Literatur Buchmesse Fra 2005 kor

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Literatur Buchmesse Fra 2005 kor
http://www.netzeitung.de
17.10.2005
Entspannte neue Welt
Den Südkoreanern scheinen die Handys am rechten Arm festgewachsen zu sein. Dennoch ist
Literatur hier hoch geschätzt - demnächst wird in Seoul sogar ein "Buchhotel" eröffnet.
Buchland Korea
Von Andreas Schäfer
Zufrieden wirken die beiden Internet-Dichter, die unter "Young-Hae Chang Heavy Industries" firmieren,
nicht gerade. Während sich im spätsommerlichen Morgenlicht der Berufsverkehr geduldig durch die
Hochhausschluchten im Zentrum Seouls arbeitet und am Nachbartisch ein holländischer
Geschäftsmann mit koreanischen Kollegen unterhält, sollen sie in einem Hotel Journalisten Rede und
Antwort stehen. Zu ihrer Arbeit im Besonderen, und zu ihrer Rolle als koreanische Autoren im
Allgemeinen, und zwar in Anwesenheit von Funktionären vom "Kunstkomitee des
Wirtschaftsministeriums".
Das mag kein Künstler dieser Welt, stellvertretend für ein Land sprechen, und dann noch als
Wurmfortsatz der Wirtschaftspolitik. Deshalb treten die beiden die Flucht nach vorne an, verweigern
auf charmante Weise die Aussage, bitten statt dessen ins benachbarte "Businesscenter", wo ein
japanischer Geschäftsmann gerade seine Mails checkt.
Dort rufen sie ihre Website www.yhchang.com auf und führen "Cunnilingus in Nordkorea" vor, eine
ironische Arbeit, in der der Nordkoreanische Präsident Kim Jong Il in simuliertem sozialistischem
Bruderjargon ein Lob des Oralverkehrs in Nordkorea anstimmt, unter besonderes Berücksichtigung
der "sexuellen Befriedigung im Kommunismus".
Intimität ist eine Illusion
Nun, nachdem durch diese Vorführung unmissverständlich deutlich geworden ist, dass die beiden
keine Staatsdichter sind, geben sie gern Auskunft. Über Südkorea und den so genannten "vertikalen
Lebensstil" in der 12-Millionen-Stadt Seoul, der mit der rasanten Modernisierung in den letzten Jahren
auch eine Entwurzelung und Virtualisierung im Alltag mit sich gebracht habe.
"Die Menschen leben alle in Hochhaussiedlungen am Rande der Stadt und halten sich sonst die
meiste Zeit in öffentlichen Räumen auf." Da spiele das Handy und die eigene Webpage die zentrale
Rolle der Individualisierung. Die finde aber nur im festgelegten Rahmen der großen ElektronikKonzerne wie Samsung und LG statt, die auch Krankenhäuser, Zeitungen und Lebensmittelketten
besitzen. Die erhoffte Freiheit und Intimität sei also eine Illusion.
Samsung, Hyundai, Deawoo
Die Internetdichter, die regelmäßig zu Symposien in den Westen eingeladen werden, befassen sich
explizit mit koreanischen Themen, das heißt, sie spielen mit Schlagworten, die dem durchschnittlichen
Westler zu Korea einfallen: "Nicht viele. Samsung, Hyundai, Deawoo. Und natürlich: die Teilung des
Landes." Draußen, vor dem glitzernden Gebäude der Tageszeitung Dong-A Illbo mit der ZweiMillionen-Auflage, knien derweil Frauen auf dem Boden und kratzen Kaugummis aus den Ritzen im
breiten Bürgersteig.
Südkorea ist dieses Jahr nicht nur Gastland der Frankfurter Buchmesse, sondern hat 2005 mit über
fünfhundert Veranstaltungen deutschlandweit auch zum Jahr des "dynamic Korea" ausgerufen.
Wirtschaftlich steht das Land, vor allem Dank einer boomenden Elektronik-Industrie, an zwölfter Stelle
in der Welt, aber seine Kultur ist – abgesehen vom koreanischen Film – weniger bekannt. Um Musik,
Kunst, Literatur und die schmerzensreiche historische Landschaft hinter den Schlagworten
wahrnehmbar zu machen, touren nicht nur koreanische Autoren seit Monaten durch Deutschland, im
Gegenzug wurden auch Journalisten und Schriftsteller nach Seoul eingeladen.
Liegt es an den Grillen?
Wolkenkratzer, breite Straßen, auf denen immer Stau herrscht, Großraumbüros wie aus dem Film
Matrix. Viele junge Menschen in Anzügen; das Handy, verwachsen mit der rechten Hand, zeigt
Fernsehprogramme und verrät, ob zu Hause genügend Milch im Kühlschrank steht. Schöne neue
Welt.
Aber warum wirkt diese Stadt auf den Besucher trotzdem so entspannt? Weil das Auge, egal wie hoch
die Häuser sind, durch eine Lücke immer die Berge des Umlands im Blick hat? Weil neben jedem
Wolkenkratzer ein winziges Backsteinhäuschen steht, blaue Plastiktische davor, an denen man für
umgerechnet zwei oder drei Euro Kimchi, eingelegte Tintenfische und am Tisch zubereitetes
Rindfleisch essen kann? Liegt es an den Grillen, die überall zu hören sind? Oder ist es etwas
Unsichtbares? Die – wie die beiden von Heavy Industries sagen würden – vertikal aus der
Vergangenheit ins Jetzt ragende buddhistische Tradition?
Natürlich, die Gelassenheit und der Reichtum sind nur die eine Seite. Man braucht nur gegen
Mitternacht einmal die Prachtboulevards zu unterqueren. Da schlafen Menschen auf Pappkartons,
zwischen den Stützpfeilern, und in der nächsten und übernächsten Unterführung auch.
Schwer zu bestimmen, was Realität ist
In jedem Gespräch, das man führt, tauchen früher oder später zwei Gespenster auf und umwölken die
Stirn des Gegenüber. Zum einen das Gespenst Japan, das sich noch immer nicht um Entschuldigung
für die Besetzung Koreas von 1910 bis 1945 gebeten hat, zum anderen das viel dämonischere
Gespenst der koreanischen Wiedervereinigung, die jeder offiziell zu wollen hat, vor der aber – gelinge
gesagt – ein Heidenrespekt besteht, nicht nur wegen der riesigen ökonomischen Kluft zwischen Nordund Südkorea.
"Wir haben uns gegenseitig umgebracht, hunderttausendfach. Was da noch hochkäme, kann man gar
nicht absehen", sagt der Schriftsteller Kim Hoon, dessen Bestseller "Schwertgesang" leider noch nicht
auf Deutsch vorliegt. Kim Hoon wurde 1948 geboren – vor dem Koreakrieg –, und als er Kind war, gab
es in Seoul weder Hochhäuser noch Autos. Wie viele seiner koreanischen Schriftstellerkollegen hat er
anfangs als Journalist gearbeitet, doch in den gewaltigen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte fiel es
ihm immer schwerer "zu bestimmen, was Realität ist."
Sein "Schwertgesang" handelt vom Leben des General Li, einem Helden im koreanisch-japanischen
Krieg im 17. Jahrhundert, und im Gewand des historischen Romans hat Hoon die noch immer
virulente Frage behandelt, wie der Krieg von Außen ins Innere einer Figur wandert. "Wir haben viel
geschaffen, dabei aber viel Schuld auf uns geladen. Wir haben die Arbeiter unterdrückt, unserer
Gegner getötet und eine Militärdiktatur errichtet. Dies ist die Landschaft unserer Stadt."
Konservativ und kollektiv
Wer heute durch Seoul läuft, durch lebendige Markt- und Studentenviertel, überfüllte
Einkaufspassagen und Buchläden, kann nur schwer glauben, dass hier noch bis 1998, als Kim Daejung Präsident wurde, Kalter Krieg herrschte, in dessen Folge Schriftsteller wie der bekannte Hwang
Sok-yong fünf Jahre inhaftiert wurden, weil sie ohne Genehmigung nach Nordkorea gereist waren. In
den letzten Jahren hat sich nicht nur das politische Klima radikal gewandelt, seit der Tigerstaatenkrise
in der Neunzigerjahren sind auch viele junge Menschen in der IT-Branche reich geworden.
Es ist eine neue, weniger der schmerzvollen Geschichte als der Alltagsgegenwart zugewandte
Schriftstellergeneration amerikanischer Prägung nachgewachsen, die nebenbei "Kreatives Schreiben"
an Universitäten lehrt, für Hochglanzmagazine schreibt oder, wie der 1970 geborene Kim Yeonsu,
Popsongs verfasst und Comics zeichnet. Das Interesse an Literatur ist groß, trotz oder gerade wegen
der Virtualisierung des Lebens. "Die Gesellschaft ist noch immer konservativ und sehr kollektiv
geprägt. Man legt großen Wert auf Arbeit, Erfolg, Familie", sagt die Dichterin Moon Suk Kang. "Da
bietet die Literatur eine Gegenwelt, einen Raum des Rückzugs."
Eine Antwort auf die psychische Konfusion
Dass es der südkoreanischen Buchbranche zumindest passabel gehen muss, zeigt ein zur Realität
gewordenes utopisches Bauprojekt, bei dessen Besichtigung deutschsprachigen Verlegern
wahrscheinlich die Augen aus dem Kopf fielen. Dreißig Kilometer nördlich von Seoul liegt die so
genannte "Paju Bookcity", ein vorortgroßes Areal, auf dem Dutzende Verlage, Druckereien,
Papierhändler, Buchhandlungen und Speditionen ihren Sitz haben. Achtzehn Jahre hat der Verleger
Yi Ki Un für diesen Traum gekämpft, zusammen mit anderen Verlegern ein versumpftes Gelände
gekauft, Architekten beauftragt, Gärten angelegt.
Das Ergebnis ist eine Mischung aus Architekturstadt, Messegelände und Zen-Kloster. Moderne
Häuser, jedes für sich ein kleines Meisterwerk, getrennt von schilfbewachsenen Flächen. Schmale
Straßen, karge Bäume, und direkt hinter den Glasfronten zieht sich ein Flüsschen entlang, in dessen
ruhigem Wasser sich Ufergräser spiegeln. Yi Ki Un möchte "Paju Book-City" als "praktische
Kommunikation" verstanden wissen, als "Antwort auf die um sich greifende psychische Konfusion."
Ein glücklicher Mensch
Jetzt sitzt er in einer Lounge, legt eine Hand auf seinen Bauch und sagt mit rührender Herzlichkeit:
"Operation. Die viele Arbeit hat mich krank gemacht". Krank, aber nicht tatenlos. Viele Verlage sind
schon eingezogen, aber vollendet wird der Traum erst mit der baldigen Eröffnung eines Buchhotels. In
den Zimmern wird es weder Radio noch Fernsehen geben, an der Rezeption hinterlegt der zukünftige
Gast sein Mobiltelefon und erhält dafür ein vorbestelltes Buch.
"Es ist uns egal, ob viele kommen. Hauptsache, es ist still. Der Mensch hat ein natürliches Bedürfnis
nach Stille", sagt der schmale ältere Herr und lächelt. Man darf sich ihn als glücklichen Menschen
vorstellen.
Die Berliner Galerie Aedes West, S-Bahnbögen 600-601, zeigt noch bis zum 27. Oktober Fotos aus
der Paju Book City. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
http://www.3sat.de
Literatur aus und über Korea
Eine Auswahl zum Gastland der Frankfurter Buchmesse 2005
2005 ist Südkorea Gastland der Frankfurter Buchmesse. Während in Korea nicht nur Schiller, Goethe
und Hölderlin gelesen werden und sogar deutsche Romane wie Patrick Süßkinds "Das Parfüm" auf
die Bestsellerlisten gelangen, wird hierzulande koreanische Literatur kaum wahrgenommen. Wir
haben im Korea-Jahr eine Auswahl an Sachbüchern und literarischen Werken aus und über Korea
zusammen gestellt.
Deutsche Verlage bieten eine Reihe von Übersetzungen, die einen Eindruck von der
Gegenwartsliteratur des Landes ermöglichen. Besonders die Verlage Pendragon und Peperkorn
haben seit Jahren einen Schwerpunkt auf koreanische Literatur gesetzt. Aber auch Verlage wie
Suhrkamp oder dtv haben rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse 2005 koreanische Literatur neu
herausgegeben. In all diesen Werken wird die veränderte Lebenswelt im Zeitalter der Globalisierung
ebenso thematisiert wie die Nachwirkungen der Landesteilung, des Korea-Krieges und der Diktaturen
im eigenen Land.
Belletristik
Romane:
Koreanisches Sittengemälde
Eun Heekyung ist eine der erfolgreichsten und radikalsten unter den neuen Frauen in der
koreanischen Literatur. In ihrem ersten Roman "Ein Geschenk des Vogels" schreibt sie ungewöhnlich
offen über das Verhältnis der Geschlechter
Psychogramm einer Diktatur
Yi Munyol zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern Koreas und wird immer wieder als möglicher
Nobelpreiskandidat gehandelt. In "Der entstellte Held" erzählt er die Geschichte von Schülern, die sich
von ihrem Klassensprecher tyrannisieren lassen
Die roten Orchideen von Shanghai
Zwischen 1932 und 1945 zwang die japanische Armee mehr als 200.000 Asiatinnen aus den
besetzten Ländern zur Prostitution. Eine von ihnen war die Koreanerin Sangmi Kim. Juliette Morillot
erzählt ihre Geschichte in einem Roman
Die Geschichte des Herrn Han
Der erfolgreiche Debütroman des preisgekrönten Schriftstellers aus dem Jahr 1972 erzählt die
erschütternde Geschichte eines nordkoreanischen Arztes, der während des Korea-Krieges (1950-53)
nach Südkorea flieht
Das Spiel mit dem Feuer
Jong-Rae Jos 1982 in Korea veröffentlichter Roman setzt sich mit den Nachwirkungen des KoreaKrieges auseinander. Ein erfolgreicher Geschäftsmann wird darin von seiner dunklen Vergangenheit
eingeholt
Vögel
Oh Jung-Hee schildert in ihrem 2003 mit dem LiBeraturpreis ausgezeichneten Roman "Vögel"
einfühlsam die soziale Wirklichkeit in der koreanischen Gesellschaft aus der Sicht eines zwölfjährigen
Mädchens
Erzählungen:
Denkmäler der Entwurzelung
Der Schriftsteller Lee Sung-U seziert in seinen Erzählungen den Seelenzustand der modernen
Koreaner. Im Pendragon Verlag ist nun der Band "Vermutungen über das Labyrinth" erschienen
Die Sympathie der Goldfische
Friedhelm Bertulies hat einen Band mit Erzählungen aus dem modernen Korea zusammen gestellt.
Vertreten sind Autoren wie Yi Munyol, Pak Wanso, Lee Chang Dong und Choi In Suk
Lyrik:
Wind und Gras
Die Lyrik hat in der koreanischen Literatur einen hohen Stellenwert und gilt als deren Fundament.
Marion Eggert hat einen Sammelband mit Gedichten zusammengestellt, die einen Bogen vom Anfang
des 20. Jahrhunderts bis heute spannen
Sachbücher
Durch das alte Korea
Siegfried Genthe bereiste 1901 als erster deutscher Journalist Korea. Seine Reisereportagen geben
einen spannenden Einblick in ein bis dahin nahezu unbekanntes Land, das sich jahrhundertelang von
der Außenwelt isoliert hatte
Im Brennpunkt: Korea
Einen kompakten Überblick über Geschichte, Politik, Wirtschaft, Geografie und Kultur Nord- und
Südkoreas bietet das Buch "Brennpunkt: Korea" von Hanns W. und Ivo M. Maull aus dem Beck-Verlag
Ihr seid hier im Paradies
Hyok Kang lebt nach seiner Flucht aus Nordkorea seit 2002 in Südkorea. Aus dem Blickwinkel eines
Kindes erzählt er mit Hilfe eines französischen Journalisten vom Leben im abgeschotteten Norden der
geteilten koreanischen Halbinsel
Nordkorea
Nur wenige Ausländer dürfen den nördlichen Teil der seit 1953 geteilten koreanischen Halbinsel
betreten. 27 Berichte von Journalisten, Diplomaten, Entwicklungshelfern und Touristen geben
"Einblicke in ein rätselhaftes Land"
http://www.3sat.de
Geteiltes Land des leichten Lächelns
Kulturzeit hat die internationale Buchmesse in Seoul besucht
Die Buchmesse von Seoul sieht aus wie jede andere in der globalen Welt. 2000 Verlage bringen
50.000 Neuerscheinungen im Jahr heraus, aber nur 200 davon machen wirklich Geschäfte mit
Büchern, die asketisch, schlicht, zurückhaltend, elegant, wie das Lebensideal der Koreaner sind - wie
das Licht, das alles weichzeichnet. Kulturzeit ist nach Seoul gefahren, um das bei uns unbekannte
Buchland kennenzulernen.
60 Autoren kommen im Herbst nach Deutschland. Nur 30 sind übersetzt. Südkorea spendiert 14,5
Millionen Euro für den Auftritt in Frankfurt, viel mehr als jedes Gastland zuvor. Der Verleger Lee Gun
Bok ist gespannt, "wie die koreanische Lese- und Verlagskultur in Deutschland und in der westlichen
Welt bewertet wird". Südkorea ist eine multireligiöse Gesellschaft. Nach der Statistik bilden Christen
die größte Gemeinde. Doch der Konfuzianismus bestimmt die Mentalität. Im Zentrum steht die
strenge, kodifizierte Erziehung der Kinder.
Gegen Modernisierung und für Wiedervereinigung
Dichter Ko Un
In nur 30 Jahren ist aus dem im Koreakrieg zerstörten Agrarland ein Industrie- und Stadtstaat
geworden. Aufs Land zurückgezogen hat sich der größte Dichter Koreas, Ko Un: "In meinen
Gedichten besinge ich den Schmerz, die Schönheit, die Tragik und Trauer und auch die
langersehnten Träume Koreas", erzählt er. Der Dichter sitzt in seinem Gehäuse wie ein Gelehrter der
Renaissance. Dabei beobachtet und kritisiert er detailscharf die Gegenwart. Er schreibt gegen die zu
schnelle Modernisierung und für die Wiedervereinigung. Er hat die 30-jährige Militärdiktatur von Park
und Co. angegriffen. Natur und Politik kreuzen sich in seinen Gedichten. Da lachen einmal die Rinder
und dann sind ihre Augen rot aus Hass, während des Koreakriegs. Als 17-Jähriger sah er die Leiden
und Leichen dieses Krieges. Er wollte sich töten, fand aber Zuflucht bei den Buddhisten. Nach zehn
Jahren erwachte er aus dem Mönchsdasein. Als radikal-demokratischer Dichter kam er ins Gefängnis.
Für die Wiedervereinigung stößt er heute mit Kim Jong Il. an.
Das alte Korea der Morgenstille findet man nur noch in den abgegrenzten Tempelbezirken. Hier richtet
sich der Rhythmus nach dem Atem, nicht nach dem Herzschlag. Ko Un war Schüler des Zen-Meisters
Hyo Bong. "Einen Stein habe ich rausgerissen und weggeworfen. Als ich geschrien habe, wozu soll
ich überhaupt lernen, hat mein Lehrer gesagt, ja genau, wozu sollen wir überhaupt lernen. Spielen wir
einfach", berichtet der Dichter. Ko Un empfand den Mönchsdienst auch als Last. Er hat sich davon
durch das Schreiben befreit. Aber er hat sich das Spielerische und das leichte Lächeln des
Buddhismus bewahrt. Aufgrund dieser Haltung kritisiert er die Verstädterung des Landes.
Melancholische Kunst
"Wenn wir uns so schnell modernisieren, wenn jetzt so viele Gebäude errichtet werden, heißt das
nicht, dass das so bleibt", sagt er. "In 100 Jahren wird das hier wahrscheinlich ein ganz anderes
Gesicht bekommen." Ko Un hält in seinen Gedichten melancholisch an der Ästhetik und Weite der
koreanischen Landschaft fest. Allein neun Bände widmete er der verschwindenden Welt der
Handwerker und Bauern. "Die auf der Natur begründete Ästhetik der Koreaner ist nicht pompös oder
grandios, sondern auf das besondere Einzelne, Einfache und Schlichte bedacht. Sie spiegelt eine
starke Lebenskraft wider. Das ist Schönheit", erklärt Ko Un. Südkoreanische Bomber beweisen ihre
militärische Aggressivität gegenüber der nuklearen Bedrohung aus Nordkorea und stören die Ästhetik
Ko Uns. Der Dichter singt in traurig gestimmter Hoffnung auf die Versöhnung und Wiedervereinigung
Koreas das Volkslied Harirang.
Zwischen Ko Uns Land und Seoul zeigt sich der Kontrast Koreas. Nachts pulsiert die Stadt. Im
Studentenviertel Sochon kleidet und gibt sich die Jugend westlich modern. Die Schriftstellerin Eun
Heekyung sagt: "Ich komme ab und zu hier her zum Biertrinken. Die Preise sind günstig. Man spürt
hier den jugendliche Elan." Im Neonlicht der Nacht fühlt sich die 45-Jährige Eun wohl. Die Dynamik
der Stadt befördert in ihren Augen die Befreiung der Frauen von der konfuzianischen Strenge und
Bevormundung der Männer. Seoul inspiriere sie. Denn "Seoul bietet den Autoren eine große Auswahl
an Emotionen", erklärt sie.
Rolle der Frau geändert?
