BRUDER, MITVERSCHWÖRER, MÄRTYRER Klaus Bonhoeffers essenzieller Beitrag zur Konspiration Dieser biographische Essay soll an den meist unterschätzten und in der Geschichte des Widerstands oft übersehenen Bruder des viel bekannteren Dietrich Bonhoeffer erinnern und daran, dass Klaus‘ Beitrag zur Konspiration gegen Hitler ebenso wichtig war, knüpfte er doch viele neue Verbindungen zwischen einander eher fremden Akteuren und half so, den Widerstand zu forcieren; und er musste dafür ebenso den Preis des eigenen Lebens bezahlen, wie auch sein Schwager Rüdiger Schleicher. „Beider Rolle war in der bisherigen Diskussion durch die Namen Dietrich Bonhoeffers und Hans von Dohnanyis überschattet.“(Karl Dietrich Bracher)1 1. Charakteristik vor dem familiären Hintergrund Klaus Bonhoeffer wurde am 5.1. 1901 in Breslau geboren. Er war der dritte Sohn unter acht Kindern des Ehepaares Karl Bonhoeffer und Paula, geborene von Hase. Nachdem der Vater 1912 den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie an der Berliner Universität übernommen hatte, zog die Familie in die Reichshauptstadt. Sie wohnten zunächst in der Stadtmitte, vier Jahre später im Grunewald in der Wangenheimstraße. Die Familien Bonhoeffer, Delbrück, von Dohnanyi und Leibholz lebten dort in naher Nachbarschaft, so wurde Klaus Bonhoeffer auch zusammen mit Hans von Dohnanyi und Gerhard Leibholz 1917 konfirmiert. 1918 musste die Familie den Tod des zweiten Sohnes Walter verkraften, der im letzten Kriegsjahr gefallen war. Klaus Bonhoeffer hatte sich kurz vor Ende des Krieges freiwillig an die Front gemeldet. Dort erlebte er im deutschen Hauptquartier im belgischen Spa den Kaiser vor dessen Flucht – auch Hindenburg, der sich apathisch zeigte, wie gelähmt – im Vorschein der endgültigen Katastrophe2. Klaus Bonhoeffer galt in der Familie als sehr intelligent, dabei sehr sensibel und vielseitig begabt; er wurde wie alle Geschwister zu einem kritischen, nüchternen und selbstständigen Denken erzogen. Er war immer hilfsbereit gegenüber Not Leidenden, auf dem Hintergrund einer liberal gebildeten und sozialen Frömmigkeit. Nach Eberhard Bethges Beobachtung herrschte „in dieser liberal-christlichen Familie der Bonhoeffers […] eine bemerkenswerte Balance zwischen der inneren Unabhängigkeit des einzelnen und der zugewandten Fürsorge für andere“3. Der älteste Bruder Karl Friedrich schilderte nach dem 2.Weltkrieg zurückschauend Klaus‘ Besonderheit: „So gutherzig er war, so widerspenstig konnte er sein, wenn er falsch angepackt wurde […] Unmöglich war es ihm, sich dem Willen eines subalternen Geistes zu fügen […] Ich habe keinen Menschen kennen gelernt, der sich so wenig wie er den Blick für 1 Karl Dietrich Bracher: Geschichte als Erfahrung, Betrachtungen zum 20. Jahrhundert, DVA Stuttgart München 2001, S. 197. 2 Sabine Leibholz-Bonhoeffer: Vergangen erlebt überwunden, Gütersoher Verlagshaus 1990, S. 37. 3 Eberhard Bethge: Am gegebenen Ort, Aufsätze und Reden, Chr. Kaiser Verlag München 1979, S. 65. 1 menschliche Qualität durch Alter und Rang trüben ließ. Es war daher selbstverständlich, dass er den aufziehenden Nationalsozialismus in seiner Niveaulosigkeit durchschaute und, als dieser an der Macht war, von ihm nicht eingeschüchtert oder verblüfft wurde […] Er war ein Mann von leidenschaftlichem Gerechtigkeitssinn.“4 Die Grundmotive seines Lebens wurden so das Recht und die Gerechtigkeit und der Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Gewalt. 2. Studium und beruflicher und familiärer Werdegang 1920 bis 1937 Mit der Republik und der Demokratie konnten sich alle in der Familie befreunden, nach Alfred Webers Vorbild, des großen Liberalen, der hohe Achtung bei Bonhoeffers genoss. Auch die Professoren Delbrück und von Harnack in der Nachbarschaft hatten den Nationalismus überwunden. Schon lange bildeten sie eine wichtige, politisch liberale Denkschmiede. Klaus Bonhoeffer wählte nach dem Abitur das Studium der Rechte, verbunden zunächst mit der Nationalökonomie. Besonders interessierten ihn die menschlichen und sozialen Funktionen des Rechts. So betonte Karl Friedrich das Interesse des Bruders an soziologischen Werken 5, zu denen Max Webers Religionssoziologie zählte. 1920 begann er in Tübingen, wechselte im nächsten Jahr nach Heidelberg, um schließlich nach Berlin zurückzukehren und im Dezember 1923 sein Referendarexamen am Kammergericht abzulegen. Eine Laufbahn als Richter war ihm durch einen bürokratischen Vorgesetzten verleidet6. Es folgte die Promotion in Heidelberg (1925) und verschiedene Einsätze beim Reichsverband der Deutschen Industrie, bevor er 1928 das Assessor-Examen ablegte. Beurlaubt studierte er beim Völkerbund in Genf sowie in England Völkerrecht und volontierte bei einer Bank in Amsterdam. Und eine Zeitlang engagierte er sich in der Arbeit für Strafgefangene, die Siegmund-Schultze in Berlin leitete7. Im Studium und dann im Rahmen der Berufstätigkeit unternahm Klaus Bonhoeffer Reisen in viele Länder, die seinen Kunstsinn verstärkten, seinen Horizont erweiterten und den kritischen Blick auf die deutsche Politik schärften8, u.a. 1924 nach Italien und Libyen und 1928 nach Spanien und Marokko, jeweils mit seinem Bruder Dietrich, später u.a. nach Finnland und Rumänien9. 1930 legte er eine Monografie „Die Meistbegünstigung im modernen Völkerrecht“ vor und begann eine Rechtsanwaltspraxis in der Berliner Bendlerstraße. 1935 ging er zur Lufthansa 4 Sigrid Grabner und Hendrik Roeder (Hg.): Emmi Bonhoeffer, Essay Gespräch Erinnerung, Lukas Verlag Berlin 2004, S. 28ff. 5 AaO., S. 29. 6 Jürg Zutt u.a. (Hg.): Karl Bonhoeffer zum 100. Geburtstag, Springer Verlag Berlin 1969, S. 29. 7 Stefan Grotefeld: Friedrich Siegmund-Schultze, Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1995, S. 113. 8 Jürgen Moltmann: Klaus und Dietrich Bonhoeffer, in: Joachim Mehlhausen (Hg.): Zeugen des Widerstands, Mohr Siebeck Verlag Tübingen 1998, S. 198. 9 Dorothee von Meding: Mit dem Mut des Herzens, Die Frauen des 20. Juli, Siedler Verlag Berlin 1997, S. 64. 2 AG und wurde zuerst Syndikus, zwei Jahre später Chefsyndikus und Leiter der Rechtsabteilung10. Der ganze Geschwisterkreis der Familie Bonhoeffer hatte im Grunewald einen großen Freundeskreis von Gleichgesinnten, aus dem sogar einige Ehen hervorgingen. So heiratete Klaus Bonhoeffer 1930 die Jugendfreundin Emmi Delbrück, Tochter des Historikers Hans Delbrück und Schwester seines besten Freundes Justus, mit dem er verbunden war, seit sie sich an den Gräbern ihrer Brüder auf dem Friedhof Halensee getroffen hatten. In den dreißiger Jahren kamen die Kinder Thomas (1931), Cornelie (1934) und Walter (1938) auf die Welt. Sie wohnten zunächst noch im Bonhoeffer’schen Elternhaus in der Wangenheimstraße, zogen 1934 in die Bendlerstraße und fanden ab 1937 ihr Domizil in der Alten Allee 11 der Siedlung Eichkamp. Seine Frau hob im Rückblick hervor: „Er war schon ein sehr ernster Junge gewesen, aber gleichzeitig ein Mann von unglaublichem Witz und Humor. Er trug beides in sich, die breite Skala von Möglichkeiten war sein Reichtum“11. Mit seinen Schwägern, den drei Juristen Hans von Dohnanyi (Ehe mit Christine), Rüdiger Schleicher (Ehe mit Ursula) und Gerhard Leibholz (Ehe mit Sabine), hatte Klaus regen fachlichen und politischen Austausch, zu dem später auch sein Bruder Dietrich hinzukam. „Dietrichs Brüder und seine Freunde […] bringen eine wichtige Erkenntnis in die Familiendiskussion ein: daß man die Verantwortung für die Entwicklung in Deutschland nicht den antidemokratischen Kräften überlassen dürfe“ (Renate Wind)12, zumal zwei Schwäger mit ihrer jüdischen bzw. als jüdisch verdächtigten Abstammung eine besondere Solidarität wachriefen. Übrigens sollte es sich gut fügen, dass die instrumental recht versierten Familienmitglieder ihre häufigen kammermusikalischen Treffen auch zu geheimen Beratungen nutzen konnten (Klaus spielte Cello, Emmi Bratsche, Rüdiger Violine, Dietrich Klavier, Cousin Ernst v. Harnack Querflöte). 