Blatt 1 ________________________ Hessischer Rundfunk hr-iNFO Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann Wissenswert Lernen von der Ameise: Insekten stehen Pate für optimierte Computerprogramme von Frank Grotelüschen Sendung: 14. / 15.09.14, hr-iNFO Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Blatt 2 Moderator Die Mauersegler waren auch in diesem Jahr die ersten unserer Zugvögel, die ihre Sommerquartiere verlassen haben. Aber nicht nur die Zugvögel koordinieren ihr Verhalten so, dass große Gruppen nahezu wie ein einziger Organismus reagieren, zumindest zeitweise. Auch Schwarmfische beispielsweise, und Bienen und Ameisen tun das. Einige Forscher versuchen jetzt diese "Schwarmintelligenz" für bestimmte Zwecke zu kopieren. Schwarmintelligenz ist – zugegeben – auch eine Modewort. Aber eben auch ein ernst zu nehmendes Forschungsgebiet. Wissenschaftler sprechen dann von Schwarmintelligenz, wenn große Gruppen koordiniert handeln, ohne dass es zum Beispiel einen Anführer gibt, einen Anführer der Weisungen erteilt. Solche Gruppen, ob Schwarm oder Herde, sie agieren, als ob da ein Superorganismus in Aktion sei. Manche Fachleute sehen darin eine neue Qualität – sie arbeiten an einer Theorie der Schwarmintelligenz an einer Theorie die auf das Treiben in einem Ameisenhaufen ebenso passt wie auf ein kollektives Internet-Projekt wie z. B. die Wikipedia. Lernen von den Ameisen? Hören Sie einen Beitrag von Frank Grotelüschen. Sound: Schwarm, darüber: O-Ton 1 (Smith) „Swarm intelligence is that if you look how a colony of ants… Übersetzer Schwarmintelligenz zeigt sich zum Beispiel bei einem Ameisenstaat: Wie schaffen es diese einfachen Tiere, als Staat so effizient zu sein? Etwa wie sie koordiniert auf Futtersuche gehen. Wie sie reagieren, wenn ihr Nest überschwemmt wird. Oder wie sie Bauten errichten, die ziemlich erstaunlich sind. Blatt 3 ... amazing structures.“ Sound Schwarm (kurz hochblenden) O-Ton 2 (Smith) „Collectively they appear to be demonstrating intelligence… Übersetzer: Es scheint fast, dass die Ameisen im Kollektiv intelligent sind. Sie lösen Probleme auf eine Weise, die uns vorkommt, als würde sie irgendeine Art von Intelligenz erfordern. Dabei befolgen die Insekten in Wirklichkeit nur eine Reihe sehr einfacher Regeln. Die Ergebnisse aber sind höchst erstaunlich. ... amazing things.“ Sound Schwarm (ausblenden) Autor Zwar sind Ameisen alles andere als intelligent. Doch ihre Überlegensstrategien, die sie im Kollektiv zeigen, faszinieren nicht nur Insektenforscher. Auch Informatiker wie der Brite Jim Smith interessieren sich dafür. Sie nehmen diese Strategien als Inspiration für eine neue Generation von Computerprogrammen. Für Software, mit der sich Flugpläne und Transportrouten deutlich effizienter optimieren lassen als bislang. Und die ganze Schwärme von Robotern in die Lage versetzen, sich eigenständig zu orientieren. Akzent O-Ton 3 (Moritz) „Die Ameisen laufen erstmal los und suchen nach Futterstellen, laufen dann wieder zurück zu ihrem Nest. “ Autor Ruby Moritz, Informatikerin, Universität Leipzig. Die Software, an der sie arbeitet, ahmt quasi die Futtersuche der Ameisen nach. Blatt 4 O-Ton 4 (Moritz) „Wenn sie Futter gefunden haben, hinterlassen sie eine Art PheromonSpur – eine chemische Substanz, die andere Ameisen riechen können. Sie riechen dann: Okay, hier war schon mal eine lang gelaufen und hat was gefunden. Und die folgen dann diesen Pheromon-Spuren zum Futter hin.