Leben

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Thomas Bonhoeffer
Korb14
Inhalt
Vorwort ................................................................................................................................... 1
Wirklichkeit ............................................................................................................................. 2
Leben ....................................................................................................................................... 2
Symbolik ................................................................................................................................. 3
Existenzsymbolik ................................................................................................................ 4
Sinn ...................................................................................................................................... 4
Transzendenz ....................................................................................................................... 5
Erkenntnis ................................................................................................................................ 5
Chaos ................................................................................................................................... 7
Vereinfachung ......................................................................................................................... 7
Religion ................................................................................................................................... 7
Du ........................................................................................................................................ 8
Gott ...................................................................................................................................... 9
Schöpfung .......................................................................................................................... 10
Jesus................................................................................................................................... 12
Gesellschaft ........................................................................................................................... 12
Staat ................................................................................................................................... 14
Wirtschaft .......................................................................................................................... 14
Geld ................................................................................................................................... 16
Kultur................................................................................................................................. 18
Individuum ............................................................................................................................ 20
Trauer ................................................................................................................................ 21
Moral ................................................................................................................................. 22
Solidarität .......................................................................................................................... 23
Gegenwart ............................................................................................................................. 23
Ausblick................................................................................................................................. 25
Vorwort
2
Nicht, was ich gemeint habe, soll den Leser interessieren, sondern die Zusammenhänge, auf
die er durch meine Bemerkungen vielleicht aufmerksam wird!
Für die meisten Fragen haben wir schnelle, einfache Antworten. Die hier mitgeteilten Notizen sind meist aus solchen Antworten hervorgegangen; kritische Betrachtung aber hat dann zu
Präzisierungen und Einschränkungen geführt, – die den Satzbau belasten und zu langsamer
Lektüre nötigen.
Ich schreibe für (mindestens durchschnittlich) gebildete Leser, die im Stande sind, sich ohne
ungebührliche Mühe die ihnen für meine multidisziplinären Texte etwa fehlenden Vorkenntnisse selbst zu verschaffen.
Wirklichkeit
Mir scheint die Wortwahl "Wirkung" für das Produkt „Energie mal Zeit“ unglücklich; auch
englisch "action" befriedigt nicht. Es handelt sich um das "Ereignis" von "Wirklichkeit".
Wirklichkeit ist ein Happening! Und das hängt zusammen mit der Wichtigkeit des Ereignisses
Beobachtung in der Quantenphysik.
Masse/Energie, die sich nicht dem menschlichen Subjekt (direkt oder indirekt) zeitlich evident ereignet (ja: zueignet), ist abstrakt.
Strikt ἄτομον/unteilbar/ individuum, ist allein das Planck’sche Wirkungsquantum – je eines
von einer Gruppe zufälliger, nicht näher identifizierbarer Elementarereignisse (Ereignisse!).
Aber es gibt im Universum (der chaotischen Masse der elementaren Wirkungsquanten) auch
die temporären Ganzheiten der Unmenge von allerlei Entitäten in deren Stabilitätsbereichen.
So ist jedes Erlebnis (ein Ereignis zwischen Subjekt und Objekt) und jedes Lebewesen mitsamt seinen Erlebnissen ein (komplexes) Ganzes.
Wirkung ist auch zu verstehen als Energie pro Frequenz.
Frequenzen überlagern sich, für unsere Augen: chaotisch.
Leben
Leben ist sterblich; höheres (heterotrophes) Leben ist mörderisch; Leben ist beängstigend
chaotisch. Der einzelne Mensch will trotzdem mit leben, weiter Schöpfung erleben und mit
schaffen – bis sein Wollen stirbt.
Das Kurzlebige überlebt, kraft seiner schnellen Folge von Generationen (mit deren immer
neuen Anpassungsfähigkeiten), das Langlebige. Das gilt vom Einzeller bis zur menschlichen
Zivilisation.
Das Hässliche überlebt das Schöne. (Deshalb brauchen wir Museen.)
Wir sollen jedes Leben als ein in seiner Weise herrliches Ereignis im Chaos des Weltgeschehens* erleben, nach Kräften miterleben, nacherleben, es weiterleben und endlich selbst
lebenssatt sterben können.
* Die Folie der Herrlichkeit des Lebens ist die unbelebte Natur, der wir entstammen – nicht
eine sichere Fortschrittsgesellschaft von Menschen. (Eine solche lebt mit Normalitäten, die
eigentlich ein Wunder sind.)
Auch ein mit seinen Hoffnungen scheiterndes Leben kann man als herrliches Ereignis im
Chaos erleben!
Jedes Leben weist durch seine Ungereimtheiten über sich hinaus.
Jede wirkliche Ordnung, jedes Leben, trägt Spuren des Chaos, aus dem sie gewachsen sind
und in das sie zurückfallen werden.
3
Angst hat man heute wohl weniger vor dem Tod als vor dem Chaos; Sterben ist Untergehen
im Chaos.
Jedes partielle Wachstum endet durch Widerstände – entweder beizeiten (in der Biosphäre
normal) oder katastrophal.
Leben ist Mitleben, vestigium trinitatis*, Einheit in der Vielheit. Der Sinn des menschlichen
Lebens ist Solidarisierung – Teilnahme**.
* Ich greife das Konzept von Augustinus auf.
**Participant observation/„teilnehmende Beobachtung“ ist eine elementare Form soziologischer Feldforschung; hier kommt es auf die Beobachtung an. Die Sinnfrage findet ihre Antwort in der Teilnahme.
Leben ist von Anfang an auch schon Sterben; und Sterben ist bis zuletzt auch Leben.
„Höheres“ Leben ist umsichtigeres Leben.
Leben ist ein langsames Chaos von zirkulär zeitweiligen Ordnungen.
Jedes Lebewesen muss auch für sich selbst sorgen.
In diesem Sinne denkt der einzelne Mensch über das Leben nach und ist nie ganz befriedigt.
Über die Ungleichheit der Gleichen ist man nie ganz gleicher Meinung. Intraspezifische
Verteilungsprobleme sind revolutionsträchtig und halten die Chaotik in Gang.
Das Leben des Einzelnen und der Spezies ist „wirklich“ im Grunde Energie mal Zeit (physiklisch: „Wirkung“). Das „ewige Leben“ ist eine Abstraktion hiervon.
Ewigkeit ist eine vereinfachende Vorstellung von Dauer; und diese ist Teil der Unterscheidung von Dauer und Änderung, – einer für kommunikable Orientierung praktischen Vereinfachung. Diese Unterscheidung ist m.W. in der Grammatik aller großer Sprachen symbolisiert
durch die Wortarten Substantiv vs. Verbum („Zeitwort“), und syntaktisch durch Satzsubjekt
vs. Prädikat.
Es hat seine Richtigkeit, wenn man schließlich, in aller Solidarität, des Lebens überdrüssig ist;
bei aller tröstlichen Kommunikation mit Jüngeren, altert doch auch unsere Weltanschauung
mit uns.
Leben ist stabile Wiederholung von Sequenzen von Strukturwandel.
Im Chaos sind die Inseln von Ordnung gefährdet. Das Leben setzt der Ordnungsminderung
Ausbreitung seiner Ordnung entgegen.
Symbolik
Leider ist jede Symbolik missverständlich, und sie hat Raum für unbemerkte absichtliche
Irreführung.
Höflichkeit ist die sublimste Form von Betrug.
Sie beugt, auch ohne akuten Anlass, üblen Konsequenzen von Missverständnissen vor.
Wahrheit ist eine gemeinsame Angelegenheit.
Symbolik ist lebensfreundlich gemildertes Abbild des Chaos und begünstigt Koordination.
Symbolik würdigt das Wirkliche. Sprache würdigt insbesondere das vergänglich Gegenwärtige.
Größere soziale Einheiten brauchen starrere Stereotypen der Symbolik.
Geld ist ein Wert-Stereotyp; der Begriff Wert ist selbst ein Stereotyp. Geld setzt eine Rechtsordnung voraus, eine hochstereotypierte Symbolik.
4
Der evolutionäre Selektionsvorteil hat in der menschlichen Symbolik die Entwicklung und
Durchrationalisierung von Zeichensystemen begünstigt. Die Verselbständigung gegenüber der
Realität stabilisiert ein Zeichensystem, so dass es stereotypiert und ausdifferenziert werden
kann, bis es ausgedient hat.
Symbolik kann sich gegenüber der Realität zu einem Zeichensystem verselbständigen. Dieses bildet Stereotypen mit Randverzerrungen.
Zum Beispiel die Rechtsordnung und die Religion hat ihre Rituale, Könige, Richter, Priester
haben ihre Kostüme.
Auf der Basis des unbegreiflichen Zufalls* leben wir, durch Wort und Symbole andeutungsweise orientiert, in einem Chaos von Ordnungen.
* NICOLAS GISIN, L’impensable Hasard, 2012.
Existenzsymbolik
„Existenzsymbolik“ ist ein derzeit existenziell bedeutendes Zeichensystem.
An Existenzsymbolen hängen einerseits Leute mit ihren Gefühlen, anderseits Meme.
Die Existenzsymbolik von Memen ist umständebedingt, in erster Linie durch die kommunikative Situation; denn Symbole sind Gemeingut.
Wert ist eine mehrstellige Relation. Die jeweilige Näherbestimmung versteht sich oft von
selbst; meist ist Geldwert gemeint. „Absoluter Wert“ ist ein höchstens subjektiv sinnvoller,
sinnloser Begriff.
Auch allzu unbefriedigende Symbolik führt zu Gewalttätigkeit. Klassisches Beispiel ist die
Kriminalität marginalisierter Jugendlicher.
Heute entwickeln sich die Lebensumstände schneller als die im vollen Sinne menschliche
Symbolik; die Kommunikationskultur zersplittert und verarmt.
Geschäftsmäßig organisierte Massenkriminalität feiert sich mit religiösen Attributen und
Gefühlen.
„Absoluter Wert“ ist ein sinnloser Begriff – auch, ja gerade, wenn man dafür kämpft. Wert,
auch ein moralischer Wert, ist eine mehrstellige Relation.
Die jeweilige Näherbestimmung versteht sich oft von selbst. Meist ist an den Allerweltswert
Geld gedacht.
Sinn
Angesichts der Überbevölkerung mit ihren Folgen, fragen wir nach dem Sinn unseres Lebens. Leben ist zunächst und zumeist ein „So weiter“-Machen mit leichten Variationen, – bis
das in prohibitive Schwierigkeiten gerät und anders weitergemacht werden muss. Das klingt
langweilig. Man bekommt Kinder und sorgt für den Nachwuchs, und Nachwuchs begeistert
zuweilen, belebt und beseelt das Weitermachen natürlich. Aber auch ohne Nachwuchs sollen
wir beseelt leben – besonnen, mit Rückblick, Umsicht und Vorblick.
Der Mensch verlangt nach Ideen, großen Vorhaben und, dann und wann, Begeisterung.
Die moderne Idee der Nachhaltigkeit begeistert nicht; sie verlangt aber Besinnung und sie
kann uns beseelen.
Das „So“ im Weitermachen ist ein unauslotbar reiches Erbe der Evolution, der Creatio continua. Sich darauf zu besinnen, ist ein unendlich großes Vorhaben – und es macht Sinn. Es ist
die moderne Form von Gotteslob und kann begeistern.
„Der Sinn des Lebens“ ist unüberblickbar vielfältig. Wenn einem die (zu große) Frage nach
dem Sinn des Lebens sich stellt, so ist Besinnung auf das kleinere Hier und Jetzt die angemessene Antwort.
Im Chaos haben sich bedingt-stabile Ordnungen und vergängliche Lebewesen herausgebildet.
5
Zum wesentlichen angeborenen Lebenssinn des Menschen gehört nicht nur Solidarität, sondern auch, den Artgenossen Freude zu machen. Unerfreulich zu sein ist oft unvermeidlich,
aber bedrückend.
