AUTOIMMUNKRANKHEITEN 1.) Immunologische Grundlagen 1.1) T-Zell-Reifung 1.2) T-Zell-Rezeptor 1.3) T-Zell-Aktivierung 2.) Autoimmunkrankheiten – Allgemeines 3.) Multiple Sklerose 3.1) Ätiologie 3.2) Pathogenese 3.3) Therapie IMMUNOLOGISCHE GRUNDLAGEN T-ZELL-REIFUNG POSITIVE SELEKTION - Entstehung im Knochenmark Einwanderung in Thymus T-Lymphozyten exprimieren T-Lymphozytenantigene und Antigen-spezifische T-Zell-Rezeptoren T-Lymphozyten, die MHC-Klasse-I oder –II-Moleküle über T-Zell-Rezeptor binden können, reifen weiter heran restliche Zellen Apoptose Ort: Thymusrinde NEGATIVE SELEKTION - Eptihelzellen, dendritische Zellen, Makrophagen präsentieren an MHC-Proteinen Peptide aus Abbau körpereigener Zellen T-Zellen, die körpereigene Strukturen binden Apoptose < 5 % der Thymozyten überleben: reife naive T-Zellen Ort: Thymusmark Erreichen einer immunologischen Toleranz = zentrale Immuntoleranz T-ZELL-REZEPTOR - HLA-Moleküle präsentieren Antigenpeptide spezifische Erkennung durch T-Zell-Rezeptor-Komplex o Heterodimer, über Disulfidbrücke verbunden (90 – 95 %: α- und β-Kette) o verschiedene signaltransduzierende Membranmoleküle (CD3-Komplex) o Genrekombination: ca. 1015 verschiedene TZR o V-Kette: variable definiert Antigenspezifität o o o D-Kette: diversifizierend J-Kette: verbindend C-Kette: konstant T-ZELL-AKTIVIERUNG 1. SIGNAL DER T-ZELL-AKTIVIERUNG - unspezifische Wechselwirkung zwischen APZ (dendritische Zellen, Makrophagen, B-Zellen) und TZelle über Adhäsionsmoleküle der Ig-Superfamilie (LFA-3 [lymphocyte function-associated antigen], ICAM-1 und -2 [intracellular adhesion molecule]) & Integrine (LFA-1) - essentiell für Aktivierung o CD4 einkettiges, aus 4 Ig-ähnlichen Domänen aufgebautes Membranmolekül o CD8 aus α- und β-Kette bestehendes Heterodimer, über Disulfidbrücke verbunden beide: zytoplasmatische Domänen zur Anlagerung einer Tyrosinkinase Lck zur Signalweiterleitung ohne weitere Signale: Anergie (periphere Immuntoleranz) 2. SIGNAL DER T-ZELL-AKTIVIERUNG - kostimulatorisches Signal durch professionelle APZ über B7-Molekül: CD80 und CD86 Ligand auf T-Zelle: CD28 T-Zellen in G1-Phase des Zellzyklus überführt Überwindung des Restriktionspunkts G1/S unter Mithilfe inflammatorischer Cytokine wie IL-2 3. SIGNAL DER T-ZELL-AKTIVIERUNG - vermehrte Bildung von IL-2 und dessen Rezeptor Einleitung der klonale Proliferation TERMINIERUNG DER T-ZELL-AKTIVIERUNG - CTLA-4 (cytotoxic T lymphocyte antigen) o ähnliche Struktur wie CD28 o bindet B7-Familie mit höherer Affinität o liefert negatives Signal weniger inflammatorische Cytokine und Rezeptoren (Supression der Immunantwort) AUTOIMMUNKRANKHEITEN - Autoimmunität normale Eigenschaften des Körpers, kein pathologischer Zustand per se normalerweise Schutz durch Mechanismen der peripheren Toleranz Bruch der zentralen & peripheren Toleranz Autoimmunkrankheiten - Def.: nicht-infektiöse Entzündungszustände, die zur lokalen Organzerstörung (Multiple Sklerose, Diabetes Typ I) oder zu systemischen entzündlichen Erkrankungen (perniziöse Anämie, Vaskulitiden, Rheuma) führen unterschiedliche HLA-Genprodukte unterschiedlich befähigt, T-Zellen Autoantigene zu präsentieren - Inzidenz: 5 % aller Erwachsenen in Europa und Nordamerika (2⁄3 Frauen) - können prinzipiell jedes Organsystem betreffen, meist Schilddrüsenerkrankungen MULTIPLE SKLEROSE = Autoimmunkrankheit mit Immunreaktion gegen Proteine der Myelinscheide des ZNS (v.a. basisches Myelinprotein) - in Europa & Amerika in nördlichen Landesteilen häufiger als in südlichen Prävalenz in Deutschland: 100 – 120 / 100.000 Einwohner (Griechenland: 30 / 100.000) ÄTIOLOGIE - genetische Faktoren o eineiiger Zwilling erkrankt mit 30 % Wahrscheinlichkeit bei Erkrankung des anderen Zwillings - Umwelteinflüsse o Stresszustände: Ausschüttung von CRH verstärkte Aktivität von Immunzellen - Dysfunktionen in der Immunregulation o evtl. Fehlen des jeweiligen Selbstantigens in bestimmten Entwicklungsphasen des Thymus o evtl. molekulare Mimikry Erreger mit Molekülen, die Struktur von Antigenen auf körpereigenen Zellen imitieren, lösen Immunreaktion aus