“ Autor Oft wird eine Futterstelle unabhängig von mehreren Ameisen entdeckt. Jedes Tier markiert seinen Weg zurück zum Nest mit einer PheromonSpur. Manche nehmen zufällig die kürzeste Strecke, andere laufen Umwege. Starten dann andere Ameisen vom Nest aus zur neuen Futterstelle, orientieren sie sich an den frischen Pheromon-Spuren. Die Tiere, die den schnellsten Weg nehmen, sind kürzer unterwegs, also auch früher wieder zurück im Nest. O-Ton 5 (Moritz) „Dadurch wird auf den kurzen Wegen mehr Pheromon abgelagert. Die werden dann von den anderen Ameisen bevorzugt. Bis am Ende die Ameisen durch dieses relativ einfache Verhalten den kürzesten Weg zum Futter gefunden haben.“ Autor Diesen kürzesten Weg nutzen am Ende dann sämtliche Ameisen. Eine simple Schwarm-Strategie, letztlich basierend auf dem Trial-and-ErrorPrinzip, der Methode von Versuch und Irrtum. Dennoch: Forscher nutzen sie als Basis für neuartige Computerprogramme. Diese Programme nehmen sogar Aufgaben in Angriff, die für andere Verfahren zu knifflig sind. Ein Beispiel: Das Problem des Handlungsreisenden, der auf seiner Tour eine bestimmte Anzahl von Städten abklappern soll. O-Ton 6 (Moritz) Blatt 5 „Die Frage ist: In welcher Reihenfolge werden diese verschiedenen Städte angefahren, sodass der Fahrer auf dem kürzesten Weg ans Ziel kommt und alle Städte einmal abgefahren hat? Das Problem ist sehr schwer und kann nicht in akzeptabler Zeit optimal gelöst werden. Und da nimmt man jetzt dieses Prinzip von den Ameisen und stellt sich dieses Städte-Netzwerk in digitaler Form her, nimmt sich viele digitale Ameisen und lässt die über dieses Netzwerk von dem Startpunkt aus durch alle Städte laufen.“ Akzent O-Ton 7 (Smith) „We have a set of virtual digital ants… Autor Jim Smith, Professor für künstliche Intelligenz, Universität von Westengland, Bristol. Übersetzer Wir programmieren mehrere digitale Ameisen, zum Beispiel 100. Jede dieser Ameisen kann virtuelle Pheromone abgeben – das sind ganz einfach Zahlen. Unsere Digitalinsekten hinterlassen also Spuren aus Zahlen. Andere 'Ameisen' erkennen diese Spuren dann und entscheiden sich, welcher sie folgen. Und in der Regel ist es die stärkste Spur. ... the strongest direction.“ Autor Am Ende des Prozesses hat sich, so die Idee, ein Wegenetz aus digitalen Pheromonen herausgebildet, mit der kürzesten Route als Lösung. Die Forscher formulieren also nur die Aufgabe und setzen den Rahmen. Die Lösung finden dann die digitalen Ameisen. Einige Firmen nutzen diese Algorithmen bereits. Blatt 6 O-Ton 8 (Smith) „It’s used for transportation optimization … Übersetzer Damit lassen sich Transportrouten optimieren, Flugpläne für Frachtflugzeuge oder die Einsatzplanung bei Logistikunternehmen. Auch fürs Internet sind diese Algorithmen interessant, wenn es darum geht, Informationspakete möglichst effizient über Datenleitungen zu schicken. Wenn man bei Google eine Suchanfrage startet, erreicht einen die Information heute meist nicht auf dem kürzesten Weg. Und mit Ameisen-Algorithmen kann man versuchen, dieses Routing zu verbessern. ... to do the routing of these as well.“ Autor Google, Amazon, Facebook – sie alle setzen mittlerweile AmeisenAlgorithmen ein, davon gehen Fachleute wie Jim Smith aus. Und die Entwicklung ist noch nicht an ihrem Ende angelangt. Denn aus der Biologie kommen immer wieder neue Erkenntnisse über das Verhalten der Insekten. Erkenntnisse, die dann auch für die Informatik interessant sind. O-Ton 9 (Moses) „There are ant colonies with tens of millions of ants… Autor Melanie Moses, sie ist Biologin an der Universität von Neu Mexiko in den USA. Übersetzerin Blatt 7 Es gibt Ameisenstaaten mit mehreren 10 Millionen Tieren. Sie haben keinen Boss, keinerlei Art von Zentralregierung, keine Hierarchien. Und dennoch funktionieren sie ziemlich effizient. ... relatively efficiently.