Literatur Buchmesse Fra 2005 kor http://www.netzeitung.de 17.10.2005 Entspannte neue Welt Den Südkoreanern scheinen die Handys am rechten Arm festgewachsen zu sein. Dennoch ist Literatur hier hoch geschätzt - demnächst wird in Seoul sogar ein "Buchhotel" eröffnet. Buchland Korea Von Andreas Schäfer Zufrieden wirken die beiden Internet-Dichter, die unter "Young-Hae Chang Heavy Industries" firmieren, nicht gerade. Während sich im spätsommerlichen Morgenlicht der Berufsverkehr geduldig durch die Hochhausschluchten im Zentrum Seouls arbeitet und am Nachbartisch ein holländischer Geschäftsmann mit koreanischen Kollegen unterhält, sollen sie in einem Hotel Journalisten Rede und Antwort stehen. Zu ihrer Arbeit im Besonderen, und zu ihrer Rolle als koreanische Autoren im Allgemeinen, und zwar in Anwesenheit von Funktionären vom "Kunstkomitee des Wirtschaftsministeriums". Das mag kein Künstler dieser Welt, stellvertretend für ein Land sprechen, und dann noch als Wurmfortsatz der Wirtschaftspolitik. Deshalb treten die beiden die Flucht nach vorne an, verweigern auf charmante Weise die Aussage, bitten statt dessen ins benachbarte "Businesscenter", wo ein japanischer Geschäftsmann gerade seine Mails checkt. Dort rufen sie ihre Website www.yhchang.com auf und führen "Cunnilingus in Nordkorea" vor, eine ironische Arbeit, in der der Nordkoreanische Präsident Kim Jong Il in simuliertem sozialistischem Bruderjargon ein Lob des Oralverkehrs in Nordkorea anstimmt, unter besonderes Berücksichtigung der "sexuellen Befriedigung im Kommunismus". Intimität ist eine Illusion Nun, nachdem durch diese Vorführung unmissverständlich deutlich geworden ist, dass die beiden keine Staatsdichter sind, geben sie gern Auskunft. Über Südkorea und den so genannten "vertikalen Lebensstil" in der 12-Millionen-Stadt Seoul, der mit der rasanten Modernisierung in den letzten Jahren auch eine Entwurzelung und Virtualisierung im Alltag mit sich gebracht habe. "Die Menschen leben alle in Hochhaussiedlungen am Rande der Stadt und halten sich sonst die meiste Zeit in öffentlichen Räumen auf." Da spiele das Handy und die eigene Webpage die zentrale Rolle der Individualisierung. Die finde aber nur im festgelegten Rahmen der großen ElektronikKonzerne wie Samsung und LG statt, die auch Krankenhäuser, Zeitungen und Lebensmittelketten besitzen. Die erhoffte Freiheit und Intimität sei also eine Illusion. Samsung, Hyundai, Deawoo Die Internetdichter, die regelmäßig zu Symposien in den Westen eingeladen werden, befassen sich explizit mit koreanischen Themen, das heißt, sie spielen mit Schlagworten, die dem durchschnittlichen Westler zu Korea einfallen: "Nicht viele. Samsung, Hyundai, Deawoo. Und natürlich: die Teilung des Landes." Draußen, vor dem glitzernden Gebäude der Tageszeitung Dong-A Illbo mit der ZweiMillionen-Auflage, knien derweil Frauen auf dem Boden und kratzen Kaugummis aus den Ritzen im breiten Bürgersteig. Südkorea ist dieses Jahr nicht nur Gastland der Frankfurter Buchmesse, sondern hat 2005 mit über fünfhundert Veranstaltungen deutschlandweit auch zum Jahr des "dynamic Korea" ausgerufen. Wirtschaftlich steht das Land, vor allem Dank einer boomenden Elektronik-Industrie, an zwölfter Stelle in der Welt, aber seine Kultur ist – abgesehen vom koreanischen Film – weniger bekannt. Um Musik, Kunst, Literatur und die schmerzensreiche historische Landschaft hinter den Schlagworten wahrnehmbar zu machen, touren nicht nur koreanische Autoren seit Monaten durch Deutschland, im Gegenzug wurden auch Journalisten und Schriftsteller nach Seoul eingeladen. Liegt es an den Grillen? Wolkenkratzer, breite Straßen, auf denen immer Stau herrscht, Großraumbüros wie aus dem Film Matrix. Viele junge Menschen in Anzügen; das Handy, verwachsen mit der rechten Hand, zeigt Fernsehprogramme und verrät, ob zu Hause genügend Milch im Kühlschrank steht. Schöne neue Welt. Aber warum wirkt diese Stadt auf den Besucher trotzdem so entspannt? Weil das Auge, egal wie hoch die Häuser sind, durch eine Lücke immer die Berge des Umlands im Blick hat? Weil neben jedem Wolkenkratzer ein winziges Backsteinhäuschen steht, blaue Plastiktische davor, an denen man für umgerechnet zwei oder drei Euro Kimchi, eingelegte Tintenfische und am Tisch zubereitetes Rindfleisch essen kann? Liegt es an den Grillen, die überall zu hören sind? Oder ist es etwas Unsichtbares? Die – wie die beiden von Heavy Industries sagen würden – vertikal aus der Vergangenheit ins Jetzt ragende buddhistische Tradition? Natürlich, die Gelassenheit und der Reichtum sind nur die eine Seite. Man braucht nur gegen Mitternacht einmal die Prachtboulevards zu unterqueren. Da schlafen Menschen auf Pappkartons, zwischen den Stützpfeilern, und in der nächsten und übernächsten Unterführung auch. Schwer zu bestimmen, was Realität ist In jedem Gespräch, das man führt, tauchen früher oder später zwei Gespenster auf und umwölken die Stirn des Gegenüber. Zum einen das Gespenst Japan, das sich noch immer nicht um Entschuldigung für die Besetzung Koreas von 1910 bis 1945 gebeten hat, zum anderen das viel dämonischere Gespenst der koreanischen Wiedervereinigung, die jeder offiziell zu wollen hat, vor der aber – gelinge gesagt – ein Heidenrespekt besteht, nicht nur wegen der riesigen ökonomischen Kluft zwischen Nordund Südkorea. "Wir haben uns gegenseitig umgebracht, hunderttausendfach. Was da noch hochkäme, kann man gar nicht absehen", sagt der Schriftsteller Kim Hoon, dessen Bestseller "Schwertgesang" leider noch nicht auf Deutsch vorliegt. Kim Hoon wurde 1948 geboren – vor dem Koreakrieg –, und als er Kind war, gab es in Seoul weder Hochhäuser noch Autos. Wie viele seiner koreanischen Schriftstellerkollegen hat er anfangs als Journalist gearbeitet, doch in den gewaltigen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte fiel es ihm immer schwerer "zu bestimmen, was Realität ist." Sein "Schwertgesang" handelt vom Leben des General Li, einem Helden im koreanisch-japanischen Krieg im 17. Jahrhundert, und im Gewand des historischen Romans hat Hoon die noch immer virulente Frage behandelt, wie der Krieg von Außen ins Innere einer Figur wandert. "Wir haben viel geschaffen, dabei aber viel Schuld auf uns geladen. Wir haben die Arbeiter unterdrückt, unserer Gegner getötet und eine Militärdiktatur errichtet. Dies ist die Landschaft unserer Stadt." Konservativ und kollektiv Wer heute durch Seoul läuft, durch lebendige Markt- und Studentenviertel, überfüllte Einkaufspassagen und Buchläden, kann nur schwer glauben, dass hier noch bis 1998, als Kim Daejung Präsident wurde, Kalter Krieg herrschte, in dessen Folge Schriftsteller wie der bekannte Hwang Sok-yong fünf Jahre inhaftiert wurden, weil sie ohne Genehmigung nach Nordkorea gereist waren. In den letzten Jahren hat sich nicht nur das politische Klima radikal gewandelt, seit der Tigerstaatenkrise in der Neunzigerjahren sind auch viele junge Menschen in der IT-Branche reich geworden. Es ist eine neue, weniger der schmerzvollen Geschichte als der Alltagsgegenwart zugewandte Schriftstellergeneration amerikanischer Prägung nachgewachsen, die nebenbei "Kreatives Schreiben" an Universitäten lehrt, für Hochglanzmagazine schreibt oder, wie der 1970 geborene Kim Yeonsu, Popsongs verfasst und Comics zeichnet. Das Interesse an Literatur ist groß, trotz oder gerade wegen der Virtualisierung des Lebens. "Die Gesellschaft ist noch immer konservativ und sehr kollektiv geprägt. Man legt großen Wert auf Arbeit, Erfolg, Familie", sagt die Dichterin Moon Suk Kang. "Da bietet die Literatur eine Gegenwelt, einen Raum des Rückzugs." Eine Antwort auf die psychische Konfusion Dass es der südkoreanischen Buchbranche zumindest passabel gehen muss, zeigt ein zur Realität gewordenes utopisches Bauprojekt, bei dessen Besichtigung deutschsprachigen Verlegern wahrscheinlich die Augen aus dem Kopf fielen. Dreißig Kilometer nördlich von Seoul liegt die so genannte "Paju Bookcity", ein vorortgroßes Areal, auf dem Dutzende Verlage, Druckereien, Papierhändler, Buchhandlungen und Speditionen ihren Sitz haben. Achtzehn Jahre hat der Verleger Yi Ki Un für diesen Traum gekämpft, zusammen mit anderen Verlegern ein versumpftes Gelände gekauft, Architekten beauftragt, Gärten angelegt. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Architekturstadt, Messegelände und Zen-Kloster. Moderne Häuser, jedes für sich ein kleines Meisterwerk, getrennt von schilfbewachsenen Flächen. Schmale Straßen, karge Bäume, und direkt hinter den Glasfronten zieht sich ein Flüsschen entlang, in dessen ruhigem Wasser sich Ufergräser spiegeln. Yi Ki Un möchte "Paju Book-City" als "praktische Kommunikation" verstanden wissen, als "Antwort auf die um sich greifende psychische Konfusion." Ein glücklicher Mensch Jetzt sitzt er in einer Lounge, legt eine Hand auf seinen Bauch und sagt mit rührender Herzlichkeit: "Operation. Die viele Arbeit hat mich krank gemacht". Krank, aber nicht tatenlos. Viele Verlage sind schon eingezogen, aber vollendet wird der Traum erst mit der baldigen Eröffnung eines Buchhotels. In den Zimmern wird es weder Radio noch Fernsehen geben, an der Rezeption hinterlegt der zukünftige Gast sein Mobiltelefon und erhält dafür ein vorbestelltes Buch. "Es ist uns egal, ob viele kommen. Hauptsache, es ist still. Der Mensch hat ein natürliches Bedürfnis nach Stille", sagt der schmale ältere Herr und lächelt. Man darf sich ihn als glücklichen Menschen vorstellen. Die Berliner Galerie Aedes West, S-Bahnbögen 600-601, zeigt noch bis zum 27. Oktober Fotos aus der Paju Book City. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen. http://www.3sat.de Literatur aus und über Korea Eine Auswahl zum Gastland der Frankfurter Buchmesse 2005 2005 ist Südkorea Gastland der Frankfurter Buchmesse. Während in Korea nicht nur Schiller, Goethe und Hölderlin gelesen werden und sogar deutsche Romane wie Patrick Süßkinds "Das Parfüm" auf die Bestsellerlisten gelangen, wird hierzulande koreanische Literatur kaum wahrgenommen. Wir haben im Korea-Jahr eine Auswahl an Sachbüchern und literarischen Werken aus und über Korea zusammen gestellt. Deutsche Verlage bieten eine Reihe von Übersetzungen, die einen Eindruck von der Gegenwartsliteratur des Landes ermöglichen. Besonders die Verlage Pendragon und Peperkorn haben seit Jahren einen Schwerpunkt auf koreanische Literatur gesetzt. Aber auch Verlage wie Suhrkamp oder dtv haben rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse 2005 koreanische Literatur neu herausgegeben. In all diesen Werken wird die veränderte Lebenswelt im Zeitalter der Globalisierung ebenso thematisiert wie die Nachwirkungen der Landesteilung, des Korea-Krieges und der Diktaturen im eigenen Land. Belletristik Romane: Koreanisches Sittengemälde Eun Heekyung ist eine der erfolgreichsten und radikalsten unter den neuen Frauen in der koreanischen Literatur. In ihrem ersten Roman "Ein Geschenk des Vogels" schreibt sie ungewöhnlich offen über das Verhältnis der Geschlechter Psychogramm einer Diktatur Yi Munyol zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern Koreas und wird immer wieder als möglicher Nobelpreiskandidat gehandelt. In "Der entstellte Held" erzählt er die Geschichte von Schülern, die sich von ihrem Klassensprecher tyrannisieren lassen Die roten Orchideen von Shanghai Zwischen 1932 und 1945 zwang die japanische Armee mehr als 200.000 Asiatinnen aus den besetzten Ländern zur Prostitution. Eine von ihnen war die Koreanerin Sangmi Kim. Juliette Morillot erzählt ihre Geschichte in einem Roman Die Geschichte des Herrn Han Der erfolgreiche Debütroman des preisgekrönten Schriftstellers aus dem Jahr 1972 erzählt die erschütternde Geschichte eines nordkoreanischen Arztes, der während des Korea-Krieges (1950-53) nach Südkorea flieht Das Spiel mit dem Feuer Jong-Rae Jos 1982 in Korea veröffentlichter Roman setzt sich mit den Nachwirkungen des KoreaKrieges auseinander. Ein erfolgreicher Geschäftsmann wird darin von seiner dunklen Vergangenheit eingeholt Vögel Oh Jung-Hee schildert in ihrem 2003 mit dem LiBeraturpreis ausgezeichneten Roman "Vögel" einfühlsam die soziale Wirklichkeit in der koreanischen Gesellschaft aus der Sicht eines zwölfjährigen Mädchens Erzählungen: Denkmäler der Entwurzelung Der Schriftsteller Lee Sung-U seziert in seinen Erzählungen den Seelenzustand der modernen Koreaner. Im Pendragon Verlag ist nun der Band "Vermutungen über das Labyrinth" erschienen Die Sympathie der Goldfische Friedhelm Bertulies hat einen Band mit Erzählungen aus dem modernen Korea zusammen gestellt. Vertreten sind Autoren wie Yi Munyol, Pak Wanso, Lee Chang Dong und Choi In Suk Lyrik: Wind und Gras Die Lyrik hat in der koreanischen Literatur einen hohen Stellenwert und gilt als deren Fundament. Marion Eggert hat einen Sammelband mit Gedichten zusammengestellt, die einen Bogen vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute spannen Sachbücher Durch das alte Korea Siegfried Genthe bereiste 1901 als erster deutscher Journalist Korea. Seine Reisereportagen geben einen spannenden Einblick in ein bis dahin nahezu unbekanntes Land, das sich jahrhundertelang von der Außenwelt isoliert hatte Im Brennpunkt: Korea Einen kompakten Überblick über Geschichte, Politik, Wirtschaft, Geografie und Kultur Nord- und Südkoreas bietet das Buch "Brennpunkt: Korea" von Hanns W. und Ivo M. Maull aus dem Beck-Verlag Ihr seid hier im Paradies Hyok Kang lebt nach seiner Flucht aus Nordkorea seit 2002 in Südkorea. Aus dem Blickwinkel eines Kindes erzählt er mit Hilfe eines französischen Journalisten vom Leben im abgeschotteten Norden der geteilten koreanischen Halbinsel Nordkorea Nur wenige Ausländer dürfen den nördlichen Teil der seit 1953 geteilten koreanischen Halbinsel betreten. 27 Berichte von Journalisten, Diplomaten, Entwicklungshelfern und Touristen geben "Einblicke in ein rätselhaftes Land" http://www.3sat.de Geteiltes Land des leichten Lächelns Kulturzeit hat die internationale Buchmesse in Seoul besucht Die Buchmesse von Seoul sieht aus wie jede andere in der globalen Welt. 2000 Verlage bringen 50.000 Neuerscheinungen im Jahr heraus, aber nur 200 davon machen wirklich Geschäfte mit Büchern, die asketisch, schlicht, zurückhaltend, elegant, wie das Lebensideal der Koreaner sind - wie das Licht, das alles weichzeichnet. Kulturzeit ist nach Seoul gefahren, um das bei uns unbekannte Buchland kennenzulernen. 60 Autoren kommen im Herbst nach Deutschland. Nur 30 sind übersetzt. Südkorea spendiert 14,5 Millionen Euro für den Auftritt in Frankfurt, viel mehr als jedes Gastland zuvor. Der Verleger Lee Gun Bok ist gespannt, "wie die koreanische Lese- und Verlagskultur in Deutschland und in der westlichen Welt bewertet wird". Südkorea ist eine multireligiöse Gesellschaft. Nach der Statistik bilden Christen die größte Gemeinde. Doch der Konfuzianismus bestimmt die Mentalität. Im Zentrum steht die strenge, kodifizierte Erziehung der Kinder. Gegen Modernisierung und für Wiedervereinigung Dichter Ko Un In nur 30 Jahren ist aus dem im Koreakrieg zerstörten Agrarland ein Industrie- und Stadtstaat geworden. Aufs Land zurückgezogen hat sich der größte Dichter Koreas, Ko Un: "In meinen Gedichten besinge ich den Schmerz, die Schönheit, die Tragik und Trauer und auch die langersehnten Träume Koreas", erzählt er. Der Dichter sitzt in seinem Gehäuse wie ein Gelehrter der Renaissance. Dabei beobachtet und kritisiert er detailscharf die Gegenwart. Er schreibt gegen die zu schnelle Modernisierung und für die Wiedervereinigung. Er hat die 30-jährige Militärdiktatur von Park und Co. angegriffen. Natur und Politik kreuzen sich in seinen Gedichten. Da lachen einmal die Rinder und dann sind ihre Augen rot aus Hass, während des Koreakriegs. Als 17-Jähriger sah er die Leiden und Leichen dieses Krieges. Er wollte sich töten, fand aber Zuflucht bei den Buddhisten. Nach zehn Jahren erwachte er aus dem Mönchsdasein. Als radikal-demokratischer Dichter kam er ins Gefängnis. Für die Wiedervereinigung stößt er heute mit Kim Jong Il. an. Das alte Korea der Morgenstille findet man nur noch in den abgegrenzten Tempelbezirken. Hier richtet sich der Rhythmus nach dem Atem, nicht nach dem Herzschlag. Ko Un war Schüler des Zen-Meisters Hyo Bong. "Einen Stein habe ich rausgerissen und weggeworfen. Als ich geschrien habe, wozu soll ich überhaupt lernen, hat mein Lehrer gesagt, ja genau, wozu sollen wir überhaupt lernen. Spielen wir einfach", berichtet der Dichter. Ko Un empfand den Mönchsdienst auch als Last. Er hat sich davon durch das Schreiben befreit. Aber er hat sich das Spielerische und das leichte Lächeln des Buddhismus bewahrt. Aufgrund dieser Haltung kritisiert er die Verstädterung des Landes. Melancholische Kunst "Wenn wir uns so schnell modernisieren, wenn jetzt so viele Gebäude errichtet werden, heißt das nicht, dass das so bleibt", sagt er. "In 100 Jahren wird das hier wahrscheinlich ein ganz anderes Gesicht bekommen." Ko Un hält in seinen Gedichten melancholisch an der Ästhetik und Weite der koreanischen Landschaft fest. Allein neun Bände widmete er der verschwindenden Welt der Handwerker und Bauern. "Die auf der Natur begründete Ästhetik der Koreaner ist nicht pompös oder grandios, sondern auf das besondere Einzelne, Einfache und Schlichte bedacht. Sie spiegelt eine starke Lebenskraft wider. Das ist Schönheit", erklärt Ko Un. Südkoreanische Bomber beweisen ihre militärische Aggressivität gegenüber der nuklearen Bedrohung aus Nordkorea und stören die Ästhetik Ko Uns. Der Dichter singt in traurig gestimmter Hoffnung auf die Versöhnung und Wiedervereinigung Koreas das Volkslied Harirang. Zwischen Ko Uns Land und Seoul zeigt sich der Kontrast Koreas. Nachts pulsiert die Stadt. Im Studentenviertel Sochon kleidet und gibt sich die Jugend westlich modern. Die Schriftstellerin Eun Heekyung sagt: "Ich komme ab und zu hier her zum Biertrinken. Die Preise sind günstig. Man spürt hier den jugendliche Elan." Im Neonlicht der Nacht fühlt sich die 45-Jährige Eun wohl. Die Dynamik der Stadt befördert in ihren Augen die Befreiung der Frauen von der konfuzianischen Strenge und Bevormundung der Männer. Seoul inspiriere sie. Denn "Seoul bietet den Autoren eine große Auswahl an Emotionen", erklärt sie. Rolle der Frau geändert? Eun Heekyung Vier Millionen Pendler fahren täglich in die Zwölf-Millionen-Hauptstadt. Seoul hat mehr als drei Mal so viele Einwohner wie Berlin und ist nur halb so groß. Die hypermoderne Technik, die Schocks der Stadt, nimmt Eun Heekyung in ihren Geschichten als Herausforderung an. Außerdem hat Seoul die besten elitären Unis. Davon profitieren inzwischen auch Frauen. "Die Rolle der Frau hat sich in Korea immens geändert", weiß Eun Heekyung. "Frauen haben mehr Bildung und sind emanzipierter. Sie treten deshalb selbstbewusster in der Öffentlichkeit auf. Seoul ist die ideale Stadt dafür." Korea ist in zwei Hälften geteilt - in Nord und Süd, in Tradition und Moderne. Von einer Versöhnung der Gegensätze, von dem das Lied Harirang träumt, ist das Land noch weit entfernt. 