Was ist Lernen? - GIsommerseminar2014

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Der aktive Lerner - Grundlagen und Techniken für lebendiges Lernen
jenseits der Lehrbücher
Tag 1: Was ist Lernen?
Katharina Lauritsch und Pedro Fernández Michels
Tagesziele
Wir werden heute eine theoretische Basis für die restlichen Tage und Themenbereiche des
Seminars schaffen:
- Wir werden sehen, wie sich das Verständnis vom Lernen im 19. und 20. Jahrhundert
entwickelt hat
- Wir werden mithilfe verschiedener Aufgaben herausarbeiten, auf welchen Gedanken
die wichtigsten Lerntheorien basieren und inwieweit sie unsere tägliche Arbeit als
Lehrer beeinflussen
- Wir werden eine Zusammenfassung allgemein anerkannter Grundprinzipen für
effektives Lernen kennen lernen, die als Ausgangspunkt für unsere weitere Arbeit
dienlich sind.
Vorüberlegungen
Die Suche nach lebendigeren Lernaktivitäten, nach mehr Entscheidungsspielraum für die
Lerner innerhalb ihres Lernprozesses, nach größerer Realitätsnähe, nach Lernprozessen und –
angeboten, die den Lerner als Person ins Zentrum des Geschehens stellen usw. hat ihre
Begründung in dem heutigen Verständnis von Lernen. Dieses basiert auf wissenschaftlichen
Erkenntnissen, die es erlauben, tragfähige Hypothesen darüber anzustellen, wie man am
effektivsten und auch am menschlichsten lernt.
Wir beginnen das Sommerseminar 2014 darum mit dem Versuch, das Phänomen “Lernen”
gründlich zu beleuchten und zu erfassen. Die Ergebnisse dieser Betrachtung sollen als
Ausgangspunkt und theoretische Basis für die Bereiche unseres Seminars dienen, die sich ganz
spezifisch mit den Möglichkeiten der Veränderung (Verbesserung) unseres alltäglichen
Sprachenlehrens beschäftigen.
Wir laden Sie dazu ein, im Verlauf des Seminars ein Lernportfolio anzulegen, das Ihre
Beschäftigung mit dem Gegenstand der Veranstaltung dokumentiert. Dadurch wird Ihre eigene
Beteiligung am Seminar bewusster. Zudem erhalten Sie so eine Basis für die Reflexion und die
weitere Arbeit am Thema.
Die Erstellung des Portfolios unterstützen wir durch passende Fragen und Arbeitsaufträge.
Aufgabe 1:
Sozialform: Tischgruppen
Zeit: 15 Minuten
Lesen Sie die folgenden Zitate zum Thema “Lernen”.
Wählen Sie an Ihrem Tisch ein Zitat aus, das Ihrer Meinung nach den Begriff des Lernens
besonders gut umreißt.
Bereiten Sie einen einzigen Satz vor, mit dem Sie Ihre Wahl vor dem Plenum begründen.

Die Autorität des Lehrers schadet oft denen, die lernen wollen.
Marcus Tullius Cicero

Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst
zu entdecken.
Galileo Galilei

Was wäre ich denn, wenn ich nicht immer mit klugen Leuten umgegangen wäre und
von ihnen gelernt hätte?

Wenn man ins Wasser kommt, lernt man schwimmen.

Wir behalten von unseren Studien am Ende doch nur das, was wir praktisch
anwenden.

Irrend lernt man.

Überall lernt man nur von dem, den man liebt.
Johann Wolfgang Goethe

Lerne was, so kannst du was.
Deutsches Sprichwort

Lernen besteht in einem Erinnern von Informationen, die bereits seit Generationen in
der Seele des Menschen wohnen.
Sokrates

Erst lernen, dann selbständig denken.
Aus dem Talmud

Lernen tut weh.
Aristoteles

Man lernt am schnellsten und besten, indem man andere lehrt.
Rosa Luxemburg

Lernprozesse sind Sterbe- und Geburtsprozesse, ein erfahrbares Stirb-und- werde.
Manfred Hinrich

Um zu wissen, nimm, um zu lernen, gib.
Baskisches Sprichwort

Gebrauch tut mehr als Meisterlehr.
Deutsches Sprichwort

Der Hauptzweck der Ausbildung besteht nicht im Lernen,
sondern im Vergessen.
Gilbert Keith Chesterton

