Evangelium Johannes 3

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Joh. E. Keller
Bibliothek
Buch
Das Johannes-Evangelium
Teil 3
Aus dem Nachlaß herausgegeben von
Karl Rein
Vorwort
Diese Ausführungen über das Johannes-Evangelium sind eine Sammlung von
Predigten, die von Joh. E. Keller an verschiedenen Plätzen gehalten wurden. - Durch die
Zeit- und Ortsunterschiede mußte sich ergeben, daß für die jeweiligen Zuhörer manche
Gedanken wiederholt wurden. Wir haben um des Zusammenhanges der einzelnen
Abschnitte willen solche Wiederholungen nicht weggelassen; sie wirken dann nicht
ermüdend, wenn man den jeweiligen Zusammenhang beachtet, der jedes Schriftzeugnis
in immer neuem Licht aufleuchten läßt. Auch dienen die Wiederholungen zur Befestigung
in der Erkenntnis des Wortes Gottes.
Bei aufmerksamem und gründlichem Betrachten dieser tiefschürfenden Auslegungen
ist eine Parallele zu dem endzeitlichen Heilswalten Gottes in seiner Gemeinde
unverkennbar.
Die Bibelzitate und Bibelstellen in diesen Broschüren sind der Schlachter-Übersetzung entnommen.
Mögen diese Broschüren allen denen zum Segen gereichen, die die Wahrheit
liebhaben.
Berlin, im Sommer 1970
Der Herausgeber
Inhaltsverzeichnis
Seite 8
Die innere und äußere Trennung zwischen Jesu und seinem Wegbereiter, Johannes
dem Täufer, deren Ursachen und Folgen
9
Jesus trennt sich von der Gesetzesordnung und richtet die Gnaden- und neue
Lebensordnung auf
21
Die Bedeutung des Verhältnisses, das sich zwischen Jesu, als dem Bräutigam,
und der Samariterin am Jakobsbrunnen gestaltet hat
29
Der Unterschied zwischen Johannes dem Täufer, Herodes gegenüber, und der
Art und Weise, wie Jesus der Samariterin begegnet
43
Das Vertrauensverhältnis zwischen Jesu, dem wahren „Mann”, dem Bräutigam,
und der Samariterin, als Brautseele, führt zur Erfüllung des göttlichen Heilswillens
54
Die unterschiedliche Wirkung der Gnade und des Gesetzes
65
Gemeinsame Freude von Sämann und Schnitter im Reich Gottes
77
Die Samariterin am Jakobsbrunnen wurde dadurch, daß Jesus sich ihr als der
Messias offenbaren konnte und sie an ihn glaubte, die erste Missionarin für das
Evangelium
84
Unterweisung über die rechte und falsche Stellung zum Bräutigam und zur Braut
95
Die königliche Freiheit in Jesu Missionsdienst als Vorbild für alle Kinder Gottes
107
-2-
Johannes-Evangelium Teil 3
Seite 9
4.Kapitel
Die innere und äußere Trennung zwischen
Jesu und seinem Wegbereiter, Johannes dem
Täufer, deren Ursachen und Folgen
„Als nun der Herr erfuhr, daß die Pharisäer gehört hatten, wie Jesus mehr Jünger
mache und taufe als Johannes - wiewohl Jesus selbst nicht taufte, sondern seine
Jünger - verließ er Judäa und zog wieder nach Galiläa. Er mußte aber durch
Samaria reisen. Da kommt er nun in eine Stadt Samarias, genannt Sichar, nahe
bei dem Felde, welches Jakob seinem Sohne Joseph gab. Es war aber daselbst
Jakobs Brunnen. Da nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich also an
den Brunnen; es war um die sechste Stunde. Da kommt ein Weib aus Samaria,
Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger
waren in die Stadt gegangen, Speise zu kaufen. Spricht nun das samaritische
Weib zu ihm: Wie begehrst du, ein Jude, von mir zu trinken, die ich ein
samaritisches Weib bin? (Denn die Juden haben keinen Verkehr mit den
Samaritern.) Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkennetest die Gabe
Gottes, und wer der ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken! du bätest ihn und er
gäbe dir lebendiges Wasser!” (Joh.4,1-10)
Johannes der Täufer folgte Jesu deshalb nicht nach, weil er sich unter den
Einfluß seiner Jünger stellte, die noch weltlich gesinnt waren
Bis jetzt haben wir von Jesu größtenteils nur in Verbindung mit Johannes dem Täufer
gehört. Der Anfang des Evangeliums Johannes zeigt uns die Verbindung dieser beiden
Männer. Das erste klare Zeugnis über Jesum, daß er das Lamm Gottes sei, das der Welt
Sünde wegnimmt, hat Johannes der Täufer ausgesprochen (Joh.1,29).
Als die Jünger des Johannes anfingen, sich in das Verhältnis, das zwischen Jesu und
Johannes bestand, einzumischen, gab es bald Störungen. Einige der Jünger des
Johannes folgten Jesu nach, weil sie mehr auf seine Seite neigten, während andre
wieder auf die Seite ihres bisherigen Führers neigten. So gab es bald zwischen den
Jüngern Jesu und den Jüngern des Johannes Störungen.
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Johannes ließ sich, wie wir gesehen haben, durch diese wirkenden Einflüsse nicht von
dem Boden wegbringen, den er in seiner Verbindung mit Jesu hatte. Er konnte darüber
ein klares Zeugnis ablegen:
„Ihr Nicht ich bin der Christus, sondern vor ihm hergesandt. Wer die Braut hat,
der ist der Bräutigam; der Freund des Bräutigams aber, der da steht und ihn
höret, freut sich hoch über des Bräutigams Stimme. Diese meine Freude ist nun
erfüllt. Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.” (Joh.3,28-30)
Mit diesen Worten hat Johannes von Jesu ein einzigartiges Zeugnis abgelegt. Gewiß
kamen die Jünger auch bald zu der Erkenntnis:
„Wir haben den Messias gefunden …” (Joh.1,42)
„Wir haben den gefunden, von welchem Moses im Gesetz und die Propheten
geschrieben haben, Jesum, den Sohn Josephs von Nazareth.” (Joh.1,46)
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Johannes-Evangelium Teil 3
Auf dieses Zeugnis hin hat Nathanael dann die Worte ausgesprochen:
„Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?” (Joh.1,47)
Nun kommt es aber in der Folgezeit immer mehr dahin, daß Jesus neue Verbindungen
aufnimmt.
„Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.” (Joh.3,30),
hatte Johannes bezeugt, und das hat sich dann auch verwirklicht. Wir finden Johannes
nicht unter den Jüngern Jesu. Er hatte seinen Platz und seine Aufgabe, er hatte auch
seine Jünger; diese fingen jedoch bald an, um den Einfluß ihres Führers zu eifern, so daß
sie Johannes die Nachricht brachten, Jesus taufe und jedermann gehe zu ihm (Joh.3,2526).
„Als nun der Herr erfuhr, daß die Pharisäer gehört hatten, wie Jesus mehr Jünger
mache und taufe als Johannes - wiewohl Jesus selbst nicht taufte, sondern seine
Jünger - verließ er Judäa und zog wieder nach Galiläa.” (Vers 1-3)
Jesus machte Platz. In Judäa war nicht Platz genug für diese beiden großen Männer. Ist
das nicht eigenartig und zugleich unsre eigene Erfahrung? Wir meinen auch manchmal,
wir hätten miteinander nicht Platz genug, und andre kämen uns zu nahe. Um der
menschlichen Schwachheit willen ist es nur dann möglich, in einer rechten, verträglichen
Weise Gott zu dienen, wenn jedem einzelnen, der Gott dienen will, ein bestimmter Platz
angewiesen wird. Jedem einzelnen Diener Gottes muß ein bestimmter Platz garantiert
sein, an dem er arbeiten kann, soll und darf. Und das ist dann sein Arbeitsgebiet. Wehe,
wenn jemand diesem Arbeitsgebiet zu nahe kommt, dann geht es wie bei Jesu und
Johannes! Dann heißt es gleich: Sieh, da ist einer, der hat mehr Jünger als du; er hat
größeren Zulauf! - So macht es die Welt!
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Die Welt setzt an einen Platz, wo eine bestimmte Arbeit zu verrichten ist, eine bestimmte
Person. Diese Person nimmt nun den vorgesehenen Platz ein und verrichtet an diesem
Platz eine bestimmte Arbeit. Aber es dauert meist nicht lange, bis sich ein Existenzkampf
entfacht; denn um seinen Platz und um seine Arbeit muß jeder kämpfen. Jeder weiß, daß
beständig so und so viele nur auf die Gelegenheit warten, jemand zu verdrängen, um
selber den Platz des andern einnehmen zu können. So ist es in der Welt.
Mit dem, was hier von Jesu und Johannes dem Täufer gesagt ist, ist auch bei diesen
zwei Persönlichkeiten das Bild von Verhältnissen gezeichnet, wie die Welt sie darstellt.
Sicher hätten sich Johannes und Jesus miteinander vertragen können; sicher hätten
diese zwei Werkzeuge Gottes miteinander arbeiten können. Johannes hatte ja in dieser
Angelegenheit die richtige Stellung; er selbst wurde nicht neidisch, als er hörte, daß
Jesus mehr Jünger mache und taufe als er selbst. Er war mit der Mission Jesu, mit
seinem Werk und seinem Dienst, mit dem Lehreinfluß, der von ihm ausging, ganz
einverstanden. Aber die Jünger des Johannes kamen und brachten Nachricht über den
Erfolg des „Rivalen” - es war so, wie es in der Welt zugeht (Joh.3,25-26). Und weil die
Menschen sich immer gleichbleiben, hat man auch weiterhin nach Weltart Verhältnisse
und Einrichtungen geschaffen; auch im Reich Gottes sind Zustände und Verhältnisse,
wie die Welt sie auf allen Gebieten aufweist. Es geht alles menschlich, nach Weltart zu,
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Johannes-Evangelium Teil 3
und Eifersucht, Neid, Mißgunst beherrschen fast allenthalben auch die Menschen, die
ihrer Meinung nach für Gott da sind.
Hier waren nun zwei Männer, die unzweifelhaft für ihren Gott da waren. Beide wußten
das auch. Johannes wußte es, daß er die Stimme eines Predigers in der Wüste war und
daß Gott ihn an seinen Platz gestellt hatte, um seinen Dienst auszurichten. Daß sich
Jesus seiner Stellung, seiner Aufgabe bewußt war, geht aus vielen Zeugnissen hervor.
Beide Männer waren sich also ihrer Berufung und Aufgabe bewußt. Und doch war es für
sie nicht möglich, zusammenzubleiben. Warum war das nicht möglich? Die Antwort kann
nur lauten: Um der Leute willen!
Sie selbst - Johannes und Jesus - waren in der richtigen Stellung und Gesinnung
zueinander, und doch konnte Jesus nicht an dem Ort bleiben, wo auch Johannes seinen
Dienst ausrichtete. Das Volk, die Jünger, waren nicht in einer solchen Stellung, daß ein
Zusammenbleiben möglich gewesen wäre. So viel macht der wirkende Einfluß aus!
Diesem Einfluß mußte selbst Jesus in seinem Handeln Rechnung tragen. Auch für ihn
gab es keinen andern Weg und keine andre
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Möglichkeit, als einfach den Platz zu verlassen. Wenn er es nicht getan hätte, hätte das
üble Folgen gehabt. Uneinigkeit, Disharmonie, Neid und Mißgunst hätten sich von Tag zu
Tag gemehrt. Wie könnten wir doch für unsre eigene Arbeit im Reich Gottes lernen, wenn
wir in der rechten Weise die Stellung studieren wollten, die Jesus unter den
verschiedenen Umständen und in den mancherlei Verhältnissen eingenommen hat!
Johannes der Täufer unterscheidet sich dadurch von Jesu, daß er die Sünden
des Königshauses nach dem Gesetz beurteilte und behandelte, während Jesus
der sündigen Samariterin durch die Gnade begegnete
Wie hat sich nun der Weg dieser beiden Männer weiter gestaltet? Jesus muß jetzt
durch Samaria reisen und kommt in eine Stadt Samarias, genannt Sichar. Als er, müde
von der Reise, sich an den Jakobsbrunnen setzt, trifft er dort mit einer Samariterin
zusammen, die Wasser schöpfen wollte. Von Johannes hören wir vorerst nichts mehr.
Jesus bittet die Samariterin, ihm zu trinken zu geben. Als sie darüber verwundert ist,
daß er als Jude, der doch mit den Samaritern keine Gemeinschaft pflegen darf, von ihr zu
trinken begehrt, sagt er zu ihr:
„Wenn du erkennetest die Gabe Gottes, und wer der ist, der zu dir spricht: Gib
mir zu trinken! du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser!” (Vers 10)
Ein wunderbares Zeugnis vernimmt dieses Weib von Jesu! Am Schluß der Unterhaltung
kommt sie zu dem klaren Ausspruch:
„Ich weiß, daß der Messias kommt, welcher Christus genannt wird; wann derselbe kommt, wird er uns alles verkündigen.” (Vers 25),
Jesus spricht zu ihr:
„Ich bin es, der mit dir redet!” (Vers 26)
Solche Worte von Jesu haben wir bisher nicht gehört. Nicht einmal seinen Jüngern
gegenüber spricht er es so klar aus, was er hier der Samariterin sagt. Auch in Verbindung
mit Johannes dem Täufer hören wir ein solches Wort aus Jesu Mund nicht. Johannes hat
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Johannes-Evangelium Teil 3
ein klares Zeugnis von Jesu abgelegt. Er wußte, daß der, auf dem der Geist bleiben
würde, der vom Vater gesandte Schuldträger sei; das konnte er klar bezeugen, aber nach
dem lebendigen Wasser, das auch in ihm zu einem Brunnen, zu einer Quelle des
Wassers, das ins ewige Leben quillt, werden sollte, verlangte er nicht. Er blieb auch nicht
bei Jesu, wie es etliche seiner Jünger getan hatten; er ging auch nicht mit dem Herrn, als
er jene Gegend verließ, und als er durch
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den Wegzug Jesu von ihm getrennt wurde, kam Johannes, soviel wir wissen, auch nie
mehr mit ihm zusammen. Einmal waren diese beiden Männer eine kurze Zeit
beieinander, und Johannes mußte Jesum sogar taufen; dann aber wurden sie getrennt
und begegneten sich nicht mehr.
Hat das nicht große Bedeutung? Sicher können wir sagen: Johannes hatte eben
seinen Platz, seine Aufgabe, seinen Dienst, und als er seinen Dienst getan hatte, hätte er
von dem Schauplatz abtreten und Jesu Platz machen sollen. Gewiß können wir so
denken. Aber war es denn ganz und gar unmöglich, daß Johannes aufgrund der
Erkenntnis, die er hatte, aufgrund des Zeugnisses, das er von Jesu ablegte, ein Jünger
Jesu wurde? Wenn er doch selbst den Anstoß dazu gab, daß andre zu Jesu kamen hätte er nicht in der gleichen Weise wie etliche seiner Jünger zu Jesu kommen und bei
ihm bleiben können? Ließ sich das mit seiner Stellung als Wegbereiter gar nicht
vereinbaren? War bei ihm selbst, trotz der Erkenntnis, die er besaß, der Weg gar nicht
vorbereitet, so daß er sich hätte zu Jesu stellen können, um von ihm lebendiges Wasser
zu bekommen? Warum mußten sich diese zwei Männer nach kurzer Berührungszeit,
nach kurzem gegenseitigen Dienst wieder trennen?
Wo ist Johannes der Täufer geblieben? Er hat seinen Dienst ausgerichtet und mußte
dann gehen. Wir haben es bereits gestreift, in welcher Weise er seinen Dienst ausgeübt
hat, und welche Auswirkung er hatte. Als er die Sünden des Königs Herodes und der
Herodias nach dem Gesetz strafte, kam er deshalb ins Gefängnis (Luk.3,19-20), und es
dauerte nicht lange, da hatte er keinen Kopf mehr (Matth.14,3-11). Wie kam das? Johannes
wollte doch zweifellos in dem, was er tat und sagte, seinem Gott dienen; er hat doch
sicher in der Überzeugung gehandelt, daß er auch Gott gegenüber das Rechte tat. Die
Frage ist nur, ob es wirklich seine Pflicht und Aufgabe war, dem Herodes und der
Herodias ihre Sünden vorzuhalten und sich damit den Haß dieses Mannes und Weibes
zuzuziehen, so daß diese Herodias von da an eine Gelegenheit suchte, um ihre Wut an
diesem Mann auszulassen. Daß sie dazu Gelegenheit fand - und solche Leute finden zu
ihrem Vorhaben immer Gelegenheit -, während Johannes völlig ohnmächtig war, etwas
dagegen zu unternehmen, ersehen wir daraus, daß er ins Gefängnis kam und sich
einfach gefallen lassen mußte, was man mit ihm machte. Als diese Frau ihren Willen
durchgesetzt hatte, war auch der Knecht Gottes für dieses Leben erledigt. Mußte es so
kommen? Mußte er auf diese Weise abnehmen, damit Jesus wachsen konnte? Mußten
die Intrigen einer Frau sein Ende herbeiführen? Hätte er nicht abnehmen können,
während Jesus zunahm, auch wenn diese zwei Männer noch eine Zeitlang
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Johannes-Evangelium Teil 3
zusammengeblieben wären? Das sind Gedanken, die man bewegen kann, Fragen, die
wir uns stellen und mit denen wir uns vorübergehend einmal beschäftigen können.
