog – uneingeleitete Rede in einem Dialog. Merkmale: • grammatisch – die 1. Person • graphisch – Anführungszeichen, Bindestriche’ • intonatorisch – Pausen; • lexisch – mehr oder weniger von der Autorsprache abweichende Wortwahl: „Was machen Sie denn da? Das ist doch keine Arbeit für Sie.“ „“Du sagst Sie zu mir?“ Sie wandte sich mit einem Ruck um, ihr Mund zuckte. „Wenn Sie noch ein 14 einziges Mal sagen, Sie seien meine Mann, hören Sie, noch ein einziges Mal, wenn Sie sagen!“ Tränen des Zornes standen in ihren Augen. (L. Frank) In Form der direkten Rede kommen auch die unausgesprochenen Gedanken vor: Er dachte: In zwei Stunden bin ich da, in der Wohnküche, bei Anna… Durch die direkte Rede gewinnt die Erzählung an Lebendigkeit, Glaubwürdigkeit, Anschaulichkeit. 3.2. Die indirekte (abhängige) Rede - Form der mittelbaren Redewiedergabe, wenn der Inhalt fremder Rede berichtet wird (Publizistik, Wissenschaft): • 3. Person statt 1. Person, • oft in Form des Nebensatzes (er sagte, dass), • oft Konjunktiv statt Indikativ, •die individuelle Merkmale der Rede werden ausgelassen, Inhalt ist wichtiger, • emotionsarm, förmlich, sachlich, sparsam an sprachliche Mittel, objektiv, distanziert. Aufgaben der indirekten Rede in der schöngeistigen Literatur: • sie erfüllt die kompositorische Funktion der Abwechslung von der direkten Rede; • Berichten aufgrund ihrer abgeschwächten Aussagewirkung, Mittelbarkeit, enthält wichtige Erklärungen. • Charakterisierung der Figuren. • Einschätzung des Autors (durch Konjunktiv ausgedrückt), Einführung einer neuen Stimme. 3.3. Die erlebte Rede (verschleierte Rede, uneigentlich-direkte Rede, halbdirekte Rede, Imperfekt der Rede). Innerer Monolog, fiktiver Dialog (Traumdialog, Denkdialog) Die erlebte Rede ist eine Reflexionsdarstellung der Figuren, wenn sich die Perspektive des Autors und die der Figur vereinigen, so dass eine gemischte AutorPersonen-Perspektive entsteht. Hier berühren sich alle Elemente der Rededarstellung. Unklar werden die Grenzen zwischen Autor- und Figurensprache, zwischen direkter und indirekter Rede. Sie verfügt über die undeutlichsten Merkmale: • das Präteritum erhält die Bedeutung der Gegenwart auf die handelnden Personen bezogen, in dieser Bedeutung variiert es frei mit Präsens. 15 • Moduswechsel, • syntaktische Zeichen: Ausrufezeichen, Fragezeichen, Ellipsen, Satzabbruch. • Interjektionen, Partikeln, Dialektismen, Jargonismen, Professionalismen, Lieblingswörter. Innerer Monolog ist eine Abart der erlebten Rede. Er steht formal der direkten Rede nahe. Merkmale: • Ich-Form • manchmal zusammenhängend, abgerissen, fragmentarisch, entsprechend dem jeweiligen Prozess des Gedankenlaufs. Fiktiver Dialog ist der Form nach wie ein Selbstgespräch: die Figur spaltet sich in ein doppeltes Ichs, die miteinander streiten oder einander überreden. Funktion der erlebten Rede: • der Ausdruck innerer Konflikte, erregter Gedankenabläufe, feinster seelischer Nuancen. • die Distanzerhebung zwischen dem Autor (od. Erzähler) und der Figur auf. 4. Sprachporträt (Sprachcharakteristik) als Erscheinung der Individualisierung und Typisierung der Figurensprache Er findet seinen Ausdruck vorrangig in der Figurensprache und seine Stilerscheinung lässt sich an die Arten der Rededarstellung zu schließen. Literarisches Porträt erwächst aus dem Gesamtinhalt des Dichtwerkes aufgrund der äußeren und