Was uns am Lernen hindert, ist das, was wir zu wissen glauben.
Ingo Diem

Lernen muss man mit dem ganzen Körper.
Johann Friedrich Oberlin

Das Lernen vieler Dinge lehrt nicht Verständnis.
Heraklit
Platz für Notizen:
Aufgabe 2:
Sozialform: Tischgruppen
Zeit: 10 Minuten
Sehen Sie sich diese Wörter und benutzen Sie einige davon, um den Begriff des Lernens zu
definieren. Sie dürfen die Begriffe leicht verändern, also zum Beispiel aus einem Substantiv ein
Verb machen. Sie dürfen auch mehr als einen Satz schreiben.
Lesen Sie am Ende Ihre Definition im Plenum vor.
Platz für Notizen:
Wie sahen das die alten Griechen?
Für Platon bedeutet Lernen Wiedererinnerung, und zwar der Ideen, die die Seele immer schon
in sich trägt und die anlässlich konkreter Sinneseindrücke reaktiviert werden.
Für Aristoteles ist die Seele eine tabula rasa (eine leere Tafel), auf die Sinneseindrücke
eingetragen werden; Lernen bedeutet so gesehen, Aufnahme und Speicherung von
Sinnesdaten.
Wie sieht man es heute?
In der jüngeren Geschichte sind über den Versuch, das Phänomen des Lernens zu beschreiben
und das Lernen selber verstehbar und optimierbar zu machen, verschiedene Lerntheorien
entstanden.
Wir benutzen das Wort Lerntheorien bewusst im Plural, denn es gibt nicht nur eine
allgemeingültige Theorie, sondern verschiedene Ansätze mit wiederum verschiedenen
Verzweigungen und Varianten.
Lerntheorien sind systematische Erklärungen von Lernprozessen. Oft werden Lerntheorien
auch Verhaltenstheorien genannt.
Aufgabe 3:
Sozialform: Tischgruppen
Zeit: 15 Minuten
Überlegen Sie kurz: Was kann man bei einem lernenden Menschen beobachten? Was nicht?
Sehen Sie sich dazu auch die Denkhilfen unten an.
Tauschen Sie sich kurz im Plenum aus.
Denkhilfen:
Allgemein unterscheidet man zwischen zwei Hauptgruppen von Lerntheorien. Dabei spricht
man einerseits von Behaviorismus, andererseits von Kognitivismus.
Wenn wir zu den englischen Begriffen “Behaviour” und “Cognition” ein Assoziogramm machen
würden, dann kämen wir sehr wahrscheinlich auf einige der Begriffe, die Sie sich gerade
genauer angesehen haben.
Wahrscheinlich passt Ihre Einteilung in beobachtbar und nicht beobachtbar zu dieser Tabelle
hier unten.
Behaviour
Benehmen
Verhalten
Umwelt und Mensch
Reiz
Reaktion
Konditionierung
Cognition
mentaler Prozess
Aufmerksamkeit
Arbeitsgedächtnis
Verstehen
Informationsverarbeitung
Erkenntnis
Der Behaviorismus
Die Theorie des Behaviorismus wird im zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA entwickelt.
Die amerikanischen Psychologen waren in erster Linie an dem Verhalten von Individuen
interessiert. Nur Dinge, die man beobachten konnte, waren dabei von Interesse. Formen von
Introspektion, also von der Betrachtung, Beschreibung und Interpretation von “inneren”
Vorgängen, die in europäischen Strömungen der Psychologie praktiziert wurden, wurden von
den Behavioristen nicht akzeptiert.
Alles, was man nicht direkt beobachten konnte, wurde abgewiesen. Darunter fiel auch etwa
die Hälfte der von Ihnen in der letzten Aufgabe bearbeiteten Konzepte.
Quelle: https://www.uni-due.de/edit/lp/behavior/behavior.htm
Für den Behaviorismus ist der Mensch ein Produkt seiner Umwelt. Äußere Umweltreize oder
Stimuli treffen auf das Individuum. Jegliches Verhalten wird durch Erfahrungen mit der Umwelt
erlernt. Nichts ist angeboren.
Jeder Umweltreiz zieht eine Reaktion nach sich (Stimulus-Response; S-R-Psychologie). Jegliches
Verhalten, auch komplexe Verhaltensmuster, können in Reiz-Reaktions-einheiten zerlegt
werden.
Lernen ist dabei nichts anderes als das Angewöhnen von bestimmten Reaktionsmustern.
Lehren wäre dabei das Bereitstellen von geeigneten Reizen und das Verstärken positiver oder
