Dritter internationaler Kongress der ESEMP, Grenoble 2013

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Dritter internationaler Kongress der ESEMP, Grenoble 2013:
„Debatten, Polemiken, Kontroversen in der frühneuzeitlichen Philosophie“
Der dritte internationale Kongress der Europäischen Gesellschaft für frühneuzeitliche Philosophie
(ESEMP) wird vom 30. Januar bis zum 1. Februar 2013 an der Universität von Grenoble in Frankreich
stattfinden. Thematisch wird er sich exemplarischen Debatten, Polemiken und Kontroversen in der
frühneuzeitlichen Philosophie widmen. Das Hauptziel des Kongresses besteht darin, einen Überblick
über die gegenwärtige Situation der philosophiegeschichtlichen Aufarbeitung dieser Kontroversen zu
liefern und zu einer Neubewertung der Geschichte der frühneuzeitlichen Philosophie beizutragen. Es
soll zum einen darum gehen, die zahlreichen philosophischen Kontroversen des frühneuzeitlichen
Denkens in einen umfassenden begrifflichen wie historischen Zusammenhang zu bringen, zum
anderen darum, explizit die unterschiedlichen methodischen Ansätze zu reflektieren, die sich für die
Analyse jener Kontroversen anbieten, um deren unterschiedliche Erklärungspotentiale auszuwerten.
I. Zur Fragestellung des Kongresses
1. Warum sollten wir philosophische Kontroversen studieren?
Spätestens seit den 1970er Jahren ist die Erforschung wissenschaftlicher Kontroversen zu einer
wohldefinierten Domäne avanciert, die an der Schnittstelle der Erforschung wissenschaftlichen
Wissens, der Forschung zu Wissenschaft und Technik sowie der Wissenschaftsgeschichte und der
Wissenschaftstheorie liegt. Innerhalb dieser Forschungsfelder erwies sich die Analyse von
Kontroversen als ein wichtiges methodisches Werkzeug zum Erkennen von Entwicklungen, die innerhalb der einzelnen Wissenschaften nicht immer sichtbar werden. Gleichwohl hat sich die
Kontroversenforschung noch nicht als eine maßgebliche Richtung innerhalb der Geschichte der
Philosophie etabliert. Es liegen zwar verstreut einige hervorragende Studien über Kontroversen in
der Geschichte der Philosophie vor, doch bleibt hierbei die am meisten behandelte Gattung die
Monographie, die nur einem Autoren oder einem Konzept gewidmet ist.
Wie schon innerhalb der Wissenschaften kann auch in der Philosophie die Erforschung der Kontroversen helfen, die historische Ausarbeitung neuer Konzepte, neuer Methoden, neuer Argumente und
neuer Systeme zu rekonstruieren und zu verstehen. In der Tat ist es so, dass eine Kontroverse jene
Philosophen, die in sie involviert sind, in die Enge treibt; sie werden dann genötigt, ausdrücklich zu
formulieren, was bislang nur implizit oder sogar unreflektiert in ihren bisherigen Schriften gedacht
wurde. Daher gehört die Erforschung von Kontroversen vollständig in die Geschichte der Philosophie,
sofern diese darauf abzielt, eine philosophische Lehre rational zu rekonstruieren. Darüber hinaus
vermag die Erforschung von Kontroversen aber auch Aspekte von Philosophie aufzudecken, die
üblicherweise im Verborgenen liegen, wie zum Beispiel stillschweigende Konventionen in Bezug auf
das Schreiben oder gewisse Voraussetzungen über dessen soziale Funktionen. Deshalb dürften im
Zuge der Kontroversenforschung auch einige sozialgeschichtliche Fragen angesprochen werden,
welche die Praktiken der Philosophie betreffen: Wer war in die entsprechende Kontroverse
involviert? Welche Medien (Briefe, Bücher, Zeitschriften) spielten hierbei eine Rolle? Über welche
Foren verlief die Kontroverse? Wer bildete das Publikum? Welche Institutionen, im weitesten Sinne
verstanden, spielten hierbei eine Rolle? Welche Beschränkungen von außen traten auf? Gab es
eventuell eine Zensur? Und schließlich bietet die Erforschung der philosophischen Kontroversen auch
eine besondere Gelegenheit, um die Leistungsfähigkeit aktueller kommunikations- und
sozialwissenschaftlicher Konzepte und Methoden zu prüfen und neue methodische Werkzeuge zu
erarbeiten. Insgesamt stellt sich die Kontroversenforschung als ein bedeutsamer Teil der
Philosophiegeschichte dar, der dieser einen Zugang zur Ideengeschichte ebenso wie zur jüngsten
pragmatischen Wende in der Sprachphilosophie eröffnet.