3. Urteile über Hitler und das Dritte Reich und Beginn der Konspiration 1938/39 Klaus Bonhoeffer, der der Deutschen Demokratischen Partei bzw. wie Justus Delbrück der Deutschen Staatspartei13 nahegestanden hatte (dabei sozialdemokratischer Gesinnung war, so Strohm14), schrieb 1930 seinem jüngeren Bruder: „man liebäugelt mit dem Faschismus. 10 Vgl. Joachim Rott: Klaus Bonhoeffer – Jurist im Widerstand, in: Neue Juristische Wochenschrift 2001, Heft 1, S. 39. 11 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 82f. 12 Renate Wind: Dem Rad in die Speichen fallen, Beltz Verlag Weinheim und Basel 1990, S. 25. 13 Renate Bethge: Bonhoeffers Familie und ihre Bedeutung für seine Theologie, Schriftenreihe 20. Juli, Beiträge zum Widerstand Nr. 30, Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin 2001, S. 2. 14 Christoph Strohm: Der Widerstandskreis um Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi, in: Jürgen Schmädeke und Peter Steinbach (Hg.): Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Serie Piper 1986, S. 286. 3 Ich fürchte, wenn diese radikale Welle sich der Gebildeten bemächtigt, ist es um das Volk der Dichter und Denker geschehen“15. Und nach der Machtübernahme waren sich alle einig: „Hitler bedeutet Krieg“16. Emmi Bonhoeffer äußerte im Rückblick: „Mein Mann hielt die Zerstörung der Rechtskultur für das größte Verbrechen Hitlers: […] infolgedessen war es auch sein Hauptanliegen, für den zukünftigen Staat die Rechtssicherheit als eines der Fundamente zu legen“17. „Die Verzweiflung Klaus Bonhoeffers darüber, dass weder die Universitäten noch die Kirchen, weder die Großindustrie noch der Großgrundbesitz, noch auch das Militär diese Katastrophe erkannten, sondern sich in den Sog der Zauberformel von der ‚nationalen Revolution‘ ziehen ließen, zehrte an ihm und an seinen Freunden“18. Klaus förderte nach Meinung seiner Frau Emmi Dietrichs politische Profilierung19. Die Verwandlung des Rechtsstaats in einen Terrorstaat und die zunehmende Verfolgung der Juden, der Opposition und aller Missliebigen riefen in der Großfamilie immer wieder Empörung hervor. Verwandte mit jüdischer Abstammung wurden von Berufsverbot betroffen und zur Emigration gezwungen (der Schwager Gerhard Leibholz, Jura-Professor in Göttingen, der Jurist Hans Wedell in Düsseldorf, verheiratet mit der Cousine Gertrud, und die Professorin für Staatswissenschaften an der Berliner Universität Lotte Leubuscher). So gab Klaus Bonhoeffer, für den ein Eintritt in die NSDAP nie in Frage kam, seine Rechtsanwaltspraxis auf20, als sein „nicht-arischer“ Sozius nicht mehr praktizieren durfte. Sein Wechsel zur Lufthansa 1935 geschah nach Vermittlung von Rüdiger Schleicher. Als im Januar 1936 die Großmutter Julie Bonhoeffer starb, brachte Enkel Dietrich in seiner Ansprache zum Ausdruck, was wohl Klaus und die ganze Familie empfand: „Mit ihr versinkt uns eine Welt, die wir alle irgendwie in uns tragen und in uns tragen wollen. Die Unbeugsamkeit des Rechtes, das freie Wort des freien Mannes […], die Klarheit und Nüchternheit der Rede, die Redlichkeit und Einfachheit im persönlichen und öffentlichen Leben – daran hing ihr ganzes Herz […] Sie konnte es nicht ertragen, wo sie diese Ziele mißachtet sah, wo sie das Recht eines Menschen vergewaltigt sah. Darum waren ihre letzten Jahre getrübt durch das große Leid, das sie trug über das Schicksal der Juden in unserem Volk.“21. Hans von Dohnanyi hatte schon seit 1934 eine Datensammlung angelegt zu allen Unrechtstaten der Führungsclique, die ihm im Justizministerium bekannt wurden. So reiften bei den Eingeweihten allmählich Einsicht und Entschluss, dass es mit stillschweigender Missbilligung nicht getan ist, und dass – weil es um die Rettung der Humanität geht – Schritte zur Beseitigung der Führung unternommen werden müssen. 15 Eberhard Bethge: Dietrich Bonhoeffer, Theologe Christ Zeitgenosse, Chr. Kaiser Verlag München 1967, S. 206. 16 AaO., S. 305. 17 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 204. 18 AaO., S. 21f. 19 AaO., S. 105. 20 Bracher: Geschichte als Erfahrung, S. 196. 21 Christian Gremmels und Wolfgang Huber (Hg.): Dietrich Bonhoeffer Auswahl, Band 3 Gütersloh 2006, S. 80. 4 Bruder Karl Friedrich schrieb 1953 über Klaus: „Er konnte nicht tatenlos mit ansehen, wie alles, was ihm das Leben lebenswert machte, Recht, Kultur und Ehre seines Volkes, von einer minderwertigen Schicht von Emporkömmlingen geschändet wurde, und so beteiligte er sich an den Vorbereitungen zum Sturz Hitlers“22. Und der Neffe Klaus von Dohnanyi urteilte im Rückblick: „Es müssen sich wohl kompromisslose Empfindsamkeit für Recht und Unrecht mit außerordentlichem Mut verbinden, damit in der Diktatur die Kraft zum Widerstand entstehen kann“23. Schon 1937 hatte Klaus Bonhoeffer Todesahnungen wegen der oppositionellen Haltung der Brüder und Schwäger und sagte zu seiner Schwester Sabine: „Du wirst es sehen, wir kommen noch alle aufs Schafott“24. Klaus‘ Frau Emmi erinnerte sich an den 29. September 1938, als ihr Mann im Blick auf das Münchener Abkommen zu ihr kam mit der Nachricht: Es gibt keinen Krieg – scheinbar um zu beruhigen. Er sei aber ganz verzweifelt gewesen, „weil dem Widerstand nun aller Wind aus den Segeln genommen war“.25 So wie die erzwungene Emigration von Sabine und Gerd Leibholz nach England die ganze Familie verletzte, so bedeutete die Reichspogromnacht ein Schlüsselerlebnis für die Entschlossenheit zum Widerstand26. Nachdem sich 1938 zwischen der Affäre um Generaloberst von Fritsch und der Sudetenkrise eine erste Zelle der Konspiration unter führenden Militärs durch Hans Osters Initiative (Amt Abwehr) gebildet hatte, in der auch Hans von Dohnanyi mitarbeitete, nahm Klaus Bonhoeffer aus eigenem Antrieb teil und begann Querverbindungen zu knüpfen; so ist es für den Winter 1938/39 belegt: ● Der ehemalige sozialdemokratische Regierungspräsident Ernst von Harnack (Cousin seiner Frau Emmi) war es, bei dem Klaus Bonhoeffer und sein Assistent Otto John sich mit Julius Leber, dem führenden SPD-Politiker, trafen, ebenso mit Carl Goerdeler , dem ehemaligen OB von Leipzig, schließlich mit den führenden Gewerkschaftern Wilhelm Leuschner, Jakob Kaiser, Josef Wirmer und Hermann Maass27. Annedore Leber meinte dazu: „Sie berieten die Möglichkeiten der Widerstandstätigkeit mit dem Ziel des Umsturzes und glaubten, die Dinge durch Bildung einer ‚Einheitsfront‘, d.h. durch Zusammenfassung aller zivilen und militärischen Oppositionsrichtungen, gleich welcher parteipolitischen 22 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 30. und Annedore Leber: Das Gewissen steht auf, Verlagsgesellschaft Frankfurt/Main 1955, S. 131. 23 Winfried Meyer: Unternehmen Sieben, Verlag Anton Hain Frankfurt am Main 1993, S. XI. 24 Sabine Leibholz-Bonhoeffer: Vergangen erlebt überwunden, S. 40. 25 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 107. 