gewollter Reaktionen, zum Beispiel durch Belohnung bzw. das Unterbinden negativer oder
ungewollter Reaktionen, zum Beispiel durch Bestrafung.
Im Bereich des Fremdsprachenlernens ergibt sich daraus, dass Lernen dann stattfindet, wenn
auf eine Frage (Stimulus) mit einer richtigen Antwort reagiert wird (Response). Das Lernen
wird gefestigt, wenn bei einer Serie von richtigen Antworten auf gleichartige Fragen positive
Konsequenzen für das richtige Verhalten gegeben werden. Nicht-Lernen wird korrigiert, indem
auf falsche Antworten negative Konsequenzen kommen und die Frage-Antwort-Serie wieder
um einen oder mehrere Schritte zurückgesetzt wird.
Aufgabe 4:
Sozialform: Tischgruppen
Zeit: 15 Minuten
Kennen Sie aus dem Sprachunterricht oder aus Lehrbüchern Übungssequenzen, die diesem
Muster in etwa folgen? Wir haben für Sie einige Lehrbücher bereit gelegt. Schauen Sie doch
mal hinein
Berichten Sie im Plenum.
Platz für Notizen:
Behaviorismus und computergestütztes Lernen
Die ersten Überlegungen zum Einsatz von Computern beim Sprachenlernen sind von der
Theorie des Behaviorismus geprägt. Man sah im Computer die Möglichkeit, eine effiziente
programmierte Unterweisung der Lerner zu gestalten. Das Ergebnis waren sogenannte Drill
and Practice Programme.
Auch heute noch gibt es viele Beispiele solcher Lernprogramme. Die wohl am weitesten
verbreiteten basieren auf R/F- und Multiple-Choice-Fragen (Reiz) mit direktem Feedback
(Konsequenz) auf die abgegebene Antwort (Reaktion). Einige dieser Programme beinhalten
sogenannte adaptive Funktionen, die je nach Antwort eine spezifisch angepasste Folgefrage
nachschieben, mit dem Ziel, den Lerner entweder auf die nächsthöhere Schwierigkeitsstufe zu
bringen oder ihn das gleiche Konzept weiter üben zu lassen. Solche computergestützte
Übungen kann man heute selber bauen, zum Beispiel in virtuellen Lernumgebungen wie
MOODLE.
In einem ähnlichen Zusammenhang stehen viele computergestützte Sprachlernspiele. Einige
Beispiele dazu gibt es in diesem Wiki:
http://ludoweb2014.wikispaces.com/Spiele+selber+bauen
Klassische und operante Konditionierung
Die klassische Konditionierung ist vielen Leuten bereits durch das Beispiel des Pawlowschen
Hundes bekannt.
Ivan Petrovich Pawolow hat durch Versuche mit einem Hund nachweisen können, dass
spontane Reaktionen (Reflexe; nicht erlernt), wie z.B. die Speichelproduktion, nicht nur durch
unkonditionierte Reize (z.B. Essensgeruch aus einer Pizzeria) ausgelöst werden können,
sondern durch andere, ursprünglich neutrale Reize.
Dazu muss der neutrale Reiz wiederholt zusammen mit dem unkonditionierten Reiz
wahrgenommen werden.
Stellen wir uns vor, dass aus der besagten Pizzeria nicht nur der herrliche Pizzageruch strömt,
sondern auch die elektronische Musik eines Geldspielgerätes.
Jemand, dem beim Pizzageruch das Wasser im Mund zusammenläuft, der dabei aber auch
immer den Geldspielautomaten hört, bekommt nach einiger Zeit auch nur beim Hören dieses
Automaten einen wässrigen Mund, ganz ohne den Pizzaduft. Der zunächst neutrale Reiz des
Automatengeräuschs ist zu einem konditionierten Reiz geworden. Die zu Beginn spontane
Reaktion auf Pizzaduft ist zu einer erlernten oder konditionierten Reaktion auf
Geldspielautomatenmusik geworden.
Wenn man jetzt noch den Klang des Geldspielautomaten mit einem anderen zunächst
neutralen Reiz paart, kann man die Reaktion des Speichelflusses auch auf diesen übertragen.
Man spricht dann von einer Konditionierung höheren Grades. Vorteil ist dabei, dass man nicht
mehr auf ausschließlich biologisch relevante Reize angewiesen ist.
Durch die Möglichkeit der Konditionierung ist es im Grunde machbar, Verhaltensweisen durch
