BRUDER, MITVERSCHWÖRER, MÄRTYRER Klaus Bonhoeffers

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BRUDER, MITVERSCHWÖRER, MÄRTYRER
Klaus Bonhoeffers essenzieller Beitrag zur Konspiration
Dieser biographische Essay soll an den meist unterschätzten und in der Geschichte des
Widerstands oft übersehenen Bruder des viel bekannteren Dietrich Bonhoeffer erinnern und
daran, dass Klaus‘ Beitrag zur Konspiration gegen Hitler ebenso wichtig war, knüpfte er doch
viele neue Verbindungen zwischen einander eher fremden Akteuren und half so, den
Widerstand zu forcieren; und er musste dafür ebenso den Preis des eigenen Lebens
bezahlen, wie auch sein Schwager Rüdiger Schleicher. „Beider Rolle war in der bisherigen
Diskussion durch die Namen Dietrich Bonhoeffers und Hans von Dohnanyis
überschattet.“(Karl Dietrich Bracher)1
1. Charakteristik vor dem familiären Hintergrund
Klaus Bonhoeffer wurde am 5.1. 1901 in Breslau geboren. Er war der dritte Sohn unter acht
Kindern des Ehepaares Karl Bonhoeffer und Paula, geborene von Hase. Nachdem der Vater
1912 den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie an der Berliner Universität übernommen
hatte, zog die Familie in die Reichshauptstadt. Sie wohnten zunächst in der Stadtmitte, vier
Jahre später im Grunewald in der Wangenheimstraße. Die Familien Bonhoeffer, Delbrück,
von Dohnanyi und Leibholz lebten dort in naher Nachbarschaft, so wurde Klaus Bonhoeffer
auch zusammen mit Hans von Dohnanyi und Gerhard Leibholz 1917 konfirmiert. 1918
musste die Familie den Tod des zweiten Sohnes Walter verkraften, der im letzten Kriegsjahr
gefallen war. Klaus Bonhoeffer hatte sich kurz vor Ende des Krieges freiwillig an die Front
gemeldet. Dort erlebte er im deutschen Hauptquartier im belgischen Spa den Kaiser vor
dessen Flucht – auch Hindenburg, der sich apathisch zeigte, wie gelähmt – im Vorschein der
endgültigen Katastrophe2.
Klaus Bonhoeffer galt in der Familie als sehr intelligent, dabei sehr sensibel und vielseitig
begabt; er wurde wie alle Geschwister zu einem kritischen, nüchternen und selbstständigen
Denken erzogen. Er war immer hilfsbereit gegenüber Not Leidenden, auf dem Hintergrund
einer liberal gebildeten und sozialen Frömmigkeit. Nach Eberhard Bethges Beobachtung
herrschte „in dieser liberal-christlichen Familie der Bonhoeffers […] eine bemerkenswerte
Balance zwischen der inneren Unabhängigkeit des einzelnen und der zugewandten Fürsorge
für andere“3.
Der älteste Bruder Karl Friedrich schilderte nach dem 2.Weltkrieg zurückschauend Klaus‘
Besonderheit: „So gutherzig er war, so widerspenstig konnte er sein, wenn er falsch
angepackt wurde […] Unmöglich war es ihm, sich dem Willen eines subalternen Geistes zu
fügen […] Ich habe keinen Menschen kennen gelernt, der sich so wenig wie er den Blick für
1
Karl Dietrich Bracher: Geschichte als Erfahrung, Betrachtungen zum 20. Jahrhundert, DVA Stuttgart München
2001, S. 197.
2
Sabine Leibholz-Bonhoeffer: Vergangen erlebt überwunden, Gütersoher Verlagshaus 1990, S. 37.
3
Eberhard Bethge: Am gegebenen Ort, Aufsätze und Reden, Chr. Kaiser Verlag München 1979, S. 65.
1
menschliche Qualität durch Alter und Rang trüben ließ. Es war daher selbstverständlich, dass
er den aufziehenden Nationalsozialismus in seiner Niveaulosigkeit durchschaute und, als
dieser an der Macht war, von ihm nicht eingeschüchtert oder verblüfft wurde […] Er war ein
Mann von leidenschaftlichem Gerechtigkeitssinn.“4
Die Grundmotive seines Lebens wurden so das Recht und die Gerechtigkeit und der
Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Gewalt.
2. Studium und beruflicher und familiärer Werdegang 1920 bis 1937
Mit der Republik und der Demokratie konnten sich alle in der Familie befreunden, nach
Alfred Webers Vorbild, des großen Liberalen, der hohe Achtung bei Bonhoeffers genoss.
Auch die Professoren Delbrück und von Harnack in der Nachbarschaft hatten den
Nationalismus überwunden. Schon lange bildeten sie eine wichtige, politisch liberale
Denkschmiede.
Klaus Bonhoeffer wählte nach dem Abitur das Studium der Rechte, verbunden zunächst mit
der Nationalökonomie. Besonders interessierten ihn die menschlichen und sozialen
Funktionen des Rechts. So betonte Karl Friedrich das Interesse des Bruders an
soziologischen Werken 5, zu denen Max Webers Religionssoziologie zählte.
1920 begann er in Tübingen, wechselte im nächsten Jahr nach Heidelberg, um schließlich
nach Berlin zurückzukehren und im Dezember 1923 sein Referendarexamen am
Kammergericht abzulegen. Eine Laufbahn als Richter war ihm durch einen bürokratischen
Vorgesetzten verleidet6. Es folgte die Promotion in Heidelberg (1925) und verschiedene
Einsätze beim Reichsverband der Deutschen Industrie, bevor er 1928 das Assessor-Examen
ablegte. Beurlaubt studierte er beim Völkerbund in Genf sowie in England Völkerrecht und
volontierte bei einer Bank in Amsterdam. Und eine Zeitlang engagierte er sich in der Arbeit
für Strafgefangene, die Siegmund-Schultze in Berlin leitete7.
Im Studium und dann im Rahmen der Berufstätigkeit unternahm Klaus Bonhoeffer Reisen in
viele Länder, die seinen Kunstsinn verstärkten, seinen Horizont erweiterten und den
kritischen Blick auf die deutsche Politik schärften8, u.a. 1924 nach Italien und Libyen und
1928 nach Spanien und Marokko, jeweils mit seinem Bruder Dietrich, später u.a. nach
Finnland und Rumänien9.
1930 legte er eine Monografie „Die Meistbegünstigung im modernen Völkerrecht“ vor und
begann eine Rechtsanwaltspraxis in der Berliner Bendlerstraße. 1935 ging er zur Lufthansa
4
Sigrid Grabner und Hendrik Roeder (Hg.): Emmi Bonhoeffer, Essay Gespräch Erinnerung, Lukas Verlag Berlin
2004, S. 28ff.
5
AaO., S. 29.
6
Jürg Zutt u.a. (Hg.): Karl Bonhoeffer zum 100. Geburtstag, Springer Verlag Berlin 1969, S. 29.
7
Stefan Grotefeld: Friedrich Siegmund-Schultze, Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1995, S. 113.
8
Jürgen Moltmann: Klaus und Dietrich Bonhoeffer, in: Joachim Mehlhausen (Hg.): Zeugen des Widerstands,
Mohr Siebeck Verlag Tübingen 1998, S. 198.
9
Dorothee von Meding: Mit dem Mut des Herzens, Die Frauen des 20. Juli, Siedler Verlag Berlin 1997, S. 64.
2
AG und wurde zuerst Syndikus, zwei Jahre später Chefsyndikus und Leiter der
Rechtsabteilung10.
Der ganze Geschwisterkreis der Familie Bonhoeffer hatte im Grunewald einen großen
Freundeskreis von Gleichgesinnten, aus dem sogar einige Ehen hervorgingen.
So heiratete Klaus Bonhoeffer 1930 die Jugendfreundin Emmi Delbrück, Tochter des
Historikers Hans Delbrück und Schwester seines besten Freundes Justus, mit dem er
verbunden war, seit sie sich an den Gräbern ihrer Brüder auf dem Friedhof Halensee
getroffen hatten. In den dreißiger Jahren kamen die Kinder Thomas (1931), Cornelie (1934)
und Walter (1938) auf die Welt. Sie wohnten zunächst noch im Bonhoeffer’schen Elternhaus
in der Wangenheimstraße, zogen 1934 in die Bendlerstraße und fanden ab 1937 ihr Domizil
in der Alten Allee 11 der Siedlung Eichkamp.
Seine Frau hob im Rückblick hervor: „Er war schon ein sehr ernster Junge gewesen, aber
gleichzeitig ein Mann von unglaublichem Witz und Humor. Er trug beides in sich, die breite
Skala von Möglichkeiten war sein Reichtum“11.
Mit seinen Schwägern, den drei Juristen Hans von Dohnanyi (Ehe mit Christine), Rüdiger
Schleicher (Ehe mit Ursula) und Gerhard Leibholz (Ehe mit Sabine), hatte Klaus regen
fachlichen und politischen Austausch, zu dem später auch sein Bruder Dietrich hinzukam.