“ Autor Je größer der Ameisenhaufen, umso interessanter – so lautet das Motto von Melanie Moses. Um herauszufinden, warum ein Ameisenstaat selbst dann noch funktioniert, wenn er aus Abermillionen Tieren besteht, legte sie Futter in der Nähe der Riesenhaufen aus und beobachtete, wie die Insekten bei der Futtersuche vorgehen. O-Ton 10 (Moses) „What we’ve expected was that there is more communication… Übersetzerin Wir hatten erwartet, dass in großen Ameisenstaaten sehr viel mit Pheromonen kommuniziert wird. Beobachtet haben wir aber etwas anderes: Die Ameisen setzten eher selten Pheromone ein, um anderen Tieren mitzuteilen, wo sie Futter gefunden hatten. Wesentlich öfter liefen einzelne Ameisen immer wieder hin und her, um ganz alleine eine Futterquelle auszubeuten. Die haben also gar nicht so viel Pheromon abgegeben, und sie haben weniger als erwartet mit ihren Artgenossen kommuniziert. ... because they would communicate using pheromones.“ Autor Daraus schließt Melanie Moses: Pheromone sind für die Futtersuche der Ameisen nicht das einzige Mittel. Wichtig scheint auch das Gedächtnis der einzelnen Ameise zu sein, das es ihr ermöglicht, sich den Weg zu einer Futterquelle zu merken. Um ihren Verdacht zu Blatt 8 überprüfen, hat Moses, die nicht nur Biologin ist, sondern auch Computerexpertin, ein Rechnerprogramm geschrieben. O-Ton 11 (Moses) „We built models with digital ants that only remembered… Übersetzerin Wir haben Simulationen mit digitalen Ameisen gemacht. In einigen Szenarien stützten sie sich ausschließlich auf ihr Gedächtnis, ohne zu kommunizieren. In anderen Fällen haben sie ausschließlich kommuniziert, ohne ein eigenes Gedächtnis zu besitzen. Am besten hat's geklappt, wenn beides vorhanden war: ein individuelles Gedächtnis, unterstützt durch gelegentliche Kommunikation. ...sometimes can communicate.“ Autor Eine interessante Erkenntnis für Programmierer, die an AmeisenAlgorithmen tüfteln. O-Ton 12 (Moses) „There is a whole field of algorithms called ant colony optimization… Übersetzerin Diese Ameisen-Algorithmen imitieren quasi die PheromonKommunikation der Insekten. Dadurch lassen sich schwierige Suchund Optimierungsprobleme lösen. Man kann zum Beispiel die kürzesten Fahrtrouten für eine Spedition ermitteln. Unsere Ergebnisse legen nun nahe, dass das noch effektiver gehen könnte, würde man die digitalen Ameisen in diesen Programmen mit einer Art Gedächtnis ausstatten. ... may be more effective.“ Blatt 9 Autor Getestet hat Moses ihr neues Konzept mit einem Schwarm aus sechs kleinen Robotern. Von einer Art Nest in der Labormitte schwärmen sie aus und rollen im Zickzack hin und her – wie ihre biologischen Vorbilder immer auf der Suche nach etwas Brauchbarem. O-Ton 13 (Moses) „At the moment what our robots collect is poker chips … Übersetzerin Im Moment sollen die Roboter Pokerchips suchen. Diese Chips sind mit kleinen Barcodes bedruckt. Findet ein Roboter ein Häuflein mit einigen wenigen Chips, merkt er sich den Fundort und sammelt die Chips selber ein, ohne den anderen Bescheid zu geben. Findet er dagegen einen größeren Haufen, informiert er seine Kollegen über ein Funksignal. Und die können dann beim Aufsammeln helfen. ... other robots can come and help them.