Johannes war ja nur sechs Monate älter als Jesus, er hätte ebensogut ein Jünger Jesu
sein können wie die andern Jünger. Er hätte gut seine ganze Wirkungszeit in Verbindung
mit Jesu zubringen können, nachdem dieser zu ihm gekommen war; er hätte wie die
andern Jünger ihm nachfolgen und bei ihm bleiben können. Wir wissen ja nicht, ob es so,
wie es geschehen ist, in Gottes Willen und Ratschluß beschlossen war; das sagt uns die
Schrift nicht. Aber diese Tatsache können wir aus der Schrift entnehmen, daß Johannes
andern den Weg zu Jesu gewiesen hat und sie ihn auch gingen, während er selbst ihn
nicht ging. Er kannte den Weg, er wußte, wer Jesus war, aber als er im Gefängnis war,
wußte er es nicht mehr so gut, da mußte er einmal zu Jesu senden und fragen lassen:
„Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?” (Matth.11,3;
Luk.7,19)
Da hatten Verhältnisse und Umstände dazu mitgeholfen, daß er die Klarheit, die er
ursprünglich über seine Mission und über den kommenden Messias hatte, nicht mehr
besaß, sie war ihm verlorengegangen.
In diesen zwei Personen finden wir zwei Zeitalter und zwei Wege verkörpert: Jesus
stellte das kommende Neue dar und den Weg zum Neuen; Johannes war auch ein
Wegbereiter für dieses Neue. Er blieb aber doch am Alten hängen und ging den Weg des
Neuen nicht. Wenn er sich zu Jesu gestellt hätte, hätte er zweifellos seinen Kopf durch
Herodias und ihre Tochter nicht verloren; denn es hat ja zu Lebzeiten Jesu keiner von
den andern Jüngern eine solche Erfahrung durchmachen müssen, im Gegenteil: Jesus
hat zuletzt noch gesagt:
„ … suchet ihr denn mich, so lasset diese gehen!” (Joh.18,8)
Er konnte es in seinem Gebet bezeugen:
„ … Ich habe sie behütet, die du mir gegeben hast.” (Joh.17,12)
Aber Johannes konnte er nicht behüten, er konnte ihn nicht einmal warnen oder
ermahnen, wenn er vielleicht etwas unrecht getan hätte - er mußte ihn verlassen, ohne
ihm dienen zu können. So wie Jesus gekommen war, so ging er auch wieder; obwohl
Johannes auf ihn gewartet und nach ihm ausgeschaut hatte, und obwohl er willens war,
äußerlich abzunehmen, mußte er, weil er sich nicht in die engste Verbindung mit Jesu
begab, auch innerlich wieder abnehmen.
Wir lassen uns solche Gedanken, die uns Gottes Wort so klar vorhält, leider nur
wenig durch unsern Sinn gehen. Wenn wir diese Persönlichkeiten, die uns in Gottes
Ratschluß in der Schrift vorgehalten
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sind, in ihrer Stellung, in ihrem Verhalten gründlich betrachten würden, könnten wir
daraus eine entsprechende Lehre ziehen, einen entsprechenden Nutzen und Gewinn
haben. Für uns ist eben gewöhnlich Johannes nur der Vorläufer Jesu, der darauf
hingewiesen hat, daß Jesus das Lamm Gottes sei, das der Welt Sünde wegnimmt; dann
wissen wir noch, daß er dem König Herodes seine Sünden vorhielt, daß er aus diesem
Grund ins Gefängnis kam und enthauptet wurde (Luk.3,19-20). Und damit sind wir fertig.
Das Weitere übersehen wir leicht: daß Johannes dieselbe Gelegenheit gehabt hätte, von
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Johannes-Evangelium Teil 3
Jesu das Leben zu bekommen wie die andern, die Jünger Jesu geworden waren, die bei
ihm blieben und mit ihm gingen, wohin er zog. Johannes hatte eben seinen Dienst, seine
Aufgabe, die er erfüllte, und auf dem Boden dieses Dienstes blieb er stehen. Als etwas
Neues und Wertvolleres in sein Leben hineintrat, begrüßte er es mit Freuden, ließ sich
aber ebenso schnell, wie er es erkannt hatte, wieder ins Alte zurückziehen. Er lehrte, daß
Jesus der Welt Leben brachte, aber für sich hielt er es nicht fest. Wollte er denn Herodes
zu einem Jünger Jesu machen? Wollte er ihm auch den Weg zu Jesu zeigen? Doch
zweifellos nicht! Nach dem Gesetz hatte der König, der zu dieser Zeit über das Volk
Gottes gesetzt war, gesündigt, er hatte seines Bruders Weib, das durfte er nicht haben,
die Sünde mußte ihm - so meinte Johannes - vorgehalten werden. Aber Jesus war ja
auch da! Wußte Jesus nichts von Herodes’ Verhalten? War es ihm nicht bekannt, daß
der König im Ehebruch lebte und auch auf andre Weise Böses tat? Hätte Jesus es nicht
auch, der Ordnung des Gesetzes entsprechend, als seine Pflicht und Aufgabe ansehen
müssen, diesen Herodes über sein Sündenleben zurechtzuweisen und zu strafen?
Johannes tat es, aber es kostete ihn sein Leben!
Jesus zog weiter nach Samaria und fand ein Weib, mit dem er dort vom lebendigen
Wasser reden und dem er Leben vermitteln konnte. Johannes dagegen kam mit einem
Weib in Verbindung, das ihm sein inneres Leben, das er erlangt hatte, gefährdete. Diese
beiden Tatsachen müssen wir zu uns reden lassen, wenn wir Jesum auf seinem Weg
durch Samaria folgen wollen.
Nun ist er mit seinen Jüngern allein. Johannes und seine Jünger sind auch allein.
Jetzt müssen sie nicht mehr beanstanden, daß Jesus mehr Jünger habe als Johannes;
denn Johannes hat jetzt wieder freies Feld. Jesus ist weg, und alles Volk kann jetzt
wieder, wie Johannes bis dahin gewohnt war, ausschließlich zu ihm kommen. Aber wie
lange noch? Ein Teil der Jünger des Johannes hatten Jesum nicht gewollt; in ihren
Augen war er ein Rivale von Johannes, sie
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konnten ihn nicht als einen Neben- und Mitarbeiter anerkennen; es war ihnen unerträglich, daß mehr Leute zu Jesu kamen als zu Johannes, waren sie es doch bis dahin
gewohnt, daß alle ausnahmslos zu Johannes kamen, ihm zuhörten und sich von ihm
taufen ließen. Nun hatten sie es so weit gebracht, daß Jesus um des Friedens willen
fortzog, daß er es aufgab, sich in der Umgebung, wo Johannes war, ein Arbeitsfeld zu
schaffen. Hatten diese Jünger des Johannes etwa Sorge darum, daß Johannes seine
Arbeit verlieren könnte, weil in Zukunft alle Leute zu Jesu gehen würden? Hätten sie
einen Nachteil gehabt, wenn sie alle zusammen mit Johannes zu Jesu gegangen wären?
Aber so weit konnten sie sich nicht aufschwingen, und Johannes selbst vermochte auch
nicht, den Boden, den er aufgrund seiner ihm gestellten Aufgabe einnahm, zu verlassen;
er konnte ihnen auch nicht sagen: Das ist Gottes Lamm, zu ihm müssen wir alle gehen;
ich muß zu ihm gehen, und ihr müßt auch zu ihm gehen; ihr braucht jetzt nicht mehr zu
mir zu kommen, wir gehen jetzt alle zu Jesu! - Nein, sie blieben in Judäa, an der Stätte
ihres Wirkens, und sie mußten sehen, wie Jesus wegzog.
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Johannes-Evangelium Teil 3
Über das, was nun weiter vor sich ging, nämlich daß Jesus am Jakobsbrunnen mit
einem samaritischen Weib redete, verwunderten sich seine eigenen Jünger, als sie mit
Speise aus der Stadt zurückkamen. Johannes hätte sich wohl nicht verwundert, er hätte
vielleicht etwas Verständnis dafür gehabt, daß Jesus, ein Jude, ein Prophet Gottes, ein
Mann Gottes, sich mit einem Weib und dazu noch mit einer Samariterin unterhalten
konnte. Johannes hatte viel Verständnis für Jesum und seinen Dienst bewiesen; aber er
war doch an seinem Platz geblieben, weil ihm der ganze Durchblick fehlte. Völlige
Klarheit gab es eben bei Johannes nicht, wie wir es später in Verbindung mit dem Dienst
des Apostels Paulus bestätigt finden. In Ephesus waren zwölf Männer, die durch Apollos
nur über die Taufe des Johannes unterrichtet waren, aber von Jesu und vom Heiligen
Geist wußten sie nicht viel. Sie hatten nicht einmal gehört, daß es einen Heiligen Geist
gebe (Apg.19,1-7). So weit konnte die Taufe von Johannes die Menschen leiten, daß das
wahre Leben und das Licht der Welt durch Jesum kommen mußte. Johannes konnte es
aber selbst nicht ergreifen, und er konnte es auch nicht vermitteln. Er konnte nur auf den
hinweisen, der kommen würde, aber er konnte nicht zu den Leuten sagen: Wir wollen ihm
nachfolgen! Ist es nicht eigenartig, daß beide, Johannes der Täufer und Jesus, einer
Ehebrecherin begegnen? Den Johannes kostete seine Verbindung mit der Herodias um
deswillen, weil sie im Ehebruch lebte, das Leben. Jesus dagegen konnte einem
samaritischen Weib, das ebenfalls im Ehebruch
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lebte, die Quelle des Lebens, die ins ewige Leben quillt, erschließen. Johannes hat sein
Leben durch den Einfluß eines Weibes verloren; und Jesus hat durch seinen Einfluß
einem verlorenen Weib das ewige Leben vermittelt. Zeigt uns das nicht klar, wie die
Wege dieser beiden Männer auseinandergehen, und welch verschiedenartige Folgen es
hatte, daß jeder seinen Weg ging? Diesen Tatsachen müssen wir nachsinnen, wenn wir
uns mit dem Wort Gottes ernstlich beschäftigen wollen.
Johannes der Täufer konnte deshalb nicht zur Braut des Bräutigams gehören,
weil er sich von dem Sündeneinfluß, der vom Weib herkommt, bestimmen ließ,
anstatt von dem Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegnimmt
Satan übt seinen Einfluß während der ganzen Menschheitsgeschichte dahingehend
aus, daß er durch das Weib den Mann gegen den Willen Gottes und seine Ordnung
bestimmen will
Wir können Tatsachen nicht aus der Welt schaffen: sie sind vorhanden. Es handelt
sich hier nicht um den Unterschied der Geschlechter, wie es gewöhnlich aufgefaßt wird,
wenn man einmal vom Mann und vom Weib, wie die Schrift es sagt, redet. Wenn man es
so hinstellen würde, daß man für die eine oder die andre Seite Partei ergreifen würde,
wäre das töricht und echt menschlich-fleischlich. Es handelt sich ja um das Wort Gottes,
um den Willen Gottes und seine Ordnung, um seinen Ratschluß für jeden Menschen, ob
man Mann ist oder Weib. Wir müssen nur die Tatsachen, die uns Gottes Wort vorhält,
beachten. Der Tod Johannes des Täufers hätte, wenn es nach dem Willen des Königs
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Johannes-Evangelium Teil 3
Herodes gegangen wäre, sicher nicht zu erfolgen brauchen. Der König hatte nicht die
Absicht, Johannes enthaupten zu lassen. Wir dürfen und müssen wohl annehmen, daß
Herodias auch die Ursache davon war, daß Johannes überhaupt ins Gefängnis kam; daß
aber Johannes getötet wurde, war offensichtlich ihr Werk. In diesem Fall war genau
derselbe Einfluß wirksam wie bei der Isebel, die einen so bedeutungsvollen Namen in
Gottes Wort, in Gottes Ratschluß im Alten wie auch im Neuen Bunde hat. Zu ihrer Zeit ist
alles, was sie wollte, dadurch zustande gekommen, daß sie die Menschen, die ihr
unangenehm und hinderlich waren, einfach ermorden ließ. Wie die Isebel auf diese
Weise durch ihren Einfluß ihren Mann, den König Ahab, bestimmte, so bestimmte auch
Herodias durch ihre Tochter ihren Mann dahingehend, daß er Mörder eines Knechtes
Gottes wurde (Matth.14,3-11). Das zeigt uns, daß sich von Anfang der
Menschheitsgeschichte an eine bestimmte Ordnung
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beständig fortentwickelt. Adam wurde nicht verführt, sondern das Weib wurde verführt
und geriet in Übertretung, hat Paulus gesagt (1.Tim.2,14). Über die weitere Sündenauswirkung, die zur Sintflut in der alten Welt führte, heißt es wieder:
„ … die Söhne Gottes, daß die Töchter der Menschen schön waren und nahmen
sich von allen diejenigen zu Weibern, welche ihnen gefielen.” (1.Mos.6,2)
Aus dieser Verbindung wurden dann die Gewaltmenschen geboren (1.Mos.6,4).
Und so sehen wir, daß Satan durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch
seinen Einfluß immer in derselben Weise ausübt. Gott hat die Ordnung gesetzt, daß der
Mann das Haupt des Weibes sein soll; Satan dagegen sucht zu bewirken, daß der
herrschende Einfluß über den Mann durch das Weib kommt. Seine Absicht ist aber nicht
nur, daß sich Mann und Weib über die Machtstellung miteinander streiten sollen, sondern
er versucht durch seinen Einfluß, den er durch das Weib über den Mann ausüben
möchte, Gottes Ordnung zu zerstören. Als darum am Anfang die Menschen die göttliche
Ordnung verließen, führte das dahin, daß sie gegen Gott und seine Ordnung und die
Ausgestaltung seines Willens Stellung nahmen. Und das findet sich immer wieder.
Johannes der Täufer geriet als Knecht Gottes, durch den Einfluß des Weibes Herodias in
Verhältnisse, durch die sein Dienst für Gott und seine Sache abgeschnitten wurde. Er
blieb bei der alten Ordnung und mußte deshalb darstellen, daß der Sünde Sold der Tod
ist (Röm.6,23). Er konnte die göttliche Ordnung im Gesetz zeigen, aber es hat sich auch
bei ihm bewiesen, was Paulus nachher bezeugt hat, daß dem Gesetz das nicht möglich
ist, was durch Jesum erfüllt wurde (Röm.8,3-4). Er konnte nach dem Gesetz wohl auf die
Sünde hinweisen, mußte aber der Sünde erliegen, mußte durch die Sünde, die er gestraft
hatte, getötet werden. Er wollte durch das Gesetz die Sünde, die sich durch ein Weib
auswirkte, strafen und verlor dadurch sein Leben. Hat er recht gehandelt? Hätte er
aufgrund des Lichtes, das er hatte, nicht schon bezeugen können, daß nicht die
Gesetzesordnung, sondern Jesus mit der Sünde fertig werden muß? Hätte er es nicht in
diesem Fall schon praktisch verwerten können, daß Jesus gekommen ist, um als das
Lamm Gottes die Sünden wegzunehmen? Mußte er noch versuchen, die Sünden durchs
Gesetz zu beseitigen, nachdem er doch wußte, daß Jesus zu diesem Zweck gekommen
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Johannes-Evangelium Teil 3
war? Hier liegt der Haken: die Leute, die bei der alten Ordnung bleiben wollten, und die
einen Einfluß auf Johannes ausübten, um auch ihn auf dem Boden der alten Ordnung zu
erhalten -, diese Leute mußte Jesum verlassen, von ihnen mußte
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er weggehen, damit er in Samaria in der Mittagshitze, als er, müde von der Reise, auf
dem Rande des Jakobsbrunnens ausruhte, einem Weib, das die gleichen Sünden
aufzuweisen hatte wie die Königin Herodias, zum ewigen Leben verhelfen konnte. Dieses
Weib, diese Samariterin, hatte in ihrem Herzen Sehnsucht nach dem kommenden
Messias; sie verlangte nach lebendigem Wasser, damit sie nicht mehr mit ihrem Gefäß in
der Mittagshitze zum Brunnen zu gehen brauchte, um zu schöpfen. Sie hatte sich in
ihrem Elend, in ihren Sündennöten mit dem kommenden Messias beschäftigt, obgleich
sie eine Samariterin war. Ihr konnte Jesus sagen:
„Ich bin es, der mit dir redet!” (Vers 26)
Dem Herodes und der Herodias gegenüber mühte sich Johannes der Täufer vergeblich, obwohl sein Zeugnis auf den König eine bestimmte Wirkung ausgeübt hatte, so
daß er über den Ausgang der Sache betrübt war (vgl.Matth.14,8-9). Wenn er auch erkannte,
daß er sich den Weibern so in die Hände gegeben hatte, daß er einen Knecht Gottes
enthaupten lassen mußte, so konnte doch Johannes das, was er anstrebte, nicht
erreichen. Das Gesetz konnte die Sünde ja nicht wegnehmen. Jesus hat einen andern
Weg gezeigt, er hat dem Weib gesagt: Geh’ und hole deinen Mann! Verstehen wir das?
