Korb Jan2015 - Homepage.ruhr-uni

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Thomas Bonhoeffer
Korb 12
Inhalt
Chaos ....................................................................................................................................... 2
Symbolik ................................................................................................................................. 2
Erkenntnis ............................................................................................................................ 3
Sinn ...................................................................................................................................... 5
Existenzsymbolik ................................................................................................................ 6
Jenseits............................................................................................................................. 6
Spiel ..................................................................................................................................... 7
Vereinfachung ..................................................................................................................... 7
Leben ....................................................................................................................................... 7
Religion ................................................................................................................................... 8
Christentum ....................................................................................................................... 10
Gott .................................................................................................................................... 11
Schöpfung .......................................................................................................................... 12
Individuum ............................................................................................................................ 14
Moral ................................................................................................................................. 15
Solidarität .......................................................................................................................... 17
Trauer ................................................................................................................................ 18
Gesellschaft ........................................................................................................................... 19
Staat ................................................................................................................................... 22
Kultur................................................................................................................................. 23
Geld ................................................................................................................................... 26
Wirtschaft .......................................................................................................................... 28
Gegenwart ............................................................................................................................. 29
Ausblick................................................................................................................................. 32
2
Chaos
Im Chaos ergeben sich auch Wiederholungen, Gleichheiten, Abbildungen und Abbildungen
von Abbildungen (Identifikationen).
Kooperationen haben einen chaotischen Rand.
Für den menschlichen Verstand ist die Welt ein leidvolles Chaos von Aktivität und
Passivität der einzelnen vergänglichen Einheiten. Wir sind berufen, mit Gott, dem Schöpfer,
schöpferisch zu leiden.
Symbolik
Durch die Sprache machen sich die Menschen die Ähnlichkeit ihrer
Informationsverarbeitung zunutze.
Sprache nützt – und, infolge des naturbedingten Ungefähr, nutzt sie sich dabei ab.
Ansprechende Texte sind – oft irreführend – einfach. Die Wirklichkeit ist – oft verwirrend –
kompliziert. Meine Notizen suchen die goldene Mitte.
Im Ungefähr des Lebens mit seinen Wiederholungen hat der Mensch kommunikable
Markierungen von Gleichheiten entwickelt: Symbole, Worte; Symbolik und Sprache.
Viele Symbole und Redensarten sind Deckerinnerungen für schmerzliche Verluste.
Unsere Symbolik sagt uns, was was sei und welche Bewandtnis es damit habe; und wir
glauben es.
PAUL GERHARD* dankt Gott: „Du hältst die Wacht an unserer Tür und lässt uns sicher
ruh’n.“ Das heißt: Es ist gar nicht so wichtig, ob da nun jemand ins Haus einbricht, ob ich
früher oder später sterbe, … ob Kinder leiden. Entscheidend ist für ihn die sichere,
wohlbegründete Zuversicht, das schöpferische, göttlich unerschöpfliche Urvertrauen**, der
Heilige Geist!
Der Grund dieser Zuversicht ist das Wunder der Schöpfung, – das auch alle uns
selbstverständlich gewordenen, widerspruchsvollen Begründungen trägt***.
* Ich singe dir mit Herz und Mund.
** Neben dem Urvertrauen gibt es das Ur-misstrauen, neben dem Glauben den Zweifel.
Glaube (im Unterschied zum Wahn) ist immer wieder „angefochten“. Luther fand allein beim
gekreuzigten und auferstandenen Jesus Sicherheit. – Das (nicht nur chronologische)
Nebeneinander der Widersprüche (das die Dialektik thematisiert, aber auch nicht befriedigend
beheben konnte) ist aller Symbolik wesentlich.
*** In der Nacht sind alle Katzen grau. Aber zum Wunder der Schöpfung gehört auch
jedermanns eigenster Glaube an handlungsrelevante Unterscheidungen und Verantwortung.
Symbolik ist ein Medium der Kompromisse. Das Ungefähr der Symbolik lässt Raum für
Streit und Gewalt zwischen den natürlich konkurrierenden, doch auf Kooperation
angewiesenen Menschen.
Wie die Menschen nun einmal sind, lässt sich ohne Polizei und Militär Friede nicht
3
stabilisieren. Die Gewalt muss allerdings durch konsensfähige Symbolik im Zaum gehalten
werden; und daran ist ständig zu arbeiten.
Symbole sind komplizierte Relationengebilde. Sie werden nicht gemacht; sie entstehen im
Wildwuchs. (In diesem gibt es allerdings immer mehr kleine Bereiche, wo sehr vergängliche
einfache Symbole gemacht werden.)
Egoismus benutzt Gewalt und Übermacht sowohl wie Koordination. Lüge und Betrug
schwächen und entwerten die Symbolik, – die doch Ausbeutung und Gewalt durch
Koordination und Kooperation ersetzen sollte.
Die Sprache ist Zauber.
Zauber ist an sich nichts Böses; aber er ist verführerisch. Zur Ernüchterung ist Gegenzauber
nötig.
Die Symbolik wächst heute chaotisch, und die Menschheit entwickelt sich in ihrem
Schlepptau. Immer häufiger brechen kleine und große Symboliken zusammen. Wir erleben
Varianten einer Sequenz von Informationsüberflutung, Schwindel, Misstrauen,
Orientierungslosigkeit, sozialem Chaos, Gewalttat, Mord und Verwüstung.
Neuansätze von Symbolik finden sich in Individuen und kleinsten sozialen Einheiten.
Erkenntnis
Mit Genugtuung lese ich in der Wikipedia: Jacob Burckhardt wusste die besondere Chance
des Dilettantismus zu schätzen (vgl. Weltgeschichtliche Betrachtungen, S. 36).
Dauerndes Glück verblendet hauptsächlich die Glücklichen.
„Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis, … zieht uns …“* (stößt uns) weiter im
chaotischen Ungefähr, im imaginierten Ur-Einen, traditionell: in der Schöpfung, in der der
dreieinige Gott sich uns, verheißungsvoll ent-täuschend, zu erkennen gibt.
* GOETHE, Faust II, Schluss.
Immer wieder, im Kleinen wie im Großen, hat die Menschheit erst vieldimensionales,
selbstverstärkendes Wachstum erlebt, dann Zusammenbruch und dann „Grün aus Trümmern“.
Der Horizont all unserer Erkenntnis ist chaotisch. Zu Bescheidenheit gehört BescheidWissen; über das Entscheidende aber wissen wir nicht Bescheid. So wäre denn Demut unsere
höchste Weisheit.
Wir sind dumm dran: Jeder Mensch hat nicht ein Weltbild, sondern eine ganze Schachtel
mit Weltbildern, und an allen ist etwas Wahres dran.
Artikulation (Gespräch, Tagebuch, Brief, Publikation) macht selbstverständliche
Zusammenhänge bewusst.
Weisheit: CICERO überliefert*, dass, als erster der klassischen Weisen/sapientes**,
Pythagoras sich nur einen „Philo“-sophen*** (= sapientiae studiosus) genannt habe, da er
keine ars (~ métier) beherrsche. Weisheit ist, wie Cicero den pythagoreisch idealisierten
Begriff erklärt: divinarum humanarumque rerum, tum initiorum causarumque cuiusque rei
cognitio.
4
* Tusculanae Disputationes, V, 3 [7-9].
** σοφοί = wörtl: Könner!
*** Qui ceteris omnibus pro nihilo habitis rerum naturam studiose intuerentur; hos se
appellare sapientiae studiosos – id est enim philosophos.
Die institutionalisierten Schulphilosophien und -theologien setzen die herrschende
Signifikationshermeneutik* – und diese die gesellschaftlich konstruierte Wirklichkeit** –
voraus. Sie arbeiten an ihren δόγματα und kämpfen für kollektive Richtigkeit.
Demgegenüber schreibt ein Montaigne (der Skeptiker) nur „Versuche“, berät aber Politiker
praktisch.
* Unter dem Eindruck von KIERKEGAARDs Wiederholung, habe ich (in meiner
Inauguraldissertation Die Gotteslehre des Thomas von Aquin als Sprachproblem, 1961), als
Gegenvorschlag zur Signifikationshermeneutik, eine „Wiederholungshermeneutik“ konzipiert
(S. 8. Auf Zeile 8 ist hier ein sinnstörender Druckfehler stehengeblieben; als vorletztes Wort
ist, statt „die“, zu lesen: „das“!)
** TH. LUCKMANN & P. BERGER, The Social Construction of Reality, 1966, dt. 1969.
Alle Lebensregeln sind nur ungefähr richtig. (Auch diese!)
Es gibt unterbestimmt bedingte Sicherheit; aber keine Allgemeingültigkeit.
Ausgehend von einer nächstliegenden, bewährten Vereinfachung, schließt man, aufgrund
von Ähnlichkeiten, analog. Oft aber hätte man, ausgehend von einer in einem andern
Zusammenhang bewährten Vereinfachung, besser verstanden, was Sache ist.
Verstehen und Staunen sind zwei komplementäre Vereinfachungen der Wahrnehmung.
Schwarmintelligenz ist jeweils Funktion einer bestimmten Beziehung zwischen der Natur
der betreffenden Individuen und ihrer Umwelt. Sie ist deshalb beschränkt; sie entdeckt
aktuelle Nützlichkeiten und nutzt sie.
Zum Schwindler gehört der Verführbare. Dieser ist nicht nur getäuscht worden; er hat auch
(mehr oder weniger aktiv) sich (selbst) getäuscht. Mundus vult decipi, die Welt will betrogen
sein. Aber die dann enttäuschende Welt- und Selbst-Erfahrung deprimiert.
Wahrscheinlichkeiten gibt es nur in den prekären Inseln von Ordnung im Chaos.
Charismatiker (Jesus, Paulus, Steiner, Hitler) sind oft auch irre. Der Wahn füllt die
argumentativen Lücken, überzeugt aber nicht jeden. Haben sie großen Erfolg, sind sie –
wohin auch immer – „Bahnbrecher“.
Der Horizont unseres Verstehens ist chaotisch. Damit müssen und können wir uns abfinden.
Wir meinen zwar, aber ignoramus.
Wir können die Wahrheit nur ansagen.
Im Chaos der Meinungen gilt es, kommunikativ Solidarität zu üben.
Information ist immer eine auf einem (vereinfachenden) Konsens basierend persönlich zu
verantwortende Vereinfachung.
5
Sinn
Primär will man nicht dies oder das, sondern alles. So will man auch schlechthin „dem“
Sinn des Lebens folgen. Wir müssen uns aber bescheiden mit der chaotischen Geschichte
kurzen Aufleuchtens von Sinn-Kernen.
Das Chaos ist nicht sinnlos; es überwältigt unseren Verstand, indem es zu viel Sinn hat!
Sinn verleiht jeweils Frieden – einen meist etwas traurigen Frieden. Die Traurigkeit ist aber,
chaotisch, unter Mitwirkung des sinnfindenden Subjekts, von wohlbegründeter Freude
unterbrochen.
Der Wille zur Identität, zu Gestaltung und Erhaltung im Chaos, der Egoismus des Seins ist
der Sinn des Lebens, und der gebietet Solidarität.
Jogging ist die einfachste Verwirklichung der Weisung: „Der Weg ist das Ziel!“
Leid beirrt. „Im Durchschnitt ist man kummervoll und weiß nicht was man machen soll.“
Das ist hier, bei WILHELM BUSCH*, die Folie der dichterischen Freiheit.
Und es ist Antrieb zu religiöser und philosophischer Besinnung, zur Suche nach Halt in einem
weiteren Zusammenhang.
* Balduin Bählamm, 1883.
Der natürliche Sinn meines Lebens ist Mitleben und Mitbestimmen mit den Nächsten, mit
den fernerstehenden Menschen und mit der weiteren Natur. Die ernste Frage nach dem Willen
Gottes verhilft zu eigener Kreativität.
„Evolution“ hat ursprünglich nichts mit Entwicklung im modernen Sinne zu tun; nicht
einmal mit Veränderung! Das Wort kommt von lat. volvere, „wälzen“. Man öffnete eine
Buchrolle, wickelte einen Wälzer (volumen) auf, um darin zu lesen.
In unseren Evolutionsbegriff ist um die Wende zum 19. Jahrhundert* die eschatologische
Hoffnung eingegangen, die dem menschlichen Leben in jedem Schritt einen Sinn gibt.