“ Autor Derzeit sucht Melanie Moses noch nach der besten Balance zwischen Autonomie und Kommunikation. Doch wenn die Software erstmal ausgereift ist, könnte sie eines Tages Roboter steuern, die autonom und in großen Schwärmen agieren sollen. Akzent Autor Derzeit aber zeigen die Ameisen-Algorithmen noch manche Schwachstelle. Sind zum Beispiel große Datenmengen im Spiel, laufen sie schlicht zu langsam. Deshalb versuchen die Experten, die Algorithmen schneller zu machen, und sie versuchen auch die meist noch komplexe Bedienung der Programme zu vereinfachen. Ein Blatt 10 weiterer Trend: Die Forscher tüfteln an einer neuen Generation von Ameisen-Algorithmen, die nicht nur eine einzige Größe optimieren, sondern mehrere gleichzeitig. O-Ton 14 4:26 (Fieldsend) „For instance I’m interested in building a car engine… Autor Jonathan Fieldsend, er ist Computerwissenschaftler an der Universität Exeter in England. Übersetzer Wenn ich zum Beispiel einen neuen Automotor konstruieren will, wäre es natürlich toll, wenn er sowohl preiswert sein würde als auch umweltfreundlich und energieeffizient, und wenn er gleichzeitig auch eine hohe Leistung hätte. Das Problem: Zum Teil sind das Eigenschaften, die einander widersprechen. ... these are competing criteria.“ Autor Gesucht ist also ein optimaler Kompromiss. Damit ihn die virtuellen Ameisen finden können, muss der digitale Raum, den sie durchkämmen, gehörig erweitert werden. Denn jede Konstruktionsgröße entspricht einer neuen, einer zusätzlichen Dimension. O-Ton 15 10:33 (Fieldsend) „Instead of existing in a three-dimensional spacial sense… Übersetzer Anders als Ameisen existieren unsere Agenten nicht nur im dreidimensionalen Raum, sondern müssen viel mehr Dimensionen durchsuchen, zum Beispiel 1000. Bei einem Automotor etwa gibt es Blatt 11 mehr als 1000 Größen, die ihn kennzeichnen: verschiedene Materialien, unterschiedliche Größen von Schläuchen, Rohren und Einspritzdüsen. Mathematisch gesehen ist das ein Raum mit mehr als 1000 Dimensionen. Und diesen Raum sollen unsere Agenten möglichst schnell durchforsten. ... moving around all these different engine designs.“ Autor Um überhaupt einen brauchbaren Kompromiss finden zu können, schalten die Experten so genannte Filter dazwischen. Das sind Softwarekomponenten, die den Digital-Ameisen während ihrer Suche regelmäßig auf die Fühler schauen und die Zwischenergebnisse begutachten: Sind diese aussichtsreich, dürfen die Ameisen die eingeschlagene Richtung weiterverfolgen. Sind sie wertlos, steckt die Suche in einer Sackgasse, und die virtuellen Insekten müssen ihre Richtung wechseln. Gäbe es diese Filterfunktionen nicht, könnten die Ameisen am Ende völlig unbrauchbare, womöglich absurde Ergebnisse produzieren. Sound: Schwarm, darüber Autor Noch stehen diese Ansätze der mehrdimensionalen Suche ganz am Anfang. Doch wenn es den Forschern gelingt, sie zur Anwendungsreife zu bringen, könnten sie künftig nicht nur die Entwicklung von Motoren und Maschinen beflügeln, sondern auch versteckte Infos aus statistischen Datensätzen zutage fördern und eines Tages sogar Schwärme von Rettungsrobotern und Planetensonden steuern. Aber das ist wirklich Zukunftsmusik. Sound: Schwarm (ausblenden) Blatt 12 Moderator Frank Grotelüschen berichtete, und er wagte auch einen Blick in die Zukunft. Das Schwarmprinzip ist faszinierend: Simple Elemente, die sich mit einfachen Regeln verständigen und die dennoch ein hochkomplexes Verhalten zustande bringen. Kollektive, die auch ohne zentrale Instanz und ohne straffe Organisation zum Ziel kommen. Ameisenstaaten eben, die clevere Strategien zur Futtersuche entwickelt haben. Oder Sardinenschwärme, die blitzschnell gemeinsam ausweichen und einen Raubfisch dadurch ziemlich verwirren können. Oder auch