Die BRICS-Staaten - Baustein einer globalen Welt Das Akronym BRICS steht für den Staatenverbund der wirtschaftlich aufstrebenden Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Die BRICS Staaten werden häufig als Symbol für eine sich verändernde Weltordnung gehandelt, die die Vormachtstellung des „Westens“ in Frage stellt. Inwiefern dies der Realität entspricht und was die BRICS für das multilaterale Gefüge der Welt bedeuten, wird kontrovers diskutiert. Die sinkenden Wachstumszahlen der sogenannten „emerging economies“ und die teils divergierenden Interessenlagen der einzelnen BRICS-Länder lassen vielerorts Zweifel an ihren tatsächlichen weltpolitischen Einflussmöglichkeiten aufkommen. Ob diese Zweifel nur Ausdruck westlicher Verlustängste sind, oder ob die BRICS tatsächlich nur ein kurzweiliges Phänomen bleiben, wird sich noch zeigen müssen. Klar ist jedenfalls, dass der Staatenbund BRICS für die jeweiligen Mitgliedsstaaten eine neue Plattform bietet, um den bestehenden Multilateralismus zu beeinflussen. Im Juli 2014 kamen die Staats- und Regierungschef der BRICS bereits ein sechstes Mal zu einem Gipfeltreffen zusammen und konnten dort ihr bisher stärkstes gemeinsames Projekt realisieren: die Erschaffung einer eigenen Entwicklungsbank, der „New Development Bank“. Am Anfang war das Wort Die Entstehung der BRICS ist ein anschauliches Beispiel für die Macht der Worte. Das Akronym „BRIC“ (anfangs ohne Südafrika) wurde ursprünglich vom Ökonom Jim O'Neil in 2001 geprägt. In einer Studie für Goldman Sachs mit dem Titel „Building Better Global Economic BRICs“ wies O'Neil auf die wachsende Bedeutung Brasiliens, Russlands, Chinas und Indiens für die Weltwirtschaft hin und empfahl eine stärkere Einbindung dieser Staaten in die Steuerung der Weltwirtschaft.1 Zwei Jahre später wurde diese Forderung von Goldman Sachs mit der Prognose untermauert, dass die BRICs bereits 2050 einen größeren Anteil der an der Weltwirtschaft haben würden als die G6-Staaten.2 Diese Prognosen blieben nicht ohne Wirkung: der Begriff „BRIC“ entwickelte sich schnell zu einer Marke und einem Symbol, nicht nur für die erstarkte Rolle der „emerging economies“, sondern auch für eine Verschiebung der Machtverhältnisse auf globaler Ebene. Bereits seit dem Ende des Kalten Krieges und der Blockkonfrontation, haben sich im globalen multilateralen Gefüge Machtverschiebungen gezeigt. Als dann zu Beginn des 21. Jahrhunderts einige Staaten der ehemals „dritten Welt“ auf ein beachtliches Wirtschaftswachstum verweisen konnten, hatten sie ein gutes Argument für mehr Mitbestimmung in der „global governance“ auf ihrer Seite. Während der Weltwirtschaftskrise 2008 verstärkte sich dieser Effekt, so dass die BRICs zeitweilig als Hoffnungsträger und Stabilisatoren der Weltwirtschaft gehandelt wurden.3 Die BRICs selber erkannten die Gunst der Stunde und es gelang ihnen, sich trotz unterschiedlicher politischer und wirtschaftlicher Ausrichtung eine gemeinsame, institutionalisierte Form zu geben. Nachdem die Außenminister der BRICs 2006 am Rande der UN Generalversammlungen bereits zusammen gekommen waren, fand im Juni 2009 das erste formale 1 O'Neil (2001) Wilson u. Purushothaman (2003) 3 Cooper (2013) 2 Gipfeltreffen der BRICs in Jekaterinburg, Russland, statt.4 Die Gipfeltreffen sind seither ein fester Bestandteil des Staatenbundes und werden jährlich mit wechselndem Gastgeber abgehalten. Mit dem letzten Treffen im Juli 2014 in Forteleza, Brasilien, wurde der erste symbolische Zyklus abgeschlossen. 