inneren Charakteristik der handelnden Personen durch den Autor, Handlungen und Äußerungen der handelnden Personen selbst, sogar durch ihre Namen. Sprachporträt (Sprachcharakteristik) – eine Teilcharakterisierung einer dargestellten Person durch ihre Art, sich sprachlich kundzutun, wobei Alter, Beruf, Bildung, Charakter, Humor, Lebensart, Lebenserfahrung, Milieu, Situation, soziales Herkommen, Stimmung, Willenskraft usw. Berücksichtigung finden. Es enthält: Figurensprache – direkte Rede erlebte Rede weniger deutliche indirekte Rede Autorsprache. 16 Da beim Sprechen alle Sprachebenen ineinander fließen, tritt das Sprachporträt in der Gesamtheit von lexikalisch-phraseologischen, grammatischen und phonetischen Besonderheiten zutage. Nichts verrät so unmittelbar das Wesen eines Menschen wie seine eigene Sprechart. Direkte Rede ist der Spiegel der Inneren einer Person. Die handelnden Personen gebrauchen ihre Lieblingswörter oder –ausdrücke, die sich oft zum Leitmotiv der genannten Person werden. 5. Die linguostilistische Textinterpretation 5.1. Textanalyse und Textinterpretation. Gegenstand der Textinterpretation Die Textinterpretation (weiter TI) ist die Erschließung des Textes unter dem inhaltlichen und formellen Aspekt. Die meisten Linguisten halten die Termini Textanalyse und Textinterpretation auseinander. Textanalyse fassen wir als Texterkennen und Textinterpretation als Textverstehen auf. Analyse bedeutet systematische Untersuchung eines Gegenstandes oder Sachverhaltes hinsichtlich aller einzelnen Komponenten oder Faktoren, die ihn bestimmen. Bei der TA gewinnen wir zunächst einen ersten Eindruck über inhaltliche, formale und nur teilweise stilistische Komponenten des Textes. Interpretation bedeutet Auslegung, Erklärung, Deutung. Bei der TI wird der Versuch unternommen, die Zusammenwirkung des Inhalts, der Form und ihrer kommunikativ-ästhetischen Funktion im Text zu bestimmen. Das bedeutet, welches Wort, in welchem Zusammenhang, mit welcher Absicht und Wirkung gebraucht wird. Dabei verflechten sich die lexikalische und die stilistische Ebene des Textes und bilden eine Einheit, die als solche auch interpretiert werden soll. Aus diesen Gründen halten wir uns an den Terminus linguostilistische Textinterpretation. Den Gegenstand der TI bildet die Erschließung des Textes unter dem inhaltlichformellen und linguistisch-stilistischen Aspekt. 5.2.Voraussetzungen und Aufgaben der Textinterpretation Die wichtigste Voraussetzung für die TI ist eine eingehende philologische Ausbildung des Interpreten. Er muss über gute Sprechfertigkeiten verfügen und sich theoretischer Basiskenntnisse in Literatur, Stilistik, Lexikologie, TI, Landeskunde usw. bedienen können. Die kommunikativ-ästhetische Wirkung des Textes ist ebenfalls von der Intelligenz, Ausbildung, Alter und Emotionalität sowie Erfahrung und anderen subjektiven Faktoren abhängig. Eines der wichtigsten Ziele der TI ist die Aneignung der theoretischen und praktischen Voraussetzungen zur Erschließung der Zusammenwirkung von linguistischen und stilistischen Elementen und ihrer kommunikativ-ästhetischen 17 Funktion in literarischen Texten. Die TI als theoretisches und stark praxisbezogenes Fach des DaF -Unterrichts verfolgt folgende Aufgaben: • Weitere Vertiefung und Erweiterung des Wortschatzes, Vervollkommnung der Sprech-und Schreibfertigkeiten der Lerner • Entwicklung