„Dietrichs Brüder und seine Freunde […] bringen eine wichtige Erkenntnis in die
Familiendiskussion ein: daß man die Verantwortung für die Entwicklung in Deutschland nicht
den antidemokratischen Kräften überlassen dürfe“ (Renate Wind)12, zumal zwei Schwäger
mit ihrer jüdischen bzw. als jüdisch verdächtigten Abstammung eine besondere Solidarität
wachriefen.
Übrigens sollte es sich gut fügen, dass die instrumental recht versierten Familienmitglieder
ihre häufigen kammermusikalischen Treffen auch zu geheimen Beratungen nutzen konnten
(Klaus spielte Cello, Emmi Bratsche, Rüdiger Violine, Dietrich Klavier, Cousin Ernst v. Harnack
Querflöte).
3. Urteile über Hitler und das Dritte Reich und Beginn der Konspiration
1938/39
Klaus Bonhoeffer, der der Deutschen Demokratischen Partei bzw. wie Justus Delbrück der
Deutschen Staatspartei13 nahegestanden hatte (dabei sozialdemokratischer Gesinnung war,
so Strohm14), schrieb 1930 seinem jüngeren Bruder: „man liebäugelt mit dem Faschismus.
10
Vgl. Joachim Rott: Klaus Bonhoeffer – Jurist im Widerstand, in: Neue Juristische Wochenschrift 2001, Heft 1,
S. 39.
11
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 82f.
12
Renate Wind: Dem Rad in die Speichen fallen, Beltz Verlag Weinheim und Basel 1990, S. 25.
13
Renate Bethge: Bonhoeffers Familie und ihre Bedeutung für seine Theologie, Schriftenreihe 20. Juli, Beiträge
zum Widerstand Nr. 30, Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin 2001, S. 2.
14
Christoph Strohm: Der Widerstandskreis um Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi, in: Jürgen
Schmädeke und Peter Steinbach (Hg.): Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Serie Piper 1986, S.
286.
3
Ich fürchte, wenn diese radikale Welle sich der Gebildeten bemächtigt, ist es um das Volk
der Dichter und Denker geschehen“15. Und nach der Machtübernahme waren sich alle einig:
„Hitler bedeutet Krieg“16. Emmi Bonhoeffer äußerte im Rückblick: „Mein Mann hielt die
Zerstörung der Rechtskultur für das größte Verbrechen Hitlers: […] infolgedessen war es
auch sein Hauptanliegen, für den zukünftigen Staat die Rechtssicherheit als eines der
Fundamente zu legen“17. „Die Verzweiflung Klaus Bonhoeffers darüber, dass weder die
Universitäten noch die Kirchen, weder die Großindustrie noch der Großgrundbesitz, noch
auch das Militär diese Katastrophe erkannten, sondern sich in den Sog der Zauberformel von
der ‚nationalen Revolution‘ ziehen ließen, zehrte an ihm und an seinen Freunden“18.
Klaus förderte nach Meinung seiner Frau Emmi Dietrichs politische Profilierung19. Die
Verwandlung des Rechtsstaats in einen Terrorstaat und die zunehmende Verfolgung der
Juden, der Opposition und aller Missliebigen riefen in der Großfamilie immer wieder
Empörung hervor. Verwandte mit jüdischer Abstammung wurden von Berufsverbot
betroffen und zur Emigration gezwungen (der Schwager Gerhard Leibholz, Jura-Professor in
Göttingen, der Jurist Hans Wedell in Düsseldorf, verheiratet mit der Cousine Gertrud, und
die Professorin für Staatswissenschaften an der Berliner Universität Lotte Leubuscher).
So gab Klaus Bonhoeffer, für den ein Eintritt in die NSDAP nie in Frage kam, seine
Rechtsanwaltspraxis auf20, als sein „nicht-arischer“ Sozius nicht mehr praktizieren durfte.
Sein Wechsel zur Lufthansa 1935 geschah nach Vermittlung von Rüdiger Schleicher.
Als im Januar 1936 die Großmutter Julie Bonhoeffer starb, brachte Enkel Dietrich in seiner
Ansprache zum Ausdruck, was wohl Klaus und die ganze Familie empfand: „Mit ihr versinkt
uns eine Welt, die wir alle irgendwie in uns tragen und in uns tragen wollen. Die
Unbeugsamkeit des Rechtes, das freie Wort des freien Mannes […], die Klarheit und
Nüchternheit der Rede, die Redlichkeit und Einfachheit im persönlichen und öffentlichen
Leben – daran hing ihr ganzes Herz […] Sie konnte es nicht ertragen, wo sie diese Ziele
mißachtet sah, wo sie das Recht eines Menschen vergewaltigt sah. Darum waren ihre letzten
Jahre getrübt durch das große Leid, das sie trug über das Schicksal der Juden in unserem
Volk.“21.
Hans von Dohnanyi hatte schon seit 1934 eine Datensammlung angelegt zu allen
Unrechtstaten der Führungsclique, die ihm im Justizministerium bekannt wurden. So reiften
bei den Eingeweihten allmählich Einsicht und Entschluss, dass es mit stillschweigender
Missbilligung nicht getan ist, und dass – weil es um die Rettung der Humanität geht –
Schritte zur Beseitigung der Führung unternommen werden müssen.
15
Eberhard Bethge: Dietrich Bonhoeffer, Theologe Christ Zeitgenosse, Chr. Kaiser Verlag München 1967, S.
206.
16
AaO., S. 305.
17
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 204.
18
AaO., S. 21f.
19
AaO., S. 105.
20
Bracher: Geschichte als Erfahrung, S. 196.
21
Christian Gremmels und Wolfgang Huber (Hg.): Dietrich Bonhoeffer Auswahl, Band 3 Gütersloh 2006, S. 80.
4
Bruder Karl Friedrich schrieb 1953 über Klaus: „Er konnte nicht tatenlos mit ansehen, wie
alles, was ihm das Leben lebenswert machte, Recht, Kultur und Ehre seines Volkes, von einer
minderwertigen Schicht von Emporkömmlingen geschändet wurde, und so beteiligte er sich
an den Vorbereitungen zum Sturz Hitlers“22.
Und der Neffe Klaus von Dohnanyi urteilte im Rückblick: „Es müssen sich wohl
kompromisslose Empfindsamkeit für Recht und Unrecht mit außerordentlichem Mut
verbinden, damit in der Diktatur die Kraft zum Widerstand entstehen kann“23.
Schon 1937 hatte Klaus Bonhoeffer Todesahnungen wegen der oppositionellen Haltung der
Brüder und Schwäger und sagte zu seiner Schwester Sabine: „Du wirst es sehen, wir
kommen noch alle aufs Schafott“24.
Klaus‘ Frau Emmi erinnerte sich an den 29. September 1938, als ihr Mann im Blick auf das
Münchener Abkommen zu ihr kam mit der Nachricht: Es gibt keinen Krieg – scheinbar um zu
beruhigen. Er sei aber ganz verzweifelt gewesen, „weil dem Widerstand nun aller Wind aus
den Segeln genommen war“.25 So wie die erzwungene Emigration von Sabine und Gerd
Leibholz nach England die ganze Familie verletzte, so bedeutete die Reichspogromnacht ein
Schlüsselerlebnis für die Entschlossenheit zum Widerstand26.
Nachdem sich 1938 zwischen der Affäre um Generaloberst von Fritsch und der Sudetenkrise
eine erste Zelle der Konspiration unter führenden Militärs durch Hans Osters Initiative (Amt
Abwehr) gebildet hatte, in der auch Hans von Dohnanyi mitarbeitete, nahm Klaus
Bonhoeffer aus eigenem Antrieb teil und begann Querverbindungen zu knüpfen; so ist es für
den Winter 1938/39 belegt:
● Der ehemalige sozialdemokratische Regierungspräsident Ernst von Harnack (Cousin
seiner Frau Emmi) war es, bei dem Klaus Bonhoeffer und sein Assistent Otto John sich mit
Julius Leber, dem führenden SPD-Politiker, trafen, ebenso mit Carl Goerdeler , dem
ehemaligen OB von Leipzig, schließlich mit den führenden Gewerkschaftern Wilhelm
Leuschner, Jakob Kaiser, Josef Wirmer und Hermann Maass27. Annedore Leber meinte
dazu: „Sie berieten die Möglichkeiten der Widerstandstätigkeit mit dem Ziel des Umsturzes
und glaubten, die Dinge durch Bildung einer ‚Einheitsfront‘, d.h. durch Zusammenfassung
aller zivilen und militärischen Oppositionsrichtungen, gleich welcher parteipolitischen
22
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 30.
und Annedore Leber: Das Gewissen steht auf, Verlagsgesellschaft Frankfurt/Main 1955, S. 131.
23
Winfried Meyer: Unternehmen Sieben, Verlag Anton Hain Frankfurt am Main 1993, S. XI.