Was soll ich? Was kann ich wollen? – : „Das Nächstliegende!“ Und dieses ist, gewiß umständebedingt, doch ganz subjektiv bestimmt. Es kann etwas Banales wie Naseschnäuzen,
aber auch ein Nachdenken sein. Vom Nächstliegenden aus, geht es oft ganz fraglos weiter in
dem Raum der Möglichkeiten, den man vorher als Sinnlosigkeit empfunden hatte.
Dasein ist Teilhabe, Haben als Teilsein. Der Sinn jedes einzelnen Menschenlebens ist Mitleben, und dieses ist symbolisch strukturiert.
Das physische Leben ist die Hardware; die Symbolik (zuhöchst die Sprache) ist die Software
der Menschheit.
Also ist der Sinn meines Lebens: in all meiner Beschränktheit der Wahrheit die Ehre geben.
„Was im weinenden Auge mir oft die Tränen zurückhält, ist ein spielendes Kind oder ein
Vogel im Flug“ (Justinus Kerner). Es ist orientierendes Zeichen und Wunder.
Transzendenz
Der Tod wird uns aus dem Diesseits erlösen.
Das Diesseits kennen wir, ein Jenseits ahnen wir. Die Transzendenz haben wir in der Symbolik, das Reale als Metapher.
Die Konzeption der Multiplikation war der Anfang vom Ende der Menschheit. Die Menschen sind jener Emergenz mit ihren exponentiell wachsenden Erfolgen nicht gewachsen.
Multiplikation ist Reflexion. Der Geist reflektiert. Er konzipiert ein Bild von sich in “unendlicher” Rekursion. Diese Unendlichkeit gehört zu seiner Selbstdefinition.
Die Rekursion ist Transzendieren; die “Transzendenz” ist schöpferisch; sie transzendiert das
jeweils Realisierte; banalisiert, ist sie die Zukunft. Die Transzendenz ist der gemeinsame
Übergang des Realen ins Jenseits.
Gott ist eine in diesem Sinne anregende Phantasie.
Man soll, als selbst Vergänglicher, das Vergängliche ernst nehmen. Realismus ja! Aber von
der richtigen Seite, vom Jenseits her, mit Distanz*!
Wir sind, einander und uns selbst, Metaphern, transzendent.
* Diese kann allerdings durch Schmerz wohl niedergebrochen werden.
Das Jenseits ist eine subjektiv zusammenfassende Hypostasierung all dessen, was wir nicht
wissen.
Das göttliche Du ist eine zeitweilige Ahnung.
Erkenntnis
Die Gegenüberstellung von similarity- und contiguity-Zusammenhängen* ist erkenntistheoretisch anregend und von großer Tragweite.
* Von Roman Jakobson in seinen Aphasie-Studien herausgestellt. Er greift die Unterscheidung der klassischen Rhetorik zwischen Metapher vs. Metonymie auf.
Verstehen ist vergänglich; jede Wahrheit wird unbefriedigend.
Der Mensch ist von Natur ein Rudeltier. Dafür reichte unsere Intelligenz; aber sie reicht
nicht für ein "sustainable development" in der heutigen Welt.
Intelligenz ist Koordination von Erregungen und Emergenz adaptiver Strukturen in einem
Individuum. Bei Kollektiven spricht von Schwarmintelligenz.
6
Wohlumschriebene Befunde können, aus verschiedenen Kontexten heraus, verschieden (den
einen oder den anderen mehr oder weniger überzeugend) erklärt werden (Olaf Müller im
Sinne von Quine: „Unterbestimmtheit“).
Auch ich selbst bin „nur ein Gleichnis“ für das Wirkliche, nur eine Stichprobe aus dem
Chaos, wo durchaus jeder glauben soll, er „könne was lehren, die Menschen zu bessern und
zu bekehren“.
Die objektivierte Wirklichkeit ist eine subjektiv beschränkte Relationenmenge.
„Erfahrung mit der Erfahrung“ (Ebeling) ist Fortschritt in der Weisheit.
Wissenschaft teilt („analysiert“) unsere hyperkomplexe Wirklichkeit für die Forschung nach
einzelnen, einfachen, klaren Zusammenhängen in Disziplinen.
All unsere Trauer und alle Hoffnung wird relativiert durch das Chaos, den Horizont unseres
Verstehens.
Identität ist Wiederholbarkeit.
Wenn einer mit seinen zwei Augen ein Ding ansieht, so hat er hiervon zwei ähnliche Bilder,
aus denen er sich eine dreidimensionale Vorstellung macht. So kompliziert bedingt ist schon
ein elementarer Baustein der menschlichen Erkenntnis!
Energie in Form von Trägheit und Gewicht („Masse“, einer „Eigenschaft“ der Materie) ist
evident real*. Aber wir können diese Evidenz noch präzisieren, indem wir (als Erben von
HEIDEGGERs Sein und Zeit) vom zeitlichen Sein der Energie, also der „Wirkung“ ausgehen.
Die sog. „Wirkung", die Dimension des physikalisch Einfachsten (der kleinsten realen Einheit), ist gleich Energie (bzw. Masse) mal Zeit. Energie ist gleich Wirkung** mal (notorisch
hohe***) Frequenz.
* Aufgrund dessen nennt man die Masse eine physikalische „Grundgröße“.
** Ein einfaches Vielfaches des absoluten (Planck’schen) Minimums.
*** In Größenordnungen, wo die Sicherheit in Wahrscheinlichkeit übergeht.
Die Realität überfordert letztlich Zunft. Idioten sehen nur Wald; Fachidiotie sieht den Wald
vor Bäumen nicht.
Unser Leben ist eine Stichprobe aus der Wirklichkeit. Diese aber ist chaotisch; und so ist die
Aussagekraft dieser Stichprobe problematisch. Man ist praktisch gezwungen zu unvermeidlich voreiligen Verallgemeinerungen. Aber Verkürzung diese Stichprobe wäre ein Verzicht
auf Erkenntnisgewinn.
Jedes Stück Realität „ist nur ein Gleichnis“*, eine Stichprobe aus einem Chaos. Und die
Bedeutung einer solchen ist natürlich unsicher.
* GOETHE, Faust II, Schluss.
Die realen Wahrscheinlichkeiten sind, physikalisch betrachtet, im Grunde Wellenquadrate.
Emergent ist eine zufallsbedingte, also unvorhersagbare Strukturänderung, die sich durchsetzt. Sprachgeschichte ist eine Sequenz von Emergenzen; desgleichen Geld. Deshalb steht
beiden die Wissenschaft ziemlich hilflos gegenüber.
Beim Blick durch ein leicht spiegelndes Fensterglas überlagert das Spiegelbild den Ausblick; und wenn man sich bewegt, scheint sich draußen etwas in menschlicher Weise zu bewegen. Ähnlich scheinen subjektive Elemente auch sonst unsere Weltwahrnehmung zu
durchwirken.
Was man am eigenen Leibe erfahren hat, ist die Basis allen Verstehens.
Die Seele echter Skepsis (im Unterschied zu Unverbindlichkeit) ist Bescheidenheit.
7
Chaos
Wir leben, auf den temporären Inseln von Ordnung im Chaos, zweischichtig.
Chaos ist ständige Umstrukturierung.
Lug und Trug setzen Vertrauensverhältnisse voraus. Sie sind, inmitten des gemilderten
Chaos, Manifestationen der natürlichen, wilderen Chaotik.
Mutter Natur ist eine Rabenmutter.
Zur menschlichen Natur gehört Aggression; Freud sprach von Todestrieb.
Die Dynamik des Chaos ist die instabile Interaktion (Konkurrenz und Kooperation) zwischen Ordnungsmächten – mit Machtakkumulation und Machtzerfall.
Das Weltgeschehen ist langfristig wild chaotisch – mit mild chaotischen, kürzeren Einlagen.
Diese können auch von Menschen in eigenem Interesse gemildert (geordnet) sein.
Zusammenbruch von mächtigen Ordnungen ist die Signatur des wilden Chaos.
Vereinfachung
Die Gesellschaft hat vereinfachende Ordnungsmodelle, die das Chaos ungefähr beschreiben;
unter quasi Laborbedingungen regelmäßige, mild chaotische Zufallsverteilungen.
In der Wirklichkeit passt alles nur ungefähr zu einander. Genauigkeit ist ein Ideal, eine extreme Vereinfachung in der Symbolik.
Dass alle Dinge schief liegen, findet der Mensch; und er rückt zurecht, d.h. vereinfacht –
aber jeder nach seinen Vorstellungen, so dass die Dinge dann ein Bisschen anders schief
liegen.
Das Weltgeschehen als Fortschritt und/oder Weltuntergang ist Glaubenssache; es sind temporäre Vereinfachungen.
Ungefähr und Ähnlichkeit sind Gefühlssache und hängen von der Wahrnehmungseinstellung ab.
Wie das Individuum, braucht (und macht sich) die Gesellschaft praktikable Vereinfachungen, die dann irgendwo fehlorientieren.
Das ist der triftige Grund für die „gerechten Kriege“, – die dann auch ihrerseits Unrecht tun.
Ein δόγμα ist eine Vereinfachung, ein Halbfertigprodukt. Vereinfachungen müssen umsichtig gebraucht werden!
Das Ungefähr ist normalisiertes* Chaos.
* Im Sinne des Gauss’schen Fehlerintegrals.
Religion
Enttäuschung macht traurig; man muss sie, auf seltsamen, sehr persönlichen Wegen, ins
eigene Weltbild einarbeiten. Das ist schmerzlich und gerät immer wieder ins Stocken.
Religion ist steckengebliebene Trauerarbeit. Solidarität der Steckengebliebenen führt zu
gemeinsamer Symbolik und Gemeindebildung.
Kult ist Identifikation mit einer gemeinsamen Existenzsymbolik, Rückhalt für die individuelle Identität.
Akademische Theologie hatte ihre große Zeit in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit, heute
spricht sie nur noch Wenige an. Es gibt noch Interesse an Religion - heute wohl hauptsächlich
8
wegen des anthropologisch bemerkenswerten, photogenen religiösen Wahnsinns. Aber ich
denke, dass gerade die aufgeklärten Menschen bescheidener geworden sind. Bevor dem öffentlichen Interesse wieder auch eine theologische Fakultät entspricht, werden, in alle Fakultäten verkrümelt, neue religiöse Denkansätze zu Wort kommen müssen. Die Entstehung
theologischer Fakultäten im Mittelalter setzte ein informelle breite Tradition religiöse Denkens und Diskutierens voraus (Abaelard!).
Gottesglaube ist ein Ereignis; institutionalisierte Gotteslehre führt sich selbst ad absurdum.
Ποίησις/Poesie/Machen war einst etwas Persönliches, schöpferisch; so konnte auch Dichten
als Machen bezeichnet werden. Heute aber ist „Macher“ die Maschine, hinter der der schöpferische Mensch (der Erfinder, der Ingenieur bzw. der Programmierer) verschwinden. Wenn wir
ein Gedicht als Machwerk bezeichnen, ist Hintergrund unsere Industriekultur.
Dichtung war, als Kunst, schöpferische μίμησις, Nachahmung, die in einem anderen Medium
das Wesentliche* wiedergibt; und in diesem Sinne war und ist Religion Poesie.
* Nach Roman Jakobson die similarity der Metaphorik (vs. Metonymie).
Dichtung ist bewusste Symbolik. Religion verpflichtet zu realistischem Denken.
Theologie ist Verantwortung vor den Vätern.
Das neue Kalifat ruft der eitlen Menschheit in ErinnerunDas Heilige* ist nicht nur psychologisch, sondern sozial tremendum. Diesen internationalen Zulauf hat niemand vorausgesehen!