Eun Heekyung
Vier Millionen Pendler fahren täglich in die Zwölf-Millionen-Hauptstadt. Seoul hat mehr als drei Mal so
viele Einwohner wie Berlin und ist nur halb so groß. Die hypermoderne Technik, die Schocks der
Stadt, nimmt Eun Heekyung in ihren Geschichten als Herausforderung an. Außerdem hat Seoul die
besten elitären Unis. Davon profitieren inzwischen auch Frauen. "Die Rolle der Frau hat sich in Korea
immens geändert", weiß Eun Heekyung. "Frauen haben mehr Bildung und sind emanzipierter. Sie
treten deshalb selbstbewusster in der Öffentlichkeit auf. Seoul ist die ideale Stadt dafür."
Korea ist in zwei Hälften geteilt - in Nord und Süd, in Tradition und Moderne. Von einer Versöhnung
der Gegensätze, von dem das Lied Harirang träumt, ist das Land noch weit entfernt.
14.06.2005 / Ruthard Stäblein für Kulturzeit / se
http://www.2saenetwork.de/content/view/323/71/
Gastland Korea bei der Frankfurter Buchmesse (19.-23.10.05)
Wie jeden Herbst findet auch in diesem Jahr in Deutschland eines der weltweit größten Ereignisse der
internationalen Literatur- und Verlagswelt statt. Vom 19. bis 23. Oktober öffnet die Frankfurter
Buchmesse ihre Pforten und lädt Bücherfreunde aus der ganzen Welt ein, ungestört in den
Neuerscheinungen zu stöbern und dabei in eine neue Welt einzutauchen. Wer Ungewohntes sucht, ist
auf der diesjährigen Buchmesse genau richtig.
2005 stellt sich Korea als Gastland vor, ein Land, dessen Literatur hierzulande kaum bekannt ist.
Man darf gespannt sein, wie sich Korea bei der Buchmesse präsentieren wird, da das Land keine
Kosten und Mühen gescheut hat, um sich auf dieses Ereignis vorzubereiten. Schon im Vorfeld der
Messe hatte es zahlreiche koreanische Veranstaltungen gegeben, die die Deutschen auf Koreas
Gastlandauftritt einstimmen sollten. Koreanische Autoren sind seit März durch das ganze Land
gereist, um aus ihren Werken zu lesen. In Frankfurt entsteht zur Zeit ein koreanischer Garten, damit
Korea auch nach der Buchmesse einen bleibenden Eindruck in Frankfurt hinterlässt. Neben
wissenschaftlichen Symposien wird der koreanische Gastlandauftritt von Tanz-, Theater- und
Musikvorführungen begleitet. Korea stellt nicht nur seine traditionelle, sondern auch seine moderne
Kultur vor. Unter anderem sind Werke des berühmten koreanischen Komponisten Isang Yun sowie
das weltweit erfolgreich aufgeführte Musical „Seoul Line 1" und die traditionelle Schlagzeuggruppe
„Puri" zu sehen.
Insgesamt sechs Ausstellungen geben einen Einblick in Vergangenheit und Gegenwart Koreas. Alte
Druckkunst, Porzellan und buddhistische Malerei stellen die Vergangenheit vor, drei Ausstellungen zu
moderner Malerei und Fotografie reflektieren die Gegenwart.
Ein Platz namens „Agora" soll sich während der Buchmesse zu einem koreanischen Hof oder
„Madang" entwickeln, wo die Besucher die Gelegenheit zur Begegnung mit der koreanischen Kultur
haben. Unter anderem können die Besucher traditionelle Verfahren zur Papierherstellung (Hanji) oder
die Druckkunst mit Typen aus Metall kennenlernen. Auch spezielle Erzeugnisse aus Korea,
traditionelle Handwerksarbeiten, die Tee-Kultur und vieles mehr werden vorgestellt. Koreanisches
Kunsthandwerk wird man sowohl ansehen als auch kaufen können.
Für die Buchmesse hat das Vorbereitungskomitee für Koreas Gastlandauftritt unter anderem hundert
besonders schön gestaltete Bücher ausgewählt, die auf der Messe zu sehen sein werden.
http://www.hr-online.de
Vorgeschmack auf Fernöstliches
"Enter Korea"
In Frankfurt mit dabei? Tänzerinnen des Incheon Metropolitan City Dance Theatre aus Korea Der
Countdown für den großen Auftritt Südkoreas als Gastland der Frankfurter Buchmesse 2005 läuft: 16
Autoren aus dem "Land der Morgenstille" starten das "Koreanische Lesejahr" mit einer Lesereise.
Beginn der Lesetour quer durch Deutschland ist auf der Leipziger Buchmesse vom 17.-20. März 2005.
Auch in Dresden, Weimar und Jena werden die Autoren auftreten. "Leipzig bietet einen ersten Blick
auf das Gastland", sagte der Sprecher der Frankfurter Buchmesse, Holger Ehling, während eines
Arbeitsbesuchs in Seoul.
Sein Eindruck von dem geplanten Gastauftritt in Frankfurt im Oktobersei positiv, sagte Ehling. Doch
die Vorbereitungen stoßen immer wieder auf Hindernisse: Strukturprobleme im südkoreanischen
Literaturbetrieb, Schwierigkeiten bei der Auswahl der Bücher und bei den Übersetzungen scheinen an
der Tagesordnung zu sein.
Auftritt auf dem internationalen Parkett
Insgesamt werden 60 koreanische Autoren zu Lesungen und Diskussionen nach Deutschland reisen,
auch deutsche Autoren sollen in Koreas ihre Literatur vorstellen. Sowohl Lesereise als auch die
Buchmesse bieten koreanischen Autoren die Chance, auf dem internationalen literarischen Parkett
Fuß zu fassen. Denn wer kennt bisher den politisch engagierten Schriftsteller Hwang Sok Yong oder
die wohl berühmteste koreanische Autorin, Park Kyung Ri? Ein Grund dafür: es gibt zu wenige
Übersetzungen, und die, die es gibt, genügen nicht immer literarischen Ansprüchen. Die meisten
Übersetzungen aus dem Koreanischen stammen von einem deutsch-koreanischen Übersetzerteam.
"Dabei kommen sehr häufig Übersetzungen heraus, die philologisch korrekt, aber literarisch
problematisch sind", sagte Ehling.
Ein weiteres Handicap für eine fruchtbare Zusammenarbeit besteht darin, dass alle literarischen und
verlegerischen Kontakte über eine Stiftung in Seoul laufen. "Eine direkte Zusammenarbeit gibt es
nicht", beklagt etwa der Münchner dtv Verlag. "Wenn es um Kultur und Verlagswesen geht, laufen die
Entscheidungs- prozesse nach anderen Regeln ab", stellte Ehling fest. Zum Teil würden
Entscheidungen am Markt vorbei getroffen. Bisher wurden in der Regeln Bücher übersetzt, die
"belehrend oder bildend" zu sein hätten. Das trifft nicht unbedingt das Interesse des deutschen
Publikums.
Im koreanischen Verlagswesen herrschen aufgrund der politischen Struktur des Landes andere
Bedingungen als in Europa. Viele Verlage wagten es nicht, eigene Produkte anzubieten, so Ehling.
"Die paar Agenten in Korea sind im wesentlichen Importeure." Deshalb soll es im Mai in Seoul einen
Lehrgang mit Spezialisten für den Lizenzhandel geben. "Das Thema Copyright ist zum Beispiel in
Korea noch nicht allzu lange in den Tüten, in die es hinein gehört", meinte Ehling.
Koreanische Wirtschaft hält Geldbeutel geschlossen
Scheinbar wackelt auch die Finanzierung des Gasdtauftritts: Die einheimische Wirtschaft unterstützt
ihre Autoren nur zögerlich. Bereits vor einem Monat hatten die Organisatoren angekündigt, dass
Südkorea sein kulturelles Rahmenprogramm zur Frankfurter Buchmesse abspecken muss. Statt 26
Milliarden Won (knapp 20 Millionen Euro) sind bislang nur knapp die Hälfte in die Kassen der
Organisatoren geflossen, so Projektmanagerin Chong Soon Min. Die Regierung habe bisher 12
Milliarden Won (rund 8,9 Millionen Euro) zur Verfügung gestellt. Die ursprünglichen Hoffnungen auf
Sponsorenzusagen über zusätzlich 14 Milliarden Won hätten sich bislang nicht erfüllt.
Trotzdem gibt man sich optimistisch. 25 Kulturprojekte seien unter Dach und Fach, weitere 11 in
Planung, heißt es in Seoul. So wird dem Buchmessepublikum in Frankfurt traditionelle Musik und
Malerei ebenso wie Film und Fotografie geboten. Im Mittelpunkt soll aber das iterarische Programm
stehen.
Stand: 23.02.2005
http://www.buchmarkt.de
17.03.2005 12:14
Korea, Gastland der Frankfurter Buchmesse 2005, beginnt sein Veranstaltungsprogramm mit
Lesereise
Korea, Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, hat sich für das Jahr 2005 einiges
vorgenommen: Neben dem umfangreichen Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm im Rahmen
der Frankfurter Buchmesse wird es in diesem Jahr die bislang größte Lesereise koreanischer Autoren
in Deutschland geben.
Den Auftakt zur LiteraTOUR, an der insgesamt 62 koreanische Autoren teilnehmen, bildet die
Leipziger Buchmesse. Die ersten Lesungen wurden bereits in Dresden, Jena und Weimar
veranstaltet. Nächsten Monat wird es Lesungen in Bonn, Köln und Düsseldorf geben, im Mai steht der
Norden Deutschlands u.a. mit Hamburg auf dem Programm, im Juni der Süden u.a. mit München und
im September Berlin. Den Abschluss und Höhepunkt der koreanischen Lesereise bildet die Frankfurter
Buchmesse mit zahlreichen Lesungen auf dem Messegelände, im Literaturhaus und anderen
Veranstaltungsorten in und um Frankfurt. Hwang Chi-Woo, Generaldirektor des koreanischen
Organisationskomitees (KOGAF): „Wir möchten, dass die koreanische Literatur in Deutschland und
auf der ganzen Welt mit Muße aufgenommen wird und damit den Anfang eines Diskurses zwischen
den unterschiedlichen Kulturen eröffnet“.
Die ersten Veranstaltungen in Dresden, Jena und Weimar stießen beim lesebegeisterten Publikum
trotz des noch in Deutschland und Europa als exotisch bewerteten Themas auf großes Interesse. So
lasen und diskutierten unter dem Motto „Das Erbe des Krieges“ und „Hologramm der Jugend“
etablierte und junge koreanische Autoren wie Yi Munyol, Lee Hochol, Jo Kyun Ran oder Kim Youngha. Die Dichter-Elite Koreas mit Vertretern wie Ko Un oder Shin Kyongnim zogen in Schillers
Gartenhaus in Jena ein lyrikbegeistertes Publikum in ihren Bann. Insgesamt sind derzeit 16
koreanische Autoren – zehn Romanautoren und sechs Lyriker – auf Lesetour in Deutschland.
Mit dem breit angelegten Veranstaltungsprogramm, das einer „Kulturolympiade“ gleichkommen soll,
erhofft sich die koreanische Regierung und Bevölkerung Koreas auch auf nationaler Ebene eine
Imageverbesserung sowie eine Belebung des koreanischen Buchmarktes.
Kim Uchang, Präsident der KOGAF, bedauerte in seiner Ansprache während der
Auftaktpressekonferenz sehr, dass es bisher kaum Gelegenheiten gegeben habe, Europa mit der
koreanischen Literatur vertraut zu machen. Jedoch könne man durch die gegenwärtig geplanten
Gastlandveranstaltungen im Rahmen der Frankfurter Buchmesse die 5.000jährige Geschichte der
Literatur Koreas mit Stolz präsentieren und darüber hinaus eine Brücke schlagen, die dem kulturellen
Austausch und der Verständigung zwischen Korea und Europa dienen solle.
Korea wird sich in diesem Jahr mit einem umfangreichen und facettenreichen Kulturprogramm dem
deutschen Publikum präsentieren. Neben der modernen koreanischen Literatur, die den Schwerpunkt
der Gastlandpräsentation bildet – mehr als 100 Lesungen sind in Planung – wird es zahlreiche
Konzerte, Theateraufführungen und Tanzveranstaltungen sowie ein Musical geben. Der Fokus aller
Veranstaltungen liegt dabei stark auf den zeitgenössischen Entwicklungen, die durch die Einbindung
einzelner traditioneller Kunstgattungen auf interessante Weise flankiert werden.
http//:www.faz.net
Buchmessen-Gastland Korea
Ein Garten für Frankfurt, eine Höhle für Manager
Von Tilman Spreckelsen, Seoul
So soll es werden: Koreas Gartenpläne in Frankfurt
21. Juli 2005 Das Bordprogramm der südkoreanischen Fluglinie Korean Air brachte es auf den Punkt:
Unter den gezeigten Videos war auch der amerikanische Familienfilm "The Pacifier" aus dem Hause
Disney mit dem wohltrainierten Van Diesel in der Hauptrolle. Als am Ende die nordkoreanischen
Eheleute von nebenan als heimliche Schurken feststehen, sagt die patente amerikanische Hausfrau:
"Gute Nachbarn waren das nie."
Wer die Waffenstillstandslinie besucht, die seit 1953 die beiden offiziell immer noch im Krieg
befindlichen Teile Koreas trennt, wird tatsächlich auf beiden Seiten kaum Anzeichen von guter
Nachbarschaft finden. Da sind scharfe Sicherheitskontrollen und ein Verhaltenskodex für Besucher,
der von der Kleidung bis zur Gestik alles regelt und vorsorglich schon einmal per Unterschrift
sicherstellen läßt, daß etwaige Verletzungen durch die andere Seite auf eigenes Risiko erfolgten. Da
sind martialische amerikanische Soldaten, die das Ganze überwachen und deren Camp das stolze
Motto "In front of them all" trägt, und natürlich fehlt es nicht an Geschichten über perfide
nordkoreanische Spione, heimliche Tunnelbohrungen unter der Demarkationslinie hindurch und
Versuche, die braven, aber einsamen südkoreanischen Soldaten durch mit Lautsprechern verbreitete
Sirenenstimmen zum Übertritt in den Norden zu verlocken.
Nach dem Schriftstellertreffen ins Gefängnis
So war es eine gehörige Überraschung, als Ende Juni bekanntgegeben wurde, das ursprünglich für
August 2004 geplante und damals kurzfristig von Pyongyang abgesagte pankoreanische
Schriftstellertreffen, das erste offizielle seit der faktischen Teilung des Landes 1945, solle nun doch
noch abgehalten werden. Und eine kleine Sensation war dann, daß es vorgestern mit zweihundert
Teilnehmern tatsächlich eröffnet wurde, darunter so prominente wie Ko Un, Hwang Chi Woo oder Eun
Heekyung.
Einer von ihnen, der Romancier Hwang Sok-yong, mußte die Folgen dieser gespannten
Nachbarschaft wie kaum ein zweiter südkoreanischer Autor am eigenen Leib ertragen. Als er 1972
"Die Geschichte des Herrn Han" publizierte, den Roman um einen menschenfreundlichen Arzt, der
schließlich aus dem Norden flüchtet, um im Süden in ähnlicher Weise unter die Räder zu kommen,
war das Buch wegen seiner kritischen Sicht auf die politischen Verhältnisse in beiden Teilen des
Landes ein literarisches Ereignis, das, wie der Autor rückblickend sagt, seine Drucklegung nur dem
kurzzeitig liberaleren Klima in Südkoreas Militärdiktatur verdankte. Als sich die politische Lage
neuerlich änderte, wurde Hwang, der 1989 eine Einladung des nordkoreanischen
Schriftstellerverbands angenommen hatte, 1993 wegen dieser Reise in Südkorea zu einer
siebenjährigen Haftstrafe verurteilt - er hatte gegen das Gesetz zur "nationalen Sicherheit" seines
Landes verstoßen.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, daß es zu dem auch in Deutschland von vielen
gewünschten gemeinsamen Auftritt der koreanischen Staaten auf der diesjährigen Frankfurter
Buchmesse nicht kommen wird. Yi Munyol, neben Hwang Sok-yong der bedeutendste Epiker des
Landes, findet das "traurig", und Hwang meint, die Teilnahme wäre für das hungernde Nordkorea "ein
Luxus, den sich das Land finanziell wie mental nicht leisten kann". Der Lyriker Hwang Chi-Woo, der
sich die Zusammenarbeit mit dem Norden sehr gewünscht hätte, gibt allerdings zu bedenken, daß
man selbst bei einer Zusage aus Pyongyang "nie völlig sicher" sein könne, daß es dann auch dabei
bliebe.
Hwang Chi-Woo hat gute Gründe, auf eine solide Planung des koreanischen Gastlandauftritts zu
bestehen. Er ist seit einem Jahr Generaldirektor des Komitees, das diesen Auftritt vorbereitet, und
soweit man das ein Vierteljahr im voraus sagen kann, wird das Land in Frankfurt einen glänzenden
Eindruck hinterlassen. Mit einem Budget von zehn Millionen Euro, dem zweithöchsten, seit es derlei
auf der Buchmesse gibt, finanziert Korea eine Reihe interessanter Konzerte, Ausstellungen,
Theateraufführungen, Diskussionsforen und Lesungen. Hinzu kommt seit einigen Jahren die
Förderung zahlreicher Übersetzungen koreanischer Literatur, von denen in Deutschland traditionell
vor allem der Bielefelder Pendragon-Verlag profitiert. Zum Messeschwerpunkt wurde zudem noch
einmal ein zwei Millionen Euro teures Programm aufgelegt, um hundert Bücher in sechs
Fremdsprachen zu übersetzen.
Befremdliche Stilmittel
Da allerdings fangen die Probleme an. Wer sich durch die vorliegenden Übersetzungen aus dem
Koreanischen blättert, ist immer wieder befremdet: Manche scheinen nicht ausreichend durch
Muttersprachler lektoriert oder irritieren durch Wiederholungen des gleichen Inhalts in ähnlichen
Worten. Das allerdings ist ein übliches Stilmittel koreanischer Prosa, sagt Chin Hyung Joon, der
Präsident des Instituts LTI in Seoul, das die Übersetzung koreanischer Literatur födert. Das "Weltbild
des Autors" würde durch solche Wiederholungen deutlicher, sagt Chin, und der Schriftsteller Lee
Sung-U erklärt, er benutze diese rhetorische Figur gern "zur Betonung und stufenweisen Vertiefung".
Er verlasse sich in diesem Punkt aber auf seine Übersetzer, die ihm oft rieten, für ein ausländisches
Publikum Wiederholungen zu streichen.
Das ist pragmatisch, aber nicht wirklich befriedigend, auch nicht Chins Vorschlag, die Bücher mit
Fußnoten und Abbildungen zu versehen, um Verständnishürden aus dem Weg zu räumen. Daß es
insgesamt an gutausgebildeten Übersetzern fehlt, beteuern indessen alle, die mit dem Problem zu tun
haben. Kim Jae-hyeok, der als Germanist an der Koreauniversität in Seoul eine stattliche Anzahl
deutscher Bücher in seine Muttersprache übersetzt hat, setzt noch früher an und beklagt das Fehlen
eines anständigen koreanisch-deutschen Wörterbuchs. Vielleicht wäre es falsch, dabei auf Impulse
aus der Universität zu hoffen. Kim jedenfalls vergleicht die Germanistik seines Landes mit einer
"sinkenden Sonne".
Glas und Stahl in Bookcity
Anderswo scheint sie immerzu nur aufzugehen. Der koreanische Buchmarkt strotzt vor Kraft und
glänzt, von jeder Mehrwertsteuer befreit, bei einem Umsatz von 2,2 Milliarden Euro mit jährlichen
Zuwachsraten von zehn Prozent - gut ein Fünftel aller Bücher wird online verkauft. Unter den 50.000
Neuerscheinungen des vergangenen Jahres waren im Land des Pisa-Vizemeisters Kinder- und
Lehrbücher am stärksten vertreten, und Seouls kürzlich abgehaltene Buchmesse spiegelte das auch
wider: Die Atmosphäre in den Hallen im Messezentrum Coex erinnerte stellenweise an einen
Kindergeburtstag mit Torwandschießen und Animateuren in bunten Kostümen; überall blinkten
Monitore mit Computerspielen, auch der Hanser-Verlag, einer der wenigen deutschen Verlage auf der
Messe, hatte einen guten Teil seiner Fläche für das Jugendprogramm reserviert. Nur im Pavillon, der
Hans Christian Andersens Märchenwelt gewidmet war, blieb alles ruhig.
In der Peripherie von Seoul wächst derweil die Retortenstadt Paju Bookcity heran. Wo vor drei Jahren
noch sumpfiger Boden war, stehen jetzt fünfzig nüchterne Gebäude in Glas und Stahl, hundert mehr
sollen es bis Ende nächsten Jahres werden. Hier ziehen Verlage und Druckereien ein, im weltgrößten
Bücherlager wird schon gearbeitet, und was in dieser Stadt aufgereiht die geraden Straßen säumt, soll
einmal 30.000 Arbeitsplätze der Buchbranche bergen. Einzig das Antiquariat im Obergeschoß eines
Gebäudes verweigert sich soviel Modernität und führt neben angestaubten Ratgebern und
Enzyklopädien auch Schallplatten, unter die sich, auf welchem Weg auch immer, Gheorghe Zamfirs
"Einsamer Hirte" verirrt hat.
Früchte und Geldscheine geopfert
Der schnelle Bau solcher Prestigeprojekte ist keine Seltenheit in Korea, die Klage über die allzu
rasche Modernisierung der gesamten Gesellschaft auch nicht, und so ist gerade bei älteren Autoren
das Beschwören traditioneller Werte ein gängiger Topos. Viele Texte schildern den Preis, den
einzelne für den wirtschaftlichen Aufschwung zahlen müssen, nicht immer so drastisch wie etwa
Hwang Sok-yong, dessen Erzählung "Der Nachbar" von einem armen Schlucker berichtet, der in
Seouls Nobelvororten buchstäblich sein Blut verkaufen muß, um zu überleben. Lee Sung-U schildert
in "Ich werde sehr lange leben", wie ein Prokurist aus der gewohnten Ordnung fällt und sich
schließlich in den Bergen in einer Höhle verkriecht, um endlich wieder ruhig schlafen zu können.