2015 wird Russland wieder Gastgeber sein und Putin hat bereits angekündigt, ein Konzept für eine engere geopolitische Zusammenarbeit vorzubringen. Das theoretische Konzept einiger Ökonomen manifestierte sich also letztendlich in konkreten diplomatischen Beziehungen. Das Selbstverständnis der BRICs war zum Zeitpunkt des ersten Gipfeltreffens tatsächlich schon über die ursprünglich, rein wirtschaftliche Komponente hinaus gewachsen. In einer gemeinsamen Erklärung zum Gipfeltreffen in Russland, sprachen sie sich zum Beispiel für eine demokratischere und multi-polare Weltordnung aus.5 Ein klares Signal für ihre politische Ausrichtung und gegen die Vormachtstellung des „Westens“. Eine Forderung, an der sie bis heute festhalten. Dieses politische Selbstverständnis der BRICs bietet auch eine Erklärungsgrundlage für die kontrovers diskutierte Aufnahme Südafrikas in den Klub im Jahr 2011. Schaut man sich die Wachstumsraten Südafrikas an, wird schnell deutlich, dass die Aufnahme des Landes keine vordergründig ökonomische Entscheidung gewesen sein konnte. Bereits 2005 veröffentlichte Goldman Sachs eine Liste der „Next 11“ (N-11) bestehend aus den Staaten, die den BRIC Ländern in Bezug auf Wachstumsraten und ihrem Anteil am Weltmarkt konkurrieren könnten.6 Südafrika sucht man auf dieser Liste vergeblich. Um die Wirtschaftsleistung Südafrikas in Relation zu setzten, bietet sich ein Vergleich mit China an: Chinas BIP war 2011 ganze sechs mal größer als das Südafrikas.7 Die Inklusion Südafrikas lässt sich also vielmehr geo-politisch erklären. Zum einen konnten sich die BRICS (ab jetzt mit großem „S“) auf internationaler Bühne nun glaubwürdiger als legitime Interessenvertretung des „Globalen Südens“ präsentieren. Zum anderen - und hier vermischen sich Geo- und Wirtschaftspolitik - eröffnete die Aufnahme Südafrikas auch einen Großteil des afrikanischen Kontinents für eine intensivere Zusammenarbeit. Außerdem ist Südafrika ein Land mit einer stabilen Staatsform und bietet somit eine gewisse Sicherheit für eine langfristige Kooperation. Die Zusammenarbeit der BRICS bezieht sich auf zwei große Bereiche. Zum einen die Kooperation untereinander, bei der es hauptsächlich um Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit geht sowie um Fragen der Sicherheit („Cybersecurity“ und Terrorismus), der Gesundheit, des Technologieaustauschs und der Landwirtschaft.8 Zum anderen haben sie sich die „Koordination“ in multilateralen Foren zur Aufgabe gemacht. Gemeint sind die Institutionen der G20, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank sowie die Vereinten Nationen. Zumindest nach außen präsentieren die BRICS so das Bild eines Bündnisses, das gemeinsam an einem Strang zieht, um die internationalen Machtverhältnisse in Frage zu stellen und aktiv zu verändern. Bei genauerer Betrachtung stellt man aber fest, dass die Interessen der einzelnen Mitglieder teils stark divergieren und dass die bilateralen Verhältnisse innerhalb der Gruppe 4 Harsh (2013) http://www.bricsforum.com/yekaterinburg/ 6 O'Neil (2005) 7 http://www.theguardian.com/world/2011/apr/19/south-africa-joins-bric-club 8 http://brics6.itamaraty.gov.br/about-brics/main-areas-and-topics-of-dialogue-between-the-brics 5 (vor allem zu China als stärkster Volkswirtschaft) auch von gegenseitigem Misstrauen geprägt sind.9 Multilateralismus gleich Multilateralismus? Die BRICS werden in westlichen Medien und Diskursen sehr unterschiedlich bewertet. Während manche das Konzept der BRICS als von vornherein überbewertet und zum Scheitern verurteilt betrachten,10 sehen andere in den BRICS einen wichtigen Partner im internationalen multilateralen Gefüge, mit nicht unerheblichem Einfluss in bestimmten Politikregimen.11 Worauf in der allgemeinen Berichterstattung über die BRICS wenig Augenmerk gelegt wird, ist die Art, wie die BRICS ihren Multilateralismus betreiben. Das Verständnis von Multilateralismus, das den BRICS zugrunde liegt, unterscheidet sich nämlich maßgeblich von dem der Europäischen Union.12 Seit