Unsere selbstgewisse Normalität hat Orientierung suchende Individuen enttäuscht; und eine
verblüffend einfache Orientierung aus dem Jenseits-der-Normalität, durch den Mund eines
Besessenen** (dessen weitere Qualitäten gar nicht so wichtig sind), hat diese Sucher zu einer
fanatischen Gemeinde zusammengeschweißt.
* Schon der heilige Krieg im Alten Israel (Titel einer Monographie von GERHARD VON RAD).
Die Kreuzzugspredigt des Bernhard von Clairveaux war geschichtsmächtig. 1914 sprach sich
der italienische Ministerpräsident Antonio Salandra für den sacro egoismo per l’Italia aus.
** Abu Bakr al-Baghdadi hat diese Besessenheit 2004 in amerikanischer Gefangenschaft im
Iraq entwickelt. – Was haben wir noch von Guantanamo zu erwarten?!
Glaubensgemeinschaften werden durch ihre δόγματα /Dogmen*, ihre Symbolik, die Pragmatik ihrer Sprache, definiert.
* So hießen im alten Griechenland die (wörtlich:) Lehrmeinungen von philosophischen Schulen.
Du
Unsere immer wieder neu konzipierte Normalität wird doch immer wieder neu überwältigt.
Wir reagieren darauf mit allerlei Interjektionen, Ausrufen, Anrufung von Namen und PseudoNamen aus randständigen Sprachtraditionen – regressiven Hilferufen nach einer zweiten
Person.
Die Interjektion ist unbedachtes Reden. Im Alltag ist gelegentlich auch ein Du, und auch der
Rufname Gottes Interjektion, wie „Ach Gottchen“ oder „Ach du meine Scheiße“. Auch das ist
Gottes solidarische Gegenwart.
Das Du sowohl wie der Gott der erwachsenen Sprache sind ausdifferenziert aus demselben
archaischen Signifikat, einem göttlichen Du. Wenn die Umwelt dann differenzierter verstanden wird, wird das Du zum „Für-Wort“, während Gott zum „bloßen Wort schlechthin“*, Ruf,
Anrede wird.
* Siehe meinen Artikel „Sprache, theologisch“ in der dritten Auflage der „Religion in Geschichte und Gegenwart“.
9
GOETHE‘s Ganymed ist ein Gebet. Zuerst wird der Frühling als „Du“ angesprochen, zuletzt
der all-liebende Vater.
Wir sind am Aufgeschlossensten vor einem vertrauten Du. Ein mütterliches Du ist das
Grundmodell geblieben; es hat uns schrittweise der Welt ausgesetzt und es setzt unseren
Verstand frei, neue Wahrnehmungen kommunikabel zu objektivieren – so frei, dass das Du
darüber vergessen werden kann.
Ein vorausgesetztes, göttliches Du (Winnicott: environment mother) gibt dem Realismus
Raum zur Entfaltung.
Gott
Der Name Gottes ist ein Ruf*.
Unsere Gottesvorstellungen sind Suchbilder. Sie machen auf Verschiedenes aufmerksam, und
nicht alle lassen uns in dieselbe Richtung Ausschau halten.
* Wenn man nicht weiter weiß, ruft man: „Ach du meine Fresse!“, „Mamma mia!“ oder:
„Ach du mein Gott!“
Die Vorstellung von Gott als dem Allwissenden ist eine ideologische Abrundung der Gotteserfahrung. Der trinitarisch verstandene Gott ist Liebe, Solidarität in der Ratlosigkeit, Teilnahme.
Monotheismus ist Perfektionismus, vereinfachendes Sinnerleben. Die christliche Trinitätslehre akzeptiert das und bricht es auf.
Gott ist ein Chaot - aber menschlicher, solidarischer als der Mensch.
Der „Vater“ Jesu Christi ist der personale Inbegriff von Solidarität, wie Jesus sie erfahren
hat, eine Metapher.
Wir erleben eine unerwartete, unerhört globale Gewaltwelle. Wieder einmal spielt in dem
mörderisch chaotischen Prozess monotheistische Religion, jetzt der Islam, bei der Organisation eine wichtige Rolle.
„Unser Gott ist“ eine hyperkomplexe, traditionelle, erstaunlich tragfähige Vereinfachung
unserer Orientierung, „ἀγάπη“ sagt der 1. Johannesbrief, 4,8, Liebe (als moderne Wiedergabe
schlug, im 19. Jahrhundert, Pierre-Henri Leroux* „solidarité“ vor).
* Ein auch sonst bemerkenswerter (dummerweise fast vergessener) Mann!
Das Unverstandene wird „regressiv im Dienste des Ich“*, letztlich religiös, als „Du“, durch
(Umwelt- und Objekt-**)mutter, Vater, Großvater, Großmutter, institutionalisierte Priester,
die Person des Propheten, als Gott personalisiert.
* Ernst Kris.
** Donald Winnicott.
„Ach, du lieber Gott!“, seufzt man gedankenlos. Ausführlicher sagt (nach HEINRICH VON
KLEIST) Katharina von Frankreich, als der schwarze Prinz um sie warb, dasselbe: „Ihr Menschen, eine Brust her, dass ich weine!“
Jeder Mensch repräsentiert Gott, lebt als Gott! Man sehe nur (und lasse sich zu Herzen gehen), wie er guckt, wenn er sich nicht* beobachtet fühlt! Gott lebt (wohl nicht nur, aber auch)
als jeder Mensch – wirklich jeder, sogar als der gekreuzigte Jesus! Wir erleben täglich Gottes
Auferstehung, die Offenbarung seiner eigenartigen sogenannten „Herrlichkeit“ (hebr.: Gewicht/Wichtigkeit, griech.: Schein/Glanz, lat.: Ruhm, dt.: Herrschaft).
Wir nehmen jedes Subjekt** als Schöpfer wahr.
* In sozialen Situationen offenbart sein Blick, wie er sich Gott, die gute Macht, vorstellt.
** Wörtlich: „Zugrundeliegendes“. Das ist die Optik der Betrachtung; aber man erlebt Überraschungen!
10
Der Heilige Geist lässt uns die Wirklichkeit als Schöpfung, als Gottes solidarische Gegenwart erleben.
Unvermögen macht traurig.
Man macht sich auf Sinnsuche; ich frage Gott. Er ist mein Schöpfer, parental anregende
Kreativität.
Ich suche Zuspruch. Früher ging man in den Tempel. Was ist mein Tempel? – : die Choräle,
die Bibel.
Mein Leben ist, wie die meisten, eine Irrfahrt, – stark umständebedingt, vielfach enttäuschend, von einer Reihe gute Absichten angetrieben.
Die christliche Überlieferung sagt mir: Es ist getragen von Gottes Solidarität, deren Offenbarung Johannes der Täufer ahnte und für deren Wahrheit der Jesus steht, dessen hoffnungsvolles Leben und schrecklichen Tod die Bibel bezeugt.
Petrus und Paulus verstanden die Offenbarung der Liebe Gottes apokalyptisch verdinglicht,
Johannes* eher gnostisch.
Der wirkliche Glaube an Gottes Solidarität ist jedes Mal ein Neuanfang, ein Geschenk; er
sprengt jedes vermeintlich realistische Weltbild.
* Was im Neuen Testament Johannes zugeschrieben wird, geht wohl nicht auf einen aus dem
Zwölferkreis und nicht alles auf denselben Autor zurück.
Die Frage nach Gottes Willen ist anregend. Die Überlieferung von Antworten leitet im neuen Situationen zu neuen Antworten an. Klassisches Beispiel: der Übergang vom Alten zum
Neuen Testament.
Die mütterliche Welt zerlegt sich uns früh in fast selbständige Dinge. Die Mutter selbst wird
fast ein Ding unter anderen.
So zerfällt die göttliche Welt erst in – eine polytheistische Welt und endlich: die Schöpfung
Gottes (mit Gott fast wie ein Ding unter anderen).
Was sind das für Männeken, die uns da sagen, wie Gott ist?! Man weiß nicht, ob man lachen
oder weinen soll.
Gottes Zeugen sprechen uns solidarisch auf unsere Ratlosigkeit an.
Nach Gott schreit der bedrängte Mensch angstvoll hinaus ins Jenseits all unseres
Verstehens. Die religiöse Überlieferung bezeugt: Der Name Gottes kann* sich mit Sinn
füllen. Aber θεολογία, das Bemühen um Gottes-lehre, kann nur – und soll wohl auch letztlich
– demütigend enttäuschen. Sie kann auch zu hoffärtigem Irrglauben führen.
* Nicht semantisch, sondern pragmatisch.
Am Anfang unseres Daseins war der Schrei. Er wurde soziokulturell integriert zum Ruf
nach Gott, zum Gebet. Die theophoren Interjektionen („Ach Gott!“ u.dgl.) sind meist rein
immanent soziale Kontaktlaute.
Man soll nicht mehr an Gott denken wollen, als wie man fühlt, dass Gott das will. Gott hat
uns Weltlichkeit verordnet.
Mit Gott Reden ist eine ungeheure Vereinfachung. Wir können es je selbstverständlich oder
gar nicht.
Schöpfung
Wir bewegen uns entsprechend dem, was uns, aus unergründlichen Gründen, bewegt; und
das ist ein unheimliches, erstaunliches, immer wieder überraschendes Gewimmel, in dem Gott
sich jedem von uns ganz persönlich, quer zu aller religiöser, a- und antireligiöser Lehre, offenbart. (Im Anschluss an Luther könnte man präzisieren: durch Gesetz und Evangelium.
Aber Gott erweist sich immer anders als wir schon wissen.)
11
Alles „steht“ unter Spannung und ist deshalb in Bewegung.
Ich suche die gottgewollte Resignation.
„Der Schöpfer“ ist eine stabile, das unverständliche Geschehen vereinfachende Idee. Wird
sie zum Wahn, hat sie Schattenseiten, die heute vom Islam dargestellt werden.
Die längste Zeit sannen die Menschen den Ideen des Schöpfers nach. Dann wurden sie
selbst immer kreativer, sie entwickelten die menschliche Sprache, Arbeitsinstrumente und
Geld, endlich schufen auch sie kreative Kreaturen, – immer kreativere Strukturen, Servosysteme, von denen sie jetzt abhängig geworden sind und die ihnen heute die Herrschaft streitig
machen. Noch einmal La serva padrona (Uraufführung in Neapel 1733) – jetzt eine gar nicht
so komische Oper; dieses Patronat wird schnell, wie es entstand, zusammenbrechen und viel
mit sich in den Abgrund reißen!)
Der Glaube im christlichen Sinne erlebt das Weltgeschehen als Schöpfung*.
Das bahnbrechende Ereignis der christlichen „Verkündigung“ war Jesus, der gekreuzigte und
auferstanden erschienene. Paulus redet (2Kor 5,17) von der καινὴ κτίσις, der „neuen Schöpfung“. „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur“ (Luther-Übersetzung); er lebt noch
„im Fleisch“, aber nicht „nach dem Fleisch“. (Das „Fleisch“ in der Paulinischen Anthropologie erinnert an die Finsternis in der alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte.)
Die Gegenwart war für Jesus durch „Zeichen und Wunder“** qualifiziert, für Paulus***
wesentlich durch die Auferstehung Jesu als Anbruch der neuen Schöpfung.
* Goethe: „Was wär ein Gott, der nur von außen stieße, im Kreis das All am Finger laufen
ließe! Ihm ziehmt‘s, die Welt im Innern zu bewegen, Natur in sich, sich in Natur zu hegen, so
dass, was in ihm lebt und webt und ist, nie seinen Geist, nie seine Kraft vermisst.“
** Im Rahmen der (von Johannes dem Täufer aktualisierten und von Jesus übernommenen)
apokalyptischen Naherwartung: Vor-zeichen der Gottesherrschaft)!