Die Evolution als Fortschritt verlieh, seit dem 19. Jahrhundert, allem einzelnen einen Sinn.
Aber dem Optimismus macht inzwischen auch Pessimismus Konkurrenz. Der Sinn hat der
Unvorhersehbarkeit Platz gemacht.
Um uns mit Hoffnungen und Befürchtungen zu persönlichem Einsatz zu motivieren, geht die
Evolution uns doch zu langsam. Langweiliger Alltag ist die langsame reale „Evolution“.
Apokalyptische Phantasie stellt Evolution im Zeitraffer vor.
Der Witz ist ein phantastischer Sprung hinaus aus der Realität.
Seltene kurze Highlights wiegen, fürs Weiterlebenwollen im Chaos, die (häufigeren)
Schmerzen auf.
* J. B. Lamarck, Georges Cuvier.
Der Sinn unseres Lebens liegt im Mitleben und führt nicht über die Solidarität hinaus.
Der Uhrzeiger-“sinn“ ist nur Richtung einer Bewegung.
6
Existenzsymbolik
Symbolik will gepflegt sein; sie ist und bleibt ein Wagnis. Dabei fühlt sich der Einzelne
sozial abgesichert; aber auch Kollektive können irren.
Trost ist, wie Trauer, nur zeitweilig.
„Die Welt, die will betrogen sein“ schrieb 1494 SEBASTIAN BRANT* im Blick auf die (mit
der neuen Technik des Buchdrucks vervielfältigten) Weissagungen des astrologischen
Aberglaubens. Das wurde schnell zum geflügelten Wort, latinisiert und erweitert.
* Das Narrenschiff, LXV: Von Achtung des Gestirns.
Der Seufzer „Ach“ ist ein zivilisierter Schrei.
Jeder von uns lebt etwas verschieden und in seiner etwas anderen Welt. Jeder hat seine
wechselnden mancherlei Lebensgefühle und hat Teil an den Lebensgefühlen der anderen. Und
jeder sucht das Allgemeingültige als Symbolik der Solidarität im Leben und Sterben.
Kleinkinder kippen plötzlich vom Lachen in Heulen – und umgekehrt; die Bedeutung des
Erlebten ist nicht stabil. Der undifferenzierten starken Lust-/Unlust-Symbolik steht ein
schwacher Bezug zur differenzierteren, gesellschaftlich als „objektiv“ konstituierten*
Wirklichkeit gegenüber. Die komplexere Alltagssymbolik der Erwachsenen ist hier gegenüber
der holistischen Existenzsymbolik noch zu schwach.
Unter affektiver Überlastung kann auch der Erwachsene in diese Verfassung regredieren.
* Ich denke an TH. LUCKMANN & P. BERGER, The Social Construction of Reality, 1966, dt.
1969.
Mathematik ist ideale Genauigkeit. Für den Platonischen Ideen-Realismus war das Konkrete
nur symbolische Abbildung.
Die christliche Symbolik wurde durch kirchliche Gewalt überlastet. Seit der Renaissance ging
die erforderliche Glaubwürdigkeit allmählich über an die Erfahrungen mit anderen
Vereinfachungen, nämlich an mathematisch symbolisierte (zunächst naturwissenschaftliche)
Empirie.
Wir Menschen kommen nicht ohne Gewalt gegen einander aus. Keine Symbolik ist sozial
voll tragfähig.
Ideale sind Attraktoren in der Dynamik der Existenzsymbolik. Existenzsymbolik hat ihre
eigene Dynamik.
Jenseits
Die mörderische Lebensfreude des Jägers und des Kriegers gehörte, bis in die Weltkriege
hinein, auch hier zu Land zur menschlichen Normalität. Man lebte eingebettet in eine
unerschöpfliche Fülle, in einem mörderischen Diesseits, das in ein unendliches Jenseits fest
eingebettet ist.
Die stolze „Ewigkeit“ von einst ist aber, soweit wir heute sehen, – nicht unbedingt
entmutigend, aber demütigend – umgriffen vom Chaos.
7
Das Diesseits bietet handhabbare Metaphern für das ungeheure* Jenseits, das wir, chaotisch,
als göttlich und teuflisch ahnen.
* GOETHE, Faust II, 1. Akt, Finstere Galerie, Z. 6272ff.: „Das Schaudern ist der Menschheit
bestes Teil; wie auch die Welt ihm das Gefühl verteure, ergriffen, fühlt er tief das
Ungeheure.“
Die Menschen ahnen ein Jenseits – aber natürlich sehr verschieden!
Am Sonntag als Tag der Auferstehung Jesu feiern die Christen das „Jenseits“ als Rettung.
Trauer sucht im „Jenseits“ der Täuschungen des Lebens nach Neuorientierung.
Spiel
Eine dünne Kruste über einer sehr heißen, zähen Flüssigkeit ist unser Spielplatz.
Musik und Tanz spielen Gelingen. Auf Misslingen wird hier nur angespielt.
Das „Paradies" der christlichen Hoffnung war eine Spielwiese für Gesang und Tanz.
Spiel ist das Medium der Kreativität.
Wir lieben das Spiel als Raum freier Entfaltung. Auch das Regelspiel ist entlastet von
schweren Konsequenzen. Gewinnspiele sind Sozialspiele.
Vereinfachung
Die vereinfachenden Symbolsysteme sind zu verschieden; Einigung auf dieser Ebene
(Koordination) ist nicht möglich. Also Chaos.
Das Bedürfnis nach Vereinfachung ist allgemein menschlich; aber die menschlichen
Vereinfachungen sind sehr verschieden und variabel. Einschlägige Kreativität zeichnet den
menschlichen Geist aus.
All unser Wahrnehmen und Verstehen ist Vereinfachung, auch – und besonders! – die
Wahrnehmung der Welt als Schöpfung Gottes.
Leben
Auch unsere Spezies („das noch nicht definierte Tier“) ist nur bedingt friedensfähig.
Wir sind wohl viel zu innovativ, um wirklich friedensfähig zu sein. Es gibt uns erst seit
Kurzem in der Biosphäre; wir haben uns enorm verändert, und es wird uns wohl auch nicht
mehr lange geben.
Leben ist einer stabiler Systemtyp, auch gegen grobe Störungen tolerant, und weitgehend
anpassungsfähig.
Vorsicht gehört zur Anpassungsfähigkeit höheren Lebens.
Leben ist die gemeinsame Eigenschaft einer autokatalytischen Gruppe von temporären
Einheiten.
Die Menschheit ist ein mild chaotisches, stabiles, aber doch befristetes System im
umgebenden Chaos.
8
Das Leben ist „langsam chaotisch“*. Die Menschheit mit ihrer Reflexionsfähigkeit ist
schneller, wilder chaotisch!
* Benoît Mandelbrot unterschied zwischen mild, slow und wild randomness chaotischer
Prozesse).
Gesunde Liebe gilt Ähnlichem, also Verschiedenem, nicht: Gleichem.
Das Medium des Lebens ist ein Ungefähr.
Das Erfolgsrezept der Menschheit ist die Kombination von Erfindungsgeist mit Egoismus.
Das Neben- und Gegeneinander der temporären Einheiten in der Welt führt zu den vielen
unvorhersehbaren und den quälend vorhersehbaren Unglücken – und zu den wenigen
Glücksfällen, die jenen doch etwa die Waage halten.
Das Leben ist durch die reichliche Fortpflanzung für eine chaotische Umwelt gerüstet, – so
zwar, dass eben dieser Überfluss das Leben chaotisiert.
Die Regel „Survival oft the fittest“ ignoriert das Nachhaltigkeitsproblem.
Religion
In seinem schönen Gemeindelied Die güldne Sonne betete Pfarrer PAUL GERHARD einst: „…
hast niemals keinen zu sehr noch betrübt.“ Das ist eine typisch religiöse, kontrafaktische
Beschwörung; eine Verpflichtung zum Glauben an die Allmacht des Guten. Es ist eine
gewagte Zumutung, nicht immer an der Zeit! Voraussetzung ist aktuelle Aussichtslosigkeit
und allgemein die unbestimmte Begrenztheit unserer Urteilsfähigkeit.
Wieder einmal schlägt Religion der Machtpolitik den Takt – wer hätte das gedacht ! – ; aber
Religion ohne Demut!
Bedrängt, sucht und fürchtet man den mystischen Augenblick*, den Orientierungsverlust
durch die fast totale Vereinfachung – für eine tragfähigere Neuorientierung.
* „Vor Gottes Angesicht treten“, sagt die Bibel.
Die Transzendenz Gottes ist eigentlich schrecklich; das Alte Testament redet vom
Gottesschrecken, viele Offenbarungen beginnen mit: „Fürchtet euch nicht!“. Erschrecken ist
auch theologisch eine erhellende Erfahrung.
Theologie ist, wie Kunst, menschlich breit, psychosomatisch fundiert. Das gilt es zu
respektieren; sonst wird Theologie steril.
Sie ist, wie die Ostererscheinungen, Trauerreaktion auf eine besondere Vorgeschichte.
George W. Bush‘s Kreuzzug im Iraq hat dort die religiöse Widerstandsbewegung Ansar alSunna hervorgerufen; Abu Bakr a-Baghdadi war Mitbegründer. Seinem Kalifat IS haben
sunnitische Petrodollars zu der Macht verholfen, mit der er jetzt die Welt das Fürchten lehrt.
Zwei groteske Abweichungen von der menschlichen Normalität versuchen, mit im Wahn
vereinten Kräften, die Normalität umzustürzen.
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Die ISIS-Konvertiten haben vermutlich einen biografisch begründeten Hass auf die
Gesellschaft und wollen den ausleben in dem Glauben: Wir vollziehen das Jüngste Gericht
über die sündige Menschheit und schaffen das Reich Gottes.
Die Bibel ist ein sakramentale Gabe der Kirche. Wie zum Sakrament das Wort, gehört zum
Text die Auslegung, und zu dieser die (bereits innerbiblische) Auslegungsgeschichte und die
Hermeneutik.
„Mächte“ sind multivariable stabile Zusammenhänge, auf die man sich, unter Einsatz des
eigenen kreativen Ahnungsvermögens, einigermaßen versteht und die man gern
vereinfachend, personifiziert.
Götter und Dämonen sind Mächte im Chaos, von deren Gunst unsere normale Lebenswelt
abhängt.
Ironie und Witz sind alte Konkurrenten von religiösen Gefühlen – weitgehend funktionale
Äquivalente, oft ihrerseits Ausdruck frommer Scheu.
Es war Friedrich Heinrich Jacobi, der streitbar dialogische Glaubensphilosoph, der als
erster (um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert) sich zu dem (von ihm so genannten)
Salto mortale vom (deterministisch verstandenen) Wissen in den Glauben bekannte*, – das
dann, im 20. Jahrhundert, mit der sog. Dialektischen Theologie wieder Thema wurde.
* Gegen Spinozas Determinismus, auch gegen Moses Mendelssohn.
Religiöser Glaube ist reich an Vorstellungen, aber im Grunde ist Religion ein Gefühl*.
Bewährtes wird institutionalisiert; unter Druck versteinert es zu einem (meist kollektiven)
Wahn; Religionen pflegen Glaubens-„gegenstände“ wie Reliquien; Edel-steine der Kultur.
Deren Wert aber beruht letztlich auf ihrem Gebrauchswert, d.h. ihrer lebendigen, also
wandelbaren, ja sterblichen Symbolik!
* „Gefühl der schlechthinigen Abhängigkeit“, D. F. E. SCHLEIERMACHER, Reden über die
Religion an die gebildeten unter ihren Verächtern, 1799.
An etwas (auch: An die Existenz Gottes) Glauben heißt: Praktisch davon ausgehen. Was das
jeweils konkret heißt, ist wesentlich traditionsbestimmt.
An eine Person (auch: An Gott) Glauben ist Vertrauen.
Die Überforderung der menschlichen Natur durch moralische Kultur führte zu dem Begriff
der Erbsünde.
Das vergängliche Wirkliche ist reich an Anspielungen auf Dauerhafteres – vor allem:
Fragen. Diese sind wichtig für unsere jeweilige Orientierung, aber ebenfalls vergänglich.
Die Gesellschaft braucht, für die Freiheit des Individuums, so etwas wie Kirchen als zum
Staat alternative Vereinfachungen.