26 Vgl. Marikje Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, Eine Ehe im Widerstand gegen Hitler, Gütersloher Verlagshaus 2002, S. 214 im Blick auf Hans von Dohnanyi. 27 Gustav-Adolf von Harnack (Hg.): Ernst von Harnack, Jahre des Widerstands 1932-1945, Neske Verlag Pfullingen 1989, S. 177f. Dorothea Beck: Julius Leber, Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand, Goldmann Verlag 1994, S. 168. Hier wird noch Gustav Noske und Richard Künzer erwähnt. 5 Orientierung, wieder in Bewegung zu bringen.“28 4. Verbindungen in der Konspiration von Kriegsbeginn bis 1943 Eine der Zellen der Konspiration bildeten Klaus Bonhoeffer mit seinem Assistenten Otto John bei der Lufthansa und Rüdiger Schleicher im Reichsluftfahrtministerium mit seinem Assistenten Hans John (ab 1939 im Institut für Luftrecht der Universität), also zwei Schwäger mit zwei Brüdern. Die weitere Gruppe Dohnanyi-Bonhoeffer ergänzte sich fortlaufend mit den speziellen Kompetenzen: Hans von Dohnanyi mit seinen Informationen vom Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht, Dietrich Bonhoeffer mit seiner theologischen Verantwortung des Attentats (Freiheit zur stellvertretenden Tat mit Übernahme der Schuld und Gottvertrauen29) und seinen Verbindungen in der Bekennenden Kirche und zu ökumenischen Partnern, Klaus Bonhoeffer mit seinen Kontakten zum breiten Spektrum von Sozialdemokratie, Gewerkschaft, liberalen bis Monarchie-nahen Politikern, Rüdiger Schleicher mehr sekundierend und Kontaktraum bietend; dazu zählte stets Justus Delbrück, Klaus‘ bester Freund und nun ständiger Mitarbeiter Hans von Dohnanyis30. Das Verhältnis der beiden Brüder Bonhoeffer war objektiv eng, mit häufigen Treffen (z.B. 3.9.1939 Zusammensein der beiden Brüder im Eichkamp31), vermutlich aber nicht frei von Spannung im Blick auf Dietrichs eher extravertierte Eloquenz und Klaus‘ mehr introvertierte Kreativität. Seine Frau sah seine Eigenart so: „Mein Mann […] strahlte viel Vertrauen aus, weil er sich selbst im Hintergrund hielt und sich in andere hineindenken konnte. Er war eminent klug, aber nicht penetrant intelligent, nicht von der Art, dass er immer Recht zu behalten suchte.“32 Während sein Bruder Dietrich 1940 im Amt Ausland/Abwehr als V-Mann angestellt wurde, lässt sich die gleiche Verpflichtung für Klaus trotz solcher Notizen33 einstweilen nicht plausibel belegen; bei fortlaufender Anstellung als Chefsyndikus der Lufthansa wäre eine 28 Beck: Julius Leber, S. 168. Vgl. Bethge: Am gegebenen Ort, S. 158 und Wolfgang Huber: Gerechtigkeit und Recht, Grundlinien christlicher Rechtsethik, Gütersloher Verlag 2013, S. 490. 30 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 823 und Marikje Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, Eine Ehe im Widerstand gegen Hitler, Gütersloher Verlagshaus 2002, S. 244. 31 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 745. 32 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 65f. 33 AaO., S. 136; Peter Steinbach und Johannes Tuchel (Hg.): Lexikon des Widerstandes 1933-1945, Verlag C.H.Beck München 1994, S. 30; Joachim Scholtyseck: Das „Amt Ausland/Abwehr“ – eine Position der unbegrenzten (Widerstands-) Möglichkeiten?, in: Stephen Schröder, Christoph Studt (Hg.): Der 20. Juli 1944 Profile, Motive, Desiderate, LIT Verlag Berlin 2008, S. 126; Monika Siedentopf: Unternehmen Seelöwe, Widerstand im deutschen Geheimdienst, dtv München 2014, S. 105. 29 6 parallele Einberufung zur Abwehr unwahrscheinlich gewesen, wenn auch ein Zuarbeiten stattgefunden hat34, möglicherweise im Sinne eines V-Mannes35 ohne Anstellung. 1939/1940 Der Überfall auf Polen am 1.9.1939 bedeutete gewiss für alle Mitglieder der Großfamilie Bonhoeffer einen Schock, wobei Dietrich der Überzeugung war, „dass der Kriegsbeginn die endgültige Katastrophe Hitlers einleiten würde“36. Der schnelle Erfolg im sog. Blitzkrieg lähmte die Opposition vorübergehend, doch das Wissen darum, dass Hitler schon bald den Westfeldzug betrieb, spornte sie von neuem an. „Der Wille zum Umsturz wurde ab September 1939 […] von der Familie Bonhoeffer in allen Gliedern unter Einschluss der Frauen einvernehmlich getragen“37. ● Klaus Bonhoeffer nahm nach dem Polenfeldzug gemeinsam mit Otto John und Hans von Dohnanyi die Verbindungen zu Harnack, Leber, Kaiser, Habermann, Wirmer und Leuschner wieder auf38. ● Ernst von Harnack und Otto John hatten im Oktober ein Memorandum an die Generalität zu Händen des Heereschefs von Brauchitsch verfasst, als „ein Manifest der Einigung zu einer Oppositionsfront gegen das Regime“39. Sehr wahrscheinlich ist dies nicht ohne Klaus Bonhoeffers Mitdenken entstanden. ● Am 27.11.1939 fand eine Begegnung zwischen Generaloberst Ludwig Beck und Wilhelm Leuschner statt, die Ernst von Harnack, Klaus Bonhoeffer und Otto John eingefädelt hatten40. Leuschner erklärte sich dazu bereit, im Falle eines Militärputsches die Arbeiterschaft zum Generalstreik aufzurufen41. ● Nahezu zufällig ergab sich eine Verbindung zu Prinz Louis Ferdinand von Preußen auf einer Fährte, die weiterzuverfolgen Klaus Bonhoeffer Otto John bestärkt hatte42. Louis Ferdinand von Preußen schrieb, er habe im November 1939 über Otto John auch Klaus Bonhoeffer näher kennengelernt43, und zwar bei einem Spaziergang im Grunewald, dann auch Dohnanyi, Dietrich Bonhoeffer, Justus Delbrück, Leuschner, Kaiser, Wirmer, Ernst von Harnack. Weitere Treffen gab es bei Klaus Bonhoeffer oder Louis Ferdinand, immer 34 Siehe auch Sabine Leibholz-Bonhoeffer: Weihnachten im Hause Bonhoeffer, Gütersloher Verlagshaus 2005, S. 75: „Klaus […] arbeitet […] in einer anderen Widerstandsgruppe.“ 35 Vgl. Heinz Höhne: im SPIEGEL 23/1969 (2.6.). 36 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 746. 37 Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 332. 38 Peter Hoffmann: Widerstand, Staatsstreich, Attentat, Piper Verlag München 1970, S. 158. 39 Otto John: “Falsch und zu spät”, Der 20. Juli 1944, Herbig Verlag München Berlin 1984, S. 138. 40 Kyle Jantzen: Wilhelm Leuschner – Der Gewerkschaftsführer, in: Klemens von Klemperer u.a. (Hg.): Das Attentat, Die Männer des 20. Juli 1944, tosa Verlag 2006, S. 159. 41 Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 233. 42 John: “Falsch und zu spät”, S. 118ff. 43 Uwe Gerrens: Rüdiger Schleicher, Leben zwischen Staatsdienst und Verschwörung, Gütersloher Verlag 2009 S. 156. 