z.B. Aminosäuresequenzen von Adenovirus Typ 2 gleichen teilweise Fragmenten des basischen Myelinproteins individuelle HLA-Proteine bestimmen welche der Fragmente des Erregers den TZellen präsentiert wird HLA-Typ DR4: 6-faches RIsiko für rheumatoide Arthritis HLA-DR2: 4-faches Risiko für multiple Sklerose HLA-DR3 und –DR4: 20-faches Risiko für Diabetes mellitus Typ I - evtl. Beteiligung von Viren (weder bewiesen noch widerlegt, jedoch bis zu 25 % aller Schübe durch Virusinfektion getriggert) PATHOGENESE - erste Anzeichen meist im frühen Erwachsenenalter oft nach banalem Infekt oder Schwangerschaft o Synthese von HLA-Molekülen durch γ-Interferon induziert o bei Virusinfektion im vemehrte Entstehung von γ-Interferon im Gehirn - 1. Phase: inflammatorische Vorgänge (Schübe & Remissionen) 2. Phase: Demyelinisierung und axonaler Schaden = “neurodegeneratives Stadium” 1.) autoimmune T-Zellen im peripheren Immunsystem aktiviert (evtl. molekulare Mimikry?) 2.) T-Zellen aktivieren B-Zellen (Verstärkung der schädigenden Mechanismen) o Antigen: Fragment des basischen Myelinproteins o präsentierender Teil des HLA-Moleküls: DR2 3.) Migration über Blut-Hirn-Schranke (“homing”) o Leukozyten verankern sich über Integrine an Gefäßwand, an Stellen, die zuvor Cytokinen wie γ-Interferon und TNF ausgesetzt waren o T-Zelle schüttet Matrixmetalloproteinasen aus 4.) im ZNS: lokale Expansion von T-Zellen 5.) Freisetzung proinflammatorischer TH1-Zytokine 6.) Schädigung der Myelinscheide über 2 Wege denkbar: 1.) T-Zell und makrophagenvermittelte Demyelinisierung, axonale Schädigung Ursachen: TNFα, Lymphotoxin, γ-Interferon 2.) antikörpervermittelte Zytotoxizität (Aktivierung des Komplementsystems: verhindert Ausstrom von Ca2+-Ionen aus Oligodendrozyten Zerstörung) 7.) letztendlicher Effektor unklar: aktive Zerstörung? sekundäre Schädigung aufgrund Mangelversorgung durch trophische Mediatoren? Fehlregulation der Apoptose? THERAPIE PATHOGENETISCH A) Antigenpräsentation und T-Zell-Aktivierung o Anti-CD40L-Antikörper o Modulation des CTLA-4-Signalwegs: Inhibition der Kostimulation (erhöhtes Risiko für Thrombembolien) o Anti-IL2-Rezeptor-Antikörper B) B-Zell-Aktivierung und Antikörperbildung o Anti-CD20-Antikörper (Kostimulation von B-Zellen) C) Chemotaxis, Adhäsion und Migration im ZNS o Problematik: Chemokinsystem sehr complex o Antikörper gegen Zelladhäsionsmolekül ICAM-1 o Natalizumab (Antegren®): vielversprechendster Antikörper gegen α4-Integrin o Matrixmetallproteinase-Inhibitoren D) Aktivierung von Makrophagen und Demyelinisierung o keine therapeutische Strategie, die selektiv auf Makrophagen abzielt o monoklonale Antikörper gegen TNF (Unterdrückung der Autoimmunreaktion für 5 – 10 Wochen) E) Axondegeneration und Verlust trophischer Mediatoren o exogene Applikation von neurotrophen Faktoren (Brain derived neurotrophic factor), Problematik: Applikationsform (intrathekal = in Liquorraum?), Dosierung, evtl. unterschiedliche Wirkweise oder Relevanz im Humansystem gegenüber Modellorganismus o Remyelinisierung prinzipiell möglich: Schwann-Zell-Transplantation, Stammzelltransplantation, Problematik: Unklarheit bzgl. pathophysiol. Hintergrund, methodische Überlegungen, ethische Fragen F) Apoptose IMMUNMODULATORISCH - β-Interferon: geringere Ausprägung der beteiligten HLA-Moleküle der weißen Substanz Glatirameracetat = Copaxone®: basisches Myelinprotein-ähnliches Molekül mit höherer Affinität zu HLA-Proteinen Mitoxantron (Topoisomerase II-Inhibitor): Hemmung des Wachstums von T- und B-Lymphozyten sowie Makrophagen; Problematik: erhöhte Kardiotoxizität Azathioprin: Immunsuppressivum AUSBLICK - Kernfrage: Kann frühzeitige Behandlung irreversible Schaden an Axonen und Oligodendrozyten verhindern bzw. verringern? Zahl fehlgeschlagener Therapiestudien zur MS viel erhöhr als die der erfolgreichen, jedoch Entwicklung vieler neuer Substanzen Integrinblocker Natalizumab mit positiven Aussichten Stammzelltherapie wenig aussichtsreicht, so lange nicht Probleme der gestörten Interaktion von demyelinisierten Axonen und remyelinisierenden Vorläuferzellen geklärt