25 Jahre deutsche Einheit. „Grenzen überwinden - Brücken bauen“ Auf dem Schrenzer bei Butzbach: Drei Bäume für Deutschlands Einheit: Ein „wachsendes Denkmal“ Öffentliche Ansprache von Dr. Dieter Wolf (Stadtarchiv und Museum der Stadt Butzbach) am Freitag, dem 2. Oktober 2015, auf dem Schrenzer bei Butzbach Sehr geehrter Herr Schirmherr Landtagspräsident Kartmann, sehr geehrte Herren Bürgermeister, Herr Debain (Saint-Cyr-l'École), Herr Merle, sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher, sehr geehrte Ehrengäste, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahr 2015 jährt sich die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten zum 25. Mal. Nach einer Idee von Werner Erhardt soll in jeder deutschen Gemeinde ein Baumdenkmal gepflanzt werden - bestehend aus Buche, Kiefer und Eiche. - Auch die Friedrich-LudwigWeidig-Stadt Butzbach beteiligt sich aktiv an der Umsetzung dieser Idee, die von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und auch dem Deutschen Städtetag unterstützt wird. Mit der Pflanzung der drei Bäume auf dem Schrenzer bei Butzbach am 8. November 2014 ist ein „wachsender Gedenkort für Deutschlands Einheit“ geschaffen worden. Er soll besonders auch an den Neubeginn der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten und an die begonnene vielfältige politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche demokratische Entwicklung Deutschlands in einem friedlichen Europa, die vor 25 Jahren ihren Anfang nahm, erinnern. Die Buche im Westen unseres „Freiheitsplatzes“ steht dabei für die Bundesrepublik Deutschland, die Kiefer im Osten für die ehemalige Deutsche Demokratische Republik, die Eiche in der Mitte steht für das wiedervereinigte Deutschland. 1989 haben Hunderttausende mutiger Menschen in der DDR in einer unblutigen, friedlichen Revolution die SED-Diktatur überwunden und die Öffnung der Mauer erzwungen. Sie schufen so die Voraussetzung, dass Deutschland seine Einheit in Frieden und Freiheit wiedererlangen konnte. Das Zusammenwachsen unseres viereinhalb Jahrzehnte durch die Todesgrenze des „Eisernen Vorhangs“ geteilten Landes, der allmählich spürbare Fortschritt und zunehmende Wohlstand im ganzen Land, dessen Wachsen und Gedeihen soll von den drei neugepflanzten Bäumen symbolisiert werden, deren Kronen im Laufe der Jahre zu einer Einheit miteinander verschmelzen werden. Die neu aufgestellten sechzehn Natursteinquader symbolisieren die einzelnen Bundesländer. Der Ort für das Butzbacher „wachsende Denkmal der deutschen Einheit“ ist ganz bewusst gewählt. Seite 1 von 4 Die große freie Lichtung oberhalb der Stadt Butzbach hat über die Jahrtausende hinweg als naher „Hausberg Butzbachs“ auch in den Geschicken unserer Stadt immer wieder eine besondere Rolle gespielt. Der Schrenzer war aber vor allem auch der Lieblings-Aufenthaltsort von Dr. Friedrich Ludwig Weidig (1791-1837), einem der wichtigen Kämpfer für ein einiges, freies deutsches Vaterland in der Zeit des sog. „Vormärz“. Als Vormärz werden die Jahre der Unfreiheit und Unterdrückung vor dem März 1848 bezeichnet, vor der Revolution von 1848/1849 besonders bekannt durch das Frankfurter Paulskirchen-Parlament, die erste für ganz Deutschland frei gewählte demokratische Volksversammlung. „Friedrich Ludwig Weidig, ein Butzbacher Bürger und Vorbild der Demokratie in Deutschland“ Friedrich Ludwig Weidig war 1803 mit seiner Familie nach Butzbach gekommen und lebte hier bis zu seiner Zwangsversetzung 1834. 22 Jahre lang wirkte er als vorbildlicher Lehrer in Butzbach, das er als Heimatstadt ansah, die er sehr liebte. Dr. Weidig baute in kurzer Zeit ein vorbildliches, auch im Ausland hoch gelobtes Schulwesen auf und wirkte, weit über seine Heimatstadt Butzbach bekannt, allseits und unentwegt als „Kulturmotor“. Noch bekannter wurde er aufgrund seiner politischen Tätigkeit, als er in den Jahren ab 1815 auch für das Großherzogtum Hessen eine Verfassung forderte. Er war immer ein unerbittlicher Verfechter von Freiheit, Recht und Demokratie. Bereits früh war Weidig nicht nur mit den politischen Verhältnissen in Hessen selbst unzufrieden, sondern auch mit dem nur lockeren Staatenbund des Deutschen Bundes, die weit von der Idee eines wiedererstarkenden Deutschland entfernt waren. Weidig sehnte sich wie viele kritische Zeitgenossen auch nach einem geeinten deutschen Staat. Dafür setzte er sich immer wieder ein. Deshalb bereitete er z.B. auch im Jahr 1833 die Organisation des bekannten „Hambacher Nationalfestes“ mit vor. Hambach hatte die Wieder-Vereinigung ganz Deutschlands in Form einer Republik zum Ziel. – Weidig war über viele Jahre das Oberhaupt der hessischen Oppositionsbewegung. - Die durch die zunehmende Pressezensur immer geringer werdenden Möglichkeiten, in diesem Deutschland offen freiheitliche, republikanische Überzeugungen zu äußern, ließen auch Weidig 1833 dazu übergehen, mit geheim gedruckten Flugschriften auf die Missstände der Zeit hinzuweisen und diese anzuprangern. Weidig, der seit Jahrzehnten wirkende Anführer der oppositionellen Bewegung in Oberhessen, kam dadurch im Jahr 1834 mit dem jungen Medizin-Studenten Georg Büchner zusammen. Büchner hatte in Frankreich studiert und war von den Idealen der Französischen Revolution begeistert. Büchner – inzwischen ein zu Weltruhm gelangter Dichter - verfasste eine sprachgewaltige, aufrüttelnde politische Kampfschrift gegen Tyrannei und Knechtschaft. Weidig überarbeitete das Manuskript Büchners. Er gab ihr den Titel „Der hessische Landbote“, inzwischen weltweit bekannt. Der politische Sprengstoff, den diese Flugschrift beinhaltet – sie beginnt mit der Parole der Französischen Revolution „Friede den Hütten! Krieg den Pallästen!