Wir sehen hier das Weib und den Mann in einer verschiedenen Stellung. Von Anfang an
ist das Weib Werkzeug unter Satans Einfluß geworden, um, vereint mit dem Mann, von
Gott wegzugehen; nun kommt Jesus und sagt dem Weibe: Geh und hole deinen Mann!
Damit will er dem Weibe zum Bewußtsein bringen, daß ihre bisherige Stellung zum Mann
falsch war. Aber zugleich will er ihr zeigen, auf welche Weise ihr geholfen werden kann.
Jeder Mensch muß die Aufgabe erfüllen können, die für ihn bestimmt ist.
Das Weib muß erkennen lernen, daß der Mann für sie zum Lebens
vermittler gesetzt ist
Wieso konnte Jesus zum samaritischen Weibe sagen: Geh und hole deinen Mann?
Weil sie schon bei ihm, dem wahren Lebensvermittler, war, weil er mit ihr reden und sich
ihr offenbaren konnte: Ich bin es, der mit dir redet! Darum konnte er ihr sagen: So, nun
geh und nimm zum Mann eine andre Stellung ein, als du sie bisher gehabt hast! Was für
eine Stellung hat sie bisher gehabt? Sie hat die gleiche Stellung gehabt, wie sie uns im
Wort Gottes so klar gezeigt ist: Satan konnte sie benutzen, um den Mann von Gott und
seiner Ordnung abzuziehen und fernzuhalten. Wenn sie nun ihre Aufgabe erfüllen will, so
muß sie zuerst von diesem satanischen Einfluß, der sie beherrscht und dem sie dient, frei
werden. Anstatt daß Satan das schwächere, das weibliche Geschöpf brauchen kann, um
seinen herrschenden
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Einfluß über die beiden Geschöpfe auszuüben - wie es immer in der Menschheit
geschieht -, soll nun das Weib wissen, was für einen Platz und was für eine Stellung es
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Johannes-Evangelium Teil 3
zum Mann einzunehmen hat. Sie muß sich klarwerden, ob sie in einer Stellung ist und
verharren will, die gegen Gott gerichtet ist, in der sich die satanische Macht fortwährend
betätigen und gegen Gott durchwirken kann, oder ob sie diesen Boden verlassen und
sich zu Jesu stellen will. Damit würde sie dann nicht mehr Werkzeug des Teufels,
sondern Werkzeug des Sohnes Gottes sein, sie würde nicht mehr Menschen in die
Gewalt Satans verführen, sondern unter dem Einfluß Jesu und damit unter der Herrschaft
Gottes zu Gott zurückführen. Darum sagte Jesus: Geh’ und hole deinen Mann! Johannes
konnte nicht zur Herodias sagen: Geh’ und hole deinen Mann! Er konnte für Herodias
nicht der Lebensvermittler sein. Er war vielmehr in eine solche Verbindung mit diesem
Weib gekommen, daß sie sein Untergang wurde. Jesus zeigt gegenüber dem, wie
Johannes in Verbindung mit einem Weib kam, wieder eine Verbindung mit einem Weib,
die jedoch die gegenteilige Wirkung hatte. Er hatte nichts zu fürchten, er konnte zum
Erstaunen der Jünger als Jude getrost mit einem samaritischen Weib reden; er hatte die
neue Zeit und den neuen Weg gebracht. Das hat Johannes nicht genügend erkannt und
gewürdigt und sich nicht dazu gestellt - vorausgesetzt, daß er es hätte tun können!
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Jesus trennt sich von der Gesetzesordnung
und richtet die Gnaden- und neue
Lebensordnung auf
„Jesus spricht zu ihr: Gehe hin, ruf deinen Mann und komm hieher! Das Weib
antwortete und sprach: Ich habe keinen Mann! Jesus spricht zu ihr: Du hast recht
gesagt: Ich habe keinen Mann. Fünf Männer hast du gehabt, und den du nun
hast, der ist nicht dein Mann. Da hast du die Wahrheit gesprochen.” (Joh.4,16-18)
Johannes der Täufer verliert infolge seines unvollkommenen Gehorsams durch
ein gottloses Weib sein Leben, während Jesus infolge seines vollkommenen
Gehorsams einem sündigen, aber auf den Messias wartenden Weib das wahre
Lebenswasser vermitteln kann
Jesus sagt der Sünderin nicht ausdrücklich, daß er ihre Sünden vergibt, sondern
er gibt ihr das wahre Lebenswasser
Die Samariterin ist als Brautseele im Verhältnis zum Bräutigam das Vorbild für
alle übrigen Brautseelen
Durch das empfangene Lebenswasser wird eine Sünderin zu einer lebendigen
Zeugin Jesu Christi
Schon in den Tagen Jesu wurden die gleichen Erfahrungen gemacht, wie wir sie
heute machen. Die Menschen sind immer dieselben.
„ … es gibt gar nichts Neues unter der Sonne.”,
- 12 -
Johannes-Evangelium Teil 3
hat der Prediger gesagt (Pred.1,9). Alles ist in der Länge der Zeit nur Wiederholung
dessen, was schon gewesen ist. So hat man dieselben Erfahrungen, die schon Jesus
gemacht hat, seither stets aufs neue machen müssen.
Jesus konnte nicht bei Johannes dem Täufer bleiben, um mit ihm zusammenzuarbeiten. Die Pharisäer, die den Dienst Johannes des Täufers mit Interesse verfolgten,
konnten es nicht ertragen, daß Jesus, nachdem er selbst von Johannes getauft worden
war, auch taufte und Jünger hatte. Bald wurde der Neid und die Eifersucht dieser
Pharisäer offenbar, und Jesus verließ Judäa und zog nach Galiläa (Joh.4,1-3). Er wollte
nicht die Ursache dieser unerquicklichen Auseinandersetzungen sein; darum zog er
weiter, obwohl er doch dort schon eine schöne Arbeit gehabt hatte. Jesus hatte schon
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mehr Jünger als Johannes, die Leute strömten ihm in größeren Scharen zu, und das
alles verließ er und ging einfach wieder aus jener Gegend weg.
Als er dann durch Samaria zog, kam er zu der Stadt Sichar und wurde dort mit der
Samariterin bekannt, die zum Jakobsbrunnen kam, an dem er sich aufhielt, weil er von
der Reise müde geworden war (Joh.4,4-6).
Die uns hier aufgezeichnete Begebenheit der Begegnung mit dieser Samariterin
stünde nicht in der Bibel, wenn Jesus bei Johannes geblieben wäre, wenn er es als
notwendig angesehen hätte, trotz aller Schwierigkeiten seinen Platz zu behaupten und
trotz dem Widerspruch der Menschen neben Johannes seine Arbeit fortzusetzen. Es ist
ja eigenartig, daß diese beiden Männer nicht zusammen arbeiten konnten. Es lag nicht
an Jesu und nicht an Johannes; sie hätten sich wohl miteinander vertragen können.
Johannes hatte seinen Anhängern gesagt:
„Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen!” (Joh.3,30)
Er hatte die Braut und den Bräutigam erkannt und wußte auch die Stellung des
Freundes des Bräutigams einzunehmen. Johannes konnte zwischen dem, der von oben
gekommen ist, und dem, der von der Erde ist, gut unterscheiden. Er wußte, daß nur der
von Gott Gesandte die Worte Gottes redet und daß der Vater den Sohn liebt und alles in
seine Hände gegeben hat und daß man nur durch den Glauben an den Sohn das ewige
Leben hat. Das alles konnte Johannes durchschauen. Und doch konnte er es nicht
verhindern, daß Jesus wieder fortziehen mußte. Es lag nicht in seiner Macht, den Einfluß
der Menschen so zu beherrschen, daß dieser Einfluß für Jesum und sein Wirken in
Verbindung mit Johannes kein Hindernis gewesen wäre. Darum mußte Jesus
weiterziehen.
Nun handelte es sich aber für Johannes darum, ob er selbst - nachdem er das
Zeugnis von Jesu in der Weise abgelegt hatte, wie es in Joh.3,27-36 berichtet ist - sich
nun, um mit Jesu zu gehen, von den Pharisäern trennen würde, die gegen Jesum
geredet hatten, oder ob er Jesum allein gehen ließ und bei den Pharisäern blieb. Er ist
bei den Pharisäern geblieben. Wenn auch Jesus von jener Gegend wegging nach
Galiläa, weil er nicht den Neid der Pharisäer herausfordern wollte, so hätte es zwischen
ihm und Johannes doch nicht zur Trennung zu kommen brauchen; Johannes hätte doch
mit Jesu zusammen arbeiten können, wenn Jesus auch nicht mit Johannes zusammen
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Johannes-Evangelium Teil 3
arbeiten konnte. Johannes hätte seine Stellung ändern können. Er hätte sich dann auch
auf die Gefahr hin, daß viele seiner Jünger ihm nicht mehr nachgefolgt wären, zu Jesu
halten müssen.
Seite 23
Er hätte sich in die Jüngerschar, die anfing, mit Jesu zu gehen, einreihen müssen. Er
ließ aber andre gehen und ging selbst nicht. Er blieb zwar Freund Jesu, wurde aber nicht
sein Jünger. Nachdem Jesus sich entfernt hatte, war der Grund zur Eifersucht, daß Jesus
mehr Jünger machte und taufte als Johannes, beseitigt. Johannes konnte seine Arbeit
ungestört in der bisherigen Art und Weise fortsetzen, aber nicht mehr in Verbindung mit
Jesu, wie es kurze Zeit der Fall gewesen war. Jesus war von ihm und seiner Umgebung
weggegangen, und Johannes hatte ihn gehen lassen. Es handelte sich für Johannes nur
darum, was ihn mehr beeinflußte: die Stellung, die er in seiner bisherigen Arbeit hatte,
oder Jesus, nachdem er zu ihm gekommen war. Es stellte sich heraus, daß seine
bisherige Arbeit sein Leben doch mehr beherrschte als Jesus, trotz des Zeugnisses, das
er so klar von ihm ablegen konnte.
Was würden wohl die Pharisäer dazu gesagt haben, wenn Johannes, zusammen mit
Jesu, diese Begegnung mit der Samariterin gehabt hätte? Können wir uns das
vorstellen?
„ … die Juden haben keinen Verkehr mit den Samaritern.”,
ist hier - allerdings in Klammern - erklärend hinzugefügt (Joh.4,9). In andern Lesarten
fehlt diese Erklärung, die hier in Klammern gesetzt ist. Aber es kommt nicht so sehr
darauf an, ob die Erklärung in einigen Handschriften eingefügt ist oder nicht; denn aus
den Worten der Samariterin ist zu erkennen, daß sie sich wundert, daß Jesus als Jude
von einem samaritischen Weib zu trinken fordert. Darin liegt schon der Beweis, daß die
Juden mit den Samaritern wirklich keinen Verkehr pflegen. Die Samariter waren eben
keine Juden und gehörten nicht zum Volk Israel. Es konnten zwar noch manche unter
den Samaritern sein, die früher zum Volk Israel gehört hatten, denn nachdem der größte
Teil des Volkes Israel in die Assyrische Gefangenschaft gekommen war, blieb ein
Überrest von ihnen doch noch im Lande zurück. Diese übrigen vermengten sich aber mit
den Neuansiedlern, die ins Land gebracht wurden, um es zu bevölkern, so daß sie nicht
mehr nach der Ordnung des Volkes Gottes weiterlebten (vgl.2.Kg.17,24-41). Man kann also
nicht beweisen, daß die Samariterin oder ihre Angehörigen früher dem Volk Israel
angehört hätten. Die klare Trennung zwischen den Juden und den Samaritern war in der
göttlichen Ordnung begründet. Nun ist es eigenartig: Jesus kam aus Nazareth, war also
ein Jude. Als er sich aber unter den Juden aufhielt, nahmen die strenggläubigen
Pharisäer, obwohl er ein Jude war und sich nach der Ordnung des Gesetzes von
Johannes hatte taufen lassen, bald Stellung gegen ihn. Wenn sie schon gegen ihn
waren, weil er neben Johannes lehrte und taufte und mehr
Seite 24
Jünger hatte als Johannes -, was würden sie erst dazu gesagt haben, wenn sich
Johannes so mit ihm unter den Samaritern aufgehalten hätte, wie Jesus es allein tat?
Seine Jünger waren nicht dabei, als er mit der Samariterin redete. Aber als sie
kamen, verwunderten sie sich nicht nur darum, daß er überhaupt mit einem Weib redete,
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Johannes-Evangelium Teil 3
sondern noch dazu mit einer Samariterin. Wenn auch keiner sagte: Was fragst du? oder:
Was redest du mit ihr? so verwunderten sie sich darüber schon genug, daß er überhaupt
mit einem Weib redete (Joh.4,27). In diesem Vorgang sahen sie schon etwas so
Außergewöhnliches, daß sie es sich einfach nicht erklären konnten. Und die Pharisäer?
Wenn sie schon Anstoß daran nahmen, daß Jesus lehrte und taufte und mehr Jünger
machte als Johannes, dann hätten sie sich noch viel mehr daran gestoßen, daß Jesus
mit einem samaritischen Weib redete. Und was wäre erst geworden, wenn sich Johannes
in die Schar der Jünger Jesu eingereiht hätte? Das tat er aber nicht. Er folgte Jesu nicht
nach, er wurde kein Jünger Jesu. Das hatte zur Folge, daß er später mit einem Weib in
Verbindung kam, durch das er sein Leben verlor. Und Jesus kam dadurch, daß er sich
von Johannes trennte, mit einem Weib in Verbindung, dem er sein Leben gab. Es mußte
zwar eine Trennung erfolgen, Jesus mußte sich von Johannes trennen; Johannes mußte
von Jesu fernbleiben, und als Folge davon verlor er bald darauf durch den Einfluß eines
Weibes sein Leben. Wenn er einer von den Jüngern Jesu geworden wäre, dann hätte er
mit den übrigen Jüngern bei Jesu Schutz und Bewahrung haben können; denn von ihnen
hat Jesus gesagt:
„ … ich habe sie behütet, und keiner von ihnen ist verloren gegangen, als nur der
Sohn des Verderbens, auf daß die Schrift erfüllet würde.” (Joh.17,12)
Diese Bewahrung, die die Jünger Jesu erfuhren, konnte Johannes nicht erfahren, weil er
sich nicht zu den Jüngern Jesu gehalten hatte, weil er kein Jünger Jesu geworden war.
Wenn er auch in seiner alten Ordnung bei den Pharisäern blieb, so konnten diese sein
Leben doch nicht vor dem Intrigeneinfluß der Herodias schützen; er mußte durch ihren
Einfluß sein Leben verlieren.
Was können wir da sehen? Johannes stand an der Grenze zweier Zeiten: er stand
am Ende der alten und am Anfang der neuen Zeit. Er nannte sich die Stimme eines
Predigers in der Wüste. Er kannte die Braut und den Bräutigam; er kannte den Sohn
Gottes und wußte, daß das ewige Leben durch den Sohn Gottes erlangt werden muß.
