Gedanken zum Programm

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Gedanken zum Programm
Rund 5000 junge amerikanische Musiker studierten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
in Deutschland, darunter allein 72 bei Josef Gabriel Rheinberger in München, der als einer der
angesehensten Kompositionslehrer seiner Zeit galt. Zu diesen jungen Amerikanern zählte
auch Horatio Parker (1863–1919), der ab 1882 ein dreijähriges Kompositionsstudium bei
„old Rheinberger“ absolvierte. Nach seiner Rückkehr in die USA war er zunächst als Organist
in New York und als Lehrer am dortigen National Conservatory tätig, bis er 1894 an die
schon damals berühmte Yale University in New Haven (Connecticut) berufen wurde.
Parker komponierte Opern, Oratorien, Kammermusik und – naheliegend für einen Organisten,
der bei Josef Gabriel Rheinberger studiert hatte - einige Orgelwerke, darunter eine bedeutende
Sonate in es – Moll. Seine Kompositionen sind vom spätromantischen Geist der europäischen
Musik geprägt, den er in München kennengelernt hatte. Das zeigt sich sehr deutlich in den
vier zu Anfang erklingenden „Charakterstücken“ für Orgel op. 66, ein Genre, das sein Lehrer
Rheinberger „erfunden“ hatte. Allerdings hat seine Musik ebenso eine sehr persönliche und
stilistisch individuelle Handschrift vor allem in Bezug auf seine Harmonik und Rhythmik, die
in denen man die Anfänge einer eigenen, amerikanischen Musiktradition sehen kann.
Charles Ives (1874–1954) zählt neben Samuel Barber, Aaron Copland und George Gershwin
zu den bekanntesten amerikanischen Komponisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Alle drei hatten keine unmittelbare Verbindung mehr zur europäischen Musik. Ives
absolvierte zwar bei Horatio Parker an der Yale University ein Kompositionsstudium, ging
aber schon in seinen ersten Werken eigene, unkonventionelle Wege. Erst nach und nach
wurden vor allem seine sechs Sinfonien auch in Europa bekannt.
Die Variationen über „America“ schrieb Ives bereits im Alter von 18 Jahren. Die Melodie
dieses aus England stammenden Liedes hat eine bewegte Geschichte. Im 18. Jh. „emigrierte“
sie in die USA, wo sie bis heute im Gottesdienst als „patriotisches Kirchenlied“ gesungen
wird. Am Anfang des 19. Jahrhunderts avancierte sie mit dem Text „God save the Queen“ zur
englischen Nationalhymne, ab 1871 hatte sie - nun mit dem Text „Heil dir im Siegerkranz“ eine ähnliche Funktion im deutschen Kaiserreich. Es fällt uns deshalb schwer, die Melodie im
Sinne des Komponisten „unvoreingenommen“ als Kirchenlied zu hören. Die Musik weicht
zudem völlig von der uns vertrauten Art einer Choralbearbeitung ab, jede Variation überrascht
mit unerwarteten Klängen oder Rhythmen, in den „Interludes“ erprobt der junge Komponist
erstmals (weit vor Strawinsky oder Milhaud) die von ihm häufiger verwendete Bitonalität.
James H. Rogers (1857–1940) studierte Komposition, Klavier und Orgel zunächst für zwei
Jahre (1875/76) in Berlin, bevor er für drei Jahre nach Paris ging, wo Alexandre Guilmant und
Charles Marie Widor seine Orgel- und Kompositionslehrer wurden. In den USA war er
danach als Organist an großen Kirchen in Cleveland sowie als Lehrer am Oberlin
Conservatory tätig. Als Komponist wurde er in den USA bekannt durch seine Chor- und
Orgelwerke, hier besonders durch seine Orgeltranskriptionen, unter denen die des
Feuerzaubers aus der Walküre von Richard Wagner die interessanteste ist. Diese
Transkription ist eine Reverenz an die europäische Musik in dem Bemühen, die Musik
Wagners dem amerikanischen Publikum zu vermitteln. Rogers hat die ergreifende
Schlussszene aus der Walküre in genauer Kenntnis der Musik und der spieltechnischen und
klanglichen Möglichkeiten des Instrumentes für die Orgel bearbeitet. Von einigen Kürzungen
in der Einleitung abgesehen folgt die Transkription exakt der Musik Wagners.
In den zwanzig Orgelsonaten von Josef Gabriel Rheinberger (1839–1901), die zwischen
1868 und 1901 entstanden, vollendet sich die Entwicklung der Orgelsonate im 19.
Jahrhundert, die Felix Mendelssohn mit seinen „Sechs Orgelsonaten“ op. 65 im Jahre 1845
begründet hatte. Die hier erklingende Sonate Nr. 2 As Dur op. 65 entstand 1871 und
begründeten den Ruhm des jungen Komponisten in München.
(Rudolf Innig)
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