Hwang Sok-yong beurteilt diese Entwicklung jedenfalls voller Skepsis: "Ich weiß nicht, ob die
Modernisierung so weitergeht. Aber solange dieser Kapitalismus andauert, zerstört er unser Leben."
Manchmal allerdings stehen das stupende Tempo und die Effizienz der modernen koreanischen
Gesellschaft durchaus im Dienst der Tradition. Das prächtigste Geschenk, das die Stadt Frankfurt von
ihrem Gast erhält, ein koreanischer Garten mit Pavillons und Wasserbecken am Rand des
Grüneburgparks, soll zur Messe im Oktober fertig sein, nachdem der erste Spatenstich vor gerade
einmal einer Woche mit einer buddhistischen Zeremonie begangen wurde. Hwang Chi-Woo wechselte
vom Generaldirektor zum Lyriker, rezitierte ein eigens verfaßtes Gedicht ("Ein Garten aus Tau,
Schnee und Mondschein") und opferte auf einem Altar Früchte und Geldscheine zugunsten des
Projekts.
Dann eben mehr junge Schriftstellerinnen
Auch in anderen Bereichen, sagt Hwang, habe man sich den Wünschen Frankfurts gegenüber offen
gezeigt. Bei der Auswahl der Autoren, die Korea vertreten sollen und unter anderem von den
verschiedenen einflußreichen Literaturzeitschriften vorgeschlagen wurden, habe man die deutsche
Bitte respektiert, etwas mehr junge und weibliche Schriftsteller einzuladen. Der auffälligste Vertreter
der Jungen, der erklärte Kosmopolit Kim Young-ha, lebt in Seoul in einem achtzehnstöckigen
Hochhaus mit Blick auf das WM-Stadion und wehrt sich massiv dagegen, im Ausland mit Korea-
Klischees dekoriert zu werden. Hier trifft er sich mit dem älteren Hwang Chi-Woo, der von sich sagt, er
habe das Amt des Organisators übernommen, um eine Wiederholung dessen zu verhindern, was er
1988 bei den olympischen Spielen und 2002 bei der Fußball-Weltmeisterschaft beobachtet habe: daß
das Kulturprogramm zu den Sportereignissen rein historisch ausgerichtet war und etwa im üblichen
Fächertanz oder den klassischen Musikaufführungen schwelgte.
Die jungen Autoren jedenfalls, da sind sich die meisten einig, schreiben lieber über die gegenwärtige
südkoreanische Gesellschaft als über die Teilung des Landes. Was dieser Pragmatismus für eine
mögliche Annäherung mit dem nördlichen Nachbarn bedeutet, ist so unklar wie die Frage, ob sich
überhaupt in absehbarer Zeit eine Chance dazu auftun wird. Hwang Sok-yong, der in Berlin war, als
die Mauer fiel, zieht den Vergleich mit Deutschland und bleibt skeptisch: "Hier in Korea gab es
Massaker und Bürgerkrieg. Das macht die Sache schwieriger."
F.A.Z., 22.07.2005, Nr. 168 / Seite 38
http://www.hr-online.de
Korea Gastland der Buchmesse 2005
Autoren, Bücher und ein Garten
Werben für die eigene Kultur: Gastland KoreaKorea möchte mit seinem Auftritt in Frankfurt vor allem
eines: die "kulturelle Einbahnstraße" beenden. Mit 30 Autoren und über 200 Veranstaltungen will sich
das Gastland der diesjährigen Buchmesse vorstellen.
InformationDer koreanische Buchmessen-Auftritt ist der bislang teuerste eines Gastlandes in
Frankfurt. Die Kosten betragen fast 15 Millionen Euro.
Korea wolle nicht mit "exotischen Überraschungen glänzen", sondern einen umfassenden Überblick
über seine heutige Kulturlandschaft vermitteln, sagte Hwang Chi-Woo, Generaldirektor des
Koreanischen Organisationskomitees .
Man wolle die kulturellen Beziehungen zu Deutschland künftig aktiver gestalten als bisher, erklärte der
Präsident des koreanischen Organisationskomitees, Kim Uchang. "Unsere deutschen Freunde sind
immer wieder überrascht, wie viel deutsche Kultur in Korea bekannt ist - vor allem ihre Musik,
Philosophie, Dichtung und Ihre Erziehungstheorien", sagte Kim.
Kim bedauerte aber die Einseitigkeit dieser Beziehung und sprach von einer "kulturellen
Einbahnstraße". Es sei schade, dass weit mehr ausländische Bücher nach Korea importiert als
koreanische Bücher ins Ausland exportiert würden, erklärte er.
Park Maeng-Ho, Direktor des südkoreanischen Verlegerverbandes KPA, sagte, Korea sei mit rund
35.000 neuen Buchtiteln mittlerweile die Nummer sieben in der Welt. Nicht zuletzt hänge dies mit einer
gezielten Förderung durch den Staat zusammen, der vor zwei Jahren weltweit als erstes Land die
Mehrwertsteuer für gedruckte Bücher und E-Books abgeschafft hatte.
Informationen über koreanische Kultur
In einer 2.000 Quadratmeter großen Halle wird Korea seine Kultur präsentieren. Ein wichtiger
Programmpunkt ist die Geschichte des Buchdrucks: 1234 wurden in Korea zum ersten Mal auf der
Welt Bücher per Metalldruckverfahren hergestellt. Eine Fotowand wird die 15 wichtigen koreanischen
Autoren und ihre Werke vorstellen. Zu den koreanischen Schriftstellern, die nach Frankfurt kommen
werden, gehören auch KO Un und YI Munyol, die seit Jahren zu den Anwärtern auf den LiteraturNobelpreis gehören.
Im Zentrum der Veranstaltungen steht ein umfassendes Literaturprogramm. Die LiteraTOUR, eine
Lesereise mit 60 koreanische Autoren durch deutsche Städte, die im März bei der Leipziger
Buchmesse begann, findet in Frankfurt ihren Abschluss. Daneben sollen zahlreiche Theaterstücke,
Ausstellungen, Filmreihen und Performances einen Eindruck von der Kulturwelt Koreas vermitteln.
Höhepunkte seien die Kunstausstellung im Frankfurter Kunstverein mit dem Titel "Parallel Lifes" sowie
Konzerte in der Alten Oper Frankfurt. Im Frankfurter Grüneburgpark wird zudem ein 4.800
Quadratmeter großer "Koreanischer Garten" mit Teich und Pavillon angelegt.
Bedauern über nordkoreanische Entscheidung
Buchmessen-Chef Jürgen Boos bedauerte, dass in Deutschland kaum etwas über das Land Kreoa
bekannt sei: "Der Auftritt Koreas kommt sicher eher zu spät als zu früh." So gäbe es weder ein
Deutsch-Koreanisches Wörterbuch noch einen aktuellen deutschsprachigen Korea-Reiseführer. Dies
sei umso bedauerlicher, als im Gegenzug Korea neben China seit Jahren wichtigster Abnehmer
deutscher Übersetzungslizenzen sei.
Zudem äußerte er sein Bedauern, dass die nordkoreanische Regierung die Teilnahme an der
Präsentation "ohne inhaltliche Begründung" abgelehnt habe. Trotzdem werde das Thema Nordkorea
einen angemessenen Raum einnehmen.
Stand: 13.06.2005
http://www.faz.net
Gastland Südkorea
Wo Deutschland einen guten Klang hat
Von Anne Schneppen, Seoul, 17. Oktober 2005
Geteiltes Korea: Interesse an der deutschen Einheit
Ein Abendessen mit Informationsminister Kim Chang-ho. Südkoreas oberster Regierungssprecher
reist zum ersten Mal nach Deutschland, zur Frankfurter Buchmesse. Höfliche Fragen zur
innenpolitischen Lage, zu Reformen und Wirtschaft.
Dann wird das Gespräch persönlich, und Kim erzählt von seiner Dissertation zur deutschen
Philosophie, über Habermas und Heidegger. Als er noch Journalist war, bei der Tageszeitung „Joong
Ang Ilbo“, versuchte er, zu Habermas Kontakt aufzunehmen, schickte ihm einige Fragen per Fax nach
Frankfurt - und wunderte sich, daß er eine Antwort bekam.
In der Stimme schwingt fast ein wenig Ehrfurcht mit, wenn der Minister, dessen oberste Aufgabe es
heute ist, die richtigen Antworten zu geben, davon erzählt, daß er damals die richtigen Fragen gestellt
hat. Das jedenfalls habe ihm Habermas bei einem späteren Treffen in Korea zu verstehen gegeben.
Mehr als 20 Übersetzungen des „Faust“
Nach innigem Verständnis für deutsche Denker und Dichter muß man bei südkoreanischen
Regierungsbeamten nicht lange suchen. Seouls Bildungsbürger schätzen Deutschland nach wie vor.
In Tokio sitzt ein südkoreanischer Botschafter, der aus dem Stegreif Vorträge über Hegel halten kann.
Im Außen- oder im Kulturministerium gibt es noch eine starke „deutsche Schule“. Zwar ist die Zahl der
Studenten rückläufig, doch wird noch an 70 südkoreanischen Universitäten Germanistik gelehrt.
Vor allem Ältere geraten über Goethe ins Schwärmen, die „Italienische Reise“ in koreanischer
Sprache war 1997 ein Bestseller, der „Faust“ ist in mehr als 20 Übersetzungen erhältlich. Auch
modernere Literatur, wie Grass, Böll, Hesse und Rinser, wird gelesen. Kein anderes Land in Asien
erwirbt so viele Übersetzungslizenzen für deutsche Literatur.
Noch lebendiger ist die Liebe zur klassischen Musik. Unter den Koreanern, die in Deutschland
studieren möchten, ist die Gruppe der Musiker die stärkste. Das war der Anreiz für das
Gemeinschaftsprojekt der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar und der Kangnam-Universität,
in diesem Jahr den ersten deutschen Musikstudiengang in Korea anzubieten.
Deutsch war mal zweite Fremdsprache
Deutsche Spuren durchziehen ihren Alltag, ohne daß es den meisten Koreanern bewußt ist. „Lotte“
heißen Kaufhäuser, Schokolade und sozialistisch anmutende Apartmentblocks. Dahinter steckt die
große Liebe eines koreanischen Geschäftsmannes und Goethe-Verehrers. Mit „hof“ enden die Namen
zahlreicher Kneipen, man findet in Seoul „Konditoreien“ und eine Nachhilfeschule „Eins“.
Unter dem Etikett „Rosenheim“ werden in Japan Würste verkauft, in Korea ist es Käse. Der japanische
Bergsteiger kennt den „Rucksack“, der koreanische den „Schlafsack“, und beide wissen, was „Arbeit“
ist. Seouler Hotels feiern Oktoberfest, das „Heideröslein“ gehört zum Nostalgiker-Repertoire. Die
Jugend aber orientiert sich eher an „Rammstein“, deren CDs in Korea hergestellt werden, mit
koreanischem Cover und übersetzten Texten.
Deutsch war einmal die zweite Fremdsprache koreanischer Oberschüler. Noch 1980 entschied sich
gut die Hälfte - nach dem Pflichtfach Englisch - für Deutsch, ein Viertel für Japanisch, knapp ein
Fünftel für Französisch. Ähnlich wie andere asiatische Länder besinnt sich auch Südkorea inzwischen
auf die Bedeutung der eigenen Region. Das steigende Interesse an den Sprachen der großen
Nachbarn China und Japan drängt den Deutschunterricht an Schulen und Universitäten zurück. Heute
lernt gut eine halbe Million koreanischer Schüler Japanisch; es folgen Chinesisch, Deutsch und
Französisch. Englisch steht außer Konkurrenz.
Nahezu ausgeglichene Handelsströme
Deutschland ist in Südkorea weit präsenter als Südkorea in Deutschland - es ist eine ziemlich
einseitige Liebe, und das, obwohl doch mehr als 30.000 Koreaner in Deutschland leben, gegenüber
nur rund tausend Deutschen in Südkorea. Beim Studentenaustausch ist das Mißverhältnis noch
deutlicher: 5.300 koreanische Studenten sind an deutschen Universitäten eingeschrieben, aber nur 80
deutsche an koreanischen.
Der erste koreanische Jura-Absolvent in Deutschland, Ahn Ho-song, der 1927 in Jena sein Examen
ablegte, wurde nach dem Korea-Krieg Erziehungsminister. Krankenschwestern und Bergarbeiter
kamen seit den sechziger Jahren zu Tausenden zum Arbeiten nach Deutschland, nicht wenige
politische Dissidenten suchten in der Zeit der Militärregime dort Zuflucht.
Ihre Kinder sind im Geiste längst Deutsche. Obwohl man bei der großen Menge koreanischer
Elektronik in Deutschland den Eindruck gewinnen könnte, Korea exportiere mehr nach Deutschland
als umgekehrt, waren die Handelsströme im Jahr 2004 nahezu ausgeglichen und betrugen 16,8
Milliarden Dollar. Deutschland ist der viertgrößte Handelspartner, die Europäische Union der größte
Investor in Korea.
Deutschlands Westen war Synonym für Freiheit
Ein Handelsreisender war der erste Deutsche, der nachweislich Fuß auf koreanischen Boden gesetzt
hatte. Der Missionar Karl Friedrich August Gützlaff kam im Juli 1832 an Bord einer englischen
Fregatte. Der Jurist und Sinologe Paul-Georg von Möllendorff wurde 1882 zum ersten westlichen
Berater des koreanischen Königshofes ernannt. Das Rechtssystem und die Medizin erfuhren deutsche
Einflüsse, nicht zuletzt über den Umweg Japan.
Waren bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts mehr Deutsche in Korea tätig, so drehte sich das
Verhältnis mit der Nachkriegszeit. Das deutsche Wirtschaftswunder lockte nicht nur viele Menschen,
sondern gab koreanischen Führern - aus der Distanz reichlich verklärt - Ziele für den eigenen
Aufschwung. Für General Park Chung-hee, der 1961 durch einen Militärputsch an die Macht kam,
diente die Bundesrepublik als Wirtschaftsmodell.
Zwei Jahre vor seinem offiziellen Deutschlandbesuch widmete er dem Land ein Buchkapitel: „Das
Wunder am Rhein und das deutsche Volk.“ Aus jener Zeit rührt wohl die bei der älteren Generation
noch immer gefestigte Vorstellung deutscher Tugenden: Ordnungsliebe, Fleiß, Effizienz und Disziplin.
Für viele Südkoreaner war Deutschlands Westen zu dieser Zeit aber auch ein Synonym für Freiheit.
Zahlreiche Intellektuelle gingen dorthin ins Exil.
Deutsche Vereinigung wird kritisch beäugt
Der Komponist Isang Yun wurde nach seiner Entführung durch den südkoreanischen Geheimdienst
deutscher Staatsbürger. Trotz aller geographischen Distanz empfindet man in Korea bis heute wegen
des gemeinsamen Schicksals der Teilung Nähe und Sympathie. Die Existenz zweier deutscher und
zweier koreanischer Staaten bestimmte auch das Verhältnis zueinander, wobei Ost-Berlin und
Pjöngjang schneller zueinander fanden als Seoul und Bonn.
Heute ist es der Kraftakt der deutschen Vereinigung, der in Südkorea mit gemischten Gefühlen
verfolgt wird. Es gibt kaum ein Gespräch, in dem ein Deutscher in Seoul nicht darauf angesprochen
wird: Es beginnt mit einer höflichen Frage, aus welchem Teil Deutschlands man komme und wie man
die Fortschritte beurteile. Doch die Nachfragen verraten, daß sich hinter den Glückwünschen nicht nur
Bewunderung verbirgt, sondern große Skepsis.
Es interessieren eher die Schwierigkeiten
Sicher hat Südkorea aus der deutschen Einheit vor allem die Lehre gezogen, daß diese im eigenen
Land so schnell nicht kommen soll. Rasch werden die Fakten verglichen und von ihnen abgeleitet,
daß Deutschland nur begrenzt ein Modell sein kann: Das Bevölkerungsverhältnis lag in Deutschland
bei etwa vier zu eins, in Korea liegt es bei zwei zu eins.
Und während die Wirtschaft der ehemaligen DDR innerhalb des Warschauer Paktes noch eine der
solidesten war, ist Nordkoreas durch und durch marode und kann nicht einmal die eigene Bevölkerung
ernähren. Auch hat Südkorea nicht jene ökonomische Leistungskraft der Bundesrepublik im Jahr
1989. Das lähmt den Enthusiasmus, auch wenn die Wiedervereinigung nach wie vor das theoretische
Fernziel ist. Die Regierung von Roh Moo-hyun setzt auf die Maxime „Frieden und Wohlstand“ sowie
einen längerfristigen Prozeß der Entspannung und Öffnung.
Das Jubiläum der deutschen Einheit war für koreanische Fernsehsender Anlaß für eine Fülle von
Dokumentationen und Reportagen. Dabei wurden weniger die Leistungen als die Schwierigkeiten des
Zusammenwachsens aufgezeigt: Arbeitslosigkeit, Armut, Ostalgie und die Wahlerfolge der PDS vor
dem Hintergrund einer nationalen Wirtschaftsmisere. Der in Südkorea über solche Berichte
nachsinnende Zuschauer dürfte sich davon kaum ermutigt fühlen.
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=8627
Oktober 2005
Korea, Gastland in Frankfurt bei der Buchmesse
Von Kai Köhler
I
Jährlich stellt sich auf der Frankfurter Buchmesse ein Gastland oder, wie zuletzt mit der arabischen
Welt, eine Gastregion vor. Das bietet Büchern, Autoren, Verlagen eine Chance, die schwer zu nutzen
ist: die Chance, endlich einmal Aufmerksamkeit zu gewinnen, nebst der Gewissheit, dass auf dem nun
auch schnelllebig gewordenen Buchmarkt bald schon ein anderes Thema seine Aufmerksamkeit auf
sich ziehen wird.
Nun geht es in der Literatur durchaus um Stoffe und Themen, vor allem aber um gute Bücher; und so
hat die Gastlandroutine sicher schon für viele Werke aus fernen Gegenden die verdiente
Aufmerksamkeit hervorgerufen, die ihnen sonst nicht zuteil geworden wäre. Der Anspruch aber geht
meist darüber hinaus. Er zielt nicht nur darauf, dass unter vierzig oder fünfzig Autoren günstigenfalls
vier oder fünf ein treues deutsches Lesepublikum finden, was mittelfristig doch potenzielle
Aufmerksamkeit für deren Landsleute bedeutet; er zielt darauf, eine Nationalliteratur vorzustellen, ein
Land oder gar, was am schwierigsten zu umgrenzen ist, eine Kultur.
Dies Unterfangen verlangt Mittel. Wo Mittel sind, sind auch Interessenten. Und wo Interessenten sind,
findet sich Strategie - die nicht verwerflich ist. Die Rede ist hier nicht von plumper politischer
Beeinflussung, von Versuchen, das Eigene in Deutschland als vorbildlich darzustellen und Kritiker im
Ausland zu marginalisieren. Südkoreanische Autoren, die sich mutig gegen die Militärdiktaturen
zwischen 1960 und den frühen 90er Jahren wandten, sind heute in ihrer Heimat anerkannt und in
Frankfurt prominent vertreten. Jüngere, die mit scharfem Blick auf die Zerstörungen, die eine rapide
Modernisierung angerichtet hat, ihre Heimat beschreiben, sind ebenfalls da. Kritiklose Lobredner ihres
Landes dagegen wird man in diesem Jahr auf der Messe lange suchen müssen.
Die Rede ist dagegen von der notwendigen Ambivalenz, die eigene Literatur den Deutschen einerseits
als fremd und landesspezifisch darzustellen - sonst hätte ein Länderschwerpunkt keinen Sinn.
Andererseits muss das Übernationale, deutschen Lesern Kompatible vermittelt werden, denn als
komplett Fremdes lohnte die Literatur keine Beschäftigung. Goethes Worte von den Eigenheiten einer
Nation als "Münzsorten" und vom Übersetzer als "Vermittler" eines "allgemein geistigen Handelns",
der "den Wechseltausch zu befördern sich zum Geschäft macht", bezeichnen gerade in ihrer
ökonomischen Metaphorik die Position, die eine nationale Literatur im Gesamt der Weltliteratur
darstellt. In einer globalisierten Welt, die gegenwärtig mehr Kulturwerte vernichtet als hervorbringt,
bestätigt sich das Sprachbild auf weniger optimistische Weise als der es meinte, der es fand, zumal
die erfolgreichere Handelsware auf absehbare Zeit die gekonnt auf weltweite Vermarktung kalkulierte
angelsächsische Unterhaltungsliteratur sein dürfte.
Man kann das Problem soziologisch und machtanalytisch als Kampf um Anerkennung sehen. In
überkommener Sicht sind Europa und Nordamerika das kulturelle Zentrum, um das die Peripherie mit
bedeutendem Mitteleinsatz wirbt. Seit einer Generation zwar ist Ostasien wirtschaftlich erfolgreich und
nähert sich dem Westen an, doch orientieren sich Aufsteiger seit je an etablierter Kultur, mag sie auch
ökonomisch niedergehen. Die Millionen von Euro, die Südkorea für seinen Gastlandauftritt aufwendet,
sind so betrachtet ein zweifelhaftes Kompliment. Allerdings sind Empfänger von Komplimenten selten
wählerisch. Die Interpretation des alten Zentrums also dürfte sein: Seht, sie werben um unsere
Aufmerksamkeit, sie wollen endlich was sein. Anstelle eines Kulturaustauschs tritt hier der
abschätzende Blick, ob es denn auch dahinten wohl jemanden gibt, der passabel schreibt. Das
umgekehrte Interesse ist: Wenn sie uns anerkennen, ist auch unsere Kultur legitimiert und sind die
Erniedrigungen, die wir seit einem guten Jahrhundert ertragen mussten, vorbei. Die koreanische
Hoffnung auf einen Literaturnobelpreis bezeichnet diese Haltung, der man kaum beikommen kann mit
dem Hinweis auf die literaturhistorische Bedeutungslosigkeit dessen, was ein paar Leute in Schweden
dekretieren.