Aber er konnte für sich den Schritt vom Alten zum Neuen nicht tun; er konnte das Alte
nicht verlassen, um sich zum Neuen zu stellen.
Seite 25
Worin liegt das Alte, und wie unterscheidet es sich vom Neuen? Johannes konnte
sich von der Gesetzesordnung nicht trennen. Er hat - soviel er auch von Jesu wußte die praktische Konsequenz aus seiner Lehre nicht gezogen. Das zeigt die Tatsache, daß
der Anfang der alten Ordnung durch Adam und der Abschluß dieser alten Ordnung durch
Johannes den Täufer das gleiche darstellen. Vom Anfang bis zu diesem Ende zeichnet
sich diese Ordnung dadurch aus, daß der Mensch durch den Einfluß des Weibes das
Leben einbüßen muß; er muß unter diesem Einfluß sterben.
Nun kommt aber Johannes, der die alte Ordnung beschließt, mit der neuen Ordnung
in Verbindung. Was ist die neue Ordnung?
„Fünf Männer hast du gehabt, und den du nun hast, der ist nicht dein Mann.”
(Vers 18),
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Johannes-Evangelium Teil 3
sagt Jesus zur Samariterin. Dieses Weib stellt zunächst die alte Ordnung dar. Nicht nur
einen Mann hat sie „getötet”, sondern schon fünf Männer, und den sie nun hat, der ist
nicht ihr Mann. Sie bekommt jetzt von Jesu das Leben.
Das von Gott erschaffene Weib war bis dahin, nach der alten Ordnung, die Ursache
des Todes, die Ursache davon, daß alle Menschen sterben mußten, indem Satan die
natürliche Ordnung von Mann und Weib, die alte Ordnung, in der Weise benutzen
konnte, daß die Sünde zum Tod führte. Dieses Weib kam aber nun durch Jesum unter
dem Einfluß der neuen Ordnung in Verbindung mit dem ewigen Leben.
Die alte Ordnung wurde durch das Kommen Jesu beseitigt, und an ihre Stelle
ist eine neue Ordnung gekommen
Jesus sagt zu der Samariterin:
„Gehe hin, ruf deinen Mann und komm hieher!” (Vers 16)
Sie behauptete, sie habe keinen; da sagte Jesus zu ihr: Fünf hast du gehabt, und den du
nun hast, der ist nicht dein Mann. Mehr brauchte es nicht. Das wurde die Ursache dafür,
daß sie nicht nur den einen Mann holte, sondern die ganze Stadt. Sie ging hin und holte
alle Männer der Stadt zu Jesu (Joh.4,28-30) - das Weib, dem Jesus lebendiges Wasser
gegeben hatte! Das war die Wirkung des Neuen. Obwohl Jesus die Vergangenheit der
Samariterin kannte, redete er doch mit diesem Weib. Warum tat er das? Seitdem es ein
Evangelium von Jesu gibt, verkündigt man, daß er gekommen sei, das Verlorene zu
suchen. Worin sieht man aber das Verlorene, um deswillen Jesus gekommen ist, es zu
suchen? Gewöhnlich sieht man die Verlorenheit in dem Verkauft-Sein unter die Sünde
und die Rettung in der Vergebung der Sünden. Wie hat aber Jesus die verlorene
Samariterin gesucht? Warum hat er mit ihr geredet und sie um Wasser gebeten? Weil er
ihr lebendiges Wasser
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geben wollte! Aber was für eine Wirkung hat denn dieses lebendige Wasser bei dem
Weib? Liegt denn im lebendigen Wasser die Vergebung der Sünden? Jesus hat nicht mit
einem einzigen Wort zu diesem Weib gesagt, ihre Sünden seien ihr vergeben oder
würden ihr vergeben. Das Weib spricht zu ihm:
„Herr, gib mir dieses Wasser, auf daß mich nicht dürste, und ich nicht hieher
kommen müsse, um zu schöpfen!” (Vers 15)
Man sieht das ewige Leben meistens nur darin, daß die Sünden vergeben sind.
Jesus meint aber mehr, wenn er vom ewigen Leben redet. Er sagt:
„Gehe hin, ruf deinen Mann und komm hieher!” (Vers 16)
Warum sagt er das? Er will ihr den Unterschied zeigen zwischen dem den Tod wirkenden
Einfluß, der bisher von ihr ausging, und dem Leben, das er ihr schenken wollte.
Wir benützen oft allerlei Ausdrücke und sagen damit nicht klar und bestimmt, was wir
sagen müßten. Unter dem Ausdruck „Verderben” verstehen wir nicht mehr den Tod. Wir
wollen nicht zugeben, daß unser böser Einfluß Menschen tötet. Die Samariterin wollte es
auch nicht zugeben, daß sie schon mit fünf Männern fertiggeworden war, daß sie schon
fünf „getötet” hatte. Johannes wurde durch ein Weib getötet, weil er beim Gesetz
geblieben war. - Die Samariterin wurde durch Jesum gerettet, so daß sie von dieser
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Johannes-Evangelium Teil 3
Stunde an keinen todwirkenden Einfluß alter Ordnung mehr ausübte; sie wurde in die
neue Ordnung, die ihr Jesus zeigte, hineingeführt.
Sie kam zu einem Mann, zu Jesu, der nicht durch einen Einfluß von seiten
eines Weibes getötet werden konnte
Die Samariterin gibt Jesu natürliches Wasser, er gibt ihr Lebenswasser.
Sie hält ihm zuerst die alte Ordnung, die Anbetungsstätte der Väter vor; jetzt kommt
sie unter seinen Einfluß und glaubt an ihn zum ewigen Leben.
Johannes der Täufer hat den Weg zum ewigen Leben bezeugt; die Samariterin ist ihn
gegangen.
Die Samariterin wurde von Jesu diesen Weg geführt, damit sie im Vorbild für den
Bräutigam die Braut werden konnte. Sie wurde durch ihr Warten auf den Messias eine
Brautseele, die nun allen, die zur Braut gehören, den Weg zeigt, auf dem man von Jesu
das ewige Leben bekommt - den Weg, der zuletzt zum Sieg des Lebens über den Tod
führt.
Komm mit deinem Mann hierher! Zu wem? Zu Jesu Christo, von dem das
Lebenswasser gegeben wird, das in dem, der es annimmt,
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zu einem Brunnen wird, der ins ewige Leben fließt. Nun auf einmal redet die Samariterin
ganz anders:
„Herr, ich sehe, daß du ein Prophet bist! Unsere Väter haben auf diesem Berge
angebetet; und ihr sagt, zu Jerusalem sei der Ort, da man anbeten soll.” (Vers
19-20)
Jetzt sieht dieses Weib plötzlich, daß es um etwas ganz anderes geht, als sie bisher
meinte. Sie hat immer noch an das natürliche Trinkwasser gedacht, bis Jesus anfing,
deutlicher mit ihr zu reden und ihr mit Prophetenblick zu begegnen. Nun spricht sie von
Anbetung! Das zeigt uns, wie man sich immer so lange, wie man nicht das rechte
Verständnis für die Geistesordnung hat, mit dem Natürlichen, mit dem Äußeren
beschäftigt. Auch Johannes der Täufer hat sich noch mit der alten Ordnung, der alten
Form beschäftigt. Er meinte, nach dieser Ordnung könne der Wille Gottes verwirklicht
werden. Jesus zeigt diesem Weib, auf welche Weise man einzig und allein den Willen
Gottes tun kann. Er sagt ihr:
„Weib, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berge, noch zu
Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennet; wir beten
an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die
Stunde und ist schon da, wo die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im
Geist und in der Wahrheit; denn der Vater sucht auch solche Anbeter. Gott ist
Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.”
(Vers 21-24)
Das Weib spricht zu ihm:
„Ich weiß, daß der Messias kommt, welcher Christus genannt wird; wann derselbe kommt, wird er uns alles verkündigen.” (Vers 25)
Jesus spricht zu ihr:
„Ich bin es, der mit dir redet!” (Vers 21-26)
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Johannes-Evangelium Teil 3
Hat Jesus je einem Menschen gegenüber ein klareres Zeugnis abgelegt? Nicht einmal
seinen Jüngern, auch nicht Johannes dem Täufer hat er gesagt: Ich bin es, ich bin der
Messias, ich bin der Heilsbringer; das Heil kommt von den Juden. Es liegt nicht in dem,
was die Juden heute haben, es liegt nicht in dem, was ihr anbetet, und nicht in dem, was
die Juden zu Jerusalem anbeten. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir
kennen. Warum beten sie an, was sie nicht kennen? Warum beten die Juden an, was sie
kennen, so daß Jesus sagen konnte: Wir beten an, was wir kennen; denn das Heil
kommt von den Juden?
Vom Messias wußte dieses Weib, auf ihn wartete sie auch; eine bessere Unterweisung begehrte sie auch. Daß das, was sie hatte, noch
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nicht das Richtige war und daß das Richtige erst kommen mußte, war ihr klar. Daß sie
aber näher dabei war als bisher ein Mensch, das sah sie in jenem Augenblick nicht. Kein
Mensch hatte bis dahin solche Heilserfahrungen gemacht wie dieses Weib, auch nicht
Johannes der Täufer.
Diese Samariterin können wir als erste ansehen, der Jesus das Heil geben konnte,
als erste, die die Stellung als Braut zum Bräutigam, dem Träger des Lebens,
eingenommen hat
Sie hatte nun den Mann gefunden, der sie rettete, so daß sie nicht mehr wie bisher
einen tötenden Einfluß auf ihren jetzigen Mann ausüben mußte. Nun hatte sie den Mann
gefunden, der ihr das Leben gab, und konnte den Mann, den sie bisher durch ihren
Einfluß „getötet” hatte, zu Jesu rufen. Sie mußte, zusammen mit ihrem Mann, wieder zu
dem Mann kommen, der ihr sagen konnte, daß er der Messias, der Christus sei.
In diesem Jesu Christo, dem Fürsten des Lebens, liegt die neue Ordnung begründet.
Das Menschenkind, durch dessen Einfluß der Tod bewirkt werden konnte, hat das Leben
empfangen und kann nicht mehr den Tod verursachen. Die Samariterin wird eine
Verkündigerin, eine Trägerin des ewigen Lebens, ein Glied am Leibe Christi, der als
Haupt mit seinen Gliedern das ewige Leben darstellt. Es müssen wahrlich gründliche
Lektionen gelernt werden, wenn man das ewige Leben erlangen will. Wir dürfen nicht bei
der Vergebung der Sünden stehenbleiben. Der Tod ist der Sünde Sold; aber die
Gnadengabe Gottes ist ewiges Leben in Christo Jesu, unserm Herrn (Röm.6,23). Erst
wenn das Leben den Tod besiegt hat, ist der Brunnen des Lebens, des Lebenswassers,
das von Jesu kommt, ins ewige Leben geflossen. Tod und Leben sind Gegensätze. Die
todwirkende Sünde, die durch das Opfer Jesu weggenommen (Joh.1,29) und aufgehoben
ist (Hebr.9,26), muß durch das von Jesu kommende ewige Leben als beseitigt angesehen
werden.
__________
Seite 29
Siehe auch Predigt Nr.0056
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Johannes-Evangelium Teil 3
Die Bedeutung des Verhältnisses, das sich
zwischen Jesu, als dem Bräutigam, und der
Samariterin am Jakobsbrunnen gestaltet hat
„Da kommt ein Weib aus Samaria, Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib
mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, Speise zu
kaufen. Spricht nun das samaritische Weib zu ihm: Wie begehrst du, ein Jude,
von mir zu trinken, die ich ein samaritisches Weib bin? (Denn die Juden haben
keinen Verkehr mit den Samaritern.) Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn
du erkennetest die Gabe Gottes, und wer der ist, der zu dir spricht: Gib mir zu
trinken! du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser! Das Weib spricht zu
ihm: Herr, du hast ja kein Gefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du denn
das lebendige Wasser? Bist du größer als unser Vater Jakob, der uns den
Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, samt seinen Söhnen und
seinem Vieh? Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt,
den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben
werde, den wird in Ewigkeit nicht dürsten; sondern das Wasser, das ich ihm
geben werde, wird in ihm zu einer Quelle des Wassers werden, das bis ins ewige
Leben quillt. Das Weib spricht zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, auf daß mich
nicht dürste, und ich nicht hieher kommen müsse, um zu schöpfen!” (Joh.4,7-15)
Jesus gibt das lebendige Wasser nur verlangenden Menschen
Die Samariterin wird durch ihren Glauben an Jesum Christum und durch ihr
Vertrauen zu ihm eine Trägerin und Quelle des lebendigen Wassers und
dadurch ein fruchtbares Werkzeug im Reiche Gottes
Betrachten wir die Stellung dieser Samariterin, von der hier die Rede ist, so fällt uns
auf, wie schnell sie den Worten Jesu Verständnis entgegenbrachte. Natürlich stand sie
ganz und gar unter dem sie umgebenden Einfluß. In Jesu konnte sie nur einen Juden
sehen, und sie wußte, wie groß die Kluft zwischen den Samaritern und den Juden war.
Deshalb verwunderte sie sich auch über die Worte Jesu:
„Gib mir zu trinken!” (Vers 7)
Wie konnte er als ein Jude von ihr, einem samaritischen Weib, zu trinken fordern, da
doch die Juden mit den Samaritern keinen Verkehr pflegen! Diese Gelegenheit benutzt
nun Jesus und spricht zu ihr die Worte:
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„Wenn du erkennetest die Gabe Gottes, und wer der ist, der zu dir spricht: Gib
mir zu trinken! du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser!“ (Vers 10)
Auf diese Worte hin steigt in dem Weib eine Ahnung auf. Sie sagt nicht nur:
„ … du hast ja kein Gefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du denn das
lebendige Wasser?“ (Vers 11),
sondern sie fragt anschließend auch noch:
„Bist du größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst
daraus getrunken hat, samt seinen Söhnen und seinem Vieh?” (Vers 12)
Die Stellung dieser Samariterin ist eine ähnliche wie die jener Syro-Phönizierin, die sich
auch nicht von Jesu abweisen ließ, trotzdem er ihr keine Antwort gab, als sie von ihm
Hilfe für ihre besessene Tochter begehrte. Als sie gar nicht nachließ, ihn zu bitten, sagte
er zuletzt zu ihr:
„Weib, dir geschehe, wie du willst!” (vgl.Matth.15,22-28)
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Johannes-Evangelium Teil 3
Hier, bei diesem samaritischen Weib, sehen wir, daß sie sich, obwohl die Juden die
Samariter nicht für vollwertige Israeliten ansehen, nicht davon bestimmen ließ, sie nennt
Jakob den Vater des ganzen Volkes Israel, zu dem sie sich auch bekennt, denn sie
spricht von ihm als von „unsrem Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben hat.” Im
allgemeinen fühlen sich die Menschen bedrängt, wenn man sie nicht als vollwertig
behandelt. Gewiß hätten nicht alle Samariter das ausgesprochen, was dieses Weib zu
Jesu sagte. Sie hätten gedacht: Wie du mir, so ich dir; willst du uns Samaritern
gegenüber der stolze Jude sein, dann können wir euch Juden gegenüber ja auch stolze
Samariter sein; rückt ihr von uns ab, dann können wir euch gegenüber dasselbe tun. Die
Samariterin achtet aber auf diese Kluft nicht, obwohl sie ihr wohlbekannt ist, sobald sie
sieht, daß Jesus eine solche auch nicht hervortreten läßt. Sie stellt sich sogar zu ihm und
sagt: Wir sind ja ein Volk und haben ja einen Vater, Jakob; es trennt uns nichts. Jakob
hat uns diesen Brunnen gegeben, er hat daraus getrunken, auch seine Söhne und sein
Vieh. Du aber redest von lebendigem Wasser und hast nicht einmal ein Gefäß, um aus
diesem Brunnen zu schöpfen! Und anderes Wasser gibt es doch nicht! Woher hast du
denn dein Wasser, wenn es nicht aus diesem Jakobsbrunnen kommt? Was für
lebendiges Wasser ist es denn, das du mir anbietest? Darauf sagt Jesus zu ihr: Wer von
diesem Wasser, hier aus diesem Brunnen Jakobs, trinkt, den wird wieder dürsten. Damit
weist er auf die Naturordnung des Fleisches hin, auf das, was aus dem Geblüt, aus dem
Willen des Fleisches und aus dem Willen des
Seite 31
Mannes geboren ist; denn das, was der Naturordnung des Fleisches entstammt, trägt
das Wesen dieser Art. Er sagt: Das Wasser, das dieser Brunnen enthält, ist natürliches
Wasser und kann den Durst nur vorübergehend stillen, man muß von diesem Wasser
immer wieder trinken, um stets aufs neue seinen Durst damit zu stillen. Das deutet Jesus
an, indem er sagt:
„Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten.” (Vers 13)
So wie es aber eine natürliche Ordnung des Fleisches gibt, gibt es auch eine geistige,
eine wahre göttliche Ordnung. Es ist das, was nicht aus dem Fleisch kommt, sondern
eine aus Gottes Geist erfolgte neue Geburt.
