Andacht Jahresempfang der Diakonie „Diakonie – Sozialexpertin für Flüchtlingspolitik“ Rosenheim, Kongress und Kulturzentrum Montag, 29. Juni 2015, 16 Uhr Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler Liebe Schwestern und Brüder! „Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, daß er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, damit sie nicht in Torheit geraten“, sagt der Psalmist. Und fährt fort: „Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, daß in unserm Lande Ehre wohne; daß Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; daß Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; daß uns auch der HERR Gutes tue, und unser Land seine Frucht gebe; daß Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen Schritten folge.“ (Psalm 85,914) Frieden und Gerechtigkeit ist das Thema. Zwischen Reformation und Westfälischem Frieden haben sich unsere Altvorderen über 100 Jahre Zeit gelassen, konfessionelle Probleme, die noch dazu mit brutaler Gewalt ausgetragen wurden, zu lösen. Frieden – unser Land hat einen langen Weg hinter sich. Wir haben für Frieden und Gerechtigkeit in unserer Gegenwart weitaus weniger Zeit. Die Nöte brennen uns unter den Nägeln. Wir müssen in Kirche und Diakonie, in Staat und Gesellschaft noch mehr für das Zusammenleben mit Asylbewerbenden, mit Flüchtlingen, mit Zuwanderern aller Religionen tun. 1 Gottes Herrlichkeit wohnt wieder in unserem Land. Dann kommen Güte und Treue zusammen, Recht und Frieden küssen einander. Ein schönes Bild. Aber statt Recht und Frieden: Überfälle auf ausländische Mitbürger, auf Asylbewerber. Schmierereien. Brände. Warum überhaupt tun Menschen das einander an...? Am weitesten entfernt von Gott ist der Mensch, der restlos von sich selbst überzeugt ist. Er wird weder mit sich selber noch mit anderen zu Rande kommen, sondern gnaden- und rücksichtslos sein. Aber wir sind unseres Bruders und unserer Schwester Hüter und Hüterinnen. Die Diakonie lehrt uns das. Sie lenkt den Blick auf die Wunden unserer Welt, auf die, die zu uns fliehen. Wir müssen uns sorgen um Frauen und Kinder, die unter Gewalt und katastrophalen Verhältnissen leiden und wie ihre Männer und Väter nur noch weg wollen. Wir brauchen den Mut, uns auch für den sozialen Frieden einzusetzen – durch Worte und Taten, durch Teilen, durch Abbau von Trennendem. Wer andere beschützen möchte, der lässt sich bewegen und in Bewegung setzen. Der Psalmbeter spricht: Ich horche auf das, was Gott sagt: Er spricht von Frieden für alle, aber sie sollen ihre Torheit nicht wiederholen. Das ist Appell und enormes Zutrauen. Gott traut uns zu, dass Menschen mit Fremdheit, Neid und Hass fertig werden können. Wie heißt es poetisch im Psalm? „Die Treue sprießt aus der Erde hervor, und das Recht blickt vom Himmel herab.“ Die Welt wartet und verlangt unseren diakonischen Einsatz. Die Diakonie setzt sich vehement für ein Leben ein, das von Mitmenschlichkeit regiert wird. Wir sollen uns alle miteinander geistlich bewegen und dort, wo wir sind und arbeiten, Verantwortung übernehmen, um Gewalt zu überwinden. 2 Wichtig ist, dass Menschen so, wie sie sind, angenommen und akzeptiert werden – manchmal eben auch arm, bedürftig, verletzlich. Wichtig ist, dass sie ihre Talente einbringen können in einer Gesellschaft, in der sie sich zuhause und gebraucht fühlen. Christen sind klug, wenn sie sich begeistern für andere Kulturen, ohne die eigene zu verleugnen; sich kundig machen über den Glauben anderer Völker und Religionen. Ein Kuss zwischen Recht und Frieden verändert die Welt. Versöhnung ist Frieden schließen, wenn man sich gestritten hat. Versöhnung ist Arbeit, die man leistet, um gerechte Verhältnisse zu schaffen. Versöhnung ist Achtsamkeit, mit der man andere ansieht. „Der Herr selber gibt Gelingen“, heißt es im Psalm. Es ist gut, wenn in Gemeinden Kindern mit Migrationshintergrund