“, ist bis heute im äußerst scharfen Textstil spürbar! – und Sie, liebe Gäste aus Saint Cyr l’Ecole wissen aus Ihrer tagtäglichen Nachbarschaft mit Versailles, wie die Paläste der absolutistischen Regimes aussahen und wie bedrohlich sie sich auf die Seite 2 von 4 unterdrückte Bevölkerung auswirkten. - Der hessische Landbote wurde von Weidig und seinen Schülern und Freunden in ganz Hessen verbreitet, das Projekt aber bereits bei Erscheinen verraten. Büchner floh ins freiheitlich gesinnte Frankreich, aber Weidig blieb an seinem neuen Wirkungsort in Obergleen, bis er verhaftet wurde.] Weidig starb, von einem unmenschlich vorgehenden, sadistischen Untersuchungsrichter in die Enge getrieben, nach fast zweijähriger Untersuchungshaft im Darmstädter Arresthaus am 23. Februar 1837, vier Tage nach dem Tod des jungen Dozenten Dr. Georg Büchner in Zürich. Weidig starb an den von eigener Hand zugeführten Wunden, durch Aufschneiden der Pulsadern. – Allgemein wurde von den „Regime-Gegnern“ vermutet, dass Weidig im Gefängnis ermordet worden sei. - Weidig wollte durch seinen Freitod wohl wenigstens als Märtyrer dem Kampf für Freiheit und Demokratie (im Sinne der frühliberal-demokratischen wie frühen sozialistischen Bewegung) dienen. In Hessen durfte bis zum März 1848 der Name Weidig nicht (öffentlich) in den Mund genommen werden, da sonst starke polizeiliche Repressionen zu erwarten waren. Hier auf dem Schrenzer hatte Weidig um 1814 das „Schülerexerzieren“ eingeführt. Er richtete zur gleichen Zeit hier den ersten Turnplatz im heutigen Hessen ein, um aus den jungen Schülern auch körperlich tüchtige, starke Menschen zu machen, die auch für den Kampf für ein geeinigtes Deutschland vorbereitet waren. Der junge Lehrer traf sich hier auch oftmals nach dem Unterricht mit seinen Schülern und politischen Freunden und erzählte hier besonders gern und sehr plastisch aus der Geschichte der Germanen und der Deutschen, er rezitierte Gedichte und sang mit Schülern und Freunden Freiheitslieder. So formierte sich gerade an dieser Stelle um den großen Demokraten Weidig die „Butzbacher Freiheitsbewegung“. Als endlich im März 1848 die Realisierung der von Weidig und Büchner gesteckten politischen Ziele in greifbare Nähe rückten, wurde hier auf dem Schrenzer, elf Jahre nach dem schmachvollen Gefängnistod des Freiheitskämpfers Weidig, diesem ein Denkmal in Form eines Ehrenhains gesetzt: Die Bäume des Weidighains wurde mit dem Namenszug des „Märtyrers“, gepflanzt und unter starker Anteilnahme der Bevölkerung eingeweiht. Der v.a. aus Fichten und wenigen Eichen bestehende Weidighain wurde später nur stellenweise erneuert, und er war bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts kaum noch erkennbar. Heute stehen wohl noch zwei Eichen des alten Weidighains. 1848/1849 war Butzbach eine der Hochburgen der parlamentarischen, republikanischen demokratischen Bewegung in Hessen. Die Großveranstaltungen, Gedenkfeiern, Reden und die Paraden der Schützenkompanie und der Bürgerwehr fanden hier auf dem Schrenzer statt, der damals regelmäßig von einem schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer überspannt wurde. 1928 wurde hier zur Erinnerung an den Vorkämpfer für Demokratie, Recht und Freiheit Weidig und für drei Politiker der Weimarer Demokratie das „republikanische Denkmal“ geschaffen, das bereits im April 1933 von den Nazis gesprengt wurde. 1937, bei Eröffnung des „Weidig-Bergturnfestes“, wurde sozusagen als „Ersatz“ dafür ein Findling mit der Aufschrift „Weidig“ zur Erinnerung an den großen Sohn der Stadt Butzbach, den „hessischen Turnvater“ eingeweiht (Der Begriff wird seit 1928 gebraucht). Auf dem bis heute dort Seite 3 von 4 stehenden Weidigstein wurde 1967 eine Bronzeplatte mit einem Porträt ergänzend angebracht. Weidig hat zeitlebens für die Wiedervereinigung der nur los zusammengebundenen deutschen Staaten gekämpft, gehörte zweifelsohne zu den frühen Deutschen, die „Grenzen überwinden“ wollten und „Brücken gebaut“ haben für die Idee eines 1848/1849 kurzzeitig angesteuerten geeinigten demokratischen Deutschlands. Weidig war zweifelsohne einer der Wegbereiter des geeinten Deutschland. Und: Wir demokratisch gesinnten Bürgerinnen und Bürger stehen hier sicherlich an der richtigen Stelle. Seite 4 von 4