Man kann das Problem aber auch mit den Augen eines neugierigen Lesers sehen, der wissen will, ob
es denn neben dem einzelnen lesenswerten Buch wirklich etwas Koreaspezifisches gibt, das seine
Aufmerksamkeit lohnt. Tatsächlich gibt es das. Und die Paradoxie liegt darin, dass dieses Besondere
nur das Allgemeine sein kann, das auch ihn betrifft.
II
Es gibt dieses Besondere, und es ist die Verdichtung des Allgemeinen.
Koreanische Literatur ist in Inhalt und Schreibweise eng an die koreanische Geschichte des 20.
Jahrhunderts gebunden. Und diese ist, aus europäischer Sicht vertraut, über weite Strecken durch
Armut und Gewalt geprägt. Die Geschichte griff ins Leben aller Schriftsteller ein, häufig durch
politischen Protest und politische Verfolgung. Das gleiche gilt für das Publikum, das sich im Verlauf
von Modernisierung und Alphabetisierung zu großen Teilen erst als Lesepublikum konstituierte.
Die politische Geschichte Koreas im 20. Jahrhundert war lange Zeit von Niederlagen und Krieg
gezeichnet. Seit Jahrhunderten hatte die herrschende Jeoson-Dynastie das Land von äußeren
Einflüssen weitgehend abgeschottet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts von den imperialistischen
Großmächten Russland und Japan eingekeilt, wurden Reformen zu spät eingeleitet. In mehreren
Schritten wurde Korea japanische Kolonie, schließlich 1910 annektiert.
Die Kolonialzeit brachte einen beschränkten technischen Fortschritt, da das rohstoffarme Land aus
japanischer Sicht als Brückenkopf für eine weitere Expansion aufs asiatische Festland geeignet war
und eine zu diesem Zweck brauchbare Infrastruktur erhielt. Trotz Widerstands gegen die
Kolonialherrschaft verschlechterte sich dagegen die Lage für den Großteil der Bevölkerung immer
mehr. In Ostasien ist der Beginn dessen, was zum Zweiten Weltkrieg werden sollte, auf das Jahr 1937
mit dem japanischen Angriff auf China anzusetzen. In den acht Jahren danach bis zur japanischen
Kapitulation brutalisierte sich die Besatzungspolitik, die nun von einem eigentümlichen Ineinander von
Assimilationszwang und Rassenpolitik gekennzeichnet war.
Was 1945 darum als nationale Befreiung erlebt wurde, war allerdings Beginn der koreanischen
Teilung. Während im Nordteil unter dem Schutz der UdSSR ein stalinistisches Regime etabliert wurde,
das sich bis heute als bemerkenswert reformresistent erwiesen hat, setzte sich im Süden eine
autoritäre Herrschaft durch, unter der jede Forderung nach sozialer Reform oder nationaler Einigung
als kommunistisch verfolgt wurde.
Mit dem Koreakrieg 1950 bis 1953 war eine neue Stufe der Eskalation erreicht. Der Krieg, der keiner
Seite territoriale Gewinne eingebrachte, forderte etwa 4,5 Millionen Opfer. Die wechselnden
Frontlinien und die Gefahr, im Bürgerkrieg als Anhänger des jeweiligen Gegners klassifiziert zu
werden, ließ ein Mehrfaches an Menschen zu Flüchtlingen werden, von denen viele durch die nun
unüberwindbare Waffenstillstandslinie von ihren Familien getrennt wurden.
Nach der kaum unterbrochenen sechzehnjährigen Kriegszeit war nicht nur die Gesellschaft bis in ihre
Mikrostrukturen von Gewalt geprägt; auch die politische Gewalt nahm kaum ab. Über die autoritäre
Regierung Rhee Syngmans und die Diktaturen der Generale Park Chung-Hee ab 1961 und Chun
Doo-Hwan ab 1980 zieht sich bis in die frühen 90er Jahre eine Reihe brutaler Regimes, denen die
Erfahrung von teils erfolgreichem Widerstand entgegengesetzt ist: vor allem die Revolution vom April
1960, in der ein Bündnis von Studierenden und liberalem Bürgertum für kurze Zeit eine
Demokratisierung erreichen konnte, wie auch die Demonstranten, die für kurze Zeit 1980 die Stadt
Kwangju kontrollieren konnten, bevor dann aber viele von ihnen einem Massaker des Militärs zum
Opfer fielen.
Freilich war schon in den 80er Jahren die erfolgreich industrialisierte, komplexer gewordene
Gesellschaft nur mehr mit Mühe qua Befehl zu führen. Studierende und Gewerkschafter konnten
durch jahrelange Kämpfe die Herrschaft abmildern und schließlich einen Übergang zu einer
Zivilregierung befördern. Mit Kim Young-Sam wurde 1992 zum ersten Mal ein Zivilist zum Präsidenten
gewählt, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen gab es mit dem Sieg Kim Dae-Jungs den ersten
friedlichen Machtwechsel in der südkoreanischen Geschichte.
Die Erscheinungen von Krieg und Verfolgung, von Vertreibung und Flucht sind deutschen Lesern
bekannt. Widerständige Autoren haben die Ereignisse begleitet; viele von ihnen saßen in japanischen
und südkoreanischen Gefängnissen, manche sind im Koreakrieg verschollen, vielleicht im Norden
getötet. Die Frage, wie man sich angesichts der Gewalt verhält, ist vielfach verhandelt, bis hin zu den
verstörenden Erzählungen eines Lim Chul-Woo über die Folter, etwa in "Das rote Zimmer" (1988); im
Fremden bekannter Stoff für deutsche Leser, die nach wie vor großes Interesse für die NS-Herrschaft
als der Katastrophe europäischer Geschichte beweisen.
Eine vergleichbar düstere Geschichte weist indessen manch anderes Land auf, spezifisch koreanisch
ist sie nicht. Ein Aspekt der koreanischen Geschichte, der für Deutsche besonders nahe scheint, ist es
zudem tatsächlich nicht: die Teilung des Landes. Die Grenze zwischen Nord und Süd ist viel schwerer
zu überwinden als es die zwischen Ost und West jemals war. Und mangels Kontakt gibt es in der
koreanischen Literatur darüber wenig Beschreibungen. Man geht vielfach in den Koreakrieg zurück,
der die Teilung zementiert hat. Vergleichbares gibt es in deutscher Geschichte nicht. Es gibt
pathetische Forderungen nach einer Wiedervereinigung, etwa in der Lyrik Ko Uns. Nur wenigen
deutschen Schriftstellern war vor 1989 eine deutsche Vereinigung überhaupt ein Anliegen, und mit
guten historischen Gründen vermieden auch diese wenigen einen so lautstarken Nationalismus, wie er
für Ko als Bürger eines früher kolonialisierten Landes offensichtlich kein Problem ist und mit dem
verglichen selbst ein Martin Walser wie ein Kosmopolit wirkt.
Wenn koreanische Autoren über die Teilung schreiben, wenden sie sich der Vergangenheit oder aber
der Zukunft zu, weil die Gegenwart wenig hergibt, worüber sie überhaupt schreiben könnten. Lee
Hochol muss in seiner frühen Erzählung "Panmunjom" (1961), in der in diesem Herbst bei dtv
erschienenen Prosasammlung enthalten, zu einer sehr unwahrscheinlichen Konstruktion greifen, nur
damit er einen Vertreter des Südens und eine Vertreterin des Nordens miteinander sprechen lassen
kann. Viel überzeugender ist "Im Sumpf steckengeblieben" (1984) von Pak Wanso, in der im
Pendragon Verlag erschienenen Erzählungssammlung "Am Ende der Zeit". Hier soll ein
Kinderbuchautor für das Fernsehen eine Sendung entwerfen, in deren Handlung Kinder aus Nord und
Süd die Demarkationslinie überwinden und zusammenkommen. Das Vorhaben scheitert; ein Blick auf
die Grenzbefestigungen überzeugt ihn, dass die Grundidee platte Illusion ist. Pak schreibt über die
Radikalität der Teilung, indem sie sich der Schilderung eines Treffens verweigert. Damit hat sie Recht,
doch ist ihr Modell nicht beliebig wiederholbar, sondern wendet sich gegen eine weitere künstlerische
Behandlung einer Frage, die politisch zu beantworten ist. Eine solche Antwort gab es in Deutschland mit übrigens in Korea aufmerksam beachteten Folgen, zu deren Diskussion die koreanische Not nichts
beitragen kann.
III
Das Eigene im Fremden läge also allgemeiner im Zusammenhang von Krieg, Gewalt und Diktatur doch wozu so weit schweifen? Weil es in anderer Hinsicht verdichtet ist. In Zukunft wird man die
Geschichte des 20. Jahrhunderts vielleicht nicht mehr als die blutiger Totalitarismen (was immer das
sein mag) erzählen, sondern als Geschichte von Verstädterung und Industrialisierung. In dieser
Hinsicht ist Korea keine mildere Spiegelung eigener Erfahrungen, sondern deren Zuspitzung. Der Weg
vom Bauernland um 1900 zur extremen Verstädterung hundert Jahre später wurde mit einzigartiger
Konsequenz beschritten. Der Anteil der Landwirtschaft am Sozialprodukt ist heute zu vernachlässigen;
und in der Agglomeration Seoul wohnen heute gut 21 Millionen Personen, in anderen Millionenstädten
oder ihrem Umkreis mehr als 12 Millionen - das heißt, dass etwa zwei Drittel der Bevölkerung in oder
am Rand von Millionenstädten leben.
Damit einher geht die Ausbreitung städtischer Lebensformen; nach einem starken
Bevölkerungsanstieg in den 50er und 60er Jahren, wie er auch für die europäische Industrialisierung
charakteristisch war, liegt die Geburtenrate nun schon unter dem Schnitt der Industriestaaten. Das
Modell der Kleinfamilie setzte sich bereits durch; und heute wird immer später geheiratet und zersetzt
sich die rigide konfuzianistische und seit einigen Jahrzehnten auch christliche Sexualmoral, die
freilich, glaubt man der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, immer schon eher Ideologie und
Repressionsmittel als Lebensrealität war.
Lebensweltlich bedeutete die ökonomische Entwicklung, mit einiger Verzögerung, einen wachsenden
Lebensstandard der Bevölkerungsmehrheit. Immer größere Teile der Bevölkerung kamen deshalb in
den Genuss der traditionell hoch bewerteten Bildung.
Gemessen an den westlichen Industrieländern zeichnet die koreanische Geschichte ein enormes
Tempo aus. In ein knappes Jahrhundert drängen sich Veränderungen, die in Europa mehr als das
Doppelte an Zeit brauchten. Notwendige Folge sind Ungleichzeitigkeiten; von ihnen zu reden,
bedeutet nicht, eurozentrisch das westliche Modell als Normalfall und die koreanische Entwicklung als
Abweichung zu setzen. Vielmehr verweist es darauf, dass die Betroffenen und Gestaltenden stets mit
ihrem Erlernten Situationen zu bewältigen versuchen, die indessen neue Antworten erfordern.
Ökonomisch und technisch ist das vorbildlich gelungen. Psychisch stellt es dennoch besondere
Anforderungen, bedeutet es häufig Überforderung. Spuren davon zeigen sich in der koreanischen
Literatur allenthalben - auf der Ebene der beschriebenen Personen etwa, deren Verhalten als
unzureichend durchschaubar wird. Interessanter noch ist es vielleicht, wenn der Konflikt sich auf die
Ebene des Werks verlagert und eine angestrebte Lösung nicht mehr gelingt. Das Scheitern ist dann
kein Mangel, sondern freiwillige oder unfreiwillige Gestaltung eines gesellschaftlichen Widerspruchs.
Die klügeren Autoren demontieren tradierte harmonisierende Wertsetzungen bewusst; die anderen
vermitteln wider Willen den Eindruck einer Spaltung, wie sie in einer Zeit rascher Entwicklung
unvermeidlich ist.
Deshalb sperrt sich koreanische Literatur jedem Exotismus. Verglichen mit Lateinamerikas
"magischem Realismus" ist das möglicherweise ein Nachteil auf einem westlichen Literaturmarkt, wo
ein bestimmter Teil des Publikums harmlos-geheimnisvoll Fremdes, das wie vormodern wirkt, als
Kraftquell für die alltäglichen Kämpfe in der eigenen Moderne goutiert.
In das Spannungsfeld von Harmonisierung und Zweiheit gehört es, wie koreanische Autoren
traditionelle Erzählmodelle und Stoffe aufgreifen und so moderne Probleme zu gestalten versuchen.
Anders als in Deutschland, wo beim Lesepublikum eingehende Kenntnis von Goethes "Faust" oder
dem Nibelungenlied nicht mehr ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann, sind einige klassische
Erzählungen noch Allgemeingut. So etwa die Geschichte von Sim-Tscheong, die als Beispiel
weiblicher Tugend sich für ihren blinden Vater aufopfert, dafür vom mythischen Meereskönig reich
belohnt wird und als Königsgattin ins Leben zurückkehren darf. Das Spektrum der Aktualisierungen ist
breit: So bricht Yi Chong-Jun in "Sim Ch'ong hat gute Beziehungen" (1997) das moralische Märchen
mannigfach durch Ironie, um so doch auch modernen Menschen die Lehre genießbar zu machen und
den Inhalt gegen eine Moderne zu retten, in der traditionelle Werte verfallen. Das Gegenmodell hat
der Dramatiker Oh Tae-Suk in "Warum das Mädchen Sim-Tscheong zweimal ins Wasser ging" (1994)
geschaffen. Bei ihm ist die eindimensionale Pädagogik durch beißenden Sarkasmus zersetzt. Der
Meereskönig begibt sich neugierig an Land, durchstreift die Welt des 20. Jahrhunderts und endet als
fröhlicher Zuhälter, während Sim-Tscheong, die ihm in gutem Glauben zuarbeitet, damit den
Menschen doch nur Unglück bringt. Dabei ist die Sprache Oh Tae-Suks genau nach alten Mustern
rhythmisiert, er nutzt überlieferte Theatermittel, um zum einen der Überlieferung mit ihrer falschen
Moral zu widersprechen, zum anderen auch die hoffnungslos geldfixierte moderne Welt vorzuführen.
Die scharfe Konfrontation von Alt und Neu, mag sie wohlkalkuliert gelingen wie bei Oh oder sich auch
im unfreiwilligen Neben- und Gegeneinander zeigen, bedeutet wie jede Konfrontation Erkenntnis.
Dass koreanische Literatur eine Literatur des Ungleichzeitigen ist, markiert daher keine Schwäche,
sondern eine Stärke. Im Idealfall erlaubt sie es dem westlichen Leser, die Brüche in der eigenen
Geschichte konzentriert wiederzufinden.
Es handelt sich um Konflikte, die sich nicht allein auf der Ebene von Figuren und Werk, von
künstlerischem Erfolg und Scheitern abspielen. Sie finden sich auch auf der Ebene des gesamten
Literatursystems. Da ist zum einen das Problem, dass viele ältere Literatur aus Gründen der Sprache
oder der verwendeten Zeichen unzugänglich wird. Sprache: Während der Kolonialzeit verfassten
einige koreanische Autoren auch Texte auf Japanisch. Gehören diese Werke der koreanischen
Literatur an? Schrift: Lange Zeit schrieben koreanische Autoren mit chinesischen Zeichen oder
mischten sie doch gebräuchliche chinesische Zeichen in die koreanische Hangeul-Schrift. Jüngere
Leser kennen diese Zeichen zum großen Teil nicht mehr. Auch hat sich die koreanische Sprache im
20. Jahrhundert relativ schnell gewandelt. So ist das Verständnis eines Werks von 1930 deshalb für
heutige Leser erheblich schwieriger als für deutsche Leser die Lektüre von Thomas Mann oder Bertolt
Brecht.
Zum anderen kommt zum Sprach- und Schriftwandel die radikale lebensweltliche Änderung; für
Seouler Stadtkinder von heute sind Romane über das koreanische Dorf der 50er Jahre wohl kaum
weniger exotisch als für deutsche Leser. Aber auch aus anderen Gründen hat man es mit einer nach
Generationen stark gespaltenen Leserschaft zu tun - sofern die Jüngeren überhaupt noch Bücher
lesen und sich nicht gleich elektronischen Medien zuwenden.
IV
Bis vor einem guten Jahrzehnt war Literatur auch Ersatzopposition in einer Medienwelt, die zwar nicht
völlig gleichgeschaltet war, doch kritischen Stimmen nur wenig Raum ließ. Autoren begriffen sich als
Repräsentanten der Wahrheit und wurden als solche begriffen. Anders als in der DDR, wo Literatur
eine ähnliche Rolle spielte, gab es keine offizielle Literaturdoktrin des Realismus, von der man sich
deshalb mit neuen Schreibweisen oppositionell abwenden konnte. Im Gegenteil bediente sich die
Oppositionsliteratur, die in Südkorea mit der heute als repräsentativ angesehenen Literatur jener
Jahre weitgehend gleichzusetzen ist, zumeist traditionell realistischer Erzählweisen.
Mit der Demokratisierung verlor diese Funktion von Literatur an Bedeutung. Wenn heute Autoren noch
umfassende Wahrheit über die Gesellschaft vermitteln wollen, so greifen sie, täuscht nicht die
Auswahl des ins Deutsche Übersetzte, auffallend häufig in die Vergangenheit und/oder auf das Land
als Handlungsraum zurück, vermeiden also die Stadt als den wesentlichen Ort des modernen
Südkorea.
Gleichzeitig öffnete sich ein Raum für eine weniger didaktisch orientierte Literatur und auch für
Konzepte von Autorschaft, die nicht für Belehrung, sondern für Offenheit stehen. Doch bedeutet hier
ästhetischer Freiraum den Verlust von Wirkungsmöglichkeiten, auch da, wo erfolgreiche Autorinnen
wie Sin Kyongsuk (geb. 1963, auf Deutsch: "Das Zimmer im Abseits", 1995) oder Eun Heekyung (geb.
1959, auf Deutsch: "Das Geschenk des Vogels", 1995) gesellschaftliche Probleme durchaus in ihre
Werke einbeziehen.
Eine Parallele zu Deutschland also, wo trotz jüngster Forderungen nach einem "relevanten
Realismus" die Schriftsteller, die für politische Einmischung stehen, jenseits der Sechzig sind. Allein
die Parallele spricht freilich nicht für die Beschäftigung mit koreanischer Literatur; man könnte ja die
deutsche lesen und hätte schon nämliches Resultat. Wieder ist es die Verdichtung, die kein
Nacheinander der Generationen zulässt, sei es auch mit Vorläufern oder Nachzüglern, sondern das
Gegeneinander in einem Werk, das der historischen Verschränkung der Zeiten und Funktionen
entspricht.
Lehrreich kann das insofern sein, als Verdichtung, Beschleunigung auf absehbare Zeit auch im
Westen geschichtliches Schicksal sein wird, Korea im 20. Jahrhundert also die allgemeinere
Erfahrung des 21. vorweggenommen hat. Ermutigend ist die Bilanz nicht. Die Werke berichten von
Leid, Zerstörung, vom Scheitern und von Traumatisierung. Sogar im nicht seltenen Fall einer breiten
epischen Anlage steht in ihrem Vordergrund der allzu schnelle Verlust einer Welt. Manche Autoren
bedauern den Verlust, manche begrüßen ihn, manche suchen verzweifelt, ihn zu leugnen und
verfallen ihm umso mehr. In jedem Fall sind es Verhaltensweisen, von denen, positiv oder negativ, zu
lernen ist, denn auf absehbares Zeit wird nun im Westen Liebgewonnenes, Wertvolles zerstört, ohne
dass ein Besseres aufscheint. Es gilt, Haltungen zu dieser Lage zu studieren.
Anmerkung der Redaktion: Kai Köhler ist Autor des eben im Verlag LiteraturWissenschaft.de
erschienenen Buches "Aufbruch aus der Morgenstille. Koreanische Literatur in deutscher
Übersetzung", aus dem Etliches in diesen Essay eingegangen ist.
Kai Köhler: Aufbruch aus der Morgenstille. Koreanische Literatur in deutscher Übersetzung.
Verlag LiteraturWissenschaft.de (TransMIT), Marburg 2005.
276 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 393613412X
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=8603
literaturkritik.de Nr. 10, Oktober 2005
Literarische Landeskunde: Erzählungen aus Südkorea
Von Kai Köhler
Eine junge Frau kehrt von ihrem Studium in Deutschland in die koreanische Heimat zurück. In der
Fremde hat sie Selbstvertrauen gewonnen und lässt sich nun nicht mehr von Männern sexuell
ausbeuten; schlimm genug für drei ihrer Bekannten, die erkennen müssen, dass mit ihr nicht länger
nach Belieben umzuspringen ist. Kurz darauf wird sie ermordet; und der Protagonist in Kim Young-has
"Klingende Weihnachtsgrüße" (2004) sieht sich unter Verdacht. Hier setzen die eigentlichen Konflikte
ein: das Misstrauen unter den drei Männern, ob einer von ihnen der Täter ist, und der Argwohn der
Ehefrau, die immer schon ahnte, dass auch ihr Mann das Bett des Opfers geteilt hat. Mit Meisterhaft
verdichtet Kim das Lastende, deutet mit kleinen Gesten an, wie vergiftet Freundschaft und Ehe sind
und auf welch schäbige Triumphe die Beteiligten hoffen. So neigt die Ehefrau zu einer funktionalen
Sicht der Dinge: Sollte ihr Mann der Täter sein, wäre eine Scheidung kein Problem, und sie selbst
würde sicher von Frauenmagazinen interviewt. Allein dass sie ihren Mann für zu pedantisch für einen
Mord hält, lässt sie doch lieber auf einen tödlichen Unfall und die Lebensversicherung hoffen.