2. Was kann „Kontroverse“ bedeuten?
Im Folgenden wird vorgeschlagen, eine Kontroverse durch drei Merkmale von anderen Formen des
intellektuellen Austauschs zu unterscheiden:
a) Im Unterschied zu fiktiven Dialogen und Kritiken, die an nicht mehr lebende (oder aus
anderen Gründen zur Antwort nicht fähige) Autoren gerichtet sind, entfaltet sich eine
Kontroverse zwischen mindestens zwei lebenden Autoren; im Ergebnis kann keiner von
diesen die Entwicklung voll kontrollieren.
b) Im Unterschied zu friedlicher und einvernehmlicher Kommunikation enthält eine Kontroverse
Konflikt, Meinungsverschiedenheit und Uneinigkeit. Dieser Widerspruch kann sich auf
verschiedenen Ebenen bewegen: Er kann sich aus persönlichen Animositäten speisen; oder
er kann teils die Hartnäckigkeit oder den Dogmatismus betreffen, mit der eine Theorie
verbreitet wird, teils deren Wahrheit oder Angemessenheit.
c) Im Unterschied zu langwierigen und konturenlosen Streitigkeiten ist eine Kontroverse von
begrenzter Reichweite. Selbst dort, wo sie einem zeitlosen Problem gilt, ist eine Kontroverse
auf einen gewissen Raum und eine gewisse Zeitspanne beschränkt.
Aus diesen drei Charakteristika ergibt sich, dass es außer „Kontroversen“ noch zahlreiche andere
Formen geistig-sprachlichen Austauschs unter Lebenden sind, die zur philosophiegeschichtlichen
Erforschung anstehen, wie zum Beispiel „Debatten“, „Streite“, „Polemiken“, „Auseinandersetzungen“
usw. Da diese Formen durchaus unterschiedliche Strukturen haben können, bietet der Kongress die
Gelegenheit, diese unterschiedlichen Arten von Konfliktdiskursen begrifflich zu klären. Dies kann
etwa über die jeweiligen Antworten geschehen, die auf die folgenden Fragen gegeben werden:
-
Gibt es erkennbare faktische Prozeduren oder Schemata, nach denen Kontroversen reguliert
werden oder sogar zum Ende kommen, auch wenn die Beteiligten selbst hier keine einheitlichen Regeln anerkennen? Anders als bei akademischen Disputationen, die nach einem
formalen Schema verlaufen, ist bei historischen Kontroversen nicht zu erwarten, dass die
Kontrahenten sich denselben normativen Prozeduren unterwerfen.
-
Was ist das Ziel einer Kontroverse? Eine Diskussion kann darauf zielen, einen Konsens zu
erreichen, der als gegeben gilt, sobald die Disputanten zustimmen, sei es den Verfahrensregeln, die für die Beendigung der Streitigkeit akzeptiert werden, sei es gewissen
Voraussetzungen. Möglich ist aber auch, dass ein Disputant darauf abzielt, einen großzügigen
Vergleich herbeizuführen, der dann gegeben ist, wenn jeder an der Diskussion Beteiligte
erkennt, dass die vorausgesetzten Annahmen, auf welche sich der jeweils andere Diskutant
beruft, gerechtfertigt sind, auch wenn er sie persönlich nicht akzeptiert.
-
Welche Art von Forum wird für die Kontroverse gewählt? Ist es stets (in welcher Art auch
immer) die öffentliche Meinung, auf die in der Kontroverse Bezug genommen wird, und
wenn ja, was ist dann ihre Funktion? Auch wenn sie in veröffentlichten Schriften verkörpert
sind, dürften einige Kontroversen als „privat“ klassifiziert werden, insofern sie nur die
beteiligten Autoren einbeziehen. Umgekehrt gibt es aber auch Debatten, die die eine oder
andere Form von „öffentlicher Meinung“ involvieren, wobei deren Schilderung ebenso zur
Debatte gehört.
