CIVEX-VI/011 8. Sitzung der Fachkommission, 19. April 2016 ARBEITSDOKUMENT der Fachkommission für Unionsbürgerschaft, Regieren, institutionelle Fragen und Außenbeziehungen Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik _____________ Berichterstatterin: Anne Quart (DE/SPE) Staatssekretärin für Europa und Verbraucherschutz, Ministerium für Justiz, Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg _____________ Dieses Dokument wird in der Sitzung der Fachkommission für Unionsbürgerschaft, Regieren, institutionelle Fragen und Außenbeziehungen am 19. April 2016 von 11.00 bis 17.00 Uhr erörtert. COR-2016-00982-00-00-DT-TRA (EN) 1/8 — Rue Belliard/Belliardstraat 101 — 1040 Bruxelles/Brussel — BELGIQUE/BELGIË — Tel.: +32 22822211 — Fax +32 22822325 — Internet: http://www.cor.europa.eu DE Referenzdokument JOIN(2015) 50 final COR-2016-00982-00-00-DT-TRA (EN) 2/8 Arbeitsdokument der Fachkommission für Unionsbürgerschaft, Regieren, institutionelle Fragen und Außenbeziehungen – Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik I. POLITISCHE EMPFEHLUNGEN Rahmen der Debatte Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) ist eine der fünf politischen Prioritäten des AdR für die Mandatsperiode 2015-2020. Am 9. Juli 2015 nahm der Ausschuss seine Stellungnahme mit dem Titel Eine neue Europäische Nachbarschaftspolitik an. Am 18. November 2015 wurden die Ergebnisse der Überprüfung vorgestellt. Politischer Kontext der Debatte Die Gesamtsituation auf internationaler Ebene ist komplizierter geworden. Gerade in Europas Nachbarschaft hat sich die Sicherheitslage besonders dramatisch verschlechtert. Es herrschen starke Spannungen zwischen der NATO und Russland. Es besteht wenig Aussicht auf ein Ende des Kriegs in der Ukraine und eine Lösung der eingefrorenen Konflikte in der Östlichen Nachbarschaft. Die Reformprozesse in einigen Ländern der Östlichen Partnerschaft sind von Stillstand oder gar Rückschlägen gekennzeichnet. Der Krieg in Syrien hat zu einer gefährlichen militärischen Konfrontation zwischen rivalisierenden globalen und regionalen Akteuren geführt. In vielen Ländern der Südlichen Nachbarschaft sind in zunehmendem Maße Radikalisierung und Extremismus zu verzeichnen. Die dramatischen sozialen und wirtschaftlichen Probleme haben zu einer humanitären Krise und zu einer Flüchtlingskrise geführt. Das ungelöste Nahostproblem stellt weiterhin ein Hindernis für den Dialog und die Zusammenarbeit in der Region dar. Gleichzeitig sieht sich die EU mit einer inneren Krise konfrontiert, die das Vertrauen in ihre Politik und ihre Institutionen betrifft. Die Reaktion der EU auf die Staatsschuldenkrise hat erhebliche negative Auswirkungen auf die soziale Situation vieler Bürgerinnen und Bürger der EU. Die Tatsache, dass es nicht gelingt, eine gemeinsame Antwort der EU auf die Flüchtlingskrise zu finden, führt zu einem wachsenden Misstrauen gegenüber den Institutionen der EU. Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie und Rassismus sind auf dem Vormarsch. Die Frage, wie die EU mit diesen Problemen umgehen wird, hat bedeutende Auswirkungen auf die Entwicklungen in ihrer Nachbarschaft. Die neue Nachbarschaftspolitik der EU Bei ihrer Einführung im Jahr 2003 bestand das vorrangige Ziel der ENP in der Förderung von politischen und wirtschaftlichen Reformen. Im Zuge der Überprüfung der ENP wurde ein neues übergeordnetes Ziel formuliert: die "Stabilisierung der Nachbarschaft". Die EU wird den Schwerpunkt ihrer Bemühungen stärker auf eine Differenzierung zwischen den Partnerländern sowie auf gemeinsame Interessen und weniger auf eine Annäherung an die Werte und Normen der EU legen. Der multilaterale Rahmen der Östlichen Partnerschaft und der Union für den Mittelmeerraum sollte gestärkt werden. Weitere regionale Akteure – außerhalb der Nachbarschaftsregion – sollten stärker beteiligt werden. Gute Regierungsführung, Demokratie, Menschenrechte und demokratische Freiheiten werden weiterhin auf der Tagesordnung stehen. Die EU stellt im Rahmen des Europäischen Nachbarschaftsinstruments für den Zeitraum 2014-2020 einen Betrag von rund 15 Mrd. EUR