7 musikalisch getarnt44. Emmi Bonhoeffer begründete diese Fährte später so: „Mein Mann und John ventilierten als eine Möglichkeit, nach dem Zusammenbruch der Diktatur auf eine konstitutionelle Monarchie zurückzugreifen – mit einem starken Parlament, um die Konservativen in den neuen Staat einzubinden […] Nun hatten sie in Louis Ferdinand eine Persönlichkeit gefunden, auf die sich auch die Sozialdemokraten verständigen konnten“45. ● Am 24. März (Ostersonntag!) begegneten sich Hans Oster und Dietrich Bonhoeffer erstmals in der Marienburger Allee. Oster suchte Beratung wegen des geplanten Verrats des Angriffstermins gegen die Niederlande46. Auch wenn Klaus nicht teilgenommen hat, dürfte er seitdem der Konspirationsgruppe in der Abwehr noch näher gerückt sein. So wie Klaus Bonhoeffer 1938 wegen der Folgen des Münchener „appeasement“ verzweifelt war, so wird ihn die Begeisterung der Nation nach dem Blitzsieg über Frankreich deprimiert haben. Aber nun galt es umso mehr, das Kontaktnetz des Widerstands auszuweiten. ● Die Brüder Bonhoeffer trafen sich oft mit Ernst Ludwig Heuss und mehrmals mit seinem Vater Theodor Heuss: Wiederholt berichtete Heuss von Besuchen im Hause der Bonhoeffers, auch über ein nächtliches „Zechen“ mit Klaus Bonhoeffer am 25.11.1938. Im Hause von Heuss in der Kamillenstraße soll, so berichtet sein Sohn Ernst Ludwig, „der Kontakt zwischen Klaus‘ Bruder Dietrich Bonhoeffer und Julius Leber […] zustande gekommen sein“47. ● Klaus hatte Verbindungen auch zu dem Unternehmer Walter Bauer, zu dem Juristen und Industriellen Nikolaus Graf von Halem48, zu dem Rechtsanwalt Kurt Wergin49, der 1944 Dietrich verteidigte, zum preußischen Minister Johannes Popitz und zu Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg (zeitweise Regierungspräsident in Breslau)50, ebenso zum DDP-Politiker Wilhelm Külz51. ● Arvid Harnack (Kopf der „Roten Kapelle“), der in Klaus Bonhoeffers Haus Literarische Abende abhielt, vermittelte Kontakte sogar zu kommunistischen Oppositionellen52. Bonhoeffer hatte 1934 Arvid als Referendar in seiner Kanzlei beschäftigt53. Im Winter 1940/41 unternahmen Klaus und Emmi Bonhoeffer eine Reise nach Italien, nach der Emmi eine Typhusinfektion auskurieren musste54 - ein Hinweis darauf, dass die Agenda nicht völlig von der Konspiration bestimmt war. 44 Louis Ferdinand Prinz von Preußen: Im Strom der Geschichte, Langen Müller Verlag München 1983. S. 295. Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 53. 46 Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 246. 47 Elke Seefried: Theodor Heuss. Briefe 1933-1945, K.G.Saur Verlag München 2009, S. 60. 48 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 702. 49 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 140. 50 Heinz-Adolf Jacobsen (Hg.): „Spiegelbild einer Verschwörung“, Die Kaltenbrunner-Berichte, Band 1, Seewald Verlag Stuttgart 1984, S. 440. 51 Seefried: Theodor Heuss. Briefe, S. 58. 52 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 85. 53 Gerrens: Rüdiger Schleicher, S. 166. 45 8 1941 ● Rüdiger Schleicher führte in seinem Institut der Luftfahrt Klaus Bonhoeffer, Heeresrichter Karl Sack, Friedrich Justus Perels (Justitiar der Bekennenden Kirche) und Adam von Trott zu Solz (vom Auswärtigen Amt) zusammen55. Nun war auch ein Kontakt zum Kreisauer Kreis hergestellt. Mit Adam von Trott war Klaus Bonhoeffer freilich schon seit 1934 befreundet56. ● Klaus Bonhoeffer kam vereint mit Otto John auch jetzt immer wieder mit Joseph Wirmer, Jakob Kaiser, Wilhelm Leuschner und Ernst von Harnack zusammen57, also dem „linken Flügel“ der Konspiration58, ebenso mit Delbrück und Bethge59 und er besprach sich wieder häufiger mit dem Bruder Dietrich60. ● Im Sommer 1941 machte Klaus Bonhoeffer eine Dienstreise für die Lufthansa nach Madrid. Dabei hatte er einen Brief, vermutlich von Oster bzw. Dohnanyi verfasst, gerichtet an die britische Regierung. Darin sollte signalisiert werden, dass nun auch Generäle zum Widerstand bereit seien. Bonhoeffer übergab den Brief an einen vertrauenswürdigen Zwischenträger, der ihn nach London weiterschleusen konnte, leider – wie bekannt – ohne Erfolg61. Die Bereitschaft zum Widerstand kann sich auf Franz Halder bezogen haben62. ● Im November trafen sich Klaus Bonhoeffer, Otto John und Justus Delbrück bei Wirmer mit Louis Lochner, einem amerikanischen Journalisten bei Associated Press, in der Absicht, eine Verbindung zwischen Prinz Louis Ferdinand und Präsident Roosevelt herzustellen63. ● Seit 1941 begegnete Klaus Bonhoeffer auch Eugen Gerstenmaier64, der sowohl Anschluss zum Kreisauer Kreis, wie auch eine Anstellung bei der Abwehr gefunden hatte. 1947 äußerte Gerstenmaier gegenüber Bischof Bell, er sei mit Klaus Bonhoeffer befreundet 54 Vgl. Brief Dietrich Bonhoeffers am 25.2.1941 in: Jörg Glenthöj und Ulrich Kabitz (Hg.): Dietrich Bonhoeffer Werke Band 16, Chr. Kaiser Verlag München 1996, S. 158. 55 Eckart von Conze u.a. (Hg.): Das Amt und die Vergangenheit, Karl Blessing Verlag München 2010, S. 303, und Gerrens: Rüdiger Schleicher, S. 158. 56 Vgl. auch Clarita von Trott zu Solz, Adam von Trott zu Solz, Eine Lebensbeschreibung, Band 2 Reihe B der Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, S. 168. 57 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 841. 58 Vgl. Günter Weisenborn (Hg.): Der lautlose Aufstand, Rowohlt Verlag Hamburg, rororo 507-508 1962, S. 118. 59 20.1. Glenthöj (Hg.): Dietrich Bonhoeffer Werke Band 16, S. 123. 60 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 841. 61 Vgl. Christiane F. Koenigs: Unterstützung des deutschen Widerstands: Franz Koenigs und Hans Leibholz, in der Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli Band 5, S. 138. 62 Vgl. Fabian von Schlabrendorff: Offiziere gegen Hitler, Fischer Bücherei Frankfurt u. Hamburg 1959, S. 55. 63 Klemens von Klemperer: Die verlassenen Verschwörer, Siedler Verlag Berlin 1994, S. 205. 64 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 890. 9 gewesen, der umgebracht worden sei, „weil er seinen Hals an die Wiederaufrichtung des freiheitlichen Rechtsstaates in Deutschland gewagt habe“65. Die Zuspitzung der Kriegslage, nachdem die Eroberung der Sowjetunion gescheitert war, und die zunehmenden Informationen über die massenhaften Kriegsverbrechen ebenso wie über die vielen Judenmorde machten für die Kreise um Dohnanyi und Moltke den Staatsstreich nun umso dringlicher66. Am 18.10.1941 war der erste Deportationszug mit Berliner Juden vom Bahnhof Grunewald abgefahren, also nahe bei den Bonhoeffer-Wohnungen. Die Entlassung des Heeresoberbefehlshabers von Brauchitsch, zu dem über Beck und Witzleben gute Kontakte bestanden, bedeutete freilich eine erhebliche Störung der Umsturzvorbereitungen. 1942/1943 1942 publizierte Klaus Bonhoeffer in den „Weißen Blättern“ den Aufsatz „Über die Grundformen des Rechts“. Darin trat er gegenüber den Rechtsansprüchen des gegenwärtigen Staates für das gleiche Recht jedes Menschen ein67. ● Helmuth von Moltke notierte am 23.1.4268, drei Tage nach der Wannseekonferenz: „Um 7 war ich bereits im Venetia, […] mit einer etwas anderen Zusammensetzung: Guttenberg, Delbrück, 2x Bonhoeffer (einer Syndikus der Lufthansa und einer Pastor der bekennenden Kirche).“ Im April reisten zwar Dietrich Bonhoeffer und Moltke gemeinsam nach Skandinavien, aber ihre Wege sollten danach auseinandergehen. Die Abwehr-Leute drängten auf Staatsstreich mit Attentat, die Kreisauer entwarfen Pläne und Ordnungen für die weitere Zukunft und lehnten Gewalt ab. Irgendwann 1942 brachte Emmi Bonhoeffer ihren Mann in helle Aufregung, nachdem sie in einem Laden den Holocaust an den Juden angeprangert hatte. „Eine Diktatur ist eine Schlange“, sagte er danach zu ihr, „Du mußt den Kopf treffen […] Das kann nur das Militär. Darum ist das einzige, was zu tun Sinn hat, das Militär zu überzeugen, daß sie handeln müssen“69. Die wichtige Rolle der Großfamilie ist auch für Klaus Bonhoeffer sehr hoch einzuschätzen. So schrieb Hans von Dohnanyi den Verwandten nach London: „Der Zusammenhalt zwischen uns Geschwistern und mit den Eltern ist so groß wie je; wir stehen füreinander ein und so 65 Eugen Gerstenmaier: Streit und Friede hat seine Zeit, Ein Lebensbericht, Propyläen Verlag 1981, S. 287. Günter Brakelmann: Helmuth James von Moltke, C.H.Beck Verlag München 2007, S. 160 betr. 31.10.41. 67 Vgl. Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg: Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, Lukas Verlag Berlin 2003, S. 238. 