des tieferen Verständnisses von sprachlichen Ausdrucksformen und ihrer Erklärung sowie von der Relation zwischen Sprache und Literatur • Der Student soll lernen, den Individualstil der einzelnen Autoren zu erkennen, zu vergleichen und zu erklären • Es soll die Fähigkeit des kritischen Herangehens an den Text allgemein und an den Text als Lehrmaterial entwickelt werden • Es soll die Grundlage für ästhetische literarische Kultur gelegt werden 5.3. Bestimmung des Textes In der sprachwissenschaftlichen Literatur gibt es bis jetzt keine einheitliche Meinung über die Definition des Textes. Der Text wird als eine sprachliche Einheit aufgefasst. Wie jede sprachliche Einheit hat der Text zwei Aspekte: Inhalt und Form. In der Linguistik wird als Text jede wohlgeformte relativ selbständige sprachliche Äußerung, die einen Sinn ergibt, bezeichnet. Da der Gegenstand der TI der literarische bzw. publizistische Text ist, so kommt zu den Komponenten Inhalt und Form noch eine dritte hinzu: der kommunikative Effekt bzw. die stilistische Wirkung des Textes. H.Glinz bezeichnet das als kommunikativ-funktionale Basis bzw. den kommunikativen Charakter des literarischen Textes. Dabei versteht er die Beziehung zwischen dem Hersteller und dem Benutzer. Mit dem literarischen Text setzt sich der Hersteller zum Ziel nicht nur die Vermittlung der Information, sondern auch die Befriedigung der ästhetischen und emotionalen Anforderungen des Benutzers. Vom Standpunkt der TI aus kann man den Text als jede wohlgeformte relativ selbständige sprachliche schriftliche und mündliche Äußerung, die einen Sinn ergibt und expressive und/oder emotionelle stilistische Wirkung ausübt, bezeichnen. 5.4. Zur Methodik der linguostilistischen Textinterpretation Textinterpretation eines Textes, sei es ein künstlerischer oder ein publizistischer Text, setzt sich zum Ziel das feste Eindringen in den Inhalt und in die Form des Textes und das Verständnis der einheitlichen Verbindung zwischen diesen beiden Aspekten im Text. Die Grundlage der Textinterpretation bildet eine eingehende philologische Ausbildung des Interpretenten. Wenn die beiden Aspekte des Textes, d. h. Inhalt und Form im Text gegeben sind, so ist die kommunikativ-ästhetische Wirkung geradem von der Intelligenz, Ausbildung, Alter, Emotionalität usw. des Interpretenten abhängig, d. h. sie ist teilweise ein subjektiver Faktor. Aus diesem 18 Grund halten einige Autoren eine linguostilistische Textanalyse nicht für möglich. (Spillner, B. 1984) Wir vertreten die Ansicht, dass eine solche Analyse realisierbar ist. Das hat sich als Ergebnis unserer jahrelangen praktischen Arbeit am Text bestätigt und durchgesetzt. Im Folgenden wird ein Analysemodell aufgeführt, das die Methodik des Arbeitsprozesses zur Erschließung der Inhalt-Form-Ganzheit des Textes darstellt. Dabei wird sowohl von extralinguistischen als auch von linguistischen Aspekten ausgegangen, ohne die das allseitige und einheitliche Erfassen des Textes kaum möglich ist. I. Extralinguistische Aspekte Um einen Text möglichst genau interpretieren zu können, sollen folgende extralinguistische Aspekte berücksichtigt werden: - Epoche, in der der Text entstanden ist, - literarische Strömung, zu der er gehört, - Genre, - Stil des Verfassers. Alle diese Aspekte bewirken in einem größeren oder geringeren Masse die Komposition, Architektonik und sprachliche