Beschränkter Verteiler AS/Soc (2012) 06 20. Januar 2012 Asocdoc06_2012 Ausschuss für Sozialordnung, Gesundheit und nachhaltige Entwicklung Austeritätsmaßnahmen – eine Gefahr für Demokratie und soziale Rechte Berichterstatter: Andrej HUNKO, Deutschland, UEL Überarbeiteter Berichtsentwurf I. Einleitung: Weshalb sollen Austeritätsmaßnahmen vom Standpunkt der demokratischen und sozialen Rechte aus geprüft werden? 1. Alle Mitgliedstaaten des Europarates haben die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu spüren bekommen, die 2008 begann, 2010 nachzulassen schien, sich dann jedoch stattdessen in das verwandelte, was heute als sogenannte „Staatsschuldenkrise“ wahrgenommen wird. In vielen Ländern werden derzeit politische und wirtschaftliche Entscheidungen im Zusammenhang mit der Krise getroffen. Aus reiner Notwendigkeit oder, in einigen Fällen aufgrund der aus ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Union und in der „Eurozone“ resultierenden Verpflichtungen, entwickeln einige Länder Austeritätsprogramme oder setzen diese bereits um, die sehr häufig weitreichende Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben und sinkende Beschäftigtenzahlen im öffentlichen Sektor nach sich ziehen. 2. Am 15. September 2011 stellte der Menschenrechtskommissar des Europarates, Thomas Hammarberg, in einem Bericht über einen Besuch in Irland im Juni 2011 fest, dass die in Irland geplanten Haushaltskürzungen sich nachteilig auf den Schutz der Menschenrechte auswirken dürften. Es sei von größter Bedeutung, diese Gefahr zu vermeiden, insbesondere im Hinblick auf die benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Im Lichte der ersten Maßnahmen, die seit 2010 in Mitgliedstaaten ergriffen wurden, ist in der Tat schnell deutlich geworden, dass Austeritätsmaßnahmen zu einer Senkung der Sozialhilfeleistungen (Renten, Behindertenbeihilfen, Arbeitslosengeld etc.) und zu einer sinkenden Qualität der sozialen Dienste im Allgemeinen (Gesundheit, Bildung, Kinderbetreuung usw.) führen. Da diese Folgen häufig bereits wirtschaftlich und sozial benachteiligte Bevölkerungskategorien betreffen, werden Austeritätsmaßnahmen plötzlich zu einer Frage des sozialen Zusammenhalts sowie des Schutzes benachteiligter Gruppen. 3. Die Art und Weise, wie zahlreiche Regierungen vorgehen, um ihre nationalen Haushalte Austeritätsprogrammen zu unterwerfen, sollte auch vom Standpunkt der demokratischen Normen aus hinterfragt werden. Sehr häufig scheint die Souveränität von Staaten und Regierungen in Krisensituationen zu schwinden; Entscheidungen werden anhand sehr kurzfristiger Überlegungen, angeblicher dringender Notwendigkeiten und im Dringlichkeitsverfahren getroffen unter Vernachlässigung der Aspekte der Transparenz und der demokratischen Prozesse. In einigen Fällen werden Austeritätsprogramme von internationalen Gläubigern (wie dem Internationalen Währungsfonds, IWF, oder der Europäischen Union) als Voraussetzung für die Gewährung weiterer F – 67075 Strasbourg Cedex | E-mail: [email protected] | Tél.: + 33 3 88 41 2000 | Fax: +33 3 88 41 27 33 AS/Soc (2011) 51 Darlehen auferlegt. In Ländern, in denen früher autoritäre Regime herrschten, dürfte dies außerdem zu der Kritik führen, dass die Bürger gezwungen werden, Schulden zurückzuzahlen, die durch frühere Misswirtschaft erzeugt wurden. Im Lichte derartiger Tendenzen ist der Berichterstatter der Auffassung, dass die Regierungen den Bürgern ein Mitspracherecht dabei einräumen sollten, ob, wie und wann die Staatsschulden gesenkt werden sollten, und dass sie ihre internationalen Pflichten und Verpflichtungen im Hinblick auf die demokratischen Normen einhalten sollten. 