Nachhilfe gegeben wird, damit sie Deutsch lernen und sich zuhause fühlen. Manche Gemeinden bieten Kurse für die Mütter an – damit sie mit ihrer neuen Heimat vertraut werden. Wer damit fremdelt, sollte überlegen: Menschen, die in Hinterhöfe abgedrängt werden, werden sich nie integrieren. Sie werden bei uns keine Heimat finden und sich gegen diese Ablehnung vielleicht massiv wehren. Umgekehrt ist es gut, neben aller fachlichen Beratung und Begleitung um Fremdlinge zu werben, damit sie sich für unser Land, unsere Kultur begeistern lassen. Wir sollten leidenschaftlich von unserem Glauben erzählen und darüber mit Menschen anderer Religionen ins Gespräch kommen, unsere Werte überzeugend darstellen. Wenn man bei uns allen die Leidenschaft für unseren Glauben, für unsere Werte spürt, wenn wir sie mit jeder Faser wirklich leben, dann wird unsere diakonische Arbeit fruchtbar sein. Menschen suchen bei uns Zuflucht. Sich um sie zu bekümmern, das ist Diakonie. Dienst an denen, die Beistand brauchen, die schwach und ausgegrenzt sind. „Schutz und 3 Schirm vor allem Argen, Stärke und Hilfe zu allem Guten, dass du bewahrt werdest zum ewigen Leben“, heißt es in unserer Kirche bei der Konfirmation. Konfirmation ist Bestärkung, Ermutigung. Bestärkung und Ermutigung brauchen nicht allein junge Leute, das braucht jeder und jede immer wieder – besonders, wenn einer oder eine hungert, dürstet, sich und anderen fremd geworden ist, gefangen in sich selbst, sich nackt und bloß fühlt, an Leib und Seele leidet. Liebevolle Beziehungen sind das Grundmuster des diakonischen Auftrages. Liebevoll: den anderen, die andere umkleiden mit Achtung und Verständnis, umgeben mit Liebe, fürsorglich beschützen, stärken mit gegenseitiger Erkenntnis. Und es heißt, Menschen ihre Würde bewusst werden zu lassen – auch wenn sie in Nöten sind. Im Johannesevangelium sagt Kaiphas, einer der Hohenpriester: „Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe“ (Joh 11,49). Diese inhumane KostenNutzen-Rechnung wird immer wieder aufgemacht. Wer jedoch hilfsbedürftig ist und besondere Fürsorge hervorruft, wer sprachunfähig und im Wortsinn ohnmächtig ist, der ist wie alle anderen immer in seinem, ihrem So-Sein als Gottes Ebenbild zu verstehen, zu achten. Beten und Handeln haben einen doppelten biblischen Maßstab. Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und die Menschwerdung Gottes. „Du hast den Menschen wenig niedriger gemacht als Gott“, heißt es in Psalm 8 (Psalm 8,6). Nichts Menschliches ist Gott fremd – das bekennen wir mit den Worten von der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes. Armut, Elend, Qual, Einsamkeit, Folter, Flucht und Asyl ist ihm ebenso vertraut wie die Fülle der Gaben und Fähigkeiten, wie Lebensfreude und Gemeinschaft über Grenzen hinweg. 4 In der Nachfolge Jesu Christi fremdeln wir nicht mit dem, was unserm Gott nahe ist. Es ist ein Grund zu großer Dankbarkeit, dass sich die Mitarbeitenden der Diakonie so beeindruckend der Aufgabe widmen, Leben mit seinen Sonnen- und mit den Schattenseiten zu gestalten. Wir sind nicht Gott, sondern Mensch. Das ist der Takt, nach dem die Welt funktionieren kann und soll. Dieser Herzenstakt lehrt, Menschen zu achten – so, dass Recht und Frieden zu flirten beginnen, bis es zum Kuss und zur Leidenschaft kommt. Die Freude, zu leben und dieses Leben mit anderen gerne zu teilen, ist die Antriebskraft in der Diakonie. Menschen sind nicht einfach bloße Problemfälle, sondern wunderbare Geschöpfe Gottes, die auch in ihren höchsten Nöten uns selber etwas zu geben vermögen: Nähe, Vertrauen, ihre eigne Kultur, ein zaghaftes Lächeln. Lassen Sie uns miteinander bislang unerhörte Alternativen zu dem entwickeln, was gang und gebe ist, und das, wo immer es geht, in die Tat umsetzen. Lassen Sie uns ein hoffnungsvolles Ja zum Leben und damit zu Gott sagen. Damit wir leben. 5