-
In welcher Weise sind rationale Argumente mit strategischen Überlegungen zum Zwecke des
Rechtbehaltens verwoben? Während das rationale Ziel einer Kontroverse – zumindest in der
Philosophie – darin bestehen dürfte, einen Streit über einen bestimmten Problemzusammenhang beizulegen, ist es das strategische Ziel einer Streitigkeit oder Polemik, den Gegner zu
schlagen. Aus diesem Grund werden die Ausdrücke „Streitigkeit“ und „Polemik“ üblicherweise für Konflikte zwischen Persönlichkeiten verwendet, deren Verhältnis zueinander
getrübt ist. Dem widerspricht jedoch nicht, dass sich auch durch die meisten Kontroversen
ein gewisser polemischer Faden zieht.
Unterschiedliche Antworten auf diese Fragen können in mannigfaltiger Art kombiniert werden. Zu
beachten ist freilich, dass die heute üblichen Bezeichnungen für die unterschiedlichen Konfliktdiskurse nicht immer mit denen in der Vergangenheit übereinstimmen. Auch variieren diese Terminologien von einer Sprache zur anderen. Aus diesen Gründen wird den Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern, die am Kongress teilnehmen wollen, keine strenge Typologie von Kontroversen
vorgegeben. Gleichwohl bringen die drei Termini, die im Motto des Kongresses verwendet werden,
nämlich „Debatten“, „Polemiken“ und „Kontroversen“, tatsächliche Unterschiede bei den zu erforschenden Konfliktdiskursen zum Ausdruck. Alle Teilnehmenden sind dazu eingeladen und aufgerufen,
an einer begrifflich geklärten Typologie der zu erforschenden Konfliktdiskurse mitzuarbeiten.
3. Warum sollten wir philosophische Kontroversen in der frühneuzeitlichen Epoche studieren?
Die frühe Neuzeit darf als das Goldene Zeitalter der Kontroverse angesehen werden. Während diese
Epoche manchmal immer noch, einem alten Klischee gemäß, als die Zeit der reibungslosen
Entdeckung der rationalen Grundlagen unserer gegenwärtigen Welt präsentiert wird, dürfte die
Fokussierung des Kongresses auf die philosophisch-wissenschaftlichen Kontroversen gewiss dazu
beitragen, eine differenziertere und subtilere Auffassung von dieser Epoche zu fördern.
Die Renaissance, die Reformation, die wissenschaftliche Revolution sowie die neuen Philosophien,
welche die antiken Autoritäten in Frage stellten, haben zahlreiche Kontroversen entfacht – sei es, um
neue Autoritäten gegenüber den alten ins Spiel zu bringen, sei es, um umgekehrt die antiken
Autoritäten gegenüber den neuen zu rehabilitieren, sei es, um die wesentlichen Charakteristika der
antiken Autoritäten zu identifizieren, oder sei es, um eine Entscheidung darüber herbeizuführen,
welche der neuen Autoritäten bevorzugt werden sollen.
Frühneuzeitliche Philosophen haben zur Erreichung dieser ihrer Vorhaben sowohl antike also auch
neue Formen der geistigen Auseinandersetzung mobilisiert: Die mündliche Praxis der scholastischen
Disputation und die religiösen Fehden der Renaissance waren ihnen noch lebendig; der Austausch
ihrer Briefe entwickelte sich in einer Weise, für die es kein antikes Vorbild gab; Kurzveröffentlichungen, sei es in Pamphleten oder in den neu aufgekommenen Zeitungen, begannen ihren
offiziellen Siegeszug.
Alle diese Entwicklungen der frühen Neuzeit dürften es sehr interessant machen, die Praktiken der
frühneuzeitlichen philosophischen Kontroversen zu erforschen und sie mit den Praktiken ihrer
Vorgänger und Nachfolger zu vergleichen.
II. Zur Organisation und Struktur des Kongresses
Der Kongress wird organisiert von einem wissenschaftlichen Komitee, das sich aus den Mitgliedern
des gegenwärtigen Vorstands der ESEMP und einem Beirat zusammensetzt. Es handelt sich, in
alphabetischer Reihenfolge, um Cédric Brun (Bordeaux), Hubertus Busche (Hagen), Claire Crignon
(Paris 4), Stefano Di Bella (Pisa), Maarten van Dyck (Gent), James Hill (Prag), Susan James (London),
Denis Kambouchner (Paris 1), Pierre-François Moreau (ENS de Lyon), Dominik Perler (Berlin), Sophie
Roux (Grenoble), Udo Thiel (Graz) und Catherine Wilson (Aberdeen).