24
Sabine Leibholz-Bonhoeffer: Vergangen erlebt überwunden, S. 40.
25
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 107.
26
Vgl. Marikje Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, Eine Ehe im Widerstand gegen Hitler,
Gütersloher Verlagshaus 2002, S. 214 im Blick auf Hans von Dohnanyi.
27
Gustav-Adolf von Harnack (Hg.): Ernst von Harnack, Jahre des Widerstands 1932-1945, Neske Verlag
Pfullingen 1989, S. 177f. Dorothea Beck: Julius Leber, Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand,
Goldmann Verlag 1994, S. 168. Hier wird noch Gustav Noske und Richard Künzer erwähnt.
5
Orientierung, wieder in Bewegung zu bringen.“28
4. Verbindungen in der Konspiration von Kriegsbeginn bis 1943
Eine der Zellen der Konspiration bildeten Klaus Bonhoeffer mit seinem Assistenten Otto John
bei der Lufthansa und Rüdiger Schleicher im Reichsluftfahrtministerium mit seinem
Assistenten Hans John (ab 1939 im Institut für Luftrecht der Universität), also zwei Schwäger
mit zwei Brüdern.
Die weitere Gruppe Dohnanyi-Bonhoeffer ergänzte sich fortlaufend mit den speziellen
Kompetenzen: Hans von Dohnanyi mit seinen Informationen vom Amt Ausland/Abwehr im
Oberkommando der Wehrmacht, Dietrich Bonhoeffer mit seiner theologischen
Verantwortung des Attentats (Freiheit zur stellvertretenden Tat mit Übernahme der Schuld
und Gottvertrauen29) und seinen Verbindungen in der Bekennenden Kirche und zu
ökumenischen Partnern, Klaus Bonhoeffer mit seinen Kontakten zum breiten Spektrum von
Sozialdemokratie, Gewerkschaft, liberalen bis Monarchie-nahen Politikern, Rüdiger
Schleicher mehr sekundierend und Kontaktraum bietend; dazu zählte stets Justus Delbrück,
Klaus‘ bester Freund und nun ständiger Mitarbeiter Hans von Dohnanyis30.
Das Verhältnis der beiden Brüder Bonhoeffer war objektiv eng, mit häufigen Treffen (z.B.
3.9.1939 Zusammensein der beiden Brüder im Eichkamp31), vermutlich aber nicht frei von
Spannung im Blick auf Dietrichs eher extravertierte Eloquenz und Klaus‘ mehr introvertierte
Kreativität.
Seine Frau sah seine Eigenart so: „Mein Mann […] strahlte viel Vertrauen aus, weil er sich
selbst im Hintergrund hielt und sich in andere hineindenken konnte. Er war eminent klug,
aber nicht penetrant intelligent, nicht von der Art, dass er immer Recht zu behalten
suchte.“32
Während sein Bruder Dietrich 1940 im Amt Ausland/Abwehr als V-Mann angestellt wurde,
lässt sich die gleiche Verpflichtung für Klaus trotz solcher Notizen33 einstweilen nicht
plausibel belegen; bei fortlaufender Anstellung als Chefsyndikus der Lufthansa wäre eine
28
Beck: Julius Leber, S. 168.
Vgl. Bethge: Am gegebenen Ort, S. 158 und Wolfgang Huber: Gerechtigkeit und Recht, Grundlinien
christlicher Rechtsethik, Gütersloher Verlag 2013, S. 490.
30
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 823 und Marikje Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, Eine Ehe im
Widerstand gegen Hitler, Gütersloher Verlagshaus 2002, S. 244.
31
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 745.
32
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 65f.
33
AaO., S. 136; Peter Steinbach und Johannes Tuchel (Hg.): Lexikon des Widerstandes 1933-1945, Verlag
C.H.Beck München 1994, S. 30; Joachim Scholtyseck: Das „Amt Ausland/Abwehr“ – eine Position der
unbegrenzten (Widerstands-) Möglichkeiten?, in: Stephen Schröder, Christoph Studt (Hg.): Der 20. Juli 1944 Profile, Motive, Desiderate, LIT Verlag Berlin 2008, S. 126; Monika Siedentopf: Unternehmen Seelöwe,
Widerstand im deutschen Geheimdienst, dtv München 2014, S. 105.
29
6
parallele Einberufung zur Abwehr unwahrscheinlich gewesen, wenn auch ein Zuarbeiten
stattgefunden hat34, möglicherweise im Sinne eines V-Mannes35 ohne Anstellung.
1939/1940
Der Überfall auf Polen am 1.9.1939 bedeutete gewiss für alle Mitglieder der Großfamilie
Bonhoeffer einen Schock, wobei Dietrich der Überzeugung war, „dass der Kriegsbeginn die
endgültige Katastrophe Hitlers einleiten würde“36. Der schnelle Erfolg im sog. Blitzkrieg
lähmte die Opposition vorübergehend, doch das Wissen darum, dass Hitler schon bald den
Westfeldzug betrieb, spornte sie von neuem an. „Der Wille zum Umsturz wurde ab
September 1939 […] von der Familie Bonhoeffer in allen Gliedern unter Einschluss der
Frauen einvernehmlich getragen“37.
● Klaus Bonhoeffer nahm nach dem Polenfeldzug gemeinsam mit Otto John und Hans von
Dohnanyi die Verbindungen zu Harnack, Leber, Kaiser, Habermann, Wirmer und Leuschner
wieder auf38.
● Ernst von Harnack und Otto John hatten im Oktober ein Memorandum an die Generalität
zu Händen des Heereschefs von Brauchitsch verfasst, als „ein Manifest der Einigung zu einer
Oppositionsfront gegen das Regime“39. Sehr wahrscheinlich ist dies nicht ohne Klaus
Bonhoeffers Mitdenken entstanden.
● Am 27.11.1939 fand eine Begegnung zwischen Generaloberst Ludwig Beck und Wilhelm
Leuschner statt, die Ernst von Harnack, Klaus Bonhoeffer und Otto John eingefädelt hatten40.
Leuschner erklärte sich dazu bereit, im Falle eines Militärputsches die Arbeiterschaft zum
Generalstreik aufzurufen41.
● Nahezu zufällig ergab sich eine Verbindung zu Prinz Louis Ferdinand von Preußen auf
einer Fährte, die weiterzuverfolgen Klaus Bonhoeffer Otto John bestärkt hatte42. Louis
Ferdinand von Preußen schrieb, er habe im November 1939 über Otto John auch Klaus
Bonhoeffer näher kennengelernt43, und zwar bei einem Spaziergang im Grunewald, dann
auch Dohnanyi, Dietrich Bonhoeffer, Justus Delbrück, Leuschner, Kaiser, Wirmer, Ernst von
Harnack. Weitere Treffen gab es bei Klaus Bonhoeffer oder Louis Ferdinand, immer
34
Siehe auch Sabine Leibholz-Bonhoeffer: Weihnachten im Hause Bonhoeffer, Gütersloher Verlagshaus 2005,
S. 75: „Klaus […] arbeitet […] in einer anderen Widerstandsgruppe.“
35
Vgl. Heinz Höhne: im SPIEGEL 23/1969 (2.6.).
36
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 746.
37
Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 332.
38
Peter Hoffmann: Widerstand, Staatsstreich, Attentat, Piper Verlag München 1970, S. 158.
39
Otto John: “Falsch und zu spät”, Der 20. Juli 1944, Herbig Verlag München Berlin 1984, S. 138.
40
Kyle Jantzen: Wilhelm Leuschner – Der Gewerkschaftsführer, in: Klemens von Klemperer u.a. (Hg.): Das
Attentat, Die Männer des 20. Juli 1944, tosa Verlag 2006, S. 159.
41
Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 233.
42
John: “Falsch und zu spät”, S. 118ff.
43
Uwe Gerrens: Rüdiger Schleicher, Leben zwischen Staatsdienst und Verschwörung, Gütersloher Verlag 2009
S. 156.
7
musikalisch getarnt44.
Emmi Bonhoeffer begründete diese Fährte später so: „Mein Mann und John ventilierten als
eine Möglichkeit, nach dem Zusammenbruch der Diktatur auf eine konstitutionelle
Monarchie zurückzugreifen – mit einem starken Parlament, um die Konservativen in den
neuen Staat einzubinden […] Nun hatten sie in Louis Ferdinand eine Persönlichkeit gefunden,
auf die sich auch die Sozialdemokraten verständigen konnten“45.
● Am 24. März (Ostersonntag!) begegneten sich Hans Oster und Dietrich Bonhoeffer
erstmals in der Marienburger Allee. Oster suchte Beratung wegen des geplanten Verrats des
Angriffstermins gegen die Niederlande46. Auch wenn Klaus nicht teilgenommen hat, dürfte
er seitdem der Konspirationsgruppe in der Abwehr noch näher gerückt sein.