14.06.2005 / Ruthard Stäblein für Kulturzeit / se http://www.2saenetwork.de/content/view/323/71/ Gastland Korea bei der Frankfurter Buchmesse (19.-23.10.05) Wie jeden Herbst findet auch in diesem Jahr in Deutschland eines der weltweit größten Ereignisse der internationalen Literatur- und Verlagswelt statt. Vom 19. bis 23. Oktober öffnet die Frankfurter Buchmesse ihre Pforten und lädt Bücherfreunde aus der ganzen Welt ein, ungestört in den Neuerscheinungen zu stöbern und dabei in eine neue Welt einzutauchen. Wer Ungewohntes sucht, ist auf der diesjährigen Buchmesse genau richtig. 2005 stellt sich Korea als Gastland vor, ein Land, dessen Literatur hierzulande kaum bekannt ist. Man darf gespannt sein, wie sich Korea bei der Buchmesse präsentieren wird, da das Land keine Kosten und Mühen gescheut hat, um sich auf dieses Ereignis vorzubereiten. Schon im Vorfeld der Messe hatte es zahlreiche koreanische Veranstaltungen gegeben, die die Deutschen auf Koreas Gastlandauftritt einstimmen sollten. Koreanische Autoren sind seit März durch das ganze Land gereist, um aus ihren Werken zu lesen. In Frankfurt entsteht zur Zeit ein koreanischer Garten, damit Korea auch nach der Buchmesse einen bleibenden Eindruck in Frankfurt hinterlässt. Neben wissenschaftlichen Symposien wird der koreanische Gastlandauftritt von Tanz-, Theater- und Musikvorführungen begleitet. Korea stellt nicht nur seine traditionelle, sondern auch seine moderne Kultur vor. Unter anderem sind Werke des berühmten koreanischen Komponisten Isang Yun sowie das weltweit erfolgreich aufgeführte Musical „Seoul Line 1" und die traditionelle Schlagzeuggruppe „Puri" zu sehen. Insgesamt sechs Ausstellungen geben einen Einblick in Vergangenheit und Gegenwart Koreas. Alte Druckkunst, Porzellan und buddhistische Malerei stellen die Vergangenheit vor, drei Ausstellungen zu moderner Malerei und Fotografie reflektieren die Gegenwart. Ein Platz namens „Agora" soll sich während der Buchmesse zu einem koreanischen Hof oder „Madang" entwickeln, wo die Besucher die Gelegenheit zur Begegnung mit der koreanischen Kultur haben. Unter anderem können die Besucher traditionelle Verfahren zur Papierherstellung (Hanji) oder die Druckkunst mit Typen aus Metall kennenlernen. Auch spezielle Erzeugnisse aus Korea, traditionelle Handwerksarbeiten, die Tee-Kultur und vieles mehr werden vorgestellt. Koreanisches Kunsthandwerk wird man sowohl ansehen als auch kaufen können. Für die Buchmesse hat das Vorbereitungskomitee für Koreas Gastlandauftritt unter anderem hundert besonders schön gestaltete Bücher ausgewählt, die auf der Messe zu sehen sein werden. http://www.hr-online.de Vorgeschmack auf Fernöstliches "Enter Korea" In Frankfurt mit dabei? Tänzerinnen des Incheon Metropolitan City Dance Theatre aus Korea Der Countdown für den großen Auftritt Südkoreas als Gastland der Frankfurter Buchmesse 2005 läuft: 16 Autoren aus dem "Land der Morgenstille" starten das "Koreanische Lesejahr" mit einer Lesereise. Beginn der Lesetour quer durch Deutschland ist auf der Leipziger Buchmesse vom 17.-20. März 2005. Auch in Dresden, Weimar und Jena werden die Autoren auftreten. "Leipzig bietet einen ersten Blick auf das Gastland", sagte der Sprecher der Frankfurter Buchmesse, Holger Ehling, während eines Arbeitsbesuchs in Seoul. Sein Eindruck von dem geplanten Gastauftritt in Frankfurt im Oktobersei positiv, sagte Ehling. Doch die Vorbereitungen stoßen immer wieder auf Hindernisse: Strukturprobleme im südkoreanischen Literaturbetrieb, Schwierigkeiten bei der Auswahl der Bücher und bei den Übersetzungen scheinen an der Tagesordnung zu sein. Auftritt auf dem internationalen Parkett Insgesamt werden 60 koreanische Autoren zu Lesungen und Diskussionen nach Deutschland reisen, auch deutsche Autoren sollen in Koreas ihre Literatur vorstellen. Sowohl Lesereise als auch die Buchmesse bieten koreanischen Autoren die Chance, auf dem internationalen literarischen Parkett Fuß zu fassen. Denn wer kennt bisher den politisch engagierten Schriftsteller Hwang Sok Yong oder die wohl berühmteste koreanische Autorin, Park Kyung Ri? Ein Grund dafür: es gibt zu wenige Übersetzungen, und die, die es gibt, genügen nicht immer literarischen Ansprüchen. Die meisten Übersetzungen aus dem Koreanischen stammen von einem deutsch-koreanischen Übersetzerteam. "Dabei kommen sehr häufig Übersetzungen heraus, die philologisch korrekt, aber literarisch problematisch sind", sagte Ehling. Ein weiteres Handicap für eine fruchtbare Zusammenarbeit besteht darin, dass alle literarischen und verlegerischen Kontakte über eine Stiftung in Seoul laufen. "Eine direkte Zusammenarbeit gibt es nicht", beklagt etwa der Münchner dtv Verlag. "Wenn es um Kultur und Verlagswesen geht, laufen die Entscheidungs- prozesse nach anderen Regeln ab", stellte Ehling fest. Zum Teil würden Entscheidungen am Markt vorbei getroffen. Bisher wurden in der Regeln Bücher übersetzt, die "belehrend oder bildend" zu sein hätten. Das trifft nicht unbedingt das Interesse des deutschen Publikums. Im koreanischen Verlagswesen herrschen aufgrund der politischen Struktur des Landes andere Bedingungen als in Europa. Viele Verlage wagten es nicht, eigene Produkte anzubieten, so Ehling. "Die paar Agenten in Korea sind im wesentlichen Importeure." Deshalb soll es im Mai in Seoul einen Lehrgang mit Spezialisten für den Lizenzhandel geben. "Das Thema Copyright ist zum Beispiel in Korea noch nicht allzu lange in den Tüten, in die es hinein gehört", meinte Ehling. Koreanische Wirtschaft hält Geldbeutel geschlossen Scheinbar wackelt auch die Finanzierung des Gasdtauftritts: Die einheimische Wirtschaft unterstützt ihre Autoren nur zögerlich. Bereits vor einem Monat hatten die Organisatoren angekündigt, dass Südkorea sein kulturelles Rahmenprogramm zur Frankfurter Buchmesse abspecken muss. Statt 26 Milliarden Won (knapp 20 Millionen Euro) sind bislang nur knapp die Hälfte in die Kassen der Organisatoren geflossen, so Projektmanagerin Chong Soon Min. Die Regierung habe bisher 12 Milliarden Won (rund 8,9 Millionen Euro) zur Verfügung gestellt. Die ursprünglichen Hoffnungen auf Sponsorenzusagen über zusätzlich 14 Milliarden Won hätten sich bislang nicht erfüllt. Trotzdem gibt man sich optimistisch. 25 Kulturprojekte seien unter Dach und Fach, weitere 11 in Planung, heißt es in Seoul. So wird dem Buchmessepublikum in Frankfurt traditionelle Musik und Malerei ebenso wie Film und Fotografie geboten. Im Mittelpunkt soll aber das iterarische Programm stehen. Stand: 23.02.2005 http://www.buchmarkt.de 17.03.2005 12:14 Korea, Gastland der Frankfurter Buchmesse 2005, beginnt sein Veranstaltungsprogramm mit Lesereise Korea, Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, hat sich für das Jahr 2005 einiges vorgenommen: Neben dem umfangreichen Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm im Rahmen der Frankfurter Buchmesse wird es in diesem Jahr die bislang größte Lesereise koreanischer Autoren in Deutschland geben. Den Auftakt zur LiteraTOUR, an der insgesamt 62 koreanische Autoren teilnehmen, bildet die Leipziger Buchmesse. Die ersten Lesungen wurden bereits in Dresden, Jena und Weimar veranstaltet. Nächsten Monat wird es Lesungen in Bonn, Köln und Düsseldorf geben, im Mai steht der Norden Deutschlands u.a. mit Hamburg auf dem Programm, im Juni der Süden u.a. mit München und im September Berlin. Den Abschluss und Höhepunkt der koreanischen Lesereise bildet die Frankfurter Buchmesse mit zahlreichen Lesungen auf dem Messegelände, im Literaturhaus und anderen Veranstaltungsorten in und um Frankfurt. Hwang Chi-Woo, Generaldirektor des koreanischen Organisationskomitees (KOGAF): „Wir möchten, dass die koreanische Literatur in Deutschland und auf der ganzen Welt mit Muße aufgenommen wird und damit den Anfang eines Diskurses zwischen den unterschiedlichen Kulturen eröffnet“. Die ersten Veranstaltungen in Dresden, Jena und Weimar stießen beim lesebegeisterten Publikum trotz des noch in Deutschland und Europa als exotisch bewerteten Themas auf großes Interesse. So lasen und diskutierten unter dem Motto „Das Erbe des Krieges“ und „Hologramm der Jugend“ etablierte und junge koreanische Autoren wie Yi Munyol, Lee Hochol, Jo Kyun Ran oder Kim Youngha. Die Dichter-Elite Koreas mit Vertretern wie Ko Un oder Shin Kyongnim zogen in Schillers Gartenhaus in Jena ein lyrikbegeistertes Publikum in ihren Bann. Insgesamt sind derzeit 16 koreanische Autoren – zehn Romanautoren und sechs Lyriker – auf Lesetour in Deutschland. Mit dem breit angelegten Veranstaltungsprogramm, das einer „Kulturolympiade“ gleichkommen soll, erhofft sich die koreanische Regierung und Bevölkerung Koreas auch auf nationaler Ebene eine Imageverbesserung sowie eine Belebung des koreanischen Buchmarktes. Kim Uchang, Präsident der KOGAF, bedauerte in seiner Ansprache während der Auftaktpressekonferenz sehr, dass es bisher kaum Gelegenheiten gegeben habe, Europa mit der koreanischen Literatur vertraut zu machen. Jedoch könne man durch die gegenwärtig geplanten Gastlandveranstaltungen im Rahmen der Frankfurter Buchmesse die 5.000jährige Geschichte der Literatur Koreas mit Stolz präsentieren und darüber hinaus eine Brücke schlagen, die dem kulturellen Austausch und der Verständigung zwischen Korea und Europa dienen solle. Korea wird sich in diesem Jahr mit einem umfangreichen und facettenreichen Kulturprogramm dem deutschen Publikum präsentieren. Neben der modernen koreanischen Literatur, die den Schwerpunkt der Gastlandpräsentation bildet – mehr als 100 Lesungen sind in Planung – wird es zahlreiche Konzerte, Theateraufführungen und Tanzveranstaltungen sowie ein Musical geben. Der Fokus aller Veranstaltungen liegt dabei stark auf den zeitgenössischen Entwicklungen, die durch die Einbindung einzelner traditioneller Kunstgattungen auf interessante Weise flankiert werden. http//:www.faz.net Buchmessen-Gastland Korea Ein Garten für Frankfurt, eine Höhle für Manager Von Tilman Spreckelsen, Seoul So soll es werden: Koreas Gartenpläne in Frankfurt 21. Juli 2005 Das Bordprogramm der südkoreanischen Fluglinie Korean Air brachte es auf den Punkt: Unter den gezeigten Videos war auch der amerikanische Familienfilm "The Pacifier" aus dem Hause Disney mit dem wohltrainierten Van Diesel in der Hauptrolle. Als am Ende die nordkoreanischen Eheleute von nebenan als heimliche Schurken feststehen, sagt die patente amerikanische Hausfrau: "Gute Nachbarn waren das nie." Wer die Waffenstillstandslinie besucht, die seit 1953 die beiden offiziell immer noch im Krieg befindlichen Teile Koreas trennt, wird tatsächlich auf beiden Seiten kaum Anzeichen von guter Nachbarschaft finden. Da sind scharfe Sicherheitskontrollen und ein Verhaltenskodex für Besucher, der von der Kleidung bis zur Gestik alles regelt und vorsorglich schon einmal per Unterschrift sicherstellen läßt, daß etwaige Verletzungen durch die andere Seite auf eigenes Risiko erfolgten. Da sind martialische amerikanische Soldaten, die das Ganze überwachen und deren Camp das stolze Motto "In front of them all" trägt, und natürlich fehlt es nicht an Geschichten über perfide nordkoreanische Spione, heimliche Tunnelbohrungen unter der Demarkationslinie hindurch und Versuche, die braven, aber einsamen südkoreanischen Soldaten durch mit Lautsprechern verbreitete Sirenenstimmen zum Übertritt in den Norden zu verlocken. Nach dem Schriftstellertreffen ins Gefängnis So war es eine gehörige Überraschung, als Ende Juni bekanntgegeben wurde, das ursprünglich für August 2004 geplante und damals kurzfristig von Pyongyang abgesagte pankoreanische Schriftstellertreffen, das erste offizielle seit der faktischen Teilung des Landes 1945, solle nun doch noch abgehalten werden. Und eine kleine Sensation war dann, daß es vorgestern mit zweihundert Teilnehmern tatsächlich eröffnet wurde, darunter so prominente wie Ko Un, Hwang Chi Woo oder Eun Heekyung. Einer von ihnen, der Romancier Hwang Sok-yong, mußte die Folgen dieser gespannten Nachbarschaft wie kaum ein zweiter südkoreanischer Autor am eigenen Leib ertragen. Als er 1972 "Die Geschichte des Herrn Han" publizierte, den Roman um einen menschenfreundlichen Arzt, der schließlich aus dem Norden flüchtet, um im Süden in ähnlicher Weise unter die Räder zu kommen, war das Buch wegen seiner kritischen Sicht auf die politischen Verhältnisse in beiden Teilen des Landes ein literarisches Ereignis, das, wie der Autor rückblickend sagt, seine Drucklegung nur dem kurzzeitig liberaleren Klima in Südkoreas Militärdiktatur verdankte. Als sich die politische Lage neuerlich änderte, wurde Hwang, der 1989 eine Einladung des nordkoreanischen Schriftstellerverbands angenommen hatte, 1993 wegen dieser Reise in Südkorea zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt - er hatte gegen das Gesetz zur "nationalen Sicherheit" seines Landes verstoßen. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, daß es zu dem auch in Deutschland von vielen gewünschten gemeinsamen Auftritt der koreanischen Staaten auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse nicht kommen wird. Yi Munyol, neben Hwang Sok-yong der bedeutendste Epiker des Landes, findet das "traurig", und Hwang meint, die Teilnahme wäre für das hungernde Nordkorea "ein Luxus, den sich das Land finanziell wie mental nicht leisten kann". Der Lyriker Hwang Chi-Woo, der sich die Zusammenarbeit mit dem Norden sehr gewünscht hätte, gibt allerdings zu bedenken, daß man selbst bei einer Zusage aus Pyongyang "nie völlig sicher" sein könne, daß es dann auch dabei bliebe. Hwang Chi-Woo hat gute Gründe, auf eine solide Planung des koreanischen Gastlandauftritts zu bestehen. Er ist seit einem Jahr Generaldirektor des Komitees, das diesen Auftritt vorbereitet, und soweit man das ein Vierteljahr im voraus sagen kann, wird das Land in Frankfurt einen glänzenden Eindruck hinterlassen. Mit einem Budget von zehn Millionen Euro, dem zweithöchsten, seit es derlei auf der Buchmesse gibt, finanziert Korea eine Reihe interessanter Konzerte, Ausstellungen, Theateraufführungen, Diskussionsforen und Lesungen. Hinzu kommt seit einigen Jahren die Förderung zahlreicher Übersetzungen koreanischer Literatur, von denen in Deutschland traditionell vor allem der Bielefelder Pendragon-Verlag profitiert. Zum Messeschwerpunkt wurde zudem noch einmal ein zwei Millionen Euro teures Programm aufgelegt, um hundert Bücher in sechs Fremdsprachen zu übersetzen. Befremdliche Stilmittel Da allerdings fangen die Probleme an. Wer sich durch die vorliegenden Übersetzungen aus dem Koreanischen blättert, ist immer wieder befremdet: Manche scheinen nicht ausreichend durch Muttersprachler lektoriert oder irritieren durch Wiederholungen des gleichen Inhalts in ähnlichen Worten. Das allerdings ist ein übliches Stilmittel koreanischer Prosa, sagt Chin Hyung Joon, der Präsident des Instituts LTI in Seoul, das die Übersetzung koreanischer Literatur födert. Das "Weltbild des Autors" würde durch solche Wiederholungen deutlicher, sagt Chin, und der Schriftsteller Lee Sung-U erklärt, er benutze diese rhetorische Figur gern "zur Betonung und stufenweisen Vertiefung". Er verlasse sich in diesem Punkt aber auf seine Übersetzer, die ihm oft rieten, für ein ausländisches Publikum Wiederholungen zu streichen. Das ist pragmatisch, aber nicht wirklich befriedigend, auch nicht Chins Vorschlag, die Bücher mit Fußnoten und Abbildungen zu versehen, um Verständnishürden aus dem Weg zu räumen. Daß es insgesamt an gutausgebildeten Übersetzern fehlt, beteuern indessen alle, die mit dem Problem zu tun haben. Kim Jae-hyeok, der als Germanist an der Koreauniversität in Seoul eine stattliche Anzahl deutscher Bücher in seine Muttersprache übersetzt hat, setzt noch früher an und beklagt das Fehlen eines anständigen koreanisch-deutschen Wörterbuchs. Vielleicht wäre es falsch, dabei auf Impulse aus der Universität zu hoffen. Kim jedenfalls vergleicht die Germanistik seines Landes mit einer "sinkenden Sonne". Glas und Stahl in Bookcity Anderswo scheint sie immerzu nur aufzugehen. Der koreanische Buchmarkt strotzt vor Kraft und glänzt, von jeder Mehrwertsteuer befreit, bei einem Umsatz von 2,2 Milliarden Euro mit jährlichen Zuwachsraten von zehn Prozent - gut ein Fünftel aller Bücher wird online verkauft. Unter den 50.000 Neuerscheinungen des vergangenen Jahres waren im Land des Pisa-Vizemeisters Kinder- und Lehrbücher am stärksten vertreten, und Seouls kürzlich abgehaltene Buchmesse spiegelte das auch wider: Die Atmosphäre in den Hallen im Messezentrum Coex erinnerte stellenweise an einen Kindergeburtstag mit Torwandschießen und Animateuren in bunten Kostümen; überall blinkten Monitore mit Computerspielen, auch der Hanser-Verlag, einer der wenigen deutschen Verlage auf der Messe, hatte einen guten Teil seiner Fläche für das Jugendprogramm reserviert. Nur im Pavillon, der Hans Christian Andersens Märchenwelt gewidmet war, blieb alles ruhig. In der Peripherie von Seoul wächst derweil die Retortenstadt Paju Bookcity heran. Wo vor drei Jahren noch sumpfiger Boden war, stehen jetzt fünfzig nüchterne Gebäude in Glas und Stahl, hundert mehr sollen es bis Ende nächsten Jahres werden. Hier ziehen Verlage und Druckereien ein, im weltgrößten Bücherlager wird schon gearbeitet, und was in dieser Stadt aufgereiht die geraden Straßen säumt, soll einmal 30.000 Arbeitsplätze der Buchbranche bergen. Einzig das Antiquariat im Obergeschoß eines Gebäudes verweigert sich soviel Modernität und führt neben angestaubten Ratgebern und Enzyklopädien auch Schallplatten, unter die sich, auf welchem Weg auch immer, Gheorghe Zamfirs "Einsamer Hirte" verirrt hat. Früchte und Geldscheine geopfert Der schnelle Bau solcher Prestigeprojekte ist keine Seltenheit in Korea, die Klage über die allzu rasche Modernisierung der gesamten Gesellschaft auch nicht, und so ist gerade bei älteren Autoren das Beschwören traditioneller Werte ein gängiger Topos. Viele Texte schildern den Preis, den einzelne für den wirtschaftlichen Aufschwung zahlen müssen, nicht immer so drastisch wie etwa Hwang Sok-yong, dessen Erzählung "Der Nachbar" von einem armen Schlucker berichtet, der in Seouls Nobelvororten buchstäblich sein Blut verkaufen muß, um zu überleben. Lee Sung-U schildert in "Ich werde sehr lange leben", wie ein Prokurist aus der gewohnten Ordnung fällt und sich schließlich in den Bergen in einer Höhle verkriecht, um endlich wieder ruhig schlafen zu können. Hwang Sok-yong beurteilt diese Entwicklung jedenfalls voller Skepsis: "Ich weiß nicht, ob die Modernisierung so weitergeht. Aber solange dieser Kapitalismus andauert, zerstört