Gestaltung des Textes. Das Hauptgewicht fallt jedoch auf linguistische Aspekte, zu denen wir bedingt auch die Komposition zahlen. II. Linguistische Aspekte 1. Komposition: - Sujetlinie. Ihre zeitgemäße Entwicklung (chronologische Darstellung, Einführung von verschiedenen Zeitebenen u. a.). - Motive, - Charakterzeichnung usw. 2. Architektonik. Gliederung des Textes in relativ geschlossene Teile: - Arten der Verbindung zwischen den einzelnen Teilen (kopulativ, adversativ, kausal-konsekutiv), - explizite oder implizite Verbindung zwischen den Verbindungsarten der Textteile, - Rolle der textgestaltenden stilistischen Mittel im Aufbau des Textes. 3. Darstellungsart: - Schildern der Dinge, Vorgange oder Zustande und der damit verbundene nominale oder verbale Stil, - Erzählen, die Wahl der Person (1. -3.), die dadurch erreichte Wirkung, - Berichten, die Art des Berichtes (informativ-impressiv), - Erörtern, - kombinierte Arten der Darstellung: Erzählung und Schilderung u. a. 19 4. Rededarstellung In einem größeren Text gibt es gewöhnlich verschiedene Arten der Rededarstellung: - Autorenrede, - Figurenrede, - erlebte Rede, Rededarstelungsarten sind aufs engste mit den anderen Komponenten des Textes wie: Stilfärbung, Expressivität und Emotionalität verbunden. 5. Stilfärbung: - literarische Norm, -Alltagsrede, -gesenkt, -gehoben u. a. Als Regel hat die Autorenrede literarisch genormte Stilfärbung, die Figurenrede kann dagegen sehr verschiedene Stilfärbung haben. Wenn eine Erzählung in der 1. Person geführt wird, der Autor sich einigermaßen mit dem Erzähler identifiziert, so kann die Autorenrede die Stilfärbung der Alltagsrede haben. Es soll auch gezeigt werden, wie die Stilfärbung auf der Ebene der Lexik, Syntax und der Morphologie zum Ausdruck kommt. 6. Expressivität Die Behandlung der Expressivität eines Textes stellt die wichtigste Analysephase der Textinterpretation dar. Es wird dabei der Versuch unternommen, die Funktionen und die stilistische Leistung der entsprechenden Stilmittel zu bestimmen bzw. die wichtigste Frage zu beantworten: welches Wort in welchem Zusammenhang mit welcher Absicht und Wirkung gebraucht wird. Expressivität bzw. Bildkraft verleihen dem Text: 6. 1. Wortwahl oder expressive Lexik: - thematische, synonymische Reihen, kontextuelle Synonyme u. a. - Archaismen, Fremdwörter, - Fachwortschatz, Gruppenspezifischer Wortschatz, - Wortbildungsmittel, - Wirkungsmöglichkeiten der Wortarten usw. 6. 2. Mittel des bildlichen Ausdrucks: Dazu rechnen wir sowohl lexikalisch-stilistische als auch syntaktisch-stilistische Mittel. Unter lexikalisch-stilistischen Mitteln sind in einem Text als die s. g. Verbildlichungsmittel am wichtigsten: - expressive Verben, - Epitheta, - Metaphorik und Metonymie, 20 - Vergleiche, - Periphrasen usw. Syntaktisch-stilistische Mittel treten im Text als Mittel der Hervorhebung auf. Dazu zählen wir vor allem folgende Mittel: - Aufzahlung, - Wiederholung, - Ellipse, -Ausklammerung, Nachtrag, - Apposition, - Lange und Kurze der Satze, - stilistisch markierte Wortfolge, - Ausrufesatze, - Fragesatze zur Feststellung einer Tatsache, - rhetorische Fragen, - Abbruch, - Wiederholung usw. Es ist bei der Erläuterung der Expressivität auch zu beachten, ob der ganze Text im gleichen Masse expressiv ist, wie ist die Wirkung der Stilmittel im Textzusammenhang und in verschiedenen Arten der Rededarstellung. Textgestaltend und expressiv kann auch die Wahl der Zeitformen wirken. Zu berücksichtigen sind auch Mittel des Humors und der Satire. 