*** „Damaskus-Erlebnis“ (Gal 1, 15f., Apg. 9) !
Das Weltgeschehen, als Schöpfung erlebt, verleiht jeweils auch unserem Leben seinen bescheidenen Sinn. (Das macht Kinder so beglückend.) Es lässt uns Gott ahnen.
Das Weltgeschehen mit all seinen Fürchterlichkeiten auch als begeisternd*, als Schöpfung
erleben, das ist Werk des Heiligen Geistes, – den Gott ja (laut Joel 3,1) über alles Fleisch
ausgießen wollte. Kann man sich für das Weltgeschehen begeistern? – : Normalerweise nicht.
Nur im oberflächlichsten – und im tiefsten Sinne (und dann ist von Schöpfung zu reden).
* Goethe: „Das Beste, was wir von der Geschichte haben, ist der Enthusiasmus, den sie erregt.“ Dieser berühmte Satz steht, ohne Zusammenhang mit seinem näheren Kontext, in Wilhelm Meisters Wanderjahre, in einer Sammlung von GOETHE’schen Aphorismen (Betrachtungen im Sinne der Wanderer. Kunst – Ethisches -Natur) in manchen Ausgaben hinter Buch II,
Kap.11 eingeschoben, vor Buch III.
Man kann das Weltgeschehen als Schöpfung und (zugleich) als Weltuntergang erleben.
Was Gott zusammengefügt hat, nimmt er eigenhändig wieder aus einander. Wir, seine Geschöpfe, sollten das ihm, dem Schöpfer, überlassen. „Auf sein Werk musst du schauen, wenn
dein Werk soll besteh’n.“
Statt an der Welt zu verzweifeln, unscheinbar selbst an Gottes Stelle handeln – in Hoffnung
auf eine Fortsetzung durch Gott! Gott hat uns zu Erben eingesetzt! Er lebt in uns.
Das Elend ist dem Glauben Material der Kreativität.
I: Weinen mit den Weinenden (Rm 12, 15),
II: auf Abhilfe sinnen, Freiraum phantasieren,
III: das Elend umspielen,
12
IV: Symbolik eröffnet Perspektiven,
V: handeln.
Sch: Geist ist Trauerarbeit: Abschied und Weiterentwicklung. Gott gibt sich nicht allmächtig. Aber Kreativität ist Übermacht.
Humor ist kreativ, ist semiotische Übermacht*.
* Beispiel: Der Morgen dämmert. Die Zelltür tut sich auf; der Henker fordert den Deliquenten
auf, mitzukommen. Der antwortet: “Der Tag fängt ja gut an!”
Jesus
Das Ungeheure in der Person Jesu ist der von ihm ausgehende Anruf Gottes.
In der Jesus-Tradition ist das Jetzt zwischen Vergangenheit und Zukunft von beidem geprägt: von Trauer und von Hoffnung.
Gott hat mit der Osterbotschaft seine Treue verkündigen lassen. Diese Verkündigung ermutigt
wunderbarerweise* bis heute.
* Ich erinnere an die erste Szene in GOETHEs Faust I (Nacht. Glockenklang und Chorgesang).
Faust erklärt, aber er staunt.
Gott als königliche Person war, Gott als Vater ist: eine Vereinfachung.
Jesus hat die Gottesherrschaft eingängig vereinfacht. Das hat ihn (Mt 27, 46), aber nicht Gott
überfordert.
Gesellschaft
„Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln“ (Clausewitz?) und vice versa!
Der einzelne Mensch ist in kleinere Gruppen hochdimensional eingebunden. Das stabilisiert
diese und trägt eine hinreichend zuverlässige Kooperation.
Größere soziale Einheiten binden in weniger Dimensionen zusammen.
Vermassung begünstigt die Emotionalität, aber schwächt die Mitverantwortung*.
Die wenigen strukturierenden Beziehungen in der Masse müssen stärker sein als in der kleinen Gruppe; und sie werden, in fast allgemeinem Interesse, mit Ideologien und Gewalt, künstlich verstärkt.
* Man erinnere sich hier auch an SCHILLERs Lied an die Freude: „Seid umschlungen, Millionen! …, der stehle weinend sich aus diesem Bund!“
Soziale Distanz begünstigt soziale Polarisierung.
Im Chaos (dem Horizont unseres Weltverstehens) kann das Ungefähr einer Glaubens/Symbol-Gemeinschaft doch eine gewisse Kooperation und Moral tragen.
Revolutionen sind unausbleibliche Katastrophen. Rechtsordnungen sind nur umständebedingt moralisch verbindlich. Der kontinuierliche natürliche Wandel einer menschlichen Gesellschaft führt zu Änderungen von Proportionen, die ihrerseits Änderungen der sozialen
Symbolik zur Folge haben. Wenn diese von den Machthabern nicht ernst genommen und die
öffentliche Moral zur Heuchelei* wird, wird Änderung der Machtverhältnisse unausbleiblich
und, gegen Starrsinn, Revolution Pflicht.
* Der politische Flüsterwitz (es gibt treffliche und gewiß auch dumme) ist dafür ein Indikator.
Im Wutbürger (2010 identifiziert und benannt*) überschlägt sich die bürgerliche Normalität;
sie protestiert chaotisch organisiert gegen die weiterentwickelte, notdürftig geordnete globalgesellschaftliche Wirklichkeit.
Bürgerlichkeit, als Insel von Ordnung im Chaos aufgetaucht, geht auch wieder unter.
* Von Dirk Kurbjuweit.
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„Sinn“ ist, besonders wenn er einfach ist, nachvollziehbar und ermöglicht koordinierte, gesellschaftliche Bewegungen; und diese sind evolutionär vorteilhaft.
Kollektive Chaotik hingegen ist für jeden Einzelnen gefährlich; und das Gefühl von Sinnlosigkeit macht Angst. Das erklärt den Ideologiehunger, namentlich die Macht von Religionen.
In Kultur und Subkulturen wird Sinn elaboriert, Religionsgemeinschaften entwickeln Theologie. Das stabilisiert den Sinn einerseits, macht ihn anderseits aber komplizierter, so dass die
Glaubensfrage zur Glaubensforderung und die Gemeinschaft brüchig wird.
Der Mensch ist kein Herden-, sondern ein Rudeltier. In der Massenpsyche bilden Ohnmacht
der Einzelnen und Allmacht der Masse einen zunächst selbstverstärkenden Kreisprozess, –
der dann aber zusammenbricht.
Kollektive Identitäten sind bei Menschen besonders chaotisch (also kriegerisch), weil sowohl memetisch (also vielfach) als auch genetisch determiniert.
Für kreative Kooperation von Massen bedarf es des Begeisterung.
Als das ancien régime nicht mehr begeistern konnte, begeisterte die Romantik für die Nation.
Auch diese Begeisterung löst sich nun auf. Kooperation ist zunehmend von Angst getragen.
Geistlose, gewalttätige Reaktionäre finden Gehör.
Auch die Ungleichheit der Machtverteilung wächst exponentiell.
Man lacht über die Rothschild'sche Interpretation der Gleichheitsforderung*. Sie ist in der
Tat ein Witz.
Die mit solchen Witzen abgepolsterte Ideologie der Reichen, die keine Zeit für Gleichheitsfragen haben, ist auf dem Hintergrund der bekannten** tatsächlichen Proportionen zu beurteilen.
Die Toleranz der Unterprivilegierten ist groß; denn der soziale Friede ist (besonders ihnen!)
viel wert. Aber sie hat Grenzen: politische Opposition, individuelle und Banden-Kriminalität,
Streik, Revolution, Krieg.
* Mündliche Tradition: Revolutionäre kommen vor Rothschilds Haus in Frankfurt. Er tritt
heraus und fragt: „Was wollt Ihr?“ – Gleichheit! – „Wieviele seid Ihr?“ – Sechzig Millionen!
– „Ich habe sechzig Millionen. Ich gebe Euch jedem eine Mark. Ist das, was ihr wollt?“
** Zum Beispiel in der Wikipedia unter "Vermögensverteilung in Deutschland" zusammengestellt.
Macht, sowohl wirtschaftliche wie politische, und Autorität, sind, im eigentlichen Sinne des
Wortes: Kredit.
Soziale Kontrolle funktioniert nur im Kleinen.
Begeistert, geht der Einzelne auf in einem solidarischen Kollektiv. So ist der (auf Luther
zurückgehende) metaphorische Ausdruck „Schwärmerei“ zu verstehen. (Außenansicht: „Sie
sind voll süßen Weins!“, Apg. 2, 13.)
Begeisterung chaotisiert; aber auch ein Ordnungsruf kann begeistern. „Unterscheidung der
Geister“ ist wesentlich strittig.
Auch ich lebe in einem Milieu mit einer Ideologie, die meinen Lebensstil rechtfertigt.
Zwischen solchen Milieus entstehen Kriege.
In unserem Milieu sollen wir uns jeweils erholen können und Kräfte sammeln für den demütigenden Schock der nächsten Horizonterweiterung und für Entwicklung von Solidarität, der
Basis einer tragfähigen Kultur.
Die Gesellschaft strukturiert sich, mit der Größe zunehmend, als Markt. Kleine Gruppen
können sich aufmerksamer auf Individuen einstellen.
Das jeweilige Milieu sozialisiert und solidarisiert durch gemeinsame Symbolik.
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Staat
Recht ist ein unfertiges Projekt, eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Die Legislative arbeitet daran.
Gesellschaftliche Ordnung ist, wegen der menschlichen Kreativität, auf die Dauer nur mit
Hilfe von (leichten und schweren) Ordnungswidrigkeiten aufrecht zu erhalten.
Regelmäßige Führungswechsel im politischen System mildern dieses Chaos und beugen
Systemwechseln vor (die immer Extrakosten machen).
Das Ungefähr der Stereotypen einer Rechtsordnung ist besser als gar keine Verständigung.
Demokratie beruht auf Addition. Addition setzt Gleichheit voraus, hier also starke Vereinfachungen. Das demokratische Grundpostulat fordert den Spott heraus: „Alle Menschen sind
gleich; aber einige sind gleicher.“ Auch hier müssen Augenmaß und Lebenskunst das Chaos
mildern.
Artikuliert durch die Massenmedien, führt die öffentliche Meinung den Führer. Die harte
Konkurrenz verleitet die Medien, dem Bedürfnis des Publikums nach Entlastung von Ratlosigkeit entgegenzukommen mit unhaltbaren Vereinfachungen.
Für demokratische Politik ist die aktuelle Konsensfähigkeit entscheidend. (Der demokratische
Führer muss also unter Umständen mit bösen Folgen wider besseres Wissen handeln.)
Wirtschaft
Durch Industrie wird die Gesellschaft zwangsläufig zur Wegwerfgesellschaft. Und diese
betreibt natürlicherweise Raubbau. Umweltschutz ist, wie so vieles Natürliche, widernatürlich!
Konzentrationen begünstigen die Wirtschaft auf die Dauer zu Lasten der Gesellschaft. Sie
produzieren Arbeitslosigkeit und Vermassung.
Entdeckung von Petroleum im Elend der Wüste – ein Fluch der Technik!, schnelle Ausbeutung, Geldschwemme, Neureiche, katastrophenträchtig unerfahrene, unsolide Machtakkumulation, auf Sand gebaute Pracht, „Islamischer Staat“.
Larry Page („Mister Google“, der wohl einflussreichste Unternehmer der Welt) glaubt an
die Technik und an den Kapitalismus (der diese optimiere). Antwort auf die Sinnfrage sind
ihm, sehr praktisch, die aktuellen Wünsche der Menschen.