Totalitäre Ideologien sind höchstens ungefähr richtig. Obwohl sie nicht gut sind, können sie
als alternative Deutungsmuster, Gutes anregen. Das gilt auch für Religionslehren.
Was als religiöse Erkenntnis richtig ist, soll man auch übersetzen in säkulare Sprache. So
kommt Gott zur Welt.
10
Das Zeitliche auf dem Hintergrund des Ewigen entspricht der Grundstruktur des
Aussagesatzes: dem Prädikat auf dem Hintergrund des Subjekts – ein fundamentales Schema
der menschlichen Vernunft.
Auch die Zeit wird heute durch die Quantentheorie aufgebrochen.
Im klassischen Latein ist fanaticus, ohne Bewertung, der religiös Begeisterte. Fanatismus
kann bis zur Raserei gehen.
Das Wort ist von fanum (Heiligtum), abgeleitet. Und das lässt vermuten, dass mit Fanatismus
ein eigengesetzlich-kultisches Phänomen bezeichnet wurde.
Später verselbständigt sich die Eigengesetzlichkeit gegenüber ihrem soziologischen
(religiösen) Ursprungsort, und eine sekundäre Verkultung rückt ins Zentrum der
Wortbedeutung.
Christentum
Die Auferstehung Jesu war eine Wahnidee zunächst des Jüngers Simon mit dem
Beinamen ‫כֵּיפָא‬/Κηφᾶς/Πέτρος=Petrus/πέτρα = Fels*. Diese wurzelte in einer subkulturell**
tradierten Hoffnung, der „Naherwartung“ der allgemeinen Auferstehung zum Gericht, – die
nun, mit der Auferstehung Jesu als Messias (von Gott eingesetztem König und Richter)
begonnen habe. Die Auferstehungs-„botschaft“ war eine Zeitansage für die
„Gottesherrschaft“.
* Wegen seines wahnhaft felsenfesten Glaubens?
** Greifbar bei Johannes dem Täufer.
Nach der Kreuzigung Jesu machte die Vision: „Er ist auferstanden!“ mehr Sinn als die
banale Feststellung: „Er ist tot“.
Der Glaube an Kreuz und Auferstehung ist traumatisierter Glaube.
Im Glauben geht es um die Erfahrung der liebevollen göttlichen Einladung zur Kreativität in
der Nachfolge Jesu, – traditionell: um die Mitteilung des Heiligen Geistes durch das
Evangelium.
Dualismus ist eine alte, sehr stabile Vereinfachung, – die freilich auch immer wieder an der
Realität scheitert.
Trinitäten sind keine christliche, sondern waren eine neuplatonische Erfindung.
Die christlich-theologische Trinität war: in dynamischer Ordnung aufgehobene Tragik. Aber
diese (bedenkenswerte, staatlich verordnete) Ordnung überzeugte auch nie ganz.
Die Kreuzigung Jesu konnte nicht (Apg. 2, 24!) das letzte Wort behalten. Die
iranisch/pharisäische Ahnung von der Auferstehung brach sich Bahn in der christlichen
Metaphorik der Menschlichkeit.
Im Christentum spielt das Schuldproblem eine zentrale Rolle. Aber in der modernen
Gesellschaft mit ihren Normenkonflikten überzeugen die christlichen Fassungen des
Problems und die dazugehörigen einst beglückenden Lösungen kaum noch. Wir wissen, dass
die Dinge nicht so einfach sind.
11
Wir leben als Erben der christlichen Tradition im –trotz der sensationellen reaktionären
Barbareien – nachreligiösen und nachchristlichen Zeitalter.
Gott
Das komplexere, sog. „höhere“ Leben integriert sich sensibler, differenzierter, umsichtiger
und umfassender in die Welt.
In der unauslotbaren Vielfalt der Welt, können Name und Vorstellung von einem
persönlichen, allumfassenden Gott uns Keim eines zunehmend integrierten Lebens werden.
Diese zunehmende Integration aber verläuft zunehmend chaotisch. Luther thematisierte die
Anfechtung des Glaubens.
Der Heilige Geist ist Gottes Mut zur Vergänglichkeit.
Ich werde, nach Gottes Willen, wohl verenden, ohne an Gott zu denken.
Gott gibt es nicht. Das ist immer wieder sehr bitter.
Unser Gott „ist“ das früheste, prekär verdinglicht phantasierte Mutterschema, – das dann,
distanzierter, später auch ein Vater ausfüllen kann*.
Unsere Lebensnotwendigkeit der Vereinfachungen kann eine theologia naturalis tragen. Ein
göttliches Du „ist“ eine der menschlichen Seele natürliche, vereinfachende Komplettierung
der überkomplexen, allenthalben quälend defekten Welt. Als immer wieder sich ereignende,
schöpferische** Wahrnehmung gehört Gott zu unserem Dasein.
* In einer patriarchalischen Kultur hat die Mutter dann (wie auch die hochverehrte Jungfrau
Maria) eine untergeordnete Rolle. (Soziale Ordnung mit einem personalen Machtzentrum ist
einfacher, – sei dieses nun männlich oder, wie vielleicht in manchen älteren Kulturen,
weiblich.)
** „Im Namen dessen, der sich selbst erschuf,…“ schrieb Goethe 1817 an hervorgehobener
Stelle. Das konkretisiere ich durch die Erinnerung an die christliche Lehre von dem
dreieinigen Gott, Vater, Sohn und dem (Menschen verliehenen) Heiligem Geist. Luther
berührte das bei seiner kühnen Bemerkung der „fides creatrix divinitatis“! (WA 40/I, S. 360, zu
Gal 3,6.)
Ein Gottes-Rufname ist eine Interjektion, die, leise oder auch laut, aus uns hervorbricht, –
was auch immer wir uns dabei vorstellen. Theologie zitiert und interpretiert diese Interjektion
– zunächst als Namen für überkommene Vorstellungen.
Auch das hilflose Lachen des Überraschten, auch ein Witz, ist theologisch ernst zu nehmen
als ein Ruf nach Gott.
Herrschaft als Gottesattribut ist eine meditative, nicht zu rëifizierende Perspektive.
Der παντοκράτωρ, omnipotens, der „allmächtige Gott“ ist, als ontologische Radikalisierung,
τύχη, fortuna, das Schicksal, personalisiert wie die Parzen, eine grässliche Idee!
Der biblische Gott ist ein alleinerziehender Vater. Die Kinder gucken sich nach Müttern um.
Gegen Objektverlustangst* wird ein göttliches Du (wie Winnicott’s environment mother)
hinter der (unbelebten, unansprechbaren, teilnahmslos sterben lassenden) Umwelt fantasiert.
Im Heulen und Schreien ist die Mütterlichkeit der Mutter, die natürliche, phylogenetische und
ontogenetische Urerfahrung von verheißungsvoll tröstender Liebe, gegenwärtig als das akut
12
schmerzlich Fehlende.
* In der Psychoanalyse (wo „Liebesobjekt“ eine Person bezeichnet) von Liebesverlustangst
unterschieden.
Als „dreieiniger“ ist Gott ontologisiert, verdinglicht. Aber „es“ gibt keine göttliche
Dreieinigkeit, sondern die menschliche Phantasie gab und gibt sie – wie die Basis des
natürlichen Logarithmus e, die imaginäre Einheit i oder den Faktor π, ja überhaupt die Zahlen,
– mit denen die exakte Wissenschaft fortschreitend die Wirklichkeit erschließt.
Tatsächlich ist das Dasein Gottes keine Tatsache, sondern Sache „teilnehmender
Beobachtung“*.
* Ein Begriff der soziologischen Feldforschung seit 1940.
Monotheismus ist eine unbescheidene, überspannte Vereinfachung. Er wird auch das
Problem des Teufels nicht los.
Der Ruf nach Gott* ist monotheistisch. Die Antwort – sei sie nun trinitarisch, dualistisch,
polytheistisch oder weltlich anekdotisch – ist** immer befremdend.
* Weder der Ruf noch die Antwort müssen sprachlich einer gewissen Form genügen. Ich
verstehe Julian Barnes‘ Bekenntnis: “I don’t believe in God, but I miss him,“ als Ruf nach
Gott. (So hat denn auch sein analytisch-philosophischer Bruder den Satz als soppy abgelehnt.)
** Umständebedingt, nur ungefähr vorhersehbar und nur nachträglich verständlich.
„Ihr sollt vollkommen sein, gleich wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Mt 5, 48),
in schöpferisch bescheidener Solidarität.
Allmacht war ein klassisches Ideal, eine naive Vision der Hoffnung. Jesus als
Gottesoffenbarung wurde in diesem Sinne übermalt. Der nizänische Gottesbegriff idealisierte
Jesu Scheitern. Aber man kann die Trinitätslehre auch modern, postidealistisch verstehen!
Die Solidarität Gottes ist Erfahrungssache.
Sowohl diesseitige wie jenseitige Vorstellungen von unserer Wirklichkeit
(Mischvorstellungen ebenfalls) sind zeitweise brauchbare, aber immer wieder frustrierende
Vereinfachungen.
Ernüchtert, schreien wir doch immer wieder nach dem solidarischen Gott. Wir phantasieren
und gedankenlos rufen wir ihn immer wieder. Aber eben … (Da capo).
Nicht unser Glaube ist Schöpfer der Gottheit*, sondern der „Heilige Geist“. Der dreieinige
Gott schafft sich selbst. Circulus vitiosus?
Das Du schafft das Ich; das Ich sagt Du. Mit „Gott“ meinen wir mehr als eine menschliche
Vorstellung.
* So hat Friedrich Gogarten (mündlich) den Luther des Großen Galaterkommentars (WA
40/I, S. 360, zu Gal 3,6) verstanden.
Schöpfung
Das Medium der Schöpfung ist Ähnlichkeit.
„Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde“ (1Mose 1, 26ff.*). Der Mensch denkt sich den
13
Schöpfer als sein Urbild.
* Dass hier keine simple Gleichheit gemeint sein kann, erhellt schon daraus, dass hier vom
Menschen als Mann und Frau die Rede ist. Als gleich ist hier nicht (wie mir nahe liegt) die
Kreativität, sondern die Herrschaft über die andern lebendigen Kreaturen gedacht.
Freude ist kreativ. Kreativität ist froh. Wir sind zur Freude der Kreativität berufen.
Wir sind zur Kreativität berufen. Das ist ein Lichtblick, den wir nie vergessen sollten!
Immer wieder überwältigt uns die Wirklichkeit mit ratloser Trauer. Es ruft aus uns*: „Ach
du lieber Gott, was ist denn das? Was hat es damit auf sich?“ Nahe dem Nullpunkt, dem Jesus
in seiner Gottverlassenheit am Kreuz**, fragt man so.
Das ist die Stunde des Heiligen Geistes, der göttlich bescheidenen Kreativität.
Diese hat Jesus beseelt†, hat „am dritten Tag“ nach der Kreuzigung Jesu, in Petrus den
Osterwahn††, sodann die Jesus-Erscheinungen weiterer Jünger hervorgebracht, dann die
verheißene „Ausgießung des Heiligen Geistes“, – der eine Solidargemeinschaft beseelte, die
sich, gegen brutalen Widerstand an, allmählich im ganzen römischen Reich ausbreitete.
Die Ergebnisse sind inzwischen in die abendländische Kultur eingegangen – mit
Ausstrahlungen über die ganze bewohnte Erde – und säkularisiert. Aber diese Anfänge
inspirieren noch heute zu göttlich bescheidener Kreativität.
* Rm 8, 26f.
** Mt 27, 46.
† Das ist der Sinn von Mk 1,10 parr.
†† „Das Ende der Welt ist gekommen, die geweissagte allgemeine Auferstehung zum
jüngsten Gericht hat begonnen! Jesus ist auferstanden – als erster, als der verheißene Messias,
der Richter, der König des verheißenen Reiches Gottes.“
Gott hat sich mit der Schöpfung aufs Spiel gesetzt.
Kreativität liebt die Welt – freilich oft unglücklich.
Neugier lässt nach; Kreativität bleibt von sich aus interessiert.
Das Ich ist (nur teilweise bewusst) kreativ.
Creatio continua ist gefährlich; Schöpfung einst und Erhaltung jetzt ist ein gesetzlich
repressiver Vorstellungsrahmen. Glaube an das Evangelium vom auferstandenen
Gekreuzigten ist schöpferisch.