bereit. Trotz der offensichtlichen Probleme werden diese Bestimmungen aller Voraussicht nach nicht COR-2016-00982-00-00-DT-TRA (EN) 3/8 überarbeitet. Die ENP beruht weiterhin auf einem "Top-Down"-Ansatz, obwohl ein großer Schwerpunkt auf Kontakte zwischen den Menschen und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft gelegt wird. DER EUROPÄISCHE AUSSCHUSS DER REGIONEN Allgemeine Erwägungen 1. ist der Ansicht, dass die Förderung von Sicherheit und Wohlstand in der Nachbarschaft der EU zu den obersten Prioritäten der Außen- und Sicherheitspolitik der EU zählen sollte; 2. betont, dass Europa nicht durch militärische Stärke den größten Einfluss auf Sicherheit und Wohlstand in seiner Nachbarschaft ausübt, sondern durch die Attraktivität des sozioökonomischen Modells der EU, die Einheit und Solidarität zwischen den EUMitgliedstaaten, nachhaltiges Wachstum, Demokratie und die Achtung der Menschenrechte und demokratischen Freiheiten; 3. unterstützt die Ergebnisse der Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik; 4. bekräftigt die Standpunkte, die er in seiner Stellungnahme mit dem Titel Eine neue Europäische Nachbarschaftspolitik vom 9. Juli 2015 zum Ausdruck gebracht hat; 5. betont in diesem Zusammenhang vor allem, dass die Nachhaltigkeit von Partnerschaften durch den Ausbau der Zusammenarbeit auf lokaler und regionaler Ebene und nicht vornehmlich auf der zwischenstaatlichen Ebene gestärkt werden sollte; bedauert, dass in der Gemeinsamen Mitteilung zur Überprüfung der ENP die Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften nicht ausdrücklich anerkannt wird, obwohl diese aufgrund ihrer besonderen Befugnisse und demokratischen Legitimität getrennt von der Zivilgesellschaft erwähnt werden sollten; besteht darauf, dass lokale und regionale Gebietskörperschaften in jeder Umsetzungsphase der ENP – von der Programmplanung bis hin zur demokratischen Kontrolle – eingebunden werden sollten; 6. begrüßt die Absicht, die subnationale, nationale und intraregionale Zivilgesellschaft – wie zuvor vom AdR vorgeschlagen – weiter zu unterstützen; wiederholt seine Empfehlung, dass die Visapolitik der EU einer systematischen Analyse unterzogen werden sollte, um Kontakte zwischen den Menschen zu erleichtern, die in Grenzregionen von besonderer Bedeutung sind; 7. stellt fest, dass die ernsthafte Destabilisierung in zahlreichen Ländern und Regionen in der Nachbarschaft der EU – der Krieg in der Ukraine und in Syrien, der israelisch-palästinensische Konflikt, die eingefrorenen Konflikte in Transnistrien, Bergkarabach und Georgien, das Ausbleiben einer politischen Lösung in Libyen – die Umsetzung der überprüften ENP hemmt; betont, dass es wichtig ist, realistische Ziele auf der Grundlage einer realistischen Bewertung festzulegen und die Zusammenarbeit zwischen denjenigen Partnern zu organisieren, die ein echtes Interesse an einer Zusammenarbeit und auch die Fähigkeit haben, nachhaltige Ziele zu erreichen; COR-2016-00982-00-00-DT-TRA (EN) 4/8 8. besteht darauf, dass trotz der notwendigen Differenzierung kein Land und keine Region bei der Umsetzung der überprüften ENP vernachlässigt werden darf und dass weiterhin ein Gleichgewicht zwischen der Östlichen und der Südlichen Nachbarschaft gewahrt werden muss; Herausforderungen im Zusammenhang mit der Stabilität 9. weist darauf hin, dass es keine Alternative zu einem komplexen, auf Zusammenarbeit basierenden Ansatz gibt, um die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Stabilität in der Nachbarschaft zu bewältigen; betont, dass vorrangig die sozioökonomischen Ursachen der aktuellen Herausforderungen in Bezug auf Sicherheit und Migration angegangen werden müssen; 10. begrüßt die Zusage der EU, gemeinsam mit den Partnern der ENP an der Umsetzung der Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu arbeiten; betont, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen ein entscheidender Punkt für die Zukunft der meisten Nachbarschaftsländer ist; begrüßt es, dass ein besonderer Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen und Auslandsinvestitionen gelegt wurde; betont, dass