So wie Klaus Bonhoeffer 1938 wegen der Folgen des Münchener „appeasement“ verzweifelt
war, so wird ihn die Begeisterung der Nation nach dem Blitzsieg über Frankreich deprimiert
haben. Aber nun galt es umso mehr, das Kontaktnetz des Widerstands auszuweiten.
● Die Brüder Bonhoeffer trafen sich oft mit Ernst Ludwig Heuss und mehrmals mit seinem
Vater Theodor Heuss: Wiederholt berichtete Heuss von Besuchen im Hause der Bonhoeffers,
auch über ein nächtliches „Zechen“ mit Klaus Bonhoeffer am 25.11.1938. Im Hause von
Heuss in der Kamillenstraße soll, so berichtet sein Sohn Ernst Ludwig, „der Kontakt zwischen
Klaus‘ Bruder Dietrich Bonhoeffer und Julius Leber […] zustande gekommen sein“47.
● Klaus hatte Verbindungen auch zu dem Unternehmer Walter Bauer, zu dem Juristen und
Industriellen Nikolaus Graf von Halem48, zu dem Rechtsanwalt Kurt Wergin49, der 1944
Dietrich verteidigte, zum preußischen Minister Johannes Popitz und zu Fritz-Dietlof Graf von
der Schulenburg (zeitweise Regierungspräsident in Breslau)50, ebenso zum DDP-Politiker
Wilhelm Külz51.
● Arvid Harnack (Kopf der „Roten Kapelle“), der in Klaus Bonhoeffers Haus Literarische
Abende abhielt, vermittelte Kontakte sogar zu kommunistischen Oppositionellen52.
Bonhoeffer hatte 1934 Arvid als Referendar in seiner Kanzlei beschäftigt53.
Im Winter 1940/41 unternahmen Klaus und Emmi Bonhoeffer eine Reise nach Italien, nach
der Emmi eine Typhusinfektion auskurieren musste54 - ein Hinweis darauf, dass die Agenda
nicht völlig von der Konspiration bestimmt war.
44
Louis Ferdinand Prinz von Preußen: Im Strom der Geschichte, Langen Müller Verlag München 1983. S. 295.
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 53.
46
Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 246.
47
Elke Seefried: Theodor Heuss. Briefe 1933-1945, K.G.Saur Verlag München 2009, S. 60.
48
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 702.
49
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 140.
50
Heinz-Adolf Jacobsen (Hg.): „Spiegelbild einer Verschwörung“, Die Kaltenbrunner-Berichte, Band 1, Seewald
Verlag Stuttgart 1984, S. 440.
51
Seefried: Theodor Heuss. Briefe, S. 58.
52
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 85.
53
Gerrens: Rüdiger Schleicher, S. 166.
45
8
1941
● Rüdiger Schleicher führte in seinem Institut der Luftfahrt Klaus Bonhoeffer,
Heeresrichter Karl Sack, Friedrich Justus Perels (Justitiar der Bekennenden Kirche) und Adam
von Trott zu Solz (vom Auswärtigen Amt) zusammen55. Nun war auch ein Kontakt zum
Kreisauer Kreis hergestellt. Mit Adam von Trott war Klaus Bonhoeffer freilich schon seit 1934
befreundet56.
● Klaus Bonhoeffer kam vereint mit Otto John auch jetzt immer wieder mit Joseph
Wirmer, Jakob Kaiser, Wilhelm Leuschner und Ernst von Harnack zusammen57, also dem
„linken Flügel“ der Konspiration58, ebenso mit Delbrück und Bethge59 und er besprach sich
wieder häufiger mit dem Bruder Dietrich60.
● Im Sommer 1941 machte Klaus Bonhoeffer eine Dienstreise für die Lufthansa nach
Madrid. Dabei hatte er einen Brief, vermutlich von Oster bzw. Dohnanyi verfasst, gerichtet
an die britische Regierung. Darin sollte signalisiert werden, dass nun auch Generäle zum
Widerstand bereit seien. Bonhoeffer übergab den Brief an einen vertrauenswürdigen
Zwischenträger, der ihn nach London weiterschleusen konnte, leider – wie bekannt – ohne
Erfolg61. Die Bereitschaft zum Widerstand kann sich auf Franz Halder bezogen haben62.
● Im November trafen sich Klaus Bonhoeffer, Otto John und Justus Delbrück bei Wirmer
mit Louis Lochner, einem amerikanischen Journalisten bei Associated Press, in der Absicht,
eine Verbindung zwischen Prinz Louis Ferdinand und Präsident Roosevelt herzustellen63.
● Seit 1941 begegnete Klaus Bonhoeffer auch Eugen Gerstenmaier64, der sowohl
Anschluss zum Kreisauer Kreis, wie auch eine Anstellung bei der Abwehr gefunden hatte.
1947 äußerte Gerstenmaier gegenüber Bischof Bell, er sei mit Klaus Bonhoeffer befreundet
54
Vgl. Brief Dietrich Bonhoeffers am 25.2.1941 in: Jörg Glenthöj und Ulrich Kabitz (Hg.): Dietrich Bonhoeffer
Werke Band 16, Chr. Kaiser Verlag München 1996, S. 158.
55
Eckart von Conze u.a. (Hg.): Das Amt und die Vergangenheit, Karl Blessing Verlag München 2010, S. 303, und
Gerrens: Rüdiger Schleicher, S. 158.
56
Vgl. auch Clarita von Trott zu Solz, Adam von Trott zu Solz, Eine Lebensbeschreibung, Band 2 Reihe B der
Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, S. 168.
57
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 841.
58
Vgl. Günter Weisenborn (Hg.): Der lautlose Aufstand, Rowohlt Verlag Hamburg, rororo 507-508 1962, S. 118.
59
20.1. Glenthöj (Hg.): Dietrich Bonhoeffer Werke Band 16, S. 123.
60
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 841.
61
Vgl. Christiane F. Koenigs: Unterstützung des deutschen Widerstands: Franz Koenigs und Hans Leibholz, in
der Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli Band 5, S. 138.
62
Vgl. Fabian von Schlabrendorff: Offiziere gegen Hitler, Fischer Bücherei Frankfurt u. Hamburg 1959, S. 55.
63
Klemens von Klemperer: Die verlassenen Verschwörer, Siedler Verlag Berlin 1994, S. 205.
64
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 890.
9
gewesen, der umgebracht worden sei, „weil er seinen Hals an die Wiederaufrichtung des
freiheitlichen Rechtsstaates in Deutschland gewagt habe“65.
Die Zuspitzung der Kriegslage, nachdem die Eroberung der Sowjetunion gescheitert war, und
die zunehmenden Informationen über die massenhaften Kriegsverbrechen ebenso wie über
die vielen Judenmorde machten für die Kreise um Dohnanyi und Moltke den Staatsstreich
nun umso dringlicher66. Am 18.10.1941 war der erste Deportationszug mit Berliner Juden
vom Bahnhof Grunewald abgefahren, also nahe bei den Bonhoeffer-Wohnungen.
Die Entlassung des Heeresoberbefehlshabers von Brauchitsch, zu dem über Beck und
Witzleben gute Kontakte bestanden, bedeutete freilich eine erhebliche Störung der
Umsturzvorbereitungen.
1942/1943
1942 publizierte Klaus Bonhoeffer in den „Weißen Blättern“ den Aufsatz „Über die
Grundformen des Rechts“. Darin trat er gegenüber den Rechtsansprüchen des
gegenwärtigen Staates für das gleiche Recht jedes Menschen ein67.
● Helmuth von Moltke notierte am 23.1.4268, drei Tage nach der Wannseekonferenz: „Um
7 war ich bereits im Venetia, […] mit einer etwas anderen Zusammensetzung: Guttenberg,
Delbrück, 2x Bonhoeffer (einer Syndikus der Lufthansa und einer Pastor der bekennenden
Kirche).“
Im April reisten zwar Dietrich Bonhoeffer und Moltke gemeinsam nach Skandinavien, aber
ihre Wege sollten danach auseinandergehen. Die Abwehr-Leute drängten auf Staatsstreich
mit Attentat, die Kreisauer entwarfen Pläne und Ordnungen für die weitere Zukunft und
lehnten Gewalt ab.
Irgendwann 1942 brachte Emmi Bonhoeffer ihren Mann in helle Aufregung, nachdem sie in
einem Laden den Holocaust an den Juden angeprangert hatte. „Eine Diktatur ist eine
Schlange“, sagte er danach zu ihr, „Du mußt den Kopf treffen […] Das kann nur das Militär.
Darum ist das einzige, was zu tun Sinn hat, das Militär zu überzeugen, daß sie handeln
müssen“69.
Die wichtige Rolle der Großfamilie ist auch für Klaus Bonhoeffer sehr hoch einzuschätzen. So
schrieb Hans von Dohnanyi den Verwandten nach London: „Der Zusammenhalt zwischen uns
Geschwistern und mit den Eltern ist so groß wie je; wir stehen füreinander ein und so
65
Eugen Gerstenmaier: Streit und Friede hat seine Zeit, Ein Lebensbericht, Propyläen Verlag 1981, S. 287.