Ein interessierter Blick ins Chaos ist schöpferisch.
Wir sind zu Kreativität verurteilt.
Das Werk trägt die Handschrift seines Schöpfers.
Ende des 18. Jahrhunderts wurde in Frankreich die Evolution einer Spezies zu einer neuen
Spezies konzipiert. Aufklärung gegen die biblischen Schöpfungsgeschichten.
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Besinnung ist nicht Rückzug aus der äußeren Realität. Aber sie relativiert die
selbstverständlichen Ordnungen; sie setzt, im Spielraum einfühlender Phantasie, den eigenen
Sinn dem äußeren aus. Sie kann zu neuen Einsichten führen.
Individuum
Die Technik macht die Menschen immer umfassender und undurchschaubarer voneinander
abhängig. Individuelle Verantwortung ist ein veraltetes Ideal.
Früher war der Einzelne vor dem persönlichen Gott verantwortlich. Heute respektieren wir
den animalischen Lebenssinn des animal rationale.
Das Interesse am öffentlichen Weltgeschehen kann von der beängstigenden persönlichen
Realität ablenken. Man verlagert seinen Narzissmus auf größere Einheiten*, eingebettet in ein
Streben nach Mitmachen, Verstehen und – immer mehr – verständnisvollem
Geschehenlassen.
* Schiller: „Immer strebe zum Ganzen! Und kannst du selber kein Ganzes / bilden, als
dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an.“
Angstvoll große Hoffnung kann zu Tränen rühren.
Glücklich-sein ist im Grunde: An das Gute glauben („Urvertrauen“).
Schreck unterbricht das normal menschliche Dasein.
Der „französische Garten“ dient der königlichen Selbstbespiegelung: Hier bin ich allein der
Sensenmann. In meinem Garten lebt alles; nichts stirbt „seinen eigenen Tod“*. „Hier herrsche
ich“, wie Ludwig XIV in Versailles und Friedrich der Große in Sanssouci – Vorbilder mit
Nachwirkung bis heute.
* Vgl. RILKEs Gedicht.
Die Kirche wandelt sich mit der umgebenden Kultur, als eine (mehr oder weniger
vielfältige) Subkultur (auch Gegenkultur). Sie setzt auch immer wieder Gegenkulturen aus
sich heraus.
Ich bin versucht, aus meiner Kirche auszutreten wegen ihrer lieblosen (und entsprechend
dummen) offiziellen Besserwisserei in der heutigen (!) Frage des Selbstmords.
Meines Erachtens sollte die Kirche heute Pfarrer auch zu bescheidener Begleitung von
Selbstmördern ausbilden und anstellen*!
* Also, trotz Hermann Gröhe, heute ihrerseits Selbsttötungshilfe organisieren!
Leben will weiterleben. Aber Leben stirbt. Liebe zum Leben führt zu Trauer.
Weiterlebenwollen führt zu Angst.
In unserer Symbolik leben wir über unsere körperlichen Grenzen hinaus. Unsere Identität
hat sich im Laufe unseres Lebens, weit über unseren Körper hinaus, vielfach entfaltet. Der
Körper ist zeitlebens ihr Zentrum, aber eine zunehmend verzerrende Vereinfachung unserer
Identität, die unüberblickbar vielfach mit der Welt verwoben ist.
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Der Mensch braucht das Gespräch zur Pflege seiner Symbolik. Eine Mehrzahl von
Menschen schützt nicht vor Wahnbildung; aber wegen seiner Kreativität ist der Mensch,
einsam, in noch größerer Gefahr, sich zu verirren.
Angst demütigt.
In Bescheidenheit sind Trauer und Angst gut aufgehoben. Die überwältigende Vielfalt der
Welt kann uns bescheiden machen.
Durch besondere Interessen und Begabungen werden andere Anliegen ein Bisschen im
wörtlichen Sinne „verrückt“.
Jeder wirkt mit bei der Gestaltung seiner Welt.
Dem Du gilt unsere wesentliche Suchbewegung. Es vermittelt zwischen dem Selbst und
dem schlechthin Anderen. „Du“ ist ein Pro-nomen, zwischen dem „Ich“ und dem „Es“!
Kränkungen senken das operative Niveau des Subjekts. Aus Nationalgefühl wird
Nationalismus.
Neugier tröstet, sie motiviert zum Weiterleben. Neugier im Chaos ist im Grunde Hoffnung
auf Offenbarung.
Offenbarung ist Wahrnehmung der Ur-Einheit.
Man lernt die eigene Identität auch aufgrund von Zurückweisungen durch die Gesellschaft.
(Kollektiv ist das den Juden passiert.)
Ein Menschenleben ist nur oberflächlich rekonstruierbar.
Das Leben ist ein Wagnis. Man irrt.
Wir sind liebesbedürftig, natürlich verführbar – und entsprechend soldaritätsbedürftig.
Unser Leben ist eine Brown’sche Bewegung, eine Irre.
Lebensweisheit ist demütig.
Eitelkeiten sind menschlich. Dies in aufmerksamer Wertschätzung zu respektieren, ist
Kultur.
Entgegenkommen ist hier nicht Schwäche, sondern Solidarität.
Wechselseitige Respektierung von Eitelkeit ist allerdings eine (infolge von deren
unzureichender Begründung) instabile Balance.
Moral
Gutmenschen können ein Lichtblick sein, Erinnerung an das Gute, das doch eigentlich jeder
will. Jeder einzelne Mensch ist irgendwo gutwillig; die Menschheit aber ist ein
unmenschlicher Naturvorgang; der gute Wille ist letztlich ratlos.
Die vielfachen Zusammenhänge zwischen den Menschen minimieren die Mitverantwortung
jedes Einzelnen – ein Freipass für Egoismus.
Verantwortung ist Kommunikationsbereitschaft.
16
Strafen für unfaires Verhalten ist* (vornehmlich maskuline**) Triebbefriedigung. Gesteuert
wird das von Symbolik. Das erklärt etwas von der früher verbreiteten öffentlichen
Grausamkeit gegen „Feinde der Gesellschaft“.
* TANIA SINGER et al., Empathic neural responses are modulated by the perceived fairness of
others, in: Nature, Vol. 439, 2006.
** Das erinnert an SCHILLERs Blick auf die große Revolution in Frankreich: „Da werden
Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Scherz“ (Lied von der Glocke). Ist Gerechtigkeit
ein eher männliches Anliegen?
Heile Welt zu spielen kann, über das Spielfeld hinaus, Gutes wirken, das sich weiter
fortpflanzt!
Menschlichkeit ist Solidarität in der Orientierungslosigkeit.Die brauchbar vereinfachende
kollektive Selbstsymbolik wird, rationalisiert, unmenschlich. Aus dem Kommunikationsmittel
wird ein Blendwerk, das die menschliche Gesellschaft spaltet. Man kann seine Hoffnung nur
noch auf die Kreativität bescheidener Solidarität setzen.
Was ich tue, symbolisiert mir und anderen, was ich bin. Die soziale Identität gehört zum
Glück.
So gehören Solidarität, Bürgersinn, citizenship zu jedermanns Glück – besonders, wenn ihnen
glückt, auch andere beglücken.
„Ihr sollt vollkommen sein gleich wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Mt 5, 48) in
schöpferisch bescheidener Solidarität.
Die Sprache bietet dem Denken Assimilationsschemata an. Beispiel: die verschiedenen
Personalpronomina, deren Stelle jeweils mit einem Nomen gefüllt werden kann. In Sätzen
stehen sie neben dem (konjugierten) identischen Verb.
Durch sie unterscheidet der Sprecher verschiedene Bezüge zu seiner Umwelt: Das Ich ist das
Zentrum; das Ich ist mit dem Wir identifiziert; das Er/sie/es und das plurale Sie ist das
Fremde. Mit dem Du und dem Ihr ist man vertraut; es bildet den Übergang zum Fremden. Das
Fremde ist das gefährliche andere.
Gegen das Fremde muss man gewappnet sein. Hier kommt es natürlicherweise schnell zu
Gewalt und Feindschaft.
Diese Vorgabe der Natur wurde in der Kulturgeschichte immer wieder durch Humanität*
problematisiert. Sie ist, mit der Technik, das alles beherrschende Problem geworden.
* Unseren philanthropischen Begriff von Humanität verdanken wir der Rhetorica ad
Herennium (die dann Cicero zugeschrieben wurde) und Cicero. Ferner spielt hier die
christliche Ausweitung des alttestamentlichen Gebots der Nächstenliebe eine Rolle.
Wir müssen mit schlechtem Gewissen, vergebungsbedürftig, an einander vorbeileben.
Moral und guter Wille lassen sich, trotz Kant, nicht in Gesetzesform bringen.
Unsere Verhaltensnormen sind strittig. Es gibt ein undurchsichtiges Durcheinander
verschiedener Bestimmungsgründe (darunter auch symbolischer, mehr oder weniger
durchrationalisierter Konsens) des Willens, der subjektiv immer „das Beste“ will.
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Es gibt keine bessere Prüfung unserer Moral, als unsere Entscheidung fragend vor Gott zu
bringen.
Die multipolare Weltgesellschaft ist ein Chaos von Ordnungsansätzen für die ganze Welt.
Kants kategorischer Imperativ, die Forderung einer Identifikation des Einzelnen mit dem
Interesse der Gesellschaft ist nur teilweise erfüllbar. Daher gehört seine Lehre vom radikalen
Bösen dazu.
Um glücklich zu sein, braucht der Mensch kleine, aussichtsreiche Vorhaben und einen
beschränkten Gesichtskreis.
Aber glücklich zu sein, ist nicht seine Hauptaufgabe. Solidarität soll seinen Gesichtskreis
erweitern als Raum für verheißungsvolle Vorhaben.
Der Mensch ist, wie viele Tiere, ein Sucher.
„Was soll ich?“ – : Ich soll, was ich – nicht: wünschen, sondern: wollen kann!
Das fordert immer wieder Umsicht und Nachdenken.
Langeweile droht zu explodieren!
Solidarität
Jeder ist eine Insel von Ordnung im Chaos. Da hilft nur Solidarität*; die Buddhisten reden
von Mitleid, die Christen von Liebe.
* PIERRE-HENRI LEROUX, De L’humanité, Band I/1; 4. Buch: Solidarité mutuelle des hommes,
1. Kap.: Ce qu‘il faut entendre aujourd’hui par charité c’est la solidarité mutuelle des
hommes (p.157), Paris 18452.
Solidarität ist, in psychoanalytischer Terminologie, autoplastische und alloplastische Teil*oder Voll-Identifikation.
* Zu voller, gegenseitiger Solidarität gehört immer wieder auch ein bedauerndes Nein von der
einen, und dessen solidarische Respektierung von der anderen Seite.
Kreativ bescheidene Solidarität auch mit den fast ganz Bösen ist geboten.
In direktem Kontakt: „Ich habe zwei Hemden, er hat keins. Geb ich ihm – Herzklopfen –
geb ich ihm eins?“*
Aber: Good fences make good neighbours ! Gleichheit ist instabil.
* In: Die Gegenwart [?], einer der ersten Zeitungen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Solidarität verlangt: Jeder Mensch sollte sein eigenes Leben als sinnvoll empfinden
können.
Solidarität hat Heilsverheißung.
Menschenwürde ist ein Konzept der Solidarität, überkomplex, zwar rationalisierbar und
konsensual definierbar, aber nicht rational, sondern animalisch begründet.
18
Trauer
Verwandlungen mitzumachen, kostet Kraft – schlussendlich mehr, als man hat. Man heult
verzweifelt, – wenn man dazu noch die Kraft hat.
Wenn das Engagement die eigenen Kräfte übersteigt, weint man.
Das „Ach“ ist Abbruch eines Luftholens (an der Grenze zum Weinkrampf) als
Symbolhandlung.
Trauer ist die schmerzliche Empfindung eines Defektes. Der Geist komplettiert spontan das
(komplizierte) Defekte vereinfachend im Sinne jeweils nächstliegender Schemata – im
Extremfall: irreversibel*.
* Das ist vermutlich in der Trauer um den gekreuzigten Jesus geschehen. End- (und
Auferstehungs-)erwartungen lagen in der Luft und waren plausibel.