Vogelschwärme, Stare beispielsweise, die im Kollektiv einen großen Greifvogel in die Flucht schlagen können. Doch inwieweit findet sich solches Schwarmverhalten auch bei uns Menschen? Das wollten Bremer Forscher vor einiger Zeit mit deinem Massenversuch herausfinden. Frank Grotelüschen hat sich das Spektakel angeschaut und vor allem angehört. Atmo Knacken (einzeln) Sprecher Ein Stadtfest in Bremen, auf der Bühne läuft ein Showprogramm. Der Mathematiker Ulrich Krause hat jedem Besucher ein Spielzeug in die Hand gedrückt – ein Blechinsekt, das, wenn man draufdrückt, laut knackt. O-Ton 1 (Krause) „Das ist dieses Knacken mit Blechinsekten. Schwarm heißt dabei, dass sie plötzlich alle synchron sind – eine Art Sirren wie bei Zikaden oder Grillen.“ Sprecher Ameisen, Bienen, Fische, Vögel – sie alle agieren zuweilen als Schwarm. Mit Hilfe simpler Regeln können sie sich synchronisieren und so erstaunliche Verhaltensweisen produzieren: Bienen und Ameisen Blatt 13 bilden riesige Staaten, arbeitsteilig und gut organisiert. Zugvögel fliegen zu Tausenden gen Süden und finden gemeinsam ihren Weg. Sardinen sammeln sich zu Schwärmen und entkommen ihren Feinden. O-Ton 2 (Krause) „Man ist verblüfft, wenn man sieht, was diese Schwärme machen. Man ist beeindruckt von Wildgänsen, wie sie Formationen fliegen, ohne dass ihnen jemand sagt: Du fliegst so!“ Sprecher Nur: Findet sich ein solches Verhalten auch beim Menschen, und zwar auf unbewusster Ebene? Um das herauszufinden, hat Krause den Massenversuch mit dem Knackinsekt initiiert. Das Experiment beginnt, auf der Bühne schnappt sich ein Comedian das Mikrofon. Ein gewisser Dr. Balz, selbsternannter Knackologe. O-Ton 3 (Balz) „Wir machen drei verschiedene Versuche. Die Regel Nummer 1 beim ersten Versuch ist: Wer ein Knackinsekt hat, knacke!“ (Knackgeräusche) O-Ton 4 (Balz) „Regel Nummer 2 – das mache ich einmal vor. Genau zugucken, meine Damen und Herren: Sprecher Dr. Balz knackt, dann macht er eine Sekunde Pause, dann knackt er wieder. O-Ton 5 (Balz) „Und los!“ (Knackgeräusche) Sprecher Zunächst knackt es wild durcheinander. Doch nach einer halben Minute erkennt man so etwas wie einen Takt. Blatt 14 O-Ton 6 (Balz) „Einen Durchgang haben wir noch: Und da gibt es eine dritte Regel: Knacke, wenn dein Nachbar knackt!“ (Knackgeräusche) Sprecher Erneut beginnt es chaotisch, doch dann baut sich ein Rhythmus auf. Mit seinem Laptop nimmt Mathematiker Krause das Knacken auf. Dreimal hatte Dr. Balz die Zuschauer zum Knacken animiert, mit jeweils unterschiedlichen Anweisungen. O-Ton 7 2:03 (Krause) „Das erste war: Man knackt einfach vor sich hin, jeder für sich. Das war, wie man auch erwarten sollte, diffus. Dann war die Frage: Wenn es gewisse Interaktionen zwischen den Leuten gibt, zum Beispiel: Man knackt nicht regellos, sondern macht Knick-Knack. Und das macht jeder. Und da gab es schon kleinere Rhythmen. Und das dritte war dann die Regeln: Knacke wenn dein Nachbar knackt.“ Sprecher Hier war der Rhythmus am klarsten, das Schwarmverhalten am deutlichsten. In bestimmten Situationen also kann auch der Mensch zum Schwarm werden. Und dann stößt Krause in den Daten auch noch auf eine Überraschung, und zwar eine mysteriöse... O-Ton 8 4:24 (Krause) „Wir haben dann Männer unter sich synchronisieren lassen und dann Frauen unter sich. Und da stellt sich heraus: Die Synchronisation bei Männern war sehr viel deutlicher als bei Frauen. Ich habe bis heute keine Erklärung.