7. Emotionalität Zu den Mitteln der Emotionalität gehört emotional gefärbte Lexik: - Verba dicendi, - Abstrakte Substantive bzw. Zustandssubstantive, - Interjektionen, - Kosenamen, - Pejorativa, - Schimpfwörter u. a. Expressivität, Emotionalität und auch die Stilfärbung sind sehr eng mit der Art der Darstellung und Rededarstellung verbunden. So hat meistens die Schilderung literarisch genormte Stilfärbung und ist expressiv, wenn auch die stilistischen Mittel der Expressivität sehr verschiedene Stilfärbung haben können, je nach dem, wessen Porträt bzw. Sprachportrat gezeichnet wird. Expressivität und Emotionalität der Figurenrede können auch sehr verschieden sein, jedoch sind Figurenrede und erlebte Rede, besonders Autodialog emotionaler als die Autorenrede. 21 Bei der Interpretation der publizistischen Texte haben wir mit einer Art der Darstellung zu tun und zwar mit dem Berichten. Da aber Berichte (im weiten Sinne des Wortes) entweder rein informativ oder informativ-impressiv sein können, soll man immer die Art des Berichtes und die für ihn charakteristischen Merkmale im Auge behalten. Außer Komposition und Architektonik ist in manchen Arten der Berichte (Erlebnisbericht, Feuilleton) die Expressivität zu berücksichtigen. In Berichten haben wir als Regel mit zwei Schichten der Lexik zu tun: neutrale Lexik und terminologische Lexik, die mit dem Inhalt des Berichtes verbunden sind, d. h. politische Lexik, medizinische, philologische, ökonomische u. a. Terminologie. Bei dem Gebrauch der Terminologie soll die Möglichkeit der Synonymie berücksichtigt werden. Sowohl bei den künstlerischen als auch bei den publizistischen Schriften haben wir mit dem schriftlichen Sprachausdruck zu tun. In der Kunstprosa nähert sich die Figurenrede dem mündlichen Ausdruck, in der Publizistik ist es die Rede, die Charakteristiken des mündlichen Ausdrucks hat. Das betrifft in erster Linie die Syntax: Vermeiden der langen, mehrfach zusammengesetzten Satze, Ausklammerung, Kontaktstellung der beider Teile des Prädikats, Wiederholung usw. Der Unterschied zwischen dem schriftlichen und mündlichen Ausdruck soll bei der Textinterpretation nicht vergessen werden. Der häufigste Fehler, der bei der Textinterpretation vorkommt, ist die Isolierung der Aspekte des Textes: Inhalt und Form werden voneinander getrennt analysiert. Die Interpretation soll aber alle Aspekte als ein Ganzes zeigen: - w a s sagt der Autor (Inhalt), - w i e sagt der Autor (Form) und - w i e ist die Wirkung auf den Leser (kommunikativ-ästhetische Wirkung). 22 6. Literaturverzeichnis Admoni W.G.: Der deutsche Sprachbau. – Moskau/Leningrad, 1966. Duden Bd. 2. Stilwörterbuch der deutschen Sprache. – Mannheim-LeipzigWien-Zürich, 1988. Fleischer M., Michel G. Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. – Leipzig, 1977. Heusinger S. Pragmalinguistik. – Frankfurt am Main, 1995. Portjannikow W.A. Wörterbuch zur deutschen Stilistik. – Nishnij Nowgorod, 1996. Riesel E., Schendels E.: Deutsche Stilistik. – Moskau, 1975. Sowinski B., Deutsche Stilistik. – Berlin, 1992. Stilwörterbuch, 2 Bde. Hg. V. H. Becker. – Leipzig, 1970. Voicikaite H., Beniuliene A., Textinterpretation. Theorie, Texte und Aufgaben. – Vilnius, 1999. 23