Traumatisiert, versteht man praktisch sein Dasein nicht und trauert.
Historisch gibt es epochenspezifische Traumatisierungen:
– Kindheit im zweiten Weltkrieg*: Zerreißungen der hochdimensionalen animalischen
Umwelt in hochdimensionale Stücke.
– bezüglich unserer heutigen Zivilisation wäre wohl nachzudenken über verfrühten Zerfall der
mütterlichen Umwelt in viele kurzlebige und niedrigdimensionale, aber globale
Zusammenhänge.
* Der Psychanalytiker HANS KEILSON hat 1979 über Sequenzielle Traumatisierung bei
Kindern (jüdischen Waisen), die Journalistin SABINE BODE, Die vergessene Generation, 2004,
hat über deutsche Kriegskinder berichtet.
Der gute Wille des Menschen meint letztlich Gott. Er hofft auf Verwirklichung seiner
Zwischenziel-Vorstellungen und wird traurig enttäuscht, zurückgeworfen auf den unerwartet
wirklichen Gott.
Trost in der Trauer: Nicht sich willentlich ablenken, sondern der sinnlichen Wahrnehmung
freien Lauf lassen, spielend im Unbeachteten kleine Entdeckungen zu machen. Diese
entlasten und leiten über ins alltägliche Leben zurück.
Bei Verlust eines nahestehenden Menschen trauert man. Er fehlt; die ganze soziale
Einbettung des Trauernden ist rissig geworden.
Allgemein macht das Gefühl, gesellschaftlich schlecht integriert zu sein, traurig.
Man soll sich auch der Trauer überlassen; sie gibt dem Individuum kritische Distanz zu
seinen bisherigen Selbstverständlichkeiten. Dann soll man Trost suchen und kann ihn finden
durch neue Wahrnehmungseinstellung. Hierzu verhelfen auch Gespräche, Meditation und die
Massenpsychologie von Feiern.
Die Vielfalt der Welt tröstet; sie regt zu Kombinationen an. Der Taufsegen bevollmächtigt
und beauftragt uns zu göttlich bescheidener Kreativität.
Über einem unglücklichen Leben steht doch der ehrenvolle Trost: Das war ein reales Leben,
ein einmaliges Stück von unserer gemeinsamen, einmaligen Wirklichkeit!
19
Leid muss man selbst tätig bewältigen. Andere können nur beistehen.
Mitleid kann man nicht bewältigen; und man soll es auch nicht weltanschaulich abheften.
Man soll es durchleben; es soll uns erschüttern und das eigene Existenzverständnis vertiefen.
Solidarität belastet; sie führt leicht zu seelischer Überbelastung des einzelnen und
Traurigkeit.
PAUL GERHARD* dankte Gott: „Wenn unser Herze seufzt und schreit, bist du gar leicht
erweicht und gibst uns, was uns hoch erfreut und dir zur Ehr gereicht.“ Dieser Vers war mir
immer zuwider. Er setzt eine extrem regressive Gefühlslage voraus.
Unartikulierte Regression begehrt „weiche“ Umarmung; „hoch“ = schrankenlos
undifferenzierte Entlastung; „gibst“ mit der Gabe Teil an dir selbst, erwählst uns zu
Mitschöpfern.
* Ich singe dir mit Herz und Mund …
Abschied ist traurig; aber die bescheidene Solidarität des Schöpfers ersetzt das verlorene
Gottesbild (den Abgeschiedenen).
Gesellschaft
Die natürliche Vermehrung der Menschheit wird durch intraspezifische Konkurrenz
ausgebremst. Auch intraspezifische Mordlust gehört zu den Funktionen der chaotischen
Selbstorganistion der Menschheit. Sie steigert sich in Massen und organisiert sich gewalttätig
zu fürchterlicher Effizienz.
Der militante Islamismus lockt aus Deutschland marginalisierte junge Leute an – natürlich
vornehmlich Kinder von Migranten aus islamischen Ländern, die ihre natürlichen
Aspirationen auf soziale Anerkennung hier natürlich nicht voll realisieren können.
Sinnlosem Bemühen ziehen sie den Wechsel in einen ganz einfach vielversprechenden
sozialen Kontext vor.
Das ist Manifestation eines globalgesellschaftlichen Problems.
Mehrgliedrige Wirkungsketten (insbesondere solche mit Geld als Zwischengliedern)
schwächen die Verantwortlichkeit des Einzelnen.
Wenn ein gesellschaftliches Machtsystem zusammenbricht, bleibt seine obere Mittelschicht
kompromittiert, aber meist erhalten. Das verhindert eine radikale Destrukturierung und
dauerhafte Chaotisierung.
Geschichte ist ein chaotischer Prozess.
Demokratie ist ein voraussetzungsvolles*, labiles kollektives Konstrukt, eine Abfolge von
kleinen, meist bald ausheilenden Katastrophen; ein mildes Chaos**. Sie soll, nach dem
Willen der Mehrheit, dem friedlichen Zusammenleben des Volkes dienen.
Ausgegrenzte hingegen wünschen (meist dumm, aber verständlich) eher Umsturz, also ein
wilderes Chaos – das doch nur Wenigen (und nicht den Besten) von ihnen nützt. Wer den
(höchst ungleich verteilten) Wohlstand zwar (wie bei uns) aus nächster Nähe, aber nur von
unten angucken kann, ist natürlich empört. Die Predigten der terribles simplificateurs fallen
also in glücklichen Ländern bei den Ausgegrenzten auf besonders fruchtbaren Boden!
20
Davon lebt der ISIS***. Der massenhafte Zulauf hat „den Westen“ überrascht, – aber kaum
aus seiner bornierten Selbstgerechtigkeit aufgeschreckt.
* Zu den Voraussetzungen gehören Transparenz der Problemstrukturen und ein umsichtiges,
vorsichtiges und bescheidenes Volk.
** „Normalverteilt“ im Sinne der Statistik.
*** Es bedarf aber keiner Prediger. Auch die „Hooligans gegen Salafisten“ leben davon!
In reichen Gesellschaften vermehren sich die Reichen stärker als die Armen.
Wenn die sozialen Spannungen ins Chaotische wachsen, revoltiert das Rechtsempfinden des
Homo sapiens, d.h. die Basis der geordneten Zusammenarbeit!
Die Menschheit ist kein stabiles System. Menschen versuchen, stabile Systeme zu bilden –
wie auch Tiere Gruppen bilden. Und es gibt für bestimmte Umstände optimale und natürliche
Lebenszeiten von Gruppen.
Der Mensch ist noch stark in Entwicklung begriffen; er hat besonders viele, ständig neue
Existenzmöglichkeiten, – die mit einander konfligieren. Die Geschichte läuft deshalb
chaotisch. (Umsicht und Solidarität begünstigen den evolutionären Erfolg.)
Barbarenherrschaft, überhaupt eine ungebildete Oberschicht, ist in der Regel ein Unglück
für das Volk. Aber Herrschaftswissen und Kultur sind von einander weitgehend unabhängig.
Selten zeichnet sich eine Person durch beide Qualitäten aus*. Der erfolgreiche Politiker oder
Geschäftsmann muss nicht auch noch ein gebildeter Mensch sein. Macht und Prestige sind im
Allgemeinen nur locker mit einander verbunden.
Zum Prestige des normalen Königs gehört allerdings ein Kreis von weisen Räten, – die sich
die Bedenklichkeit leisten können, für die der Entscheidungsträger keine Zeit hat.
* Friedrich II von Preußen hatte eine besonders unglückliche Jugend unter einem strengen
Vater hinter sich und wurde als mächtiger, gebildeter König zur berühmtesten Ausnahme.
Übermäßige Machtakkumulation als Entwicklungsbremse kann wohl auch ein Chaos
verhüten, das noch schlimmer wäre.
Machtakkumulation ist für Organisation von Kooperation nötig. Sie geht aber weiter und
belastet die Gesellschaft. Das führt immer wieder zu Aufstand der Massen* und sozialem
Chaos.
* Buchtitel von JOSÉ ORTEGA Y GASSET, 1929 (dt. 1931).
Es gibt beschädigte Gesellschaften, die aus dem selbstschädigenden Verhalten nicht
hinausfinden. Und das ist eine gefährliche Infektionskrankheit!
Menschen, die (im wolkigen, landläufigen Sinn) „an das Gute glauben“ und entsprechend
leben und handeln, sind ein Licht in der Finsternis des sacro egoismo.
Macht: Verteidigung ist Ordnungsmacht, Angriff ist Störmacht. Beides ist immer gemischt,
wenngleich mit verschiedenem Schwerpunkt.
Macht: Je ausgeprägter die Machtkonzentration, desto stärker das Wachstum und desto
größer die Zusammenbrüche.
21
Alles Lebendige wünscht sich Nachhaltigkeit; und um, im großen Nebeneinander dieser
Welt, sich diese zu sichern, bräuchte man Übermacht über alles, was einem gefährlich werden
könnte.
Gesellschaftliche Macht setzt gesellschaftliche Struktur voraus. Aber die Gesellschaft ist in
Bewegung; und diese ist sowohl verheißungsvoll wie gefährlich. Deshalb sträuben sich die
Mächtigen, Macht abzugeben, – auch wenn das die Gesellschaft, in der sie unter den
herrschenden Umständen ihre Macht haben, stabilisieren würde.
Der Nationalsozialismus, die Rote-Armee-Fraktion, das ISIS-Kalifat – sie alle haben
angefangen als unausbleibliche selbstorganisierte Stücke am chaotischen Rand einer
zufälligen, aber etablierten, Selbstverständlichkeit beanspruchenden sozialen Ordnung mit
ihren sterilisierenden Verboten.
Die heutige Summe der Wünsche der Einzelnen destabilisiert das sozioökonomische System
und seine Umgebung – zu Lasten der Mehrheit. Gleichmäßige Lastenverteilung ist nicht
konsensual zu operationalisieren. Chaotisierende Verteilungskämpfe sind unvermeidlich. Sie
können bestenfalls gemildert werden.
Alles Wirkliche passt nur schlecht zusammen. Der sogenannte Fortschritt ist angetrieben
durch Inkompatibilitäten.
Sozialisierung ist oft nur teilweise oder gar konträr erfolgreich.
Sozialisationsprobleme fordern Kreativität. Das Ergebnis kann sich kulturell durchsetzen.
Großer konträrer Erfolg führt zu Selbstorganisation von – auch gewalttätigen –
Gegenkulturen, z.B. RAF, IS(=„Islamischer Staat“).
Die menschliche Gesellschaft lebt von Vertrauen.
Herrschaft ist eine grobe Vereinfachung. Auch „Demokratie“ war schon immer eine grobe
Vereinfachung.
Eine überwältigende Menge von guten Vorhaben, die einander durchkreuzen, bildet das
Material der sog. Geschichte. Es lohnt, hier und da genau hinzugucken. Es ist, inmitten aller
Traurigkeit, erhebend*!
* GOETHE, Maximen und Reflexionen: „Das Beste, was wir von der Geschichte haben, ist der
Enthusiasmus, den sie erregt.“
In ruhigen Zeiten stabilisiert man innovativ.
Die Gesellschaft ist ein Prozess von (durch Selbstsymbolisierung chaotisierter)
Schwarmintelligenz. Selbst unzuverlässig, verpflichtet sie die Einzelnen zur Zuverlässigkeit
als Stützen der Gesellschaft.
Die Selbstsymbolik vermittelt das Subjekt mit seiner Umwelt.
Subjekte sind, wie die Grammatik verrät, weitgehend Sache der frei objektivierenden
Vernunft, Definitionssache.
Kollektive verhalten sich ähnlich wie Individuen. Sie sind schwächer organisiert, aber oft
langlebiger.
22
Strukturelle Gewalt drückt einen Teil der Gesellschaft in eine unzumutbare Not und
Hoffnungslosigkeit, die bei normalen Menschen asoziales Verhalten bis hin zu Gewalttat
provoziert.
Leid erregt Mitleid und fordert Hilfe. Hilfeleistung lindert das Leid beider Beteiligten, auch
wenn sie nicht Abhilfe schafft.
„Wir“ sind per definitionem das auserwählte Volk.
Die Geschichte verläuft weder linear noch zyklisch*; sondern chaotisch – so zwar, dass man
sie sowohl linear wie zyklisch ein Stück weit ungefähr verstehen kann.