Vorher hatte Jesus dem Nikodemus die beiden Gebiete des Fleisches und des
Geistes ausführlich erklärt. Nikodemus hat ihn aber nicht verstanden. Obwohl er ein
Lehrer in Israel war, konnte er die klare Unterweisung Jesu nicht fassen. Dagegen hört
die Samariterin nur kurze Andeutungen.
„ … wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht dürsten.” (Vers 14)
Sie muß sich nur klarwerden, ob es nur einen solchen Durst gibt, der vorübergehend mit
dem natürlichen Wasser gestillt wird, oder ob es auch noch einen andern Durst gibt, der
für die Ewigkeit gestillt werden kann.
„ … wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu
einer Quelle des Wassers werden, das bis ins ewige Leben quillt!” (Vers 14),
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Johannes-Evangelium Teil 3
sagt Jesus zu ihr. Im allgemeinen trinkt man Wasser, um seinen Durst zu stillen; hier
bekommt man Wasser zu trinken, damit es im Menschen zu einer lebendigen Quelle
wird, die eines Zuflusses nicht mehr bedarf. Vielmehr ist von der Zeit an, in der dieses
Wasser aufgenommen worden ist, von einer Quelle des Wassers ein Ausfluß ins ewige
Leben vorhanden.
„Herr, gib mir dieses Wasser, auf daß mich nicht dürste und ich nicht hieher
kommen müsse, um zu schöpfen!” (Vers 15),
antwortet nun das Weib. Und jetzt fällt auf die Worte des Herrn hin blitzartig Licht in das
Herz dieses Menschenkindes.
Der Unterschied in der Beurteilung und Behandlung der Sünder von seiten
Jesu und von seiten seines Wegbereiters, Johannes
Sehen wir nun den Unterschied zwischen der Art und Weise, wie Jesus mit diesem
Weibe redet, und dem, was von Johannes berichtet ist, wie er mit Herodes geredet hat?
Johannes sagte zu Herodes:
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Es ist nicht recht, daß du deines Bruders Weib hast (Matth.14,4). Das konnte er dem
Vierfürst, dem König Judas (Mark.6,14; Luk.9,7)sagen, weil er ein Knecht Gottes war. Daß
Herodes seines Bruders Weib hatte, war Johannes gewiß nicht durch göttliche
Offenbarung bekanntgeworden. Es war zweifellos eine Sache, die auch das Volk wußte,
nur hatte vielleicht niemand den Mut, dem König zu sagen:
„Es ist dir nicht erlaubt, sie zu haben!” (Matth.14,4)
Die Vertreter der göttlichen Ordnung: der Hohepriester, die Priester und der Hoherat
waren zwar für die Aufrechterhaltung der göttlichen Ordnung Gott verantwortlich,
anscheinend hatten sie aber alle versagt. Nun wollte Johannes die Lücke ausfüllen und
das nachholen, was andre versäumt hatten. Er fand den Mut, zum König zu gehen und
den Finger auf die wunde Stelle zu legen: Was tust du nur als König dieses Volkes? Du
gibst dem Volk ein schlechtes Vorbild! Was du tust, ist nicht recht! - Das war sicher eine
gutgemeinte Leistung, aber nicht die ihm von Gott aufgetragene Pflicht und Aufgabe.
Dieser Weg kostete ihn das Leben.
Ganz anders bei Jesu und der Samariterin. Zu ihr sagt Jesus:
„Geh hin, rufe deinen Mann und komm hieher!” (Vers 16)
Darauf antwortet sie:
„Ich habe keinen Mann!” (Vers 17)
Jesus entgegnet ihr:
„Du hast recht gesagt: Ich habe keinen Mann. Fünf Männer hast du gehabt, und
den du nun hast, der ist nicht dein Mann. Da hast du die Wahrheit gesprochen.”
(Vers 17-18)
Daraus ersehen wir, daß Jesus mit dieser Ehebrecherin anders geredet hat als Johannes
mit dem Ehebrecher. Dabei wußte Jesus genauso, wie es auch Johannes bei Herodes
gewußt hat, daß bei der Samariterin Ehebruch vorlag. Er hätte zu ihr sagen können: Hör
mal, ich muß dir doch etwas sagen: Was du tust, ist nicht recht. Es ist nicht recht, daß du
einen Mann hast, der nicht dein Mann ist. Er hätte genau dieselben Worte gebrauchen
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Johannes-Evangelium Teil 3
können, wie sie Johannes gebrauchte. Um den Unterschied zwischen der Ordnung der
Geburt aus dem Fleisch und der Geburt aus dem Geist ins Licht zu rücken, sehen beide:
Jesus und Johannes die gleiche Notwendigkeit, den Menschen ihre Sünden
aufzudecken. Aber wie verschieden ist die Stellung, die Johannes zu dem Sünder
eingenommen hat, von der Stellung, die Jesus zu der Sünderin einnahm! Statt ihr auf den
Kopf zuzusagen: Du bist eine Ehebrecherin, du lebst im Ehebruch; das ist nicht recht!
fordert Jesus sie auf:
„Geh hin, rufe deinen Mann und komm hieher!” (Vers 16)
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Damit will Jesus scheinbar den Eindruck erwecken, er sei der Meinung, diese Samariterin
habe rechtmäßig einen Mann und sei also eine ehrenhafte Frau. Sobald sie aber
bekennt:
„Ich habe keinen Mann!” (Vers 17),
kann Jesus ihr auf dieses freiwillige Geständnis hin sagen: Das, was du jetzt sagtest,
stimmt; denn der Mann, den du hast, ist in Wirklichkeit nicht dein Mann. Er gehört einer
andern Frau und ist nicht dein Mann. Warum behandelst du ihn denn als deinen Mann?
Warum willst und kannst du nicht öffentlich bekennen, daß es nicht dein Mann ist? Es ist
Wahrheit, daß es nicht dein Mann ist, da hast du recht geredet. Fünf Männer hast du
gehabt, und dieser Mann, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Das Weib spricht zu ihm:
„Herr, ich sehe, daß du ein Prophet bist!” (Vers 19)
Achten wir auf den Unterschied! Herodes war auf Johannes wütend geworden, weil er
ihm gesagt hatte, es sei nicht recht, daß er seines Bruders Weib habe (Matth.14,3-5). Die
Samariterin dagegen nennt Jesum einen Propheten, weil er ihr die Wahrheit über ihr
Leben sagte.
Nun fährt sie fort und sagt:
„Unsre Väter haben auf diesem Berg angebetet; und ihr sagt, zu Jerusalem sei
der Ort, da man anbeten soll.” (Vers 20)
Damit will sie sagen: Was ist für eine Ehebrecherin der rechte Weg zu Gott? Liegt er in
der Lehre unsrer Väter, oder liegt er in eurer Lehre? Kann man nach der Lehre unsrer
Väter hier auf diesem Berg, im Nordreich Israel, Gott begegnen, oder muß man zu euch
nach Jerusalem kommen, um dort als Ehebrecherin Gott zu finden?
Bis dahin hatte Johannes die Taufe zur Vergebung der Sünden verkündigt und
vollzogen. Dann hat er auf Jesum, das Lamm Gottes, hingewiesen, das die Sünde der
Welt wegnimmt. Eigenartigerweise haben aber weder Johannes selbst, noch seine
Jünger, noch die Jünger, die von Johannes weg zu Jesu gingen und dessen Jünger
wurden, ein einziges Wort davon gesagt, wie Jesus Sünden wegnimmt und was das
bedeutet. Sobald die Samariterin sieht, daß Jesus ihr Leben kennt, möchte sie wissen,
wie sie zu Gott kommen kann. „Muß man”, so fragt sie, „auf diesem Berg, auf dem unsre
Väter angebetet haben, Gott suchen, oder kann man nach eurer Lehre nur zu Jerusalem
anbeten und zu Gott kommen?” In diesem Begehren liegt die Verbindung zwischen
einem heilsverlangenden Sünder und dem Reich Gottes. Johannes konnte diese
Verbindung mit dem Reich Gottes nicht finden, obgleich er die Erkenntnis darüber hatte,
daß Jesus das Lamm Gottes ist, das der Welt Sünde wegnimmt. Er konnte
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Johannes-Evangelium Teil 3
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es nicht sehen, daß das Lamm Gottes auch seine Sünden wegnimmt und ihn dadurch
dem Reich Gottes einverleibt.
Er konnte es nicht sehen, daß alle Menschen, die daran glauben, daß das Lamm
Gottes der Welt Sünde wegnimmt, als Braut dem Bräutigam gehören.
Obgleich er die Ordnung von Bräutigam und Braut kannte und er aussprach, daß der
der Bräutigam ist, der die Braut hat, konnte er sich selber nicht entschließen, dem
Bräutigam als Braut anzugehören. Er sah sich nur als Freund des Bräutigams und blieb
in der Stellung, die die natürliche Ordnung des Fleisches darstellt.
Aber in die Ordnung des Geistes, die nur durch die Verbundenheit von Bräutigam
und Braut dargestellt wird, ging er nicht ein.
Mit Herodes unterhandelte er über dessen Ehebruch nach der Naturordnung des
Fleisches und Gesetzes; vom Bräutigam und der Braut redet er nicht mehr. Von Jesu,
dem Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegnimmt, sagt er dem Herodes wahrscheinlich
auch nichts. Sobald die Samariterin ihr Leben aufgedeckt sieht, will sie wissen, wie man
zu Gott kommt. Darauf spricht Jesus zu ihr:
„Weib, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berg, noch zu
Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten
an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden.” (Vers 21-22)
Gegen diese aufklärenden Worte hat die Samariterin gar keinen Widerstand mehr, denn
sie ist ja schon bereit, entweder auf diesem Berg oder in Jerusalem, gerade da, wo es
richtig ist, anzubeten. Würde ihr der Prophet sagen: Euer Berg hier ist nicht der richtige
zum Anbeten, ihr müßt nach Jerusalem gehen, so täte sie es. Durch das, was Jesus zu
ihr gesagt hat, ist sie völlig überwunden. Sie steht nur unter dem Eindruck:
„Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe …” (Vers 29),
und er hat mich nicht verdammt! Er hat mir das Wasser des Lebens angeboten, das
meinen Durst nach Gott für die Ewigkeit stillen soll! Damit war bei diesem Weib das
Vertrauen geweckt, die Gewißheit gewirkt, daß dieser Prophet ihr helfen könne und
helfen wolle. Johannes hat sein Gottvertrauen wieder verloren, das er im Blick auf das
Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegnimmt, gehabt hatte. Die Samariterin hingegen
hat zu Jesu, ohne zu wissen, wer er in Wirklichkeit war, Vertrauen gefaßt, und zwar
dadurch, daß sie merkte: Hier ist ein Mann, der mir helfen kann und helfen will!
Johannes der Täufer begnügte sich mit der Erkenntnis über Jesum, das
Lamm Gottes; das wahre Lebenswasser begehrte er von ihm nicht
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Johannes der Täufer konnte nicht zur Braut des Bräutigams gehören, weil er
nicht im vollen Vertrauen zu Jesu stand
Wo liegt nun der Unterschied zwischen der Stellung der Samariterin und der Stellung von
Johannes? Welches ist das Hindernis, wenn man an einen toten Punkt kommt, dort
stehenbleibt und nicht mehr vorwärtskommt? Warum können keine weiteren Schritte in
der Entwicklung gemacht werden? Das nötige Vertrauen fehlt! Wo Hoffnung ist, wo
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Johannes-Evangelium Teil 3
Vertrauen ist, kann man weiterkommen! Wenn dieses Vertrauen fehlt, nützt auch die bis
dahin erlangte Erkenntnis nichts.
Die Erkenntnis über das Lamm Gottes und den Bräutigam hat Johannes dem Täufer
nicht genutzt. Die Erkenntnis über die erste Liebe reichte auch für den Engel der
Gemeinde zu Ephesus nicht aus, um vom Baum des Lebens im Paradiese Gottes essen
zu können (vgl.Offb.2,1-7). Beide Gottesmänner hatten die Erkenntnis über den Ratschluß
Gottes, beide blieben aber an einem bestimmten Punkt stehen und kamen nicht mehr
weiter. Was hielt sie auf? Die Samariterin stand vor Jesu und sah ihr ganzes Leben von
ihm durchschaut. Als Jesus zu Johannes kam und von ihm getauft werden wollte, wurde
er von Jesu nicht in demselben Lichte beleuchtet wie die Samariterin. Johannes hat ja
gewußt, daß Jesus Sünden wegnimmt, daher hat er auch das Volk Gottes zur Buße rufen
können, aber ihm auch das Gericht angedroht. Nachher hielt er es für seine Pflicht,
Herodes auf seinen Ehebruch hinzuweisen; aber für seine eigenen Sünden brauchte er
Jesum nicht. Hier versagte er genauso, wie der Ephesusengel an einem bestimmten
Punkt in seinem so segensreichen Leben versagte, so daß er die Sünde, die ihn hemmte
und aufhielt weiterzukommen, nicht mehr sehen konnte.
Es hatte keinen Einfluß auf ihn und seine Stellung, wenn Jesus ihm direkt sagte:
Wenn du nicht Buße tust, so werde ich dir bald kommen und deinen Leuchter von seiner
Stelle stoßen (Offb.2,5). Das berührte ihn nicht. So berührte es auch Johannes den Täufer
nicht, daß Jesus, das Lamm Gottes, der Welt Sünde wegnimmt; sonst wäre er zu Jesu
gekommen ,nachdem er ihn getauft hatte, und hätte gesagt: Nun lege ich mein Handwerk
nieder, jetzt bist du da, jetzt taufe du mich! Was ich dir getan habe, das brauche ich jetzt
auch, ich begehre, von dir getauft zu werden; denn deine Taufe brauche ich viel mehr,
als du meine brauchst. Weil Johannes das nicht für nötig hielt, darum hatte er keine
Hoffnung für sich selbst im Blick auf Jesum, das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt.
Für sich hatte er das Vertrauen zu Jesu, dem Sündenträger der Welt, nicht; er selbst
brauchte von diesem Jesu nichts. Das ist der Punkt, wo man stehenbleibt.
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Sobald man nichts von Gott braucht, fragt man auch nicht mehr danach, auf
welche Weise man etwas von ihm bekommen könnte
Nur so lange sorgt man sich darum, wie man überzeugt ist, daß man von seinem Gott
etwas bekommen muß. Hier zeigt sich eben die große Kluft zwischen der vorhandenen
Erkenntnis und der Erfüllung dessen, was man erkannt hat.
Wir stehen vor der Tatsache, daß diese Männer Erkenntnis über den Heilswillen
Gottes hatten, aber für die Erfüllung dieser erkannten Gottesordnung in ihrem
Leben nicht sorgten. Sie sahen den Mangel in ihrem Leben nicht, der um der
Erfüllung der göttlichen Ordnung willen behoben werden mußte
Diesen Mangel sieht dagegen ein sündiges Weib, eine Ehebrecherin. Sie sieht, daß ihr
geholfen werden muß. Wenn hier ein Mann ist, der ihr alles sagen kann, was sie in ihrem
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Johannes-Evangelium Teil 3
Leben getan hat, und dieser dann bereit ist, ihr solches Wasser zu geben, daß sie für die
Ewigkeit nicht mehr zu dürsten braucht, muß dieser Mann ihr helfen können. Diese Hilfe
möchte sie gern haben, und ebenso gern möchte ihr Jesus helfen.
Glauben wir, daß Jesus Johannes dem Täufer gegenüber eine andre Stellung
eingenommen hat? Glauben wir, daß er Johannes, von dem er den ersten Dienst
erfahren und angenommen hat, freudigen Herzens zurückgelassen hat, da er doch sicher
wußte, was das Nächstfolgende im Leben dieses Mannes sein würde? Und doch konnte
Jesus nichts tun. Er mußte seinen Weg gehen und konnte Johannes kein Wort sagen
und ihm keinen Dienst erweisen. Warum nicht?