4. Angesichts der Auswirkungen der nationalen Austeritätsprogramme auf die soziale Dienstleistungen und demokratische Entscheidungsprozesse ist es im Laufe des Jahres 2011 weltweit zu Protesten gekommen. Die wichtigsten „Kristallisationspunkte“ der sogenannten „OccupyBewegung“, die auch die größte Aufmerksamkeit in den Medien erhielten, waren die spanische Indignados-Bewegung im Mai 2011 in Madrid, die „Occupy Wall Street-Bewegung“ im September 2011 und das „Occupy London“-Camps im Oktober 2011. Um einen möglichst umfassenden Eindruck zu erlangen, möchte der Berichterstatter auch die Argumente einiger Vertreter dieser Bewegungen in Bezug auf die politischen Reaktionen auf die weltweite Krise hören. 5. Bei der Verabschiedung seiner Stellungnahme „Die Überschuldung der Staaten – eine Gefahr für Demokratie und Menschenrechte“ im April 2011 beschloss der Ausschuss für Sozialordnung, Gesundheit und Familie, vorzuschlagen, einen neuen, separaten Bericht über die Austeritätsmaßnahmen zu erstellen, die gegenwärtig in einer Reihe von Mitgliedstaaten des Europarates umgesetzt werden; diesem Vorschlag folgte die Parlamentarische Versammlung, die vor kurzem den entsprechenden Antrag zur Erstellung eines Berichts an den Ausschuss für Sozialordnung, Gesundheit und Familie weitergeleitet hat. 6. Auf der Grundlage dieses Mandats möchte der Berichterstatter die Ziele und Folgen verschiedener Austeritätsprogramme in den Mitgliedstaaten des Europarates untersuchen. Das Ziel dieser Arbeit wäre es, eine Reihe von Empfehlungen zu erstellen, die einen Beitrag zur öffentlichen Verwaltung und zu wirtschaftlichen Ansätzen leisten, die langfristige Perspektiven, transparente und demokratische Entscheidungsprozesse und die größtmögliche Achtung der europäischen Menschenrechtsnormen, einschließlich der Sozialrechtsnormen, einschließen. II. Austeritätsprogramme und ihre Ziele in Europa Die jüngsten wirtschaftlichen und finanziellen Austeritätsmaßnahmen für notwendig erachtet? Staatsschuldenkrisen: Weshalb werden Ziele der ersten staatlichen Austeritätsprogramme, die in den Mitgliedstaaten des Europarates umgesetzt werden Auswirkungen der seit 2010 umgesetzten Austeritätsprogramme III. Auswirkungen der Austeritätsmaßnahmen auf die europäischen Volkswirtschaften und Gesellschaften Auswirkungen auf die demokratischen Prozesse und Strukturen Auswirkungen auf die Umsetzung der europäischen Menschenrechtsnormen, einschließlich der Sozialrechtsnormen IV. Schlussfolgerungen Erforderliche allgemeine Maßnahmen, die sicherstellen sollen, dass die Austeritätsprogramme die Demokratie und die sozialen Rechte nicht gefährden Erforderliche besondere Maßnahmen zum Schutz benachteiligter Bevölkerungsgruppen Notwendigkeit der Berücksichtigung von Gerechtigkeitsüberlegungen in den Austeritätsprogrammen 2 AS/Soc (2011) 51 Interaktion und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates Vorgeschlagenes Arbeitsprogramm zur Erstellung dieses Berichts für das Jahr 2012 Im Lichte der Dringlichkeit und der Komplexität des Themas wurde vorgeschlagen, zur Erstellung dieses Berichts externen Sachverstand zu nutzen und so bald wie möglich gut ausgewählte Experten zu einer Anhörung zu diesem Thema einzuladen. Es wird daher im Januar 2012 eine Anhörung unter Beteiligung dreier Experten stattfinden: - Heiner Flassbeck, Direktor der Abteilung für Globalisierung und Entwicklungsstrategien (GDS) der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), - Rebeca Mayorga Fernández, Medienjournalistin und Studentin, Madrid (Mitglied der Indignados-Bewegung), - Sonia Mitralia, Fraueninitiativen gegen Schulden und Sparmaßnahmen, Komitee gegen Schulden, CADTM, Griechenland. Es wird vorgeschlagen, den Berichtsentwurf im Mai vom Ausschuss zu verabschieden, so dass er auf der Teilsitzung der Versammlung im Juni 2012 im Plenum diskutiert werden könnte. Dies würde es erlauben, das Thema im Kontext einer Teilsitzung, die größtenteils den Gefahren für die Demokratie gewidmet ist, und gemeinsam mit den Berichten „Die junge geopferte Generation: politische, soziale und andere Folgen der Finanzkrise“ und „Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die kommunalen und regionalen Behörden“ zu erörtern. 3