er unser Leben." Manchmal allerdings stehen das stupende Tempo und die Effizienz der modernen koreanischen Gesellschaft durchaus im Dienst der Tradition. Das prächtigste Geschenk, das die Stadt Frankfurt von ihrem Gast erhält, ein koreanischer Garten mit Pavillons und Wasserbecken am Rand des Grüneburgparks, soll zur Messe im Oktober fertig sein, nachdem der erste Spatenstich vor gerade einmal einer Woche mit einer buddhistischen Zeremonie begangen wurde. Hwang Chi-Woo wechselte vom Generaldirektor zum Lyriker, rezitierte ein eigens verfaßtes Gedicht ("Ein Garten aus Tau, Schnee und Mondschein") und opferte auf einem Altar Früchte und Geldscheine zugunsten des Projekts. Dann eben mehr junge Schriftstellerinnen Auch in anderen Bereichen, sagt Hwang, habe man sich den Wünschen Frankfurts gegenüber offen gezeigt. Bei der Auswahl der Autoren, die Korea vertreten sollen und unter anderem von den verschiedenen einflußreichen Literaturzeitschriften vorgeschlagen wurden, habe man die deutsche Bitte respektiert, etwas mehr junge und weibliche Schriftsteller einzuladen. Der auffälligste Vertreter der Jungen, der erklärte Kosmopolit Kim Young-ha, lebt in Seoul in einem achtzehnstöckigen Hochhaus mit Blick auf das WM-Stadion und wehrt sich massiv dagegen, im Ausland mit Korea- Klischees dekoriert zu werden. Hier trifft er sich mit dem älteren Hwang Chi-Woo, der von sich sagt, er habe das Amt des Organisators übernommen, um eine Wiederholung dessen zu verhindern, was er 1988 bei den olympischen Spielen und 2002 bei der Fußball-Weltmeisterschaft beobachtet habe: daß das Kulturprogramm zu den Sportereignissen rein historisch ausgerichtet war und etwa im üblichen Fächertanz oder den klassischen Musikaufführungen schwelgte. Die jungen Autoren jedenfalls, da sind sich die meisten einig, schreiben lieber über die gegenwärtige südkoreanische Gesellschaft als über die Teilung des Landes. Was dieser Pragmatismus für eine mögliche Annäherung mit dem nördlichen Nachbarn bedeutet, ist so unklar wie die Frage, ob sich überhaupt in absehbarer Zeit eine Chance dazu auftun wird. Hwang Sok-yong, der in Berlin war, als die Mauer fiel, zieht den Vergleich mit Deutschland und bleibt skeptisch: "Hier in Korea gab es Massaker und Bürgerkrieg. Das macht die Sache schwieriger." F.A.Z., 22.07.2005, Nr. 168 / Seite 38 http://www.hr-online.de Korea Gastland der Buchmesse 2005 Autoren, Bücher und ein Garten Werben für die eigene Kultur: Gastland KoreaKorea möchte mit seinem Auftritt in Frankfurt vor allem eines: die "kulturelle Einbahnstraße" beenden. Mit 30 Autoren und über 200 Veranstaltungen will sich das Gastland der diesjährigen Buchmesse vorstellen. InformationDer koreanische Buchmessen-Auftritt ist der bislang teuerste eines Gastlandes in Frankfurt. Die Kosten betragen fast 15 Millionen Euro. Korea wolle nicht mit "exotischen Überraschungen glänzen", sondern einen umfassenden Überblick über seine heutige Kulturlandschaft vermitteln, sagte Hwang Chi-Woo, Generaldirektor des Koreanischen Organisationskomitees . Man wolle die kulturellen Beziehungen zu Deutschland künftig aktiver gestalten als bisher, erklärte der Präsident des koreanischen Organisationskomitees, Kim Uchang. "Unsere deutschen Freunde sind immer wieder überrascht, wie viel deutsche Kultur in Korea bekannt ist - vor allem ihre Musik, Philosophie, Dichtung und Ihre Erziehungstheorien", sagte Kim. Kim bedauerte aber die Einseitigkeit dieser Beziehung und sprach von einer "kulturellen Einbahnstraße". Es sei schade, dass weit mehr ausländische Bücher nach Korea importiert als koreanische Bücher ins Ausland exportiert würden, erklärte er. Park Maeng-Ho, Direktor des südkoreanischen Verlegerverbandes KPA, sagte, Korea sei mit rund 35.000 neuen Buchtiteln mittlerweile die Nummer sieben in der Welt. Nicht zuletzt hänge dies mit einer gezielten Förderung durch den Staat zusammen, der vor zwei Jahren weltweit als erstes Land die Mehrwertsteuer für gedruckte Bücher und E-Books abgeschafft hatte. Informationen über koreanische Kultur In einer 2.000 Quadratmeter großen Halle wird Korea seine Kultur präsentieren. Ein wichtiger Programmpunkt ist die Geschichte des Buchdrucks: 1234 wurden in Korea zum ersten Mal auf der Welt Bücher per Metalldruckverfahren hergestellt. Eine Fotowand wird die 15 wichtigen koreanischen Autoren und ihre Werke vorstellen. Zu den koreanischen Schriftstellern, die nach Frankfurt kommen werden, gehören auch KO Un und YI Munyol, die seit Jahren zu den Anwärtern auf den LiteraturNobelpreis gehören. Im Zentrum der Veranstaltungen steht ein umfassendes Literaturprogramm. Die LiteraTOUR, eine Lesereise mit 60 koreanische Autoren durch deutsche Städte, die im März bei der Leipziger Buchmesse begann, findet in Frankfurt ihren Abschluss. Daneben sollen zahlreiche Theaterstücke, Ausstellungen, Filmreihen und Performances einen Eindruck von der Kulturwelt Koreas vermitteln. Höhepunkte seien die Kunstausstellung im Frankfurter Kunstverein mit dem Titel "Parallel Lifes" sowie Konzerte in der Alten Oper Frankfurt. Im Frankfurter Grüneburgpark wird zudem ein 4.800 Quadratmeter großer "Koreanischer Garten" mit Teich und Pavillon angelegt. Bedauern über nordkoreanische Entscheidung Buchmessen-Chef Jürgen Boos bedauerte, dass in Deutschland kaum etwas über das Land Kreoa bekannt sei: "Der Auftritt Koreas kommt sicher eher zu spät als zu früh." So gäbe es weder ein Deutsch-Koreanisches Wörterbuch noch einen aktuellen deutschsprachigen Korea-Reiseführer. Dies sei umso bedauerlicher, als im Gegenzug Korea neben China seit Jahren wichtigster Abnehmer deutscher Übersetzungslizenzen sei. Zudem äußerte er sein Bedauern, dass die nordkoreanische Regierung die Teilnahme an der Präsentation "ohne inhaltliche Begründung" abgelehnt habe. Trotzdem werde das Thema Nordkorea einen angemessenen Raum einnehmen. Stand: 13.06.2005 http://www.faz.net Gastland Südkorea Wo Deutschland einen guten Klang hat Von Anne Schneppen, Seoul, 17. Oktober 2005 Geteiltes Korea: Interesse an der deutschen Einheit Ein Abendessen mit Informationsminister Kim Chang-ho. Südkoreas oberster Regierungssprecher reist zum ersten Mal nach Deutschland, zur Frankfurter Buchmesse. Höfliche Fragen zur innenpolitischen Lage, zu Reformen und Wirtschaft. Dann wird das Gespräch persönlich, und Kim erzählt von seiner Dissertation zur deutschen Philosophie, über Habermas und Heidegger. Als er noch Journalist war, bei der Tageszeitung „Joong Ang Ilbo“, versuchte er, zu Habermas Kontakt aufzunehmen, schickte ihm einige Fragen per Fax nach Frankfurt - und wunderte sich, daß er eine Antwort bekam. In der Stimme schwingt fast ein wenig Ehrfurcht mit, wenn der Minister, dessen oberste Aufgabe es heute ist, die richtigen Antworten zu geben, davon erzählt, daß er damals die richtigen Fragen gestellt hat. Das jedenfalls habe ihm Habermas bei einem späteren Treffen in Korea zu verstehen gegeben. Mehr als 20 Übersetzungen des „Faust“ Nach innigem Verständnis für deutsche Denker und Dichter muß man bei südkoreanischen Regierungsbeamten nicht lange suchen. Seouls Bildungsbürger schätzen Deutschland nach wie vor. In Tokio sitzt ein südkoreanischer Botschafter, der aus dem Stegreif Vorträge über Hegel halten kann. Im Außen- oder im Kulturministerium gibt es noch eine starke „deutsche Schule“. Zwar ist die Zahl der Studenten rückläufig, doch wird noch an 70 südkoreanischen Universitäten Germanistik gelehrt. Vor allem Ältere geraten über Goethe ins Schwärmen, die „Italienische Reise“ in koreanischer Sprache war 1997 ein Bestseller, der „Faust“ ist in mehr als 20 Übersetzungen erhältlich. Auch modernere Literatur, wie Grass, Böll, Hesse und Rinser, wird gelesen. Kein anderes Land in Asien erwirbt so viele Übersetzungslizenzen für deutsche Literatur. Noch lebendiger ist die Liebe zur klassischen Musik. Unter den Koreanern, die in Deutschland studieren möchten, ist die Gruppe der Musiker die stärkste. Das war der Anreiz für das Gemeinschaftsprojekt der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar und der Kangnam-Universität, in diesem Jahr den ersten deutschen Musikstudiengang in Korea anzubieten. Deutsch war mal zweite Fremdsprache Deutsche Spuren durchziehen ihren Alltag, ohne daß es den meisten Koreanern bewußt ist. „Lotte“ heißen Kaufhäuser, Schokolade und sozialistisch anmutende Apartmentblocks. Dahinter steckt die große Liebe eines koreanischen Geschäftsmannes und Goethe-Verehrers. Mit „hof“ enden die Namen zahlreicher Kneipen, man findet in Seoul „Konditoreien“ und eine Nachhilfeschule „Eins“. Unter dem Etikett „Rosenheim“ werden in Japan Würste verkauft, in Korea ist es Käse. Der japanische Bergsteiger kennt den „Rucksack“, der koreanische den „Schlafsack“, und beide wissen, was „Arbeit“ ist. Seouler Hotels feiern Oktoberfest, das „Heideröslein“ gehört zum Nostalgiker-Repertoire. Die Jugend aber orientiert sich eher an „Rammstein“, deren CDs in Korea hergestellt werden, mit koreanischem Cover und übersetzten Texten. Deutsch war einmal die zweite Fremdsprache koreanischer Oberschüler. Noch 1980 entschied sich gut die Hälfte - nach dem Pflichtfach Englisch - für Deutsch, ein Viertel für Japanisch, knapp ein Fünftel für Französisch. Ähnlich wie andere asiatische Länder besinnt sich auch Südkorea inzwischen auf die Bedeutung der eigenen Region. Das steigende Interesse an den Sprachen der großen Nachbarn China und Japan drängt den Deutschunterricht an Schulen und Universitäten zurück. Heute lernt gut eine halbe Million koreanischer Schüler Japanisch; es folgen Chinesisch, Deutsch und Französisch. Englisch steht außer Konkurrenz. Nahezu ausgeglichene Handelsströme Deutschland ist in Südkorea weit präsenter als Südkorea in Deutschland - es ist eine ziemlich einseitige Liebe, und das, obwohl doch mehr als 30.000 Koreaner in Deutschland leben, gegenüber nur rund tausend Deutschen in Südkorea. Beim Studentenaustausch ist das Mißverhältnis noch deutlicher: 5.300 koreanische Studenten sind an deutschen Universitäten eingeschrieben, aber nur 80 deutsche an koreanischen. Der erste koreanische Jura-Absolvent in Deutschland, Ahn Ho-song, der 1927 in Jena sein Examen ablegte, wurde nach dem Korea-Krieg Erziehungsminister. Krankenschwestern und Bergarbeiter kamen seit den sechziger Jahren zu Tausenden zum Arbeiten nach Deutschland, nicht wenige politische Dissidenten suchten in der Zeit der Militärregime dort Zuflucht. Ihre Kinder sind im Geiste längst Deutsche. Obwohl man bei der großen Menge koreanischer Elektronik in Deutschland den Eindruck gewinnen könnte, Korea exportiere mehr nach Deutschland als umgekehrt, waren die Handelsströme im Jahr 2004 nahezu ausgeglichen und betrugen 16,8 Milliarden Dollar. Deutschland ist der viertgrößte Handelspartner, die Europäische Union der größte Investor in Korea. Deutschlands Westen war Synonym für Freiheit Ein Handelsreisender war der erste Deutsche, der nachweislich Fuß auf koreanischen Boden gesetzt hatte. Der Missionar Karl Friedrich August Gützlaff kam im Juli 1832 an Bord einer englischen Fregatte. Der Jurist und Sinologe Paul-Georg von Möllendorff wurde 1882 zum ersten westlichen Berater des koreanischen Königshofes ernannt. Das Rechtssystem und die Medizin erfuhren deutsche Einflüsse, nicht zuletzt über den Umweg Japan. Waren bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts mehr Deutsche in Korea tätig, so drehte sich das Verhältnis mit der Nachkriegszeit. Das deutsche Wirtschaftswunder lockte nicht nur viele Menschen, sondern gab koreanischen Führern - aus der Distanz reichlich verklärt - Ziele für den eigenen Aufschwung. Für General Park Chung-hee, der 1961 durch einen Militärputsch an die Macht kam, diente die Bundesrepublik als Wirtschaftsmodell. Zwei Jahre vor seinem offiziellen Deutschlandbesuch widmete er dem Land ein Buchkapitel: „Das Wunder am Rhein und das deutsche Volk.“ Aus jener Zeit rührt wohl die bei der älteren Generation noch immer gefestigte Vorstellung deutscher Tugenden: Ordnungsliebe, Fleiß, Effizienz und Disziplin. Für viele Südkoreaner war Deutschlands Westen zu dieser Zeit aber auch ein Synonym für Freiheit. Zahlreiche Intellektuelle gingen dorthin ins Exil. Deutsche Vereinigung wird kritisch beäugt Der Komponist Isang Yun wurde nach seiner Entführung durch den südkoreanischen Geheimdienst deutscher Staatsbürger. Trotz aller geographischen Distanz empfindet man in Korea bis heute wegen des gemeinsamen Schicksals der Teilung Nähe und Sympathie. Die Existenz zweier deutscher und zweier koreanischer Staaten bestimmte auch das Verhältnis zueinander, wobei Ost-Berlin und Pjöngjang schneller zueinander fanden als Seoul und Bonn. Heute ist es der Kraftakt der deutschen Vereinigung, der in Südkorea mit gemischten Gefühlen verfolgt wird. Es gibt kaum ein Gespräch, in dem ein Deutscher in Seoul nicht darauf angesprochen wird: Es beginnt mit einer höflichen Frage, aus welchem Teil Deutschlands man komme und wie man die Fortschritte beurteile. Doch die Nachfragen verraten, daß sich hinter den Glückwünschen nicht nur Bewunderung verbirgt, sondern große Skepsis. Es interessieren eher die Schwierigkeiten Sicher hat Südkorea aus der deutschen Einheit vor allem die Lehre gezogen, daß diese im eigenen Land so schnell nicht kommen soll. Rasch werden die Fakten verglichen und von ihnen abgeleitet, daß Deutschland nur begrenzt ein Modell sein kann: Das Bevölkerungsverhältnis lag in Deutschland bei etwa vier zu eins, in Korea liegt es bei zwei zu eins. Und während die Wirtschaft der ehemaligen DDR innerhalb des Warschauer Paktes noch eine der solidesten war, ist Nordkoreas durch und durch marode und kann nicht einmal die eigene Bevölkerung ernähren. Auch hat Südkorea nicht jene ökonomische Leistungskraft der Bundesrepublik im Jahr 1989. Das lähmt den Enthusiasmus, auch wenn die Wiedervereinigung nach wie vor das theoretische Fernziel ist. Die Regierung von Roh Moo-hyun setzt auf die Maxime „Frieden und Wohlstand“ sowie einen längerfristigen Prozeß der Entspannung und Öffnung. Das Jubiläum der deutschen Einheit war für koreanische Fernsehsender Anlaß für eine Fülle von Dokumentationen und Reportagen. Dabei wurden weniger die Leistungen als die Schwierigkeiten des Zusammenwachsens aufgezeigt: Arbeitslosigkeit, Armut, Ostalgie und die Wahlerfolge der PDS vor dem Hintergrund einer nationalen Wirtschaftsmisere. Der in Südkorea über solche Berichte nachsinnende Zuschauer dürfte sich davon kaum ermutigt fühlen. http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=8627 Oktober 2005 Korea, Gastland in Frankfurt bei der Buchmesse Von Kai Köhler I Jährlich stellt sich auf der Frankfurter Buchmesse ein Gastland oder, wie zuletzt mit der arabischen Welt, eine Gastregion vor. Das bietet Büchern, Autoren, Verlagen eine Chance, die schwer zu nutzen ist: die Chance, endlich einmal Aufmerksamkeit zu gewinnen, nebst der Gewissheit, dass auf dem nun auch schnelllebig gewordenen Buchmarkt bald schon ein anderes Thema seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird. Nun geht es in der Literatur durchaus um Stoffe und Themen, vor allem aber um gute Bücher; und so hat die Gastlandroutine sicher schon für viele Werke aus fernen Gegenden die verdiente Aufmerksamkeit hervorgerufen, die ihnen sonst nicht zuteil geworden wäre. Der Anspruch aber geht meist darüber hinaus. Er zielt nicht nur darauf, dass unter vierzig oder fünfzig Autoren günstigenfalls vier oder fünf ein treues deutsches Lesepublikum finden, was mittelfristig doch potenzielle Aufmerksamkeit für deren Landsleute bedeutet; er zielt darauf, eine Nationalliteratur vorzustellen, ein Land oder gar, was am schwierigsten zu umgrenzen ist, eine Kultur. Dies Unterfangen verlangt Mittel. Wo Mittel sind, sind auch Interessenten. Und wo Interessenten sind, findet sich Strategie - die nicht verwerflich ist. Die Rede ist hier nicht von plumper politischer Beeinflussung, von Versuchen, das Eigene in Deutschland als vorbildlich darzustellen und Kritiker im Ausland zu marginalisieren. Südkoreanische Autoren, die sich mutig gegen die Militärdiktaturen zwischen 1960 und den frühen 90er Jahren wandten, sind heute in ihrer Heimat anerkannt und in Frankfurt prominent vertreten. Jüngere, die mit scharfem Blick auf die Zerstörungen, die eine rapide Modernisierung angerichtet hat, ihre Heimat beschreiben, sind ebenfalls da. Kritiklose Lobredner ihres Landes dagegen wird man in diesem Jahr auf der Messe lange suchen müssen. Die Rede ist dagegen von der notwendigen Ambivalenz, die eigene Literatur den Deutschen einerseits als fremd und landesspezifisch darzustellen - sonst hätte ein Länderschwerpunkt keinen Sinn. Andererseits muss das Übernationale, deutschen Lesern Kompatible vermittelt werden, denn als komplett Fremdes lohnte die Literatur keine Beschäftigung. Goethes Worte von den Eigenheiten einer Nation als "Münzsorten" und vom Übersetzer als "Vermittler" eines "allgemein geistigen Handelns", der "den Wechseltausch zu befördern sich zum Geschäft macht", bezeichnen gerade in ihrer ökonomischen Metaphorik die Position, die eine nationale Literatur im Gesamt der Weltliteratur darstellt. In einer globalisierten Welt, die gegenwärtig mehr Kulturwerte vernichtet als hervorbringt, bestätigt sich das Sprachbild auf weniger optimistische Weise als der es meinte, der es fand, zumal die erfolgreichere Handelsware auf absehbare Zeit die gekonnt auf weltweite Vermarktung kalkulierte angelsächsische Unterhaltungsliteratur sein dürfte. Man kann das Problem soziologisch und machtanalytisch als Kampf um Anerkennung sehen. In überkommener Sicht sind Europa und Nordamerika das kulturelle Zentrum, um das die Peripherie mit bedeutendem Mitteleinsatz wirbt. Seit einer Generation zwar ist Ostasien wirtschaftlich erfolgreich und nähert sich dem Westen an, doch orientieren sich Aufsteiger seit je an etablierter Kultur, mag sie auch ökonomisch niedergehen. Die Millionen von Euro, die Südkorea für seinen Gastlandauftritt aufwendet, sind so betrachtet ein zweifelhaftes Kompliment. Allerdings sind Empfänger von Komplimenten selten wählerisch. Die Interpretation des alten Zentrums also dürfte sein: Seht, sie werben um unsere Aufmerksamkeit, sie wollen endlich was sein. Anstelle eines Kulturaustauschs tritt hier der abschätzende Blick, ob es denn auch dahinten wohl jemanden gibt, der passabel schreibt. Das umgekehrte Interesse ist: Wenn sie uns anerkennen, ist auch unsere Kultur legitimiert und sind die Erniedrigungen, die wir seit einem guten Jahrhundert ertragen mussten, vorbei. Die koreanische Hoffnung auf einen Literaturnobelpreis bezeichnet diese Haltung, der man kaum beikommen kann mit dem Hinweis auf die literaturhistorische Bedeutungslosigkeit dessen, was ein paar Leute in Schweden dekretieren. Man kann das Problem aber auch mit den Augen eines