* Beides unbefriedigende Vorstellungen.
Die menschliche Gesellschaft vereinfacht und gliedert sich in Pseudospezies zu stabil
kooperationsfähiger Struktur: Schichten und Klassen, die je die Macht ihres verschieden
hohen Prestiges genießen.
Staat
Recht ist ein Strukturelement der Kooperation, staatlich versteift.
Gerechtigkeit ist ein gesellschaftliches Ideal, eine verpflichtende Vereinfachung.
Pflicht, im (nach Kant) vertieften Sinne, ist im Grunde Geschmackssache.
Guter Geschmack ist bescheiden.
Recht: Unrecht macht böse. Aggressionspotenzial hütet das Recht, und das Recht hütet den
Frieden.
Eigentum ist natürlicherweise ungleich verteilt. Exponentielles Wachstum vergleichbarer
verschiedener Werte verstärkt deren Ungleichverteilung. Die Finanzpolitik muss im Interesse
des sozialen Friedens gegensteuern. Politik muss für eine Verteilung der knappen Güter
sorgen, die der maßvoll gestreuten, natürlichen Ungleichheit der Menschen einigermaßen
konsensfähig angemessen ist.
Recht: Geltendes Recht kann immer nur eine Weiterentwicklung herkömmlichen Rechts
sein.
Macht-Gleichverteilung zwischen vielen Subjekten ist überkomplex, unberechenbar und
wäre extrem instabil.
Das allgemeine vitale Bedürfnis nach koordiniertem, kooperativem, ja konsensualem Handeln
fordert differenzierte Ungleichverteilung der Macht. Das ist die Basis jeder
Massendemokratie.
Demokratische Kontrolle der sozialen Gewalt (Staat) setzt eine von aktivem Bürgersinn
(citizenship) getragene soziokulturelle Einheit voraus. Ohne diese Voraussetzung gibt es nur
Gewaltherrschaften (offene oder verdeckte) und Untertanen.
Jeder Staat braucht auch Gewalt. Hier gibt es Reibungsflächen und Probleme, die der
Bürger, auch im Interesse des Staates, ernstnehmen sollte. Jeder Staat braucht für seine
Stabilität nicht nur Zustimmung, sondern Mitdenken.
23
Entwicklung von Bürgersinn wird von unbefriedigender Leistung des Machtsystems
hervorgerufen (Ende der DDR).
Recht: Gerechtigkeit im Chaos – jeder muss soldarisch dafür einstehen.
Kultur
Friede setzt Bescheidenheit voraus.
Eine Kultur, genauer: die Interpretation der Natur durch die herrschende Kultur, ist ein
lebendiges Ungefähr. Eine gemeinsame Kultur ist wesentlich für die gesellschaftliche
Kooperation, von der alle leben; aber was für eine Kultur hier und jetzt herrscht, das ist
vielfach und wechselnd bedingt.
Da jedermann die Grundlage des Wohlstands gesichert wissen möchte, fordert die
Gesellschaft im Konfliktfall Heuchelei und Lüge. Die kleinen Kinder werden mit
Ammenmärchen erzogen – mit gleitendem Übergang zu Kindergottesdienst ,
Religionsunterricht und deren neueren Äquivalenten – bis zu den offiziellen
Geschichtsklitterungen (nützlichen Vereinfachungen) im staatlich verordneten
Unterrichtsstoff.
Wirtschaftsunternehmen haben ihre Betriebskultur und ihre Philosophie (und ein Hidden
curriculum*), die ihre Bürgerpflichten nach innen und nach außen bestimmen.
Kulturkritik gehört zu einer lebendigen Kultur. Natürlicherweise stellen die Pubertierenden
die Interpretation der Natur durch die herrschende Kultur (und damit die Grundlage des
Wohlstands) in Frage.
* Ein Begriff von PHILIP W. JACKSON (Life in classrooms, 1968), der auch im deutschen
Sprachbereich erhellend und anregend gewirkt hat.
Der Begriff «terrible simplificateur» wurde 1889 von Jacob Burckhardt (in einem
Privatbrief an einen alten Freund) geprägt – pikanterweise im Geburtsjahr A. Hitlers!
Für „mehr Kultur im Alltag“ setzt sich ein Bochumer „Design und Handwerk“-Geschäft ein.
Es bietet schöne und gute Gegenstände an. Handtaschen, Kämme, Schmuck –
Kunsthandwerk. Wozu? Hat unser Alltag mehr Kunst nötig? Ist er kulturell verarmt? Oder ist
Alltag immer kulturell arm?
Kultur ist die Einbettung der (so hochdimensionalen) Menschen in ihre Gesellschaft, eine
naturwüchsige, nicht machbare, hochdimensionale Struktur. Im Alltag aber geht es
hauptsächlich um Machen; und Machen ist möglichst niedrigdimensional.
Wir haben auch im Machen Fortschritte gemacht. Der menschliche Kontakt dient im Alltag
einem gemeinsamen Machen. Aber man arbeitet heute mehr mit Maschinen als mit
Menschen*; Maschinen mögen kompliziert sein; sie sind doch jedenfalls einfacher als
Menschen.
In der niedrigdimensionalen Perfektion der Kooperation vereinsamt der Mensch als Ganzer;
der Alltag verarmt menschlich. Ein Kunstwerk, auch ein handwerkliches, ist ein Modell von
Ganzheit. Kunsthandwerk bereichert den Alltag menschlich, indem es im Alltag an für die
Produktion überflüssige Dimensionen der Menschlichkeit erinnert.
* Schon als ich jung war, gab es einen Bestseller „Mit dem Auto auf Du“.
24
Eine Kultur ist eine hochdimensionale, traditionsdominierte, „naturwüchsige“
Sozialstruktur.
Eine Zivilisation ist ein gemeinsames Dach für mehrere ähnliche Kulturen;
niedrigdimensional, künstlich, zweckrational nach spezifischen Normen und Werten
zukunftsorientiert. Der Kulturschwund im Zuge des beschleunigten Fortschritts wächst sich
zur Naturkatastrophe aus.
In der Arbeitsgesellschaft ist Arbeitslosigkeit entehrend; man ist exkommuniziert. Wer seine
Exkommunikation akzeptiert, sucht Anschluss an eine Gegenkultur. Das macht den ISIS so
attraktiv. Der Normalbürger ist überrascht.
Viele Eigenschaften sind umständebedingt über die verschiedenen Menschen
normalverteilt*. So auch der Wille zum eigenen Nachwuchs. Das bedingt eine stärkere
Vermehrung der Vermehrungsfreudigen gegenüber der Minderzahl der Sublimierer.
Beide Typen aber arbeiten als Teile einer Gesellschaft einander erfolgreich in die Hände.
Der zölibatäre katholische Klerus ist ideologisch sehr vermehrungsfreudig. Wissenschaft,
einst in Klöstern, in Schulen bei Regular- und Säkularklerikern (→„clerks“!) zuhause, neigt –
nolens volens – zur Kinderlosigkeit, arbeitet aber für sustainable development.
* Grundmodell: Glockenkurve.
Die Zahl der Marginalisierten wächst. Ein Teil vereinsamt. Es gibt spontane
Selbsthilfegruppen. Man sieht Grüppchen, mit Bierflaschen in der Hand, am Bahnhof
herumstehen; andere reisen zum IS-Kalifen und genießen dort eine mächtige Wichtigkeit.
Selbstmordattentate und Himmelfahrtskommandos sind große Mode.
Unser kultiviertes Establishment hat es allzu lange belanglos gefunden, was für Subkulturen
am Rande der Globalgesellschaft spontan wachsen.
Besserwisserische Fürsorge führt nicht weiter. Hier ist, vor allem anderen, bescheidene
Solidarität in der profunden Ratlosigkeit nötig, – die in den verschiedenen Kulturen
verschieden symbolisiert und verleugnet wird.
Allgemeines nachhaltiges Wohlbefinden könnte manchem langweilig werden* – und also
sein Wohlbefinden schmälern. Es ist nur eine von mehreren Leitideen, die allenthalben um
die Vorherrschaft kämpfen.
* Das ISIS-Kalifat erinnert überdies an die gesellschaftliche Wichtigkeit von Rachsucht und
Schadenfreude.
Jeder weiß es: Werbung manipuliert professionell und verzerrt die Wahrheit. Sie stiehlt
ihrem Adressaten Zeit und Aufmerksamkeit und verhindert nach Kräften Umsicht und
Besinnung. In dem Maße, wie Werbung die Öffentlichkeit beherrscht, verflacht die Kultur
zum Markt.
Eine Kultur ist ein gemeinschaftliches Unterfangen auch die Umwelt umfassender
Integration.
Eine Subkultur kann dem, an ihrem Teil, zudienen oder sich als Gegenkultur versuchen.
Ein kultivierter Mensch lebt für nachhaltige Integration.
Ein Kunstwerk ist ein Integrationsmodell – wie eine Theorie oder ein Aperçu.
25
Jede Kultur passt jedem Einzelnen nur ungefähr, hat also eine gewalttätige Seite und ist ein
instabiler Kompromiss.
Die technisch verselbständigte Gewalt macht umfassenden Kulturwandel erforderlich.
In der mediterranen klassischen Antike entstand, auf dem Boden reicher Kulturtechnik, das
Ideal der Humanität.
Nationalismen (sacro egoismo) neigen, wie religiöse Überheblichkeiten von Gottesvölkern,
zu Intoleranz und mörderischer Gewalt. Auch das ist menschlich; es kann in gewissem
Umfang (instabil) kultiviert werden (Kriegsrecht).
Kreuzritter, Reisläufer und jetzt die europäischen Djihadisten; Bernhard von Clairvaux und
heute die islamistischen Hassprediger ähneln einander – Liebe und Hass ohne Mäßigung
durch mitmenschliche Aufmerksamkeit.
Die empfundene Verlogenheit der Zivilisation hat schon zur Kriegsbegeisterung des Ersten
Weltkriegs beigetragen.
Eine Zivilisation ist eine kollektive Leugnung der gewaltsamen Verzerrungen der
Wirklichkeit durch die herrschende Symbolik. Der kulturelle Generationswechsel schafft
jeweils neue Verzerrungen.
Das Bewährte versteinert. Kultureller Generationswechsel mit Schwarmintelligenz bringt
Aufbrüche.
Menschliche Schwarmintelligenz bringt Symbolik und Sprachen hervor, tradiert und
entwickelt sie weiter, in welchen Sinnsysteme und orientierende Existenzsymbolik entstehen,
– Vereinfachungen, die komplexe Kooperationen ermöglichen, aber immer wieder auch zu
mörderischen Konfrontationen führen.
Fließende Übergänge zwischen Realität und Vorstellungen sind konstitutiv für das
menschliche Dasein.
Alle Identitäten sind bedingt; und ein jedes passt mit einem andern nur bedingt zusammen.
Deshalb verstehen wir alles nur bedingt. Diese fließenden Übergänge machen das
menschliche Zusammenleben so labil. Die Bedingtheit ist unergründlich.
Der Solidarische lebt den fließenden Übergang.
Die russischen Nationalisten sind, wie unsere Nazis waren, gekränkt.
Eigentum ist natürliches gefährdetes Grenzgebiet des Selbst, ein Raum der Interaktion.
Eigentum verpflichtet. Es ein Medium der Zivilisation.
Wiederholungen sind für das Leben wesentlich. In ihnen vollzieht sich Identität. An mild
chaotische Umwelt werden sie ungefähr angepasst. Anpassungsfähigkeit ist ein oft
entscheidender Selektionsvorteil. Antizipation und Verstehen des Umweltgeschehens dienen
der Anpassung. Verständnis ist tradierbar.
Für viele Spezies ist Geselligkeit wichtig; diese regelt sich vermittels Symbolik.
Menschliche Gesellschaften haben ihre Regeln. Das jeweilige Regelwerk ist ihre Kultur. Der
Mensch ist durch Kultur zur Herrschaft gekommen.
26
Der Verstand jedes Einzelnen verarbeitet seine Wahrnehmungen kreativ. Die Kreativität prägt
die Individualität und verleiht dem Einzelnen seinen sozialen Wert. Er lernt und kann etwas.
Kunst ist hohes Können, das sich verselbständigt hat. Sie ist zum Inbegriff von Kultur
geworden. Kunst inspiriert.