ein unbegrenztes Repertoire an praktisch beliebigen Reizen kontrollierbar zu machen.
Wenn Sie eines Tages bemerken, dass Sie beim Hören eines Werbe-Jingles Appetit auf
Schokolade bekommen, sollten Sie sich fragen, ob da nicht jemand an Ihnen
„herumkonditioniert“ hat.
Mit operanter Konditionierung bezeichnet man die Beeinflussung eines gezeigten Verhaltens
durch die Reaktion auf dieses Verhalten. Behavioristisch angelegte Lernprogramme basieren
stark auf diesem Aspekt der Verhaltensverstärkung durch Belohnung oder positives Feedback.
Das Ausbleiben von Belohnung soll hingegen das Verhalten korrigieren oder abstellen.
Hier spricht man auch von operantem Lernen bzw. von instrumentellem Lernen, denn mein
Verhalten (meine Antworten, Lösungen, Arbeitsergebnisse usw.) sind ein Instrument zum
(Wieder)erlangen einer positiven Reaktion. Mein Lernen dient also als Mittel zur Befriedigung,
die durch die positive Reaktion auf mein Lernen ausgelöst wird.
Aus dem Gedanken des Behaviorismus entwickelte sich das programmierte
Fremdsprachenlernen. Hier stand kleinschrittiges Vorgehen im Vordergrund, bei dem jeder
Lernschritt exakt definiert ist, so dass über einen seriellen Nachvollzug der Einzelschritte am
Ende das umfangreiche Beherrschen der Zielsprache steht.
Die zu lernenden Inhalte werden in einer langsam ansteigenden Schwierigkeitskurve
präsentiert. In regelmäßigen Abständen werden dem Lerner Fragen gestellt, die in der Regel so
einfach sind, dass positives Feedback für richtige Antworten wesentlich häufiger vorkommt als
negatives Feedback. Die Häufung des positiven Feedbacks auf einer Basis des sich langsam
verkomplizierenden Stoffes wurde von Skinner als entscheidend für erfolgreiches Lernen
angesehen.
Kritik am Behaviorismus
Aufgabe 5:
Sozialform: Tischgruppen
Zeit: 15 Minuten
Sie können sich sicher vorstellen, dass der Behaviorismus nicht selten kritisiert wurde. Welche
kritisierbaren Aspekte fallen Ihnen aus der Sicht des Lehrers und des Lerners ein?
Tauschen Sie Ihre Gedanken im Plenum aus.
Platz für Notizen:
Bildquelle: Cziborra (2000)
Kritikpunkte:
-
Gibt es wirklich eine objektive Realität, die von allen Lernenden gleich wahrgenommen
wird.
Ist menschliches Verhalten bloße beobachtbare Reaktion auf Reize?
Kann man von den Ergebnissen der Tierversuche wirklich direkt auf den Menschen
schließen?
Können die Lehrenden wirklich wissen, was die Lernenden in Zukunft wissen müssen?
Können (sollten) die Lehrenden wirklich den gesamten Lernprozess der Lernenden
steuern?
Existiert wirklich eine optimale Reihenfolge für die Lernimpulse?
Welche Rolle spielen Denkprozesse und die Beziehung zwischen neuer Information
und bereits Gelerntem?
Welche Rolle spielt der Prozess der Informationsverarbeitung?
Welche Rolle spielen die Konsequenzen menschlichen Verhaltens?
Wiederholungen und Atomisierung der Lerninhalte machen den Lernprozess
langweilig und frustrierend.
Die Zerstückelung des Lerninhalts in kleine Schritte erlaubt keinen Blick auf den
Gesamtzusammenhang komplexer Themen.
Bei Anwendung behavioristischer Ansätze im Bereich des computergestützten Lernens
kommt die soziale Komponente zu kurz. Computergestützte Lernprogramme führen
oft zu Isolierung.
Fehlendes differenziertes Feedback bei Fehlern, da vor allem die positive Verstärkung
richtiger Lösungen angestrebt war.
Ausklammerung des Fehlers als unterstützendes Element beim Lernprozess durch
Reflexion.
Die lineare Darstellung von Lerninhalten lässt keinen Raum für individuelle
Schwerpunkte
-
Die Fähigkeit zur Problemlösung spielt keine Rolle. Wichtig ist nur die Wiedergabe von
Informationen.
Der Lerner wird nicht aktiviert. Er bleibt passiv.