Beginn des 21. Jahrhunderts strebt die EU in ihren internationalen Beziehungen eine Form der Zusammenarbeit an, die sie als effektiven Multilateralismus bezeichnet. Gemeint ist eine regelorientierte Form internationaler Beziehungen, deren Ziel es ist, feste Vertragswerke zu formulieren, an die sich die verschiedenen Parteien halten müssen und in dem Verstöße sanktioniert werden können. Im Gegensatz zur EU verstehen die BRICS (sowie auch andere multilaterale Bündnisse im Asien-Pazifikraum) sanktionierbare Vertragswerke als Eingriff in die staatliche Souveränität der einzelnen Länder. Die BRICS betreiben dementsprechend eine Form des Multilateralismus, die als beziehungsorientiert beschrieben werden kann. Das multilaterale Setting wird hier eher als Forum verstanden, in dem politische Entscheidungsträger sich gegenseitig austauschen, ihre Positionen ausloten und konsensbasierte Entscheidungen treffen. Aus europäischer Perspektive betrachtet, kann diese Form des Multilateralismus schnell als halbherzig oder irgendwie „unfertig“ erscheinen. Das könnte auch erklären, weshalb die BRICS als Staatenbund bis dato von der EU wenig beachtet werden. Ein Multilateralismus, wie ihn die BRICS betreiben, schließt bilaterale Absprachen mit Ländern außerhalb der BRICS nicht aus, wodurch es zu sehr komplexen und nicht immer widerspruchsfreien Beziehungen kommen kann. Deutlich wird das an der relativ hohen Anzahl von unterschiedlichen multilateralen Bündnissen, bei denen sich die Mitgliedschaften der einzelnen Länder häufig überschneiden. Zu nennen sind: das IBSA Dialogforum, bestehend aus Indien, Brasilien, Südafrika; BASIC bestehend aus Brasilien, Südafrika, Indien und China; oder RIC mit Russland, Indien und China. Auch wenn keines der zuletzt genannten Bündnisse aktuell auf der globalen politischen Bühne so stark auftritt wie die BRICS, sind sie im Ganzen doch Zeichen einer offensichtlichen Veränderung des globalen multilateralen Gefüges. Der Versuch der EU, ihr Modell des „effektiven Multilateralismus“ international zu etablieren war bis heute erfolglos. Zwar sind die meisten der BRICS Länder „strategische Partner“ der EU sind, den BRICS als Staatenbündnis wird jedoch wenig Bedeutung beigemessen. Wie effektiv der „effektive Multilateralismus“ der EU ist, bleibt also fraglich.13 9 Harsh (2013: 97ff) Vgl. Harsh (2013) 11 Vgl. Keukeleire & Hooijmaajers (2014) 12 Ebd. 13 Ebd. 10 Indiens außenpolitische Positionierung Die Parlamentswahlen im Mai 2014 in Indien gewann die vorherige Oppositionspartei BJP mit einer absoluten Mehrheit. Oberhaupt der neuen Regierung wurde Narendra Modi, mit dessen Amtsantritt sich auch die Frage der außenpolitischen Ausrichtung Indiens neu stellte. Ein erstes Signal gab Modi bereits bei seiner Vereidigung zum Premierminister, indem er alle Regierungschefs der SAARC Länder einlud. SAARC (Südasiatische Vereinigung für regionale Kooperation) ist ein multilaterales Bündnis der südasiatischen Länder Afghanistan, Bangladesch, Bhutan, Indien, Nepal, Malediven, Pakistan und Sri Lanka. Auch Modis erste Auslandsreisen führten ihn nach Nepal und Bhutan und bereits ende November 2014 besuchte er ein SAARC-Gipfeltreffen. Dort spielte er als Vertreter der starken Volkswirtschaft Indiens natürlich eine große Rolle und versprach indische Investitionen in die produktive Infrastruktur der Region zu verstärken. Zum einen wird darin Indiens Bestrebung sich als regionales Schwergewicht zu etablieren deutlich. Andererseits wurden Modis Ansagen aber ebenfalls als ein Signal in Richtung China gedeutet. Die alte Regierung habe, so die Argumentation, China zu viel Raum in Südasien geboten, und Modi nehme eine seit langem notwendige Kurskorrektur vor.14 Dieses Beispiel allein macht bereits deutlich, dass