Günter Brakelmann: Helmuth James von Moltke, C.H.Beck Verlag München 2007, S. 160 betr. 31.10.41.
67
Vgl. Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg: Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, Lukas
Verlag Berlin 2003, S. 238.
68
Beate Ruhm von Oppen (Hg.): Helmuth James von Moltke, Briefe an Freya 1939-1945, Verlag C.H.Beck
München 2007, S. 348.
69
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 23.
66
10
werden wir der vielen Schwierigkeiten, die diese turbulente Zeit mit sich bringt, schon Herr
werden.“70
● In diesem Sommer 1942 gab es einige Treffen der Bonhoeffer-Brüder mit Hans
Schönfeld, dem Verbindungsmann des Kirchlichen Außenamts in Genf und Direktor der
Studienabteilung für Praktisches Christentum des Ökumenischen Rates, mit Jaques
Courvoisier, Delbrück, Gebrüder John und Bethge71. Courvoisier war einer von Dietrichs
Bekannten aus der Ökumene, ein Genfer Theologieprofessor, der in der
Kriegsgefangenenfürsorge engagiert war.
● Otto John begleitete Goerdeler im Juli 1942 zu Louis Ferdinand72. Zweimal kam es im
November, bei Klaus und Dietrich Bonhoeffer, zum Zusammentreffen mit dem Prinzen;
dabei waren Schleicher, Goerdeler, Kaiser und Leuschner73. Übrigens kannte Klaus
Bonhoeffer auch Kurt Freiherr von Plettenberg, den Vermögensverwalter der
Hohenzollern74.
● Von der kirchlich-theologischen Zusammenarbeit Dietrich Bonhoeffers mit dem
Verwandten Peter Graf Yorck zu Wartenburg und anderen am 10. August 1942 und dann im
folgenden März dürfte Klaus gut informiert gewesen sein75.
Im Herbst 1942 kam die Gestapo einigen Mitgliedern der Verschwörung immer mehr auf die
Spur. Warnungen vor der Gestapo häuften sich76.
● Im Dezember fragte Falk Harnack Klaus Bonhoeffer zur Verteidigung seines Bruders
Arvid (am 22.12. hingerichtet) und seiner Schwägerin Mildred Harnack an, doch der
Angefragte lehnte ab wegen seiner wichtigen Rolle in der Staatsstreichvorbereitung77.
● Überraschenderweise wurde im Dezember Klaus Bonhoeffer von dem Rechtsanwalt
Ruge ins Vertrauen gezogen, der in der Schweiz die Verwendung der Gelder des
„Unternehmens Sieben“ (zur heimlichen Rettung von Juden) nachprüfen sollte; dies war
freilich im Auftrag eines Intriganten aus der Abwehr erfolgt. Nachdem Klaus Bonhoeffer
davon Oster und Dohnanyi berichtet hatte, konnte jener Gegenspieler entlassen werden78.
Zum Jahreswechsel 1942/43 schrieb Bruder Dietrich seine Bilanz „Nach zehn Jahren“: „Im
Dialog mit Bethge, beiden Dohnanyis, Rüdiger Schleicher und seinem Bruder Klaus
70
Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 320.
Wolf-Dieter Zimmermann (Hg.): Begegnungen mit Dietrich Bonhoeffer, Kaiser Verlag München 1965, S. 139.
72
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 868 und Louis Ferdinand: Im Strom der Geschichte, S. 298ff.
73
Sabine Dramm: V-Mann Gottes und der Abwehr? Dietrich Bonhoeffer und der Widerstand, Gütersloher
Verlag 2005, S. 204.
74
Vgl. im Internet www.preussen.de/de/heute/forum_preussen
75
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 796.
76
Vgl. Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 316ff.; Heinz Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf,
Die Geschichte der SS, Band II, Fischer Bücherei 1053, Frankfurt am Main 1969, S. 504; und Hedwig Maier: Die
SS und der 20. Juli, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 14/1966, S. 299ff.
77
Corina Petrescu: Against all odds, Bern 2010, S. 246.
78
Meyer: Unternehmen Sieben, S. 342.
71
11
verarbeitete Dietrich Bonhoeffer die gemeinsamen Erfahrungen und Erkenntnisse in der
Opposition gegen Hitlers Unrechtsregime“79 – z.B. die Notwendigkeit der Verstellung um der
Konspiration willen.
Der Grund, warum Klaus Bonhoeffer und die Abwehr-Leute bei dem wichtigen strategischen
Treffen der „alten“ und der „jungen“ Verschwörer im Haus von Peter Graf Yorck von
Wartenburg in der Hortensienstraße am 8.1. 1943 nicht einbezogen waren, ist vermutlich in
einer gewissen Spezialisierung zu sehen: Die einen verhandelten Grundsätzliches, die
anderen um Oster/ von Dohnanyi blieben beim operativen Geschäft.
Am 24.1. 1943 kam aus Casablanca die Nachricht, dass die Alliierten auf der bedingungslosen
Kapitulation des Deutschen Reiches bestehen. Damit war den Widerstandskämpfern jede
Spekulation auf einen erträglichen Friedensschluss nach dem Sturz Hitlers durchgestrichen,
aber ein Militärputsch zum Stopp von Kriegsopfern und Massenmorden erschien umso
dringlicher, zumal nach der Katastrophe von Stalingrad.
● Über Falk Harnack war für 25. Februar 1943 ein Treffen der Bonhoeffer-Brüder in Berlin
mit Hans Scholl vereinbart worden. Durch die Entdeckung der „Weißen Rose“ und die
Hinrichtung der Geschwister Scholl kam es aber nicht mehr dazu. Falk Harnack berichtete
nach dem Krieg, es sei ihre Absicht gewesen, eine breite antifaschistische Front aufzubauen
,,ausgehend vom linken (kommunistischen) Flügel über die liberale Gruppe bis zur
konservativen militärischen Opposition“80. Dafür erschienen ihnen die Bonhoeffer-Brüder
offenbar als geeignete Vermittler.
● Im März 1943 traf sich Prinz Louis Ferdinand noch einmal mit den Brüdern Bonhoeffer,
mit Jakob Kaiser, Joseph Wirmer und Ewald von Kleist-Schmenzin, dem konservativen
Todfeind Hitlers,81 in der Marienburger Allee. „Mit großem Nachdruck appellierten alle an
mein vaterländisches Pflichtgefühl: ich solle als rechtmäßiger Thronprätendent das Signal für
die jetzt noch unentschlossen zögernden Armeeführer und Generale geben. Ich erklärte
mich zu einem solchen Schritt bereit, falls die Situation ihn nötig mache, hielt es aber für
falsch, meinen Vater zu übergehen“82. Dieser riet ihm freilich dringend ab, zudem erschien
die Lage nach Misslingen der Attentatsversuche am 13. und 21.3. 1943 auch nicht mehr
geeignet.
● Auch noch im März kam Klaus Bonhoeffer bei Otto John mit Fabian von Schlabrendorff,
dem Adjutanten Henning von Tresckows, zusammen, im Beisein von Justus Delbrück und
Ludwig Gehre (beide bei der Abwehr)83. Wahrscheinlich ging es dabei u.a. um das geplante
Attentat an der Ostfront.
79
Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 325.
Heidi Beutin u.a. (Hg.): Widerstand – gestern und heute, Peter Lang Verlag Frankfurt 2009, S. 120.
81
Gerhard Ritter: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, DVA Stuttgart 1955, S. 292.
82
Louis Ferdinand: Im Strom der Geschichte,. S. 300.
83
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 877.
80
12
● Am 2. April 1943 besuchte ein Großcousin von Emmi Bonhoeffer, Friedrich Rudolf Hohl,
der oft Gast im Eichkamp war, zusammen mit Guttenberg und Justus Delbrück die Dohnanyis
in Sacrow und traf dort Klaus Bonhoeffer schon an84.
Zwischenbilanz:
Die essenzielle Bedeutung Klaus Bonhoeffers für die Konspiration bestand also in der
Kontaktarbeit, damit der Umsturz durch ein breites gesellschaftliches Bündnis von
militärischen und zivilen Gruppen, von Konservativen und Sozialdemokraten, von
Kirchenleuten und Gewerkschaftern, ja sogar einem preußischen Prinzen getragen und
abgesichert werden könnte. „Es ging um den Versuch, der zögernden Generalität das
erfolgreiche, politische Handeln zu ermöglichen“85. Außerdem scheint hier wieder das
Gerechtigkeitsmotiv durch: Die Gräben, die vor 1933 zwischen den Parteien bestanden,
sollten im Widerstand und für die Zukunft überbrückt werden.
Worum es in den Gesprächen ging, liegt auf der Hand: Austausch zur Lage, Berichte über
Verbündete und über Verfolgung durch die Gestapo, Fühler zum Ausland, Pläne zum
Umsturz und die Zeit danach.