68 Beate Ruhm von Oppen (Hg.): Helmuth James von Moltke, Briefe an Freya 1939-1945, Verlag C.H.Beck München 2007, S. 348. 69 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 23. 66 10 werden wir der vielen Schwierigkeiten, die diese turbulente Zeit mit sich bringt, schon Herr werden.“70 ● In diesem Sommer 1942 gab es einige Treffen der Bonhoeffer-Brüder mit Hans Schönfeld, dem Verbindungsmann des Kirchlichen Außenamts in Genf und Direktor der Studienabteilung für Praktisches Christentum des Ökumenischen Rates, mit Jaques Courvoisier, Delbrück, Gebrüder John und Bethge71. Courvoisier war einer von Dietrichs Bekannten aus der Ökumene, ein Genfer Theologieprofessor, der in der Kriegsgefangenenfürsorge engagiert war. ● Otto John begleitete Goerdeler im Juli 1942 zu Louis Ferdinand72. Zweimal kam es im November, bei Klaus und Dietrich Bonhoeffer, zum Zusammentreffen mit dem Prinzen; dabei waren Schleicher, Goerdeler, Kaiser und Leuschner73. Übrigens kannte Klaus Bonhoeffer auch Kurt Freiherr von Plettenberg, den Vermögensverwalter der Hohenzollern74. ● Von der kirchlich-theologischen Zusammenarbeit Dietrich Bonhoeffers mit dem Verwandten Peter Graf Yorck zu Wartenburg und anderen am 10. August 1942 und dann im folgenden März dürfte Klaus gut informiert gewesen sein75. Im Herbst 1942 kam die Gestapo einigen Mitgliedern der Verschwörung immer mehr auf die Spur. Warnungen vor der Gestapo häuften sich76. ● Im Dezember fragte Falk Harnack Klaus Bonhoeffer zur Verteidigung seines Bruders Arvid (am 22.12. hingerichtet) und seiner Schwägerin Mildred Harnack an, doch der Angefragte lehnte ab wegen seiner wichtigen Rolle in der Staatsstreichvorbereitung77. ● Überraschenderweise wurde im Dezember Klaus Bonhoeffer von dem Rechtsanwalt Ruge ins Vertrauen gezogen, der in der Schweiz die Verwendung der Gelder des „Unternehmens Sieben“ (zur heimlichen Rettung von Juden) nachprüfen sollte; dies war freilich im Auftrag eines Intriganten aus der Abwehr erfolgt. Nachdem Klaus Bonhoeffer davon Oster und Dohnanyi berichtet hatte, konnte jener Gegenspieler entlassen werden78. Zum Jahreswechsel 1942/43 schrieb Bruder Dietrich seine Bilanz „Nach zehn Jahren“: „Im Dialog mit Bethge, beiden Dohnanyis, Rüdiger Schleicher und seinem Bruder Klaus 70 Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 320. Wolf-Dieter Zimmermann (Hg.): Begegnungen mit Dietrich Bonhoeffer, Kaiser Verlag München 1965, S. 139. 72 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 868 und Louis Ferdinand: Im Strom der Geschichte, S. 298ff. 73 Sabine Dramm: V-Mann Gottes und der Abwehr? Dietrich Bonhoeffer und der Widerstand, Gütersloher Verlag 2005, S. 204. 74 Vgl. im Internet www.preussen.de/de/heute/forum_preussen 75 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 796. 76 Vgl. Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 316ff.; Heinz Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf, Die Geschichte der SS, Band II, Fischer Bücherei 1053, Frankfurt am Main 1969, S. 504; und Hedwig Maier: Die SS und der 20. Juli, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 14/1966, S. 299ff. 77 Corina Petrescu: Against all odds, Bern 2010, S. 246. 78 Meyer: Unternehmen Sieben, S. 342. 71 11 verarbeitete Dietrich Bonhoeffer die gemeinsamen Erfahrungen und Erkenntnisse in der Opposition gegen Hitlers Unrechtsregime“79 – z.B. die Notwendigkeit der Verstellung um der Konspiration willen. Der Grund, warum Klaus Bonhoeffer und die Abwehr-Leute bei dem wichtigen strategischen Treffen der „alten“ und der „jungen“ Verschwörer im Haus von Peter Graf Yorck von Wartenburg in der Hortensienstraße am 8.1. 1943 nicht einbezogen waren, ist vermutlich in einer gewissen Spezialisierung zu sehen: Die einen verhandelten Grundsätzliches, die anderen um Oster/ von Dohnanyi blieben beim operativen Geschäft. Am 24.1. 1943 kam aus Casablanca die Nachricht, dass die Alliierten auf der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches bestehen. Damit war den Widerstandskämpfern jede Spekulation auf einen erträglichen Friedensschluss nach dem Sturz Hitlers durchgestrichen, aber ein Militärputsch zum Stopp von Kriegsopfern und Massenmorden erschien umso dringlicher, zumal nach der Katastrophe von Stalingrad. ● Über Falk Harnack war für 25. Februar 1943 ein Treffen der Bonhoeffer-Brüder in Berlin mit Hans Scholl vereinbart worden. Durch die Entdeckung der „Weißen Rose“ und die Hinrichtung der Geschwister Scholl kam es aber nicht mehr dazu. Falk Harnack berichtete nach dem Krieg, es sei ihre Absicht gewesen, eine breite antifaschistische Front aufzubauen ,,ausgehend vom linken (kommunistischen) Flügel über die liberale Gruppe bis zur konservativen militärischen Opposition“80. Dafür erschienen ihnen die Bonhoeffer-Brüder offenbar als geeignete Vermittler. ● Im März 1943 traf sich Prinz Louis Ferdinand noch einmal mit den Brüdern Bonhoeffer, mit Jakob Kaiser, Joseph Wirmer und Ewald von Kleist-Schmenzin, dem konservativen Todfeind Hitlers,81 in der Marienburger Allee. „Mit großem Nachdruck appellierten alle an mein vaterländisches Pflichtgefühl: ich solle als rechtmäßiger Thronprätendent das Signal für die jetzt noch unentschlossen zögernden Armeeführer und Generale geben. Ich erklärte mich zu einem solchen Schritt bereit, falls die Situation ihn nötig mache, hielt es aber für falsch, meinen Vater zu übergehen“82. Dieser riet ihm freilich dringend ab, zudem erschien die Lage nach Misslingen der Attentatsversuche am 13. und 21.3. 1943 auch nicht mehr geeignet. ● Auch noch im März kam Klaus Bonhoeffer bei Otto John mit Fabian von Schlabrendorff, dem Adjutanten Henning von Tresckows, zusammen, im Beisein von Justus Delbrück und Ludwig Gehre (beide bei der Abwehr)83. Wahrscheinlich ging es dabei u.a. um das geplante Attentat an der Ostfront. 79 Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 325. Heidi Beutin u.a. (Hg.): Widerstand – gestern und heute, Peter Lang Verlag Frankfurt 2009, S. 120. 81 Gerhard Ritter: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, DVA Stuttgart 1955, S. 292. 82 Louis Ferdinand: Im Strom der Geschichte,. S. 300. 83 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 877. 80 12 ● Am 2. April 1943 besuchte ein Großcousin von Emmi Bonhoeffer, Friedrich Rudolf Hohl, der oft Gast im Eichkamp war, zusammen mit Guttenberg und Justus Delbrück die Dohnanyis in Sacrow und traf dort Klaus Bonhoeffer schon an84. Zwischenbilanz: Die essenzielle Bedeutung Klaus Bonhoeffers für die Konspiration bestand also in der Kontaktarbeit, damit der Umsturz durch ein breites gesellschaftliches Bündnis von militärischen und zivilen Gruppen, von Konservativen und Sozialdemokraten, von Kirchenleuten und Gewerkschaftern, ja sogar einem preußischen Prinzen getragen und abgesichert werden könnte. „Es ging um den Versuch, der zögernden Generalität das erfolgreiche, politische Handeln zu ermöglichen“85. Außerdem scheint hier wieder das Gerechtigkeitsmotiv durch: Die Gräben, die vor 1933 zwischen den Parteien bestanden, sollten im Widerstand und für die Zukunft überbrückt werden. Worum es in den Gesprächen ging, liegt auf der Hand: Austausch zur Lage, Berichte über Verbündete und über Verfolgung durch die Gestapo, Fühler zum Ausland, Pläne zum Umsturz und die Zeit danach. Die Tatsache, dass alles unter strenger Geheimhaltung stattfinden musste, bedeutet natürlich, dass im eigenen Nachlass fast nichts an Belegen für die konspirativen Treffen überliefert ist. Seine eigene Frau wusste pauschal Bescheid, war aber in keine Détails eingeweiht. Auch wenn sie Bedenken äußerte wie: „Ist es nicht wichtiger, Euer Leben zu erhalten für Eure Kinder und das Danach?