Das teure Suchprogramm, mit dem er seine Benutzer in der Informationsflut orientiert und
selbst sein Glück gemacht hat, ordnet die infrage kommenden Dateien nach der Anzahl der
Verweise (Links) und Zugriffe auf sie im Internet. (Man kann ja seine Freunde um Links und
Zugriffe bitten.) So (kraft Schwarmintelligenz) verstärken die Google-Ergebnislisten die
soziale Ungleichheit durch Schwerpunktbildung der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Der Horizont unseres Verstehens, Entscheidens und Handelns fluktuiert. Vor hundert Jahren
dachte man über die Normalität von Konjunktur-Zyklen nach. Aber die Normalität solcher
Zyklen ist eingebettet in Chaos. Das natürliche Wirtschaftswachstum ist im Grunde chaotisch
und führt immer wieder in – nicht nur Depressionen, sondern: Katastrophen. Sustainability/Nachhaltigkeit kann nicht mehr sein als Milderung der Chaotik.
Wirtschaft verstärkt die Effizienz und damit die Weltveränderung nach Wünschen der lebenden* Menschen.
Sparen unbenötigten Geldes bremst die Wirtschaft und die Zinsgewinne.
* Darin mögen Wünsche von Toten weiterleben und Wünsche für die Nachkommen wichtig
sein.
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Steigende Ungleichheit der Vermögensverteilung („Kapitalakkumulation“) bewirkt zunächst einen höheren Organisationsgrad der Wirtschaft, mächtigere Vernetzungen und Oligarchien. Steigt die Ungleichheit weiter, so leidet die öffentliche Moral; und das ist auch für
die Wirtschaft gefährlich.
Die Wirtschaftswissenschaften und ihre braven Schüler in den Verwaltungen haben sich in
der letzten Zeit so blamiert wie vorher nur die Kirche. Der "homo oeconomicus" ist ein praktisches Modell für Rechnereien; aber seine Ähnlichkeit mit dem wirklichen Menschen ist
beschränkt!
Die Verschiedenheit der Begabungen führt zu Spezialisierungen auf oft begehrte Leistungen, zu Individualisierung und einem (auch in Solidargemeinschaften wertvollem) Individualismus. Eine Hand wäscht die andere; Eigentum, Tausch und Handel entwickeln sich. Geld
flexibilisiert den Austausch; Wirtschaft und Wohlstand entwickeln sich.
Aber Spezialisierung und Individualismus zersplittern die naturwüchsigen Solidaritäten.
Rechtsordnung und Staatsgewalt sowie soziale Sicherungsnetze werden nötig. Schnelles
Wachstum und Fortschritt jedoch destabilisieren die Gesellschaft und locken in unversehens
wachsende, kollektive Unsicherheit.
Seit Jahrtausenden hat sich die Menschheit mit wachsendem Erfolg zur entscheidenden
Komponente der Biosphäre emporgearbeitet.
Arbeit dient zunehmend einem Zweck in einem größeren sozialen Zusammenhang. Ihr Wert
wird normalerweise erst durch Produktionsmittel zu Konkurrenzfähigkeit erhöht; und sie setzt
Nachfrage voraus.
Noch immer aber gilt in der bürgerlichen Mitte Arbeit nicht als Glück, sondern als zentrale
soziale Tugend, Prestigewert. Wer in keinem festen Arbeitsverhältnis steht, wird hier, ungeachtet der heutigen weltweiten Arbeitsmarktlage, ohne Gegenbeweis, als untüchtig, wenn
nicht gar: faul, verachtet.
Arbeitslosigkeit herrscht, wo, infolge schwacher Nachfrage und ungenügender Produktionsmittel, die Wertschöpfung unzumutbar gering ist.
Bedrohliche Konkurrenz treibt zu unsolidem Wachstum.
Das zentrale Thema der Wirtschaftspolitik ist heute nicht die Bedarfsdeckung, sondern sichere Verzinsung des (immer ungleicher verteilten) Kapitals.Erk: Das Diesseits (mit seinem
formalen Gegenbegriff Jenseits) ist unsere Vereinfachung des unergründlichen Wirklichen.
Exponentielles Wachstum des Konsums (= Bevölkerung mal Anspruchsniveau) führt ins
Chaos, wenn begrenzte Ressourcen nicht (mindestens gleichermaßen) mitwachsen.
Die Idylle einer weitgehenden Identität von Arbeitern, Kapitalisten und Verbrauchern wird
von der Vorteilen der weltweiten Arbeitsteilung zerrissen.
Das weltweite Hauptproblem ist die Arbeitslosigkeit. Mangel herrscht in unserer so anspruchsvoll hochtechnisierten Welt an Arbeitsqualifikation. Die pauschale Mahnung zum
Kindermachen und die Missbilligung der Kinderlosigkeit als eines Egoismus ist heute unbegründet.
Konkurrenzdruck verteilt sich auf die Konkurrenten und die Umwelt.
Jedem ist alles zu verschiedenen Zeiten verschieden viel wert. Zusammenarbeit ist deshalb
nur kraft Vereinfachungen, Symbolik und Stereotypen möglich.
Kooperation setzt so etwas wie Solidarität voraus.
Es ist dem Menschen natürlich, in einer Solidargemeinschaft zu leben. Der egoistische Homo oeconomicus ist ein zwar rational durchsichtiges, aber verzerrendes Modell. Und die
relative Einfachheit der Rationalität verleiht einem Begriff einen sozialen Mehrwert.
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Die Technik erhöht den Wert des Arbeitsplatzes, aber sie drückt die Arbeitslöhne.
Geld
Die skandalöse Machtstruktur der heutigen Welt ist wesentlich unpersönlich finanziell – und
somit, zunehmend, gegen Moral und Revolution abgesichert. Sie sind starr ohne Starrsinn.
Das Geld beherrscht die Mächte, die die Gesellschaft beherrschen. Solidarität kann Widerstand leisten, sogar finanziellen, aber nur machtlosen.
Geld ist minimal beschränkte Macht. Der menschliche „Wille zur Macht“ gibt dem Geld die
Macht über den Willen.
Gut angelegtes Geld ist Sachvermögen; und das hat seine eigene Dynamik, die man nicht
ohne Grund stören soll.
Geldmacht ist wesentlich intransparent.
Geld ist ein gefährlich abstrakter Wert und hat immer unüberblickbar viele (und jeweils verschieden wichtige) Funktionen. Von diesen aber hängt der Geldwert ab.
Es ist das ideale Medium für Betrug. Es ist aber gesellschaftlich längst unentbehrlich.
Geld ist primär ein Zahlungs-, also ein Tauschmittel. Größere Vermögen haben nur zum
kleineren Teil Geldform. (Der kleine Mann sagt „Geld“, auch wenn er Vermögen meint.)
Man kann Sach-Vermögen „zu Geld machen“. Geld ist der Vermögensanteil mit dem freiesten Handlungsspielraum.
Geld ist ein durch staatliche Gewalt garantierter, übertragbarer Rechtsanspruch des Besitzers gegenüber dem Emittenten (im Falle des Euro die EZB), den dieser aber nur durchleitet
an einen Staat, in dem dieses Geld gesetzliches Zahlungsmittel ist.
Rechtsansprüche sind Werte, Elemente eines sozialen Wertesystems.
Der Geldwert ist ein Marktwert*. (Die Staaten sind auch Marktteilnehmer und beeinflussen
als solche den Wert des Geldes.)
„Der Markt“ ist eine Menge von Märkten, Zentren des Handels.
Handel ist eine wesentliche Aktivität der Gesellschaft.
Er definiert im Tausch Gleichwertigkeiten. Es entstand der abstrakte Begriff von einem vergleichbaren „Wert“ beliebiger konkreter Objekte, mit dem man dann sogar rechnen kann.
Das war ungemein folgenreich. Es trägt immer intransparentere Machtverflechtungen** und
Macht-Akkumulationen – heute gesteigert, verfeinert und verästelt durch digitale Kommunikation***.
So wurde Geld eine zentrale Form von gesellschaftlicher Macht.
Die Gesellschaft besteht aus freien, also bestenfalls statistisch berechenbaren Subjekten.
Menschliche Gesellschaften sind mild chaotische Prozesse, denen auch der Geldwert unterliegt.
Die Macht des Geldes ist durch die Rechtsordnung, und diese ist durch die (immer labil)
herrschende Kultur bestimmt. Seit alters, aber zunehmend, wird die Macht des (immer ungleicher verteilten) Geldes als "obszön" empfunden. Aber die menschliche Kultur ist (wegen
der menschlichen Natur) gegen diese Barbarei bislang ziemlich machtlos.
* Auf dem Markt besorgten sich die Bauern Produkte menschlicher Kunstfertigkeit und die
Städter Nahrungsmittel. Für Recht und Ordnung am Markt sorgte hierzuland seit Karl dem
Großen der Marktherr (letztlich der König). Er erleichterte den Handel durch Ausgabe von
(auch marktspezifischen) Münzen.
** In dieser Welt kann es zu Verbrechen kommen, für die niemand als einzelner verantwortlich zu machen ist. Schon nach dem Zweiten Weltkrieg sprach man, trotz Führerprinzip, von
Kollektivschuld.
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*** Die Abstraktheit gipfelt im Bit als der einfachen Einheit, in der jede Information zu
kommunizieren ist. Und „Wissen ist Macht“, also Geld wert.
Unsere Umwelt wird durch den Raubbau immer ungesunder. Aber kraft Geldes werden
Menschen zu Böcken und Böcke zu Gärtnern.
Geld gewinnt in unserer schnelllebigen Zeit dank seiner Beweglichkeit gegenüber Sachwerten an Wichtigkeit.
Monströse Akkumulation hat Geld als Wertaufbewahrungsmittel heruntergewirtschaftet.
Staaten mit ihren Staatsbanken sind primär dem Volkswohl verpflichtet und nur in diesem
Rahmen Garanten des Geldwertes.
Nach der gleichen Logik ist die Europäische Zentralbank, als Garant der Währung, nach
Maßgabe der Politik dem Volkswohl ganz Europas verpflichtet.
Größere Gesellschaften brauchen für alle Kommunikation Stereotype.
Handel sucht Gleichgewicht. Im Handel spielten lange Zeit stereotype, nach Gewicht und
Zahl gut teilbare Materialien, dann geprägte Münzen, d.h. Gold- und Silber-Stereotypen, eine
zentrale Rolle.
Eine Währungsunion ist eine Glaubensgemeinschaft, die an sich selber glauben muss. Der
Geldwert hängt vom Glauben an den Glauben der andern ab.
Geldwert ist Marktwert; Marktwert ist Tauschwert; und der beruht auf schwankendenPräferenzen.
Geld ist eine für die gesellschaftliche Zusammenarbeit unersetzliche Vereinfachung.
Die Unterschrift des Notenbankpräsidenten auf den Geldscheinen bedeutete einst, dass der
Staat bereit sei, das Papiergeld in Gold einzutauschen. Allerdings funktioniert auch das ungedeckte Geld – abgesehen von den Zusammenbrüchen, wie jetzt einer für Griechenland befürchtet wird.
Draghis (des bevollmächtigen Präsidenten der EZB) Unterschrift auf Geldscheinen garantiert* den Rechtsschutz der jeweils zuständigen Staatsgewalt** des €-Bereichs für diese Geldscheine als „gesetzliches Zahlungsmittel“***.
* Ohne solch eine Garantie ist das Geld nichts wert; der Handel stockt, die Wirtschaft bricht
zusammen.
** Rating-Agenturen beurteilen (in Anbetracht der unsicheren Rechtslage) nicht die Bonität
der Europäischen Zentralbank, sondern einzeln die Kreditwürdigkeit der diese tragenden
Staaten!
*** D.h. in der Regel sind Verkäufer verpflichtet, auf Wunsch des Käufers diese Geldscheine
zum Nennwert in Zahlung zu nehmen. (Sie können sie ja ebenso gültig weitergeben.)
Geld hat immer wesentlich spekulativen Wert – aber, als (kraft staatlicher und institutioneller Garantien) “dauerhafter” Tauschwert, besonders in chaotischen Zeiten.