Was der 1968 geborene Kim hier beschreibt, ist für die koreanische Literatur nicht neu. Doch er
beschreibt es so, dass der Leser es sich selbst erschließt und kein allzu geschwätziger Erzähler es
ihm einbläut. Dagegen ist der 1941 geborene Kim Wonil, von dem im Pendragon Verlag auf Deutsch
bereits der lesenswerte Roman "Wind und Wasser" vorliegt, in der Sammlung von Sylvia Bräsel und
Lie Kwang-sook mit der schwächeren Erzählung "Unvergessen" (1982) vertreten. Auch hier geht es
um beengtes, konfliktreiches Wohnen, doch ist allzu viel erklärt statt skizziert - und am Ende gar
Versöhnung angedeutet.
Kang Sok Kyong (geb. 1951) schreibt in "Hinter Glas" (1984) kaum avancierter: Während der Mann im
Beruf aufgeht, verkümmert seine Frau im modernen Apartment, das seinen Erfolg beglaubigt. Die
jüngste Autorin der Sammlung, die 1970 geborene Han Kang, bearbeitet in "Die Früchte meiner Frau"
(1997) ein ähnliches Motiv, das sie allerdings ins Fantastische verschiebt: blaue Flecken auf dem
Körper der Frau breiten sich immer mehr aus, allmählich verholzt sie, und ihrem Mann bleibt nichts
übrig, als sie einzupflanzen und zu gießen. Paradox genug, führt gerade ihr Sprachverlust wieder zu
Verständigung, wendet sich der Mann erst der Pflanze zu, die im Herbst dann verdorrt, um doch
einige bitter schmeckende Früchte zu hinterlassen, die vielleicht zu neuem Leben führen.
Es mag bei der Lektüre des Bands so scheinen, als entwickle sich die koreanische Literatur schnell
zum Besseren und Anspruchsvolleren. Die älteste Erzählung des ältesten vertretenen Autors,
"Panmunjom" (1961) von Lee Hochol (geb. 1932), wirkt befremdlich. Am einzigen Grenzübergang
zwischen Nord- und Südkorea, eben in Panmunjom, treffen sich eine Frau aus dem Norden und ein
Mann aus dem Süden; aller Emanzipation entgegen verliebt sich die Frau in den recht patriarchalisch
daherkommenden Südler und lässt sich bei Regen von ihm in ein Auto zerren, was ihr wohl den
Rückweg nach Norden unmöglich machen dürfte: ein eigenwilliges Verständnis vom
Zusammenkommen von Nord und Süd. Viel überzeugender lenkt Su Jung In (geb. 1936) in
"Heimkehr" (1979) den Leser, gerade weil er ihm nicht alles gleich verrät. Der anscheinend Neureiche,
der sich anbietet, ehemalige Schulfreunde aus der aufs Materielle zentrierten Metropole Seoul aufs
Land zu fahren, stellt sich doch nur als ein - sympathischer - Hochstapler heraus, auf den auf dem
scheinbar friedlicheren Land die Polizei wartet.
Die Pointe trägt indessen nicht den Verlauf über 23 Seiten; ein überzeugender Spannungsbogen
gelingt unter den älteren, realistischen Erzählern allein Hwang Sok-yong (geb. 1943), der in "Ein
Mensch wie du und ich" (1972) eine Geschichte im historischen Prozess der Urbanisierung gestaltet.
Wie um 1970 jedes Jahr Zehntausende, so kommt auch der Protagonist nach Seoul und versucht,
sich als Arbeiter durchzuschlagen. Der Lohn reicht kaum zum Überleben, der Hunger quält, Alkohol
und Verbrechen locken. Schließlich ist die Gewalt unvermeidlich, doch richtet sie sich nicht gegen die
Profiteure der Industrialisierung, sondern sie bleibt innerhalb der Klasse und trifft eher zufällig
irgendeinen Wachmann. Indem Hwang konsequent die Perspektive des Mörders wahrt, der einem
offenkundig intellektuellen Gegenüber, einem Gefängnispsychologen vielleicht, das Geschehen recht
feindselig skizziert, in einem allzu eindimensionalen Verständnis der Weg versperrt.
Angesichts einer solchen Erzählung eines in Südkorea erfolgreichen Autors wird am ehesten deutlich,
dass der ästhetische Fortschritt in die Welt von Kim Young-ha und Han Kang auch Verlust ist: Der
Verlust einer Literatur, die angesichts von Diktatur und gelenkten Massenmedien für große Teile der
Bevölkerung handlungsleitend war. Unter den neuen Bedingungen von offeneren Massenmedien und
expandierender Konsumwelt kann kritische Literatur nicht mehr die Funktion einnehmen, wie sie sie in
Südkorea vor einem guten Jahrzehnt noch hatte. Das zeigt sich an der Erzählung "Die Stimme des
Gewissens" (2004) von Gong Jiyoung (geb. 1963), die unter den relativ jüngeren Autoren Südkoreas
eine politische, kritische Literatur repräsentiert: Ihr Thema sind hier die Berichte eines deutschen
Journalisten über das Massaker, das Regierungstruppen unter demokratischen Demonstranten 1980
in der Stadt Kwangju angerichtet haben. Nun ist der Deutsche schwer krank, und einige Koreaner
unternehmen es, ihm eine gegenwärtige koreanische Fernsehdokumentation über die Bedeutung
seiner Reportagen zu übersetzen. Der Freundschaftsdienst für den Deutschen, der einst den
fortschrittlichen Koreanern half, wird im Gegenzug den Koreanern zum Anlass der Selbstreflexion,
inwieweit sie sich den Herrschenden angepasst haben und ob nicht der oppositionelle Impuls von
1980 wieder aufgenommen werden sollte.
Ein solcher Appell beschließt die Sammlung, die schon deshalb wertvoll ist, weil sie mit Kim Youngha, Han Kang und Gong Jiyoung wichtige Autoren und Autorinnen zum ersten Mal in Deutschland
vorstellt. Freilich sind nicht alle Erzählungen zu loben und haben zumal die hier ausgewählten Texte
von Lee Hochol und Kim Wonil eher historische Bedeutung. Das Deutsch der zahlreichen Übersetzer
ist von unterschiedlicher Qualität; zumeist stört es nicht, ab und an aber doch, und es begeistert
freilich kaum je. Mit Erzählungen, die sich fast alle durch einen mehr oder minder geschickt
vermittelten sozialen Realismus auszeichnen, haben die Herausgeberinnen die Hauptströmung der
südkoreanischen Literatur akzentuiert und bieten so den Lesern einen angenehmen Zugang auch zu
landeskundlichen Informationen - der qualitativ bedeutsame Nebenweg einer avantgardistischen
Erzählliteratur, die sich einer eindeutigen Auflösung verweigert, bleibt dagegen noch zu öffnen.
Sylvia Bräsel / Lie Kwang-sook (Hg.): Koreanische Erzählungen.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005.
256 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-10: 3423133813
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=8605
literaturkritik.de Nr. 10, Oktober 2005
Krieg und Nachkrieg
Jo Jong-Raes historischer Roman über die koreanische Gegenwart
Von Kai Köhler
Kann man mit dem Telefon töten? Fast drei Jahrzehnte nach Ende des Koreakriegs zerstört ein
einziger Anruf das Lügensystem des erfolgreichen Seouler Unternehmers Hwang. Immer wieder fragt
der Mann am anderen Ende der Leitung: "Herr Bae Jeomsu, glauben Sie nicht, dass Sie schon zu
lange gelebt haben?"
Die Stimme wird Hwang die letzten Tage seines Lebens verfolgen, und zuletzt noch, als er nach
einem Zusammenbruch halbbewusst im Krankenhaus dahindämmert, das Klingeln des Apparats.
Doch warum? Der Anrufer hat die Wahrheit über sein Vorleben herausgefunden. Statt als Abkömmling
einer vornehmen Familie und Widerstandskämpfer gegen die Kommunisten aus dem Norden geflohen
zu sein, war Hwang als der Bauernsohn und Schmied Bae in einem kleinen Dorf im Süden
aufgewachsen und hatte zu Kriegsbeginn auf Seiten der Linken seine blutige Rolle gespielt: Er hatte
die Speere hergestellt, mit denen die Aufständischen bewaffnet waren, und er selbst hatte 38
Angehörige des Clans der Shin, die die Gegend beherrschten, erstochen.
Der entschlossene Mann, der mit neuer Identität eine Firma aus dem Nichts aufgebaut und mit harter
Hand beherrscht hat, ist schnell am Ende seiner Kraft. Was immer die Gerichte dreißig Jahre später
urteilen mögen: Es ist klar, dass die Wahrheit nicht nur ihn selbst geschäftlich und gesellschaftlich
ruinieren, sondern auch seine ganze Familie ins Nichts reißen würde.
Nicht von der Spannung auf diesen Ausgang lebt Jos Roman, sondern von den zahlreichen
Rückblenden in die Kriegszeit und von der Schilderung, wie Hwangs ältester Sohn, der ebenfalls bald
von Anrufen geplagt wird, die Geschichte seines Vaters erfährt.
Der Koreakrieg erscheint plastisch nicht als das Hin und Her der großen Armeen, wie es in
historischen Überblicken leicht zu schildern ist, sondern als Bürgerkrieg im Kleinen. Jo schildert ihn
multiperspektivisch. Anschaulich wird, wie die Bauern nicht nur ausgebeutet und misshandelt, sondern
auch gedemütigt werden und so bereits vor dem ersten Speerstich feststeht, dass der Konflikt zu
Gewalt führen muss. Genauso anschaulich wird die Perspektive der Shins, die sich bei alledem noch
als patriarchale Wohltäter fühlen und das "Gesindel" kaum als Menschen ansehen. Man liest, wie
auch sie leiden und wie später ihre Rache die Gewalt der Kommunisten noch übertrifft.
Jo schreibt einen umfassenden Gesellschaftsroman schon dadurch, indem er zeigt, wie die
Kombination politischer Konflikte, individueller Erfahrungen und konfuzianischer Familienordnung das
Zusammenleben zerstört. Er zeigt weiter, wie die Zentralstellung der Familie den Krieg noch in die
nächste Generation trägt. "Das Spiel mit dem Feuer", im Original 1982 erschienen, ist denn auch
weniger ein historischer Roman als ein gegenwartsbezogener; das unterscheidet das Buch von dem
Kurzroman "Land der Verbannung" (1981), der auf Deutsch im vergangenen Jahr ebenfalls bei der
Edition Peperkorn erschienen ist und sich nun wie eine Vorstudie zu dem umfassenderen Werk liest.
Die südkoreanische Rechte hat das Engagement Jos sehr gut begriffen und den Autor in den 70er
und 80er Jahren, als jedes Verständnis auch für Kommunisten als nationaler Verrat galt, verfolgt.
In südkoreanischer Literatur findet sich häufig das Motiv, dass die kriegerische Vergangenheit bis in
die Gegenwart weiterwirkt und die Menschen von ihrem Leid nicht fortkommen. Hier nun ist das
geläufige und, denkt man auch an neuere deutsche Opferliteratur, triviale Motiv radikalisiert. Vielleicht
sind die jüngeren Männer, Hwangs Sohn und der Anrufer, der der Familie Shin entstammt, mehr noch
Zentralpersonen als der alte Hwang. Hwang Hyungmin, ein aufstrebender Universitätsdozent, der
immer seinen angeblich antikommunistischen Vater bewunderte und auf die Abstammung aus
vornehmer Familie stolz war, muss sich völlig neu orientieren; als Sohn eines Schmieds mag er kaum
mehr seinen Studenten gegenübertreten. Der Anrufer versichert zwar, nur den Vater treffen zu wollen,
doch zwingt er Hyungmin erst zu einer peinvollen Reise in die Heimat des Vaters, dann zum Gespräch
mit Überlebenden der Morde und später zu einer Entscheidung, ob das Krankenzimmer des Vaters
mit dem Telefon ausgestattet wird, dessen Klingeln den Sterbenden zu Tode erschrecken wird. Gibt
Hyungmin der Erpressung nicht nach, so stirbt nicht nur ein Mann, sondern wird die ganze Familie
vernichtet.
So muss der unschuldige Sohn zum Mitspieler des Feindes werden. Die Position dessen, der weiß
und der durch sein Wissen vernichten kann, scheint dagegen unbeschränkt souverän. Jo aber gibt
auch dem jungen Shin eine Geschichte: den Auftrag seiner sterbenden Mutter, die Familie zu rächen,
und eine mediokre Existenz, die so gar nicht zur vergangenen Herrlichkeit der Landbesitzer passt. Der
Mann, der sich mit viel Schläue als Verkäufer in der Metropole Seoul durchschlägt und dabei nicht
einmal unglücklich ist, stellt eine seltsame Kombination aus jener Familientradition dar, die gegen
seinen anfänglichen Willen ihn zur Rache bewegt, und einer kalten Moderne; denn er, anders als fast
alle Akteure der Kriegszeit, operiert berechnend. Man erfährt seine Gründe, man erfährt seine Taktik,
doch kaum sein Gefühl. Im letzten Anruf schweigt er, vieldeutig, und bestätigt so seine Macht - oder
dass im Gegenteil die Sprache, mittels der er sich rächte, am Ende doch versagt.
Ein Roman, in dem das Sprechen in solchem Maße Waffe ist, ist in besonderem Maße auf eine
sprachlich gelungene Übersetzung angewiesen. In dieser Hinsicht befriedigt das vorliegende Buch nur
zum Teil. Es überzeugt in der Wiedergabe mündlicher Rede. Der kalkulierte Auftritt des Anrufers findet
ebenso sein adäquates Deutsch, wie hier auch dialektgefärbte mündliche Rede ohne jede
anbiedernde Peinlichkeit in Umgangssprache wiedergegeben ist. Letztere Stärke fand sich bereits in
Jos "Land der Verbannung" und in Kim Jooyoungs Roman "Ein Fischer bricht das Schilfrohr nicht", die
ebenfalls von diesem Übersetzerteam auf Deutsch vorliegen. Manche beschreibende Passage ist hier
jedoch deutlich schwächer. Allzu oft finden sich plagend ungelenke Vergleiche und Metaphern, die wie
Relikte einer eiligen Bearbeitung wirken - so, als habe ein umfangreicher Text eben bis zur Frankfurter
Buchmesse 2005 und Südkoreas Gastlandauftritt fertig sein müssen.
Mit raffinierter Zeitschichtung und durch den Grundeinfall, einen scheinbar allwissenden und
tatsächlich allmächtigen Anrufer zum Regisseur des Verlaufs bis zu seinem katastrophalen Ende
einzusetzen, baut Jo eine Spannung auf, die den Leser über sprachliche Schwächen hinweggehen
lässt. Dennoch fehlen der Übersetzung jene paar Wochen an Arbeit, die die Lektüre zur
uneingeschränkten Freude hätten werden und die ein bedeutendes Werk in seinem ganzen Wert
hätten zugänglich werden lassen.
Jo Jong-Rae: Das Spiel mit dem Feuer. Roman.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee und Martin Herbst.
Edition Peperkorn, Thunum/Ostfriesland 2005.
378 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3929181606
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=8595
literaturkritik.de Nr. 10, Oktober 2005
Der Mai Koreas: Neue Koreanische Literatur zur Buchmesse
Von Ludger Lütkehaus
Thematisch durch die historisch-politischen Traumata geprägt, ästhetisch am literarischen Realismus
orientiert: so wird die zeitgenössische (süd-)koreanische Literatur dem deutschsprachigen Publikum
überwiegend erscheinen. Noch das Werk von Hwang Sok-yong bekräftigt diesen Eindruck. Aber auch,
wo diese Literatur andere Sujets aufgreift und stilistisch andere Wege geht wie exemplarisch in der
Frauenliteratur, gegenüber der dominierenden Roman- und Erzählprosa in der Lyrik, bleibt sie durch
die desaströse Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert mitbestimmt. Eine Tour d'horizon.
Mit seinem 1987 erschienenen Roman "Der entstellte Held" hat Yi Munyol (geboren 1948) auch beim
deutschen Lesepublikum Aufmerksamkeit gefunden. In diesem Schüler-Roman, einer Art von
"koreanischem Törleß", wurde ein autoritäres System drastisch im Bilde einer schulischen
Klassengesellschaft porträtiert. Der stark autobiografisch geprägte Roman "Jugendjahre", im selben
Jahr publiziert, bietet eine studentische Kontrastgeschichte. Nach der Vorbereitung auf den
Universitäts-Aufnahmetest in einem kleinen Dorf in der Nähe der Millionenstadt Busan, während der
der unheldische jugendliche Protagonist Einblick in den siegreichen Monopolkapitalismus gewinnt,
erfährt er die zur Anarchie gesteigerte Freiheit des Studentenlebens. Literarische Kabinettstücke von
überraschender Heiterkeit bieten die Sauf- und Diebesexzesse dieses koreanischen Villon. Aber die
Verfolgung aller "Roten" durch ein autoritäres System irrlichtert im Hintergrund. Und wenn Schülerund Berufsleben unter dem rigiden Regiment dieses Systems stehen, so entspringt der studentischen
Anarchie und Narrenfreiheit die Opposition- was freilich nicht verhindert, dass König Alkohol in Korea
offensichtlich der eigentliche Herrscher ist. Auch die Erzählungen des 1959 geborenen Lee Sung-U,
nach einem Studium der Theologie heute Professor für Koreanistik in Kwangju, dem Ort des
Aufstandes von 1980, beziehen den politischen Hintergrund mit ein. "Der Ministerpräsident stirbt nicht"
bietet mit deutlichen Anspielungen auf die Präsidentschaft des 1961 an die Nacht geputschten
Generals Park Chung-Hee eine böse Satire auf die Schauspielerei im Zentrum der politischen
Repräsentation, auf die diktatorische und mediale Verwischung der Realitätsgrenzen. Das zur Tortur
fortschreitende Verhör erweist sich als die zynischste Form des Willens zur Wahrheit: Niemand strebt
mehr nach Wissen als die Folterer.
Die Erzählung "Ich werde sehr lange leben" zeigt auf dem Hintergrund der tiefgehenden koreanischen
Wirtschaftskrise von 1997 einen deklassierten Unternehmer, der paradoxerweise gerade in Folge der
Krise sich selber findet, ein koreanischer Dropout. Aber alle Erzählungen sind wie die titelgebende
Geschichte des Bands "Vermutungen über das Labyrinth". Lees hochvirtuoser Erzählstil, der
gleichwohl von beträchtlicher Spannung ist, verwischt systematisch, nicht etwa aus Unvermögen, die
Grenzen von Realität und Traum, Phobie, Wahn, Paranoia, bis hin zum flagranten Selbstwiderspruch,
der als Stilmittel der Irritation fungiert. Auch die Grenze zwischen Ich-Erzählung und auktorialer
Perspektive wird aufgelöst. Auf nichts ist in dieser Welt Verlass, nie weiß man genau, woran man ist.
Kafkas lähmend-bedrohliche Szenarios aus der "Verwandlung", dem "Prozeß" und dem "Urteil" sind
bis zum direkten Zitat allgegenwärtig. Manchmal werden auch die Grenzen zur psychopathologischen
Studie verwischt ("Die Innenseite des Hauses"). Aber das "Kafkaeske" ist sehr spezifisch koreanisch.
Der Wahn hat Methode. Nichts ist realistischer als dieser koreanische Surrealismus. Die "Modernen
Erzählungen koreanischer Frauen", die Ahn Sohyun und Heidi Kang in einer Pendragon-Anthologie
vorlegen, wenden sich thematisch weitgehend von den historischen und politischen Fragen ab: Diese
Frauenliteratur ist auf den ersten Blick deutlich privater. Aber schon ihre Rahmenbedingungen sind
von der gesellschaftlichen Tradition bestimmt. In einer noch unter Modernisierungsbedingungen vom
konfuzianischen Wertesystem beherrschten Gesellschaft hätten die schreibenden Frauen eigentlich
über Ehethemen, Beziehungs- und Sexualprobleme zu schweigen. Eben darauf aber ist diese
Literatur fokussiert. Gerade das Private als das Tabuierte erweist sich als gesellschaftlich geprägt.
Meistens sind die Frauen, von denen der Sammelband erzählt, alleinstehend. Sie werden verlassen
oder verlassen selber ihre Männer. Das wird zumeist nicht programmatisch zugespitzt: Es gibt keine
feministischen Kriegserklärungen. Aber der Weg nach innen, in Träume und Phobien, ist die
nachhaltigste Form, sich zu verabschieden, wo es zuvor nur oberflächliche Kommunikation und sonst
tiefe Fremdheit gab. Die Psychiatriesierung (so Un Hikyongs "Die Schachteln meiner Frau") ist die
verständnislose Antwort des Mannes.
Die auch sexuell freizügigere Titelerzählung "Ein ganz einfaches gepunktetes Kleid" von Jon Kyongnin
(geboren 1962) entwickelt mit ihrem leitmotivischen Dingsymbol einen sonst eher seltenen Witz. Kong
Sonoks (geboren 1964) "Die allein stehende Mutter" erinnert ebenfalls mit Witz und einem neu
gewonnenen Selbstbewusstsein, das mit Ahn Jung-Kyos "Mutter Courage"-Roman "Der silberne
Hengst" die überkommenen Geschlechterrollen revidiert, daran, wer im zerrissenen Korea vorab die
Last des Überlebens zu tragen hatte. Hochsubtil ist die Erstpublikation von Jo Kyung Ran (geboren
1969) "Das französische Brillengeschäft": genau recherchiert, nicht penetrant bedeutungsschwanger
und doch von präziser Symbolik. Das Begräbnis der Brille einer gerade verstorbenen alten Frau wird
zum Epilog auf die Schmerzen der Klarsicht und die menschliche Restbindung in einer fremden
Männerwelt.