Weil Johannes nach nichts verlangte, weil er nicht zu Jesu kam und nichts von
ihm begehrte
Er blieb mit seinem trefflichen Zeugnis über das Lamm Gottes und den Bräutigam
unter den Pharisäern stecken. Da hielt er sich auf, da blieb er. Und sicher kann und muß
man sagen, daß diese Pharisäer ihn festgehalten und aufgehalten haben, so daß er nicht
zu Jesu kam, nicht bei Jesu bleiben, ihm nicht nachfolgen und zur Braut des Lammes
gehören konnte. Nachher heißt es, daß Jesus in Nazareth wenig Zeichen und Wunder
tun konnte, um ihres Unglaubens willen; nur einigen wenigen konnte er die Hände
auflegen und sie heilen; das waren solche, die es begehrten. Denen aber, die in ihrem
Unglauben von ihm nichts begehrten, konnte er trotz seiner Vollmacht nicht helfen.
Wenn Johannes der Täufer nichts von Jesu will, kann er ihm nicht helfen
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Wenn der Vorsteher der Gemeinde zu Ephesus über seinen Abfall von der ersten
Liebe nicht Buße tut, kann ihm nicht geholfen werden. Man kann doch bei diesen zwei
Männern nicht etwa Gleichgültigkeit oder Unlauterkeit oder Oberflächlichkeit als Ursache
ihres Verhaltens annehmen. Sie waren aufrichtig und ehrlich, hatten aber über gewisse
Mängel, gewisse Schwächen in ihrer Stellung zum Herrn kein Licht. Darum konnten die
Worte aus Jesu Mund keine Wirkung auf sie haben. Ein samaritisches Weib dagegen
braucht nur zu hören: Das hast du getan! dann werden alle Riegel zurückgeschoben, alle
Hemmungen und Hindernisse beseitigt, jedes Wort fällt auf fruchtbaren Boden, sie ist
aufnahmefähig, sie geht auf den Willen Gottes ein. Jesus konnte der Samariterin sagen:
„Weib, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berg, noch zu
Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten
an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die
Stunde und ist schon da, wo die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im
Geist und in der Wahrheit; denn der Vater sucht auch solche Anbeter. Gott ist
Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.”
(Vers 21-24)
Das Weib spricht zu ihm:
„Ich weiß ...!”
Was weiß eine Ehebrecherin? Sie weiß,
„daß der Messias kommt, welcher Christus genannt wird; wenn derselbe kommt,
wird er uns alles verkündigen.” (Vers 25)
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Johannes-Evangelium Teil 3
Würden wir solche Worte von einer Ehebrecherin erwarten? Würden wir erwarten, daß
eine Ehebrecherin mit dem kommenden Reich Gottes, mit dem kommenden Christo
rechnet, daß sie in der Tiefe ihres Herzens, überwältigt von ihren Sünden, nach Gott,
ihrem Retter und Heiland, seufzt und begehrt? Würde man das erwarten? Einem solchen
Menschenkind kann Jesus sagen:
„Ich bin es, der mit dir redet!” (Vers 26)
Dieser Christus, von dem du alles erwartest, der ist da, er ist hier gegenwärtig und redet
mit dir!
Und was tut sie? Sie läßt ihren Wasserkrug stehen - augenblicklich hat sie keinen
Durst nach dem Wasser vom Brunnen Jakobs -, läuft in die Stadt und sagt zu den
Leuten:
„Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt, was ich .getan habe, ob
dieser nicht der Christus sei!” (Vers 29)
Wie klug! Sie bekennt Farbe und vermeidet es doch zu sagen: Kommt, da draußen ist
Christus! Als die Zwölf zu Jesu kamen, haben sie
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einander aufmerksam gemacht:
„Kommt, wir haben den Messias gefunden!” (Joh.1,42-46)
Nathanael spricht:
„Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?” (Joh.1,47)
Die Samariterin sagt: Kommt, und seht doch einmal diesen Mann an, der mir alles gesagt
hat, was ich getan habe, ob dieser nicht der Christus sei! Zuerst sagte sie zu Jesu: Du
bist ein Prophet! Als er ihr aber erklärt hat: Ich bin Christus, den du erwartest!, sagt sie
nicht: Kommt und seht, ob das nicht ein Prophet sei!, sondern: Kommt und seht, ob
dieser nicht der Christus sei! Sie hat Jesu Wort geglaubt und war doch so klug, daß sie
nicht bezeugte: Ich habe den Christus gefunden; damit hätte sie gewiß nur den
Widerstand der Leute heraufbeschworen. Sie sagte einfach: Kommt und seht, dann
werdet ihr überführt und überzeugt werden.
Die Leute kommen auch auf die Rede dieses Weibes hin, und auf ihr Wort hin
glauben sie und bitten Jesum, bei ihnen zu bleiben. Nach zwei Tagen sagen viele in der
Stadt zu dem Weib:
„Nun .glauben wir nicht mehr um deiner Rede willen; wir haben selbst gehört und
erkannt, daß dieser wahrhaftig der Welt Heiland, der Christus, ist!” (Vers 42)
Auf diese Weise hat Jesus mit den Leuten geredet. Er ließ jeden Gesetzeszwang beiseite
und forderte nicht: Du sollst das Böse nicht tun! Er sagte nur: Das Wasser, das ihr hier
aus dem Jakobsbrunnen trinkt, stillt den Durst nicht für die Ewigkeit, ihr braucht etwas
anderes für die Ewigkeit; ich kann es euch geben: Wasser des Lebens! Was ist denn das
Wasser des Lebens? Nachher sagt Jesus:
„Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme
lebendigen Wassers fließen.” (Joh.7,38-39)
Sehen wir aus diesem Wort, was das Wasser des Lebens ist? Es ist der wirkende Geist
Gottes! Wenn Worte Gottes, Worte der Wahrheit, aufgenommen werden, dann werden
sie in einem Menschen zu einer Quelle lebendigen Wassers, und dieses Quellwasser,
das Wort der Wahrheit, das der Mensch dann in sich hat, muß aus ihm herausquellen
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Johannes-Evangelium Teil 3
und Leben wirken. Wer glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib fließen dann solche
Ströme lebendigen Wassers - das sind lebendigmachende Worte Gottes. Es ist dann so,
daß der Geist Gottes die Wahrheit, wie sie Jesus der Samariterin gesagt hat, beleuchten
und verklären kann. Unter der Wirkung dieses Geistes Gottes können dann wieder Worte
Gottes geredet werden, die dieselbe Wirkung haben, wie das Wort Gottes sie immer
hervorbringt. Das ist der Unterschied zwischen dem Gesetzeszeugnis und dem
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Zeugnis des Evangeliums von der Gnade und Wahrheit. Darum ist Jesus nicht
gekommen, die Welt zu richten (Joh.3,17). Er hätte die Welt durch das Gesetz richten
müssen. Er kam aber, um die Welt zu retten (Joh.3,17), und er konnte sie nur retten durch
das Wort der Wahrheit von der Gnade Gottes (Joh.1,16-17). Aber wenn das Wort der
Wahrheit von ihm ausgehen und retten sollte, wenn es in andern Menschen Wasser des
Lebens und eine Quelle werden sollte, die ins ewige Leben quillt, so mußte er nicht nur
die richtige Lehre bringen wie Johannes der Täufer, sondern auch die richtige Stellung
einnehmen, wie es bei dem Ephesusengel zuerst der Fall war. Die Lehre Johannes des
Täufers hätte von ihm auch in die Tat umgesetzt werden müssen, und die Stellung des
Ephesusengels hätte auch bewahrt werden müssen; das geschieht aber, indem man
immer in der göttlichen Ordnung bleibt und den Willen dessen tut, der seine Ordnung
vom Himmel her kundtut. Dann wird es so sein wie bei Jesu. Die Worte, die man sagt,
müssen, wenn sie richtig sind, in der Stellung, die man hat, verankert sein.
Das Zeugnis und die praktische Stellung müssen eine Einheit sein
Hier wich Johannes ab; hier wich auch der Engel der Gemeinde zu Ephesus zuletzt
noch ab, der beinahe am Ziel der göttlichen Vollkommenheit des Reiches Gottes
angelangt war. Beide Männer Gottes standen vor dem Ziel. Johannes stand dem Ziel so
nahe, daß er hätte ins Reich Gottes eingehen können. Der Ephesusengel hätte in seiner
Stellung die Vollendung, also das Reich Gottes darstellen können.
Nicht das ist für uns besonders bedeutungsvoll, daß diese Männer gerade diese
Stellung hatten und diese Erfahrungen gemacht haben. Es gibt ja unter der Sonne nichts
Neues (Prd.1,9). Was uns Gottes Wort sagt, soll aber immer für die Umstände und
Verhältnisse, in denen man lebt, bedeutungsvoll und fruchtbar sein. Wir wollen nicht
zweitausend Jahre zurückblicken, um irgend etwas kritisch zu untersuchen und dabei
stehenzubleiben. Was das Wort Gottes von jener Zeit und über die Erfahrungen jener
Männer sagt, muß heute zu uns reden, sonst hat alles keinen Wert. Hier ist ein toter
Punkt, der überwunden werden muß; wer ihn nicht überwindet, wird heute genauso
beiseitegestellt wie jene Männer; er ist für die Brautstellung untauglich. Um das geht es.
Und was ist der Punkt, der überwunden werden muß? Das Wort soll so zu uns reden,
uns ansprechen, daß wir mit seiner Erfüllung rechnen.
Das, was man in der göttlichen Ordnung erkennt, muß man von Gott bekommen
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Johannes-Evangelium Teil 3
Doch um das von Gott bekommen zu können, was seinem Willen entspricht, muß man im
vollen Vertrauen zu Gott stehen; man muß unbedingt damit rechnen, daß man das
bekommt, was man für sich erwartet. Darum hat Jesus verheißen: Wer sucht, der findet;
wer anklopft, dem wird aufgetan (Matth.7,7-11). Niemand, der kommt, wird hinausgestoßen;
aber wenn man die Verhältnisse und Umstände verantwortlich machen will für seine
mangelhafte Stellung, dann nützt das gar nichts. Das hat mich gehemmt, und jenes hat
mich aufgehalten, und das alles ist schuld, sagt man so leichthin. Das ist alles nicht
schuld. Nur die eigene Stellung ist schuld, daß man nach der Erkenntnis, die man besitzt,
nicht so viel Vertrauen zu seinem Gott hat, daß man zur Überwindung der Hindernisse
mit Gottes Hilfe rechnen kann. Das muß beachtet werden! Zum Unterschied von diesen
Männern hat Jesus gesagt, als ihn die einen und die andern aufhalten wollten: Wird dabei
das Wort erfüllt? (Matth.26,51-54). Muß es nicht also sein? (Mark.8,31-33). Das
Entscheidende für ihn war nur, daß sich das, was er als den Willen Gottes erkannte, in
seinem Leben verwirklichte.
Die Samariterin ist ein Vorbild für die gottgewollte segensreiche Zusammenarbeit
der Glieder des Leibes Christi, damit die Brautseelen gewonnen und in der
Wahrheit des Evangeliums erbaut werden
Darum mußte Jesus seinen Jüngern auch immer wieder die nötige Unterweisung
geben. Sie fanden zwar nicht den Mut, ihn darüber zur Rede zu stellen, daß er mit einem
Weib redete, aber doch wollten sie ihn gewissermaßen kontrollieren mit den Worten: Was
redest du mit ihr? Was hast du sie gefragt? Was sprichst du mit diesem Weib, die noch
dazu eine Samariterin ist? Sie wollten ihm zu essen geben, da sagte er zu ihnen:
„Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt!” (Vers 32),
und wiederum:
„Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat und
vollbringe sein Werk.” (Vers 34)
Jesus möchte den Blick der Jünger auf etwas anderes hinlenken. Seht ihr die Leute von
der Stadt herkommen, die das Weib dort alle bringt? Erhebt eure Augen, die Ernte ist
schon reif! Wer kann so ernten wie diese Samariterin? Dabei ist sie nicht aus dem JudenStamm, sie ist keine Frucht aus Jesu Familienhaus oder aus Jerusalem, sondern sie ist
eine von den Juden mißachtete, verkannte Samariterin, die ihre jüdische Abstammung
sicher nicht mehr nachweisen kann. Und doch reift hier die Frucht und kann zum ewigen
Leben eingeerntet werden.
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So kommen die Glieder des Leibes Christi, die Brautseelen, zusammen, die der
Bräutigam dann als seine Braut ins Vaterhaus holt. Auf diese Weise kann er sich freuen,
wie sich der Sämann und der Schnitter miteinander an der Ernte freuen! Hier ist der
Spruch wahr:
„Einer sät, der andre erntet. Ich habe euch ausgesandt zu ernten, was ihr nicht
gearbeitet habt. Andre haben gearbeitet, und ihr seid in ihre Arbeit eingetreten.”
(Vers 37-38)
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Johannes-Evangelium Teil 3
Wie wichtig und bedeutungsvoll kommt man sich doch vor, wenn man der Meinung ist,
man habe alles allein gemacht, man habe gepflanzt und begossen, das Wachstum
gegeben und die Ernte bewirkt - alles sei eigenes Verdienst. Die Kinder Gottes wären
immer einig, wenn sie die Ordnung anerkennen würden, daß einer sät und der andre
erntet, daß einer pflanzt und der andre begießt (vgl.1.Kor.3,5-9), daß also jeder sein Teil zu
der Gestaltung der Wege Gottes und zur Entwicklung seines Reiches beiträgt. Da gäbe
es gar keine Kämpfe und kein gegenseitiges Sich-Bekämpfen unter den Kindern Gottes.
So hätten auch Maria und Martha, die Familienmitglieder, nicht deshalb miteinander zu
streiten brauchen, daß eine den Dienst am Tisch hatte und die andre zu Jesu Füßen saß
und sich um die Hausarbeit nicht kümmerte. Hätten sie daran gedacht, daß alles
zusammengehört, so hätten sich beide freuen können. Wenn ein Glied in der Familie zu
Jesu Füßen sitzt und das Wort von ihm aufnimmt, dann ist das so aufgenommene Wort
ja in der Familie, und wenn das andre mehr seine Befriedigung im Dienen für die äußeren
Bedürfnisse der anderen findet - ohne übermäßige Sorge für das Vergängliche zu haben
-, so hat das auch wieder seinen Platz, und so ergänzt eins das andre. Wenn eins vom
Wort Gottes mehr aufgenommen hat als das andre, kann es bei Gelegenheit dem andern
aus seinem reichen Schatz des Wortes Gottes mitteilen. Sieht ein anderes wieder mehr
seine Befriedigung darin, die äußeren Versorgungen zu erledigen, so wird ihm die Freude
zuteil, daß nicht alles drunter und drüber geht. So dient altes dem Ganzen; eines ergänzt
das andre, und man könnte sich immer an der Frucht der gemeinsamen Arbeit freuen.
Die Frucht der gemeinsamen Arbeit wäre nach jeder Seite hin Freude. Dann könnte man
die reife Frucht gemeinsam mit Zufriedenheit genießen. So ist es nach beiden Seiten: im
Irdischen wie im Geistigen. Anstatt sich an der wirklichen Frucht der vollbrachten Arbeit
zu erfreuen, beißt man sich an der halbgetanen Arbeit die Zähne kaputt und zankt sich
untereinander, nicht weil die Arbeit noch nicht getan ist, sondern weil das eine nicht die
gleiche Arbeit tut wie das andre. Das sind Verhältnisse, die den Kindern Gottes das
Leben sehr erschweren, weil sie nicht in die göttliche Ordnung eingehen,
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daß einer sät und der andre erntet. Wenn die einen in die Arbeit eintreten und nach
kurzer Zeit ernten können, ist ihre Ernte auch wieder nur das Ergebnis von dem, was
andre vor ihnen gearbeitet haben, und nicht das, was sie allein und nur sie getan haben.