“86, kam sie doch schließlich zur Einsicht: Die, die wussten und handeln konnten, mussten handeln aus innerer Notwendigkeit. Man muss sich Klaus Bonhoeffers Leben in jener Zeit dreigeteilt vorstellen: Tagsüber im Büro der Lufthansa, abends bis nachts bei konspirativen Besprechungen und, wann immer möglich, in liebevoller Hinwendung zu seinen Kindern, ihnen vorlesend, mit ihnen singend und sogar zur Musik von Schuberts Impromptus tanzend87. Die Nichte, Renate Bethge geb. Schleicher, erinnerte sich: „Von Besprechungen dieser Männer – gelegentlich fanden sie auch in seinem Haus statt – kam Klaus oft noch spät abends, manchmal voller Hoffnung, manchmal niedergeschlagen, immer aber ganz erfüllt und erregt zu meinen Eltern oder meinen Großeltern“88. Das letzte gemeinsame Fest der Großfamilie war am 31. 3. 1943 der 75. Geburtstag des Vaters, dem Klaus die Laudatio hielt, 10 Tage nachdem das Attentat auf Hitler im Berliner Zeughaus gescheitert war, ebenso wie der Sprengstoffanschlag bei Hitlers Rückflug von Smolensk (13.3.). 84 Clemens Luhmann (Hg.): Friedrich Rudolf Hohl, Poesie als Passion, Wilhelm Fink Verlag München 2012, S. X. Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 32. 86 AaO., S. 25. 87 Welt am Sonntag, 8.5.2005. 88 Renate Bethge: Bonhoeffers Familie, S. 7. 85 13 5. Im engeren Kreis der Konspiration – doch nicht im Zentrum 1943-44 Nach dem Misslingen der Attentatsversuche und nach der Verhaftung von Bruder Dietrich, Schwester Christine (vorübergehend) und Schwager Hans von Dohnanyi am 5. April 1943 im Zusammenhang mit dem Schlag der Gestapo gegen die Abwehr wegen angeblicher Devisenvergehen, dann wegen Hoch- und Landesverrats „steigerten sich die Erregung und die Aktivitäten von Klaus aufs äußerste. Die Hoffnung auf ein endliches Handeln der Generäle war Lebensatem“ (so Emmi Bonhoeffer89). Klaus Bonhoeffer und Otto John gehörten nunmehr zum engeren Kreis der Verschwörung, zusammen mit Joseph Wirmer und Jakob Kaiser. 1943 wurde für den Widerstand überhaupt ein Jahr der Neuformierung: Die Gruppe in der Abwehr war dezimiert90, Claus Schenk Graf von Stauffenberg kam infolge seiner Kriegsverwundung nach Berlin zum Ersatzheer und übernahm das Heft des Handelns91. Otto John war es, der Stauffenberg mit Informationen versorgte92 und mit einem Sonderauftrag der Abwehr über Spanien eine Verbindung zu Eisenhower herstellen sollte93. Außer den politischen Bestrebungen galt es für Klaus Bonhoeffer, zusammen mit Christine für Hans von Dohnanyi ein Unterstützungsnetz mit den Freunden von der Abwehr zu knüpfen. Hans‘ desolate Situation machte immer wieder gezielte Botschaften zur Abstimmung der Verteidigungsstrategie nötig94, wobei Klaus sich im Hintergrund halten musste. Exemplarisch für die Geheimtreffen jener letzten gut 15 Monate im Widerstand ließen sich folgende Belege finden: ● Am 12.4. versuchten Klaus und Karl Friedrich Bonhoeffer mit Delbrück und von Guttenberg, wenn auch vergeblich, Carl Langbehn als Verteidiger zu gewinnen95. ● Eine Tagebuchnotiz des ehemaligen Botschafters Ulrich von Hassell vom 9.6.1943: „Vor einigen Tagen aufschlussreicher Abend bei Wirmer mit Klaus Bonhoeffer und J. Kaiser.“96 ● Einige Tage später, am 13. und 16. Juni, traf Klaus Bonhoeffer mit Justus Delbrück den Freiherrn Karl Ludwig von und zu Guttenberg, der schon lange zum Verschwörerkreis in der Abwehr gehörte, und Ulrich Wilhelm Graf zu Schwerin97. 89 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 32. Vgl. Bracher: Geschichte als Erfahrung, S. 202. 91 Vgl. auch von Schlabrendorff: Offiziere gegen Hitler, S. 100. 92 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 907. 93 John: „Falsch und zu spät“, S.30. 94 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 907. 95 Bottlenberg-Landsberg: Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, S. 232. 96 Ulrich von Hassell: Die Hassell-Tagebücher 1938-1944, Aufzeichnungen Vom Andern Deutschland, Siedler Verlag Berlin 1989, S. 366. 97 Bottlenberg-Landsberg: Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, S. 234. 90 14 ● Im Hochsommer war Eberhard Bethge, nun im Dienst der Abwehr, von einer Reise in die Schweiz zurück und besprach mit Klaus Abende lang die Abfassung des Berichts98. ● Am 2.9. verbrachte Klaus Bonhoeffer den Abend mit Guttenberg und Delbrück im „Haus der Flieger“99. ● Ende 1943 gab es ein Gespräch Bonhoeffers mit den Brüdern John und Ludwig Gehre bei Goerdeler, in dem es um die Umsturzplanung ging100. ● Und noch Ende 1943 fand ein erstes Gespräch Claus von Stauffenbergs mit Julius Leber statt, durch Klaus Bonhoeffer101 bzw. durch Otto John102 bzw. durch Fritz von der Schulenburg vermittelt103. Wahrscheinlich ist, dass alle drei am Zustandekommen teilhatten. ● Am 6.1.44 besuchte Guttenberg Klaus Bonhoeffer zuhause104, nachdem er (Guttenberg) von Canaris zum Schutz vor Gestapo-Überwachung nach Agram entsandt worden war. ● Vermutlich im Frühjahr verbrachte Klaus Bonhoeffer einen Abend mit Delbrücks Schwager Klaus von Wahl. Nach dessen späterem Bericht habe Klaus erklärt, man dürfe Hass, Rassenwahn, Mordlust nicht nur hinnehmen, sondern müsse etwas dagegen tun105. Nach Otto Johns Darstellung litt Klaus Bonhoeffer darunter, dass er wegen der Verhaftung seines Bruders und Schwagers als Sicherheitsrisiko betrachtet und nicht mehr über alles informiert wurde. So ließ ihn der dauernde psychische Druck unter der Angst, selbst verhaftet zu werden, auch erschrocken reagieren, als Otto John am 16.5.44 von Spanien kommend überraschend im Lufthansabüro auftauchte106. Belastet war Klaus Bonhoeffer zusätzlich durch die Aufgabe, zusammen mit Hans John den flüchtigen Ludwig Gehre zu versorgen107. ● Nun gingen die Planungen für den Tag X in die entscheidende Runde, zumal nach der Invasion und der Großoffensive der Roten Armee. Für den Fall des geglückten Staatsstreichs scheint Klaus Bonhoeffer zur Übernahme der Leitung der zivilen Luftfahrt bereit gewesen zu sein, so im Gespräch mit Stauffenbergs Adjutanten Werner von Haeften am 17. Juli108. Aber das Scheitern des 20. Juli-Attentats bedeutete das Ende aller Staatsstreichversuche. Klaus Bonhoeffer war in die Bendlerstraße gekommen, ohne verhaftet zu werden. Nun galt 98 Eberhard Bethge: In Zitz gab es keine Juden, Chr. Kaiser Verlag München 1989, S. 233. Bottlenberg-Landsberg: Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, S. 236. 100 Johannes Tuchel: „und ihrer aller wartete der Strick“, Das Zellengefängnis Lehrter Straße 3, Lukas Verlag Berlin 2014, S. 314. 101 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 85. 102 Von Meding: Mit dem Mut des Herzens, S. 42. 103 Beck: Julius Leber, S. 183. 104 Ulrich Cartarius: Opposition gegen Hitler, Siedler Verlag Berlin 1994, S. 234. 105 Bottlenberg-Landsberg: Karl Ludwig Feiherr von und zu Guttenberg, S. 194. 106 John: „Falsch und zu spät“ S. 49 und S. 62. 107 AaO., S. 51. 108 Jacobsen: Im Spiegelbild der Verschwörung S. 441. 