Von Trennung und Zerrissenheit religiöser Art spricht der "Mandala"-Roman Kim Seong-Dongs, 1978
in der Erstausgabe, 200l in einer revidierten Neufassung erschienen. Das politische Thema spielt mit
dem Geschick des Vaters von Kim Seong-Dong noch herein: Er wurde 1948 als kommunistischer
Funktionär verhaftet und nach Ausbruch des Korea-Kriegs 1950 verschleppt und hingerichtet. Die
frühe Traumatisierung des Autors ist spürbar. Aber sein literarisches Alter Ego, den jungen Mönch
Beobun, bestimmt in dem autobiografisch geprägten Roman eine Vatersuche anderer Art: die
Gottsuche nach dem "Buddha", der - als Gattungs-, nicht als historischer Individualname verstanden in allen Lebewesen wohnen soll: Die "Buddhanatur" meint ihr erleuchtetes und erlöstes innerstes
Wesen.
Doch auch nach sechs Jahren mönchischen Lebens ist die Erleuchtung, traditionell an die Lösung
eines zen-buddhistischen "Koans", eines frappierenden Paradoxes geknüpft, für Beobun ferner denn
je. Statt dessen quälen ihn Zweifel und Verzweiflung, bis an den Rand der Selbsttötung. Beobun wird
zum Wandermönch und trifft auf einen bemerkenswerten Apostaten, den älteren, desillusionierten
Mönch Jisan, dessen Lebensweise den mönchischen Gelübden des Zölibats und der Askese Hohn
spricht, der aber der Erleuchtung weit näher ist als die formal korrekten buddhistischen Pfaffen. In
Jisans Witz, seiner rücksichtslosen Offenheit, aber auch seinem Mitgefühl, das sich hinter der rauhen
Außenseite gut versteckt, ist Kim das großartige Porträt eines anarchischen, "kynischen"
buddhistischen Mystikers gelungen, der in der Gosse des Lebens die Probe auf die mystische Lehre
von der Nichtunterscheidung zwischen dem "Selbst" und dem "Anderen" macht - Gegenbild aller
orthodoxen, regelkonformen Puristen, deren anmaßende Weisheit sich im Ungeist der Unterscheidung
erschöpft.
Die innere Krise des jungen Beobun verbindet sich mit der enttäuschenden Erfahrung, in seinem
Orden in keiner Weise zu Hause zu sein. Es ist ein drastisches, desillusionierendes Bild, das Kim hier
von einer korrupten, geld- und machtgierigen buddhistischen Kirche zeichnet. Sie bietet den
mittellosen Wandermönchen keine Bleibe mehr. Selber suchen ihre Mitglieder statt der asketischen
Lebensweise des "Berges" lieber die bequemen Wonnen der "Ebene". Nur in einem dritten Mitsucher,
dem Mönch Sugwan, der dem Buddha in rigider phallischer Askese Finger um Finger opfert, stößt
Beobun innerhalb des Ordens auf eine wenigstens konsequente, obwohl masochistisch zugespitzte
Form der Gottsuche.
Nach dem ungeklärten Tod Jisans, vielleicht einer Selbsttötung, auf jeden Fall aber einem
einverstandenen Sterben, auch nach etlichen scheiternden Versuchen, über den Sex ins Leben
zurückzufinden, ist Beobun allein - wie der Autor, den die Ordenshierarchie schon nach seiner ersten
kritischen Erzählung 1978 exkommuniziert hat: Der Vatikan ist offenbar nicht nur in Rom zu Hause.
Kims großer religiöser Desillusionsroman, abgrundtief depressiv, verzweifelt witzig, ist ein
bedeutendes Beispiel dafür, wie das kritische Potenzial der koreanischen Gegenwartsliteratur nach
der Politik auch den Bereich einer für sakrosankt gehaltenen Tradition erfasst. "Wenn es ein ,Land der
Dichter' gibt, dann ist das wohl Korea": Mit dieser für die Ohren deutschsprachiger Leser erstaunlichen
Einschätzung eröffnet die Koreanistin Narion Eggert die von ihr übersetzte und herausgegebene
Anthologie "Wind und Gras. Moderne koreanische Lyrik." 33 Dichterinnen und Dichter, geboren
zwischen 1879 und 1966, sind hier versammelt. In der Tat spielt lyrische Dichtung in Korea eine weit
größere Rolle als hierzulande. Selbst in der Form hermetischer Verschlüsselung erreicht sie ganz
andere Popularitätsgrade. Die Auflagenziffern, die Besucherzahlen bei öffentlichen Lesungen,
manchmal sogar in jenen Sportarenen, die hier nur die etwas gröbere Lyrik der Fans und Hooligans
füllt, sind spektakulär. Das hängt damit zusammen, dass die Lyrik in Korea wie keine andere
literarische Gattung Medium nationaler kultureller Selbstfindung ist, erst in der Selbstbehauptung
gegen die allgegenwärtige chinesische Tradition, dann gegen die japanischen Kolonialherren, die die
koreanische Sprache und Literatur brutal unterdrückten und für oppositionelle Geister den Ehrentitel
der "Denk-Täter" erfanden, schließlich gegen die autoritären innerkoreanischen Regimes einer fast
fünfzig Jahre - man denke an die Verurteilung von Hwang Sok-yong noch 1993! - andauernden
Nachkriegszeit. Selten, dass der geschichtliche Hintergrund nicht in den Gedichten mitzuhören ist.
Etliche der ausgewählten Dichter sind politische Häftlinge gewesen, erst unter der japanischen
Okkupation, dann unter den nord- und südkoreanischen Terrorregimes, manche wie Kim Ch'unsu
(1922-2004) unter allen. Selten ist es aber auch, dass diese "lyrique engagée" plakativ wird wie etwa
bei Kim Namju (1946-1994), dessen Gedicht "Aschenhaufen" "Blut" auf "Blüte" reimt. Durchweg ist die
Lyrik, selbst wo sie sich in der beliebten Form essayistischer Langgedichte der Prosa annähert (Yun
Tongju, Chong Chiyong, Yisang, So Chongiu), Poetisierungs- und Distanzierungsmedium gegenüber
einer - in Nordkorea andauernden - heillosen Geschichte.
Wenn Roman und Erzählung stärker an sie gebunden bleiben, so sorgt die Lyrik für
überlebenswichtige Verfremdung, auch wenn das für deutschsprachige Leser mit einem
Fremdheitsgefühl erkauft ist, das selbst die vorzüglichste Übersetzung nur bedingt mildern kann. Vier
zugänglichere Exempel:
Kim Suyong (1921-1968), "Vater" der engagierten Literatur Koreas, dreht in seinem "Spiel vom Mond"
landsuggestiv einen Kreisel, der das irritierende sinnlich dingliche Symbol unablässiger Wiederkehr
ist. Vor allem, wenn ich "an mein feierlich sitzendes Alter denke, [...] dreht sich der Kreisel/ dreht sich
der Kreisel". Korea, nicht mehr das "Land der Morgenstille", sondern das Kreise-Land?
Kim Chongmun (geboren 1919) lässt in seinem Gedicht "Der Stuhl" einen Witz sprechen, der sonst in
der Anthologie etwas zu kurz kommt (Kim Kwang-Kyu, geboren 1941, eine Art koreanischer Heine, ist
leider nicht repräsentiert): "Wenn ich der westlichen Zivilisation irgendetwas verdanke / so ist das
eines: der Stuhl. / Doch was meinen eigenen Stuhl betrifft: der ist weit ab von barockem oder
romantischem Stil.." Aber zur Beobachtung ist er geeignet: "Mein Stuhl ist... mein ewiger Fels. / Auf
der Welt gibt es allzuviel leere Dinge / doch mein Stuhl ist / auch unbesetzt nicht leer."
Yisang (1910-1937), das Pseudonym ist gleichlautend mit dem Wort für "merkwürdig, abnorm", gilt
tatsächlich als der ungewöhnlichste unter den modernen Dichtern des Landes. Bei Droschl ist unter
dem Titel "Mogelperspektive" sein provozierendes poetisches Werk in einer Auswahlausgabe
erschienen. In Japan wurde er als "Denk-Täter" inhaftiert. Wie Stuhl und Kreisel ist sein "Spiegel" ein
suggestives Dingsymbol: "Im Spiegel ist kein Laut. Eine stillere Welt gibt es wohl nirgends." Aber:
"Auch im Spiegel habe ich Ohren...".
Ko Un (geboren 1933), von der "Bibliothek Suhrkamp" schon 1996 mit einem eigenen, jetzt wieder
aufgelegten Band geehrt ("Die Sterne über dem Land der Väter"), eine der fruchtbarsten, vielseitigsten
Gestalten der gegenwärtigen koreanischen Literaturszene, verknüpft buddhistische
Nichtigkeitserfahrungen - Ko Un war von 1951 bis 1964 selber Mönch - mit einem leidenschaftlichen
politischen Engagement. Die Quittung blieb nicht aus: Ko Un wurde mehrfach verhaftet, gefoltert, im
Mai 1980 nach dem Volksaufstand von Kwangju als angeblicher Rädelsführer von einem Militärgericht
zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt, 1982 zwar amnestiert, aber noch 1989 wegen der
Vorbereitung eines gemeinsamen nord- und südkoreanischen Schriftstellertreffens, wie es legal erst
jetzt, im Juli 2005, möglich geworden ist, wieder festgenommen.
Ko Uns Gedicht "Schweigen" setzt paradox beredt das Schweigen in den Plural, um der tödlichen
Zerrissenheit eines von beiden Seiten auseinander dividierten Landes innezuwerden: "All ihr
Schweigen, / auf dieser Insel verstreute Schweigen, / kommt zurück...Kommt zurück / und tragt die
Schweigen Koreas an die Enden der Meere. /...Als Schweigen verneigt euch vor jedem Skelett dieses
Landes. / Kommt zurück, kommt zurück, es ist Herbst."
Kim Hyon-Seung hingegen (geboren 1915) beschwört in seiner poetisch verdichteten gottgläubigen
und gottlosen (er war Sohn eines protestantischen Pfarrers) Transzendentalpoesie einen schönen Mai
Koreas. Gewiss, auch seine Lyrik spricht noch mit Rimbaud von einem "Ich, der mir ein anderer
war,...ich, der ich ein anderer ". Aber sein - singulares - "Schweigen" verwandelt sich im "Mai Koreas"
in einen Gesang, mit dem dieser Dichter immer wieder feiert, "daß ich in Korea geboren wurde!"
Hyon Seung Kim: Der Mai Koreas. Gedichte.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2004.
124 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3865320066
Weitere Informationen zum Buch
Sohyun Ahn / Heidi Kang (Hg.): Ein ganz einfaches gepunktetes Kleid. Moderne Erzählungen
koreanischer Frauen.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Heidi Kang und Sohyun Ahn.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2004.
188 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-10: 3934872573
Weitere Informationen zum Buch
Munyol Yi: Jugendjahre. Roman.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Christina Youn-Arnoldi und Cornelia Roth.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2004.
213 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-10: 3934872743
Weitere Informationen zum Buch
Seong-Dong Kim: Mandala. Roman.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2004.
256 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-10: 3934872905
Weitere Informationen zum Buch
Sung-U Lee: Vermutungen über das Labyrinth. Erzählungen. Mit einem Nachwort von Kai Köhler.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2004.
158 Seiten, 15,40 EUR.
ISBN-10: 3865320120
Weitere Informationen zum Buch
Ko Un: Die Sterne über dem Land der Väter. Gedichte.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Woon-Jung, Chei und Siegfried Schaarschmidt.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
105 Seiten, 10,80 EUR.
ISBN-10: 351822395X
Weitere Informationen zum Buch
Yi-sang: Mogelperspektive. Das poetische Werk.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Marion Aggert, Hanju Yang und Matthias Göritz.
Literaturverlag Droschl, Graz 2005.
168 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3854206968
Weitere Informationen zum Buch
Marion Eggert (Hg.): Wind und Gras. Moderne koreanische Lyrik.
Herausgegeben und übersetzt aus dem Koreanischen von Marion Eggert.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005.
153 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-10: 3423133805
Stand: 06.10.2005
http://www.litrix.de
… Unter dem Motto „Enter Korea“ präsentiert sich in diesem Jahr mit Korea als Gastland ein in
Deutschland noch weitgehend unbekannter Buchmarkt auf der Frankfurter Buchmesse. Rund 60
koreanische Autoren stellen in Lesungen die Literatur des Landes vor, Symposien laden ein zur
deutsch-koreanischen Auseinandersetzung mit Themen wie Demokratie und Wiedervereinigung. In
der Ausstellung „Books on Korea“ präsentieren Verlage aus aller Welt übersetzte Titel koreanischer
Autoren und aktuelle Bücher über Korea. 100 koreanische Bücher können sich Messebesucher dabei
als E-Book auf ihre Handys laden. Als Redner bei der feierlichen Eröffnung der Buchmesse am 18.
Oktober wird neben dem Lyriker Ko Un als literarischem Vertreter des Gastlandes auch der
koreanische Premierminister Lee Hae-Chan erwartet.
Die Frankfurter Buchmesse reagiert in diesem Jahr auch auf die Tatsache, dass die literarischen
Agenten eine immer wichtigere Rolle im Buchgeschäft spielen. Dazu haben sie ein Literary Agents
and Scouts Centre (LitAg) mit 326 Tischen eingerichtet, das nach Bekunden der Veranstalter bereits
seit Wochen ausgebucht ist, und das, obwohl in Frankfurt im Agenten-Zentrum nur Agenturen und
keine Verlage Tische buchen konnten. Ein Pflichttermin für alle Rechtehändler ist das renommierte
Rights Directors Meeting am Dienstag vor der Messe, bei dem in diesem Jahr die spanischsprachige
Welt im Mittelpunkt steht.
…
http://www.wissen.de
Frankfurter Buchmesse 2005 – Enter Korea
Michael Fischer
Die Nummer 7 der Bücher-Welt
Mit rund 50.000 neuen Buchtiteln im Jahr ist Korea mittlerweile die Nummer 7 in der Bücher-Welt. Das
hängt nicht zuletzt mit der gezielten Förderung durch den Staat zusammen. Vor zwei Jahren hat
Korea als weltweit erstes Land die Mehrwertsteuer für gedruckte Bücher und e-books abgeschafft.
Und zwei Autoren werden seit Jahren als Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis gehandelt: KO Un und
YI Munyol.
Korea in Deutschland
60 koreanische Autoren präsentieren ihre Werke in Deutschland. Knapp 10 Millionen Euro lässt sich
Korea die 200 Veranstaltungen in ganz Deutschland kosten. Neben der Literatur liegt ein weiterer
Fokus auf der modernen koreanischen Kultur. Deren Qualität und Vielfalt soll durch Theaterstücke und
Ausstellungen, Filmreihen und Performances gezeigt werden. Dazu gehört Hip-Hop ebenso wie
zeitgenössische Musik und Fotokunst genauso wie Musical. In Frankfurt laden drei hochkarätig
besetzte Symposien zur deutsch-koreanischen Auseinandersetzung mit Themen wie Demokratie und
Wiedervereinigung bei. In der Ausstellung “Books on Korea präsentieren Verlage aus aller Welt
übersetzte Titel koreanischer Autoren und aktuelle Bücher über Korea.
Die Literatur Koreas: schlicht, zurückhaltend, elegant
Doch was macht die Eigenart der koreanischen Literatur aus? Hwang Chi Woo erklärt sie so: “Wir
suchen die Nuancen, die Schattierungen. Asketisch, schlicht, zurückhaltend, elegant: das ist das
Lebensideal der Koreaner. Wie das Licht, das alles weichzeichnet. Unsere Farbgebung vermeidet den
Glanz, den Kontrast, das Grelle und Aufdringliche. Und der dichtende Direktor formuliert auch für
Korea den eigenen Anspruch als Gastland: “Sich selbst zurücknehmen, sich auf das Wesentliche
beschränken und die Welt dadurch umgekehrt als größer erfahren. Diesen Charakter der
koreanischen Kultur wollen wir bei unseren Veranstaltungen auf der Frankfurter Buchmesse wieder
entdecken.
http://www.3sat.de
Die roten Orchideen von Shanghai
Korea - ein Land im Spannungsfeld zwischen Japan und China: Seit 1910 japanische Kolonie, wurden
in den 30er und 40er Jahren rund eine Million koreanische Zwangsarbeiter rekrutiert und fast ebenso
viele Schüler und Studenten als Soldaten an die Kriegsfront geschickt. Doch nicht nur Männer wurden
zum Kriegsdienst gezwungen - auch Frauen, als so genannte Trostfrauen. Zwischen 1932 und 1945
zwang die japanische Armee mehr als 200.000 Asiatinnen, zum Teil noch fast Kinder, aus den
besetzten Ländern zur Prostitution. Endstation Truppenbordell: Offiziell werden sie in japanischen
Schulbüchern als "freiwillige Sekretärinnen" deklariert, wurden sie in den von der japanischen Armee
systematisch errichteten Häusern täglich von bis zu 50 Soldaten vergewaltigt, misshandelt,
gedemütigt. Nur etwa ein Viertel dieser Frauen überlebte, traumatisiert, versteckten sich vor Scham.
Eine dieser Frauen ist Sangmi Kim. Sie wuchs in einer wohlhabenden, gut situierten Seouler Familie
auf. Mit 14 wird sie jedoch von ihren Eltern verstoßen und gerät in die Fänge der Japaner. Sie
überlebte die Greul, hat jahrzehnte lang geschwiegen, bis sie die französische Journalistin Juliette
Morillot auf dem Markt von Seoul traf. Ihr erzählte sie ihre Lebensgeschichte. "Wir Europäer kennen
alle Horrortaten der Nazis, aber wir wissen wenig über die Gräuel der Japaner, es ist so weit weg",
sagt die Korea-Kennerin Morillot, die in ihrem Buch "Die roten Orchideen" das Schicksal der
Trostfrauen beschreibt.
Juliette Morillot, Gaby Wurster
"Die roten Orchideen von Shanghai"
Goldmann 2003
ISBN 3442309824
22,90 €
Als Taschenbuch:
Goldmann 2005
ISBN: 3442459389
9,95 €
19.09.2003
http://www.arte.tv
Buchmesse Frankfurt 2005
Brennpunkt Korea
Korea ist Gastland auf der Buchmesse 2005. Während sich das kommunistische Nordkorea
abschottet, blüht im Süden eine faszinierende Literatur, die sich nun der Welt präsentiert.
Koreanische Innenschau
Ein Interview mit Günther Butkus, dem Verleger des Pendragon-Verlags, der moderne koreanische
Literatur verlegt:
Herr Butkus, Ihr Verlag hat sich auf moderne koreanische Literatur spezialisiert. Was ist das
eigentlich, die moderne koreanische Literatur?
Von diesem Begriff kann man erst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sprechen, eigentlich sogar
erst seit 50 Jahren, weil die Koreaner unter jahrhundertelanger chinesischer und japanischer
Besatzung gar keine Chance hatten, eine eigenständige Literatur zu entwickeln. Sie durften ja nicht
einmal in ihrer eigenen Sprache schreiben.
Sie sprechen von Korea, meinen aber Südkorea …
Das ist richtig. Der Norden ist nach wie vor ein dunkler Fleck auf der literarischen Landkarte.
50 Jahre nach Ende des Koreakriegs sind Nord- und Südkorea über einen Waffenstillstand noch nicht
hinausgekommen. Gibt es eine kulturelle Annäherung?
Der Süden bemüht sich stärker um einen Dialog als der Norden, der übrigens auch die Beteiligung an
der Buchmesse abgesagt hat. Zwar gab es im Juli zum ersten Mal seit Jahrzehnten ein Treffen nordund südkoreanischer Schriftsteller in Pjöngjang, doch die Autoren durften nur sehr oberflächlich
miteinander plaudern. Sie standen unter ständiger Beobachtung, so dass ein kritischer Dialog gar
nicht möglich war.
Dennoch scheinen sich die Autoren füreinander zu interessieren. Gibt es Gemeinsamkeiten?
Das ist die Frage, die auch die südkoreanischen Autoren beschäftigt: Haben wir überhaupt noch
dieselbe Sprache? Ganz abgesehen von den literarischen Inhalten – welches Wortmaterial wird
verwendet? In so unterschiedlichen Systemen wie Nordkorea, wo die Sprache einer rigorosen Zensur
unterliegt, und Südkorea, wo sie sich frei entfaltet, kann sich eine Sprache in 50 Jahren weit
auseinander entwickeln.
Worüber schreiben die Südkoreaner?
Ich unterscheide drei Generationen moderner Autoren: Die modernen Klassiker der 1950er Jahre, zu
denen der Schriftsteller Lee Hochol gehört, setzen sich in ihren Romanen mit dem innerkoreanischen
Krieg auseinander – einem Krieg, der drei Millionen zivile Opfer forderte und der für die ältere
Generation noch immer ein sehr schmerzhaftes Thema ist. Die Autoren der politischen Literatur der
80er Jahre dagegen thematisieren die Militärdiktatur, die bis Ende der 80er Jahre in Korea herrschte.
Studentenaufstände wurden auf brutale Weise niedergeschlagen. Lim Chul-Woo ist mit seinem
kafkaesken Erzählungsband „Das rote Zimmer“ ein Vertreter dieser zweiten Generation.
Nach dem Ende der Militärdiktatur gab es einen Umbruch: Seit 1988 ist Südkorea eine Demokratie.
Hat sich das auf die Entwicklung der Literatur ausgewirkt?