Lerner, die nach behavioristischen Prinzipien lernen, können sich wahrscheinlich nicht
gut und schnell auf sich ändernde Situationen einstellen.
Behavioristisches Lernen ist oft Faktenlernen. Komplexe Zusammenhänge werden
nicht beleuchtet.
Die kognitive Wende
Die sogenannte kognitive Wende erfolgte in den sechziger Jahren. Den Hauptunterschied zum
Behaviorismus kann man folgendermaßen veranschaulichen.
Quelle: https://www.uni-due.de/edit/lp/kognitiv/kognitiv.htm
Aufgabe 6:
Sozialform: Tischgruppen
Zeit: 20 Minuten
Sie sehen, dass die ominöse „Blackbox“ einem hellen Feld für kognitive Prozesse gewichen ist.
Was heißt das aber konkret? Können Sie diese neue Sichtweise genauer erklären?
Machen Sie sich zehn Minuten lang Gedanken in Ihrer Tischgruppe. Tauschen Sie sich dann im
Plenum aus.
Platz für Notizen:
Aufgabe 7:
Sozialform: Tischgruppen
Zeit: 15 Minuten
Sie bekommen 20 leere Kärtchen. Mit diesen Kärtchen sollen Sie eine MindMap zum Begriff
des Kognitivismus bauen. Ihnen stehen dazu die Begriffe auf der nächsten Seite und unsere
Korkwände zur Verfügung. Sie brauchen nicht alle Begriffe zu benutzen und können im
Gegenzug auch eigene Begriffe verwenden. Am Ende stellen Sie Ihre MindMap vor.
Kognitivismus: Begriffe
In der kognitiven Lernpsychologie hat der Begriff der Strategie1 eine zentrale Bedeutung. Um
neue Informationen als solche richtig zu identifizieren, einzuordnen, an vorhandenes Wissen
anzudocken, zu speichern und in neues Wissen zu überführen, brauchen Lernende Strategien
der Informationsverarbeitung.
1 Über Lernstrategien und Lerntechniken werden Sie am zweiten Tag des Sommerseminars mehr erfahren.
Die Prozesse der Informationsaufnahme und –verarbeitung sowie die Möglichkeiten, diese
Prozesse zu optimieren, stehen also in der kognitiven Lernpsychologie im Vordergrund. Gerade
diese Prozesse wurden im Behaviorismus ausgeklammert.
Kognitivistische Lerntheorien
Im konzeptuellen Rahmen des Kognitivismus finden sich eine Reihe spezifischer Lerntheorien,
von denen wir an dieser Stelle die drei wohl bekanntesten vorstellen möchten.
Es handelt sich dabei um Erklärungsversuche, wie der Prozess des Lernens überhaupt in Gang
gebracht und gehalten wird.
a) Modelllernen
Die Theorie des Lernens am Modell wir auch häufig als soziale Lerntheorie bezeichnet, weil
sie fokussiert, wie Menschen durch Nachahmung von Modellen in einem sozialen Umfeld
lernen. Man kann diesen Prozess so verstehen, dass eine andere Person das Modell für
den Lernenden darstellt, weil diese Person eine Fähigkeit besitzt, die der Lernende auch
besitzen möchte. Der Lernende versucht nun, sich die Fähigkeit, oder das Wissen, für das
er sich interessiert, durch Beobachtung und Nachahmung anzueignen.
Bildquelle: Angermeier, Bednorz, Schuster (1991)
Aufgabe 8:
Sozialform: Plenum
Zeit: 8 Minuten
Können Sie Beispiele für alltägliche (Lern)situationen geben, in denen ein Lernen am Modell
erkennbar ist? Rufen Sie Ihre Ideen und Gedanken einfach ins Plenum.
b) Lernen durch Einsicht
Der Ausruf „Mir ist ein Licht aufgegangen!“ oder „Jetzt hab ich’s!“ ist eine anschauliche
Beschreibung dessen, was mit Lernen durch Einsicht gemeint ist.
Lernt man etwas durch Einsicht, so liegt diesem Prozess eine Veränderung der
Betrachtungsweise zugrunde. Man versteht und lernt etwas, indem man einen Gegenstand
oder ein Problem anders betrachtet und in verstehbare, bekannte Teilaspekte zerlegt.
Es handelt sich also um eine denkend vollbrachte Umstrukturierung und Neuorganisierung
des Problems, so dass die Sicht auf eine Lösungsstrategie frei wird.
Man kann auch sagen, dass Einsicht das plötzliche Wahrnehmen der Beziehung zwischen
den Einzelphänomenen einer Problemsituation ist.