Indiens Zugehörigkeit zum Bündnis der BRICS nicht notgedrungen eine Einschränkung seiner bilateralen Beziehungen bedeutet. Vor allem in der Beziehung zu China, wird Indiens scheinbar ambivalentes Verhalten immer wieder deutlich. Für Modi scheint es demnach kein Widerspruch zu sein verschiedene „Freundschaftskreise“ zu haben, die sich zwar kennen, aber untereinander nicht sehr gut verstehen. So machte Modi beispielsweise schnell deutlich, dass er die bi- und trilateralen Beziehungen zu Japan und den USA weiter ausbauen will: diesen beiden Ländern galten Modis erste Auslandsreisen außerhalb Südasiens. In Japan bewarb Modi vor allem seine neue Initiative „Make in India“,15 mit der er ausländische Direktinvestitionen in Indien fördern will. Da das Verhältnis zwischen Japan und China zur Zeit im geopolitischen Bereich sehr angespannt ist, hatte Modis Besuch bei Shinzo Abe erhöhte Brisanz. Unter anderem wurde über japanische Investitionen in ein Straßenbauprojekt in Indien nahe der chinesischen Grenze gesprochen. In einer gemeinsamen Erklärung zur Strategischen Partnerschaft der beiden Länder wurde außerdem direkter Bezug auf Frieden und Stabilität in den „miteinander verbundenen Regionen Asien-Pazifik und Indischer Ozean“16 genommen, die eine Kooperation von Indien und Japan gewährleisten könne. Im gleichen Papier werden die trilateralen Beziehungen zwischen Indien, Japan und den USA betont und die Hoffnung auf weitere Vertiefung derselben zum Ausdruck gebracht. Gerade die Tatsache, dass China hierbei nicht explizit auftaucht, verleiht ihm eine starke, implizite Präsenz. Trotz all dem pflegt Modi auch Indiens Beziehungen zu China. So haben sich Modi und Xi seit Beginn 2015 bereits dreimal getroffen. Allerdings wird aus Presseerklärungen nach solchen Treffen immer wieder deutlich, dass das Verhältnis der beiden Länder alles andere als spannungsfrei ist. So sagte die 14 http://timesofindia.indiatimes.com/india/Narendra-Modi-woos-Saarc-nations-pledges-slew-of-investments-to-counterChina/articleshow/45305542.cms 15 http://www.makeinindia.com/ 16 http://mea.gov.in/bilateraldocuments.htm?dtl/23965/Tokyo_Declaration_for_India__Japan_Special_Strategic_and_Global_Partnership chinesische Außenministerin Wang Yi nach einem Treffen mit ihrem indischen Gegenpart Sushma Swaraj, dass China bereit sei, gemeinsame Bemühungen mit Indien zu ergreifen, um den Prozess der Verhandlungen über Grenzfragen voranzutreiben und so den Frieden in der Grenzregion aufrechtzuerhalten.17 Diese Aussage weist auf die Arbeit, die sich noch vor den beiden Ländern befindet. Der bis heute ungeklärte Grenzverlauf (eine Strecke von ca. 2000km) ist nach wie vor ein zentraler Punkt innerhalb der Beziehung der beiden Länder. Modi wird im Mai diesen Jahres Xi Jinping in Beijing treffen. Schon im Vorfeld wurde deutlich, dass auch hierbei die Grenzfrage eine zentrale Stellung einnehmen wird. Passend zum Verständnis von Multilateralismus, das oben beschrieben wurde, kann man Indien eine stark nach eigenem Interesse ausgerichtete Außenpolitik attestieren. Indien möchte außerhalb der BRICS Beziehungen aufrechterhalten, die ihm als vorteilhaft erscheinen, auch wenn dies zu konfligierenden Interessenlagen führen kann. So scheint es ebenso kein Widerspruch zu sein, dass Indien als BRICSMitglied enge Beziehungen zu den USA führt. Die Weltmacht USA ist für Indien als Partner wichtig um die eigene Position global zu stärken. So will Modi das bestehende Atomabkommen mit den USA wieder neu beleben und die bestehende Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik (Framework Agreement for defence cooperation) um zehn Jahre verlängern.18 Obwohl die BRICS sich gegen die ungleiche Verteilung von Entscheidungsgewalt auf der globalen Bühne