neugierigen Lesers sehen, der wissen will, ob es denn neben dem einzelnen lesenswerten Buch wirklich etwas Koreaspezifisches gibt, das seine Aufmerksamkeit lohnt. Tatsächlich gibt es das. Und die Paradoxie liegt darin, dass dieses Besondere nur das Allgemeine sein kann, das auch ihn betrifft. II Es gibt dieses Besondere, und es ist die Verdichtung des Allgemeinen. Koreanische Literatur ist in Inhalt und Schreibweise eng an die koreanische Geschichte des 20. Jahrhunderts gebunden. Und diese ist, aus europäischer Sicht vertraut, über weite Strecken durch Armut und Gewalt geprägt. Die Geschichte griff ins Leben aller Schriftsteller ein, häufig durch politischen Protest und politische Verfolgung. Das gleiche gilt für das Publikum, das sich im Verlauf von Modernisierung und Alphabetisierung zu großen Teilen erst als Lesepublikum konstituierte. Die politische Geschichte Koreas im 20. Jahrhundert war lange Zeit von Niederlagen und Krieg gezeichnet. Seit Jahrhunderten hatte die herrschende Jeoson-Dynastie das Land von äußeren Einflüssen weitgehend abgeschottet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts von den imperialistischen Großmächten Russland und Japan eingekeilt, wurden Reformen zu spät eingeleitet. In mehreren Schritten wurde Korea japanische Kolonie, schließlich 1910 annektiert. Die Kolonialzeit brachte einen beschränkten technischen Fortschritt, da das rohstoffarme Land aus japanischer Sicht als Brückenkopf für eine weitere Expansion aufs asiatische Festland geeignet war und eine zu diesem Zweck brauchbare Infrastruktur erhielt. Trotz Widerstands gegen die Kolonialherrschaft verschlechterte sich dagegen die Lage für den Großteil der Bevölkerung immer mehr. In Ostasien ist der Beginn dessen, was zum Zweiten Weltkrieg werden sollte, auf das Jahr 1937 mit dem japanischen Angriff auf China anzusetzen. In den acht Jahren danach bis zur japanischen Kapitulation brutalisierte sich die Besatzungspolitik, die nun von einem eigentümlichen Ineinander von Assimilationszwang und Rassenpolitik gekennzeichnet war. Was 1945 darum als nationale Befreiung erlebt wurde, war allerdings Beginn der koreanischen Teilung. Während im Nordteil unter dem Schutz der UdSSR ein stalinistisches Regime etabliert wurde, das sich bis heute als bemerkenswert reformresistent erwiesen hat, setzte sich im Süden eine autoritäre Herrschaft durch, unter der jede Forderung nach sozialer Reform oder nationaler Einigung als kommunistisch verfolgt wurde. Mit dem Koreakrieg 1950 bis 1953 war eine neue Stufe der Eskalation erreicht. Der Krieg, der keiner Seite territoriale Gewinne eingebrachte, forderte etwa 4,5 Millionen Opfer. Die wechselnden Frontlinien und die Gefahr, im Bürgerkrieg als Anhänger des jeweiligen Gegners klassifiziert zu werden, ließ ein Mehrfaches an Menschen zu Flüchtlingen werden, von denen viele durch die nun unüberwindbare Waffenstillstandslinie von ihren Familien getrennt wurden. Nach der kaum unterbrochenen sechzehnjährigen Kriegszeit war nicht nur die Gesellschaft bis in ihre Mikrostrukturen von Gewalt geprägt; auch die politische Gewalt nahm kaum ab. Über die autoritäre Regierung Rhee Syngmans und die Diktaturen der Generale Park Chung-Hee ab 1961 und Chun Doo-Hwan ab 1980 zieht sich bis in die frühen 90er Jahre eine Reihe brutaler Regimes, denen die Erfahrung von teils erfolgreichem Widerstand entgegengesetzt ist: vor allem die Revolution vom April 1960, in der ein Bündnis von Studierenden und liberalem Bürgertum für kurze Zeit eine Demokratisierung erreichen konnte, wie auch die Demonstranten, die für kurze Zeit 1980 die Stadt Kwangju kontrollieren konnten, bevor dann aber viele von ihnen einem Massaker des Militärs zum Opfer fielen. Freilich war schon in den 80er Jahren die erfolgreich industrialisierte, komplexer gewordene Gesellschaft nur mehr mit Mühe qua Befehl zu führen. Studierende und Gewerkschafter konnten durch jahrelange Kämpfe die Herrschaft abmildern und schließlich einen Übergang zu einer Zivilregierung befördern. Mit Kim Young-Sam wurde 1992 zum ersten Mal ein Zivilist zum Präsidenten gewählt, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen gab es mit dem Sieg Kim Dae-Jungs den ersten friedlichen Machtwechsel in der südkoreanischen Geschichte. Die Erscheinungen von Krieg und Verfolgung, von Vertreibung und Flucht sind deutschen Lesern bekannt. Widerständige Autoren haben die Ereignisse begleitet; viele von ihnen saßen in japanischen und südkoreanischen Gefängnissen, manche sind im Koreakrieg verschollen, vielleicht im Norden getötet. Die Frage, wie man sich angesichts der Gewalt verhält, ist vielfach verhandelt, bis hin zu den verstörenden Erzählungen eines Lim Chul-Woo über die Folter, etwa in "Das rote Zimmer" (1988); im Fremden bekannter Stoff für deutsche Leser, die nach wie vor großes Interesse für die NS-Herrschaft als der Katastrophe europäischer Geschichte beweisen. Eine vergleichbar düstere Geschichte weist indessen manch anderes Land auf, spezifisch koreanisch ist sie nicht. Ein Aspekt der koreanischen Geschichte, der für Deutsche besonders nahe scheint, ist es zudem tatsächlich nicht: die Teilung des Landes. Die Grenze zwischen Nord und Süd ist viel schwerer zu überwinden als es die zwischen Ost und West jemals war. Und mangels Kontakt gibt es in der koreanischen Literatur darüber wenig Beschreibungen. Man geht vielfach in den Koreakrieg zurück, der die Teilung zementiert hat. Vergleichbares gibt es in deutscher Geschichte nicht. Es gibt pathetische Forderungen nach einer Wiedervereinigung, etwa in der Lyrik Ko Uns. Nur wenigen deutschen Schriftstellern war vor 1989 eine deutsche Vereinigung überhaupt ein Anliegen, und mit guten historischen Gründen vermieden auch diese wenigen einen so lautstarken Nationalismus, wie er für Ko als Bürger eines früher kolonialisierten Landes offensichtlich kein Problem ist und mit dem verglichen selbst ein Martin Walser wie ein Kosmopolit wirkt. Wenn koreanische Autoren über die Teilung schreiben, wenden sie sich der Vergangenheit oder aber der Zukunft zu, weil die Gegenwart wenig hergibt, worüber sie überhaupt schreiben könnten. Lee Hochol muss in seiner frühen Erzählung "Panmunjom" (1961), in der in diesem Herbst bei dtv erschienenen Prosasammlung enthalten, zu einer sehr unwahrscheinlichen Konstruktion greifen, nur damit er einen Vertreter des Südens und eine Vertreterin des Nordens miteinander sprechen lassen kann. Viel überzeugender ist "Im Sumpf steckengeblieben" (1984) von Pak Wanso, in der im Pendragon Verlag erschienenen Erzählungssammlung "Am Ende der Zeit". Hier soll ein Kinderbuchautor für das Fernsehen eine Sendung entwerfen, in deren Handlung Kinder aus Nord und Süd die Demarkationslinie überwinden und zusammenkommen. Das Vorhaben scheitert; ein Blick auf die Grenzbefestigungen überzeugt ihn, dass die Grundidee platte Illusion ist. Pak schreibt über die Radikalität der Teilung, indem sie sich der Schilderung eines Treffens verweigert. Damit hat sie Recht, doch ist ihr Modell nicht beliebig wiederholbar, sondern wendet sich gegen eine weitere künstlerische Behandlung einer Frage, die politisch zu beantworten ist. Eine solche Antwort gab es in Deutschland mit übrigens in Korea aufmerksam beachteten Folgen, zu deren Diskussion die koreanische Not nichts beitragen kann. III Das Eigene im Fremden läge also allgemeiner im Zusammenhang von Krieg, Gewalt und Diktatur doch wozu so weit schweifen? Weil es in anderer Hinsicht verdichtet ist. In Zukunft wird man die Geschichte des 20. Jahrhunderts vielleicht nicht mehr als die blutiger Totalitarismen (was immer das sein mag) erzählen, sondern als Geschichte von Verstädterung und Industrialisierung. In dieser Hinsicht ist Korea keine mildere Spiegelung eigener Erfahrungen, sondern deren Zuspitzung. Der Weg vom Bauernland um 1900 zur extremen Verstädterung hundert Jahre später wurde mit einzigartiger Konsequenz beschritten. Der Anteil der Landwirtschaft am Sozialprodukt ist heute zu vernachlässigen; und in der Agglomeration Seoul wohnen heute gut 21 Millionen Personen, in anderen Millionenstädten oder ihrem Umkreis mehr als 12 Millionen - das heißt, dass etwa zwei Drittel der Bevölkerung in oder am Rand von Millionenstädten leben. Damit einher geht die Ausbreitung städtischer Lebensformen; nach einem starken Bevölkerungsanstieg in den 50er und 60er Jahren, wie er auch für die europäische Industrialisierung charakteristisch war, liegt die Geburtenrate nun schon unter dem Schnitt der Industriestaaten. Das Modell der Kleinfamilie setzte sich bereits durch; und heute wird immer später geheiratet und zersetzt sich die rigide konfuzianistische und seit einigen Jahrzehnten auch christliche Sexualmoral, die freilich, glaubt man der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, immer schon eher Ideologie und Repressionsmittel als Lebensrealität war. Lebensweltlich bedeutete die ökonomische Entwicklung, mit einiger Verzögerung, einen wachsenden Lebensstandard der Bevölkerungsmehrheit. Immer größere Teile der Bevölkerung kamen deshalb in den Genuss der traditionell hoch bewerteten Bildung. Gemessen an den westlichen Industrieländern zeichnet die koreanische Geschichte ein enormes Tempo aus. In ein knappes Jahrhundert drängen sich Veränderungen, die in Europa mehr als das Doppelte an Zeit brauchten. Notwendige Folge sind Ungleichzeitigkeiten; von ihnen zu reden, bedeutet nicht, eurozentrisch das westliche Modell als Normalfall und die koreanische Entwicklung als Abweichung zu setzen. Vielmehr verweist es darauf, dass die Betroffenen und Gestaltenden stets mit ihrem Erlernten Situationen zu bewältigen versuchen, die indessen neue Antworten erfordern. Ökonomisch und technisch ist das vorbildlich gelungen. Psychisch stellt es dennoch besondere Anforderungen, bedeutet es häufig Überforderung. Spuren davon zeigen sich in der koreanischen Literatur allenthalben - auf der Ebene der beschriebenen Personen etwa, deren Verhalten als unzureichend durchschaubar wird. Interessanter noch ist es vielleicht, wenn der Konflikt sich auf die Ebene des Werks verlagert und eine angestrebte Lösung nicht mehr gelingt. Das Scheitern ist dann kein Mangel, sondern freiwillige oder unfreiwillige Gestaltung eines gesellschaftlichen Widerspruchs. Die klügeren Autoren demontieren tradierte harmonisierende Wertsetzungen bewusst; die anderen vermitteln wider Willen den Eindruck einer Spaltung, wie sie in einer Zeit rascher Entwicklung unvermeidlich ist. Deshalb sperrt sich koreanische Literatur jedem Exotismus. Verglichen mit Lateinamerikas "magischem Realismus" ist das möglicherweise ein Nachteil auf einem westlichen Literaturmarkt, wo ein bestimmter Teil des Publikums harmlos-geheimnisvoll Fremdes, das wie vormodern wirkt, als Kraftquell für die alltäglichen Kämpfe in der eigenen Moderne goutiert. In das Spannungsfeld von Harmonisierung und Zweiheit gehört es, wie koreanische Autoren traditionelle Erzählmodelle und Stoffe aufgreifen und so moderne Probleme zu gestalten versuchen. Anders als in Deutschland, wo beim Lesepublikum eingehende Kenntnis von Goethes "Faust" oder dem Nibelungenlied nicht mehr ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann, sind einige klassische Erzählungen noch Allgemeingut. So etwa die Geschichte von Sim-Tscheong, die als Beispiel weiblicher Tugend sich für ihren blinden Vater aufopfert, dafür vom mythischen Meereskönig reich belohnt wird und als Königsgattin ins Leben zurückkehren darf. Das Spektrum der Aktualisierungen ist breit: So bricht Yi Chong-Jun in "Sim Ch'ong hat gute Beziehungen" (1997) das moralische Märchen mannigfach durch Ironie, um so doch auch modernen Menschen die Lehre genießbar zu machen und den Inhalt gegen eine Moderne zu retten, in der traditionelle Werte verfallen. Das Gegenmodell hat der Dramatiker Oh Tae-Suk in "Warum das Mädchen Sim-Tscheong zweimal ins Wasser ging" (1994) geschaffen. Bei ihm ist die eindimensionale Pädagogik durch beißenden Sarkasmus zersetzt. Der Meereskönig begibt sich neugierig an Land, durchstreift die Welt des 20. Jahrhunderts und endet als fröhlicher Zuhälter, während Sim-Tscheong, die ihm in gutem Glauben zuarbeitet, damit den Menschen doch nur Unglück bringt. Dabei ist die Sprache Oh Tae-Suks genau nach alten Mustern rhythmisiert, er nutzt überlieferte Theatermittel, um zum einen der Überlieferung mit ihrer falschen Moral zu widersprechen, zum anderen auch die hoffnungslos geldfixierte moderne Welt vorzuführen. Die scharfe Konfrontation von Alt und Neu, mag sie wohlkalkuliert gelingen wie bei Oh oder sich auch im unfreiwilligen Neben- und Gegeneinander zeigen, bedeutet wie jede Konfrontation Erkenntnis. Dass koreanische Literatur eine Literatur des Ungleichzeitigen ist, markiert daher keine Schwäche, sondern eine Stärke. Im Idealfall erlaubt sie es dem westlichen Leser, die Brüche in der eigenen Geschichte konzentriert wiederzufinden. Es handelt sich um Konflikte, die sich nicht allein auf der Ebene von Figuren und Werk, von künstlerischem Erfolg und Scheitern abspielen. Sie finden sich auch auf der Ebene des gesamten Literatursystems. Da ist zum einen das Problem, dass viele ältere Literatur aus Gründen der Sprache oder der verwendeten Zeichen unzugänglich wird. Sprache: Während der Kolonialzeit verfassten einige koreanische Autoren auch Texte auf Japanisch. Gehören diese Werke der koreanischen Literatur an? Schrift: Lange Zeit schrieben koreanische Autoren mit chinesischen Zeichen oder mischten sie doch gebräuchliche chinesische Zeichen in die koreanische Hangeul-Schrift. Jüngere Leser kennen diese Zeichen zum großen Teil nicht mehr. Auch hat sich die koreanische Sprache im 20. Jahrhundert relativ schnell gewandelt. So ist das Verständnis eines Werks von 1930 deshalb für heutige Leser erheblich schwieriger als für deutsche Leser die Lektüre von Thomas Mann oder Bertolt Brecht. Zum anderen kommt zum Sprach- und Schriftwandel die radikale lebensweltliche Änderung; für Seouler Stadtkinder von heute sind Romane über das koreanische Dorf der 50er Jahre wohl kaum weniger exotisch als für deutsche Leser. Aber auch aus anderen Gründen hat man es mit einer nach Generationen stark gespaltenen Leserschaft zu tun - sofern die Jüngeren überhaupt noch Bücher lesen und sich nicht gleich elektronischen Medien zuwenden. IV Bis vor einem guten Jahrzehnt war Literatur auch Ersatzopposition in einer Medienwelt, die zwar nicht völlig gleichgeschaltet war, doch kritischen Stimmen nur wenig Raum ließ. Autoren begriffen sich als Repräsentanten der Wahrheit und wurden als solche begriffen. Anders als in der DDR, wo Literatur eine ähnliche Rolle spielte, gab es keine offizielle Literaturdoktrin des Realismus, von der man sich deshalb mit neuen Schreibweisen oppositionell abwenden konnte. Im Gegenteil bediente sich die Oppositionsliteratur, die in Südkorea mit der heute als repräsentativ angesehenen Literatur jener Jahre weitgehend gleichzusetzen ist, zumeist traditionell realistischer Erzählweisen. Mit der Demokratisierung verlor diese Funktion von Literatur an Bedeutung. Wenn heute Autoren noch umfassende Wahrheit über die Gesellschaft vermitteln wollen, so greifen sie, täuscht nicht die Auswahl des ins Deutsche Übersetzte, auffallend häufig in die Vergangenheit und/oder auf das Land als Handlungsraum zurück, vermeiden also die Stadt als den wesentlichen Ort des modernen Südkorea. Gleichzeitig öffnete sich ein Raum für eine weniger didaktisch orientierte Literatur und auch für Konzepte von Autorschaft, die nicht für Belehrung, sondern für Offenheit stehen. Doch bedeutet hier ästhetischer Freiraum den Verlust von Wirkungsmöglichkeiten, auch da, wo erfolgreiche Autorinnen wie Sin Kyongsuk (geb. 1963, auf Deutsch: "Das Zimmer im Abseits", 1995) oder Eun Heekyung (geb. 1959, auf Deutsch: "Das Geschenk des Vogels", 1995) gesellschaftliche Probleme durchaus in ihre Werke einbeziehen. Eine Parallele zu Deutschland also, wo trotz jüngster Forderungen nach einem "relevanten Realismus" die Schriftsteller, die für politische Einmischung stehen, jenseits der Sechzig sind. Allein die Parallele spricht freilich nicht für die Beschäftigung mit koreanischer Literatur; man könnte ja die deutsche lesen und hätte schon nämliches Resultat. Wieder ist es die Verdichtung, die kein Nacheinander der Generationen zulässt, sei es auch mit Vorläufern oder Nachzüglern, sondern das Gegeneinander in einem Werk, das der historischen Verschränkung der Zeiten und Funktionen entspricht. Lehrreich kann das insofern sein, als Verdichtung, Beschleunigung auf absehbare Zeit auch im Westen geschichtliches Schicksal sein wird, Korea im 20. Jahrhundert also die allgemeinere Erfahrung des 21. vorweggenommen hat. Ermutigend ist die Bilanz nicht. Die Werke berichten von Leid, Zerstörung, vom Scheitern und von Traumatisierung. Sogar im nicht seltenen Fall einer breiten epischen Anlage steht in ihrem Vordergrund der allzu schnelle Verlust einer Welt. Manche Autoren bedauern den Verlust, manche begrüßen ihn, manche suchen verzweifelt, ihn zu leugnen und verfallen ihm umso mehr. In jedem Fall sind es Verhaltensweisen, von denen, positiv oder negativ, zu lernen ist, denn auf absehbares Zeit wird nun im Westen Liebgewonnenes, Wertvolles zerstört, ohne dass ein Besseres aufscheint. Es gilt, Haltungen zu dieser Lage zu studieren. Anmerkung der Redaktion: Kai Köhler ist Autor des eben im Verlag LiteraturWissenschaft.de erschienenen Buches "Aufbruch aus der Morgenstille. Koreanische Literatur in deutscher Übersetzung", aus dem Etliches in diesen Essay eingegangen ist. Kai Köhler: Aufbruch aus der Morgenstille. Koreanische Literatur in deutscher Übersetzung. Verlag LiteraturWissenschaft.de (TransMIT), Marburg 2005. 