“ Atmo Knacken Blatt 15 Moderator Auch Homo sapiens zeigt manchmal tierisches Schwarmverhalten. Davon berichtete Ihnen der Physiker und Wissenschaftsautor Frank Grotelüschen. Die so genannte Schwarmintelligenz ist natürlich nicht nur ein Forschungsthema der Theoretiker. Sondern sie wird auch ganz praktisch erforscht, im Freiland, im Labor, zum Beispiel an Ameisen. O-Ton 3 "Das Spannende an Ameisen ist für mich, dass sie in Gemeinschaften leben, so wie der Mensch letztendlich auch, aber dass die Gemeinschaften ganz anders organisiert sind." Moderator Prof. Susanne Foitzik, Universität Mainz. Am Institut für Zoologie erforscht sie die Evolution und das Verhalten von Ameisen. Genauer: von Ameisenstaaten; von wirklich winzigen Ameisenstaaten. O-Ton 4 "Ich beschäftige mich tatsächlich nicht mit den großen WaldameisenHügeln, sondern mit Ameisen, die in sehr kleinen Kolonien leben, zum Beispiel, wo eine ganze Kolonie in eine Eichel passt – wo eine Königin drin lebt, ferner um die 30 Arbeiterinnen. Dennoch findet man darin Arbeitsteilung, dass bestimmte Tiere spezialisiert sind auf Nahrungssuche zu gehen, dass andere Tiere sich um die Brut kümmern. Wir finden, dass sich Kolonien im Verhalten unterscheiden, dass es aggressive Ameisenkolonien gibt und von derselben Art weniger aggressive, und wir versuchen zu verstehen, wie es zum Beispiel zu dieser Verhaltensvariabilität kommt. Das heißt, es gibt im Verhältnis zum menschlichen Verhalten sehr viele Ähnlichkeiten, aber auch sehr viele Unterschiede in der Organisation. [[Also dass Ameisenkolonien stark selbstorganisiert funktionieren, dass die keiner morgens – also nicht die Königin – zum Appell holt und sagt, ihr macht dies, ihr macht jenes, sondern dass mit relativ einfachen Verhaltensregeln relativ produktive Kolonien entstehen, die auch arbeitsteilig organisiert sind."]] Moderator Es ist kaum zu glauben: Eine Ameisenkolonie, die in eine einzige Eichel passt. Kaum einem Wanderer wird eine solche Kolonie je aufgefallen sein, wenn er abseits der Wege durch einen Eichenwald Blatt 16 geschlendert ist. Und schon gar nicht wird dem Wanderer bewusst gewesen sein, was er da unter seinen Füßen alles zertreten hat. Die Eicheln müssen übrigens schon hohl sein, bevor sie von den winzigen Ameisen besiedelt werden. Susanne Foitzik: O-Ton 5 "Die nehmen Eicheln, die schon befallen sind von Käferlarven, die dann die Eichel ausgehöhlt haben, oder zumindest zum Teil; die Ameisen sind nicht in der Lage, selber ein Loch hineinzubohren oder sie auszuhöhlen, sondern sie nehmen vorgeformte Hohlräume in alten Eicheln am Waldboden, können dann aber in sehr hohen Dichten vorkommen. Wir waren grad gestern im Feld und haben auf einem Quadratmeter elf Kolonien gefunden, und das sind nicht unbedingt ungewöhnliche Dichten." Moderator Weil Ameisen in unseren Wäldern recht häufig sind und weil sie im Labor relativ einfach gehalten werden können, sind sie seit Jahrzehnten ein beliebtes Objekt der Verhaltensforschung. Die Biologie-Professorin Susanne Foitzik erforscht aber nicht nur die einheimischen Winzlings-Ameisen, sie erforscht auch deren nordamerikanische Verwandte. Was sie über die zu berichten weiß, das klingt nach Science fiction. Es sind aber keine Erfindungen eines Schriftstellers, sondern – salopp gesprochen – es sind Erfindungen der Evolution. O-Ton 6 "Sklavenhalter sind auch Ameisenarten, mit denen wir uns beschäftigen; Arten, die andere Ameisenarten versklaven. Die Sklavenhalter-Königinnen dringen in Wirtsnester einer anderen Art ein, bringen die Königin um und vertreiben die erwachsenen Arbeiterinnen, übernehmen die Brut, und wenn die Brut schlüpft, dann – in Anführungsstrichen – 'denken' die, das ist ihre