Jede Kultur, jede Zivilisation hat barbarische Seiten; und das Ausmaß der Barbarei schwankt.
Heute scheint die Kultur weltweit im Niedergang begriffen. Die Halbwertzeit des Könnens
ist, infolge der menschlichen Kreativität, schnell geschrumpft; angstgetrieben hastet man
durchs Leben. Unsere Kreativität ist den selbstgemachten neuen Problemen der Menschheit
wohl doch nicht mehr gewachsen.
Geld
Geld ist funktional zu definieren. Es hat mehrere mit einander zusammenhängende
Funktionen. Grundlegend ist es ein Tauschmittel.
Auch Sachen können Wert haben, Wert behalten, Wert produzieren und als Tauschmittel
angeschafft werden.
Zur Vorsorge ist ein Tauschmittel aber nur bedingt nützlich. Die schnelle Weltveränderung
und die entsprechenden, spekulativen Preisschwankungen verunsichern heute jede Vorsorge.
Wahl-abhängige Politiker müssen zwar kurzsichtig kalkulieren und (wenn sie keine
charismatischen Führer sind), gegen ein wachsendes Misstrauen an, ein baldiges
Wirtschaftswachstum in Aussicht stellen; aber die endemische Sorge mahnt zu einer
Sparsamkeit, die die kurzsichtige Wachstumspolitik behindert.
Geld ist Staatsverschuldung.
Tauschwert (der fundamentale Wert) des Geldes steigt mit Tauschbedürfnis, Verknappung
und Zirkulation.
Geld-Akkumukation („Horten“) verknappt Geld, und bremst die Wirtschaft jetzt – zugunsten
späterer Nachfrage.
Schon wieder ist die Welt überschuldet; „die Welt, die will betrogen sein“*.
* SEBASTIAN BRANT, Das Narrenschiff (LXV: Von Achtung des Gestirns), 1494, im Blick auf
die (mit der neuen Technik des Buchdrucks vervielfältigten) Weissagungen des
astrologischen Aberglaubens. Ebenda: „Der ist ein Narr, der mehr verheißt, als er in sym
Vermögen weißt.“ („Vermögen“ im Sinne von: Was einer vermag.)
Wenn jeder sich durch die sozioökonomische Entwicklung gefährdet weiß, entsteht eine
Angstspirale, die just das Geld entwertet, das da als Wertaufbewahrungsmittel gehortet wird.
Auch Sachen eignen sich nur bedingt als Wertaufbewahrungsmittel*.
* Am sichersten wäre Tauschwert zu erhalten, indem man ständig die kleinen Schwankungen
zwischen den Kurswerten und Differenzen zum (umständebedingten) Realwert ausnutzt. Aber
das kostet Arbeitszeit von Fachleuten und also wieder Geld.
Inflation trifft absolut am härtesten die wenigen, die das meiste Geld haben. Insofern ist die
heutige europäische Inflationspolitik eine Sozialpolitik im Sinne der Schwundgeld-Theorie.
Relativ aber trifft die schleichende Inflation am härtesten die Menge derjenigen, die von ihren
Ersparnissen leben müssen.
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Geldmenschen nennt man „Materialisten“ („materiell“ = „finanziell“ ~ Macht =
Verfügungsgewalt) vs. „Idealisten“. Für Geld kann man beliebige Güter kaufen; Geld ist
somit im sozialen Selbstverständnis so etwas wie in der klassischen Ontologie die formlose
Materie (= reine Möglichkeit ~ „Vermögen“).
Geld ist Tauschwert, für persönlicher Vorsorge im Blick auf unvorhersehbare Umstände die
geeignete Form.
Deficit spending der öffentlichen Hand entwertet, langsam aber sicher, die Ersparnisse
(Sicherung der Altersversorgung).
Wertgegenstände sind Gegenstände von vermutlich* bleibendem Tauschwert.
* Aufgrund bleibenden Gebrauchs- (d.h. Lebens-)werts.
Geld ist reifizierter Glaube (credit).
Die Staaten haben das Gewaltmonopol; aber die Finanzwirtschaft hat mehr Macht.*
Moderne** Staaten sind transparent und demokratisch kontrolliert, und das schränkt ihre je
aktuelle Macht ein.
* Schon vor dem dreißigjährigen Krieg sagte man: „Geld regiert die Welt.“
** Das ist kein chronologischer, sondern ein qualitativer Begriff, an neuzeitlichen Idealen von
Macht orientiert.
Geld ist ein kulturelles Artefakt, nicht essenziell definiert, sondern durch seine Funktionen.
Grundlegend ist es ein allgemein anerkannter Wert, ursprünglich Gold und Silber, möglichst
durch die Staatsgewalt* garantiert (geprägte Münze, sodann Papiergeld). Die allgemeine
Anerkennung seines Wertes macht es zum zentralen Tauschmittel und Maßstab für
quantitativen Wertvergleich; sie ist allerdings (im Zuge des Fortschritts auch krimineller
Möglichkeiten) brüchig geworden. Auch das Geld „ist nicht mehr, was es war“.
Seine Wichtigkeit beruht heute vornehmlich auf seinen sekundären Funktionen in der
aktuellen Zivilisation. In der augenblicklichen globalen Überflussgesellschaft fällt weniger
die allgemeinmenschliche Nachfrage nach Realien direkt ins Gewicht als die Nachfrage der
Mächtigen nach noch mehr Macht. So sind, auf kurze Sicht, die Finanzen wichtiger als die
Realwirtschaft geworden. Diese wachsende Kopflastigkeit der Weltwirtschaft destabilisiert
natürlich die Globalgesellschaft.
* Heute können die Banken Geld schaffen, für das sie selbst (in der Regel: im Verbund)
garantieren, das sog. Giralgeld.
Erhöhung der Geldmenge, die den wirtschaftlichen Fortschritt übersteigt, ist Betrug. Gegen
die Rezessionsdrohung ist sie Diebstahl an der ferneren Zukunft zu Gunsten der näheren und
im Interesse an gegenwärtigem Frieden.
Geld ist nicht nur geruchlos („Non olet“), sondern gesichtslos. Man kann dafür eintauschen,
was immer man fürs Leben braucht. Aber die, die das Geld haben, können gar nicht so viel
brauchen, wie sie haben. Für sie ist Geld Material fast schrankenloser Freiheit, abstrakte,
bloße soziale Macht (incl. Sicherung).
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Die Bibel warnt vor dem Mammon als dem Abgott, der die sozialen Beziehungen gegen
Gottes Gebot der Solidarität („Liebe“) regelt. (In der Neuzeit wurde hierfür der Begriff
atheismus practicus konzipiert.)
Geld ein Wert-Joker, Sicherung gegen Unvorhergesehenes.
Kollektive Angst ist ein selbstverstärkender Prozess. Je mehr Unsicherheit herrscht und alle
vor allen Angst haben – homo homini lupus –, droht Panik auszubrechen.
Das allgemeine Sicherungsbedürfnis führt gebieterisch in eine Finanzkrise.
Wirtschaft
Finanzielle Machtakkumulation: Die meisten haben immer weniger Geld, konsumieren also
weniger. Das schwächt die Nachfrage. Dies entwertet die Produktionsmittel und mindert die
Verzinsung der Investitionen. Der Markt für Luxusgüter bleibt stark, aber wird eng. Der
Reichtum bremst das Wachstum aus.
Die (Reiche wie Arme betreffende) allgemeine Verunsicherung bremst vernünftigerweise
die Zirkulation des Geldes und damit die Wirtschaft.
Für allgemeinen Wohlstand ist eine „Mittelschicht“ nötig. Diese Leute organisieren,
verglichen mit Ober- und Unterschicht, am kompetentesten nachhaltigen Nutzen – primär
jeder für sich selbst*, sekundär für das Kapital, darüber hinaus aber: für alle.
Sie machen auch einander Arbeit, allerdings mit ihren Erfindungen auch viel (mühevoll
erlernte) Arbeit – zum Schaden ihrer eigenen Schicht – überflüssig.
Geld ist Anrecht. Ungleichverteilung ist faktische Rechtsungleichheit, die, im Interesse der
Kooperation, durch eine Rechtsordnung abgesichert ist.
An der Kooperation sind fast alle interessiert. Sie steigert aber, durch industriell
multiplizierendes Wirtschaftswachstum, die Ungleichverteilung und führt, in einem
chaotischen Prozess, durch Ausbeutung von Mensch und Natur, in die nächste Katastrophe.
Industrie im heutigen Sinn beruht auf Technik, d.h. (immer höherer) Multiplikation.
Einzelanfertigung ist wirtschaftlich zur Randerscheinung geworden*.
Das prägt heute auch den Wissenschaftsbetrieb. Dass Wissenschaft aus der Muße erwächst,
war gestern. Besinnung und Sammlung des einzelnen entzieht sich der sozialen Kontrolle.
Der Markt verspricht sich mehr von kommunikativer Geschäftigkeit.
* Neuerdings gibt es auch Individualisierung des industriellen Angebots. Es ist Sinn: Jedes
Leben ist eine dynamische Ordnung und braucht zu seiner Erhaltung eine Umwelt mit einer
Ordnung, die ungefähr dazu passt. Es ist Aufbau und Erhaltung einer zeitweiligen Ordnung
inmitten eines unvorhersehbaren, mild chaotischen Prozesses. Das ist sein inmitten aller
Trauer belebend erfreulicher Sinn.
Industrie ist möglichst massenhaftes Klonen, unidirektionales Kopieren je einer Form auf
Materie. Rück- und Wechselwirkung sind minimiert.
Small is beautiful, aber Macht liegt besser im Markt.
Gewaltige, global operierende Marktforschungsunternehmen beraten die
Wirtschaftsorganisationen, wie diese den Umsatz steigern können. Es ist nicht zu erwarten,
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dass die unorganisierte Kundschaft den meisterhaft gezielten Verführungen ökologisch
genügend widersteht.
Gegenwart
Unsicherheit ist das einzige, was man mit Sicherheit prognostizieren kann. Aber umsichtige
Politik braucht sorgfältige Berechnungen, auch wo diese nicht mehr belastbar sind.
In der aktuellen Machtpolitik wird zu ungeduldig gedacht. Schlechtes Benehmen muss nicht
sofort bestraft werden; es schafft in der Regel dem Rüpel dauerhafte Folgekosten. Vertrauen
ist Gold wert; spätestens wenn es verspielt ist, merkt man es.
Erst wächst die Bevölkerung, dann die Ansprüche, zu deren Gunsten dann das
Bevölkerungswachstum zurückgefahren wird, was aber die Umweltbelastung nicht wesentlich
mindert.
Die Menschheit ist so groß und so kompliziert geworden (jede Vereinfachung schafft neue
Komplikationen), dass nicht nur der Souverän der Demokratie (das Volk), sondern auch die
Administration/Regierung als Entscheidungsträger eigentlich überfordert ist.
Abschied vom Überfluss* fällt Kultivierteren und Bessergestellten leichter.
Jeder ist verpflichtet, für sich selbst vorzusorgen; und das ist für die Ärmeren schwerer.
Deshalb sind sie weniger geneigt, Arbeit und Lohn mit den Arbeitslosen zu teilen, und
insistieren auf ausgleichende Gerechtigkeit zwischen Armen und Reichen.
* Buchtitel von NIKO PAECH.
Die Globalgesellschaft überfordert die Menschen moralisch. Wir sind für kriegerische,
kleinere Gesellschaften ausgelegt. Der Homo sapiens ist nicht so schnell veränderbar wie die
blindlings von ihm selbst gemachten Veränderungen seiner Lebensbedingungen.
Die Gescheiteren sind ratlos – und stellen sich schwerhörig; die Dümmeren reagieren,
eigentlich uraltmodisch, mit rabiatem (nationalem und/oder religiösem) Partikularismus.
Bildung senkt heute die Vermehrungsrate eines Volkes im Interesse höheren Wohlstands.
Verloren in der Globalgesellschaft, leben wir wie einst die „Jäger und Sammler“, wie im
Urwald.
Die neuen Jungen lesen nicht mehr kanonische Bücher mit klassischen Modellen. Sie reden
eine eilige, ungepflegte, neue Mischsprache. Global orientiert, setzen sie sich mit
Selbstverständlichkeit für den Naturschutz ein, der heute lebensnotwendig geworden ist. Wir
durchleben einen gewaltigen Kulturbruch.