aussprechen, möchte Indien genau auf diese Entscheidungsgewalt nicht verzichten. An dieser Stelle ist besonders bemerkenswert, dass sich Obama bei seinem Besuch in Delhi im Januar 2015 erneut dazu ausgesprochen hat, sich für eine permanente Mitgliedschaft Indiens im UN-Sicherheitsrat einzusetzen.19 Interne Herausforderungen der BRICS Stimmen, die dem BRICS Konzept eine kurze Zukunft prognostizieren, heben besonders häufig Chinas Rolle innerhalb des Gefüges vor. Neben ungeklärten Grenzkonflikten mit Indien und Russland wird auch Chinas Wirtschaftsmacht als mögliche Bedrohung für den Zusammenhalt der BRICS gesehen. Das BSP Chinas ist mit knapp 8.360 Mrd. US-Dollar20 größer als das der anderen BRICS Staaten vereint. Chinas Währungspolitik, die den Yuan aktiv niedrig hält, um sich Exportvorteile zu verschaffen, wird von außen teils als aggressive Wirtschaftspolitik wahrgenommen.21 Vor allem Chinas wirtschaftliches Engagement in Afrika sorgte bereits in der Vergangenheit für Kritik, so dass 2007 selbst Südafrikas damaliger Präsident Thabo Mbeki davor warnte, dass Afrika eine neue Kolonie Chinas zu werden drohe. Auch Indiens früherer Premierminister Manmohan Singh äußerte bereits Bedenken über Chinas Rolle in Südasien: „China would like to have a foothold in South Asia and leading to reflect on this reality…It's important to be prepared.“ Ganz konkret hat Neu Delhi „Anti-Dumping“ Zölle gegen bestimmte Produkte aus China erhoben, um deren Importe zu zügeln.22 17 http://thebricspost.com/indian-fm-meets-chinese-russian-counterparts/#.VOMYjjWH6Bs https://www.boell.de/de/2014/11/06/modi-hofiert-japan-und-die-usa 19 http://thebricspost.com/obama-renews-old-offer-of-backing-india-unsc-bid/#.VONEpjWH6Bs 20 Aus dem Jahr 2012 in Keukeleire & Hooijmaajers (2014) 21 http://www.cnbc.com/id/100655010 22 Vgl. Harsh (2013) 18 aus Keukeleire und Hooijmaaijers (2014) Neben internen Ungleichheiten stehen die BRICS auch vor regionalen Herausforderungen. Da die Erschaffung eines geschlossenen Länderblocks auch die Gefahr birgt exklusivistisch zu wirken, kommen immer wieder Ängste über die hegemoniale Stellung eines regionalen Schwergewichts an die Oberfläche. So lösten beispielsweise brasilianische Wasserkraft-Projekte in Bolivien starke Proteste in der bolivianischen Zivilgesellschaft aus. Ebenso gab es Proteste in Paraguay, Argentinien und Ecuador gegen Brasiliens Wirtschaftspraktiken in Südamerika.23 Auch Indiens Position in Südasien ist von seinen kleineren Nachbarn nicht immer unbestritten, vor allem, da es nicht verhehlt, sich als regionale Großmacht etablieren zu wollen.24 Ein weiteres Erschwernis für die BRICS sind soziale Probleme innerhalb der Mitgliedstaaten selber. Indien beispielsweise steht vor vielen internen Herausforderungen, die letztendlich auch ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum gefährden können. Korruption, ungleiche Ressourcenverteilung und Armut, Unterund Mangelernährung großer Bevölkerungsteile sowie ein relativ niedriger Alphabetisierungsgrad sind Probleme, mit denen sich die indische Regierung intensiv auseinander setzen muss. Russlands Herausforderung besteht darin, sich in anderen Sektoren als der Öl- und Gasherstellung zu diversifizieren; Brasilien kämpft mit seinem schwachen Bildungssystem und dem daraus folgenden Mangel an Fachkräften, und auch in China leben 23 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.25 Die BRICS stehen also insgesamt vor vielen Herausforderungen. Was die BRICS im Innersten zusammen hält Was ist es nun, das die BRICS-Staaten trotz ihrer großen Unterschiedlichkeit (vgl. Table 1) miteinander 23 Mittelman (2013) Harsh (2013: 102) 25 Mittelman (2013) 24 vereint und zur Zusammenarbeit bewegt? Es gibt einige Eigenschaften, die die Länder der BRICS