Mutter und arbeiten für die Sklavenhalter-Königin. Und im nächsten Jahr entstehen Sklavenhalter-Arbeiterinnen, die benachbarte Nester überfallen und dort Brut klauen, so dass immer Sklaven im Sklavenhalter-Nest leben. Diese Sklaven sind dann diejenigen, die die Brutfürsorge machen, auf Nahrungssuche gehen, eigentlich alle Arbeiten im Nest machen, während Sklavenhalter-Arbeiterinnen nur die Funktion haben, weitere Sklaven zu rekrutieren indem sie Nachbarnester überfallen." Blatt 17 Moderator Die Sklavenhalter-Königin beschafft sich also zunächst ihre Sklaven, sie lässt sich von diesen versklavten Ameisen mit Nahrung versorgen, und sie legt dann erst Eier ab. Die eigenen Jungtiere besorgen dem kleinen Sklavenhalter-Staat anschließend stetig neue Sklaven. Auch diese Arten sind so winzig, dass ihre Kolonien am Waldboden in Eicheln oder in hohlen Stöckchen hausen. In den USA haben Studierende der Mainzer Arbeitsgruppe von Susanne Foitzik das Verhalten der Sklavenhalter-Ameisen dokumentiert, in zahlreichen Freilandexperimenten. Aber es ist den Mainzer Forscherinnen und Forschern auch gelungen, die Aktivität solcher Ameisen im Labor zu beobachten, unter kontrollierten Bedingungen. O-Ton 7 "Im Prinzip setzen wir uns einfach in die Laubstreu, öffnen alle möglichen Hohlkörper am Waldboden – Stöckchen, Eicheln, Nüsse, teilweise auch Grashalme, die etwas robuster sind – und wenn wir Ameisen finden, tun wir die in ein Plastiktütchen, verschließen es, ein bisschen Laubstreu dazu, vielleicht ein feuchtes Tuch noch, und transportieren die hierher, wo wir sie in kleine Nester umsetzen und beobachten können. Die Kolonien sind sehr langlebig: Eine Königin wurde schon mal 27 Jahre lang gehalten; nicht alle Kolonien werden so alt. Da ist tatsächlich etwas, was wir noch nicht so genau untersuchen können, weil wir sehr schlecht im Feld das Alter einer Kolonie bestimmen können." Moderator Die Mainzer Verhaltensbiologen konnten auch nachvollziehen, warum diese Ameisenkolonien zwar langlebig sind, sie aber dennoch nicht zu großen Kolonien heranwachsen. Die großen Roten Waldameisen leben zum Beispiel in Kolonien von mehreren tausend oder sogar mehreren zehntausend Arbeiterinnen. Genügend Zeit, um zu solch einer großen Kolonie heranzuwachsen, hätten auch die Sklavenhalter-Kolonien. Jedoch: 0-Ton 8 "Je größer ein Nest wird, desto weniger produktiv ist es pro Arbeiterin. Und das ist vermutlich deshalb so, weil diese Ameisen einzelne Arbeiterinnen losschicken, die dann zum Beispiel eine tote Fliege findet Blatt 18 und zurückträgt. Die nehmen immer neu Beutestücke, die so groß sind, dass sie sie selber transportieren können. Sie tun nie auf Beute hin rekrutieren." Moderator Das heißt, sie geben ihren Kolleginnen im Ameisenstaat nie Bescheid, wenn sie eine lohnende Futterquelle entdeckt haben. Jede Arbeiterin muss ganz auf sich gestellt nach Nahrung suchen. 0-Ton 9 "Was dazu führt, dass, wenn das Nest immer größer wird, man nicht von der Größe profitiert, sondern dass die Tiere immer weiter laufen müssen, um genug Nahrung für die Tiere zu bekommen. Dadurch sinkt die Produktivität, weil die 'Reisezeit' zur Futterquelle immer höher wird. Das heißt, diese Ameisen sind sehr häufig, haben aber ein Verhalten, wo sie von der Masse nicht profitieren." Moderator Lernen von den Ameisen und von anderen Schwarmtieren. Darum ging es heute in hr-iNFO-Wissenswert. Und wenn wir Sie neugierig gemacht haben auf weitere Beiträge der Reihe Wissenswert, dann schauen Sie einfach mal in unser Podcast-Angebot auf hr-inforadio.de, unter der Rubrik Wissenswert.