276 Seiten, 14,90 EUR. ISBN-10: 393613412X http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=8603 literaturkritik.de Nr. 10, Oktober 2005 Literarische Landeskunde: Erzählungen aus Südkorea Von Kai Köhler Eine junge Frau kehrt von ihrem Studium in Deutschland in die koreanische Heimat zurück. In der Fremde hat sie Selbstvertrauen gewonnen und lässt sich nun nicht mehr von Männern sexuell ausbeuten; schlimm genug für drei ihrer Bekannten, die erkennen müssen, dass mit ihr nicht länger nach Belieben umzuspringen ist. Kurz darauf wird sie ermordet; und der Protagonist in Kim Young-has "Klingende Weihnachtsgrüße" (2004) sieht sich unter Verdacht. Hier setzen die eigentlichen Konflikte ein: das Misstrauen unter den drei Männern, ob einer von ihnen der Täter ist, und der Argwohn der Ehefrau, die immer schon ahnte, dass auch ihr Mann das Bett des Opfers geteilt hat. Mit Meisterhaft verdichtet Kim das Lastende, deutet mit kleinen Gesten an, wie vergiftet Freundschaft und Ehe sind und auf welch schäbige Triumphe die Beteiligten hoffen. So neigt die Ehefrau zu einer funktionalen Sicht der Dinge: Sollte ihr Mann der Täter sein, wäre eine Scheidung kein Problem, und sie selbst würde sicher von Frauenmagazinen interviewt. Allein dass sie ihren Mann für zu pedantisch für einen Mord hält, lässt sie doch lieber auf einen tödlichen Unfall und die Lebensversicherung hoffen. Was der 1968 geborene Kim hier beschreibt, ist für die koreanische Literatur nicht neu. Doch er beschreibt es so, dass der Leser es sich selbst erschließt und kein allzu geschwätziger Erzähler es ihm einbläut. Dagegen ist der 1941 geborene Kim Wonil, von dem im Pendragon Verlag auf Deutsch bereits der lesenswerte Roman "Wind und Wasser" vorliegt, in der Sammlung von Sylvia Bräsel und Lie Kwang-sook mit der schwächeren Erzählung "Unvergessen" (1982) vertreten. Auch hier geht es um beengtes, konfliktreiches Wohnen, doch ist allzu viel erklärt statt skizziert - und am Ende gar Versöhnung angedeutet. Kang Sok Kyong (geb. 1951) schreibt in "Hinter Glas" (1984) kaum avancierter: Während der Mann im Beruf aufgeht, verkümmert seine Frau im modernen Apartment, das seinen Erfolg beglaubigt. Die jüngste Autorin der Sammlung, die 1970 geborene Han Kang, bearbeitet in "Die Früchte meiner Frau" (1997) ein ähnliches Motiv, das sie allerdings ins Fantastische verschiebt: blaue Flecken auf dem Körper der Frau breiten sich immer mehr aus, allmählich verholzt sie, und ihrem Mann bleibt nichts übrig, als sie einzupflanzen und zu gießen. Paradox genug, führt gerade ihr Sprachverlust wieder zu Verständigung, wendet sich der Mann erst der Pflanze zu, die im Herbst dann verdorrt, um doch einige bitter schmeckende Früchte zu hinterlassen, die vielleicht zu neuem Leben führen. Es mag bei der Lektüre des Bands so scheinen, als entwickle sich die koreanische Literatur schnell zum Besseren und Anspruchsvolleren. Die älteste Erzählung des ältesten vertretenen Autors, "Panmunjom" (1961) von Lee Hochol (geb. 1932), wirkt befremdlich. Am einzigen Grenzübergang zwischen Nord- und Südkorea, eben in Panmunjom, treffen sich eine Frau aus dem Norden und ein Mann aus dem Süden; aller Emanzipation entgegen verliebt sich die Frau in den recht patriarchalisch daherkommenden Südler und lässt sich bei Regen von ihm in ein Auto zerren, was ihr wohl den Rückweg nach Norden unmöglich machen dürfte: ein eigenwilliges Verständnis vom Zusammenkommen von Nord und Süd. Viel überzeugender lenkt Su Jung In (geb. 1936) in "Heimkehr" (1979) den Leser, gerade weil er ihm nicht alles gleich verrät. Der anscheinend Neureiche, der sich anbietet, ehemalige Schulfreunde aus der aufs Materielle zentrierten Metropole Seoul aufs Land zu fahren, stellt sich doch nur als ein - sympathischer - Hochstapler heraus, auf den auf dem scheinbar friedlicheren Land die Polizei wartet. Die Pointe trägt indessen nicht den Verlauf über 23 Seiten; ein überzeugender Spannungsbogen gelingt unter den älteren, realistischen Erzählern allein Hwang Sok-yong (geb. 1943), der in "Ein Mensch wie du und ich" (1972) eine Geschichte im historischen Prozess der Urbanisierung gestaltet. Wie um 1970 jedes Jahr Zehntausende, so kommt auch der Protagonist nach Seoul und versucht, sich als Arbeiter durchzuschlagen. Der Lohn reicht kaum zum Überleben, der Hunger quält, Alkohol und Verbrechen locken. Schließlich ist die Gewalt unvermeidlich, doch richtet sie sich nicht gegen die Profiteure der Industrialisierung, sondern sie bleibt innerhalb der Klasse und trifft eher zufällig irgendeinen Wachmann. Indem Hwang konsequent die Perspektive des Mörders wahrt, der einem offenkundig intellektuellen Gegenüber, einem Gefängnispsychologen vielleicht, das Geschehen recht feindselig skizziert, in einem allzu eindimensionalen Verständnis der Weg versperrt. Angesichts einer solchen Erzählung eines in Südkorea erfolgreichen Autors wird am ehesten deutlich, dass der ästhetische Fortschritt in die Welt von Kim Young-ha und Han Kang auch Verlust ist: Der Verlust einer Literatur, die angesichts von Diktatur und gelenkten Massenmedien für große Teile der Bevölkerung handlungsleitend war. Unter den neuen Bedingungen von offeneren Massenmedien und expandierender Konsumwelt kann kritische Literatur nicht mehr die Funktion einnehmen, wie sie sie in Südkorea vor einem guten Jahrzehnt noch hatte. Das zeigt sich an der Erzählung "Die Stimme des Gewissens" (2004) von Gong Jiyoung (geb. 1963), die unter den relativ jüngeren Autoren Südkoreas eine politische, kritische Literatur repräsentiert: Ihr Thema sind hier die Berichte eines deutschen Journalisten über das Massaker, das Regierungstruppen unter demokratischen Demonstranten 1980 in der Stadt Kwangju angerichtet haben. Nun ist der Deutsche schwer krank, und einige Koreaner unternehmen es, ihm eine gegenwärtige koreanische Fernsehdokumentation über die Bedeutung seiner Reportagen zu übersetzen. Der Freundschaftsdienst für den Deutschen, der einst den fortschrittlichen Koreanern half, wird im Gegenzug den Koreanern zum Anlass der Selbstreflexion, inwieweit sie sich den Herrschenden angepasst haben und ob nicht der oppositionelle Impuls von 1980 wieder aufgenommen werden sollte. Ein solcher Appell beschließt die Sammlung, die schon deshalb wertvoll ist, weil sie mit Kim Youngha, Han Kang und Gong Jiyoung wichtige Autoren und Autorinnen zum ersten Mal in Deutschland vorstellt. Freilich sind nicht alle Erzählungen zu loben und haben zumal die hier ausgewählten Texte von Lee Hochol und Kim Wonil eher historische Bedeutung. Das Deutsch der zahlreichen Übersetzer ist von unterschiedlicher Qualität; zumeist stört es nicht, ab und an aber doch, und es begeistert freilich kaum je. Mit Erzählungen, die sich fast alle durch einen mehr oder minder geschickt vermittelten sozialen Realismus auszeichnen, haben die Herausgeberinnen die Hauptströmung der südkoreanischen Literatur akzentuiert und bieten so den Lesern einen angenehmen Zugang auch zu landeskundlichen Informationen - der qualitativ bedeutsame Nebenweg einer avantgardistischen Erzählliteratur, die sich einer eindeutigen Auflösung verweigert, bleibt dagegen noch zu öffnen. Sylvia Bräsel / Lie Kwang-sook (Hg.): Koreanische Erzählungen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 256 Seiten, 9,00 EUR. ISBN-10: 3423133813 http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=8605 literaturkritik.de Nr. 10, Oktober 2005 Krieg und Nachkrieg Jo Jong-Raes historischer Roman über die koreanische Gegenwart Von Kai Köhler Kann man mit dem Telefon töten? Fast drei Jahrzehnte nach Ende des Koreakriegs zerstört ein einziger Anruf das Lügensystem des erfolgreichen Seouler Unternehmers Hwang. Immer wieder fragt der Mann am anderen Ende der Leitung: "Herr Bae Jeomsu, glauben Sie nicht, dass Sie schon zu lange gelebt haben?" Die Stimme wird Hwang die letzten Tage seines Lebens verfolgen, und zuletzt noch, als er nach einem Zusammenbruch halbbewusst im Krankenhaus dahindämmert, das Klingeln des Apparats. Doch warum? Der Anrufer hat die Wahrheit über sein Vorleben herausgefunden. Statt als Abkömmling einer vornehmen Familie und Widerstandskämpfer gegen die Kommunisten aus dem Norden geflohen zu sein, war Hwang als der Bauernsohn und Schmied Bae in einem kleinen Dorf im Süden aufgewachsen und hatte zu Kriegsbeginn auf Seiten der Linken seine blutige Rolle gespielt: Er hatte die Speere hergestellt, mit denen die Aufständischen bewaffnet waren, und er selbst hatte 38 Angehörige des Clans der Shin, die die Gegend beherrschten, erstochen. Der entschlossene Mann, der mit neuer Identität eine Firma aus dem Nichts aufgebaut und mit harter Hand beherrscht hat, ist schnell am Ende seiner Kraft. Was immer die Gerichte dreißig Jahre später urteilen mögen: Es ist klar, dass die Wahrheit nicht nur ihn selbst geschäftlich und gesellschaftlich ruinieren, sondern auch seine ganze Familie ins Nichts reißen würde. Nicht von der Spannung auf diesen Ausgang lebt Jos Roman, sondern von den zahlreichen Rückblenden in die Kriegszeit und von der Schilderung, wie Hwangs ältester Sohn, der ebenfalls bald von Anrufen geplagt wird, die Geschichte seines Vaters erfährt. Der Koreakrieg erscheint plastisch nicht als das Hin und Her der großen Armeen, wie es in historischen Überblicken leicht zu schildern ist, sondern als Bürgerkrieg im Kleinen. Jo schildert ihn multiperspektivisch. Anschaulich wird, wie die Bauern nicht nur ausgebeutet und misshandelt, sondern auch gedemütigt werden und so bereits vor dem ersten Speerstich feststeht, dass der Konflikt zu Gewalt führen muss. Genauso anschaulich wird die Perspektive der Shins, die sich bei alledem noch als patriarchale Wohltäter fühlen und das "Gesindel" kaum als Menschen ansehen. Man liest, wie auch sie leiden und wie später ihre Rache die Gewalt der Kommunisten noch übertrifft. Jo schreibt einen umfassenden Gesellschaftsroman schon dadurch, indem er zeigt, wie die Kombination politischer Konflikte, individueller Erfahrungen und konfuzianischer Familienordnung das Zusammenleben zerstört. Er zeigt weiter, wie die Zentralstellung der Familie den Krieg noch in die nächste Generation trägt. "Das Spiel mit dem Feuer", im Original 1982 erschienen, ist denn auch weniger ein historischer Roman als ein gegenwartsbezogener; das unterscheidet das Buch von dem Kurzroman "Land der Verbannung" (1981), der auf Deutsch im vergangenen Jahr ebenfalls bei der Edition Peperkorn erschienen ist und sich nun wie eine Vorstudie zu dem umfassenderen Werk liest. Die südkoreanische Rechte hat das Engagement Jos sehr gut begriffen und den Autor in den 70er und 80er Jahren, als jedes Verständnis auch für Kommunisten als nationaler Verrat galt, verfolgt. In südkoreanischer Literatur findet sich häufig das Motiv, dass die kriegerische Vergangenheit bis in die Gegenwart weiterwirkt und die Menschen von ihrem Leid nicht fortkommen. Hier nun ist das geläufige und, denkt man auch an neuere deutsche Opferliteratur, triviale Motiv radikalisiert. Vielleicht sind die jüngeren Männer, Hwangs Sohn und der Anrufer, der der Familie Shin entstammt, mehr noch Zentralpersonen als der alte Hwang. Hwang Hyungmin, ein aufstrebender Universitätsdozent, der immer seinen angeblich antikommunistischen Vater bewunderte und auf die Abstammung aus vornehmer Familie stolz war, muss sich völlig neu orientieren; als Sohn eines Schmieds mag er kaum mehr seinen Studenten gegenübertreten. Der Anrufer versichert zwar, nur den Vater treffen zu wollen, doch zwingt er Hyungmin erst zu einer peinvollen Reise in die Heimat des Vaters, dann zum Gespräch mit Überlebenden der Morde und später zu einer Entscheidung, ob das Krankenzimmer des Vaters mit dem Telefon ausgestattet wird, dessen Klingeln den Sterbenden zu Tode erschrecken wird. Gibt Hyungmin der Erpressung nicht nach, so stirbt nicht nur ein Mann, sondern wird die ganze Familie vernichtet. So muss der unschuldige Sohn zum Mitspieler des Feindes werden. Die Position dessen, der weiß und der durch sein Wissen vernichten kann, scheint dagegen unbeschränkt souverän. Jo aber gibt auch dem jungen Shin eine Geschichte: den Auftrag seiner sterbenden Mutter, die Familie zu rächen, und eine mediokre Existenz, die so gar nicht zur vergangenen Herrlichkeit der Landbesitzer passt. Der Mann, der sich mit viel Schläue als Verkäufer in der Metropole Seoul durchschlägt und dabei nicht einmal unglücklich ist, stellt eine seltsame Kombination aus jener Familientradition dar, die gegen seinen anfänglichen Willen ihn zur Rache bewegt, und einer kalten Moderne; denn er, anders als fast alle Akteure der Kriegszeit, operiert berechnend. Man erfährt seine Gründe, man erfährt seine Taktik, doch kaum sein Gefühl. Im letzten Anruf schweigt er, vieldeutig, und bestätigt so seine Macht - oder dass im Gegenteil die Sprache, mittels der er sich rächte, am Ende doch versagt. Ein Roman, in dem das Sprechen in solchem Maße Waffe ist, ist in besonderem Maße auf eine sprachlich gelungene Übersetzung angewiesen. In dieser Hinsicht befriedigt das vorliegende Buch nur zum Teil. Es überzeugt in der Wiedergabe mündlicher Rede. Der kalkulierte Auftritt des Anrufers findet ebenso sein adäquates Deutsch, wie hier auch dialektgefärbte mündliche Rede ohne jede anbiedernde Peinlichkeit in Umgangssprache wiedergegeben ist. Letztere Stärke fand sich bereits in Jos "Land der Verbannung" und in Kim Jooyoungs Roman "Ein Fischer bricht das Schilfrohr nicht", die ebenfalls von diesem Übersetzerteam auf Deutsch vorliegen. Manche beschreibende Passage ist hier jedoch deutlich schwächer. Allzu oft finden sich plagend ungelenke Vergleiche und Metaphern, die wie Relikte einer eiligen Bearbeitung wirken - so, als habe ein umfangreicher Text eben bis zur Frankfurter Buchmesse 2005 und Südkoreas Gastlandauftritt fertig sein müssen. Mit raffinierter Zeitschichtung und durch den Grundeinfall, einen scheinbar allwissenden und tatsächlich allmächtigen Anrufer zum Regisseur des Verlaufs bis zu seinem katastrophalen Ende einzusetzen, baut Jo eine Spannung auf, die den Leser über sprachliche Schwächen hinweggehen lässt. Dennoch fehlen der Übersetzung jene paar Wochen an Arbeit, die die Lektüre zur uneingeschränkten Freude hätten werden und die ein bedeutendes Werk in seinem ganzen Wert hätten zugänglich werden lassen. Jo Jong-Rae: Das Spiel mit dem Feuer. Roman. Übersetzt aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee und Martin Herbst. Edition Peperkorn, Thunum/Ostfriesland 2005. 378 Seiten, 19,00 EUR. ISBN-10: 3929181606 http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=8595 literaturkritik.de Nr. 10, Oktober 2005 Der Mai Koreas: Neue Koreanische Literatur zur Buchmesse Von Ludger Lütkehaus Thematisch durch die historisch-politischen Traumata geprägt, ästhetisch am literarischen Realismus orientiert: so wird die zeitgenössische (süd-)koreanische Literatur dem deutschsprachigen Publikum überwiegend erscheinen. Noch das Werk von Hwang Sok-yong bekräftigt diesen Eindruck. Aber auch, wo diese Literatur andere Sujets aufgreift und stilistisch andere Wege geht wie exemplarisch in der Frauenliteratur, gegenüber der dominierenden Roman- und Erzählprosa in der Lyrik, bleibt sie durch die desaströse Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert mitbestimmt. Eine Tour d'horizon. Mit seinem 1987 erschienenen Roman "Der entstellte Held" hat Yi Munyol (geboren 1948) auch beim deutschen Lesepublikum Aufmerksamkeit gefunden. In diesem Schüler-Roman, einer Art von "koreanischem Törleß", wurde ein autoritäres System drastisch im Bilde einer schulischen Klassengesellschaft porträtiert. Der stark autobiografisch geprägte Roman "Jugendjahre", im selben Jahr publiziert, bietet eine studentische Kontrastgeschichte. Nach der Vorbereitung auf den Universitäts-Aufnahmetest in einem kleinen Dorf in der Nähe der Millionenstadt Busan, während der der unheldische jugendliche Protagonist Einblick in den siegreichen Monopolkapitalismus gewinnt, erfährt er die zur Anarchie gesteigerte Freiheit des Studentenlebens. Literarische Kabinettstücke von überraschender Heiterkeit bieten die Sauf- und Diebesexzesse dieses koreanischen Villon. Aber die Verfolgung aller "Roten" durch ein autoritäres System irrlichtert im Hintergrund. Und wenn Schülerund Berufsleben unter dem rigiden Regiment dieses Systems stehen, so entspringt der studentischen Anarchie und Narrenfreiheit die Opposition- was freilich nicht verhindert, dass König Alkohol in Korea offensichtlich der eigentliche Herrscher ist. Auch die Erzählungen des 1959 geborenen Lee Sung-U, nach einem Studium der Theologie heute Professor für Koreanistik in Kwangju, dem Ort des Aufstandes von 1980, beziehen den politischen Hintergrund mit ein. "Der Ministerpräsident stirbt nicht" bietet mit deutlichen Anspielungen auf die Präsidentschaft des 1961 an die Nacht geputschten Generals Park Chung-Hee eine böse Satire auf die Schauspielerei im Zentrum der politischen Repräsentation, auf die diktatorische und mediale Verwischung der Realitätsgrenzen. Das zur Tortur fortschreitende Verhör erweist sich als die zynischste Form des Willens zur Wahrheit: Niemand strebt mehr nach Wissen als die Folterer. Die Erzählung "Ich werde sehr lange leben" zeigt auf dem Hintergrund der tiefgehenden koreanischen Wirtschaftskrise von 1997 einen deklassierten Unternehmer, der paradoxerweise gerade in Folge der Krise sich selber findet, ein koreanischer Dropout. Aber alle Erzählungen sind wie die titelgebende Geschichte des Bands "Vermutungen über das Labyrinth". Lees hochvirtuoser Erzählstil, der gleichwohl von beträchtlicher Spannung ist, verwischt systematisch, nicht etwa aus Unvermögen, die Grenzen von Realität und Traum, Phobie, Wahn, Paranoia, bis hin zum flagranten Selbstwiderspruch, der als Stilmittel der Irritation fungiert. Auch die Grenze zwischen Ich-Erzählung und auktorialer Perspektive wird aufgelöst. Auf nichts ist in dieser Welt Verlass, nie weiß man genau, woran man ist. Kafkas lähmend-bedrohliche Szenarios aus der "Verwandlung", dem "Prozeß" und dem "Urteil" sind bis zum direkten Zitat allgegenwärtig. Manchmal werden auch die Grenzen zur psychopathologischen Studie verwischt ("Die Innenseite des Hauses"). Aber das "Kafkaeske" ist sehr spezifisch koreanisch. Der Wahn hat Methode. Nichts ist realistischer als dieser koreanische Surrealismus. Die "Modernen Erzählungen koreanischer Frauen", die Ahn Sohyun und Heidi Kang in einer Pendragon-Anthologie vorlegen, wenden sich thematisch weitgehend von den historischen und politischen Fragen ab: Diese Frauenliteratur ist auf den ersten Blick deutlich privater. Aber schon ihre Rahmenbedingungen sind von der gesellschaftlichen Tradition bestimmt. In einer noch unter Modernisierungsbedingungen vom konfuzianischen Wertesystem beherrschten Gesellschaft hätten die schreibenden Frauen eigentlich über Ehethemen, Beziehungs- und Sexualprobleme zu schweigen. Eben darauf aber ist diese Literatur fokussiert. Gerade das Private als das Tabuierte erweist sich als gesellschaftlich geprägt. Meistens sind die Frauen, von denen der Sammelband erzählt, alleinstehend. Sie werden verlassen oder verlassen selber ihre Männer. Das wird zumeist nicht programmatisch zugespitzt: Es gibt keine feministischen Kriegserklärungen. Aber der Weg nach innen, in Träume und Phobien, ist die nachhaltigste Form, sich zu verabschieden, wo es zuvor nur oberflächliche Kommunikation und sonst tiefe Fremdheit gab. Die Psychiatriesierung (so Un Hikyongs "Die Schachteln meiner Frau") ist die verständnislose Antwort des Mannes. Die auch sexuell freizügigere Titelerzählung "Ein ganz einfaches gepunktetes Kleid" von Jon Kyongnin (geboren 1962) entwickelt mit ihrem leitmotivischen Dingsymbol einen sonst eher seltenen Witz. Kong Sonoks (geboren 1964) "Die allein stehende Mutter" erinnert ebenfalls mit Witz und einem neu gewonnenen Selbstbewusstsein, das mit