Vorgesehen sind folgende Arten von Vorträgen:

Drei Hauptvorträge im Plenum; sie werden gehalten von Maria Rosa Antognazza (London),
Marcelo Dascal (Tel Aviv) und Ursula Goldenbaum (Emory).

24 Vorträge im Rahmen von sechs Kolloquien, die sich auf festgelegte Gebiete und
bestimmte Fragen beziehen:
Metaphysik: Sarah Hutton (Aberystwith), Igor Agostini (Lecce), Jean-Pascal Anfray (ENS,
Paris) und Francesco Piro (Salerno);
Naturphilosophie: Valtteri Viljanen (Turku), Christoph Lüthy (Nijmegen), Delphine Bellis
(Paris), Stephan Schmid (Berlin);
Ethik: Gábor Boros (Budapest), Sabrina Ebbersmeyer (München), Martine Pécharman (CNRS),
Peter Kail (Oxford);
Wissenschaftstheorie: Marion Chottin (Paris), Laura Berchielli (Clermont-Ferrand), Falk
Wunderlich (Mainz), Vili Lätheenmäki (Helsinki);
Politische Philosophie: Jean Terrel (Bordeaux 3), Hannah Dawson (Edinburgh), Catherine
Larrère (Paris 1), Margaret Schabas (Cambridge);
Naturwissenschaften: Sorana Corneanu (Bukarest), Raphaële Andrault (Paris 8), Matteo
Valleriani (Berlin), Koen Vermeir (Paris 7).

9 Vorträge, die nach Ablauf des Aufrufs zur Einsendung von Vortragsmanuskripten
ausgewählt werden.
Vorläufiges Kongressprogramm
Wednesday
9-10:30
Thursday
Friday
Plenary lecture I (60’)
Plenary lecture II (60’)
Plenary lecture III (60’)
Marcelo Dascal
Ursula Goldenbaum
Maria Rosa Antognazza
Discussion (30’)
Discussion (30’)
Discussion (30’)
Welcome Address
Pause
10:30-11
11-12:30
Papers 1 & 2
Papers 3 & 4
Papers 5 & 6
A1, A2 (30’+15’)
A3, A4 (30’+15’)
A5, A6 (30’+15’)
B1, B2 (30’+15’)
B3, B4 (30’+15’)
B5, B6 (30’+15’)
Lunch Break
12:30-14
14-15:30
Colloquium 1
(metaphysics)
& 2 (natural philosophy)
Colloquium 3 (moral
philosophy)
& 4 (epistemology)
Colloquium 5 (politics)
& 6 (sciences)
— Colloquium 1
S. Hutton (30’+15’)
I. Agostini (30’+15’)
— Colloquium 3
G. Boros (30’+15’)
S. Ebbersmeyer
(30’+15’)
— Colloquium 5
J. Terrel (30’+15’)
H. Dawson (30’+15’)
— Colloquium 2
C. Lüthy (30’+15’)
D. Bellis (30’+15’)
— Colloquium 4
M. Chottin (30’+15’)
L. Berchielli (30’+15’)
— Colloquium 6
S. Corneanu (30’+15’)
R. Andrault (30’+15’)
Pause
15:30-16
16-17:30
17:30-19
Colloquium 1
(metaphysics)
& 2 (natural philosophy)
Colloquium 3 (moral
philosophy)
& 4 (epistemology)
— Colloquium 1
J.-P. Anfray (30’+15’)
F. Piro (30’+15’)
— Colloquium 3
— Colloquium 5
M. Pécharman (30’+15’) C. Larrère (30’+15’)
P. Kail (30’+15’)
M. Schabas (30’+15’)
— Colloquium 2
V. Viljanen (30’+15’)
S. Schmid (30’+15’)
— Colloquium 4
— Colloquium 6
F. Wunderlich (30’+15’) M. Valleriani (30’+15’)
V. Lätheenmäki
K. Vermeir (30’+15’)
(30’+15’)
Plenary meeting ESEMP
Colloquium 5 (politics)
& 6 (sciences)
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