Beim Lernen durch Einsicht kommt man also nicht durch blindes Probieren auf die Lösung
eines Problems, sondern durch Denkprozesse, an deren Ende ein neues Verhalten steht,
das wiederum ein Zeichen für Lernen ist.
Es ist klar, dass dieses Verständnis von Lernen dem Vermitteln von atomisierten
Informationseinheiten widerspricht. Einsicht setzt das Erkennen eines Kontextes voraus, in
dem die einzelnen Teilaspekte ein sinnvolles Gesamtbild ergeben.
Aufgabe 9:
Sozialform: Tischgruppen
Zeit: 10 Minuten
Sehen Sie sich die beiden Varianten einer Darstellung der Adjektivdeklination im Deutschen an.
Welche Darstellung entspricht eher dem Gedanken des Lernens durch Einsicht?
Können Sie weitere, ähnliche Beispiele aus Ihrer Lehr- und Lernrealität anführen?
Berichten Sie im Plenum.
Beispiel 1:
Beispiel 2:
c) Das Entwicklungsstufenmodell
Mit seinem Entwicklungsstufenmodell hat Jean Piaget beschrieben, wie sich Kinder
kognitiv entwickeln. Es handelt sich hierbei eigentlich nicht um eine Lerntheorie, sondern
um einen erkenntnistheoretischen Ansatz, der aber Konsequenzen für das Verständnis von
Lernen hatte.
In seiner kognitiven Entwicklung unterläuft das Kind nach Piaget vier verschiedene Phasen.
Jede dieser Phasen ist durch besondere Fähigkeiten zur Problemlösung gekennzeichnet,
aber auch durch spezifische Defizite, die beim Versuch der Problemlösung zu Fehlern
führen. Dazu kommt, dass jede Phase aus den Aktivitäten und Fähigkeiten der
vorangehenden Phase resultiert und selber wiederum eine Vorbereitung auf die nächste
Stufe ist.
Nach Piaget haben vier Faktoren Einfluss auf die Kognitive Entwicklung. Diese Faktoren
sind:
- Reifung, die das Kind erfährt, indem es die verschiedenen Entwicklungsstufen seiner
kognitiven Entwicklung durchläuft
- Aktive Erfahrung durch Handeln in der Umwelt
- Soziale Interaktion
- Streben nach Gleichgewicht
Etwas aktiv zu tun und seine Erfahrungen in einem Kontext sozialer Interaktion zu machen,
sind also wesentliche Voraussetzungen für effektives Lernen.
Der Gedanke des Strebens nach Gleichgewicht bedarf sicher einer eingehenderen
Erklärung:
1. Schema
Das Schema ist nach Piaget der Grundbaustein menschlichen Wissens. Es gibt
Verhaltensschemata, wie z.B. ein Schema für das Laufen, ein Schema für das Schwimmen,
ein Schema für das Radfahren etc.
Und es gibt kognitive Schemata, wie z.B. ein Schema für „Apfel“, das auf der Basis der
Eigenschaften des Apfels und der Erfahrung, die der Mensch mit Äpfeln gemacht hat,
aufgebaut ist.
Das menschliche Wissen kann so mit einem verzweigten System von Karteikarten oder mit
einer Art MindMap verglichen werden. Verhaltensschemata und kognitive Schemata
greifen dabei ineinander.
2. Streben nach Gleichgewicht: Adaptation, Assimilation, Akkomodation
So wie diese kleine MindMap oben könnte man sich das Schema für „Blume“ vorstellen.
Die betreffende Person hat über die Interaktion mit ihrer Umwelt das Schema „Blume“
entwickelt. Sie kennt eine Reihe von Phänomenen, die unter die Kategorie „Blume“ zu
fassen sind und sie hat Denk- und Verhaltensmuster entwickelt, die ihr helfen, bei einem
Umweltreiz, der in die Kategorie „Blume“ passt, angemessen zu reagieren. Die Person weiß
unter anderem, dass es Blumen mit Dornen gibt und dass Dornen stechen, dass also
manchmal Vorsicht angeraten ist, so z.B. beim Pflücken einer Rose.
Träfe die gleiche Person zum ersten Mal im Leben auf einen Brombeerstrauch, würde sie
wahrscheinlich die Dornen erkennen und Rückschlüsse auf eine mögliche
Verletzungsgefahr ziehen können. Sie würde das Phänomen „Brombeerstrauch“
hinsichtlich seiner Stechkapazität dank des vorhandenen Wissens über Blumen,
insbesondere Rosen, assimilieren.