99 15 es nur noch, Spuren zu vernichten und abzuwarten. Den Gedanken an Flucht und Verstecken verwarf er, um die Seinen nicht der Sippenhaft auszuliefern. Otto John, dem Partner in Beruf und Konspiration, konnte er die Flucht nach Spanien ermöglichen109. ● In den Tagen darauf traf er mit dem Vertrauten Friedrich Justus Perels und mit dem Rechtsanwalt Schulze zur Wiesche zusammen. Für den Fall der Verhaftung stimmten sie ihre Aussagen aufeinander ab, um nicht gegeneinander ausgespielt zu werden110. Auf Emmi Bonhoeffers Frage nach dem Sinn des erfolglosen Attentats sagte Justus Delbrück im Beisein von Klaus: „Ich glaube, es war gut, dass es gemacht wurde, und vielleicht auch gut, dass es missglückte.“ Emmi Bonhoeffer deutete das so: „Der Gedanke, das, wofür der Name Auschwitz steht, kann – wenn überhaupt je – nur durch das Blut derer gesühnt werden, die das nicht gewollt haben, war ihm nicht fremd. Sühne und Versöhnung gehören zusammen“111. 6. Verhaftung, Martyrium, Ermordung 1944-1945 Auf seinem letzten Besuch in Holstein, wo seine Familie zur Sicherheit untergebracht war, sprach Klaus davon, dass er bald wie in einen Löwenkäfig fallen werde112. Noch bewahrten die vor ihm verhafteten Freunde Schweigen. Doch nur zu schnell folgte das Verhängnis: Der Zossener Aktenfund am 22.9. im Oberkommando der Wehrmacht brachte der Gestapo neue Kenntnisse, Spuren und Namen. Als Bonhoeffer am 30. 9. nach dem Arbeitstag am Tempelhof vor seinem Haus ein GestapoAuto stehen sah, eilte er zu Schleichers in die Marienburger Allee. In einem dramatischen inneren Ringen erwog er auch den Suizid, um unter der Folter niemanden zu verraten. Seine Schwestern Ursula und Christine konnten ihn davon abbringen. Am nächsten Tag wurde er dort verhaftet und in das Lehrter Zellengefängnis in der Mitte Berlins eingeliefert. Obwohl blutig geschlagen, gab er keine Namen preis. Erst als man drohte, seine Frau in die Zange zu nehmen, brach er zusammen und gab Auskünfte, ebenso wie der bald darauf verhaftete Schwager Rüdiger Schleicher. Zum Kern der Konspiration ließen die Gefolterten die Ermittler aber nicht vordringen113. In den sog. Kaltenbrunner-Berichten, den Verhörprotokollen des SD (Sicherheitsdienst der SS) vom 12.10., wurden die Kontakte aufgeführt, über die beide sprachen. Weil diese Aussagen erpresst waren, soll hier kein Gebrauch davon gemacht werden. Klaus Bonhoeffers Hauptaussage allerdings dürfte korrekt wiedergegeben sein und besticht durch Mut und Prägnanz: „Ich lehne den nationalsozialistischen Staat ab, insbesondere mit Rücksicht auf seine Politik in der Kirchen- sowie Judenfrage sowie wegen der fehlenden Garantien der 109 Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln, in: Wolfgang Schwiedrzik, Bilder deutscher Widerstandskämpfer, Leipziger Universitätsverlag 1998, S. 154. 110 Matthias Schreiber: Friedrich Justus Perels, Chr. Kaiser Verlag München 1989, S. 196. 111 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 26. 112 AaO., S. 109. 113 Smid: Hans von Dohnanyi Christine Bonhoeffer, S. 439. 16 Rechtssicherheit“114. Von ihrem ersten Besuch notierte seine Frau: „Er wirkte stolz wie ein König, er machte keinen gebrochenen Eindruck“115. Die Haftzeit verbrachten Klaus Bonhoeffer und sein Schwager aber unter meist unmenschlichen Bedingungen. „Ich möchte diese Gesichter nie mehr sehen […] dieses Maß von Verkommenheit […] Ich habe den Teufel gesehen“, notierte Klaus auf einem Zettel116. Nur das ab Dezember genehmigte Geigenspiel Rüdiger Schleichers hellte den tristen Alltag auf, „und zur Begeisterung aller Zuhörer pfiff Klaus dazu“, hielt der mitgefangene Eberhard Bethge fest117. In der Anklageschrift (20.12.) wurden Klaus Bonhoeffer und Rüdiger Schleicher beide als Mittäter beim Umsturzversuch in den Jahren 1943/44 angeklagt. Am 2. Februar wurde das Todesurteil gesprochen, ein Tag vor dem verheerenden Luftangriff auf Berlin, bei dem Roland Freisler ums Leben kam. Eberhard Bethge berichtete später bewundernd von der Haltung, in der Klaus ihn nach dem Urteil mit den Augen gegrüßt und sich aufgerichtet hätte118. In einem Brief an seine Tochter im März brachte er zum Ausdruck, wie ihm auch Unscheinbares Kraft gab: „Ich freue mich jetzt hier sogar an dem Blick auf die Gefängnismauer. Die oberen Backsteine glühen zart in der Morgensonne und abends sind sie der Vordergrund einer fernen Welt. Ein Stern leuchtet freundlich darüber. Dann schwinden alle düsteren Gedanken wie Nebel und in diesem Frieden pfeife ich vor mich hin in glücklicher Erinnerung und Sehnsucht […]“119. Zum Geburtstag des Vaters schreibt er am 31.3. im letzten Brief an seine Eltern: „Die Gewißheit, daß Euch allen ein neues Leben wieder beginnt, ist so schön. Auch mein Schicksal kann sich wohl noch plötzlich wenden. Ich bin aber darauf gefaßt, daß mein Leben bald abläuft […] Aber ich will ja nicht nur leben, sondern mich eigentlich erst einmal auswirken. Da dies nun wohl durch meinen Tod geschehen soll, habe ich mich auch mit ihm befreundet […] [Den Kindern] wünsche ich, dass sie einmal so dankbar auf ein schönes und reiches Leben zurückschauen können, wie ich jetzt […]“120. Am 1. April, dem Ostersonntag, widmete Klaus Bonhoeffer seinen Kindern einen ergreifenden Abschiedsbrief. Für die Vertiefung seines Glaubens spricht der Briefschluss ebenso wie sein Rühmen des Textes der Matthäuspassion, als sein älterer Bruder ihn besuchte121, und das Betrachten von Dürers Passionsbildern, Tag für Tag122: „Dringt in die Bibel ein und ergreift selbst von dieser Welt Besitz, in der nur gilt, was Ihr erfahren und Euch 114 Jacobsen: Spiegelbild einer Verschwörung, S. 443. Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 87. 116 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, S. 1039. 117 Bethge: In Zitz gab es keine Juden, S. 166. 118 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 33. 119 Eberhard und Renate Bethge (Hg.): Letzte Briefe im Widerstand, Aus dem Kreis der Familie Bonhoeffer, Kaiser Verlag München 1984, S. 50. 120 AaO., S. 51f. 121 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 30. 122 Helmut Gollwitzer u.a. (Hg.): Du hast mich heimgesucht bei Nacht, Chr. Kaiser Verlag München 1954, S. 107. 115 17 selbst in letzter Ehrlichkeit erworben habt. Dann wird Euer Leben gesegnet und glücklich sein […]“123. Ob er durch den Dialog mit Dietrich zu dieser Haltung inspiriert worden ist? Dafür gibt es zwar keine Belege, aber der intensive Austausch bis 1943 könnte dazu geführt haben. In einem Brief an Maria von Wedemeyer zählte Dietrich Klaus zu denen, die ihn wirklich kennen124. Dass am 9. April Dietrich in Flossenbürg und Hans von Dohnanyi in Sachsenhausen hingerichtet wurden, davon drang keine Kunde weder zur Familie noch zu den Gefangenen. Am 18. April konnte seine Frau ihn das letzte Mal besuchen. Emmi Bonhoeffer hatte zwar die Akte mit dem Todesurteil auf dem Weg zum Justizminister mit Hilfe eines „anständigen Ministerialrats“125 abfangen lassen und glaubte seitdem ihren Mann außer Gefahr, zumal ihr Verwandter Lutz Heuss ihr gesagt hatte, er wolle ihren Mann herausholen126. Aber ein neuerlicher Aktenfund in Zossen über die Konspiration hatte am 5. April den Befehl Hitlers zur Hinrichtung der Gefangenen ausgelöst, dem der SS-Obergruppenführer Heinrich Müller am 21. April mit dem konkreten Mordbefehl folgte127, und den der brutale Kriminalrat Kurt Stawitzki mit einem SS-Trupp ausführte. Demnach wurde Klaus Bonhoeffer zwei Wochen vor Kriegsende – die Rote Armee stand schon in den Vororten und ihre Artillerie schoss ins Zentrum – zusammen mit einer Gruppe Mitgefangener (darunter Rüdiger Schleicher und Friedrich Justus Perels) nachts aus dem Gefängnis Lehrter Straße geführt und früh am 23. April – statt in die Freiheit entlassen zu werden – auf einem nahen Trümmergrundstück an der Invalidenstraße durch Genickschuss ermordet (In unmittelbarer Nähe befindet sich heute der Hauptbahnhof). Am nächsten Tag zerstörten die Bomben eines Luftangriffs sein Haus. Die Todesnachricht erreichte seine Frau erst Wochen später. Am 11. Juni hielt Eberhard Bethge, der überlebende Schwiegersohn von Rüdiger Schleicher, eine Trauerfeier auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, wo sich das Massengrab befand. Und Ende Juli gedachte Bischof Bell im Londoner Trauergottesdienst beider Brüder Bonhoeffer, als er erklärte: „In der edlen Gemeinschaft der Märtyrer verschiedener Tradition verkörpert er beides: den Widerstand der gläubigen Seele im Namen Gottes gegen den Angriff des Bösen; und ebenso die moralische und politische Erhebung des menschlichen Gewissens gegen Ungerechtigkeit und Grausamkeit.