Die Tatsache, dass alles unter strenger Geheimhaltung stattfinden musste, bedeutet
natürlich, dass im eigenen Nachlass fast nichts an Belegen für die konspirativen Treffen
überliefert ist. Seine eigene Frau wusste pauschal Bescheid, war aber in keine Détails
eingeweiht. Auch wenn sie Bedenken äußerte wie: „Ist es nicht wichtiger, Euer Leben zu
erhalten für Eure Kinder und das Danach?“86, kam sie doch schließlich zur Einsicht: Die, die
wussten und handeln konnten, mussten handeln aus innerer Notwendigkeit.
Man muss sich Klaus Bonhoeffers Leben in jener Zeit dreigeteilt vorstellen: Tagsüber im Büro
der Lufthansa, abends bis nachts bei konspirativen Besprechungen und, wann immer
möglich, in liebevoller Hinwendung zu seinen Kindern, ihnen vorlesend, mit ihnen singend
und sogar zur Musik von Schuberts Impromptus tanzend87. Die Nichte, Renate Bethge geb.
Schleicher, erinnerte sich: „Von Besprechungen dieser Männer – gelegentlich fanden sie
auch in seinem Haus statt – kam Klaus oft noch spät abends, manchmal voller Hoffnung,
manchmal niedergeschlagen, immer aber ganz erfüllt und erregt zu meinen Eltern oder
meinen Großeltern“88.
Das letzte gemeinsame Fest der Großfamilie war am 31. 3. 1943 der 75. Geburtstag des
Vaters, dem Klaus die Laudatio hielt, 10 Tage nachdem das Attentat auf Hitler im Berliner
Zeughaus gescheitert war, ebenso wie der Sprengstoffanschlag bei Hitlers Rückflug von
Smolensk (13.3.).
84
Clemens Luhmann (Hg.): Friedrich Rudolf Hohl, Poesie als Passion, Wilhelm Fink Verlag München 2012, S. X.
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 32.
86
AaO., S. 25.
87
Welt am Sonntag, 8.5.2005.
88
Renate Bethge: Bonhoeffers Familie, S. 7.
85
13
5. Im engeren Kreis der Konspiration – doch nicht im Zentrum
1943-44
Nach dem Misslingen der Attentatsversuche und nach der Verhaftung von Bruder Dietrich,
Schwester Christine (vorübergehend) und Schwager Hans von Dohnanyi am 5. April 1943 im
Zusammenhang mit dem Schlag der Gestapo gegen die Abwehr wegen angeblicher
Devisenvergehen, dann wegen Hoch- und Landesverrats „steigerten sich die Erregung und
die Aktivitäten von Klaus aufs äußerste. Die Hoffnung auf ein endliches Handeln der
Generäle war Lebensatem“ (so Emmi Bonhoeffer89). Klaus Bonhoeffer und Otto John
gehörten nunmehr zum engeren Kreis der Verschwörung, zusammen mit Joseph Wirmer und
Jakob Kaiser.
1943 wurde für den Widerstand überhaupt ein Jahr der Neuformierung: Die Gruppe in der
Abwehr war dezimiert90, Claus Schenk Graf von Stauffenberg kam infolge seiner
Kriegsverwundung nach Berlin zum Ersatzheer und übernahm das Heft des Handelns91. Otto
John war es, der Stauffenberg mit Informationen versorgte92 und mit einem Sonderauftrag
der Abwehr über Spanien eine Verbindung zu Eisenhower herstellen sollte93.
Außer den politischen Bestrebungen galt es für Klaus Bonhoeffer, zusammen mit Christine
für Hans von Dohnanyi ein Unterstützungsnetz mit den Freunden von der Abwehr zu
knüpfen. Hans‘ desolate Situation machte immer wieder gezielte Botschaften zur
Abstimmung der Verteidigungsstrategie nötig94, wobei Klaus sich im Hintergrund halten
musste.
Exemplarisch für die Geheimtreffen jener letzten gut 15 Monate im Widerstand ließen sich
folgende Belege finden:
● Am 12.4. versuchten Klaus und Karl Friedrich Bonhoeffer mit Delbrück und von
Guttenberg, wenn auch vergeblich, Carl Langbehn als Verteidiger zu gewinnen95.
● Eine Tagebuchnotiz des ehemaligen Botschafters Ulrich von Hassell vom 9.6.1943: „Vor
einigen Tagen aufschlussreicher Abend bei Wirmer mit Klaus Bonhoeffer und J. Kaiser.“96
● Einige Tage später, am 13. und 16. Juni, traf Klaus Bonhoeffer mit Justus Delbrück den
Freiherrn Karl Ludwig von und zu Guttenberg, der schon lange zum Verschwörerkreis in der
Abwehr gehörte, und Ulrich Wilhelm Graf zu Schwerin97.
89
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 32.
Vgl. Bracher: Geschichte als Erfahrung, S. 202.
91
Vgl. auch von Schlabrendorff: Offiziere gegen Hitler, S. 100.
92
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 907.
93
John: „Falsch und zu spät“, S.30.
94
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 907.
95
Bottlenberg-Landsberg: Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, S. 232.
96
Ulrich von Hassell: Die Hassell-Tagebücher 1938-1944, Aufzeichnungen Vom Andern Deutschland, Siedler
Verlag Berlin 1989, S. 366.
97
Bottlenberg-Landsberg: Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, S. 234.
90
14
● Im Hochsommer war Eberhard Bethge, nun im Dienst der Abwehr, von einer Reise in die
Schweiz zurück und besprach mit Klaus Abende lang die Abfassung des Berichts98.
● Am 2.9. verbrachte Klaus Bonhoeffer den Abend mit Guttenberg und Delbrück im „Haus
der Flieger“99.
● Ende 1943 gab es ein Gespräch Bonhoeffers mit den Brüdern John und Ludwig Gehre bei
Goerdeler, in dem es um die Umsturzplanung ging100.
● Und noch Ende 1943 fand ein erstes Gespräch Claus von Stauffenbergs mit Julius Leber
statt, durch Klaus Bonhoeffer101 bzw. durch Otto John102 bzw. durch Fritz von der
Schulenburg vermittelt103. Wahrscheinlich ist, dass alle drei am Zustandekommen teilhatten.
● Am 6.1.44 besuchte Guttenberg Klaus Bonhoeffer zuhause104, nachdem er (Guttenberg)
von Canaris zum Schutz vor Gestapo-Überwachung nach Agram entsandt worden war.
● Vermutlich im Frühjahr verbrachte Klaus Bonhoeffer einen Abend mit Delbrücks
Schwager Klaus von Wahl. Nach dessen späterem Bericht habe Klaus erklärt, man dürfe
Hass, Rassenwahn, Mordlust nicht nur hinnehmen, sondern müsse etwas dagegen tun105.
Nach Otto Johns Darstellung litt Klaus Bonhoeffer darunter, dass er wegen der Verhaftung
seines Bruders und Schwagers als Sicherheitsrisiko betrachtet und nicht mehr über alles
informiert wurde. So ließ ihn der dauernde psychische Druck unter der Angst, selbst
verhaftet zu werden, auch erschrocken reagieren, als Otto John am 16.5.44 von Spanien
kommend überraschend im Lufthansabüro auftauchte106. Belastet war Klaus Bonhoeffer
zusätzlich durch die Aufgabe, zusammen mit Hans John den flüchtigen Ludwig Gehre zu
versorgen107.
● Nun gingen die Planungen für den Tag X in die entscheidende Runde, zumal nach der
Invasion und der Großoffensive der Roten Armee. Für den Fall des geglückten Staatsstreichs
scheint Klaus Bonhoeffer zur Übernahme der Leitung der zivilen Luftfahrt bereit gewesen zu
sein, so im Gespräch mit Stauffenbergs Adjutanten Werner von Haeften am 17. Juli108.
Aber das Scheitern des 20. Juli-Attentats bedeutete das Ende aller Staatsstreichversuche.
Klaus Bonhoeffer war in die Bendlerstraße gekommen, ohne verhaftet zu werden. Nun galt
98
Eberhard Bethge: In Zitz gab es keine Juden, Chr. Kaiser Verlag München 1989, S. 233.
Bottlenberg-Landsberg: Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, S. 236.
100
Johannes Tuchel: „und ihrer aller wartete der Strick“, Das Zellengefängnis Lehrter Straße 3, Lukas Verlag
Berlin 2014, S. 314.
101
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 85.
102
Von Meding: Mit dem Mut des Herzens, S. 42.
103
Beck: Julius Leber, S. 183.
104
Ulrich Cartarius: Opposition gegen Hitler, Siedler Verlag Berlin 1994, S. 234.
105
Bottlenberg-Landsberg: Karl Ludwig Feiherr von und zu Guttenberg, S. 194.
106
John: „Falsch und zu spät“ S. 49 und S. 62.
107
AaO., S. 51.
108
Jacobsen: Im Spiegelbild der Verschwörung S. 441.