Assimilation bedeutet also die Eingliederung neuer Umwelterfahrungen in schon
vorhandene subjektive Bezugssysteme.
Jemand, der bisher nur Mohnblumen begegnet ist und dann auf eine Rose trifft, könnte
versucht sein, die Rose so zu pflücken, wie er eine Mohnblume pflücken würde.
Der Versuch würde wahrscheinlich zu einer unangenehmen Erfahrung führen. Und auch
dazu, dass diese Person ihr Schema „Blume“ verändert oder erweitert. Hier spricht man
von Akkomodation.
Mit Akkomodation bezeichnet man also die Erweiterung oder Anpassung eines
existierenden Schemas an eine Situation, die man mit dem vorhandenen Schema nicht gut
bewältigen kann.
"Piaget betrachtete die kognitive Entwicklung als Ereignis des ständigen Wechselspiels von
Assimilation und Akkommodation. Die Assimilation bewahrt und erweitert das Bestehende
und verbindet so die Gegenwart mit der Vergangenheit, und die Akkommodation entsteht
aus Problemen, die die Umwelt stellt, also aus Informationen, die nicht zu dem passen,
was man weiß und denkt." Zimbardo & Gerrig (1999, 463)
Aufgabe 10:
Sozialform: Tischgruppen
Zeit: 20 Minuten
Ist das Beispiel zur Assimilation und Akkomodation auf Ihren Sprachunterricht übertragbar?
Versuchen Sie ein Parallelbeispiel zu finden und zu formulieren. Stellen Sie es im Plenum vor.
Platz für Notizen:
Aufgabe 11:
Sozialform: Plenum
Zeit: 15 Minuten
Sicher sind Sie auch der Meinung, dass das Unterrichten einer Fremdsprache je nach
Lernergruppe vollkommen anders sein kann. Denken Sie zum Beispiel an
a) eine Klasse in der nur erwachsene Sprecher romanischer Sprachen sitzen,
b) eine Gruppe vier- bis fünfjähriger Kinder
c) eine kulturell gemischte Gruppe mit Lernern aus England, Spanien, China und Jemen
Können Sie die unterschiedlichen Herausforderungen für Lehrer und Lerner auf der Basis der
bisher entwickelten Gedanken (Schemata, Adaptation) erklären? Führen Sie dazu ein
Plenumsgespräch.
Platz für Notizen:
Konstruktivistische Lerntheorien
In enger Verbindung mit dem Kognitivismus stehen die konstruktivistischen Lerntheorien.
Diese besagen, dass jeder Mensch ein individuelles und subjektives Bild seiner Umwelt
konstruiert - ein Gedanke, der auch mit Piagets Entwicklungsstufenmodell im Zusammenhang
steht.
Das menschliche Gehirn ist ein in sich geschlossenes System, das sich selbst und damit für sich
die Welt organisiert.
Wie die Kognitivsten gehen auch die Konstruktivisten davon aus, dass man nur das lernen
kann, was mit schon vorhandenem Wissen eine Verbindung eingehen kann. Sie gehen aber
insofern weiter, als dass sie sagen, dass Lernen ein Konstruktionsprozess ist, der vom
lernenden Gehirn selbst gesteuert wird.
Daraus folgt, dass Menschen, die die gleichen Erfahrungen mit ihrer Umwelt machen,
trotzdem zu verschiedenen Lernergebnissen kommen können.
Jedes Individuum konstruiert sich also seine vollkommen eigene kognitive Landkarte von der
Welt, die das Individuum rückwirkend beeinflusst und seine Werte, seine Sichtweisen, seine
Wahrnehmung und sein Verhalten bestimmt.
Aufgabe 12:
Sozialform: Paare
Zeit: 20 Minuten
Schlüpfen Sie in die Rolle eines Konstruktivisten und diskutieren und beurteilen Sie die
folgenden Aussagen:
1. Die Lehrperson bleibt, auch in handlungs- oder lernerzentrierten Ansätzen, eine
Schlüsselfigur beim notwendigen Steuern und Beeinflussen der Lernprozesse.
2. Das Lernergebnis einer Lerngruppe ist bei korrekter Führung durch die Lehrperson das
Abbild der vorab definierten Lernziele.
3. Lernziel, Stoffauswahl und Test bilden ein ins sich schlüssiges System und
gewährleisten so die Vergleichbarkeit des Lernerfolgs unter den Mitgliedern einer
Lernergruppe.
Platz für Notizen:
First Principles of Learning