Man kann schon sagen, dass die Autoren der dritten Generation weniger politisch sind als ihre
Vorgänger – was ja übrigens in Westeuropa ähnlich ist. In Korea gab es einen drastischen
Industrialisierungs- und Modernisierungsschub. Dort fand in den letzten 40 Jahren das statt, was in
Deutschland bereits Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte. Andererseits sind in der koreanischen
Gesellschaft traditionelle Werte wie Familienzusammengehörigkeit und Verantwortung gegenüber der
älteren Generation nach wie vor sehr stark präsent. Besonders die jungen Autoren setzen sich mit
diesem Konflikt zwischen Tradition und Moderne auseinander und fragen sich: Wo stehe ich im
Leben? Welche Werte sind mir wichtig?
Was bedeutet das für die Literatur?
Plötzlich spielen Ideen wie Selbstverwirklichung und Ich-Findung eine Rolle, die im westlichen Europa
eine lange Tradition haben. So sagte die junge Autorin Eun Heekyung 1998 bei der Verleihung des YiSang-Literaturpreises: Sie, die nicht die großen Themen ihrer Vorgänger habe, könne nur von ihrem
scheinbar „belanglosen Leben“ schreiben. Indem sie das tut, halten jedoch Themen Einzug in die
Literatur, die lange undenkbar waren. Wenn Eun Heekyung – als Frau – in ihrem Roman „Ein
Geschenk des Vogels“ über Erotik und Sexualität schreibt, dann ist das ein Politikum.
Frauen spielen eine herausragende Rolle in der koreanischen Gegenwartsliteratur. Wie ist das zu
erklären?
Die aktuelle starke Präsenz von Autorinnen ist historisch begründbar. Erst die politischen
Veränderungen in Korea ermöglichten es den Frauen, ihren Erfahrungen eine Stimme zu geben. Das
tun sie auf wunderbare Weise und haben damit großen Erfolg.
Was ist es, das ihre Werke so besonders macht?
Mehr noch als eine spezifisch weibliche Thematik ist es der besondere Blick dieser Frauen auf die
Welt. Ich würde es Innenschau nennen.
Das heißt?
Ganz im Gegensatz zu den älteren koreanischen Autoren, die meist das historische Geschehen in den
Vordergrund stellen, dreht sich bei jungen Autorinnen, wie Jo Kyung Ran mit ihrem Roman „Zeit zum
Toastbacken“, alles um das Individuum, das sich umsieht und fragt: Was passiert um mich herum?
Auch Empfindsamkeit und die Sinnlichkeit der Sprache spielen bei den Frauen eine große Rolle.
Kann man koreanische Autoren lesen, ohne viel über ihr Land zu wissen?
Auf jeden Fall! Denn man erfährt dabei sehr viel über die Menschen, über die koreanische Kultur und
Gesellschaft. Und das Schöne an einem Roman ist doch, dass er uns mitnimmt auf die Reise.
Das Gespräch führte Maike van Schwamen für das ARTE-Magazin, September 2005
Zur Person: Günther Butkus gründete 1981 den Pendragon Verlag und verlegte 1997 mit „Wind und
Wasser“ von Kim Wonil erstmals einen koreanischen Roman. Heute umfasst die „Edition moderne
koreanische Autoren“ 30 Titel.
http://www.sueddeutsche.de
17.10.2005
Buchmesse in Frankfurt
Wir tun hier keinem was zu Leide
Hässlich, niedlich, übervorsichtig wirkt Südkorea, in dieser Woche Gastland der Frankfurter
Buchmesse.
Von CHRISTIAN Y. SCHMIDT
Südkorea ist kein schönes Land. Damit meinen wir nicht die Landschaft. Die geht in Ordnung. Siebzig
Prozent des Südens der koreanischen Halbinsel ist von sanften Hügeln bedeckt und bewaldet. Aber
dort, wo der Mensch Hand angelegt hat, sieht es furchtbar aus. Die Städte machen den Eindruck, als
hätten zwei bitter verfeindete Architektenlager gegeneinander Krieg geführt.
Die eine Partei baute viel zu große Kaufhausklötze ohne Fenster, unproportionierte Kirchen (25
Prozent der Südkoreaner sind Christen) und große Hochhauszusammenrottungen, die andere
Hochzeithallen mit angeklebten Säulen, so genannte "Love-Motels", geschmückt mit Zinnen,
Erkerchen und Türmchen, und Nachtclubs, die "President Club", "Zeus" oder "The White House"
heißen, mit Gips-Posaunenengeln oder Abraham Lincoln vor dem Eingang. Nicht weniger hässlich
sieht es auf dem Land aus, das heißt, in den Tälern zwischen den Bergen. Die sind übersät mit blau
bedachten Fabrikhallen und unansehnlichen Schuhkartonhäusern, noch schlimmeren, weil größeren
Kirchen, zwischen denen sich Planierraupen durch den Schlamm wühlen, um noch mehr
Autobahnkreuze in die Landschaft zu planieren.
So wirkt das ganze Land: als komme es nicht so darauf an. Jedenfalls hat die Koreaner ihre
Geschichte gelehrt: Nichts, was wir bauen, hat Bestand. Vierzehn Tage reisten wir durchs Land und
fanden doch kein einziges authentisches, historisches Bauwerk; jedes ist eine Rekonstruktion aus den
letzten 30 Jahren. Der prächtige Gyeonbok-Palast in Seoul etwa, der sich uns im schönsten
Sonnenlicht vor der Kulisse des Bugak-Berges präsentiert. Ein Schild belehrt uns: "Erbaut 1394 unter
König Taejo, niedergebrannt während der japanischen Invasion von 1592, Wiederaufbau seit 1865, zu
großen Teilen erneut zerstört während der japanischen Kolonialherrschaft (1910- 1945)." Auch der in
einem großen Park gelegene Changdeok-Palast (1412 vollendet, seit 1997 Weltkulturerbe), wurde
mehrmals komplett demoliert; zwischenzeitlich hatten die japanischen Besatzer den Park sogar in
einen Zoo verwandelt.
Wie in der Hauptstadt, so auch im Rest des Landes: Die Haupthalle des einsam gelegenen
Waldklosters Haeinsa aus dem 9. Jahrhundert brannten die japanischen Invasoren 1592 nieder. Der
kleine Hongje-Tempel in der Nachbarschaft wurde insgesamt sechs Mal zerstört. Im Garten stand ein
Gedenkstein für den ehemaligen Abt. Noch 1943 ließ ihn ein japanischer Bezirkspolizeichef
zertrümmern. Ohne Wiederaufbau erinnerten heute wohl nur noch die gewaltigen Grabhügel ihrer
Könige an die Hauptstadt des mächtigen Silla-Reiches (57 vor bis 935 nach Christus), Gyeongju, die
zu ihrer Blütezeit eine Million Einwohner zählte. Die älteste Steinpagode Koreas stand hier - bis die
Japaner sie 1915 zerstörten.
Die Koreaner haben in ihrer Geschichte viel Pech gehabt, wohl mehr als alle anderen Nationen
Ostasiens. Das liegt hauptsächlich an der geografischen Lage der Halbinsel, die umzingelt ist von den
Regionalmächten China und Japan. Noch vor den Japanern kamen 1392 die Mongolen, auch sie
ließen das Land nicht ungeschoren. Nach der japanischen Kolonialherrschaft verwüstete der KoreaKrieg das Land noch einmal. Er kostete rund zwei Millionen Koreanern das Leben. Da mag man die
Lust an Stadt- und Landschaftsplanung sowie am schönen Bauen schon verlieren.
Die Kriegs- und Zerstörungserfahrungen scheinen aber noch andere Spuren in der Nationalpsyche
hinterlassen zu haben. Auf unserer Reise fällt uns die allgemeine Ängstlichkeit der Südkoreaner auf,
ein Sicherheitsstreben, das, zumindest in unseren Augen, zuweilen wahnhafte Züge annimmt. Damit
meinen wir nicht die Grenzsicherungsanlagen entlang des 38. Breitengrads, die bereits am Stadtrand
von Seoul beginnen. Auf unserer Fahrt in die so genannte demilitarisierte Zone - die alles ist, nur nicht
demilitarisiert - passieren wir immer wieder Stacheldrahtabsperrungen, Wachtürme Panzersperren
und Autobahnbrücken, die sich auf Knopfdruck in die Luft sprengen lassen. Diese Anlagen mögen ihre
Berechtigung haben, gab es doch noch bis in die jüngste Zeit hinein diverse Infiltrationsversuche des
Nordens.
Nein, was wir zu beobachten glauben, ist eine Übervorsichtigkeit, die sich in den Lebensalltag
eingeschlichen hat. Da gibt es große Piktogramme in der Seouler U-Bahn, die den Passanten
genauestens instruieren, wie er Rolltreppe zu fahren hat: Am Handlaufband festhalten, Kinder an die
Hand, Vorsicht mit Stöckelschuhen, niemals rennen. In jeder Station findet man versiegelte Sets mit
Taschenlampen an den Wänden, falls mal der Strom ausfallen sollte. Auf einem U-Bahnsteig in Busan
fällt uns ein gelb lackierter Glasschrank auf, der mit Gasmasken gefüllt ist. Und in der brandneuen UBahn von Gwangju werden Kinderzeichnungen ausgestellt, die in lustig-brutaler Deutlichkeit zeigen,
was passieren kann, wenn Menschen ihre Finger in die Steckdose stecken.
Nach nur ein paar Tagen im Land sind wir fest davon überzeugt, dass die Koreaner ständig irgendeine
Katastrophe fürchten und dafür jede erdenkliche Vorsorgemaßnahme treffen. In unserem Hotel in
Gwangju entdecken wir einen an die Wand montierten Kasten, auf dem "Fire Escape Device" steht. Er
enthält ein Seil plus Karabinerhaken, mit dem man sich im Notfall aus dem Fenster abseilen kann,
dazu Gebrauchsanweisungen in einigen Weltsprachen, darunter auch in Deutsch ("Wenn dessen Seil
mehr als ein Meter von der Fallpunkt glost worden ist, dar man den lift nicht gebrauchen"). In den
Seouler Straßen stehen das ganze Jahr über mit Streusandsäcken gefüllte Gitterboxen, als fürchte
man, der Winter könne jeder Zeit hereinbrechen, auch in den schwülheißen Sommertagen. Damit den
Umspannkästen auf den Bürgersteigen auch wirklich nichts passiert, wurden sie mit genopptem
Weichplastik ummantelt. Und selbst auf die entlegensten Zebrastreifen haben die Koreaner Pfeile
malen lassen, die einem die Gehrichtung vorschreiben, wohl um einem eventuellen Zusammenprall
der querenden Passanten vorzubeugen.
Überhaupt der Straßenverkehr: Besonders uns, die wir die anarchischen Verhältnisse in China
gewohnt sind, fällt hier die Übervorsicht auf. Die Koreaner überqueren die Straße nur an den
vorgeschriebenen Überwegen, und gehen niemals, wirklich niemals, bei Rot über die Ampel. Alle
Autofahrer befolgen geradezu sklavisch die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Genauso pedantischängstlich halten sie sich übrigens auf einem ganz anderen Gebiet an die Vorschriften. Koreanische
Pornos, im ganzen Land über Kabel zu empfangen, zeigen zwar durchaus Hardcore-Aktionen. Die
hiesige Zensur schreibt aber offenbar vor, dass dabei auch nicht die Andeutung eines primären
Geschlechtsteils im Bild erscheinen darf - als bräche bei dem Anblick eines Penisfitzelchen ganz
Korea zusammen. Verkrampftere Sexfilmchen sah man noch nie.
"The Paranoid Peninsula" heißt ein Buch, das der britische Koreakenner Paul French jüngst
veröffentlichte. Es handelt eigentlich von Nordkorea. Wir müssen ergänzen: Paranoid ist man auch im
Süden. Ein Teil der Bevölkerung scheint das nicht auszuhalten. Noch nie sahen wir in Asien so viele
bis zur Besinnungslosigkeit Betrunkene auf der Straße. Zum gemäßigt paranoiden Nationalcharakter
passt auch das Bild, das sich die Südkoreaner von sich selber machen. Es ist das einer Comicfigur mit
großen, weit aufgerissenen Augen und einem Kindergesicht auf einem Kinderkörper.
Wir finden dieses Selbstporträt auf Hinweisschildern vor Baustellen, wo ordentlich gescheitelte
Kinderbauarbeiter an die vorgeschriebene Sicherheitskleidung erinnern, auf Wegweisern im Wald, auf
denen kleine Wandersmänner fröhlich vor sich hinstapfen, oder auf einer Tafel auf dem Busbahnhof
von Gwangju, mit der ein Zwergenärzteteam für seine Klinik Werbung macht. Lachende
Comicmännchen und -frauchen, geformt aus Stein, Stahl oder Pflanzen, stehen an jeder dritten
Straßenkreuzung, vor Ticketbuden und Bahnhöfen, sind auf Mülleimer und Parkplatzschilder gemalt.
Selbst ihre alten Silla-Könige, die das Land einst einten, machen die Koreaner klein: Am Eingang zum
großen Hügelgräberfeld in Gyeongju stehen kulleräugige Holzfiguren eines Kinderkönigs und einer
Kinderkönigin, mit viel zu großem Kopf, darauf eine Krone. Heißen soll das alles wohl: Wir sind
niedlich, wir sind harmlos, wir tun keinem was zu Leide. Lasst uns bitte endlich mal in Frieden leben.
Das ist nun wirklich nicht zu viel verlangt. Und so wollen auch wir nicht zu harsch über die
Südkoreaner urteilen, und ihnen noch mal verzeihen, dass sie ihr Land so verschandelt haben.
Allerdings könnten sie bei Gelegenheit noch mal über die Bebauung drüber gehen. Möglicherweise
steht ja dieses Mal doch alles etwas länger.
http://www.haus-der-literatur.de/newsextra/frankfurtbuch.htm
Korea-Schwerpunkt auf der Buchmesse bietet Chance für Kleinverlage
Frankfurt/Main (dpa) - Für zwei Nischenverlage ist das Schwerpunktthema Korea auf der Frankfurter
Buchmesse ein
Glücksfall: Der Pendragon Verlag in Bielefeld und der Peperkorn Verlag im ostfriesischen Thunum
leisten seit Jahren mit ihrem koreanischen Programm wichtige Aufbauarbeit. Schon vor Ende der
Messe am kommenden Sonntag erfreuen sich die Verleger Günther Butkus und Günter Peperkorn
einer größeren Medienaufmerksamkeit als jemals zuvor, von der auch die koreanische Literaturszene
profitieren will. Bücher koreanischer Autorinnen und Autoren fristen in Deutschland und im übrigen
Europa nach wie vor ein Schattendasein.
Allerdings warnen die Verleger vor zu großen Erwartungen auf koreanischer Seite. Die
Verkaufszahlen würden mit der Präsentation auf der Buchmesse nicht sensationell in die Höhe
schnellen. «Das wird sich so nicht einlösen», sagt Butkus. «Ich fürchte, da wird es noch große
Frustrationen geben.» Es sei schon ein Erfolg, wenn der Gastland-Auftritt dazu beitrage, dass nicht
immer das Exotische einer fremden Literatur im Mittelpunkt stehe, sondern über Inhalte von Büchern
gesprochen werde.
Butkus hat seit etwa sieben Jahren einen Korea-Schwerpunkt und derzeit 30 Titel im Programm.
Durch die Konzentration auf moderne Romane, Erzählungen und Gedichte setzt sein Verlag andere
Akzente als Peperkorn. Letzterer hat außer Belletristik auch ein kulturgeschichtlich ausgerichtetes
Programm. «Literatur erfordert schon ein wesentliches Einlassen auf die Fremdheit einer anderen
Kultur», meint Peperkorn. Zwar lasse sich die koreanische Literatur auch ohne Landeskenntnis lesen.
«Es sollte jedoch schon Interesse an der koreanischen Kultur da sein.» Peperkorn brachte zum
Buchmesse-Jahr sieben koreanische Bücher heraus. Normalerweise kommt der Verlag vielleicht auf
drei oder vier Titel im Jahr.
Insgesamt stellt er in Frankfurt etwa 40 Titel vor.
Beide Verlage, die sich schon im Erscheinungsbild voneinander absetzen, sind auf der weltgrößten
Bücherschau mit kleinen Ständen in verschiedenen Hallen vertreten. Einen Austausch zwischen
beiden Verlagen gibt es laut Butkus schon wegen der geographischen Distanz zwischen Bielefeld und
Thunum nicht in dem gewünschten Ausmaß. Als Konkurrenten sähen sich beide Seiten aber nicht.
Als ungewöhnlich wie zweischneidig empfinden beide Verleger die Förderung der Übersetzungen
koreanischer Literatur ins Deutsche.
Die Auswahl treffen fast ausschließlich koreanische Stiftungen.
« Man bekommt eigentlich die fertig übersetzten Bücher», sagt Peperkorn. «Ich glaube, das geht
vollkommen am Markt vorbei, weil die Stiftungen keine Vorstellung vom deutschen Buchmarkt
haben.» Allerdings könnten es sich kleine Verlage wie Peperkorn ohne die finanzielle Förderung für
Lizenzen, Übersetzerhonorare und Herstellung kaum leisten, koreanische Bücher zu veröffentlichen.
+++
19.10.2005
Die 57. Frankfurter Buchmesse ist eröffnet - Korea hofft auf intensiven Kulturaustausch
Frankfurt/Main (ddp-hes). Die Literaturwelt blickt in den kommenden Tagen wieder an den Main. Dort
läuft seit Dienstag die 57.
Frankfurter Buchmesse. Offiziell eröffnet wurde sie am Nachmittag von Hessens Ministerpräsident
Roland Koch (CDU) und dem Premierminister des diesjährigen Gastlandes Südkorea, Lee Hae-Chan.
Der Regierungschef des asiatischen Landes äußerte die Hoffnung, dass der intensive kulturelle
Austausch auf der Messe Ost und West einander näher bringt.
Leider stehe bislang noch immer eine feste Wand zwischen dem Orient und dem Okzident, sagte der
Premierminister. Die Buchmesse biete die Möglichkeit, dass sich die unterschiedlichen Kulturen
begegnen - so wie einst auf der Seidenstraße. Ministerpräsident Koch hob in seiner Rede die
Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Korea hervor. Die Deutschen wüssten, welch schweres
Schicksal die Teilung eines Landes bedeute.
Der Gastland-Pavillon Koreas sollte am Abend eröffnet werden. Ab Mittwoch stehen die Messehallen
dann zunächst dem Fachpublikum offen.
Den Besuchern präsentieren sich über 7200 Aussteller - so viele wie noch nie. Im Vergleich zum
Vorjahr ist die Zahl der vertretenen Verlage und Händler noch einmal um sechs Prozent gestiegen, die
Ausstellungsfläche hat sich um vier Prozent vergrößert.
Zum Auftakt der Messe schöpft die deutsche Buchbranche vorsichtig Optimismus - nach vier Jahren
mit sinkenden oder stagnierenden Umsätzen. In diesem Jahr sei ein Umsatzplus mit einer Eins,
eventuell sogar mit einer Zwei vor dem Komma möglich, sagte der Vorsteher des Börsenvereins des
Deutschen Buchhandels, Dieter Schormann.
Nach seinen Angaben verzeichnete die Branche in ihren drei großen Vertriebswegen Sortimentsbuchhandel, Warenhäuser und E-Commerce - von Januar bis September bereits ein
Umsatzplus von 2,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die unklare politische Lage nach
der Bundestagswahl habe das Konsumklima dann jedoch wieder eingetrübt.
Vom Verkauf des neuen Harry-Potter-Bandes sowie von der Buchmesse erhofften sich die Händler
nun neue Impulse.
In den Jahren ohne Umatzwachstum habe die Branche dazugelernt, betonte Schormann. So
versuchten die Händler jetzt, schneller auf neue Trends zu reagieren. Auch das Ladendesign sei
verbessert worden.
Viele Händler hätten erkannt, dass Buchhandlungen ein Erlebnis- und Wohlfühlort sein müssten.
Bis einschließlich Sonntag werden in Frankfurt rund 270 000 Besucher erwartet. Bis Freitag bleibt die
Messe nur dem Fachpublikum vorbehalten. Am Samstag und Sonntag ist sie dann für jedermann
geöffnet. Am letzten Messetag verwandelt sich die Messe in einen riesigen Buchladen. Über 350 000
Titel können dann zum gebundenen Ladenpreis gekauft werden.
Buchmesse wird mit Südkoreas Ministerpräsidenten eröffnet
Frankfurt/Main (dpa/lhe) - In Frankfurt wird heute (Dienstag) offiziell die 57. Buchmesse eröffnet. Zum
Auftakt der weltgrößten Bücherschau spricht der südkoreanische Ministerpräsident Lee Hae Chan.
Korea ist das diesjährige Gastland der Messe. Die literarische Einführung hält der Schriftsteller Ko Un,
der als Südkoreas bedeutendster Lyriker gilt.
Von Mittwoch bis Sonntag beteiligen sich an der Messe in Frankfurt über 7000 Aussteller aus mehr als
100 Ländern, die rund 100 000 Neuerscheinungen vorstellen. Rund 1000 Autoren werden erwartet,
darunter fast 40 Schriftsteller aus dem Gastland Korea.
Insgesamt rechnet die Messe mit etwa 270 000 Besuchern. Am kommenden Wochenende ist auch
das allgemeine Lesepublikum zugelassen.
Zum Abschluss der Buchmesse wird am Sonntag (23. Oktober) in der Frankfurter Paulskirche der
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk verliehen.