Heute herrscht allgemeine Verunsicherung. Infolge erwarteter Not, erleben wir eine aktuelle
Entwertung des (jetzt nicht so dringend gebrauchten) Geldes. Das allgemeine Sparen entwertet das Geld.
Geld ist staatlich garantierte, reinstmögliche Willkür-Macht. In dem Maß freilich, in dem
der Staat mehr garantiert, als er glaubwürdig kann, verliert das Geld seinen Wert.
Marktpreis ist Stereotypierung, ist Vereinfachnung und senkt die (mit der Masse sonst erdrückend werdenden) Transaktionskosten.
Die Willkürmacht des Geldes bedroht die naturwüchsig vieldimensionale Kooperationsfähigkeit der Gesellschaft. Sie hat in den höchstentwickelten Gesellschaften den Gemeinsinn
zerfressen.
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Im Süden Nigerias fließt das Öl und das Geld. Der Norden, das Zentrum von Boko Haram,
ist Fußabdruck (sozusagen das säuberlichste Negativ) des internationalen Kapitalismus, – der,
trotz gegenteiliger Beteuerungen, in kommunistischen sowie muslimischen und christlichen
Gesellschaften herrscht wie ein Naturgesetz, dem die menschliche Natur unterliegt (die es
doch hervorgenbracht hat).
Kultur
In kleinen Kollektiven stärkt Niedergang die Solidarität; in großen schwächt er sie und verschärft Konflikte, – die den Niedergang beschleunigen.
Bildung nennt man, im Unterschied zu Ausbildung, die Allgemeinbildung; und deren Allgemeinheit ist kulturabhängig definiert.
Wir hatten lange unseren (national ausdifferenzierten) westeuropäischen Bildungskanon.
Inmitten der heute kulturell etablierten, ständig wachsenden Informationsmasse aber verliert
ein so traditionslastiger Bildungskanon seine Geltung. Eine Basis von Rechnen, Schreiben
und Lesen ist fast alles, was heute noch Kanonizität beanspruchen kann; fast der ganze Rest
ist nur aktualitäts- und umständebedingt kanonisch.
Schon immer gehörte Persönlichkeitsbildung zu den Zielen der Pädagogik. In der heutigen
Menschheit müsste Bescheidenheit ein zentrales Bildungsziel sein.
„Du sollst bei einem Siege stehen wie bei einer Trauerfeier“, zitierte Emmi Bonhoeffer
(Tochter von HANS DELBRÜCK, dem Autor der Geschichte der Kriegskunst).
Fußball, ein Kampfspiel, ist der Kult der Weltgesellschaft – mit einem Sepp Blatter als
Papst. Eine Kultur ohne Demut – bound to fail.
Bei Kultur denkt man heute an Kunst (Theater, Konzerte, Museen). Aber das ursprüngliche
Paradigma ist Ackerbau und Viehzucht – auf dem Hintergrund der Jäger- und Sammlerkultur:
Pflege, Umweltgestaltung in erweitertem Zeithorizont.
Wir fragen leise, aber immer dringlicher, nach einer der heutigen Welt entsprechenden Kultur.
Ich kenne keine überzeugende Antwort. Ich denke, Bescheidenheit müsste im Zentrum stehen.
Wille zur Macht ist gemeinmenschlich. Bescheidenheit sollte ihn kultivieren. Sie ist ersprießlich, überzeugender – und erweist sich oft als stärker.
Okwui Enwezor*, Direktor des „Hauses der Kunst“ in München, richtet die Venezianische
Kunst-Biennale 2015 aus unter dem Titel All the World’s Futures. Es ist eine Bankrotterklärung der Kunst – als Gesamtkunstwerk**. Auch die Kunst hat wesentliche ihrer Selbstverständlichkeiten verloren. Für die gemeinsame Suche nach einer zeitgemäßen Definition lässt
er, zur Grundorientierung, im Lauf der Monate der Ausstellung (Mai bis November), das
ganze Kapital von Marx vorlesen. Das gibt in der Tat zu denken.
* Gebürtiger Nigerianer.
** „Aus kritischem Anspruch wird flimmernde Tapete“ (Harald Martenstein).
Durch Schaden wird man vielleicht nicht klug, aber weise.
In der technisierten Welt erfordert nur ein schwindender Bruchteil der menschlichen Bedürfnisse menschliche Arbeit. Das ist ein beängstigend wachsendes soziokulturelles Problem.
Der Mut der Verzweiflung wird in unserer Globalgesellschaft ein immer gefährlicherer Faktor. Die Wut wächst.
Wachstum ist ein kindliches, Nachhaltigkeit ist ein erwachsenes Ziel.
Tradition: „Wir suchen noch immer die menschlichen Ziele“ (CONRAD FERDINAND MEYER,
Chor der Toten).
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Soziale Ordnung (mit ihren Ungleichheiten), überhaupt: verdientes und unverdientes Glück,
macht Einzelne und Gesellschaften übermütig. Auf einer Insel im großen Chaos, geht es
ihnen gut; sie überschätzen ihre Lebensklugheit. Die Demütigung kann nicht ausbleiben.
Die Gesellschaft erlaubt sich, zu morden; sie darf zum Tod verurteilen, zu Mord beauftragen
und in den Tod schicken. Das Selbstmordverbot war eine unsolidarische, bequeme Vereinfachung.
Der gesellschaftliche Selbstbetrug allein schon durch die unverschämte der Reklame ist
„nicht nachhaltig“.
Wie ein Potentat von seinen Höflingen wird die öffentliche Meinung von den Medien* umschmeichelt und belogen. Die weltweite Verbreitung von Lügen und Verleumdung wird
immer billiger. Der Bürger ist nicht genug orientiert, um die großen politischen Entscheidungsfragen zu beurteilen; und er weiß das. Daher die beunruhigende Politikverdrossenheit!
* Auch deren Kunst geht nach Brot.
In jeder menschlich kommunikativen Gesellschaft spielen Lug und Trug der Partikularinteressen eine wesentliche (sogar kreative) Rolle.
Was jedermann meint, wird meist erst zu spät kritisch bedacht.
Symbolsysteme werden durch (selbstverstärkend sich ausbreitende) Anerkennung verselbständigt. Sie brauchen dann weniger evidente Bezüge zur Realität.
Hunger, Krankheit und intraspezifische Aggression sind natürliche Wachstumsbremsen. Sie
schmerzen. Durch Selbstbeschränkung kann man das mindern. Dem dienen Kultur und Erziehung.
Von der Randzone seines Gesichtsfeldes hat der Mensch nur grobe Wahrnehmung, repräsentiert durch eine – vital nötig, aber trügerisch – vereinfachende Symbolik. Und diese aktiviert gegebenenfalls die (meist verleugnete, deshalb immer wieder unerwartet hervorberechende) menschliche Mordlust und führt zu Gewalttätigkeit.
Erweiterung des Gesichtsfeldes kann, in einem Kreisprozess, Neugier statt Mordlust in Gang
setzen, zu Interesse, differenzierterer Wahrnehmung, Einfühlung, Sympathie und solidarischer* Bescheidenheit führen und die Gewalttätigkeit mindern.
Bildungsarbeit ist Friedensarbeit.
* Solidarität fordert im Grunde auch Einfühlung in fremde Mordlust. (SCHILLER hat, in seiner
Gruppe aus dem Tartarus, so etwas, in christlicher Solidarität einfühlend, zu symbolisieren
vermocht: „… Verzweiflung sperret ihren Rachen fluchend auf.“)
Revolution gegen die globale Gesellschaftsordnung liegt in der Luft; der sog. „Islamische
Staat“ springt als solche ins Auge. Das will kulturgeschichtlich, anthropologisch und kulturpolitisch ernstgenommen werden. Wir sind überrascht, weil wir ein zu einfaches Menschenbild hatten.
Im Sinn des Selbstmord-Tabus wird gewarnt vor sozialem Druck, der sonst auf Alte und
Kranke ausgeübt werden könnte. Ich vermute, dass häufiger Alte und Kranke von sich aus
sterben wollen, um ihren Lieben nicht zur Last zu fallen; sie werden aber stur vergewohltätigt*.
* Eine Wortprägung von Cornelie Grossmann, meiner Schwester.
Man muss sich selbst relativieren und auch die Relativierung relativieren – ein endloser
Prozess. Wir müssen uns zufrieden geben mit einem mild chaotischen gegenseitigen Einverständnis in der Selbstrelativierung.
Leserbrief* an DIE ZEIT:
Wenn einer einen wohlbegründeten Wunsch hat, so liegt die Beweislast bei dem, der den
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Wunsch verweigert. Das gilt auch für den Wunsch, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Für Gesetze gegen Selbstmord und Sterbehilfe kenne ich allerlei Plausibilitätsgründe, - die
aber alle die moralische Last nicht tragen können, um die es hier geht.
Man soll ernsthaft vertretene Argumente ernst nehmen; aber man kann niemandem den Sinn
seines Lebens andemonstrieren. Und auch auf Seiten des Suizidanten sind prinzipielle Begründungen des Todeswunsches sekundäre Rationalisierungen. Hier geht es nicht um Rationalität, sondern um menschliche Solidarität in der Ratlosigkeit!
Bemerkenswert ist, wie die Gesellschaft mit den Hilfsbedürftigen umgeht. (Ich erinnere nur
an die Überlastung eines unterbezahlten Personals in dem Pflegeheimen.) Hier herrscht der
"Utilitarismus", den Frau Zunke tadelt!
Bei den heutigen 7,3 Milliarden Menschen (Tendenz m.W. immer noch steigend) sinkt
selbstverständlich der gesellschaftliche (!) Durchschnittswert des Menschenlebens.
Thomas Bonhoeffer, Bochum
* Gekürzt veröffentlicht in Nr. 11 (12. März 2015), Seite 89, zu: CHRISTINE ZUNKE, Ein Streit
um die Werte (in Nr. 9, zum Thema Sterbehilfe).
Korruption ist natürlich ein allgemein menschheitliches Problem.
Es gibt aber wohl tatsächlich eine spezifisch mediterrane, eine spezifisch nordeuropäisch/amerikanische, eine spezifisch islamische usw. Korruptionskultur.
Konzentration der Aufmerksamkeit auf wenige Faktoren verstärkt die Eindrücklichkeit eines Ereignisses. Tendenziell aber verdummen Sensationsmeldungen das Publikum durch ihre
extreme Einfachheit. Das ist auch politisch gefährlich.
Der Begriff Korruption setzt eine konsensuale Ordnung voraus, die korrumpiert sei. Diese
ist aber nur ein idealistisches Postulat. Das Leben ist ein Kampf der Ordnungen, ein Chaos
mit Gewalt und Betrug, das man bestenfalls mildern kann.
Korruptionsbekämpfung muss vieldimensional wohlproportioniert sein, ist anspruchsvollste,
höchste Kunst, καλὰ ἔργα*, wörtlich: „schöne Werke“! – Lebenskunst gegen Maßlosigkeit
der Selbstsicherung, gegen „Mammon“.
Sie kann nur gelingen als Kulturarbeit einer ganzen Gesellschaft.
* In lateinischer Tradition ist dieser biblische Ausdruck meist verdeutscht mit: „gute Werke“.
Meisterung der natürlichen Barbarei durch Lebenskunst kann im Alltag Zeichen einer Ahnung setzen, die begeistert; sie kann Resignation zu so etwas wie Glauben bekehren.
Mit dem Chaos wächst die Ratlosigkeit und deprimiert; „Zeichen“ aber können Denken inspirieren, und Kreativität kann zu Milderung des Chaos führen.
Individuum
Niedergang bereitet Abschiedsschmerzen.
Langsames Altern erlaubt aber dem Einzelnen stetige Anpassung der verbliebenen Kreativität
an die neuen Lebensbedingungen.
„Sie wissen nicht, was sie tun“ (Lukas 23, 34)! Diese ganze Bitte Jesu um Vergebung fehlt
in der sog. westlichen Textüberlieferung der Lukanischen Passionsgeschichte!