Im Jahr 2002 veröffentlichte der Berater für didaktische Effizienz (instructional effectiveness
consultant) und ehemaliger Professor der Utah State University David Merrill seinen Essay
„First Principles of Instruction“.
Mit seiner Arbeit beabsichtigte Merrill die Identifizierung immer gleicher Grundprinzipien für
effektives Lernen in verschiedenen didaktischen Theorien oder, wie er es nennt,
Instruktionsdesing-Theorien (instructional design theories).
Diese Grundprinzipien (first principles) sind Lehr- und Lernprinzipien, die unter adäquaten
Bedingungen immer zutreffend sind, egal, welche Lernaktivität, oder welches Lernprogramm
(verstanden als Paket miteinander sinnvoll verknüpfter Aktivitäten) man gerade anwendet.
Merrill hat folgende Grundprinzipien als immer wiederkehrend und den meisten didaktischen
Theorien zugrunde liegend identifiziert:
1. Problemorientiertes Lernen
Lernen findet statt, wenn Lerner sich mit der Lösung realer, authentischer Probleme
beschäftigen. Die Lerner müssen dabei auf der Problem- oder Aufgabenebene involviert
sein, nicht nur auf der Ebene der Ausführung von Aktionen.
2. Relevantes Vorwissen als Grundlage für neues Wissen
Lernen findet statt, wenn Lerner dazu gebracht werden, relevantes Wissen aus bereits
Erlebtem zu aktivieren, mitzuteilen, zu beschreiben und als Grundlage für das Schaffen von
neuem Wissen anzuwenden.
3. Demonstrationen
Lernen findet statt, wenn der Lerner sehen/erleben kann, was das Lernziel ist und nicht
nur theoretische Information darüber erhält. Hier greifen Beispiele und Gegenbeispiele,
Vorführungen von Prozessen, Visualisierungen und Verhaltens- und Aktionsmodelle.
4. Anwendung
Die Anwendung des neuen Wissens umfasst das wiederholte Üben in realitätsnahen
Situationen oder Problemlösungsprozessen. Dabei hat der Lehrer (oder auch der
Lernpartner) die Rolle des beratenden, Fehler aufzeigenden und helfenden Begleiters. Je
zahlreicher die Möglichkeiten des kontextualisierten Übens, desto besser. Am Ende steht
die Integration des neuen Wissens in die Wirklichkeit des Lerners. Das bedeutet, dass er es
selbständig bei der Bewältigung von realen Situationen anwenden und auch als Vorwissen
für das Entwickeln neuen Wissens nutzen kann.
Aufgabe 13:
Sozialform: Tischgruppen
Zeit: 20 Minuten
Sehen sie sich die Aufgaben 3 bis 5 des Lehrbuchs „Netzwerk A2.2“ an. Zu Beginn der Lektion
werden als Lernziele „Wünsche äußern“ und „Ratschläge geben“ angegeben.
Prüfen Sie, ob und wie das Lehrbuch die Merrill’schen Grundprinzipien für effektives Lernen
umsetzt.
Tauschen Sie sich anschließend im Plenum aus.
Platz für Notizen:
Abschlussaufgabe für Tag 1
1. Reflexion:
- Was hat mir das heutige Thema für mein eigenes Wirken als Lehrer gebracht?
- Kann ich Schlussfolgerungen für meinen eigenen Unterricht ziehen? Welche?
2. Fixierung
- Haltens Sie die für Sie wichtigen Inhalte, Gedanken und Schlussfolgerungen in einer
Infografik fest. Sie bekommen dafür von uns Papp-Bögen und Stifte. Arbeiten Sie mit
Farben, Formen, Pfeilen, Bildern... sparen Sie nicht an Symbolen und Methaphern.
Quellen:
Angermeier, Wilhelm F., Bednorz, Peter & Schuster, Martin (1991). Lernpsychologie. München,
Basel: Reinhardt.
Bimmel, P., Rampillon, U. (2000). Lernerautonomie und Lernstrategien. Fernstudieneinheit 23.
München, Berlin: Langenscheidt.
Cziborra, Burkhardt (2000). Unveröffentlichtes Manuskript.
Lefrancois, Guy R. (1994). Psychologie des Lernens. Berlin, Heidelberg: Springer.
Merrill, M. D. (2002). First principles of instruction. Educational Technology Research and
Development
Zimbardo, Philip G. & Gerrig, Richard J. (1999). Psychologie. Berlin, Heidelberg: Springer.
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