Ahn Jung-Kyos "Mutter Courage"-Roman "Der silberne Hengst" die überkommenen Geschlechterrollen revidiert, daran, wer im zerrissenen Korea vorab die Last des Überlebens zu tragen hatte. Hochsubtil ist die Erstpublikation von Jo Kyung Ran (geboren 1969) "Das französische Brillengeschäft": genau recherchiert, nicht penetrant bedeutungsschwanger und doch von präziser Symbolik. Das Begräbnis der Brille einer gerade verstorbenen alten Frau wird zum Epilog auf die Schmerzen der Klarsicht und die menschliche Restbindung in einer fremden Männerwelt. Von Trennung und Zerrissenheit religiöser Art spricht der "Mandala"-Roman Kim Seong-Dongs, 1978 in der Erstausgabe, 200l in einer revidierten Neufassung erschienen. Das politische Thema spielt mit dem Geschick des Vaters von Kim Seong-Dong noch herein: Er wurde 1948 als kommunistischer Funktionär verhaftet und nach Ausbruch des Korea-Kriegs 1950 verschleppt und hingerichtet. Die frühe Traumatisierung des Autors ist spürbar. Aber sein literarisches Alter Ego, den jungen Mönch Beobun, bestimmt in dem autobiografisch geprägten Roman eine Vatersuche anderer Art: die Gottsuche nach dem "Buddha", der - als Gattungs-, nicht als historischer Individualname verstanden in allen Lebewesen wohnen soll: Die "Buddhanatur" meint ihr erleuchtetes und erlöstes innerstes Wesen. Doch auch nach sechs Jahren mönchischen Lebens ist die Erleuchtung, traditionell an die Lösung eines zen-buddhistischen "Koans", eines frappierenden Paradoxes geknüpft, für Beobun ferner denn je. Statt dessen quälen ihn Zweifel und Verzweiflung, bis an den Rand der Selbsttötung. Beobun wird zum Wandermönch und trifft auf einen bemerkenswerten Apostaten, den älteren, desillusionierten Mönch Jisan, dessen Lebensweise den mönchischen Gelübden des Zölibats und der Askese Hohn spricht, der aber der Erleuchtung weit näher ist als die formal korrekten buddhistischen Pfaffen. In Jisans Witz, seiner rücksichtslosen Offenheit, aber auch seinem Mitgefühl, das sich hinter der rauhen Außenseite gut versteckt, ist Kim das großartige Porträt eines anarchischen, "kynischen" buddhistischen Mystikers gelungen, der in der Gosse des Lebens die Probe auf die mystische Lehre von der Nichtunterscheidung zwischen dem "Selbst" und dem "Anderen" macht - Gegenbild aller orthodoxen, regelkonformen Puristen, deren anmaßende Weisheit sich im Ungeist der Unterscheidung erschöpft. Die innere Krise des jungen Beobun verbindet sich mit der enttäuschenden Erfahrung, in seinem Orden in keiner Weise zu Hause zu sein. Es ist ein drastisches, desillusionierendes Bild, das Kim hier von einer korrupten, geld- und machtgierigen buddhistischen Kirche zeichnet. Sie bietet den mittellosen Wandermönchen keine Bleibe mehr. Selber suchen ihre Mitglieder statt der asketischen Lebensweise des "Berges" lieber die bequemen Wonnen der "Ebene". Nur in einem dritten Mitsucher, dem Mönch Sugwan, der dem Buddha in rigider phallischer Askese Finger um Finger opfert, stößt Beobun innerhalb des Ordens auf eine wenigstens konsequente, obwohl masochistisch zugespitzte Form der Gottsuche. Nach dem ungeklärten Tod Jisans, vielleicht einer Selbsttötung, auf jeden Fall aber einem einverstandenen Sterben, auch nach etlichen scheiternden Versuchen, über den Sex ins Leben zurückzufinden, ist Beobun allein - wie der Autor, den die Ordenshierarchie schon nach seiner ersten kritischen Erzählung 1978 exkommuniziert hat: Der Vatikan ist offenbar nicht nur in Rom zu Hause. Kims großer religiöser Desillusionsroman, abgrundtief depressiv, verzweifelt witzig, ist ein bedeutendes Beispiel dafür, wie das kritische Potenzial der koreanischen Gegenwartsliteratur nach der Politik auch den Bereich einer für sakrosankt gehaltenen Tradition erfasst. "Wenn es ein ,Land der Dichter' gibt, dann ist das wohl Korea": Mit dieser für die Ohren deutschsprachiger Leser erstaunlichen Einschätzung eröffnet die Koreanistin Narion Eggert die von ihr übersetzte und herausgegebene Anthologie "Wind und Gras. Moderne koreanische Lyrik." 33 Dichterinnen und Dichter, geboren zwischen 1879 und 1966, sind hier versammelt. In der Tat spielt lyrische Dichtung in Korea eine weit größere Rolle als hierzulande. Selbst in der Form hermetischer Verschlüsselung erreicht sie ganz andere Popularitätsgrade. Die Auflagenziffern, die Besucherzahlen bei öffentlichen Lesungen, manchmal sogar in jenen Sportarenen, die hier nur die etwas gröbere Lyrik der Fans und Hooligans füllt, sind spektakulär. Das hängt damit zusammen, dass die Lyrik in Korea wie keine andere literarische Gattung Medium nationaler kultureller Selbstfindung ist, erst in der Selbstbehauptung gegen die allgegenwärtige chinesische Tradition, dann gegen die japanischen Kolonialherren, die die koreanische Sprache und Literatur brutal unterdrückten und für oppositionelle Geister den Ehrentitel der "Denk-Täter" erfanden, schließlich gegen die autoritären innerkoreanischen Regimes einer fast fünfzig Jahre - man denke an die Verurteilung von Hwang Sok-yong noch 1993! - andauernden Nachkriegszeit. Selten, dass der geschichtliche Hintergrund nicht in den Gedichten mitzuhören ist. Etliche der ausgewählten Dichter sind politische Häftlinge gewesen, erst unter der japanischen Okkupation, dann unter den nord- und südkoreanischen Terrorregimes, manche wie Kim Ch'unsu (1922-2004) unter allen. Selten ist es aber auch, dass diese "lyrique engagée" plakativ wird wie etwa bei Kim Namju (1946-1994), dessen Gedicht "Aschenhaufen" "Blut" auf "Blüte" reimt. Durchweg ist die Lyrik, selbst wo sie sich in der beliebten Form essayistischer Langgedichte der Prosa annähert (Yun Tongju, Chong Chiyong, Yisang, So Chongiu), Poetisierungs- und Distanzierungsmedium gegenüber einer - in Nordkorea andauernden - heillosen Geschichte. Wenn Roman und Erzählung stärker an sie gebunden bleiben, so sorgt die Lyrik für überlebenswichtige Verfremdung, auch wenn das für deutschsprachige Leser mit einem Fremdheitsgefühl erkauft ist, das selbst die vorzüglichste Übersetzung nur bedingt mildern kann. Vier zugänglichere Exempel: Kim Suyong (1921-1968), "Vater" der engagierten Literatur Koreas, dreht in seinem "Spiel vom Mond" landsuggestiv einen Kreisel, der das irritierende sinnlich dingliche Symbol unablässiger Wiederkehr ist. Vor allem, wenn ich "an mein feierlich sitzendes Alter denke, [...] dreht sich der Kreisel/ dreht sich der Kreisel". Korea, nicht mehr das "Land der Morgenstille", sondern das Kreise-Land? Kim Chongmun (geboren 1919) lässt in seinem Gedicht "Der Stuhl" einen Witz sprechen, der sonst in der Anthologie etwas zu kurz kommt (Kim Kwang-Kyu, geboren 1941, eine Art koreanischer Heine, ist leider nicht repräsentiert): "Wenn ich der westlichen Zivilisation irgendetwas verdanke / so ist das eines: der Stuhl. / Doch was meinen eigenen Stuhl betrifft: der ist weit ab von barockem oder romantischem Stil.." Aber zur Beobachtung ist er geeignet: "Mein Stuhl ist... mein ewiger Fels. / Auf der Welt gibt es allzuviel leere Dinge / doch mein Stuhl ist / auch unbesetzt nicht leer." Yisang (1910-1937), das Pseudonym ist gleichlautend mit dem Wort für "merkwürdig, abnorm", gilt tatsächlich als der ungewöhnlichste unter den modernen Dichtern des Landes. Bei Droschl ist unter dem Titel "Mogelperspektive" sein provozierendes poetisches Werk in einer Auswahlausgabe erschienen. In Japan wurde er als "Denk-Täter" inhaftiert. Wie Stuhl und Kreisel ist sein "Spiegel" ein suggestives Dingsymbol: "Im Spiegel ist kein Laut. Eine stillere Welt gibt es wohl nirgends." Aber: "Auch im Spiegel habe ich Ohren...". Ko Un (geboren 1933), von der "Bibliothek Suhrkamp" schon 1996 mit einem eigenen, jetzt wieder aufgelegten Band geehrt ("Die Sterne über dem Land der Väter"), eine der fruchtbarsten, vielseitigsten Gestalten der gegenwärtigen koreanischen Literaturszene, verknüpft buddhistische Nichtigkeitserfahrungen - Ko Un war von 1951 bis 1964 selber Mönch - mit einem leidenschaftlichen politischen Engagement. Die Quittung blieb nicht aus: Ko Un wurde mehrfach verhaftet, gefoltert, im Mai 1980 nach dem Volksaufstand von Kwangju als angeblicher Rädelsführer von einem Militärgericht zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt, 1982 zwar amnestiert, aber noch 1989 wegen der Vorbereitung eines gemeinsamen nord- und südkoreanischen Schriftstellertreffens, wie es legal erst jetzt, im Juli 2005, möglich geworden ist, wieder festgenommen. Ko Uns Gedicht "Schweigen" setzt paradox beredt das Schweigen in den Plural, um der tödlichen Zerrissenheit eines von beiden Seiten auseinander dividierten Landes innezuwerden: "All ihr Schweigen, / auf dieser Insel verstreute Schweigen, / kommt zurück...Kommt zurück / und tragt die Schweigen Koreas an die Enden der Meere. /...Als Schweigen verneigt euch vor jedem Skelett dieses Landes. / Kommt zurück, kommt zurück, es ist Herbst." Kim Hyon-Seung hingegen (geboren 1915) beschwört in seiner poetisch verdichteten gottgläubigen und gottlosen (er war Sohn eines protestantischen Pfarrers) Transzendentalpoesie einen schönen Mai Koreas. Gewiss, auch seine Lyrik spricht noch mit Rimbaud von einem "Ich, der mir ein anderer war,...ich, der ich ein anderer ". Aber sein - singulares - "Schweigen" verwandelt sich im "Mai Koreas" in einen Gesang, mit dem dieser Dichter immer wieder feiert, "daß ich in Korea geboren wurde!" Hyon Seung Kim: Der Mai Koreas. Gedichte. Pendragon Verlag, Bielefeld 2004. 124 Seiten, 12,80 EUR. ISBN-10: 3865320066 Weitere Informationen zum Buch Sohyun Ahn / Heidi Kang (Hg.): Ein ganz einfaches gepunktetes Kleid. Moderne Erzählungen koreanischer Frauen. Übersetzt aus dem Koreanischen von Heidi Kang und Sohyun Ahn. Pendragon Verlag, Bielefeld 2004. 188 Seiten, 18,50 EUR. ISBN-10: 3934872573 Weitere Informationen zum Buch Munyol Yi: Jugendjahre. Roman. Übersetzt aus dem Koreanischen von Christina Youn-Arnoldi und Cornelia Roth. Pendragon Verlag, Bielefeld 2004. 213 Seiten, 18,50 EUR. ISBN-10: 3934872743 Weitere Informationen zum Buch Seong-Dong Kim: Mandala. Roman. Pendragon Verlag, Bielefeld 2004. 256 Seiten, 18,50 EUR. ISBN-10: 3934872905 Weitere Informationen zum Buch Sung-U Lee: Vermutungen über das Labyrinth. Erzählungen. Mit einem Nachwort von Kai Köhler. Pendragon Verlag, Bielefeld 2004. 158 Seiten, 15,40 EUR. ISBN-10: 3865320120 Weitere Informationen zum Buch Ko Un: Die Sterne über dem Land der Väter. Gedichte. Übersetzt aus dem Koreanischen von Woon-Jung, Chei und Siegfried Schaarschmidt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005. 105 Seiten, 10,80 EUR. ISBN-10: 351822395X Weitere Informationen zum Buch Yi-sang: Mogelperspektive. Das poetische Werk. Übersetzt aus dem Koreanischen von Marion Aggert, Hanju Yang und Matthias Göritz. Literaturverlag Droschl, Graz 2005. 168 Seiten, 19,00 EUR. ISBN-10: 3854206968 Weitere Informationen zum Buch Marion Eggert (Hg.): Wind und Gras. Moderne koreanische Lyrik. Herausgegeben und übersetzt aus dem Koreanischen von Marion Eggert. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 153 Seiten, 8,50 EUR. ISBN-10: 3423133805 Stand: 06.10.2005 http://www.litrix.de … Unter dem Motto „Enter Korea“ präsentiert sich in diesem Jahr mit Korea als Gastland ein in Deutschland noch weitgehend unbekannter Buchmarkt auf der Frankfurter Buchmesse. Rund 60 koreanische Autoren stellen in Lesungen die Literatur des Landes vor, Symposien laden ein zur deutsch-koreanischen Auseinandersetzung mit Themen wie Demokratie und Wiedervereinigung. In der Ausstellung „Books on Korea“ präsentieren Verlage aus aller Welt übersetzte Titel koreanischer Autoren und aktuelle Bücher über Korea. 100 koreanische Bücher können sich Messebesucher dabei als E-Book auf ihre Handys laden. Als Redner bei der feierlichen Eröffnung der Buchmesse am 18. Oktober wird neben dem Lyriker Ko Un als literarischem Vertreter des Gastlandes auch der koreanische Premierminister Lee Hae-Chan erwartet. Die Frankfurter Buchmesse reagiert in diesem Jahr auch auf die Tatsache, dass die literarischen Agenten eine immer wichtigere Rolle im Buchgeschäft spielen. Dazu haben sie ein Literary Agents and Scouts Centre (LitAg) mit 326 Tischen eingerichtet, das nach Bekunden der Veranstalter bereits seit Wochen ausgebucht ist, und das, obwohl in Frankfurt im Agenten-Zentrum nur Agenturen und keine Verlage Tische buchen konnten. Ein Pflichttermin für alle Rechtehändler ist das renommierte Rights Directors Meeting am Dienstag vor der Messe, bei dem in diesem Jahr die spanischsprachige Welt im Mittelpunkt steht. … http://www.wissen.de Frankfurter Buchmesse 2005 – Enter Korea Michael Fischer Die Nummer 7 der Bücher-Welt Mit rund 50.000 neuen Buchtiteln im Jahr ist Korea mittlerweile die Nummer 7 in der Bücher-Welt. Das hängt nicht zuletzt mit der gezielten Förderung durch den Staat zusammen. Vor zwei Jahren hat Korea als weltweit erstes Land die Mehrwertsteuer für gedruckte Bücher und e-books abgeschafft. Und zwei Autoren werden seit Jahren als Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis gehandelt: KO Un und YI Munyol. Korea in Deutschland 60 koreanische Autoren präsentieren ihre Werke in Deutschland. Knapp 10 Millionen Euro lässt sich Korea die 200 Veranstaltungen in ganz Deutschland kosten. Neben der Literatur liegt ein weiterer Fokus auf der modernen koreanischen Kultur. Deren Qualität und Vielfalt soll durch Theaterstücke und Ausstellungen, Filmreihen und Performances gezeigt werden. Dazu gehört Hip-Hop ebenso wie zeitgenössische Musik und Fotokunst genauso wie Musical. In Frankfurt laden drei hochkarätig besetzte Symposien zur deutsch-koreanischen Auseinandersetzung mit Themen wie Demokratie und Wiedervereinigung bei. In der Ausstellung “Books on Korea präsentieren Verlage aus aller Welt übersetzte Titel koreanischer Autoren und aktuelle Bücher über Korea. Die Literatur Koreas: schlicht, zurückhaltend, elegant Doch was macht die Eigenart der koreanischen Literatur aus? Hwang Chi Woo erklärt sie so: “Wir suchen die Nuancen, die Schattierungen. Asketisch, schlicht, zurückhaltend, elegant: das ist das Lebensideal der Koreaner. Wie das Licht, das alles weichzeichnet. Unsere Farbgebung vermeidet den Glanz, den Kontrast, das Grelle und Aufdringliche. Und der dichtende Direktor formuliert auch für Korea den eigenen Anspruch als Gastland: “Sich selbst zurücknehmen, sich auf das Wesentliche beschränken und die Welt dadurch umgekehrt als größer erfahren. Diesen Charakter der koreanischen Kultur wollen wir bei unseren Veranstaltungen auf der Frankfurter Buchmesse wieder entdecken. http://www.3sat.de Die roten Orchideen von Shanghai Korea - ein Land im Spannungsfeld zwischen Japan und China: Seit 1910 japanische Kolonie, wurden in den 30er und 40er Jahren rund eine Million koreanische Zwangsarbeiter rekrutiert und fast ebenso viele Schüler und Studenten als Soldaten an die Kriegsfront geschickt. Doch nicht nur Männer wurden zum Kriegsdienst gezwungen - auch Frauen, als so genannte Trostfrauen. Zwischen 1932 und 1945 zwang die japanische Armee mehr als 200.000 Asiatinnen, zum Teil noch fast Kinder, aus den besetzten Ländern zur Prostitution. Endstation Truppenbordell: Offiziell werden sie in japanischen Schulbüchern als "freiwillige Sekretärinnen" deklariert, wurden sie in den von der japanischen Armee systematisch errichteten Häusern täglich von bis zu 50 Soldaten vergewaltigt, misshandelt, gedemütigt. Nur etwa ein Viertel dieser Frauen überlebte, traumatisiert, versteckten sich vor Scham. Eine dieser Frauen ist Sangmi Kim. Sie wuchs in einer wohlhabenden, gut situierten Seouler Familie auf. Mit 14 wird sie jedoch von ihren Eltern verstoßen und gerät in die Fänge der Japaner. Sie überlebte die Greul, hat jahrzehnte lang geschwiegen, bis sie die französische Journalistin Juliette Morillot auf dem Markt von Seoul traf. Ihr erzählte sie ihre Lebensgeschichte. "Wir Europäer kennen alle Horrortaten der Nazis, aber wir wissen wenig über die Gräuel der Japaner, es ist so weit weg", sagt die Korea-Kennerin Morillot, die in ihrem Buch "Die roten Orchideen" das Schicksal der Trostfrauen beschreibt. Juliette Morillot, Gaby Wurster "Die roten Orchideen von Shanghai" Goldmann 2003 ISBN 3442309824 22,90 € Als Taschenbuch: Goldmann 2005 ISBN: 3442459389 9,95 € 19.09.2003 http://www.arte.tv Buchmesse Frankfurt 2005 Brennpunkt Korea Korea ist Gastland auf der Buchmesse 2005. Während sich das kommunistische Nordkorea abschottet, blüht im Süden eine faszinierende Literatur, die sich nun der Welt präsentiert. Koreanische Innenschau Ein Interview mit Günther Butkus, dem Verleger des Pendragon-Verlags, der moderne koreanische Literatur verlegt: Herr Butkus, Ihr Verlag hat sich auf moderne koreanische Literatur spezialisiert. Was ist das eigentlich, die moderne koreanische Literatur? Von diesem Begriff kann man erst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sprechen, eigentlich sogar erst seit 50 Jahren, weil die Koreaner unter jahrhundertelanger chinesischer und japanischer Besatzung gar keine Chance hatten, eine eigenständige Literatur zu entwickeln. Sie durften ja nicht einmal in ihrer eigenen Sprache schreiben. Sie sprechen von Korea, meinen aber Südkorea … Das ist richtig. Der Norden ist nach wie vor ein dunkler Fleck auf der literarischen Landkarte. 