“128. Man kann dieses Familienschicksal mit vier Toten als absolute Katastrophe ansehen, und doch schreibt Karl Bonhoeffer nach dem Krieg: „Da wir alle über die Notwendigkeit zu handeln einig waren, […] sind wir wohl traurig, aber auch stolz auf ihre gradlinige Haltung.“129 Vielleicht war es so, dass das Übermaß an Glück und innerem Reichtum, auch das große 123 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 38. Ruth-Alice von Bismarck und Ulrich Kabitz: Brautbriefe Zelle 92, Verlag C.H.Beck München 1999, S. 153. 125 Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 109. 126 AaO., S. 13. 127 Bethge: In Zitz gab es keine Juden, S. 189. 128 Bethge: Dietrich Bonhoeffer, Beiheft S. 31 zu S. 1041. 129 AaO., S. 1044. 124 18 Engagement dieser Familie zwar jenes andere Übermaß an Leid und Verfolgung hervorgerufen hat, aber es auch zu ertragen half. 7. Vermächtnis für die Familie – und die Nachwelt? Tatsächlich war das Weiterleben der Familien nach dem Krieg unendlich erschwert, litten sie doch unter dem Tod der Väter, meist unter materieller Not und – am schlimmsten – unter der Ausgrenzung als „Verräterwitwen“ und „Verräterkinder“. Dass trotz allem Emmi Bonhoeffer ihren Humor nicht verloren hatte, belegt ein Brief an Reinhold Schneider aus dem Jahr 1947, geschrieben in der kleinen Wohnung im Holsteinischen Gronenberg, in dem sie ihre Lebensweise so schilderte: „ohne Civilisation, aber mit Kultur. Wir haben zu viert ein Zimmer (ich mit 3 Kindern), Strohsäcke, aber ein Klavier, Pumpe im Hof, aber Dachgarten am Zimmer mit Blumen, Kohl im Topf, aber Reinhold Schneider im Kopf, Möbel verloren, aber Geige gerettet, keinen Herd, keine Tassen, sondern Konservenbüchsen, aber gute Bekanntschaft mit dem Buch Hiob etc., Flecken an der Wand, aber darüber das Bild meines Mannes..“130. Bundespräsident Theodor Heuss legte mit seiner Rede am 20. Juli 1954 bei der ersten Gedenkfeier im Bendlerblock die Grundlage für die allmähliche Rehabilitierung der Widerstandskämpfer. Er schloss mit den Worten: „Die Scham, in die Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt. Das Vermächtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung noch nicht eingelöst“131. Dass aber erst 1998 bzw. 2002 alle Unrechts-Urteile des Volksgerichtshofes aufgehoben wurden, dass also bis dahin Klaus Bonhoeffer und die anderen Widerstandskämpfer als zu Recht verurteilt galten, ja dass seit dem Straffreiheitsgesetz von 1954 auch die Mordtaten an den Widerstandskämpfern vom 23.4.1945 amnestiert wurden, und dass gegen die SSSchergen der Terrorzentrale „Hauptsicherheitsamt“ kein einziges Verfahren eingeleitet wurde – all das bedeutet eine mehrfache Schande für Parlament, Justiz und Gesellschaft in Deutschland, dessen Grundgesetz verkündet hatte: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. So weit kann also der Weg zwischen Anspruch und Einlösung sein! Die nächste und übernächste Generation der Bonhoeffer-Großfamilie (18 Enkel, 36 Urenkel) brachte es beruflich dennoch zu zahlreichen bedeutenden Positionen, in denen sich die reich vererbte wissenschaftliche und musische Begabung entfalten konnte. Es lässt sich nur erahnen, mit welcher Energie dies erreicht wurde, angesichts der erwähnten Belastungen. Für die Witwe Emmi Bonhoeffer war es eine tröstliche Genugtuung, gebeten zu werden, am 20. Juli 1981 die Hauptrede bei der Gedenkfeier im Bendlerblock zu halten, als einzige der Überlebenden der Bonhoeffer-Familie aus jener Generation132. Sie hatte ihre Trauer in 130 Babette Stadie, Peter Steinbach (Hg.): Die Macht der Wahrheit, Reinhold Schneiders „Gedenkwort zum 20. Juli“ in Reaktionen von Hinterbliebenen des Widerstandes, Lukas Verlag Berlin 2008, S. 95. 131 Theodor Heuss: Die großen Reden, dtv 404 Deutscher Taschenbuch Verlag München 1967, S. 222. 132 Vgl. Grabner (Hg.): Emmi Bonhoeffer, S. 21ff. 19 Einsatzfreude verwandelt, als sie dank der Care-Pakete aus den USA in Schleswig-Holstein ein Flüchtlingshilfswerk aufbaute, als sie von Frankfurt aus einen Hilfsring für Menschen in der DDR gründete, als sie Zeugen und Zeuginnen des Auschwitzprozesses Beistand leistete und für Amnesty und gegen die Atomrüstung aktiv war. Sie starb 1991, 85 Jahre alt, in Düsseldorf. Einer der Enkel von Rüdiger Schleicher, Dr. Tobias Korenke, erklärte 2012 auf einer Tagung der Bonhoeffer-Gesellschaft im Blick auf das Erbe der Widerstandskämpfer in unserer Geschichte: „[…] einer Geschichte, die […] sich so schwer tut mit dem Respekt vor jenen, die couragiert einen Geist vorleben, der das Recht des Menschen gegenüber der Diktatur betont und zugleich den Einzelnen in der Verantwortung für die gesamte Nation sieht“133. Auf der Gedenktafel für Klaus Bonhoeffer und die mit ihm Ermordeten auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof steht das Bibelwort aus Matthäus 5: „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr.“ Jürgen Moltmann hat es so formuliert134: „Die Opfer des 20. Juli sind Märtyrer des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit.“ Dazu Eberhard Bethge: „Wenn die Männer und Frauen, an die wir heute135 denken, mit ihrem schuldbeladenen Opfertod nicht ein Zeichen sind für einen Riß in der Kette der Schuld und für die Welt der Auferstehung – wer ist es dann?“136 Und Gerhard Leibholz schrieb 1946 seiner Verwandten Margarethe von Hase: [Ich glaube,] „dass einmal die deutsche Geschichte an das Martyrium dieser Männer anzuknüpfen haben wird, und dass diese Tragödie ein neues Kapitel der deutschen Geschichte eröffnen wird“137. Und das gilt ganz gewiss auch für Klaus Bonhoeffers essenziellen Beitrag zur Konspiration! ___________________________________________________________________________ Dietrich Zeilinger, Pfarrer i. R., zuletzt Landesbeauftragter für Ökumene Mittelbaden, Mitglied der Forschungsgemeinschaft 20. Juli und der Internationalen BonhoefferGesellschaft Rintheimer Str. 73, 76131 Karlsruhe, E-Mail: [email protected] 133 Tobias Korenke: In weiter Ferne so nah: Meine Großeltern Rüdiger und Ursula Schleicher geb. Bonhoeffer, in: Internationale Bonhoeffer-Gesellschaft (Hg.): Bonhoeffer Rundbrief Nr. 102 August 2013, S. 28. 134 Moltmann: Klaus und Dietrich Bonhoeffer, S. 215. 135 20. 7. 1974. 136 Bethge: Am gegebenen Ort, S. 263. 137 Friedrich-Wilhelm von Hase (Hg.): Hitlers Rache, Hänssler Verlag Holzgerlingen 2014, S. 209. 20