gemeinsam haben und von denen im Folgenden drei vorgestellt werden. Erstens besitzt jedes der Länder eine gewisse Kapazität zur Einflussname auf die internationale Ordnung regional und global. Außerdem sind die Regierungen der jeweiligen Staaten relativ stabil und haben eine dementsprechende Reichweite. Zweitens ist keines der BRICS-Länder direkter Verbündeter der aktuell einzigen Großmacht USA. Und drittens teilen die einzelnen Länder die Überzeugung, dass ihnen mehr Mitspracherecht in den vorhandenen multilateralen Strukturen zusteht.26 Vor allem der Anspruch auf eine angemessene Repräsentation in multinationalen Institutionen ist eine Forderung, die von den BRICS schon seit längerem sehr deutlich artikuliert wird, und die in der „westlichen Welt“ wohl auch besorgtes Stirnrunzeln verursacht. Quelle: http://brics6.itamaraty.gov.br/ In einer gemeinsamen Erklärung zum letzten Gipfeltreffen in Forteleza forderten sie somit zum wiederholten Mal eine gewichtigere Rolle für Brasilien, Indien und Südafrika in der UN. Dies ist ein Verweis auf die Aufnahme der genannten Länder als permanente Mitglieder in den Weltsicherheitsrat; ein Ziel, das vor allem Indien am vehementesten verfolgt. Man muss allerdings im Auge behalten, dass China der Aufnahme Indiens als permanentes Mitglied im UN-Sicherheitsrat eher kritisch gegenübersteht und schon des Öfteren seine politischen Möglichkeiten genutzt hat, um diese zumindest zu erschweren.27 Daher rührt wahrscheinlich auch, dass in der Erklärung von Fortaleza die permanente Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat nicht explizit gefordert wird. Neben Veränderungen globaler politischer Strukturen fordern die BRICS auch Reformen innerhalb der internationalen Finanzinstitutionen Weltbank und Internationalen Währungsfonds (IWF). Sie wiederholen damit Forderungen, die schon vorher von allen Schwellen- und Entwicklungsländern innerhalb der G20 geäußert wurden. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008 schienen Anstrengungen in diese Richtung von Erfolg gekrönt: 2010 nämlich wurde entschieden, dass das Wahlsystem des IWF und 26 Keukeleire & Hooijmaajers (2014) Vgl. Malone und Mukherjee (2014: 171) 27 der Weltbank reformiert werden sollte. Im IWF sollten die Schwellen- und Entwicklungsländer fortan 44,7 % der Stimmen halten (vorher waren es 39,4 %) und in der Weltbank wurde der Anteil auf 47,9 % erhöht. Allerdings ist die beschlossene Reform des IWF bis heute nicht umgesetzt worden. Besonders für die BRICS-Länder ist dieser Reformstau ein großes Ärgernis. 2012 zahlten sie nämlich gemeinsam insgesamt 75 Mrd. US-Dollar in einen IWF-Rettungsfonds für krisengebeutelte Länder Südeuropas ein. Schon zuvor hatten sich die BRICS besorgt über die Wirtschaftspolitik Europas geäußert und warnten vor negativen Folgen, die ein „Überschwappen“ der Krise auf den globalen Süden verursachen könnte. Mit der Einzahlung in den Rettungsfonds konnten sich die BRICS nun als Unterstützer und Retter der europäischen Wirtschaft positionieren. Sie nutzten diese Position um die Einzahlung an die politische Forderung zu knüpfen, dass die beschlossenen Reformen des IWF auch endlich umgesetzt würden. 28 Der Verdruss der BRICS über die bis heute nicht eingehaltenen Versprechungen wird in der offiziellen Stellungnahme von Fortaleza 2014 deutlich, wo es heißt: „We remain disappointed and seriously concerned with the current non-implementation of the 2010 International Monetary Fund (IMF) reforms, which negatively impacts on the IMF’s legitimacy, credibility and effectiveness.