Dichter Ko Un hofft auf neue Wahrnehmung der koreanischen Literatur
Seoul (dpa) - Die Frankfurter Buchmesse bietet dem diesjährigen Gastland Korea nach Ansicht des
bedeutendsten südkoreanischen Gegenwartslyrikers Ko Un eine gute Gelegenheit, sich einen neuen
Platz auf der literarischen Weltkarte zu verschaffen. «Die westliche Literatur hat lange Zeit die
moderne Literatur bestimmt,» sagte Ko (72), der bei der weltgrößten Bücherschau (18.-23.10.) aus
seinem Werk vorlesen wird, in einem dpa-Gespräch in Seoul. «Wir werden diese fest gefügte Struktur
am besten aufbrechen, wenn wir die verschiedenen Seiten der koreanischen Literatur zeigen.»
Die koreanische Dichtung lässt sich nach Kos Darstellung mit westlichen Kategorien nur schwer
erfassen. «Die koreanische Poesie kommt aus dem Schamanismus.» In diesem Punkt lasse sich die
koreanische Gegenwartslyrik nicht nur mit modernistischen Kriterien erklären. Wie ein
schamanistischer Priester, der sich in Ekstase bringt, habe sein Vater früher aus sinnloser Freude wie
ein Kranich getanzt. «Ich habe diese Tollheit von meinem Vater geerbt, und ich glaube, diese ist der
Antrieb meines Schreibens,» sagte Ko, der seit Jahren zum Kreis der aussichtsreichen Anwärter auf
den Literatur- Nobelpreis gehört.
Die Koreaner seien sehr emotional, sagte Ko. Dies könne auch eine Erklärung dafür sein, weshalb der
Lyrik in der Landes-Literatur traditionell ein so hoher Stellenwert zukommt. «Koreaner sagen nicht
einfach, ein Vogel singt, sondern ein Vogel weint, wenn er singt.» Er selbst kenne keine Vorbilder.
«Ich werde eher durch Wind, Fluss und die Zeit inspiriert.»
Sein künstlerisches Schaffen beschreibt der Vielschreiber Ko heute als eine Mischung aus Realität
und Verzweiflung. Dabei sieht er in der Poesie als ein Mittel der Weltschöpfung. «Heute schreibe ich
Gedichte, die eine neue Welt erschaffen. Ich bin ein Träumer.» Seine Dichtung sei aus den Ruinen
des Korea-Kriegs (1950-1953) entstanden.
Die Werke seiner frühen Schaffensphase seien angesichts der Kriegserfahrung von Verzweiflung
geprägt.
Einen Bruch in seinem Leben gab es zur Zeit der Militärdiktatur unter Park Chung Hee. Ko nennt die
öffentliche Selbstverbrennung des Textilarbeiters Chon Tae Il im November 1970 in Seoul als
einschneidendes Erlebnis, das ihn aus seinen damaligen Selbstzweifeln aufgeschreckt habe. Chon
hatte sich aus Protest gegen die Verhinderung eines Arbeitsgesetztes durch die Regierung selbst
angezündet. «Ich sah auf mich selbst zurück, wer ich bin,» sagt Ko heute. Danach habe eine
Schaffensphase eingesetzt, die vor allem durch ein politisch engagiertes, realistisches Schreiben
gekennzeichnet sei.
…
Deshalb ist die Messe mit ihrem diesjährigen Gastland Korea auch ganz glücklich. Zwar gilt die in
Deutschland noch weitgehend unentdeckte koreanische Literatur als eher spröde. Doch der
«Tigerstaat» - im internationalen Buchmarkt weltweit die Nummer sieben - ist für deutsche Bücher
einer der wichtigsten Lizenzabnehmer geworden. Goethe und Schiller genießen dort einen
exzellenten Ruf.
Die ehrgeizigen Südkoreaner - der kommunistische Norden wollte sich nicht beteiligen - sehen die
Einladung als Herausforderung. Mit 15 Millionen Euro investieren sie mehr als jedes Gastland zuvor in
Lesungen und Ausstellungen oder Konzerte, um sich als Kulturnation zu profilieren. Rund 40
koreanische Autoren, die schon seit mehreren Monaten durch Deutschland touren, sind in Frankfurt.
Kaum bekannt ist, dass der Buchdruck mit beweglichen Metall-Lettern von buddhistischen Mönchen in
Korea im 14. Jahrhundert und damit lange vor Gutenberg erfunden wurde.
Umgekehrt will die deutsche Buchbranche dafür sorgen, dass die aktuelle deutsche Literatur wieder
stärker im Ausland Beachtung findet. Erstmals verleiht der Börsenverein am Vorabend der
Buchmesse den Deutschen Buchpreis für die beste literarische Neuerscheinung im
deutschsprachigen Raum. Die Auszeichnung soll an die großen nationalen Buchpreise in Frankreich
oder Großbritannien anknüpfen.
Südkoreas Literaturwelt steht vor neuen Herausforderungen
Seoul (dpa) - Schriftsteller genießen im «Bildungsland» Südkorea nach wie vor hohes Ansehen. Die
Wertschätzung für Dichtung und Philosophie hat in der Kulturtradition des Landes und in der
ostasiatischen Region seit Jahrhunderten eine zentrale Bedeutung. Die Hochachtung vor dem
geschriebenen Wort wird schon durch die große Zahl von etwa 50 000 Büchern belegt, die jedes Jahr
im «Land der Morgenstille» neu herausgegeben werden. Mit einem Buchmarktvolumen von 2,2
Milliarden Euro nimmt Südkorea weltweit den siebten Rang ein.
Hinzu kommt eine dynamische Literaturszene auf lokaler Ebene.
Im krassen Gegensatz dazu steht die Tatsache, dass Korea auf der literarischen Weltkarte bis heute
eine relativ untergeordnete Rolle spielt. Dabei wurden Lyriker wie Ko Un oder Romanautoren wie Yi
Munyol, Hwang Sok-yong oder Jo Jong Rae seit Jahren als Kandidaten für den Literatur-Nobelpreis
gehandelt. Der Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse soll deren Bekanntheitsgrad steigern,
hoffen die koreanischen Organisatoren.
Die koreanische Gegenwartsliteratur bietet nicht nur, wie in anderen Ländern auch, einen Spiegel der
sozialen und kulturellen Verhältnisse. Sie ist auch ein Zeugnis der schwierigen historischen
Bedingungen, unter denen sich die moderne Literatur in Korea entwickelt hat.
Noch sind in der Literatur die Spuren der Traumata deutlich sichtbar, die Fremdherrschaft,
Landesteilung, die Katastrophe des Bruderkriegs mit Nordkorea (1950-1953) und die Militärdiktaturen
im 20. Jahrhundert hinterlassen haben. Literatur in Korea hatte seit der Befreiung von der japanischen
Kolonialherrschaft 1945 auch immer die Aufgabe, die Herausforderungen der Moderne vor dem
Hintergrund der eigenen Tradition zu vermitteln.
Beispielhaft für die Thematisierung des Krieges und seinen Nachwirkungen stehen etwa Werke der
Autorin Pak Wanso oder Autoren wie Kim Won Il, Jo Jong Rae oder Lim Chul-Woo, deren Namen
bislang deutschen Lesern kaum etwas sagten. Dabei ergeben sich aus der Sicht von Literaturexperten
wegen der geschichtlichen Parallele der Teilung in beiden Ländern spannende Vergleiche.
Die Literaturszene in Südkorea befindet sich heute angesichts der politischen und rasanten
wirtschaftlich-sozialen Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten in einer Phase der
Neuorientierung.
Charakteristisch ist die große Zahl politisch engagierter Autoren, die sich in den 70er und 80er Jahren
der Demokratisierungsbewegung angeschlossen haben. Vor nicht allzu langer Zeit landeten Autoren
wie Hwang Sok-yong wegen unerlaubter Kontakte zum kommunistischen Nordkorea noch im
Gefängnis. Doch nach dem Erfolg der Demokratisierung vollzog sich in den 90er Jahren eine Wende.
Der Ton wurde allgemein privater. «Geschichten hielten sich, mit Ausnahmen, an den koreanischen
Raum», sagt die in Seoul lebende Übersetzerin Heidrun Kang. Wichtige Themen sind Familie,
Konfuzianismus, Urbanisierung, Generationsprobleme, Landflucht, Konsum.
Begleitet wurde diese Entwicklung vom Aufstieg junger koreanischer Schriftstellerinnen wie O Jeong
Hui, So Yong Eun oder Kim Chae Won.
« Diese Autorinnen bringen Themen wie die Wiederbelebung des moralischen Gewissens und eines
Wertesystems vor, die bei den gegenwärtigen Veränderungen in Vergessenheit geraten sind», sagt
der Literaturwissenschaftler Kwon Youngmin von der Seouler Nationaluniversität.
Eine wichtige Stellung in der koreanischen Literatur nahm und nimmt die Poesie ein, die als deren
Grundpfeiler gilt. Es gibt mehr als 20 000 Dichter. Vor allem jene der Nachkriegszeit wollten einen
neuen «poetischen Geist» vermitteln und bedienten sich neuer Stilmittel.
Neue Herausforderungen resultieren für die Autoren im Hi-Tech- versessenen Südkorea heute nicht
nur aus der allgegenwärtigen Vernetzung. Vor allem die Annäherung an Nordkorea in den
vergangenen Jahren rückte verstärkt die Frage der Wiedervereinigung ins Bewusstsein. Im Juli
vereinbarten Autoren aus beiden Ländern bei ihrem ersten Treffen nach 60 Jahren, den gerade erst
begonnenen Dialog fortzusetzen. Doch wie schwierig dieser Weg zu begehen ist, machte im August
ein von südkoreanischer Seite organisiertes «Poesietreffen für den Weltfrieden» im nordkoreanischen
Geumgang- Gebirge deutlich: Poeten aus aller Welt folgten der Einladung, ein nordkoreanischer
Schriftsteller wurde jedoch nicht geschickt.
Kurzporträts bedeutender zeitgenössischer koreanischer Autoren
Seoul (dpa) - Die meisten zeitgenössischen koreanischen Autoren sind in Deutschland weitgehend
unbekannt. Es folgen Kurzporträts einiger bedeutender Schriftsteller:
PARK KYUNG RI (78) gilt als berühmteste südkoreanische Autorin.
Ihre 16-bändige Saga «Land« («Toji»), an der sie von 1969 an 25 Jahre lang schrieb, gilt als episches
Schlüsselwerk der koreanischen Literatur im 20. Jahrhundert. Die Geschichte dreier Generationen
einer Familie umfasst die Zeit von der letzten Phase der Joseon- Dynastie (1398-1910) bis zur
Befreiung Koreas von der japanischen Kolonialherrschaft 1945. Sie schildert die Entwicklung des
modernen Korea unter sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Aspekten. Pak wurde in den 60er
Jahren mit ihren Romanen «Kim yakkuk ui ttal tul» («Die Töchter des Apothekers Kim», Pendragon
Verlag, 1999) und «Shijang kwa chonjang» («Markt und Krieg», Secolo Verlag, 2002) bekannt. Sie
gab auch eine renommierte Zeitschrift für zeitgenössische Literatur heraus. Für ihr umfangreiches
Prosawerk wurde Pak mit vielen bedeutenden nationalen und internationalen Auszeichnungen geehrt.
Heute lebt sie in der 120 Kilometer von Seoul entfernten Provinzstadt Wonju und hält an der dortigen
Universität Literaturvorlesungen.
KO UN (72) gilt als bedeutendster lebender Lyriker seines Landes.
Seit Jahren wird er als aussichtsreicher Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis gehandelt. Sein Leben
ist von einschneidenden und manchmal abrupten Veränderungen geprägt. Er war Mönch und
politischer Aktivist, der sich für die die Demokratisierung seines Landes einsetzte. Dafür landete er im
Gefängnis. Er hat in seinem Leben zwei Selbstmordversuche und Jahre als Alkoholiker hinter sich.
Während seiner Jahre in einem buddhistischen Kloster von 1952 bis 1962 begann er zu dichten. Der
Zen-Buddhismus färbte auch auf seine Lyrik ab. In den 70er Jahren wandte er sich von einer
schwermütig gestimmten, rätselhaften Lyrik immer mehr einem politisch engagierten Schreiben zu.
Sein Werk umfasst mehr als 120 Veröffentlichungen, darunter auch Romane, Dramen und Essays.
Einige liegen auch auf Deutsch vor. Noch im Gefängnis Anfang der 80er Jahre beschloss er, über
jeden Menschen zu schreiben, der ihm in seinem Leben begegnet ist. Von dem Gedichtzyklus
«Maninbo» sind bislang 20 Bände erschienen. Ko lebt heute mit seiner Frau in Ansong, zwei Stunden
Autofahrt von Seoul entfernt.
YI MUNYOL (57) ist einer der einflussreichsten lebenden Autoren seines Landes und zudem einer der
ersten Bestsellerautoren, dessen Werke auch über die Grenzen Südkoreas bekannt wurden. In seiner
Heimat ist Yi wegen seiner politischen Ansichten jedoch umstritten.
Vor vier Jahren entzündete er eine Debatte, als er Unterstützer des als liberaler Reformpolitiker
geltenden Präsidenten Roh Moo Hyun in Anspielung auf die radikalen Studentengruppen während der
Kulturrevolution in China als «Rote Garden» bezeichnete. Trotz seines nicht ungebrochenen Ruhms
wird seine Schreibkunst nach wie vor hoch eingeschätzt. Yis Roman «Der entstellte Held», der die
Geschichte eines Schulalltags erzählt, gehört zur Schullektüre in Korea. Die auch auf Deutsch
erschienene Erzählung (Pendragon 1999, Unionsverlag 2004) ist eine Parabel über die Ausübung von
Macht. Als Meisterwerk gilt der biografische Roman «Shi-In» (Der Poet) von 1992, in dem Yi das
Leben eines Dichters nacherzählt.
HWANG SOK-YONG (61) ist nicht nur einer der bedeutendsten, sondern auch einer der international
bekanntesten koreanischen Schriftsteller. Er lebt zurzeit in London. Hwang machte sich auch mit
seinem Eintreten für die Demokratisierung seines Landes und die Annäherung an Nordkorea einen
Namen. 1993 wurde er wegen unerlaubter Besuche in Nordkorea zu sieben Jahren Gefängnis
verurteilt. Im Zuge einer Amnestie des damals neu gewählten südkoreanischen Präsidenten und
späteren Friedensnobelpreisträgers Kim Dae Jung wurde Hwang 1998 freigelassen und später offiziell
als Kulturvertreter in den Norden geschickt. In seinen Büchern variiert Hwang immer wieder das
Thema der Entwurzelung, das der in der Mandschurei geborene Autor am eigenen Leib gespürt hat.
Sein erfolgreicher Debütroman von 1972, «Die Geschichte des Herrn Han» (dtv, 2005), erzählt die
erschütternde Geschichte eines nordkoreanischen Arztes, der während des Korea- Kriegs in den
Süden flüchtet. 1984 veröffentlichte er den zehnbändigen Roman «Dschang Gilsan».
PAK WANSO (74) bildet zusammen mit Park Kyung Ri das Duo der großen alten Damen der
koreanischen Gegenwartsliteratur. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des südkoreanischen
Rundfunks unter Verlegern wurde Pak als Autorin gewählt, deren Büchern sie vor allen anderen den
größten Erfolg wünschten. Paks Werke werden von fast allen Generationen gelesen. Ihr Debüt gab sie
im Alter von fast 40 Jahren mit dem Roman «Namok» («Der nackte Baum»). Es folgten mehr als 20
Romane, Erzählungen und Essays.
Südkoreanische Bücher auf Deutsch - Ausgewählte Titel
Seoul (dpa) - Das einstige «Wirtschaftswunderland» Südkorea wartet noch darauf, auch als
Literaturland entdeckt zu werden. Deutsche Verlage bieten eine Reihe von Übersetzungen, die einen
Eindruck von der Gegenwartsliteratur des Landes ermöglichen. Die veränderte Lebenswelt im Zeitalter
der Globalisierung wird darin ebenso thematisiert wie die Nachwirkungen der Landesteilung, des
Korea- Kriegs und der Diktaturen im eigenen Land. Nachfolgend einige ausgewählte Titel:
Hwang Sok-yong: «DIE GESCHICHTE DES HERRN HAN». Der erfolgreiche Debütroman des
preisgekrönten Schriftstellers aus dem Jahr 1972 erzählt die erschütternde Geschichte eines
nordkoreanischen Arztes, der während des Korea-Kriegs (1950-53) nach Südkorea flieht. Die
Erzählung gilt als Schlüsselwerk der koreanischen Literatur. Die Epoche des Kriegs wird nicht wie in
vielen früheren Fällen in Form einer Heldengeschichte, sondern aus dem Blickwinkel des
geschundenen Individuums dargestellt. Das Schicksal der Hauptfigur beleuchtet exemplarisch die
Erfahrung der Trennung von Millionen koreanischer Familien. (dtv, Euro 12,00)
Friedhelm Bertulies (Hg.): «DIE SYMPATHIE DER GOLDFISCHE». Neue Erzählungen aus Südkorea.
Für einige europäische Leser mögen die Themen nicht so neu sein, doch koreanischen Autoren und
Lesern «brennen sie nach wie vor auf den Nägeln», schreibt der Herausgeber in seiner Einführung.
«Befestigter Gesang» von Yi Munyol spielt in den 60er Jahren um die Zeit der Militärdiktatur von Park
Chung Hee und schildert die zum Teil heillosen Zustände im Militär. Den Rahmen bilden die
Geschehnisse eines Militärmanövers. In «Sympathie der Goldfische» von 1992 hält Lee Chang Dong
der Gesellschaft den Spiegel vor. Ein Lehrer sieht seine Existenz durch seinen Halbbruder bedroht,
der wegen seiner politischen Aktivitäten von der Polizei gesucht wird. In «Bruder!» von Choi In Suk
von 1997 lauert der Ich-Erzähler einer Bekannten auf, die sich als Studentin für die «Revolution»
einsetzte. In einem Buch beschreibt sie später ihren Kampf von damals als Illusion. Den Schluss des
Sammelbands bildet «Die Gezeichnete» aus dem Jahr 1981 von Pak Wanso. Eine Frau sieht dem
Sterben ihrer Mutter zu, die sich an den gescheiterten Versuch erinnert, ihren Sohn zu retten, der
während des Korea-Kriegs zu den «Roten» übergelaufen war. (Suhrkamp, Euro 15,00)
Marion Eggert (Hg.): «WIND UND GRAS». Moderne koreanische Lyrik.
« Wenn es ein Land der Dichter gibt, dann ist das wohl Korea,» schreibt die Herausgeberin in ihrem
Vorwort zu dieser Anthologie. Die Lyrik hat nach wie vor einen hohen Stellenwert in der koreanischen
Literatur und gilt als deren Fundament. Der Bogen des Sammelbands spannt sich vom Anfang der
japanischen Kolonialzeit 1910, als der Modernismus auch in koreanischen Literaturkreisen Einzug
hielt, bis zur Lyrik der Gegenwart. (dtv, Euro 8,50)
Jo Jong Rae: «DAS SPIEL MIT DEM FEUER». Der 1982 veröffentlichte Roman des in seiner Heimat
überaus erfolgreichen Schriftstellers setzt sich mit den Nachwirkungen des Korea-Kriegs auseinander.
Ein erfolgreicher Geschäftsmann wird eines Tages von einem anonymen Anrufer aufgeschreckt. Er
wird mit einer verdrängten Episode aus der Kriegszeit konfrontiert, als er sich einer Bluttat schuldig
gemacht hat. Sein Sohn erfährt von der Geschichte seines Vaters. Der durch zahlreiche
Bedeutungsebenen strukturierte Roman zeigt, wie die Vergangenheit des Krieges bis in die
Gegenwart nachwirkt. In Jo Jong Raes viel gelesenen Romanen fügt sich ein Bild der leidvollen
Geschichte Koreas im 20. Jahrhunderts zusammen. (Edition Peperkorn, Euro 19,00)
Hyok Kang: «IHR SEID HIER IM PARADIES!». Der Autor lebt nach der Flucht aus seiner Heimat
Nordkorea seit 2002 in Südkorea. Aus dem Blickwinkel eines Kindes erzählt er vom Leben im
abgeschotteten Norden der geteilten koreanischen Halbinsel. Die Erinnerungen sind ein
erschütterndes Zeugnis der Lebensbedingungen in einem Land, in dem die Bewohner der
größtmöglichen Kontrolle des Staates unterworfen sind, der sie nicht einmal ausreichend ernähren
kann. Co-Autor des Buches ist der französische Journalist Philippe Grangereau, der Kang während
eines Aufenthalts in Prag im Frühling 2003 getroffen und zu den Aufzeichnungen ermutigt hatte.
(Goldmann, Euro 8,95)
Yi Munyol: «DER ENTSTELLTE HELD». In der inzwischen berühmten Erzählung aus dem Jahr 1987
schildert der Autor die Konflikte innerhalb einer Schulklasse vor dem Hintergrund der Militärdiktatur
nach 1960. Der mit viel psychologischem Scharfsinn verfasste Text wird zur Metapher auf die
Scheinheiligkeit und Korruption in der damaligen Gesellschaft. Erschienen ist das Buch im Bielefelder
Pendragon Verlag, der sich als einziger Verlag in Deutschland bisher systematisch um die
koreanische Literatur gekümmert hat. (Pendragon, 12,80 Euro)
Oh Jung-Hee: «VÖGEL». In ihrem Roman beobachtet Oh die Welt durch die Augen eines
zwölfjährigen Mädchens, das zusammen mit seinem Bruder zu Verwandten abgeschoben wird. Der
Vater, ein Tagelöhner, holt die Kinder zurück, ohne dass sich deren elendes Schicksal wirklich
verändert. Das einfühlsam geschriebene Buch, 2002 zuerst bei Pendragon erschienen und ein Jahr
später mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet, wirft ein Licht auf die soziale Wirklichkeit in der
koreanischen Gesellschaft. (Unionsverlag Zürich, 9,90 Euro)
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