Über die klassischen ideologischen Fragen hinaus, wäre zu fragen: „Wer weiß schon, was er
tut?!“ Ist solches „Wissen“ nicht immer Borniertheit?
Jesus hat hiernach vergeben. Kein Mensch kann immer vergeben; aber wer wäre grundsätzlich auszunehmen von solcher Bitte um Vergebung?!
Man muss sich erleben können als einen, der Gutes tut, die Welt lebensfreundlicher macht.
Unsere Fähigkeit zum Mitfühlen ist chaotisch begrenzt. Man soll sich und andere auch nicht
überfordern. Das kommt schlecht raus!
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Auch der Mensch ist ein Rudeltier. In der Masse vereinzelt, tröstet sich mancher mit seinem
Hund.
Das menschliche „Subjekt“ ist eine Vereinfachung. Die gesellschaftliche Symbolik stabilisiert sie.
Der Einzelne ist mit unserer Umwelt wesentlich durch seine Symbolwelt verbunden. Diese
ist ein je eigenes, hyperkomplexes Relationengebilde.
Wille kann verstanden werden als ein Realitätsbezug des Subjekts.
Es gibt so viele Mitmenschen, dass die Identifikation nicht mehr funktioniert wie bisher.
Schon immer lebte man vermittels praktischer Versimpelungen, zusammen, einer inkohärenten Kollektion von Reduktionen des Menschen auf einzelne seiner Funktionen.
Für kohärent menschliche Entwicklung der eigenen Person brauchen wir aber kohärente
Bilder, die andere von uns haben und denen entsprechend sie mit uns umgehen.
Können wir mit Gott zufrieden sein? Kann Gott mit uns zufrieden sein? Gottes Friede ist die
Solidarität in Glück und Unglück.
Wie bunte Blüten im Grün und Lust inmitten der Mühsal, so trägt das milde Chaos, in dem
wir leben, Glück und Unglück, Lachen und Weinen im grauen Alltag.
Mit dem Alter schwindet die eigene Tatkraft und man erwartet weniger neue Hoffnungen
von der Zukunft der Welt. Die Welt motiviert immer weniger.
Das Individuum gilt noch immer als verantwortlicher Selbstversorger, heute durch sein
Bisschen Mitbestimmung in einem Gewirr von Kooperationen.
Jeder hat seine eigenen Jenseits*-Erfahrungen. Sie verunsichern sowohl unsere guten wie
unsere bösen Erwartungen.
* Im Sinne von: Jenseits unseres Verstehens.
Wieviel kostet ein Mensch? Wieviel kostet das, was er verbraucht und vermutlich noch verbrauchen wird? Dem steht gegenüber, wie reichlich er sich bezahlt macht.
Jeder einzelne Mensch hat in so vielen verschiedenen Zusammenhängen so überraschend
verschiedenen jeweiligen Wert, dass solche Fragen Missachtung der Menschlichkeit des
Menschen in der Ökonomie vermuten lassen.
Der Jugendliche hat lebenslang vor allem eigenen Fortschritt erlebt; so ist er erfahrungsbegründet optimistisch.
Der Ältere hat dann zunehmend auch Rückschritt erlebt. Doch Altersweisheit schließt Hoffnung nicht aus.
Die persönliche Identität ist eingebettet in Solidarität; persönliche Bekanntschaft verstärkt
die Solidarität.
Die Kinder und die Alten mit ihrer normalen Hilfsbedürftigkeit erinnern die (heute maximal
autonome) mittlere Generation an ihre einstige Hilfsbedürftigkeit.
Die Alten stellen ihre Einsichten gern zur Verfügung.
Gesundheit ist das Optimum, aber nicht normal durchschnittlich. (In der Normalverteilung
ist „normal“ der Bereich „Optimum  Standardabweichung“.)
Angst macht unruhig. Das primäre Mittel gegen Unruhe ist orale Befriedigung: Trinken,
Essen, Rauchen. Diese Symptomtherapie macht dick. Auf die Dauer befriedigender ist, die
Unruhe bewusst einzusetzen zur Suche nach der Ursache der Angst und diese dann wohlüberlegt, aktiv und/oder passiv (durch innere Anpassung an die äußere Realität) anzugehen.
Trauer
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Der Weg von der Trauer zur Lebensfreude verläuft von dem Rückzug ins Selbsterleben –
über die Wiederbegegnung mit der sozial stabilisierten Realität, die erst unerträglich gefunden
wird – Interesse – und Engagement (zwischen Hass und Zuneigung).
Das Gebot für den Trauernden: Mit Gott weitermachen.
Trauer ist zu respektieren. Sie lehrt: Der Mensch soll kreativ sein*. Das macht Angst**!
* WILHELM MÜLLER (in dem von Schubert vertonten Liederzyklus Winterreise): „Lustig in
die Welt hinein, gegen Wind und Wetter! Will kein Gott auf Erden sein, sind wir selbst Götter.“ So singt die Verzweiflung ohne das trinitarische Gottesverständnis, das unsere Berufung
zur Kreativität artikuliert!
** GOETHE: „Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange.“ (Faust I, Studierzimmer 2, Z.2050)
Schmerz ist ein phylogenetisch uralter Schutzmechanismus; Schmerzvermeidung ist uns
selbstverständlich. Enttäuschung beruht auf selbstverständlich gewordenen Erwartungen.
Wenn das Chaos das Selbstverständliche aushebelt, rufen Schmerz und Enttäuschung Trauer
und Tränen hervor; diese rufen uns vor Gott.
Unter Tränen, musst du bescheiden Gott fragen, was du sollst. Er wird dich auf das Nächstliegende verweisen. Das ist oft banal, aber es hilft einen Schritt weiter.
Und dann ist plötzlich gar nicht mehr Banales das Nächstliegende!
Trauer ist die Erfahrung einer Unklarheit, die mit Solidarität zu tun hat.
Moral
Man soll besonnen handeln und ganz dahinterstehen, wenn man etwas tut. Muss man etwas
mit gemischten Gefühlen tun, so soll man die Widersprüche nicht leugnen.
Wenn Rebellion keine Aussichten hat, müssen wir Tatsachen akzeptieren. Und dafür muss
man auch an sich selbst arbeiten.
Unglück adelt den Menschen; wenn er es akzeptiert. Dann kann er Vorbild sein (den Glücklichen ein heilsames Andachtsbild) und stolz sein auf die Größe der von Gott ihm gestellten
Lebensaufgabe. Deren Erfüllung erwarten nun auch Menschen von ihm, – eine wahrhaft
schöpferische Aufgabe!
Was kann ich, mit meinen Wünschen und meinen Ressourcen, effektiv wollen?
Angewiesen auf unintegrierte Vereinfachungen, tun wir oft gut daran, wider besseres Teilwissen, nach dem Gefühl zu handeln.
Verantwortung ist ein Problem der Symbolik, also der Kultur.
Mit „Gut leben“ bezeichnet unsere Umgangssprache das sensorische Wohlleben des Individuums im Sinne des stoisch-christlichen polemischen Zerrbilds von Epikurs Lehre. Bereits in
der Antike aber war die Frage nach der guten Lebensführung ein sehr ernstes, heiß umstrittenes philosophisches Thema. Der französische Bonvivant ist einer, der gut zu leben versteht
und mit Maßen genießt.
Der Mensch ist ein Rudel-Tier*. Als solches braucht er Solidarität; und die Natur gebietet
jedem Einzelnen Solidarität, also Rücksicht – und in größeren Gruppen: Umsicht. Moral ist
Gefühlssache; Gebote dienen der groben Orientierung.
* Er kann zeitweise zum Herdentier entarten.
Wir können unsere Welt und uns selbst bestenfalls ungefähr verstehen. Aber wir haben ein
Gefühl für Moral und Recht, und wir müssen unserem Gefühl nach leben.
Wir leben unter einem Überangebot von einfachen Modellen und Regeln. Sie erleichtern
Verständigung, Selbstverständnis und Kooperation, und darauf sind wir angewiesen; wir
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brauchen die Verallgemeinerungen als kritische Instanzen und müssen sie kritisch pflegen.
Aber zwischen Diesseits und Jenseits bleibt es dabei: Irren ist menschlich.
“Immer strebe zum Ganzen. Und kannst du selber keine Ganzes / bilden, als dienendes
Glied schließ an ein Ganzes dich an!” (Schiller).
Das “eine” Ganze wäre die Schöpfung! In dieser aber muß man an mehreren Ganzen teilhaben.
Solidarität
Solidarität ist, wegen ihrer Irrationalität, auf eine emotional belastungsfähige Symbolik angewiesen. So hängen Wunder und Tugend, Glaube und Liebe zusammen.
Ecclesia invisibilis ist so etwas wie GOETHEs „edle Geisterschaft“*, eine beglückende Ahnung.
* Vermächtnis (1829).
Solidarität ist dem Egoismus des Einzelnen nicht befriedigend zu begründen. Dieser Begriff
aus dem alten römischen Recht artikuliert ein archaisches Gefühl, eine elementare Struktur
des Lebens.
Solidarität transzendiert den Identitätsbegriff; dieser aber ist Voraussetzung aller Rationalität.
Solidarität betrifft gemeinsames Eigentum an einem schlecht teilbaren Ganzen; jeder Einzelne
haftet „in solidum“, d.h. für das Ganze.
Individualisierend definierte Identität hat sich erst allmählich ausdifferenziert. GUNNAR
HEINSOHN sieht in der Wirtschaftsgeschichte eine Entwicklung von Solidarität über Herrschaft hin zu dem, was er Eigentumsökonomik (2006) nennt.
Solidarität im Elend ist manchmal schöpferisch – wie Gott bei der Schöpfung in der „Finsternis über der Tiefe“ (1Mos 1,2).
Oft lässt der Anblick fremden Unglücks den Zeugen an Stelle des Betroffenen verzweifeln.
Es ist erschütternd, wie viel Unglück Lebewesen vertragen!
Der “Geist der Wahrheit” (Joh 14, 17; 16,13) ist die Solidarität in der Ratlosigkeit*, – die
auch die geflohenen Jünger Jesu wieder zusammengeführt hat.
* Die docta ignorantia des Nikolaus von Kues ist ein ernstzunehmendes Mahnwort, aber eine
theoretische Verengung.
Gegenwart
Die öffentlichen Kassen sind leer, die privaten der Reichen quellen über. Höhere Besteuerung ist nicht machbar, weil im globalen Finanzsystem Steuervermeidung so gut machbar ist.
(Die Kooperation zwischen den Staaten dürfte keine Löcher haben; aber so sind die Menschen nicht.)
Also werden schlecht alimentierte öffentliche Dienste* bestreikt; zufällig betroffene Teile der
Gesellschaft werden zu Geiseln. Der Rechtsstaat ist ziemlich machtlos – Chaos.
Es bleibt zu hoffen, dass der abnehmende Grenznutzen des Vermögens für sie persönlich, die
Reichen beizeiten zur Vernunft bringt.
* Auch ausgelagerte, privatisierte, kommerzialisierte, dem Konkurrenzkampf ausgesetzte.
Der durchschnittliche Lebensstandard wird heute nicht mehr vornehmlich durch Ausbeutung von Arbeitern gedrückt. Ausbeutung betrifft heute mehr die Natur, und das trifft mit
voller Wucht erst die kommenden Generationen. Und eine gewisse Kapitalakkumulation hat
volkswirtschaftlich auch gute Seiten.
Den durchschnittlichen Lebensstandard drückt weltweit heute hauptsächlich das Wachstum
der Weltbevölkerung und der entsprechenden Notlagen.
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In der gegenwärtigen und zukünftigen, zunehmend gehetzten Konkurrenz von fünf Erdteilen, müssen die Jungen sich schleunigst ausbilden lassen im Rahmen der landläufigen Grundorientierung (trotz wohlbegründeten Misstrauens und Ratlosigkeit einfach: Weitermachen).