50 Jahre nach Ende des Koreakriegs sind Nord- und Südkorea über einen Waffenstillstand noch nicht hinausgekommen. Gibt es eine kulturelle Annäherung? Der Süden bemüht sich stärker um einen Dialog als der Norden, der übrigens auch die Beteiligung an der Buchmesse abgesagt hat. Zwar gab es im Juli zum ersten Mal seit Jahrzehnten ein Treffen nordund südkoreanischer Schriftsteller in Pjöngjang, doch die Autoren durften nur sehr oberflächlich miteinander plaudern. Sie standen unter ständiger Beobachtung, so dass ein kritischer Dialog gar nicht möglich war. Dennoch scheinen sich die Autoren füreinander zu interessieren. Gibt es Gemeinsamkeiten? Das ist die Frage, die auch die südkoreanischen Autoren beschäftigt: Haben wir überhaupt noch dieselbe Sprache? Ganz abgesehen von den literarischen Inhalten – welches Wortmaterial wird verwendet? In so unterschiedlichen Systemen wie Nordkorea, wo die Sprache einer rigorosen Zensur unterliegt, und Südkorea, wo sie sich frei entfaltet, kann sich eine Sprache in 50 Jahren weit auseinander entwickeln. Worüber schreiben die Südkoreaner? Ich unterscheide drei Generationen moderner Autoren: Die modernen Klassiker der 1950er Jahre, zu denen der Schriftsteller Lee Hochol gehört, setzen sich in ihren Romanen mit dem innerkoreanischen Krieg auseinander – einem Krieg, der drei Millionen zivile Opfer forderte und der für die ältere Generation noch immer ein sehr schmerzhaftes Thema ist. Die Autoren der politischen Literatur der 80er Jahre dagegen thematisieren die Militärdiktatur, die bis Ende der 80er Jahre in Korea herrschte. Studentenaufstände wurden auf brutale Weise niedergeschlagen. Lim Chul-Woo ist mit seinem kafkaesken Erzählungsband „Das rote Zimmer“ ein Vertreter dieser zweiten Generation. Nach dem Ende der Militärdiktatur gab es einen Umbruch: Seit 1988 ist Südkorea eine Demokratie. Hat sich das auf die Entwicklung der Literatur ausgewirkt? Man kann schon sagen, dass die Autoren der dritten Generation weniger politisch sind als ihre Vorgänger – was ja übrigens in Westeuropa ähnlich ist. In Korea gab es einen drastischen Industrialisierungs- und Modernisierungsschub. Dort fand in den letzten 40 Jahren das statt, was in Deutschland bereits Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte. Andererseits sind in der koreanischen Gesellschaft traditionelle Werte wie Familienzusammengehörigkeit und Verantwortung gegenüber der älteren Generation nach wie vor sehr stark präsent. Besonders die jungen Autoren setzen sich mit diesem Konflikt zwischen Tradition und Moderne auseinander und fragen sich: Wo stehe ich im Leben? Welche Werte sind mir wichtig? Was bedeutet das für die Literatur? Plötzlich spielen Ideen wie Selbstverwirklichung und Ich-Findung eine Rolle, die im westlichen Europa eine lange Tradition haben. So sagte die junge Autorin Eun Heekyung 1998 bei der Verleihung des YiSang-Literaturpreises: Sie, die nicht die großen Themen ihrer Vorgänger habe, könne nur von ihrem scheinbar „belanglosen Leben“ schreiben. Indem sie das tut, halten jedoch Themen Einzug in die Literatur, die lange undenkbar waren. Wenn Eun Heekyung – als Frau – in ihrem Roman „Ein Geschenk des Vogels“ über Erotik und Sexualität schreibt, dann ist das ein Politikum. Frauen spielen eine herausragende Rolle in der koreanischen Gegenwartsliteratur. Wie ist das zu erklären? Die aktuelle starke Präsenz von Autorinnen ist historisch begründbar. Erst die politischen Veränderungen in Korea ermöglichten es den Frauen, ihren Erfahrungen eine Stimme zu geben. Das tun sie auf wunderbare Weise und haben damit großen Erfolg. Was ist es, das ihre Werke so besonders macht? Mehr noch als eine spezifisch weibliche Thematik ist es der besondere Blick dieser Frauen auf die Welt. Ich würde es Innenschau nennen. Das heißt? Ganz im Gegensatz zu den älteren koreanischen Autoren, die meist das historische Geschehen in den Vordergrund stellen, dreht sich bei jungen Autorinnen, wie Jo Kyung Ran mit ihrem Roman „Zeit zum Toastbacken“, alles um das Individuum, das sich umsieht und fragt: Was passiert um mich herum? Auch Empfindsamkeit und die Sinnlichkeit der Sprache spielen bei den Frauen eine große Rolle. Kann man koreanische Autoren lesen, ohne viel über ihr Land zu wissen? Auf jeden Fall! Denn man erfährt dabei sehr viel über die Menschen, über die koreanische Kultur und Gesellschaft. Und das Schöne an einem Roman ist doch, dass er uns mitnimmt auf die Reise. Das Gespräch führte Maike van Schwamen für das ARTE-Magazin, September 2005 Zur Person: Günther Butkus gründete 1981 den Pendragon Verlag und verlegte 1997 mit „Wind und Wasser“ von Kim Wonil erstmals einen koreanischen Roman. Heute umfasst die „Edition moderne koreanische Autoren“ 30 Titel. http://www.sueddeutsche.de 17.10.2005 Buchmesse in Frankfurt Wir tun hier keinem was zu Leide Hässlich, niedlich, übervorsichtig wirkt Südkorea, in dieser Woche Gastland der Frankfurter Buchmesse. Von CHRISTIAN Y. SCHMIDT Südkorea ist kein schönes Land. Damit meinen wir nicht die Landschaft. Die geht in Ordnung. Siebzig Prozent des Südens der koreanischen Halbinsel ist von sanften Hügeln bedeckt und bewaldet. Aber dort, wo der Mensch Hand angelegt hat, sieht es furchtbar aus. Die Städte machen den Eindruck, als hätten zwei bitter verfeindete Architektenlager gegeneinander Krieg geführt. Die eine Partei baute viel zu große Kaufhausklötze ohne Fenster, unproportionierte Kirchen (25 Prozent der Südkoreaner sind Christen) und große Hochhauszusammenrottungen, die andere Hochzeithallen mit angeklebten Säulen, so genannte "Love-Motels", geschmückt mit Zinnen, Erkerchen und Türmchen, und Nachtclubs, die "President Club", "Zeus" oder "The White House" heißen, mit Gips-Posaunenengeln oder Abraham Lincoln vor dem Eingang. Nicht weniger hässlich sieht es auf dem Land aus, das heißt, in den Tälern zwischen den Bergen. Die sind übersät mit blau bedachten Fabrikhallen und unansehnlichen Schuhkartonhäusern, noch schlimmeren, weil größeren Kirchen, zwischen denen sich Planierraupen durch den Schlamm wühlen, um noch mehr Autobahnkreuze in die Landschaft zu planieren. So wirkt das ganze Land: als komme es nicht so darauf an. Jedenfalls hat die Koreaner ihre Geschichte gelehrt: Nichts, was wir bauen, hat Bestand. Vierzehn Tage reisten wir durchs Land und fanden doch kein einziges authentisches, historisches Bauwerk; jedes ist eine Rekonstruktion aus den letzten 30 Jahren. Der prächtige Gyeonbok-Palast in Seoul etwa, der sich uns im schönsten Sonnenlicht vor der Kulisse des Bugak-Berges präsentiert. Ein Schild belehrt uns: "Erbaut 1394 unter König Taejo, niedergebrannt während der japanischen Invasion von 1592, Wiederaufbau seit 1865, zu großen Teilen erneut zerstört während der japanischen Kolonialherrschaft (1910- 1945)." Auch der in einem großen Park gelegene Changdeok-Palast (1412 vollendet, seit 1997 Weltkulturerbe), wurde mehrmals komplett demoliert; zwischenzeitlich hatten die japanischen Besatzer den Park sogar in einen Zoo verwandelt. Wie in der Hauptstadt, so auch im Rest des Landes: Die Haupthalle des einsam gelegenen Waldklosters Haeinsa aus dem 9. Jahrhundert brannten die japanischen Invasoren 1592 nieder. Der kleine Hongje-Tempel in der Nachbarschaft wurde insgesamt sechs Mal zerstört. Im Garten stand ein Gedenkstein für den ehemaligen Abt. Noch 1943 ließ ihn ein japanischer Bezirkspolizeichef zertrümmern. Ohne Wiederaufbau erinnerten heute wohl nur noch die gewaltigen Grabhügel ihrer Könige an die Hauptstadt des mächtigen Silla-Reiches (57 vor bis 935 nach Christus), Gyeongju, die zu ihrer Blütezeit eine Million Einwohner zählte. Die älteste Steinpagode Koreas stand hier - bis die Japaner sie 1915 zerstörten. Die Koreaner haben in ihrer Geschichte viel Pech gehabt, wohl mehr als alle anderen Nationen Ostasiens. Das liegt hauptsächlich an der geografischen Lage der Halbinsel, die umzingelt ist von den Regionalmächten China und Japan. Noch vor den Japanern kamen 1392 die Mongolen, auch sie ließen das Land nicht ungeschoren. Nach der japanischen Kolonialherrschaft verwüstete der KoreaKrieg das Land noch einmal. Er kostete rund zwei Millionen Koreanern das Leben. Da mag man die Lust an Stadt- und Landschaftsplanung sowie am schönen Bauen schon verlieren. Die Kriegs- und Zerstörungserfahrungen scheinen aber noch andere Spuren in der Nationalpsyche hinterlassen zu haben. Auf unserer Reise fällt uns die allgemeine Ängstlichkeit der Südkoreaner auf, ein Sicherheitsstreben, das, zumindest in unseren Augen, zuweilen wahnhafte Züge annimmt. Damit meinen wir nicht die Grenzsicherungsanlagen entlang des 38. Breitengrads, die bereits am Stadtrand von Seoul beginnen. Auf unserer Fahrt in die so genannte demilitarisierte Zone - die alles ist, nur nicht demilitarisiert - passieren wir immer wieder Stacheldrahtabsperrungen, Wachtürme Panzersperren und Autobahnbrücken, die sich auf Knopfdruck in die Luft sprengen lassen. Diese Anlagen mögen ihre Berechtigung haben, gab es doch noch bis in die jüngste Zeit hinein diverse Infiltrationsversuche des Nordens. Nein, was wir zu beobachten glauben, ist eine Übervorsichtigkeit, die sich in den Lebensalltag eingeschlichen hat. Da gibt es große Piktogramme in der Seouler U-Bahn, die den Passanten genauestens instruieren, wie er Rolltreppe zu fahren hat: Am Handlaufband festhalten, Kinder an die Hand, Vorsicht mit Stöckelschuhen, niemals rennen. In jeder Station findet man versiegelte Sets mit Taschenlampen an den Wänden, falls mal der Strom ausfallen sollte. Auf einem U-Bahnsteig in Busan fällt uns ein gelb lackierter Glasschrank auf, der mit Gasmasken gefüllt ist. Und in der brandneuen UBahn von Gwangju werden Kinderzeichnungen ausgestellt, die in lustig-brutaler Deutlichkeit zeigen, was passieren kann, wenn Menschen ihre Finger in die Steckdose stecken. Nach nur ein paar Tagen im Land sind wir fest davon überzeugt, dass die Koreaner ständig irgendeine Katastrophe fürchten und dafür jede erdenkliche Vorsorgemaßnahme treffen. In unserem Hotel in Gwangju entdecken wir einen an die Wand montierten Kasten, auf dem "Fire Escape Device" steht. Er enthält ein Seil plus Karabinerhaken, mit dem man sich im Notfall aus dem Fenster abseilen kann, dazu Gebrauchsanweisungen in einigen Weltsprachen, darunter auch in Deutsch ("Wenn dessen Seil mehr als ein Meter von der Fallpunkt glost worden ist, dar man den lift nicht gebrauchen"). In den Seouler Straßen stehen das ganze Jahr über mit Streusandsäcken gefüllte Gitterboxen, als fürchte man, der Winter könne jeder Zeit hereinbrechen, auch in den schwülheißen Sommertagen. Damit den Umspannkästen auf den Bürgersteigen auch wirklich nichts passiert, wurden sie mit genopptem Weichplastik ummantelt. Und selbst auf die entlegensten Zebrastreifen haben die Koreaner Pfeile malen lassen, die einem die Gehrichtung vorschreiben, wohl um einem eventuellen Zusammenprall der querenden Passanten vorzubeugen. Überhaupt der Straßenverkehr: Besonders uns, die wir die anarchischen Verhältnisse in China gewohnt sind, fällt hier die Übervorsicht auf. Die Koreaner überqueren die Straße nur an den vorgeschriebenen Überwegen, und gehen niemals, wirklich niemals, bei Rot über die Ampel. Alle Autofahrer befolgen geradezu sklavisch die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Genauso pedantischängstlich halten sie sich übrigens auf einem ganz anderen Gebiet an die Vorschriften. Koreanische Pornos, im ganzen Land über Kabel zu empfangen, zeigen zwar durchaus Hardcore-Aktionen. Die hiesige Zensur schreibt aber offenbar vor, dass dabei auch nicht die Andeutung eines primären Geschlechtsteils im Bild erscheinen darf - als bräche bei dem Anblick eines Penisfitzelchen ganz Korea zusammen. Verkrampftere Sexfilmchen sah man noch nie. "The Paranoid Peninsula" heißt ein Buch, das der britische Koreakenner Paul French jüngst veröffentlichte. Es handelt eigentlich von Nordkorea. Wir müssen ergänzen: Paranoid ist man auch im Süden. Ein Teil der Bevölkerung scheint das nicht auszuhalten. Noch nie sahen wir in Asien so viele bis zur Besinnungslosigkeit Betrunkene auf der Straße. Zum gemäßigt paranoiden Nationalcharakter passt auch das Bild, das sich die Südkoreaner von sich selber machen. Es ist das einer Comicfigur mit großen, weit aufgerissenen Augen und einem Kindergesicht auf einem Kinderkörper. Wir finden dieses Selbstporträt auf Hinweisschildern vor Baustellen, wo ordentlich gescheitelte Kinderbauarbeiter an die vorgeschriebene Sicherheitskleidung erinnern, auf Wegweisern im Wald, auf denen kleine Wandersmänner fröhlich vor sich hinstapfen, oder auf einer Tafel auf dem Busbahnhof von Gwangju, mit der ein Zwergenärzteteam für seine Klinik Werbung macht. Lachende Comicmännchen und -frauchen, geformt aus Stein, Stahl oder Pflanzen, stehen an jeder dritten Straßenkreuzung, vor Ticketbuden und Bahnhöfen, sind auf Mülleimer und Parkplatzschilder gemalt. Selbst ihre alten Silla-Könige, die das Land einst einten, machen die Koreaner klein: Am Eingang zum großen Hügelgräberfeld in Gyeongju stehen kulleräugige Holzfiguren eines Kinderkönigs und einer Kinderkönigin, mit viel zu großem Kopf, darauf eine Krone. Heißen soll das alles wohl: Wir sind niedlich, wir sind harmlos, wir tun keinem was zu Leide. Lasst uns bitte endlich mal in Frieden leben. Das ist nun wirklich nicht zu viel verlangt. Und so wollen auch wir nicht zu harsch über die Südkoreaner urteilen, und ihnen noch mal verzeihen, dass sie ihr Land so verschandelt haben. Allerdings könnten sie bei Gelegenheit noch mal über die Bebauung drüber gehen. Möglicherweise steht ja dieses Mal doch alles etwas länger. http://www.haus-der-literatur.de/newsextra/frankfurtbuch.htm Korea-Schwerpunkt auf der Buchmesse bietet Chance für Kleinverlage Frankfurt/Main (dpa) - Für zwei Nischenverlage ist das Schwerpunktthema Korea auf der Frankfurter Buchmesse ein Glücksfall: Der Pendragon Verlag in Bielefeld und der Peperkorn Verlag im ostfriesischen Thunum leisten seit Jahren mit ihrem koreanischen Programm wichtige Aufbauarbeit. Schon vor Ende der Messe am kommenden Sonntag erfreuen sich die Verleger Günther Butkus und Günter Peperkorn einer größeren Medienaufmerksamkeit als jemals zuvor, von der auch die koreanische Literaturszene profitieren will. Bücher koreanischer Autorinnen und Autoren fristen in Deutschland und im übrigen Europa nach wie vor ein Schattendasein. Allerdings warnen die Verleger vor zu großen Erwartungen auf koreanischer Seite. Die Verkaufszahlen würden mit der Präsentation auf der Buchmesse nicht sensationell in die Höhe schnellen. «Das wird sich so nicht einlösen», sagt Butkus. «Ich fürchte, da wird es noch große Frustrationen geben.» Es sei schon ein Erfolg, wenn der Gastland-Auftritt dazu beitrage, dass nicht immer das Exotische einer fremden Literatur im Mittelpunkt stehe, sondern über Inhalte von Büchern gesprochen werde. Butkus hat seit etwa sieben Jahren einen Korea-Schwerpunkt und derzeit 30 Titel im Programm. Durch die Konzentration auf moderne Romane, Erzählungen und Gedichte setzt sein Verlag andere Akzente als Peperkorn. Letzterer hat außer Belletristik auch ein kulturgeschichtlich ausgerichtetes Programm. «Literatur erfordert schon ein wesentliches Einlassen auf die Fremdheit einer anderen Kultur», meint Peperkorn. Zwar lasse sich die koreanische Literatur auch ohne Landeskenntnis lesen. «Es sollte jedoch schon Interesse an der koreanischen Kultur da sein.» Peperkorn brachte zum Buchmesse-Jahr sieben koreanische Bücher heraus. Normalerweise kommt der Verlag vielleicht auf drei oder vier Titel im Jahr. Insgesamt stellt er in Frankfurt etwa 40 Titel vor. Beide Verlage, die sich schon im Erscheinungsbild voneinander absetzen, sind auf der weltgrößten Bücherschau mit kleinen Ständen in verschiedenen Hallen vertreten. Einen Austausch zwischen beiden Verlagen gibt es laut Butkus schon wegen der geographischen Distanz zwischen Bielefeld und Thunum nicht in dem gewünschten Ausmaß. Als Konkurrenten sähen sich beide Seiten aber nicht. Als ungewöhnlich wie zweischneidig empfinden beide Verleger die Förderung der Übersetzungen koreanischer Literatur ins Deutsche. Die Auswahl treffen fast ausschließlich koreanische Stiftungen. « Man bekommt eigentlich die fertig übersetzten Bücher», sagt Peperkorn. «Ich glaube, das geht vollkommen am Markt vorbei, weil die Stiftungen keine Vorstellung vom deutschen Buchmarkt haben.» Allerdings könnten es sich kleine Verlage wie Peperkorn ohne die finanzielle Förderung für Lizenzen, Übersetzerhonorare und Herstellung kaum leisten, koreanische Bücher zu veröffentlichen. +++ 19.10.2005 Die 57. Frankfurter Buchmesse ist eröffnet - Korea hofft auf intensiven Kulturaustausch Frankfurt/Main (ddp-hes). Die Literaturwelt blickt in den kommenden Tagen wieder an den Main. Dort läuft seit Dienstag die 57. Frankfurter Buchmesse. Offiziell eröffnet wurde sie am Nachmittag von Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und dem Premierminister des diesjährigen Gastlandes Südkorea, Lee Hae-Chan. Der Regierungschef des asiatischen Landes äußerte die Hoffnung, dass der intensive kulturelle Austausch auf der Messe Ost und West einander näher bringt. Leider stehe bislang noch immer eine feste Wand zwischen dem Orient und dem Okzident, sagte der Premierminister. Die Buchmesse biete die Möglichkeit, dass sich die unterschiedlichen Kulturen begegnen - so wie einst auf der Seidenstraße. Ministerpräsident Koch hob in seiner Rede die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Korea hervor. Die Deutschen wüssten, welch schweres Schicksal die Teilung eines Landes bedeute. Der Gastland-Pavillon Koreas sollte am Abend eröffnet werden. Ab Mittwoch stehen die Messehallen dann zunächst dem Fachpublikum offen. Den Besuchern präsentieren sich über 7200 Aussteller - so viele wie noch nie. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der vertretenen Verlage und Händler noch einmal um sechs Prozent gestiegen, die Ausstellungsfläche hat sich um vier Prozent vergrößert. Zum Auftakt der Messe schöpft die deutsche Buchbranche vorsichtig Optimismus - nach vier Jahren mit sinkenden oder stagnierenden Umsätzen. In diesem Jahr sei ein Umsatzplus mit einer Eins, eventuell sogar mit einer Zwei vor dem Komma möglich, sagte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Dieter Schormann. Nach seinen Angaben verzeichnete die Branche in ihren drei großen Vertriebswegen Sortimentsbuchhandel, Warenhäuser und E-Commerce - von Januar bis September bereits ein Umsatzplus von 2,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die unklare politische Lage nach der Bundestagswahl habe das Konsumklima dann jedoch wieder eingetrübt. Vom Verkauf des neuen Harry-Potter-Bandes sowie von der Buchmesse erhofften sich die Händler nun neue Impulse. In den Jahren ohne Umatzwachstum habe die Branche dazugelernt, betonte Schormann. So versuchten die Händler jetzt, schneller auf neue Trends zu reagieren. Auch das Ladendesign sei verbessert worden. Viele Händler hätten erkannt, dass Buchhandlungen ein Erlebnis- und Wohlfühlort sein müssten. Bis einschließlich Sonntag werden in Frankfurt rund 270 000 Besucher erwartet. Bis Freitag bleibt die Messe nur dem Fachpublikum vorbehalten. Am Samstag und Sonntag ist sie dann für jedermann geöffnet. Am letzten Messetag verwandelt sich die Messe in einen riesigen Buchladen. Über 350 000 Titel können dann zum gebundenen Ladenpreis gekauft werden. Buchmesse wird mit Südkoreas Ministerpräsidenten eröffnet Frankfurt/Main (dpa/lhe) - In Frankfurt wird heute (Dienstag) offiziell die 57. Buchmesse eröffnet. Zum Auftakt der weltgrößten Bücherschau spricht der südkoreanische Ministerpräsident Lee Hae Chan. Korea ist das diesjährige Gastland der Messe. Die literarische Einführung hält der Schriftsteller Ko Un, der als Südkoreas bedeutendster Lyriker gilt. Von Mittwoch bis Sonntag beteiligen sich an der Messe in Frankfurt über 7000 Aussteller aus mehr als 100 Ländern, die rund 100 000 Neuerscheinungen vorstellen. Rund 1000 Autoren werden erwartet, darunter fast 40 Schriftsteller aus dem Gastland Korea. Insgesamt rechnet die Messe mit etwa 270 000 Besuchern. Am kommenden Wochenende ist auch das allgemeine Lesepublikum zugelassen. Zum Abschluss der Buchmesse wird am Sonntag (23. Oktober) in der Frankfurter Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk verliehen. Dichter Ko Un hofft auf neue Wahrnehmung der koreanischen Literatur Seoul (dpa) - Die Frankfurter Buchmesse bietet dem diesjährigen Gastland Korea nach Ansicht des bedeutendsten südkoreanischen Gegenwartslyrikers Ko Un eine gute Gelegenheit, sich einen neuen Platz auf der literarischen Weltkarte zu verschaffen. «Die westliche Literatur hat lange Zeit die moderne Literatur bestimmt,» sagte Ko (72), der bei der weltgrößten Bücherschau (18.