99
15
es nur noch, Spuren zu vernichten und abzuwarten. Den Gedanken an Flucht und Verstecken
verwarf er, um die Seinen nicht der Sippenhaft auszuliefern. Otto John, dem Partner in Beruf
und Konspiration, konnte er die Flucht nach Spanien ermöglichen109.
● In den Tagen darauf traf er mit dem Vertrauten Friedrich Justus Perels und mit dem
Rechtsanwalt Schulze zur Wiesche zusammen. Für den Fall der Verhaftung stimmten sie ihre
Aussagen aufeinander ab, um nicht gegeneinander ausgespielt zu werden110.
Auf Emmi Bonhoeffers Frage nach dem Sinn des erfolglosen Attentats sagte Justus Delbrück
im Beisein von Klaus: „Ich glaube, es war gut, dass es gemacht wurde, und vielleicht auch
gut, dass es missglückte.“ Emmi Bonhoeffer deutete das so: „Der Gedanke, das, wofür der
Name Auschwitz steht, kann – wenn überhaupt je – nur durch das Blut derer gesühnt
werden, die das nicht gewollt haben, war ihm nicht fremd. Sühne und Versöhnung gehören
zusammen“111.
6. Verhaftung, Martyrium, Ermordung 1944-1945
Auf seinem letzten Besuch in Holstein, wo seine Familie zur Sicherheit untergebracht war,
sprach Klaus davon, dass er bald wie in einen Löwenkäfig fallen werde112. Noch bewahrten
die vor ihm verhafteten Freunde Schweigen. Doch nur zu schnell folgte das Verhängnis: Der
Zossener Aktenfund am 22.9. im Oberkommando der Wehrmacht brachte der Gestapo neue
Kenntnisse, Spuren und Namen.
Als Bonhoeffer am 30. 9. nach dem Arbeitstag am Tempelhof vor seinem Haus ein GestapoAuto stehen sah, eilte er zu Schleichers in die Marienburger Allee. In einem dramatischen
inneren Ringen erwog er auch den Suizid, um unter der Folter niemanden zu verraten. Seine
Schwestern Ursula und Christine konnten ihn davon abbringen. Am nächsten Tag wurde er
dort verhaftet und in das Lehrter Zellengefängnis in der Mitte Berlins eingeliefert. Obwohl
blutig geschlagen, gab er keine Namen preis. Erst als man drohte, seine Frau in die Zange zu
nehmen, brach er zusammen und gab Auskünfte, ebenso wie der bald darauf verhaftete
Schwager Rüdiger Schleicher. Zum Kern der Konspiration ließen die Gefolterten die Ermittler
aber nicht vordringen113.
In den sog. Kaltenbrunner-Berichten, den Verhörprotokollen des SD (Sicherheitsdienst der
SS) vom 12.10., wurden die Kontakte aufgeführt, über die beide sprachen. Weil diese
Aussagen erpresst waren, soll hier kein Gebrauch davon gemacht werden. Klaus Bonhoeffers
Hauptaussage allerdings dürfte korrekt wiedergegeben sein und besticht durch Mut und
Prägnanz: „Ich lehne den nationalsozialistischen Staat ab, insbesondere mit Rücksicht auf
seine Politik in der Kirchen- sowie Judenfrage sowie wegen der fehlenden Garantien der
109
Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln, in: Wolfgang Schwiedrzik, Bilder deutscher
Widerstandskämpfer, Leipziger Universitätsverlag 1998, S. 154.
110
Matthias Schreiber: Friedrich Justus Perels, Chr. Kaiser Verlag München 1989, S. 196.
111
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 26.
112
AaO., S. 109.
113
Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 439.
16
Rechtssicherheit“114.
Von ihrem ersten Besuch notierte seine Frau: „Er wirkte stolz wie ein König, er machte
keinen gebrochenen Eindruck“115. Die Haftzeit verbrachten Klaus Bonhoeffer und sein
Schwager aber unter meist unmenschlichen Bedingungen. „Ich möchte diese Gesichter nie
mehr sehen […] dieses Maß von Verkommenheit […] Ich habe den Teufel gesehen“, notierte
Klaus auf einem Zettel116. Nur das ab Dezember genehmigte Geigenspiel Rüdiger Schleichers
hellte den tristen Alltag auf, „und zur Begeisterung aller Zuhörer pfiff Klaus dazu“, hielt der
mitgefangene Eberhard Bethge fest117.
In der Anklageschrift (20.12.) wurden Klaus Bonhoeffer und Rüdiger Schleicher beide als
Mittäter beim Umsturzversuch in den Jahren 1943/44 angeklagt. Am 2. Februar wurde das
Todesurteil gesprochen, ein Tag vor dem verheerenden Luftangriff auf Berlin, bei dem
Roland Freisler ums Leben kam. Eberhard Bethge berichtete später bewundernd von der
Haltung, in der Klaus ihn nach dem Urteil mit den Augen gegrüßt und sich aufgerichtet
hätte118.
In einem Brief an seine Tochter im März brachte er zum Ausdruck, wie ihm auch
Unscheinbares Kraft gab: „Ich freue mich jetzt hier sogar an dem Blick auf die
Gefängnismauer. Die oberen Backsteine glühen zart in der Morgensonne und abends sind sie
der Vordergrund einer fernen Welt. Ein Stern leuchtet freundlich darüber. Dann schwinden
alle düsteren Gedanken wie Nebel und in diesem Frieden pfeife ich vor mich hin in
glücklicher Erinnerung und Sehnsucht […]“119.
Zum Geburtstag des Vaters schreibt er am 31.3. im letzten Brief an seine Eltern: „Die
Gewißheit, daß Euch allen ein neues Leben wieder beginnt, ist so schön. Auch mein Schicksal
kann sich wohl noch plötzlich wenden. Ich bin aber darauf gefaßt, daß mein Leben bald
abläuft […] Aber ich will ja nicht nur leben, sondern mich eigentlich erst einmal auswirken.
Da dies nun wohl durch meinen Tod geschehen soll, habe ich mich auch mit ihm befreundet
[…] [Den Kindern] wünsche ich, dass sie einmal so dankbar auf ein schönes und reiches
Leben zurückschauen können, wie ich jetzt […]“120.
Am 1. April, dem Ostersonntag, widmete Klaus Bonhoeffer seinen Kindern einen
ergreifenden Abschiedsbrief. Für die Vertiefung seines Glaubens spricht der Briefschluss
ebenso wie sein Rühmen des Textes der Matthäuspassion, als sein älterer Bruder ihn
besuchte121, und das Betrachten von Dürers Passionsbildern, Tag für Tag122: „Dringt in die
Bibel ein und ergreift selbst von dieser Welt Besitz, in der nur gilt, was Ihr erfahren und Euch
114
Jacobsen: Spiegelbild einer Verschwörung, S. 443.
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 87.
116
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 1039.
117
Bethge: In Zitz gab es keine Juden, S. 166.
118
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 33.
119
Eberhard und Renate Bethge (Hg.): Letzte Briefe im Widerstand, Aus dem Kreis der Familie Bonhoeffer,
Kaiser Verlag München 1984, S. 50.
120
AaO., S. 51f.
121
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 30.
122
Helmut Gollwitzer u.a. (Hg.): Du hast mich heimgesucht bei Nacht, Chr. Kaiser Verlag München 1954, S. 107.
115
17
selbst in letzter Ehrlichkeit erworben habt. Dann wird Euer Leben gesegnet und glücklich sein
[…]“123. Ob er durch den Dialog mit Dietrich zu dieser Haltung inspiriert worden ist? Dafür
gibt es zwar keine Belege, aber der intensive Austausch bis 1943 könnte dazu geführt haben.
In einem Brief an Maria von Wedemeyer zählte Dietrich Klaus zu denen, die ihn wirklich
kennen124.
Dass am 9. April Dietrich in Flossenbürg und Hans von Dohnanyi in Sachsenhausen
hingerichtet wurden, davon drang keine Kunde weder zur Familie noch zu den Gefangenen.
Am 18. April konnte seine Frau ihn das letzte Mal besuchen. Emmi Bonhoeffer hatte zwar die
Akte mit dem Todesurteil auf dem Weg zum Justizminister mit Hilfe eines „anständigen
Ministerialrats“125 abfangen lassen und glaubte seitdem ihren Mann außer Gefahr, zumal ihr
Verwandter Lutz Heuss ihr gesagt hatte, er wolle ihren Mann herausholen126. Aber ein
neuerlicher Aktenfund in Zossen über die Konspiration hatte am 5. April den Befehl Hitlers
zur Hinrichtung der Gefangenen ausgelöst, dem der SS-Obergruppenführer Heinrich Müller
am 21. April mit dem konkreten Mordbefehl folgte127, und den der brutale Kriminalrat Kurt
Stawitzki mit einem SS-Trupp ausführte.