hierfür ein Mehrebenen-Ansatz – von der nationalen zur regionalen und lokalen Ebene – sowie regionale, subregionale und grenzübergreifende Zusammenarbeit notwendig sind, wobei es dank dieser Zusammenarbeit möglich sein muss, die Mitgliedstaaten der EU, die Partnerländer und deren lokale und regionale Gebietskörperschaften zu mobilisieren; fordert realistische Konzepte und Programme, die einen konkreten Nutzen für die einfachen Menschen bringen; 11. betont, dass Wege erforscht werden müssen, um zurück zu einem Dialog und zur Zusammenarbeit mit Russland zu gelangen, und weist darauf hin, dass auf der subnationalen Ebene und der Ebene von Unternehmen auch weiterhin eine Zusammenarbeit und ein Dialog zwischen der EU und Russland bestehen und dass dieses Potenzial besser genutzt werden sollte; 12. bekräftigt den Standpunkt, den er in seiner Stellungnahme mit dem Titel Schutz von Flüchtlingen in ihren Herkunftsgebieten: eine neue Perspektive zum Ausdruck gebracht hat; betont, dass die anhaltende Flüchtlingskrise eine bedeutende gemeinsame Herausforderung für die EU und ihre Nachbarschaft darstellt; warnt, dass jeder Schritt, der weg von der Verpflichtung der EU zur Achtung der Menschenrechte und des Humanitären Völkerrechts führt, in einer solch schweren humanitären Krise ernsthafte Auswirkungen auf die Rolle der EU als verlässlicher Partner für die Nachbarschaftsländer haben wird; 13. unterstützt die Vision einer starken und proaktiven diplomatischen und vermittelnden Rolle der EU bei der Lösung der Konflikte in ihrer Nachbarschaft; spricht sich angesichts von religiöser Radikalisierung, Nationalismus, Extremismus und Terrorismus für die Entwicklung von Strategien und die Bereitstellung geeigneter Instrumente aus, um den interkulturellen Dialog innerhalb der EU und mit den Gesellschaften ihrer Nachbarländer zu fördern; hebt zudem die Verantwortung und das Potenzial von lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in diesem Bereich hervor; COR-2016-00982-00-00-DT-TRA (EN) 5/8 Differenzierung und regionale Zusammenarbeit 14. weist darauf hin, dass die wichtigsten Instrumente der Zusammenarbeit zwischen dem AdR und den Nachbarschaftsländern folgende sind: die Versammlung Europa-Mittelmeer der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften (ARLEM), die Konferenz der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften der Länder der Östlichen Partnerschaft (CORLEAP) sowie die TaskForce für die Ukraine; fordert die Kommission und ihre Delegationen auf, die Fachkompetenz von ARLEM und CORLEAP besser zu nutzen; 15. bekräftigt die Notwendigkeit eines wirklich maßgeschneiderten Ansatzes im Bereich der bilateralen Beziehungen; fordert Strategien, um eine Situation zu vermeiden, in der sich Länder zwischen einer engeren Zusammenarbeit mit der EU oder mit anderen Partnern entscheiden müssen; 16. weist darauf hin, dass eine erfolgreiche Umsetzung der Assoziierungsabkommen mit Georgien, Moldau und der Ukraine voraussichtlich langfristigen Nutzen für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder haben wird, dass jedoch die kurzfristigen sozialen Kosten der Reformprozesse in der Östlichen Nachbarschaft hoch sind; stellt besorgt fest, dass dadurch der gesamte Annäherungsprozess gefährdet wird, und fordert die EU auf, mit den betroffenen Ländern zusammenzuarbeiten, um Wege für die Bewältigung dieser Herausforderung zu finden; 17. fordert subregionale Strategien, die den überaus unterschiedlichen Herausforderungen und Realitäten in der Nachbarschaft gerecht werden; betont, dass die Kooperation mit der EU nicht zu einem Wettbewerb zwischen den Nachbarländern, sondern zu regionaler und territorialer Zusammenarbeit führen sollte; betont das Potenzial und die Bedeutung der Förderung einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit; wiederholt seinen Vorschlag, die Methoden, Konzepte und Instrumente der europäischen Kohäsionspolitik in die Umsetzung der überprüften ENP einfließen zu lassen; Eigenverantwortung 18. stellt fest, dass die Forderung nach Eigenverantwortung aller Partner eine stärker auf Gleichberechtigung