“29 Dieser Hintergrund bietet eine gute Erklärungsgrundlage für die bis jetzt handfesteste Entscheidung der BRICS: Beim sechsten Gipfeltreffen 2014 in Fortaleza beschlossen die Staatschefs die Gründung einer eigenen Entwicklungsbank, der „New Development Bank“ (NDB), und die Einrichtung eines gemeinsamen Fonds (CRA) in Höhe von 100 Mrd. US-Dollar, um finanzielle Engpässe der einzelnen Mitglieder gemeinsam stemmen zu können.30 Die „New Development Bank“ der neuen Geberländer Der Zeitpunkt, den die BRICS wählten, um ihre Pläne zur Einrichtung der New Development Bank (NDB) zu verkünden, war symbolträchtig – es handelte sich um den 70. Jahrestag des Bretton-WoodsAbkommens, also der Geburtsstunde des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.31 Dieser direkte Bezug zu den westlich dominierten internationalen Finanzinstituten, welche die Spielregeln der Weltwirtschaft maßgeblich festlegen, erscheint fast wie eine Kampfansage gegen die bestehende Ordnung. Vor allem die neoliberale Ausrichtung der Weltbank und des IWF, deren Kredite meistens an die Bedingung geknüpft sind, marktorientierte Reformen durchzusetzen, wird von vielen Entwicklungs- und Schwellenländern immer wieder kritisiert. Die NDB ist deshalb auch nicht die erste multilaterale Entwicklungsbank, die im globalen Süden verortet ist. Da sind unter anderem die African Development Bank und die Asian Development Bank zu nennen. Ein berühmtes Beispiel ist auch die „Bank des Südens“ (Banco del Sur), die bereits 2009 von verschiedenen Ländern Lateinamerikas, mit der 28 Vgl. Keukeleire & Hooijmaajers (2014) http://brics6.itamaraty.gov.br/category-english/21-documents/223-sixth-summit-declaration-and-action-plan 30 http://thebricspost.com/brics-discuss-ratification-of-new-bank-100-bn-cra/#.VLuy2DWH6Bs (Zugriff: 15.01.2015)l 31 http://www.wallstreet-online.de/nachricht/6978219-brics-new-development-bank-alternative-iwf-weltbank (Zugriff: 15.01.2015) 29 Hauptintention, die Abhängigkeit vom IWF zu verringern, gegründet wurde.32 Das Besondere an der New Development Bank ist, dass sie im Vergleich zu anderen multilateralen Entwicklungsbanken des globalen Südens, nicht nur trans-national, sondern trans-regional aufgestellt ist. Dieser globale Aspekt der NDB wird durch die Arbeitsteilung, auf die sich die Mitgliedsstaaten geeinigt haben, verdeutlicht: Der Hauptsitz der NDB wird in Schanghai sein und ein erstes Regionalzentrum der Bank soll in Johannesburg eingerichtet werden; die erste Präsidentschaft wird von Indien übernommen, Brasilien bekommt den Vorsitz im Verwaltungsrat, und Russland den im Aufsichtsrat. Die BRICS demonstrieren hier also Gleichberechtigung, was angesichts der so häufig betonten Wirtschaftsstärke Chinas ein wichtiges Signal nach außen und innen ist. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, die Stimmrechtsverteilung innerhalb der Bank zu erwähnen: Jedes Mitgliedsland hat eine Stimme und es ist kein Vetorecht vorgesehen. Die BRICS werden also ihren eigenen Ansprüchen gerecht und setzen das Modell um, welches sie vom IWF und der Weltbank fordern. Die wirtschaftlichen Unterschiede der Mitglieder zeigen sich bei der Einrichtung des „Contingent Reserve Arrangement“ (CRA). Zwar haben alle Mitglieder gleiches Anrecht auf die Rücklagen im CRA, aber von den insgesamt 100Mrd. US-Dollar wurden ganze 41Mrd. US-Dollar von China allein getragen. Indien, Russland und Brasilien stellten jeweils 18Mrd. US-Dollar zur Verfügung und Südafrika – als kleinste Volkswirtschaft – nur 5 Mrd. US-Dollar33. Das CRA ist eine Sonderrücklage, die in Notfällen (wie z.B. rapidem Währungsverfall) die entsprechenden Länder unterstützen und somit eine stabilere Gesamtwirtschaft gewährleisten soll. Die BRICS wollen sich mit der CRA auch vor eventuellen Folgen der immer noch nicht überwundenen Weltwirtschaftskrise schützen. Die NDB als Motor der Süd-Süd-Kooperationen Alle BRICS Staaten sind nicht nur Empfänger von Entwicklungszusammenarbeit, sondern agieren selber als Geberländer. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „neuen Gebern“, die im Gegensatz zu den „traditionellen Gebern“ im globalen Süden zu finden sind. Indien ist beispielsweise vor allem regional als Geber im Staatenbund SAARC (South Asian Association for Regional Cooperation) aktiv. Solche Süd-Süd-Kooperationen (SSK) sind kein allzu neues Phänomen, bereits 2009 entwickelten die Gruppe der 77 (G77) erste Prinzipien der SSK.34 Schon heute beträgt der Anteil der SSK an der gesamt geleisteten Entwicklungszusammenarbeit 20 % und der Trend ist steigend35. Mit der New Development Bank wird sich dieser Anteil in Zukunft mit Sicherheit erhöhen. Dabei ist es das selbst gegebene Ziel der NDB solche finanziellen Mittel aufzubringen, die durch die Weltbank und den IWF nicht geleistet werden. Ihr Fokus liegt dabei weniger auf der Förderung sozialer, als auf der Förderung produktiver Infrastruktur. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich, dass die NDB als Gegenspieler zur Weltbank auftreten wird. Realistischer ist die Einschätzung, dass sie die Arbeit der Weltbank ergänzen wird. Inwiefern sie 32 http://www.washingtonpost.com/blogs/monkey-cage/wp/2014/07/17/what-the-new-bank-of-brics-is-all-about/ (Zugriff: 15.01.2015) 33 „Treaty for the Establishment of a BRICS Contingent Reserve Arrangement“ Online: http://brics6.itamaraty.gov.br/agreements 34 http://www.g77.org/doc/Declaration2009.htm (Zugriff: 15.01.2015) 35 Morazán und Müller (2014) es dabei schaffen wird, andere Schwerpunkte und Standards zu setzen als die der etablierten Finanzinstitute, wird sich erst in Zukunft zeigen. Es wird hier aber wieder einmal deutlich, dass die globalen Verhältnisse im Wandel sind. Die Großmächte Europa und USA müssen sich damit vertraut machen, dass es auch andere Entscheidungsträger gibt, ohne die eine global governance nicht durchführbar sein wird. Ob das zwangsläufig bedeutet, dass sich der Machtpol auf einzelne Akteure wie den BRICS verlagert, ist fraglich. Aktuell zeichnet sich eher eine multipolare Ordnung ab, in der die verschiedenen Akteure je nach Politikregime und Eigeninteresse unterschiedlich stark auftreten. Es bleibt also spannend, wie sich die BRICS in Zukunft verhalten und wie sie sich global positionieren. Referenzen • Wilson, Dominic u. Roopa Purushothaman „Dreaming With BRICs: The Path to 2050“, Global Economics Paper 99, Goldman Sachs, 01.10.2003. • Cooper, Andrew F. „Squeezed or revitalised? Middle powers, the G20 and the evolution of global governance“ in Third World Quaterly, Juli 2013. • Keukeleire, Stephan und Bas Hooijmaaijers „The BRICS and Other Power Alliances and Multilateral Organizations in the Asia-Pacific and the Global South: Challenges for the European Union and Its View on Multilateralism“ in Journal of Common Market Studies, Volume 52. Number 3. pp. 582–599, 2014. • Malone, David M. und Rohan Mukherjee „Dilemmas of Sovereignty and Order: India and the UN Security Council“ in Waheguru Pal Singh Sidhu et al. Shaping the emerging World: India and the Multilateral Order, Brookings Institution Press, 2014. • Mittelman, John H. „Global Bricolage: emerging market powers and polycentric governance“ in Third World Quarterly, 34:1, S. 23-37, 2013. • Morazán, Pedro und Franziska Müller „BRICS als neue Akteure der Entwicklungspolitik - Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika als Geber“, SÜDWIND – Institut für Ökonomie und Ökumene, 2014. • O'Neil, Jim „Building Better Global Economic BRICs“, Global Economics Paper 66, Goldman Sachs, 30.11.2001. • O'Neil, Jim et al. „How Solid are the BRICs?“ Goldman Sachs Global Economics Paper 134, 01.12.2005. • Pant, Harsh V. „The BRICS Fallacy“ in The Washington Quaterly, Oktober 2013.