„The selfish Gene“* war 1976 eine bestechende Formulierung. Das ist jetzt fast ein halbes
Jahrhundert her.
Das neoliberale Evangelium ist überwunden. Die ökonomische Maschinerie ist zwar immer
noch auf die versimpelnde Anthropologie des Egoismus angewiesen. Aber als der Weisheit
letzter Schluss überzeugt sie nicht mehr. Der Macht kommt das Prestige abhanden.
* Buchtitel von RICHARD DAWKINS.
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Die Menschheit hat sich durch Machtkonzentration zunächst höhere Sicherheit und
Berechenbarkeit erkauft. Das Optimum aber ist überschritten; und kein Zurück ist
konsensfähig.
In unserer globalen Informationsgesellschaft ist erhöhtes Misstrauen geboten.
In einer Gesellschaft aber, wo Misstrauen herrscht, ist man eher geneigt, sich vor Unrecht zu
schützen, indem man selbst Unrecht tut. Eine kaputte Gesellschaft sehnt sich nach Heiligen,
die das nicht versuchen.
Die Globalgesellschaft ist oberflächlich homogenisiert, zerfällt aber rapide vieldimensional
in ein explosives Chaos von Subkulturen mit kurzlebigen Insider-Sprachen.
Der Homo faber hat, kraft seiner Kreativität, die Arbeitsgesellschaft als verpflichtendes
Modell überwunden. Wir leben in einer künstlichen Welt – unter immer drückender
werdender Konkurrenz seitens unserer Maschinen. Ein konsensfähiger Ersatz für die
verlorene Normenwelt der Arbeitsgesellschaft ist noch nicht gefunden*. Deshalb ist die
(hauptsächlich wirtschaftlich fundierte) Ordnung der Globalgesellschaft so labil.
* Kulturarbeit als funktionales Äquivalent für materielle Produktivität (ADRIENNE GOEHLER
mit GÖTZ WERNER, 1000 € für jeden. Freiheit. Gleichheit. Grundeinkommen) ist sympathisch,
aber zu schwach.
Nicht nur physisch, sondern auch kulturell setzt Gelingen höheren Lebens eine lange
Selektionsgeschichte voraus.
Kulturelle Überlieferung ist Lebenserfahrung, die in einer bestimmten Umwelt gesammelt
wurde. Ihre Brauchbarkeit hängt von der Konstanz dieser Umwelt ab. Veränderungen des
Milieus sind gefährlich: sie bedingen kulturelle Innovationen und Traditionsabbrüche.
Überrascht, überwältigt und ratlos erleben wir das heute weltweit.
Die wirklich Bedürftigen können nicht genug zahlen; die Märkte sind gesättigt; das
Marketing wird immer aufdringlicher und steriler.
Der effizienteste Motor der lahmenden Weltwirtschaft wäre die Rüstungsindustrie. Sie
ermöglicht schnellste und gründliche Zerstörung und belebt die Nachfrage entsprechend.
Nach dem zweiten Weltkrieg hatten wir das deutsche Wirtschaftswunder. Wir waren
bedürftig; aber es lohnte sich, bei uns zu investieren! Niemand kann sich öffentlich so etwas
noch einmal wünschen. Aber auch die massenhaften kleinen Zerstörungen infolge des
technischen Fortschritts*, die wir geschehen lassen, steigern das Bruttosozialprodukt.
Die Technik nimmt den Menschen Arbeit ab; und sie macht die Reicheren schneller reicher.
Weltweit aber richtet sie, sozial und ökologisch, zunehmend Schaden an.
Die Reichen wissen heute nicht mehr, wohin mit ihrem Geld. Es zirkuliert nicht mehr, wie es
sollte. Entwertung droht – wieder am bedrohlichsten für die Armen.
Herkömmliche wirtschaftsethische Selbstverständlichkeiten sind kontraproduktiv geworden.
Das in der Politik immer noch dominierende Ziel "Wachstum!" sowie die Produktion gehen
zunehmend zu Lasten der Nachhaltigkeit
* Der größte Feind des Guten ist das Bessere.
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Bei der allgemeinen Verunsicherung durch das globale Innovationstempo, erscheint das
Tauschmittel Geld als die sicherste Sicherung. Allzu ungleich verteilt aber, chaotisiert es das
System, anstatt zu sichern.
Früher gab es Heilige Schriften und Klassiker. Heute gibt es das Internet, kurzatmige
Vermassung. Und die chaotisiert.
In einer hektischen Weltgesellschaft gedeiht eine korrupte Oberschicht.
Verglichen mit den andern Weltmächten, hat Europa Bescheidenheit gelernt.
Medizin soll Leiden mindern. Gesetze sollen der allgemeinen Wohlfahrt dienen.
Ein Todesfall hinterlässt Leidtragende. Ein Selbstmord schockiert überdies; er wirft die Frage
nach der erlebten Mitmenschlichkeit der Mitmenschen auf.
Weder Gesetzgeber noch Arzt sind berufen, diese Frage zu verhindern. Hier geht es, vor allem
andern, um ehrliche Anerkennung nicht nur von individuellen, sondern auch von kollektiven
Notlagen, – zu denen heute der demographische Wandel und die entsprechenden Zustände in
den Pflegeheimen gehören. Hier ist wohl eine Kulturrevolution an der Zeit.
Es gibt mehr empörte Opfer der sozialen Ungleichheit als der brave Bürger für möglich
gehalten hätte! Inmitten des privilegierten Westens konvertieren sie vom Rand der
Gesellschaft zum militanten Islam!
Besonders unterprivilegierte junge Männer empfinden die Heteronomie der sozialen
Selbstverständlichkeiten, die sie nun in eigener Verantwortung übernehmen sollen, als
Missachtung der Chaotik der gebotenen Kreativität (des Wagnisses, ein menschliches Subjekt
zu sein) und schließen sich einer international erfolgreich blutig kämpfenden
Protestbewegung an.
Mit der Zahl der Mitmenschen ist die Komplexität unserer Lebenswelt enorm gewachsenen.
Die Globalgesellschaft ihr nicht gewachsen.
Den meisten Menschen dienen verblüffend einfache Weltbilder symbolisch zur
Verhaltensorientierung. Befriedigen diese nicht mehr, so ersetzen die überforderten
Individuen sie gern unverbindlich durch noch einfachere (und unverträglichere); denn
Desorientierung ist schwer erträglich.
Die Operationalisierung im konkreten Verhalten hingegen ist recht differenziert und oft
borniert gut geschult durch „Ausbildung“, die vielfältige neue Massenware. Die Unbildung
der so gut Ausgebildeten wird gefährlich für die ganze Biosphäre!
Das hat jeder im Gefühl; und Bildung vollzieht sich unbeholfen in persönlichen
Fühlungnahmen und Gesprächen.
Die Menschheit wuchert – und zerstört ihre eigene Existenzbasis.
Die Memetik/Informatik wuchert und zerstört die Menschheit – vielleicht bevor diese die
Biosphäre zerstört hat.
Noch immer riskieren Politiker öffentliche Ablehnung, wenn sie sich nicht dumm stellen
und für Wachstum kämpfen.
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Ausblick
Nach klassischem Verständnis ist die Welt durch (gestörte) Normalitäten strukturiert.
Die Entwicklung unserer Produktionsverhältnisse aber – von den ersten Faustkeilen, deren
sich der Mensch bediente, über die Maschinen (die nun umgekehrt der Mensch bedient) und
die heutige Produktion von Produktionsmitteln – schwächt sich nicht ab in ein normales
sustainable development, sondern wächst exponenziell in eine global lebensgefährliche
Chaotik hinein*.
Das kommt von der menschlichen Kreativität, – einer schon immer gefürchteten, verteufelten
Gottgleichheit. (Nach der biblischen Schöpfungsgeschichte, 1Mose 2,7, blies der Schöpfer**
dem Menschen Lebensatem*** in die Nase.)
* Ausgreifende Zukunftsphantasien sind prognostisch wertlos. Es sind Existenzsymbole; sie
haben ihren Markt und sind kulturpsychologisch interessant.
** Scil.: „aus Seinem Mund“!
*** Scil.: „zum menschlichen Leben“!
Die Zukunft ist Zeit; die Ewigkeit erfahren wir jetzt.
Sustainable development? – Entschleunigung – Ruhe – im Grunde: Demut!
Demut hat Mut, nicht den Mut der Verzweiflung, sondern etwas von dem Mut des Schöpfers.
Bei den obwaltenden Produktionsverhältnissen deckt die globale Versorgung den globalen
Bedarf nicht. Umstrukturierung der Verhältnisse und Umverteilung sind ständig im Gang.
Machtakkumulationen und -zusammenbrüche werden immer gewaltiger. Die eigene Macht
wächst der Menschheit über den Kopf.
Mit vereinfachenden, einander widersprechenden Schuldzuweisungen überlagern
Verteilungskämpfe das gemeinsame Interesse, erschweren die Kooperation. und drohen das
Anthropozän abzukürzen.
Der 121 Zentimeter große und 28 Kilogramm schwere Roboter „Pepper“, den der
japanische Telekommunikationskonzern Softbank im Februar 2015 auf den Markt bringen
will, kann Stimmlagen, Gesichtsausdrücke und Gesten erkennen und soll Emotionen deuten.
"Was wir anstreben, ist ein Roboter mit Persönlichkeit, der zum Glück einer Familie beitragen
kann", sagte Softbank-Chef Masayoshi Son.
Elon Musk, der Chef von Autobauer Tesla und Gründer der privaten Raumfahrtagentur
SpaceX, ist der Überzeugung, dass künstliche Intelligenz die größte existenzielle Bedrohung
für die Menschheit darstellt.
Die Menschheit verlangt „Wachstum!“; und dieses verlangt heute weltweiten Raubbau. Im
Großen und Ganzen weiß das heute jeder.
Aber auf der niedereren, der operativen Ebene (wo es, mit Blick auf die nächsten
Generationen, gälte, heute Verzicht zu leisten) bestärken die Völker und ihre Machthaber
einander im Selbstbetrug. Und die Probleme sind tatsächlich abschreckend groß!
In der Verschwendung lässt die Gesellschaft sich Ungleichheit und das übliche Unrecht eher
gefallen als im Verzicht. Wir müssen uns gefasst machen auf Konflikte von nie dagewesener
Gewalt. Das sind kollektive Prozesse, die niemand steuern kann.
Uraltmodische Demut ist an der Zeit, – und mir scheint, dass diese Tradition unter den
verunsicherten jungen Leuten heute wieder mehr Resonanz findet. (Der Mut der
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Verzweiflung bei den Selbstmordattentätern und den Konvertiten des IS-Kalifen beleuchtet
die Szene von der andern Seite.)
Je schnelllebiger die Zivilisation, desto stärker nimmt die gegenwärtige Opferbereitschaft
für die Zukunft mit der zeitlichen Ferne ab.
Machtgier ist sicher genetisch ein intraspezifischer Selektionsvorteil, aber nicht sicher ein
evolutionärer Vorteil für die Spezies. Sie kann den Gen-pool interspezifisch benachteiligen.
Sie könnte, gerade wegen des intraspezifischen Vorteils, für die Menschheit fatal werden!
Die Globalisierung hat den Raum geschaffen für weiter aufgesteilte Kapital-Akkumulation,
also Machtakkumulation. Die extreme Macht der wenigen führt zu extremer Machtlosigkeit
der vielen. Das aber ist kein stabiler Zustand; es führt in ein Chaos mit erhöhtem
Katastrophenpotenzial, gefährlich nicht nur für die Menschen, sondern auch für ihre Umwelt.
Wir wissen: Unsre Welt ist „unten“ offen zum Höllischen. Und wir ahnen momentweise,
dass sie auch nach oben, himmelwärts, beglückend offen ist.
Im großen Ganzen (Evolution) sind wir gestiegen, und auch individuell gewachsen und
gereift.
Aber Absturz geht schneller als Aufstieg.
Der Welthandel mit seinen Umweltbeschädigungen wächst etwa exponentiell. Die
Aussichten sind entsprechend chaotisch und endlich katastrophal.
Die dem Untergang geweihte Gegenwart solidarisch zu leben macht Sinn.
Ende der Prognose: Selbstschädigung des Systems mit ungewissem Ausgang.
Januar 2015
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