Demnach wurde Klaus Bonhoeffer zwei Wochen vor Kriegsende – die Rote Armee stand
schon in den Vororten und ihre Artillerie schoss ins Zentrum – zusammen mit einer Gruppe
Mitgefangener (darunter Rüdiger Schleicher und Friedrich Justus Perels) nachts aus dem
Gefängnis Lehrter Straße geführt und früh am 23. April – statt in die Freiheit entlassen zu
werden – auf einem nahen Trümmergrundstück an der Invalidenstraße durch Genickschuss
ermordet (In unmittelbarer Nähe befindet sich heute der Hauptbahnhof). Am nächsten Tag
zerstörten die Bomben eines Luftangriffs sein Haus. Die Todesnachricht erreichte seine Frau
erst Wochen später. Am 11. Juni hielt Eberhard Bethge, der überlebende Schwiegersohn von
Rüdiger Schleicher, eine Trauerfeier auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, wo sich das
Massengrab befand.
Und Ende Juli gedachte Bischof Bell im Londoner Trauergottesdienst beider Brüder
Bonhoeffer, als er erklärte: „In der edlen Gemeinschaft der Märtyrer verschiedener Tradition
verkörpert er beides: den Widerstand der gläubigen Seele im Namen Gottes gegen den
Angriff des Bösen; und ebenso die moralische und politische Erhebung des menschlichen
Gewissens gegen Ungerechtigkeit und Grausamkeit.“128.
Man kann dieses Familienschicksal mit vier Toten als absolute Katastrophe ansehen, und
doch schreibt Karl Bonhoeffer nach dem Krieg: „Da wir alle über die Notwendigkeit zu
handeln einig waren, […] sind wir wohl traurig, aber auch stolz auf ihre gradlinige
Haltung.“129
Vielleicht war es so, dass das Übermaß an Glück und innerem Reichtum, auch das große
123
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 38.
Ruth-Alice von Bismarck und Ulrich Kabitz: Brautbriefe Zelle 92, Verlag C.H.Beck München 1999, S. 153.
125
Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 109.
126
AaO., S. 13.
127
Bethge: In Zitz gab es keine Juden, S. 189.
128
Bethge: Dietrich Bonhoeffer, Beiheft S. 31 zu S. 1041.
129
AaO., S. 1044.
124
18
Engagement dieser Familie zwar jenes andere Übermaß an Leid und Verfolgung
hervorgerufen hat, aber es auch zu ertragen half.
7. Vermächtnis für die Familie – und die Nachwelt?
Tatsächlich war das Weiterleben der Familien nach dem Krieg unendlich erschwert, litten sie
doch unter dem Tod der Väter, meist unter materieller Not und – am schlimmsten – unter
der Ausgrenzung als „Verräterwitwen“ und „Verräterkinder“.
Dass trotz allem Emmi Bonhoeffer ihren Humor nicht verloren hatte, belegt ein Brief an
Reinhold Schneider aus dem Jahr 1947, geschrieben in der kleinen Wohnung im
Holsteinischen Gronenberg, in dem sie ihre Lebensweise so schilderte: „ohne Civilisation,
aber mit Kultur. Wir haben zu viert ein Zimmer (ich mit 3 Kindern), Strohsäcke, aber ein
Klavier, Pumpe im Hof, aber Dachgarten am Zimmer mit Blumen, Kohl im Topf, aber
Reinhold Schneider im Kopf, Möbel verloren, aber Geige gerettet, keinen Herd, keine Tassen,
sondern Konservenbüchsen, aber gute Bekanntschaft mit dem Buch Hiob etc., Flecken an
der Wand, aber darüber das Bild meines Mannes..“130.
Bundespräsident Theodor Heuss legte mit seiner Rede am 20. Juli 1954 bei der ersten
Gedenkfeier im Bendlerblock die Grundlage für die allmähliche Rehabilitierung der
Widerstandskämpfer. Er schloss mit den Worten: „Die Scham, in die Hitler uns Deutsche
gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder
weggewischt. Das Vermächtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung noch nicht
eingelöst“131.
Dass aber erst 1998 bzw. 2002 alle Unrechts-Urteile des Volksgerichtshofes aufgehoben
wurden, dass also bis dahin Klaus Bonhoeffer und die anderen Widerstandskämpfer als zu
Recht verurteilt galten, ja dass seit dem Straffreiheitsgesetz von 1954 auch die Mordtaten an
den Widerstandskämpfern vom 23.4.1945 amnestiert wurden, und dass gegen die SSSchergen der Terrorzentrale „Hauptsicherheitsamt“ kein einziges Verfahren eingeleitet
wurde – all das bedeutet eine mehrfache Schande für Parlament, Justiz und Gesellschaft in
Deutschland, dessen Grundgesetz verkündet hatte: „Die Würde des Menschen ist
unantastbar“. So weit kann also der Weg zwischen Anspruch und Einlösung sein!
Die nächste und übernächste Generation der Bonhoeffer-Großfamilie (18 Enkel, 36 Urenkel)
brachte es beruflich dennoch zu zahlreichen bedeutenden Positionen, in denen sich die reich
vererbte wissenschaftliche und musische Begabung entfalten konnte. Es lässt sich nur
erahnen, mit welcher Energie dies erreicht wurde, angesichts der erwähnten Belastungen.
Für die Witwe Emmi Bonhoeffer war es eine tröstliche Genugtuung, gebeten zu werden, am
20. Juli 1981 die Hauptrede bei der Gedenkfeier im Bendlerblock zu halten, als einzige der
Überlebenden der Bonhoeffer-Familie aus jener Generation132. Sie hatte ihre Trauer in
130
Babette Stadie, Peter Steinbach (Hg.): Die Macht der Wahrheit, Reinhold Schneiders „Gedenkwort zum 20.
Juli“ in Reaktionen von Hinterbliebenen des Widerstandes, Lukas Verlag Berlin 2008, S. 95.
131
Theodor Heuss: Die großen Reden, dtv 404 Deutscher Taschenbuch Verlag München 1967, S. 222.
132
Vgl. Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 21ff.
19
Einsatzfreude verwandelt, als sie dank der Care-Pakete aus den USA in Schleswig-Holstein
ein Flüchtlingshilfswerk aufbaute, als sie von Frankfurt aus einen Hilfsring für Menschen in
der DDR gründete, als sie Zeugen und Zeuginnen des Auschwitzprozesses Beistand leistete
und für Amnesty und gegen die Atomrüstung aktiv war. Sie starb 1991, 85 Jahre alt, in
Düsseldorf.
Einer der Enkel von Rüdiger Schleicher, Dr. Tobias Korenke, erklärte 2012 auf einer Tagung
der Bonhoeffer-Gesellschaft im Blick auf das Erbe der Widerstandskämpfer in unserer
Geschichte: „[…] einer Geschichte, die […] sich so schwer tut mit dem Respekt vor jenen, die
couragiert einen Geist vorleben, der das Recht des Menschen gegenüber der Diktatur betont
und zugleich den Einzelnen in der Verantwortung für die gesamte Nation sieht“133.
Auf der Gedenktafel für Klaus Bonhoeffer und die mit ihm Ermordeten auf dem
Dorotheenstädtischen Friedhof steht das Bibelwort aus Matthäus 5: „Selig sind, die um der
Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr.“
Jürgen Moltmann hat es so formuliert134: „Die Opfer des 20. Juli sind Märtyrer des Reiches
Gottes und seiner Gerechtigkeit.“
Dazu Eberhard Bethge: „Wenn die Männer und Frauen, an die wir heute135 denken, mit
ihrem schuldbeladenen Opfertod nicht ein Zeichen sind für einen Riß in der Kette der Schuld
und für die Welt der Auferstehung – wer ist es dann?“136
Und Gerhard Leibholz schrieb 1946 seiner Verwandten Margarethe von Hase: [Ich glaube,]
„dass einmal die deutsche Geschichte an das Martyrium dieser Männer anzuknüpfen haben
wird, und dass diese Tragödie ein neues Kapitel der deutschen Geschichte eröffnen wird“137.
Und das gilt ganz gewiss auch für Klaus Bonhoeffers essenziellen Beitrag zur Konspiration!
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Dietrich Zeilinger, Pfarrer i. R., zuletzt Landesbeauftragter für Ökumene Mittelbaden,
Mitglied der Forschungsgemeinschaft 20. Juli und der Internationalen BonhoefferGesellschaft
Rintheimer Str. 73, 76131 Karlsruhe, E-Mail: [email protected]
133
Tobias Korenke: In weiter Ferne so nah: Meine Großeltern Rüdiger und Ursula Schleicher geb. Bonhoeffer,
in: Internationale Bonhoeffer-Gesellschaft (Hg.): Bonhoeffer Rundbrief Nr. 102 August 2013, S. 28.
134
Moltmann: Klaus und Dietrich Bonhoeffer, S. 215.
135
20. 7. 1974.
136
Bethge: Am gegebenen Ort, S. 263.
137
Friedrich-Wilhelm von Hase (Hg.): Hitlers Rache, Hänssler Verlag Holzgerlingen 2014, S. 209.
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