Vertrauen lebt noch in kleinen kurzlebigen Gruppen.
Für angemessenes Verweilen bei großen Fragen, für Bildung im klassischen Sinne, ist keine
Zeit. Weltanschaulich herrscht Wildwuchs.
Alte Leute hingegen, die Zeit haben, helfend, beobachtend und beratend das vitale Engagement ihrer Kinder und Enkel oder Bekannten zu begleiten, reflektieren Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft – auch theologisch – sehr selbständig und können Weisheit einbringen.
Man lebt heute, massenweise leicht austauschbar, angewiesen auf schnelle Rechner, sinnlos
in überwältigend vielen, aber nur schwach mit einander verwobenen Beziehungen.
Unser Weltverständnis ist so ausdifferenziert kompliziert geworden, dass ein genaues Erklären und gegenseitiges Verstehen nur noch beschränkt möglich ist. Die traditionellen Sprachgemeinschaften werden relativiert durch schnell sich fortentwickelnde Sondersprachen mit
ihren Subkulturen.
Die Industrie schafft eine Wegwerfgesellschaft, die in ihrem Müll erstickt.
Der Mensch ist ein höchst unwahrscheinliches Naturprodukt, sehr vielfältig sensibel für
Reize, die früher überlebensrelevant waren. Erst in sogenannt historischer Zeit hat er sich eine
Welt geschaffen, in der neue, ökonomisch organisierte soziale Reize wichtiger wurden. Das
führte zu einer selbstverstärkenden Verwandlung unserer bislang maximal kreativen Spezies
in gefügiges Material einer Organisationstechnik, die sich verselbständigt und ihrerseits beängstigend kreativ wird.
Die unpersönliche Beängstigung macht diffus aggressiv. Mit der Romantik begann, was dann
in der nationalsozialistischen Wut auf „das System“ sich fortsetzte und heute weltweit als
rebarbarisierte Destrudo* erfolgreich missioniert. Diese ist gegen all das „Andere“ als solches, sie ist die Kehrseite des primär-narzisstischen Einheitsstrebens.
* (1935 von Edoardo Weiss eingeführte Bezeichung für dem von Freud postulierten „Todestrieb“.) Konkret denke ich an den „Islamischen Staat“.
Lustig-aggressive Soldatenlieder und entsprechende Kinderlieder gehören zum klassischen
(nicht nur deutschen) Liedgut. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs erwartete man noch einen
„frischen, fröhlichen Krieg“*. Die Fortschritte (auch der Waffentechnik) namentlich in den
letzten Jahrhunderten haben, langsam aber sicher, so etwas moralisch unmöglich gemacht.
Sigmund Freud verstand Arbeit als Sublimation von Aggression. Heute setzt die globale
Arbeitslosigkeit gewaltige Aggressionen frei.
* Diese Formulierung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt von dem reaktionären Geschichtsprofessor Heinrich Leo und wurde zum geflügelten Wort.
Auch Naturwissenschaft ist Bemühung um gesellschaftlich konsensfähige Vereinfachungen,
stabile Konfigurationen von einfachen Relationen, zeitweilig sich manifestierenden Energien*.
Der Koordinationsbedarf ist heute so gewaltig, dass die Wenns und Abers dieser menschlichgesellschaftlich konstituierten Objektivität verdrängt werden – und die maximierten Vereinfachungen die Bodenhaftung verlieren.
* D.h. „Wirkung“.
Die herkömmlichen symbolischen Selbstverständlichkeiten der eigenen Gesellschaft (εἶναι,
εἰδέναι, νοεῖν, sein/wissen/denken) fallen im Lauf der Zeit der Globalisierung zum Opfer; und
diese macht zunehmend Skepsis zu einer Selbstverständlichkeit.
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Schnelle Verbesserungen der Lebensbedingungen haben oft überraschende, böse Nebeneffekte. Soll die Verbesserung nachhaltig sein, so muss eine Fortentwicklung der Existenzsymbolik vorausgehen (oder sie begleiten); aber Kultur entwickelt sich langsam.
In der allgemeinen Ratlosigkeit einer Kulturkrise, wo man nur seinem Gefühl nach leben
kann, gedeiht der Dezisionismus, eine zu Gewalttat befreiende Vereinfachung mit Anspruch
auf Allgemeingültigkeit.
Viele schmale menschlichen Kontakte, Vereinzelung in der Masse, ist ein weltweit bedrohlich wachsendes Problem.
In der elenden Intransparenz der hyperkomplexen Globalgesellschaft wächst die Korruption.
(Das wilde Chaos, in das unsere mild chaotische Lebenswelt eingebettet ist, macht sich auch
hier bemerkbar.)
„Elend“ ist etymologisch: Ausland* (wo man nur spärliche Kontakte** hat), das Gegenteil
von der vertrauten Rechtsgenossenschaft der Heimat, wo der Mensch vielfach in vieldimensionale Kontakte verwoben ist. Heute wird ein globales Ausland unser zu Hause.
* Ich erinnere an das alte (eigentlich so hoch aktuelle) Lied: „Innsbruck, ich muss dich lassen
…“
** Wo die vieldimensionale Individualität sozial bedeutungslos bleibt, schaffen grobe Kategorien (Wanderbursche, Wirt, Bürger; heute: Flüchtling usw.) erste, grobe Vertrautheit.
Ausblick
Ich sehe nichts großes kommen, worauf ich mich freuen und, darauf verweisend, Optimismus verbreiten könnte.
Stoßseufzer und Interjektionen sind die Interpunktion unserer Symbolik.
Gebet um nachhaltige Kultur wäre als eine moderne Interjektion zu verstehen.
Nachhaltige Kultur wäre, heute mehr denn je, im Kern wohl: schöpferische Bescheidenheit.
Das Problem gerechter Verteilung der knappen Güter ist so alt wie die Menschheit. Die
Hoffnung, Arbeit als Schlüssel zur Lösung in Geltung zu setzen, ist, im industriellen und
post-industriellen Zeitalter der Massenarbeitslosigkeit, nicht aufrecht zu erhalten.
Zur Vermeidung globalgesellschaftlicher Katastrophen, müsste sich schnell eine Sozialkultur
entwickeln, die doch den „real existierenden“ Menschen moralisch überfordert.
Nicht der Bedarf, sondern die weltweite Angst der Wirtschaftsgemeinschaften vor der
weltweiten Konkurrenz treibt allenthalben zu weiteren Wachstumsanstrengungen.
Das industrielle Wachstum ist selbstverständlich zunehmend ökologisch katastrophenträchtig.
Dem Nachhaltigkeitswunsch für die Entwicklung unserer Lebenswelt können wir kurz- und
höchstens mittelfristig entsprechen.
Die Rede von Evolution, depelopment und Entwicklung ist Euphemismus. Da ist nichts eingewickelt, was sich auswickelte! Da ist, im verlustreichen allgemeinen Werden und Vergehen, auch der verlustreiche genetische Generationswechsel mit seiner begrenzten Variationsbreite. Und da ist der verlustreiche kulturelle Generationswechsel der Memetik.
Was im Chaos des Weltgeschehens aus unserer Hinterlassenschaft wird, und dass überhaupt
etwas daraus wird, können wir nicht wissen, sondern nur erhoffen.
Wir sollten auch in diesem Sinne bescheiden leben. Die Wachstumsstrategie schiebt das
Chaos hinaus und heizt es an.
Die zunehmende eigene Chaotik bedroht die im Fortschritt begriffene, wachsende Menschheit.
„Dieweil die Ungerechtigkeit wird überhand nehmen, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer
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aber beharrt bis ans Ende, der wird selig“ (Mt 24,12); er wird in Gottes Solidarität leben und
sterben.
Unsere Welt verändert sich, gemessen am natürlichen Generationenrhythmus, zu schnell.
An Stelle fester Arbeitsverhältnisse treten zunehmend Zeitverträge. Unter Zeitverträgen für
den Brotverdienst aber ist verantwortliche Elternschaft nicht möglich.
Intelligente junge Leute auf dem Wege in anspruchsvolle Berufe wünschen sich auch für ihre
Kinder optimale education (Erziehung, Bildung und Ausbildung). Deshalb machen sie erst
spät Kinder.
Das wird globale soziokulturelle Folgen haben.
Die armen Massen wünschen sich Aufstieg und Sex, aber nicht viele Kinder. Da könnte und
müsste man auch helfen.
Das Leben wird wohl seiner eigenen Kreativität zum Opfer fallen.
Die menschliche Gesellschaft ist ein Chaos von Ordnungen. Kommunikation und Zusammenarbeit ermöglichen überwältigende Leistungen. Aber man kann dem nicht trauen.
Die Gesellschaft ist durch die Technik störanfälliger geworden. Im Übermut verheizt die
Menschheit ihre Zukunftsfähigkeit.
Kultur und Symbolik zerbrechen an der Vertrauenskrise. Die Barbarei greift um sich.
Wenn die entwickelten den Entwicklungsländern die Leistungsfähigsten absaugen – was
kaum ausbleiben kann –, drohen weltpolitisch schwerste Konflikte.
Nicht das Beste, sondern das Schnellste trägt den Sieg davon. „Schnell und Schlecht“ überlebt in wenigen Generationen das „eigentlich“ dauerhafte Gute.
Qualität ist eine einstellige Relation; die wechselnden vielfältigen Zusammenhänge im größeren System sind fürs Überleben wichtiger geworden.
Wenn die Vernünftigen weniger Kinder machen, wird die Menschheit wohl immer unvernünftiger werden.
Zukunftshoffnung für die Menschheit: Kreatürliche Solidarität.
(„Solidarität im Chaos“ ohne Gott ist tragisch hoffnungslos.)
Gegen unser Hauptproblem, die Überbevölkerung der Erde (mit ihren begrenzten Ressourcen), hilft Wirtschaftwachstum nicht nachhaltig. Im Gegenteil!
Die hoch entwickelte Symbolik und Individualisierung ist für unsere Spezies wesentlich. Sie
organisiert uns in eine vielfältig bewegte und konfliktgeladene Vielfalt von einander überschneidenden Kulturen und Subkulturen, sog. Pseudospezies.
Aber die natürliche Selektion eliminiert unangepasste soziale Untereinheiten nicht (diese
triumphieren ironischerweise oft mit survival of the fittest – auf Kosten der Spezies!), sondern
überlässt dies der fitness der Spezies. In Anbetracht der menschlich natürlichen Rücksichtslosigkeit und der entsprechenden Umweltbelastung, ist das Grund zu einer allgemeinen Sorge, –
die aber meist schnell, unter hilflosem Lächeln, in den Wind geschlagen wird.
Die Weltgesellschaft verunsichert heute den einzelnen Menschen direkt. Die Zusammenhänge sind zunehmend intransparent, trügerisch, chaotisch.
DAVID RIESMAN thematisierte schon 1950, in seinem Bestseller über the changing american
character (Untertitel), ahnungsvoll The Lonely Crowd. Das Problem ist seither weltweit
gewachsen. Die Angst untergräbt die Moral; die herkömmlichen Sitten verlieren ihre Evidenz.
Ratlosigkeit und Hoffnungslosigkeit breiten sich aus.
Man kann nur auf neue menschliche Solidarität hoffen, – wie man früher seine Hoffnung auf
den jugendlichen Idealismus setzte.
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Der Optimismus nach dem Kalten Krieg ist paradoxerweise der menschlichen Kreativität
erlegen.
Die Verständigung zwischen den Individuen läuft in der globalisierten Massengesellschaft auf
immer schmaleren Kanälen.
Der Mensch ist ein geselliges Tier; er wird ängstlich und fühlt sich verirrt. Das droht zu immer weiteren massenhaften Kurzschlüssen zu führen. Unsicherheit macht gierig und machtgierig.
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