basierende Beziehung zwischen der EU und ihren Partnern in der Nachbarschaft notwendig macht, und weist darauf hin, dass die einzige Grenze hierfür darin bestehen sollte, dass die EU keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit eingehen darf, durch die der autoritäre Charakter eines Regimes gestärkt oder Menschenrechtsverletzungen geduldet würden; 19. betont, dass lokale Eigenverantwortung von höchster Bedeutung für den Erfolg der ENP ist und dass die Politik, Aktionen und Finanzierungsmaßnahmen der EU entsprechend den lokalen Bedürfnissen auf der Grundlage eines umfassenden Konzepts festgelegt werden sollten, das allen Teilen der Gesellschaft zugutekommt und die lokale und regionale Entwicklung voranbringt; betont, dass die Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in den bilateralen Aktionsplänen gestärkt werden sollte; COR-2016-00982-00-00-DT-TRA (EN) 6/8 Gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit sowie Achtung der Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten 20. stellt fest, dass gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie sowie die Achtung der Menschenrechte und demokratischen Freiheiten von grundlegender Bedeutung für Stabilität sind; weist darauf hin, dass die einzelnen Gesellschaften in der Nachbarschaft der EU von verschiedenen historischen Erfahrungen und Gegebenheiten geprägt sind und dass Standards für Demokratie und Menschenrechte weder von außen noch von oben auferlegt werden können, sondern sich ausgehend von der Basis nach oben entwickeln müssen; fordert die Kommission daher auf, den Ansichten von lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zu bewährten Verfahren und den einschlägigen Kooperationsprogrammen Rechnung zu tragen; 21. weist darauf hin, dass ein Großteil der Nachbarschaftsländer ein autoritäres Erbe hat, weshalb die Verwaltungskapazitäten auf den subnationalen Ebenen schwach sind; stellt fest, dass die Ausgrenzung von Verhandlungen mit der EU und geringe Kenntnisse über die EU ebenfalls kennzeichnend für subnationale Behörden und Akteure sind; betont, dass bei der Umsetzung der überprüften ENP Partnerschaftsinitiativen und einer intensiveren Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren hohe Priorität eingeräumt werden muss, um sie zu informieren und zu schulen und den Kapazitätsaufbau auf subnationaler Ebene zu stärken; Zusammenarbeit im Energiebereich 22. ist der Auffassung, dass eine enge Zusammenarbeit in Energiefragen einen wesentlichen Teil der Beziehungen der EU mit ihren Nachbarn ausmacht, da viele von ihnen wichtige Energielieferanten für die EU-Mitgliedstaaten sind; vertritt die Ansicht, dass die EU ihre Abhängigkeit von bestimmten externen Lieferanten und Kraftstoffen verringern kann, indem sie in größtmöglichem Umfang erneuerbare Energiequellen nutzt und ökologisch nachhaltigen Kraftstoffen und Technologien den Vorzug gibt; 23. betont, dass die Zusammenarbeit zwischen der EU und ihren Nachbarn in Energiefragen auch Projekte zur Entwicklung erneuerbarer Ressourcen und zur Energieeffizienz umfassen sollte; fordert daher, dass die Interkonnektivität der Energienetze nicht nur innerhalb der EU, sondern auch zwischen der EU und ihren Nachbarn und wiederum deren Nachbarn verbessert wird; Finanzmittel 24. betont, dass die im Rahmen des Europäischen Nachbarschaftsinstruments bereitgestellten Finanzmittel nicht den politischen Bestrebungen und Herausforderungen in der Nachbarschaft der EU angemessen sind, und bedauert, dass im Zuge der Überprüfung der ENP keine Aufstockung der Finanzmittel empfohlen wurde; 25. betont, dass die Finanzmittel der EU gezielter auf regionaler und lokaler Ebene eingesetzt werden müssen, und weist darauf hin, dass die Verwendung der Finanzmittel sorgfältig überwacht werden muss, auch durch die Zivilgesellschaft; COR-2016-00982-00-00-DT-TRA (EN) 7/8 26. fordert die Kommission und die Delegation der EU auf, Mechanismen zu entwickeln, die es Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen ermöglichen, Finanzmittel der EU zu beantragen. _____________ COR-2016-00982-00-00-DT-TRA (EN) 8/8