Das Studium von interzellulären Variationen in genetisch identischen Populationen hat sich den letzten Jahren als ein relevanter Forschungsschwerpunkt etabliert. Um der intrinsischen, von Zufallsprozessen geprägten Natur der Genexpression gerecht zu werden, eignen sich vor allem stochastische Methoden zur theoretischen Beschreibung. Auf Grund der hergeleiteten komplexen Ausdrücke werden in den meisten Fällen jedoch approximative Methoden herangezogen, um biologisch relevante Aussagen, z.B. über die Populationsverteilung, machen zu können. Im Zuge neuer experimenteller Methoden, die z.B. zeitaufgelöst die Genexpression in einzelnen Zellen protokollieren können, muss die bisherige theoretische Beschreibung von Expressionsdaten, die sowohl über den Zellzyklus als auch über viele Individuen einer Population mittelt, erweitert werden. Rausenberger und Kollmann (2008) entwickeln eine mikroskopische Beschreibungsweise für Genexpression. Die zeit- und zellzyklusabhängige Theorie stellt eine Verallgemeinerung der bisherigen stationären Theorie dar. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Herleitung analytischer Ausdrücke, die dazu dienen, Fluktuationen der zu Grunde liegenden Prozesse von Promoteraktivierung, Transkription und Translation zu quantifizieren. Des Weiteren kann der Variationskoeffizient, der die relativen Fluktuationen unabhängig vom Expressionsniveau quantifiziert, an jedem Punkt innerhalb des Zellzyklusses berechnet werden. Rausenberger und Kollmann (2008) zeigen, dass eine klare Unterscheidung von intrinsischen von extrinsischen Ursachen für Genexpressionsrauschen auf Grundlage der zeitabhängigen Theorie möglich ist, nicht aber auf der Basis der bisherigen stationären Theorie. In einer aufbauenden Studie identifizieren Rausenberger et al. (2009) das Induktionsniveau des Transkriptionsfaktors als eine mögliche Einflussgröße, um unterschiedliche Ausprägungen von Genexpressionsrauschen zu unterscheiden. Wenn es in naher Zukunft experimentell möglich sein wird, zeitaufgelöste Daten in großer Menge und für verschiedene Komponenten herzustellen, wird die entwickelte zeitabhängige Theorie von großem Wert sein, da sie direkt zur Quantifizierung von interzellulären Fluktuationen angewendet werden kann. Eine mikroskopische Betrachtungsweise des biologischen Systems wird hinfällig, wenn z.B. der Zeitverlauf hoher Teilchenzahlen untersucht wird. Fluktuationen können vernachlässigt werden und eine deterministische Beschreibung des Systems ist angemessen. Rausenberger et al. (2010) verfolgen einen deterministischen Modellansatz und entwickeln ein quantitatives Modell, das die zu Grunde liegende Proteindynamik in das Keimlingswachstum des Modellorganismus Arabidopsis thaliana integriert – die durch Phytochrom B vermittelte Photomorphogenese soll untersucht werden. Phytochrome sind Photorezeptoren, die durch Rotlicht aktiviert werden und somit den Rot-Anteil des Lichts optimal detektieren können. Da die zu Grunde liegenden Daten von ganz unterschiedlichen Experimenten erzeugt wurden, liegt ein Schwerpunkt der Studie auf der Entwicklung von Untermodellen, die die einzelnen Experimente adäquat widerspiegeln. In einem Multi-Experiment-Fit können somit die kinetischen Ratenkonstanten der Proteindynamik und des Keimlingswachstums gleichzeitig geschätzt werden. Rausenberger et al. (2010) leiten eine funktionelle Abhängigkeit des Keimlingswachstums von der Photorezeptormenge her, die von eigenen und bereits publizierten Daten stark untermauert wird. Pflanzen verwenden aber auch für die Wahrnehmung von dunkelrotem Licht Phytochrome, das sogenannte Phytochrom A, obwohl dieses aufgrund seiner photophysikalischen Eigenschaften schlecht dafür geeignet ist. Durch Kombination experimenteller Ansätze und mathematischer Modellierung haben Rausenberger et al. (2011) eine Erklärung für dieses seit langem bekannte Paradoxon gefunden. Aufbauend auf experimentellen Befunden lässt sich ein mathematisches Reaktionsmodell für die Wirkung von Phytochrom A aufstellen. Ziel ist es, herauszufinden, ob dieses Modell eine optimale Wirkung im dunkelroten Licht widerspiegelt und welche Reaktionen in diesem Netzwerk grundlegend für dieses Phänomen sind. Ein erster qualitativer Analyseansatz bestätigt zwar, dass das Reaktionsnetzwerk die gewünschten Eigenschaften zeigt, der zugrunde liegende Mechanismus kann mit diesem Ansatz allerdings nicht identifiziert werden. Hierfür entwerfen Rausenberger et al. (2011) theoretische Netzwerke mit Phytochromen und zeigen, dass schon einfache Netzwerkmodifikationen die gewünschte Eigenschaft der maximalen Wirkung im dunkelroten Licht liefern. Somit haben Pflanzen für die Wahrnehmung von dunkelrotem Licht im Laufe der Evolution also nicht einen völlig neuen Photorezeptor entwickelt. Vielmehr verwenden sie einen Photorezeptor, der eigentlich optimal ist, um Rotlicht zu detektieren, und integrieren diesen in ein Netzwerk. Dieses Netzwerk erzielt als Ganzes eine maximale Wirkung im dunkelroten Licht und ermöglicht Pflanzen so das Überleben unter einer dichten Vegetationsdecke. Referenzen: - Rausenberger J, Kollmann, M. (2008) Quantifying Origins of Cell-to-Cell Variations in Gene Expression. Biophysical Journal 95:4523 - Rausenberger J, Fleck C, Timmer J, Kollmann, M. (2009) Signatures of Gene Expression Noise in Cellular Systems. Progress in Biophysics and Molecular Biology 100:57 - Rausenberger J, Hussong A, Kircher S, Kirchenbauer D, Timmer J, Nagy F, Schäfer E, Fleck C (2010) An integrative model for phytochrome B mediated photomorphogenesis: from protein dynamics to physiology. PLoS One, 5(5): e10721 - Rausenberger J, Tscheuschler A, Nordmeier W, Wüst F, Timmer J, Schäfer E, Fleck C, Hiltbrunner A (2011) Photoconversion and nuclear trafficking cycles determine Phytochrome A`s response profile to far-red light. Cell, 146(5):813