-23.10.) aus seinem Werk vorlesen wird, in einem dpa-Gespräch in Seoul. «Wir werden diese fest gefügte Struktur am besten aufbrechen, wenn wir die verschiedenen Seiten der koreanischen Literatur zeigen.» Die koreanische Dichtung lässt sich nach Kos Darstellung mit westlichen Kategorien nur schwer erfassen. «Die koreanische Poesie kommt aus dem Schamanismus.» In diesem Punkt lasse sich die koreanische Gegenwartslyrik nicht nur mit modernistischen Kriterien erklären. Wie ein schamanistischer Priester, der sich in Ekstase bringt, habe sein Vater früher aus sinnloser Freude wie ein Kranich getanzt. «Ich habe diese Tollheit von meinem Vater geerbt, und ich glaube, diese ist der Antrieb meines Schreibens,» sagte Ko, der seit Jahren zum Kreis der aussichtsreichen Anwärter auf den Literatur- Nobelpreis gehört. Die Koreaner seien sehr emotional, sagte Ko. Dies könne auch eine Erklärung dafür sein, weshalb der Lyrik in der Landes-Literatur traditionell ein so hoher Stellenwert zukommt. «Koreaner sagen nicht einfach, ein Vogel singt, sondern ein Vogel weint, wenn er singt.» Er selbst kenne keine Vorbilder. «Ich werde eher durch Wind, Fluss und die Zeit inspiriert.» Sein künstlerisches Schaffen beschreibt der Vielschreiber Ko heute als eine Mischung aus Realität und Verzweiflung. Dabei sieht er in der Poesie als ein Mittel der Weltschöpfung. «Heute schreibe ich Gedichte, die eine neue Welt erschaffen. Ich bin ein Träumer.» Seine Dichtung sei aus den Ruinen des Korea-Kriegs (1950-1953) entstanden. Die Werke seiner frühen Schaffensphase seien angesichts der Kriegserfahrung von Verzweiflung geprägt. Einen Bruch in seinem Leben gab es zur Zeit der Militärdiktatur unter Park Chung Hee. Ko nennt die öffentliche Selbstverbrennung des Textilarbeiters Chon Tae Il im November 1970 in Seoul als einschneidendes Erlebnis, das ihn aus seinen damaligen Selbstzweifeln aufgeschreckt habe. Chon hatte sich aus Protest gegen die Verhinderung eines Arbeitsgesetztes durch die Regierung selbst angezündet. «Ich sah auf mich selbst zurück, wer ich bin,» sagt Ko heute. Danach habe eine Schaffensphase eingesetzt, die vor allem durch ein politisch engagiertes, realistisches Schreiben gekennzeichnet sei. … Deshalb ist die Messe mit ihrem diesjährigen Gastland Korea auch ganz glücklich. Zwar gilt die in Deutschland noch weitgehend unentdeckte koreanische Literatur als eher spröde. Doch der «Tigerstaat» - im internationalen Buchmarkt weltweit die Nummer sieben - ist für deutsche Bücher einer der wichtigsten Lizenzabnehmer geworden. Goethe und Schiller genießen dort einen exzellenten Ruf. Die ehrgeizigen Südkoreaner - der kommunistische Norden wollte sich nicht beteiligen - sehen die Einladung als Herausforderung. Mit 15 Millionen Euro investieren sie mehr als jedes Gastland zuvor in Lesungen und Ausstellungen oder Konzerte, um sich als Kulturnation zu profilieren. Rund 40 koreanische Autoren, die schon seit mehreren Monaten durch Deutschland touren, sind in Frankfurt. Kaum bekannt ist, dass der Buchdruck mit beweglichen Metall-Lettern von buddhistischen Mönchen in Korea im 14. Jahrhundert und damit lange vor Gutenberg erfunden wurde. Umgekehrt will die deutsche Buchbranche dafür sorgen, dass die aktuelle deutsche Literatur wieder stärker im Ausland Beachtung findet. Erstmals verleiht der Börsenverein am Vorabend der Buchmesse den Deutschen Buchpreis für die beste literarische Neuerscheinung im deutschsprachigen Raum. Die Auszeichnung soll an die großen nationalen Buchpreise in Frankreich oder Großbritannien anknüpfen. Südkoreas Literaturwelt steht vor neuen Herausforderungen Seoul (dpa) - Schriftsteller genießen im «Bildungsland» Südkorea nach wie vor hohes Ansehen. Die Wertschätzung für Dichtung und Philosophie hat in der Kulturtradition des Landes und in der ostasiatischen Region seit Jahrhunderten eine zentrale Bedeutung. Die Hochachtung vor dem geschriebenen Wort wird schon durch die große Zahl von etwa 50 000 Büchern belegt, die jedes Jahr im «Land der Morgenstille» neu herausgegeben werden. Mit einem Buchmarktvolumen von 2,2 Milliarden Euro nimmt Südkorea weltweit den siebten Rang ein. Hinzu kommt eine dynamische Literaturszene auf lokaler Ebene. Im krassen Gegensatz dazu steht die Tatsache, dass Korea auf der literarischen Weltkarte bis heute eine relativ untergeordnete Rolle spielt. Dabei wurden Lyriker wie Ko Un oder Romanautoren wie Yi Munyol, Hwang Sok-yong oder Jo Jong Rae seit Jahren als Kandidaten für den Literatur-Nobelpreis gehandelt. Der Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse soll deren Bekanntheitsgrad steigern, hoffen die koreanischen Organisatoren. Die koreanische Gegenwartsliteratur bietet nicht nur, wie in anderen Ländern auch, einen Spiegel der sozialen und kulturellen Verhältnisse. Sie ist auch ein Zeugnis der schwierigen historischen Bedingungen, unter denen sich die moderne Literatur in Korea entwickelt hat. Noch sind in der Literatur die Spuren der Traumata deutlich sichtbar, die Fremdherrschaft, Landesteilung, die Katastrophe des Bruderkriegs mit Nordkorea (1950-1953) und die Militärdiktaturen im 20. Jahrhundert hinterlassen haben. Literatur in Korea hatte seit der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft 1945 auch immer die Aufgabe, die Herausforderungen der Moderne vor dem Hintergrund der eigenen Tradition zu vermitteln. Beispielhaft für die Thematisierung des Krieges und seinen Nachwirkungen stehen etwa Werke der Autorin Pak Wanso oder Autoren wie Kim Won Il, Jo Jong Rae oder Lim Chul-Woo, deren Namen bislang deutschen Lesern kaum etwas sagten. Dabei ergeben sich aus der Sicht von Literaturexperten wegen der geschichtlichen Parallele der Teilung in beiden Ländern spannende Vergleiche. Die Literaturszene in Südkorea befindet sich heute angesichts der politischen und rasanten wirtschaftlich-sozialen Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten in einer Phase der Neuorientierung. Charakteristisch ist die große Zahl politisch engagierter Autoren, die sich in den 70er und 80er Jahren der Demokratisierungsbewegung angeschlossen haben. Vor nicht allzu langer Zeit landeten Autoren wie Hwang Sok-yong wegen unerlaubter Kontakte zum kommunistischen Nordkorea noch im Gefängnis. Doch nach dem Erfolg der Demokratisierung vollzog sich in den 90er Jahren eine Wende. Der Ton wurde allgemein privater. «Geschichten hielten sich, mit Ausnahmen, an den koreanischen Raum», sagt die in Seoul lebende Übersetzerin Heidrun Kang. Wichtige Themen sind Familie, Konfuzianismus, Urbanisierung, Generationsprobleme, Landflucht, Konsum. Begleitet wurde diese Entwicklung vom Aufstieg junger koreanischer Schriftstellerinnen wie O Jeong Hui, So Yong Eun oder Kim Chae Won. « Diese Autorinnen bringen Themen wie die Wiederbelebung des moralischen Gewissens und eines Wertesystems vor, die bei den gegenwärtigen Veränderungen in Vergessenheit geraten sind», sagt der Literaturwissenschaftler Kwon Youngmin von der Seouler Nationaluniversität. Eine wichtige Stellung in der koreanischen Literatur nahm und nimmt die Poesie ein, die als deren Grundpfeiler gilt. Es gibt mehr als 20 000 Dichter. Vor allem jene der Nachkriegszeit wollten einen neuen «poetischen Geist» vermitteln und bedienten sich neuer Stilmittel. Neue Herausforderungen resultieren für die Autoren im Hi-Tech- versessenen Südkorea heute nicht nur aus der allgegenwärtigen Vernetzung. Vor allem die Annäherung an Nordkorea in den vergangenen Jahren rückte verstärkt die Frage der Wiedervereinigung ins Bewusstsein. Im Juli vereinbarten Autoren aus beiden Ländern bei ihrem ersten Treffen nach 60 Jahren, den gerade erst begonnenen Dialog fortzusetzen. Doch wie schwierig dieser Weg zu begehen ist, machte im August ein von südkoreanischer Seite organisiertes «Poesietreffen für den Weltfrieden» im nordkoreanischen Geumgang- Gebirge deutlich: Poeten aus aller Welt folgten der Einladung, ein nordkoreanischer Schriftsteller wurde jedoch nicht geschickt. Kurzporträts bedeutender zeitgenössischer koreanischer Autoren Seoul (dpa) - Die meisten zeitgenössischen koreanischen Autoren sind in Deutschland weitgehend unbekannt. Es folgen Kurzporträts einiger bedeutender Schriftsteller: PARK KYUNG RI (78) gilt als berühmteste südkoreanische Autorin. Ihre 16-bändige Saga «Land« («Toji»), an der sie von 1969 an 25 Jahre lang schrieb, gilt als episches Schlüsselwerk der koreanischen Literatur im 20. Jahrhundert. Die Geschichte dreier Generationen einer Familie umfasst die Zeit von der letzten Phase der Joseon- Dynastie (1398-1910) bis zur Befreiung Koreas von der japanischen Kolonialherrschaft 1945. Sie schildert die Entwicklung des modernen Korea unter sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Aspekten. Pak wurde in den 60er Jahren mit ihren Romanen «Kim yakkuk ui ttal tul» («Die Töchter des Apothekers Kim», Pendragon Verlag, 1999) und «Shijang kwa chonjang» («Markt und Krieg», Secolo Verlag, 2002) bekannt. Sie gab auch eine renommierte Zeitschrift für zeitgenössische Literatur heraus. Für ihr umfangreiches Prosawerk wurde Pak mit vielen bedeutenden nationalen und internationalen Auszeichnungen geehrt. Heute lebt sie in der 120 Kilometer von Seoul entfernten Provinzstadt Wonju und hält an der dortigen Universität Literaturvorlesungen. KO UN (72) gilt als bedeutendster lebender Lyriker seines Landes. Seit Jahren wird er als aussichtsreicher Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis gehandelt. Sein Leben ist von einschneidenden und manchmal abrupten Veränderungen geprägt. Er war Mönch und politischer Aktivist, der sich für die die Demokratisierung seines Landes einsetzte. Dafür landete er im Gefängnis. Er hat in seinem Leben zwei Selbstmordversuche und Jahre als Alkoholiker hinter sich. Während seiner Jahre in einem buddhistischen Kloster von 1952 bis 1962 begann er zu dichten. Der Zen-Buddhismus färbte auch auf seine Lyrik ab. In den 70er Jahren wandte er sich von einer schwermütig gestimmten, rätselhaften Lyrik immer mehr einem politisch engagierten Schreiben zu. Sein Werk umfasst mehr als 120 Veröffentlichungen, darunter auch Romane, Dramen und Essays. Einige liegen auch auf Deutsch vor. Noch im Gefängnis Anfang der 80er Jahre beschloss er, über jeden Menschen zu schreiben, der ihm in seinem Leben begegnet ist. Von dem Gedichtzyklus «Maninbo» sind bislang 20 Bände erschienen. Ko lebt heute mit seiner Frau in Ansong, zwei Stunden Autofahrt von Seoul entfernt. YI MUNYOL (57) ist einer der einflussreichsten lebenden Autoren seines Landes und zudem einer der ersten Bestsellerautoren, dessen Werke auch über die Grenzen Südkoreas bekannt wurden. In seiner Heimat ist Yi wegen seiner politischen Ansichten jedoch umstritten. Vor vier Jahren entzündete er eine Debatte, als er Unterstützer des als liberaler Reformpolitiker geltenden Präsidenten Roh Moo Hyun in Anspielung auf die radikalen Studentengruppen während der Kulturrevolution in China als «Rote Garden» bezeichnete. Trotz seines nicht ungebrochenen Ruhms wird seine Schreibkunst nach wie vor hoch eingeschätzt. Yis Roman «Der entstellte Held», der die Geschichte eines Schulalltags erzählt, gehört zur Schullektüre in Korea. Die auch auf Deutsch erschienene Erzählung (Pendragon 1999, Unionsverlag 2004) ist eine Parabel über die Ausübung von Macht. Als Meisterwerk gilt der biografische Roman «Shi-In» (Der Poet) von 1992, in dem Yi das Leben eines Dichters nacherzählt. HWANG SOK-YONG (61) ist nicht nur einer der bedeutendsten, sondern auch einer der international bekanntesten koreanischen Schriftsteller. Er lebt zurzeit in London. Hwang machte sich auch mit seinem Eintreten für die Demokratisierung seines Landes und die Annäherung an Nordkorea einen Namen. 1993 wurde er wegen unerlaubter Besuche in Nordkorea zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Im Zuge einer Amnestie des damals neu gewählten südkoreanischen Präsidenten und späteren Friedensnobelpreisträgers Kim Dae Jung wurde Hwang 1998 freigelassen und später offiziell als Kulturvertreter in den Norden geschickt. In seinen Büchern variiert Hwang immer wieder das Thema der Entwurzelung, das der in der Mandschurei geborene Autor am eigenen Leib gespürt hat. Sein erfolgreicher Debütroman von 1972, «Die Geschichte des Herrn Han» (dtv, 2005), erzählt die erschütternde Geschichte eines nordkoreanischen Arztes, der während des Korea- Kriegs in den Süden flüchtet. 1984 veröffentlichte er den zehnbändigen Roman «Dschang Gilsan». PAK WANSO (74) bildet zusammen mit Park Kyung Ri das Duo der großen alten Damen der koreanischen Gegenwartsliteratur. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des südkoreanischen Rundfunks unter Verlegern wurde Pak als Autorin gewählt, deren Büchern sie vor allen anderen den größten Erfolg wünschten. Paks Werke werden von fast allen Generationen gelesen. Ihr Debüt gab sie im Alter von fast 40 Jahren mit dem Roman «Namok» («Der nackte Baum»). Es folgten mehr als 20 Romane, Erzählungen und Essays. Südkoreanische Bücher auf Deutsch - Ausgewählte Titel Seoul (dpa) - Das einstige «Wirtschaftswunderland» Südkorea wartet noch darauf, auch als Literaturland entdeckt zu werden. Deutsche Verlage bieten eine Reihe von Übersetzungen, die einen Eindruck von der Gegenwartsliteratur des Landes ermöglichen. Die veränderte Lebenswelt im Zeitalter der Globalisierung wird darin ebenso thematisiert wie die Nachwirkungen der Landesteilung, des Korea- Kriegs und der Diktaturen im eigenen Land. Nachfolgend einige ausgewählte Titel: Hwang Sok-yong: «DIE GESCHICHTE DES HERRN HAN». Der erfolgreiche Debütroman des preisgekrönten Schriftstellers aus dem Jahr 1972 erzählt die erschütternde Geschichte eines nordkoreanischen Arztes, der während des Korea-Kriegs (1950-53) nach Südkorea flieht. Die Erzählung gilt als Schlüsselwerk der koreanischen Literatur. Die Epoche des Kriegs wird nicht wie in vielen früheren Fällen in Form einer Heldengeschichte, sondern aus dem Blickwinkel des geschundenen Individuums dargestellt. Das Schicksal der Hauptfigur beleuchtet exemplarisch die Erfahrung der Trennung von Millionen koreanischer Familien. (dtv, Euro 12,00) Friedhelm Bertulies (Hg.): «DIE SYMPATHIE DER GOLDFISCHE». Neue Erzählungen aus Südkorea. Für einige europäische Leser mögen die Themen nicht so neu sein, doch koreanischen Autoren und Lesern «brennen sie nach wie vor auf den Nägeln», schreibt der Herausgeber in seiner Einführung. «Befestigter Gesang» von Yi Munyol spielt in den 60er Jahren um die Zeit der Militärdiktatur von Park Chung Hee und schildert die zum Teil heillosen Zustände im Militär. Den Rahmen bilden die Geschehnisse eines Militärmanövers. In «Sympathie der Goldfische» von 1992 hält Lee Chang Dong der Gesellschaft den Spiegel vor. Ein Lehrer sieht seine Existenz durch seinen Halbbruder bedroht, der wegen seiner politischen Aktivitäten von der Polizei gesucht wird. In «Bruder!» von Choi In Suk von 1997 lauert der Ich-Erzähler einer Bekannten auf, die sich als Studentin für die «Revolution» einsetzte. In einem Buch beschreibt sie später ihren Kampf von damals als Illusion. Den Schluss des Sammelbands bildet «Die Gezeichnete» aus dem Jahr 1981 von Pak Wanso. Eine Frau sieht dem Sterben ihrer Mutter zu, die sich an den gescheiterten Versuch erinnert, ihren Sohn zu retten, der während des Korea-Kriegs zu den «Roten» übergelaufen war. (Suhrkamp, Euro 15,00) Marion Eggert (Hg.): «WIND UND GRAS». Moderne koreanische Lyrik. « Wenn es ein Land der Dichter gibt, dann ist das wohl Korea,» schreibt die Herausgeberin in ihrem Vorwort zu dieser Anthologie. Die Lyrik hat nach wie vor einen hohen Stellenwert in der koreanischen Literatur und gilt als deren Fundament. Der Bogen des Sammelbands spannt sich vom Anfang der japanischen Kolonialzeit 1910, als der Modernismus auch in koreanischen Literaturkreisen Einzug hielt, bis zur Lyrik der Gegenwart. (dtv, Euro 8,50) Jo Jong Rae: «DAS SPIEL MIT DEM FEUER». Der 1982 veröffentlichte Roman des in seiner Heimat überaus erfolgreichen Schriftstellers setzt sich mit den Nachwirkungen des Korea-Kriegs auseinander. Ein erfolgreicher Geschäftsmann wird eines Tages von einem anonymen Anrufer aufgeschreckt. Er wird mit einer verdrängten Episode aus der Kriegszeit konfrontiert, als er sich einer Bluttat schuldig gemacht hat. Sein Sohn erfährt von der Geschichte seines Vaters. Der durch zahlreiche Bedeutungsebenen strukturierte Roman zeigt, wie die Vergangenheit des Krieges bis in die Gegenwart nachwirkt. In Jo Jong Raes viel gelesenen Romanen fügt sich ein Bild der leidvollen Geschichte Koreas im 20. Jahrhunderts zusammen. (Edition Peperkorn, Euro 19,00) Hyok Kang: «IHR SEID HIER IM PARADIES!». Der Autor lebt nach der Flucht aus seiner Heimat Nordkorea seit 2002 in Südkorea. Aus dem Blickwinkel eines Kindes erzählt er vom Leben im abgeschotteten Norden der geteilten koreanischen Halbinsel. Die Erinnerungen sind ein erschütterndes Zeugnis der Lebensbedingungen in einem Land, in dem die Bewohner der größtmöglichen Kontrolle des Staates unterworfen sind, der sie nicht einmal ausreichend ernähren kann. Co-Autor des Buches ist der französische Journalist Philippe Grangereau, der Kang während eines Aufenthalts in Prag im Frühling 2003 getroffen und zu den Aufzeichnungen ermutigt hatte. (Goldmann, Euro 8,95) Yi Munyol: «DER ENTSTELLTE HELD». In der inzwischen berühmten Erzählung aus dem Jahr 1987 schildert der Autor die Konflikte innerhalb einer Schulklasse vor dem Hintergrund der Militärdiktatur nach 1960. Der mit viel psychologischem Scharfsinn verfasste Text wird zur Metapher auf die Scheinheiligkeit und Korruption in der damaligen Gesellschaft. Erschienen ist das Buch im Bielefelder Pendragon Verlag, der sich als einziger Verlag in Deutschland bisher systematisch um die koreanische Literatur gekümmert hat. (Pendragon, 12,80 Euro) Oh Jung-Hee: «VÖGEL». In ihrem Roman beobachtet Oh die Welt durch die Augen eines zwölfjährigen Mädchens, das zusammen mit seinem Bruder zu Verwandten abgeschoben wird. Der Vater, ein Tagelöhner, holt die Kinder zurück, ohne dass sich deren elendes Schicksal wirklich verändert. Das einfühlsam geschriebene Buch, 2002 zuerst bei Pendragon erschienen und ein Jahr später mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet, wirft ein Licht auf die soziale Wirklichkeit in der koreanischen Gesellschaft. (Unionsverlag Zürich, 9,90 Euro)