Das ist die Ordnung des Leibes Christi. So arbeiten alle Organe am Leibe zum Guten, für
ein und denselben Leib. Und wenn ein Glied am Leib nicht so leistungsfähig ist wie andre
Glieder, so ist es eben schwächlich und muß um so mehr von allen andern berücksichtigt
und gepflegt und nicht beschimpft und mißhandelt werden, etwa deshalb, weil es auf
einmal nicht mehr so leistungsfähig ist, wie es vordem war und wie man es gern von ihm
sehen würde. So kam es durch das wunderbare Walten des Herrn im Leben dieses
samaritischen Weibes dazu, daß sie eine Frucht für das Reich Gottes, eine Brautseele
für den Bräutigam wurde. Durch ihren Wegweiserdienst führte sie viele aus der Stadt zu
Jesu, die ihn dann zu sich nahmen und doppelten Gewinn hatten. Das samaritische Weib
kam und sagte:
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Johannes-Evangelium Teil 3
„Kommt, sehet einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe, ob
dieser nicht der Christus sei!” (Vers 29)
Auf dieses Zeugnis hin kommen sie. Sie sehen, sie prüfen, sie laden ihn ein, zu ihnen zu
kommen, sie hören ihn selbst und können nachher sagen:
„Nun glauben wir nicht mehr um deiner Rede willen; wir haben selbst gehört und
erkannt, daß dieser wahrhaftig der Welt Heiland, der Christus, ist!” (Vers 42)
So konnte sich eine Samariterin den Weg zur Braut Christi bahnen. Aus dem eigenen
Volke Jesu, in Jerusalem, dort, wo seine Nächsten waren, wo Johannes als sein
Vorläufer war, fand sich niemand, dem er dienen konnte. Aus dem eigenen Verwandtschaftshaus bleibt der Sohn seiner Verwandten Elisabeth zurück und läßt Jesum
seinen Weg mit einigen Jüngern allein ziehen, er bleibt mit seinem Anhang zurück. In
Samaria dagegen kann Jesus durch ein sündiges Weib den Eingang finden, den er in
Jerusalem nicht gefunden hat.
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Siehe auch Predigt Nr.0055
Der Unterschied zwischen Johannes dem
Täufer, Herodes gegenüber, und der Art
und Weise, wie Jesus der Samariterin
begegnet
„Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkennetest die Gabe Gottes, und
wer der ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken! du bätest ihn und er gäbe dir
lebendiges Wasser! Das Weib spricht zu ihm: Herr, du hast ja kein Gefäß, und
der Brunnen ist tief; woher hast du denn das lebendige Wasser? Bist du größer
als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus
getrunken hat, samt seinen Söhnen und seinem Vieh? Jesus antwortete und
sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber
von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht
dürsten; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer
Quelle des Wassers werden, das bis ins ewige Leben quillt. Das Weib spricht zu
ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, auf daß mich nicht dürste, und ich nicht hieher
kommen müsse, um zu schöpfen! Jesus spricht zu ihr: Gehe hin, ruf deinen
Mann und komm hieher!“ (Joh.4,10-16)
Johannes der Täufer hat dem Herodes seine Sünden deshalb vorgehalten, weil er
sich als Wegbereiter des Herrn nicht treu zu dem Lamm Gottes gestellt hat, auf das
er das Volk Gottes in seiner Verkündigung hingewiesen hat, das heißt, weil
zwischen ihm und dem Lamm Gottes eine Scheidung erfolgt war
Weil Johannes, als Wegbereiter des Herrn, Herodes nicht auf das Lamm Gottes
hingewiesen hat, sondern ihn um seiner Sünden willen nach dem Gesetz richtete,
darum konnte er nicht zu denen gehören, die als Braut des Lammes das ewige
Leben erlangen sollen
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Johannes-Evangelium Teil 3
Zum Unterschied von Johannes dem Täufer bekennt sich Jesus einem sündigen
Weib gegenüber zur Gnade seines himmlischen Vaters und vermittelt dadurch dieser
Sünderin das Wasser des Lebens
Wir wollen darauf achten, was Jesus mit der Samariterin am Jakobsbrunnen geredet hat,
um den Unterschied recht erkennen zu können, der zwischen ihm und seinem
Wegbereiter, Johannes dem Täufer, besteht. Beide Männer stehen mit Weibern in
Verbindung, die im Ehebruch lebten. Johannes sagte dem König Herodes, daß er seines
Bruders Weib, Herodias, nicht haben dürfe; und Jesus sagte der Samariterin, daß sie fünf
Männer gehabt habe und der Mann, den sie zur
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Zeit habe, nicht ihr Mann sei. Nun müssen wir darauf achten, wie sich Johannes Herodes
gegenüber verhalten hat, und wie sich Jesus der Samariterin gegenüber verhielt.
Als die Samariterin zum Brunnen kam, um Wasser zu schöpfen, sprach Jesus zu ihr:
„Gib mir zu trinken!”
Er war mit der Samariterin allein. Seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Speise
zu kaufen; so hatte er gute Gelegenheit, mit diesem Weib ausführlich zu reden. Daß er
von Anfang an wußte, was für ein Weib die Samariterin war, das bewies er damit, daß er
ihr sagte, was sie ihm nicht sagen wollte.
Es war in jener Zeit nicht üblich, daß Juden mit Samaritern Verkehr pflegten. Jesus
hätte also keinen Grund gehabt, mit der Samariterin zu reden; und daß sein Durst so
unerträglich groß war, daß er nicht auf eine andre Gelegenheit hätte warten oder seine
Jünger hätte veranlassen können, für Wasser zu sorgen, ist nicht anzunehmen. Also
nicht die Not hatte ihn gezwungen - gegen die bestehende Regel der Juden, keinen
Verkehr mit den Samaritern zu pflegen -, von diesem samaritischen Weibe Wasser zu
fordern, zumal er ihr Leben kannte. Wenn Jesus deshalb doch zu dem Weib sagte:
„Gib mir zu trinken!”,
und die Samariterin darauf antwortete:
„Wie begehrst du, ein Jude, von mir zu trinken, die ich ein samaritisches Weib
bin?”,
so beweist das, daß Jesus noch etwas anderes beabsichtigte, als das samaritische Weib
nur um Wasser zu bitten. Er sagt zu ihr:
„Wenn du erkennetest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir spricht: Gib mir
zu trinken! du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser!” (Vers 10)
Auf diese Weise trat Jesus mit dem samaritischen Weib in Verbindung.
Wenn wir nun Jesum und Johannes den Täufer in ihrem Verhalten den im Ehebruch
lebenden Menschen gegenüber miteinander vergleichen, so müssen wir in Betracht
ziehen, was sich auf beiden Seiten ereignet hatte. Jesus hatte die Gegend, in der
Johannes taufte, verlassen, weil sich unter den Pharisäern Eifersucht eingeschlichen
hatte. Sie beobachteten, daß Jesus auch taufte und daß mehr Leute zu ihm kamen als zu
Johannes. Jesus verließ deshalb Judäa und ging wieder zurück nach Galiläa. Auf dem
Weg dorthin machte er bei Sichar, beim Brunnen Jakobs, die Erfahrung mit der
Samariterin. Was für eine Stellung hatte Johannes unterdessen eingenommen, nachdem
er Jesum getauft und Jesus dann Judäa verlassen hatte? Wir
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kennen den Bericht über die Arbeit des Johannes und wissen, daß die Leute zu ihm
kamen, ihre Sünden bekannten und sich von ihm taufen ließen. Darüber ist in Matthäus 3
und 11 und in Lukas 3 berichtet.
Weshalb ist Johannes in das Gefängnis gekommen? Wenn er auch dem Volk
gegenüber, dem er Buße predigte, eine kräftige Sprache geführt hatte, so kam er doch
nicht deshalb ins Gefängnis. Solange er seine Bußpredigten hielt, kamen die Leute zu
ihm, auch wenn er ihnen scharf und bestimmt das Gericht und den Zorn Gottes vor
Augen hielt; aber das alles war nicht die Ursache davon, daß er ins Gefängnis kam.
Solange er seinen Jüngern und dem Volk Jesum als das Lamm Gottes zeigte, das der
Welt Sünde wegnimmt, war für ihn und für das Volk stets der nötige Ausgleich da.
Wie kam es nun, daß er mit dem König Herodes in Verbindung kam, um ihm zu
sagen, daß es ihm nicht erlaubt sei, seines Bruders Weib zu haben? War der König
Herodes auch zu Johannes hinausgegangen? Wollte er sich etwa von ihm auch taufen
lassen? Hat Johannes ihm seine Sünden vorgehalten, um ihn auf die Taufe vorzubereiten? Oder wollte er ihm den Weg zeigen, daß er zur Braut Christi hätte gehören
können? Weder das eine noch das andre trifft zu. Solange Johannes nur mit den Leuten
zu tun hatte, die zu ihm kamen, ging alles gut. Denen konnte er deutlich und derb die
Sünden zeigen, und sie wurden willig, sich würdig oder weniger würdig von ihm taufen zu
lassen.
Doch um dem König Herodes seine Sünden zu zeigen, mußte Johannes zu ihm
gehen. Indem er mit der mosaischen Gesetzesordnung in das Hofleben des Königs
hineinleuchtete, erlosch bei ihm selbst das Zeugnis, das er von Jesu abgelegt hatte. Wir
hören von diesem Zeugnis, das Johannes vordem so klar ausgesprochen hatte, nun
nichts mehr. Die Folge davon war, daß er in das Gefängnis kam und sich Todfeindschaft,
bitteren Haß von selten der Königin Herodias zuzog. Bei ihr war es bald beschlossene
Sache, daß dieser Mann sterben müsse. Das war das Ergebnis der Stellung, die
Johannes zur mosaischen Gesetzesordnung einnahm, als Jesus nicht mehr in jener
Gegend war. Nach dieser Gesetzesordnung mußte Johannes das Sündenleben des
Königs Herodes ins Licht stellen und verurteilen. Aber dadurch zog er sich den Haß der
Herodias zu und mußte dafür seinen Kopf lassen.
Auf dem Weg nach Galiläa, wohin Jesus zog, um dort sein Werk fortzusetzen, das er
durch die Taufe begonnen hatte, begegnet er ähnlichen Verhältnissen. Da ist auch eine
Ehebrecherin. Nur heißt dieses Weib nicht Herodias. Sie ist nicht mit einem König in
Verbindung,
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wenigstens wissen wir nichts davon. Ihre Sünden sind aber nicht geringer als die der
Herodias. Sie lebte auch mit dem Mann eines andern Weibes zusammen. Der Unterschied zwischen Johannes und Jesu ist nun der: Johannes ging zu Herodes, um ihn nach
der Gesetzesordnung über seine Sünden zurechtzuweisen; Jesus knüpft mit der
Samariterin eine zwanglose Unterhaltung an aufgrund der Verhältnisse, wie sie sich auf
seinem Weg gestaltet hatten. Er ging nicht in die Stadt, in der dieses Weib wohnte, um
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ihr nach Gesetzesart ihre Sünden vorzuhalten. Johannes dagegen ging hin zu Herodes,
um ihm sein Unrecht im Zusammenleben mit der Herodias vorzuhalten, ohne ihn zugleich
auf das Lamm Gottes hinzuweisen, das gekommen war, um der Welt Sünde
wegzunehmen. Jesus hat der Samariterin nicht einmal gesagt, daß das, was sie tat, nicht
recht sei. Aber Johannes sagte zu Herodes: Es ist nicht recht, was du tust, daß du deines
Bruders Weib hast. Demgegenüber bestätigte Jesus der Samariterin, als er auf ihren
Lebenswandel zu sprechen kam, zunächst nur ihre eigene Aussage mit den Worten:
„Du hast recht gesagt: Ich habe keinen Mann.” (Vers 17)
Und wenn sie statt fünf Männern fünfzig gehabt hätte, dann hätte Jesus wahrscheinlich
auch nur die Tatsache ausgesprochen: So viele hast du gehabt. Außerdem waren Jesu
Worte, durch die er dem Weib ihre eigene Aussage bestätigte, daß sie keinen Mann
habe, nicht das erste, was er ihr sagte. Vielmehr weist er die Samariterin gleich zu
Anfang seiner Unterhaltung mit ihr auf das lebendige Wasser hin, das er ihr geben wollte.
Auf ihre Einwendung hin, wieso er als Jude mit ihr rede, sagt er zu ihr:
„Wenn du erkennetest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir spricht: Gib mir
zu trinken! du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser!” (Vers 10)
Also hat Jesus in Wirklichkeit nur einen Anlaß gesucht, um in ein Gespräch mit diesem
Weib zu kommen, und zwar zu dem Zweck, um sie auf die Hilfe aufmerksam zu machen,
die ihr durch ihn zuteil werden konnte. Das ist der Unterschied zwischen der
Gesetzesordnung und der neuen Ordnung, die Jesus brachte, zwischen der Ordnung
dessen, was aus dem Geblüt, aus dem Willen des Fleisches und aus dem Willen des
Mannes ist, und dem, was aus Gott geboren ist. Es ist der Unterschied zwischen dem,
was vom Fleisch geboren ist, und dem, was vom Geist geboren ist. Was aus dem Geblüt,
aus dem Willen des Fleisches und dem Willen des Mannes geboren ist und deshalb
Fleisch ist, kam durch Johannes zum Ausdruck. Er konnte im besten Fall die Menschen
zur Buße rufen, als Wegbereiter für den nach ihm Kommenden. Johannes hatte ein
wunderbares Zeugnis über
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Jesum abgegeben, aber er blieb nicht darin. Und sobald es um die praktische Ausführung in seiner Mission ging, konnte er nicht anders, als die Gnadenordnung zu
verlassen, nach der er sein Zeugnis von Jesu abgelegt hatte, und sich wieder auf den
Boden des Gesetzes zu stellen. Und da hatte er kein andres Zeugnis mehr als das:
Wenn du sündigst und unrecht tust, so ist das nach der Gesetzesordnung nicht recht. Er
hätte noch sagen können: Aber ich kenne ein Lamm Gottes, das der Welt Sünde
wegnimmt! Eigenartigerweise hat er das nicht getan. Als er es einmal aussprach: Seht,
das ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegnimmt!, da war Jesus so nahe, daß er
hätte mit dem Finger auf ihn zeigen können. Als aber Johannes vor Herodes stand, war
Jesus nicht mehr in seiner Nähe. Johannes hatte ihn weggehen lassen. Er hatte nicht
dafür Sorge getragen, daß er in Jesu Nähe blieb. Deshalb konnte er auch Herodes
keinen Dienst tun. Selbst wenn Johannes dem Herodes gesagt hätte, daß ein Lamm
Gottes da sei, das der Welt Sünde wegnimmt, und Herodes gefragt hätte: Wo ist es?,
dann hätte Johannes sagen müssen: Ich weiß es jetzt nicht mehr. Und wenn Herodes
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Johannes-Evangelium Teil 3
noch weiter gefragt hätte: Wenn das Lamm Gottes wirklich da ist, warum bist du selbst
nicht bei ihm geblieben?, dann hätte er auch darüber keine Erklärung abgeben können.
Er sagt deshalb zu Herodes nichts von dem Lamm Gottes, weil auch zwischen
ihm und dem Lamm Gottes eine Scheidung erfolgt war
Das Lamm Gottes war in seiner Nähe gewesen, er hätte sich ihm anschließen können;
aber er hat es nicht getan. Damit hörte zugleich sein Zeugnis vom Lamm Gottes
praktisch auf. Das war dann aber auch das Ende seines Lebens.
Der Haß der Herodias brachte es so weit, daß Johannes - als Folge seines Verhaltens nach der Ordnung des Gesetzes - seinen Kopf verlor. Er hat zwar nach dem
Gesetz der göttlichen Ordnung gemäß richtig gehandelt; er hat die Sünde gestraft. Das
konnte er nach dem Gesetz tun. Aber durch diese Handlungsweise war er nicht mehr der
Vorläufer des Lammes Gottes, das der Welt Sünde wegnimmt. Mit dieser Handlung hatte
er den Boden seines Dienstes als der Wegbereiter Jesu verlassen und sich zur
Gesetzesordnung gestellt. Damit war sein Leben besiegelt, d.h. abgeschlossen. Jesus
mußte wachsen, und Johannes mußte abnehmen. Johannes ging lieber den Weg, auf
dem er nicht zu denen gehören konnte, die als Braut des Bräutigams das ewige Leben
erlangen sollen.
Was demgegenüber Jesus tat, war der Ausdruck dessen, was er als den Willen
seines himmlischen Vaters darstellte. Johannes wußte, daß Jesus das ewige Leben
brachte; er wollte es aber von ihm nicht annehmen. Jesus hat der Samariterin bezeugt,
daß er der Träger und
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Vermittler des lebendigen Wassers als einer göttlichen Gabe sei, denn er sprach zu ihr:
„Wenn du erkennetest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir spricht: Gib mir
zu trinken! du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser!”
So hat Jesus mit seiner Forderung: „Gib mir zu trinken!”, angestrebt, der Samariterin zum
Bewußtsein zu bringen, daß sie mehr braucht als das natürliche Wasser. Er sagt zu ihr:
Du kommst hierher, um Wasser zu holen; du hast aber mehr nötig als dieses Wasser.
„Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem
Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht dürsten; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle des
Wassers werden, das bis ins ewige Leben quillt.” (Vers 13-14)
Mehr braucht er gar nicht zu sagen, denn sobald er auf das lebendige Wasser hingewiesen hatte, sagte das Weib:
„Herr, du hast ja kein Gefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du denn das
lebendige Wasser? Bist du größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen
gegeben und selbst daraus getrunken hat, samt seinen Söhnen und seinem
Vieh?” (Vers 11.12)
Damit beweist dieses Menschenkind Verständnis dafür, daß dieser Jude, der sie als
Samariterin anredet und Wasser von ihr fordert, ihr noch etwas Besonderes sagen will.
Deshalb stellt sie die Frage:
„Bist du größer als unser Vater Jakob?”,
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Johannes-Evangelium Teil 3
kannst du mehr tun als er? Er konnte nur leben, weil er dieses Wasser schöpfen und
trinken konnte. Konnte der Fremde ihr ohne Gefäß besseres, lebendiges Wasser geben?
„Herr, gib mir dieses Wasser, auf daß mich nicht dürste und ich nicht hieher
kommen müsse, um zu schöpfen!” (Vers 15),
bat sie. Und nun kann Jesus ihr dieses Wasser zu trinken geben. Er sagt zu ihr:
„Geh hin, ruf deinen Mann und komm hieher!” (Vers 16)
Aus welchem Grund konnte Johannes der Täufer und später der Ephesusengel nicht zu
Jesu kommen, um Hilfe bei ihm zu finden? Was ist das Hindernis, daß man an einem Ort
stehenbleibt und nicht weiterkommt? An welchem Ort man stehenbleibt, das ist
Nebensache. Das Entscheidende ist nur, daß man an einem Ort stehenbleibt und das,
was man erreichen müßte, nicht erreicht. Für Johannes war es tragisch, daß er nicht in
das Reich Gottes einging, und für den Engel der Gemeinde zu Ephesus war es tragisch,
daß er nicht zur Vollkommenheit, zur Leibesverwandlung gelangte.
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Und doch wäre es für beide möglich gewesen, das zu erreichen, was sie nicht
erreicht haben. Johannes hätte ebensogut ins Reich Gottes eingehen können wie die
Jünger Jesu. Und der Ephesusengel hätte durch Buße die verlorene erste Liebe wiedererlangen können und hätte dann zu essen bekommen vom Baum des Lebens, der im
Paradies Gottes ist (Offb.2,4-7).
Die Samariterin mußte ihren Mann holen.
„Geh hin, ruf deinen Mann und komm hieher!” (Vers 16)
Was muß Jesus wohl veranlaßt haben, diese eigenartige Aufforderung an die Samariterin
ergehen zu lassen? Sicher war sie im Rufen der Männer geübt. Also erwartete Jesus
eigentlich nichts Besonderes von ihr. Sie sollte nur das tun, was sie schon wiederholt
getan hatte. Sie erwiderte ihm:
„Ich habe keinen Mann.” (Vers 17)
Eben deshalb, weil sie keinen Mann hatte, war sie darin geübt, Männer zu rufen. Deshalb
konnte Jesus zu ihr sagen: Deine Kunst, Männer zu rufen, ist durch die Tatsache
bewiesen, daß du fünf Männer gehabt hast, und der Mann, den du jetzt zu dir gerufen
hast, gehört dir nicht rechtmäßig. Das aber, was unrechtmäßig in dein Leben gekommen
ist, mußt du nun zu mir bringen, du mußt mit deinem Mann zu mir kommen.
Jesus hatte durch seine Unterweisung Erfolg. Das Weib läßt, nachdem Jesus
ausgeredet hat, den Wasserkrug stehen, läuft in die Stadt und sagt:
„Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt, was ich getan habe, ob
dieser nicht der Christus sei!” (Vers 29)
Die Leute, die auf dieses Wort hin aus der Stadt herauskamen, brauchten Jesum
genauso wie die Samariterin. Sie alle kannten gewiß das Leben dieses Weibes, und
gerade deshalb wurden sie neugierig. Das war ein guter Missionserfolg; eine ganze Stadt
bekehrte sich zu Jesu.
Weil Johannes der Täufer dem Ehebrecher Herodes und der Ehebrecherin Herodias
aber die Gesetzesordnung vorgehalten hatte, kostete es ihn sein Haupt.
Die Samariterin lebte in den gleichen Sünden, aber sie wurde durch Jesu Verhalten
ihr gegenüber nicht zum Haß gereizt, sondern sie konnte das Wasser des Lebens
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Johannes-Evangelium Teil 3
trinken, das Jesus ihr angeboten hatte. Sie ging auf die Worte Jesu ein. Der Widerstand
war gebrochen, und was Jesus ihr sagte, nahm sie willig an. Sie sagte zu ihm:
„Herr, ich sehe, daß du ein Prophet bist! Unsre Väter haben auf diesem Berg
angebetet; und ihr sagt, zu Jerusalem sei der Ort,
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da man anbeten soll. Jesus spricht zu ihr: Weib, glaube mir, es kommt die
Stunde, da ihr weder auf diesem Berg, noch zu Jerusalem den Vater anbeten
werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das
Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die Stunde und ist schon da, wo die
wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn
der Vater sucht auch solche Anbeter. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen
ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Das Weib spricht zu ihm: Ich weiß, daß
der Messias kommt, welcher Christus genannt wird; wenn derselbe kommt, wird
er uns alles verkündigen. Jesus spricht zu ihr: Ich bin es, der mit dir redet!” (Vers
19-26)
Wie kann eine Ehebrecherin von der Anbetung Gottes reden? Sehen wir, wie leicht man
sich irrt und falsch urteilt, indem man die Sehnsucht und das Verlangen nach Gott nur bei
sogenannten guten Leuten sucht und nicht bei den vermeintlich schlechten! Von den
„guten” Leuten ist man gewohnt, fromme Reden zu hören. Wenn aber Menschen, die
einen schlechten Lebenswandel führen, fromme Worte äußern, dann meint man, sie
heucheln. Wie können sie bei einem solchen Lebenswandel noch von Gott reden? So
denkt man. Die Erfahrung, die Jesus mit der Samariterin gemacht hat, zeigt ein andres
Bild. Ihr schlechter Lebenswandel war kein Hindernis für sie, auf das, was Jesus ihr
sagte, verständnisvoll einzugehen.
Das aber, was Johannes und der Ephesusengel in ihrem Leben getan hatten, wurde
für beide das Hindernis, daß sie den Willen Gottes, den sie kannten, nicht völlig tun
konnten.
Wem gleichen wohl wir in unserem Verhältnis zu Jesu und damit zur Gnade und
Wahrheit - Johannes dem Täufer, dem Ephesusengel oder der Samariterin? Johannes
der Täufer und der Ephesusengel waren Männer, die zu ihrem Gott nach ihrer Meinung
zweifellos eine ehrliche Stellung einnahmen, aber vermutlich gerade aufgrund ihrer
Gotteserkenntnis und Frömmigkeit auf einer bestimmten Wachstumsstufe stehenblieben.
Ganz anders die Samariterin. Sie war wegen ihres anstößigen Lebenswandels von
der anständigen, ehrbaren, gottesfürchtigen Gesellschaft gewiß verstoßen. Aber sie kann
Jesum verstehen und sogar andern Menschen, ja einer ganzen Stadt, Wegweiser zu
Jesu sein. Sie brauchte nun nicht mehr erst hinzugehen und ihren Mann zu holen. Sobald
sie überzeugt war, daß sie diesem Jesu, den sie überraschend schnell als einen
Propheten erkannt hatte, aus ihrem Leben nichts mehr zu enthüllen oder zu verhüllen
brauchte, waren alle Hemmungen,
Seite 51
die das Trinken des lebendigen Wassers aufhalten konnten, beseitigt.
Johannes der Täufer und der Ephesusengel waren in ihrer Stellung zu Gott ehrlich;
aber in bezug auf das, was sie aufgrund ihres Verhältnisses zu Gott und seinem Walten
hätten tun sollen, mangelte ihnen doch die nötige Einsicht und die Willigkeit. Die
Samariterin wurde durch die Beeinflussung von seiten Jesu in dem Sinn ehrlich, daß sie
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Johannes-Evangelium Teil 3
bereit war, in allem, was ihr Leben ausfüllte, bis auf den Grund ihres Herzens im Licht
ihres Gottes zu stehen. Sobald sie diese Ehrlichkeit aufgebracht hatte, ging sie nicht
mehr hin, um einen Mann zu holen, sondern sie holte die ganze Stadt. Sie tat jetzt nur
noch das, was Jesus wollte; Johannes und der Ephesusengel dagegen konnten das nicht
mehr tun. Die Samariterin konnte es tun, weil sie ihr ganzes Leben ins göttliche Licht
hatte stellen lassen. Sie konnte nun ihr Leben im göttlichen Lichte sehen und sich ganz
zu Jesu stellen. Johannes und der Ephesusengel konnten ihr Leben nicht mehr in dem
göttlichen Lichte sehen, wie sie es hätten sehen müssen, und deshalb konnten sie auch
den Schritt, den sie hätten tun müssen, zuletzt nicht mehr tun.
Wo soll man nun anbeten? Haben unsre Väter recht, wenn sie sagen, man solle nur
auf diesem Berg anbeten? Habt ihr recht, daß man nur in Jerusalem anbeten soll? So
fragt die Samariterin. Jesus antwortet ihr zuerst:
„Weib, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berg, noch zu
Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten
an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden.” (Vers 21)
Damit müßte diese Frage für alle, die aufrichtigen Herzens sind, die auf dieselbe Weise
wie das samaritische Weib geführt werden konnten, geklärt sein. Für alle Menschen und
für alle Zeiten liegt das Heil im Schoß des Volkes Gottes. Mit den Worten:
„ … das Heil kommt von den Juden.” (Vers 22),
deutet Jesus gegenüber dem Volk der ganzen zwölf Stämme Israels besonders auf den
Stamm Juda hin, dem er ja entsprossen ist. Geradeso, wie Jerusalem der Mittelpunkt der
Erde ist (vgl.Hes.38,12), so ist das Volk Gottes der Mittelpunkt der ganzen Völkerwelt. Aus
diesem Mittelpunkt kommt das wahre Heil Gottes!
„Aber es kommt die Stunde und ist schon da, wo die wahren Anbeter den Vater
anbeten werden im Geist und in der Wahrheit …” (Vers 23)
Damit ist wieder der Unterschied zwischen der Stellung von Johannes und von Jesu
gezeigt. Johannes bleibt bei der Gesetzesordnung und
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somit auf dem Boden des Fleisches stehen, während Jesus in der Ordnung dessen steht,
was aus Gott und Geist geboren ist; deshalb wird durch ihn die wahre Verbindung mit
Gott offenbar. Gott ist Geist, und die Verbindung mit Gott liegt im Geist aufgrund der
Wahrheit der Erlösung, die darin gesehen werden muß, daß Jesus, des Menschen Sohn,
erhöht wurde, so wie Moses in der Wüste die Schlange erhöhte. Gott kann man nur im
Geist und in der Wahrheit anbeten, und zwar dadurch, daß man im Geist in die Wahrheit
des Opfers Jesu Christi und seine Auferstehung aus den Toten eingeht. Dadurch betet
man Gott im Geist und in der Wahrheit an. Die Ordnung des Fleisches ist nur das Abbild,
der Schatten für die Ordnung des Geistes und der Wahrheit. Gott ist Geist und muß
deshalb im Geist und in der Wahrheit angebetet werden. Deshalb kann man Gott auch
nur dann im Geist anbeten, wenn man auf dem Grund der Wahrheit der Erlösung steht,
die Jesus vollbracht hat. Nun hat die Samariterin nur noch eins zu sagen:
„Ich weiß, daß der Messias kommt, welcher Christus genannt wird; wenn
derselbe kommt, wird er uns alles verkündigen.” (Vers 25)
Kann man sich ein solches Bekenntnis von einer Ehebrecherin vorstellen, die bei allem,
was sie tut, doch mit dem kommenden Christus rechnet und nur darauf wartet, bis er
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Johannes-Evangelium Teil 3
kommt, um von ihm alles zu erfahren, was sie zu tun hat? Und diesem Weib sagt Jesus,
was er bisher noch keinem Menschen, weder der eigenen Mutter, noch seinen Brüdern
und Schwestern, noch seinen Jüngern gesagt hat:
„Ich bin es, der mit dir redet!” (Vers 26)
Was sie bisher erwartet hatte, ist jetzt da, und sie kann annehmen, was Jesus ihr
gesagt hat. Die Samariterin zeigt keinen Widerstand. Ohne zu zögern, anerkennt sie
Jesum als den Messias. Johannes muß sterben, und Jesus vermittelt dem Weib, das
genauso gesündigt hat wie Herodes, das ewige Leben. Was Jesus der Samariterin
gegeben hat, brauchte auch Johannes, aber er bekam es nicht, weil er Jesum nicht
nachfolgte. Weil er Jesu nicht nachfolgte, deshalb konnte Jesus auch nicht so mit ihm
reden wie mit der Samariterin. Deshalb mußte seine Treue, seine Ehrlichkeit in seinem
ganzen, Gott wohlgefälligen, ihm dienenden Leben damit enden, daß er in das Reich
Gottes nicht hineinkam - wie so viele, die ebenso treu waren wie Johannes, auch nicht in
das Reich Gottes hineinkamen. Es ist leichter für ein Kamel, durch ein Nadelöhr zu
kommen, als für einen, der vor Gott reich zu sein glaubt, ins Himmelreich einzugehen. So
sagt Jesus (Mark.10,23-25).
Es gilt, wahrhaft Menschliches und wahrhaft Göttliches voneinander zu unterscheiden. Das hat Johannes nicht getan. Zu den tugendhaften
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Pharisäern sagte Jesus bei einer bestimmten Gelegenheit:
„Wahrlich, ich sage euch, die Zöllner und die Huren kommen eher ins Reich
Gottes als ihr!” (Matth.21,31)
Aufgrund dieser Betrachtung könnten wir wissen, ob für uns die Möglichkeit, vorwärtszukommen, besteht oder nicht. In Jes.57,15 heißt es:
„Denn also spricht der Hohe und Erhabene, der ewig wohnt und dessen Name
heilig ist: Höhe und Heiligtum bewohne ich und den, welcher eines zerschlagenen und gedemütigten Geistes ist, auf daß ich belebe den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen erquicke.”
__________
Seite 54
Siehe auch Predigt Nr.0069
Das Vertrauensverhältnis zwischen Jesu,
dem wahren „Mann”, dem Bräutigam, und
der Samariterin, als Brautseele, führt zur
Erfüllung des göttlichen Heilswillens
„Inzwischen aber baten ihn die Jünger und sprachen: Rabbi, iß! Er aber sprach
zu ihnen: Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennet! Da sprachen die
Jünger zueinander: Hat ihm denn jemand zu essen gebracht? Jesus spricht zu
ihnen: Meine Speise ist die, daß ich tue den WilIen dessen, der mich gesandt hat
und vollbringe sein Werk. Saget ihr nicht: Es sind noch vier Monate, dann kommt
die Ernte? Siehe, ich sage euch, hebet euere Augen auf und beschauet die
Felder; denn sie sind schon weiß zur Ernte.“ (Joh.4,31-35)
Für das Heilswalten Gottes bedeutsame Persönlichkeiten in ihrem
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Johannes-Evangelium Teil 3
unterschiedlichen Verhältnis zu Jesu Christo, als dem Bräutigam, und der
Braut, und zu der Geburt aus dem Geiste
In der Betrachtung dieses Evangeliums stehen in Verbindung mit Jesu einige für das
Heilswalten Gottes bedeutsame Persönlichkeiten vor unsrem Auge.
Zuerst ist es Johannes der Täufer, der Vorläufer Jesu, sein Wegbereiter, der durch
sein Evangeliumszeugnis die Reihe dieser Persönlichkeiten eröffnet. Nachdem Johannes
Jesum getauft hatte, schließen sich die Jünger Jesu an, indem sie in seine Nachfolge
treten. Bei der Hochzeit zu Kana tritt dann die Mutter Jesu durch ihr mütterliches
Mitsorgenwollen in Erscheinung. Anschließend an die Tempelreinigung in Jerusalem wird
Jesus bei Nacht von Nikodemus besucht. Dieser Besuch hat die persönliche Einstellung
dieses Mannes offenbar gemacht.
So haben wir die folgenden Persönlichkeiten in ihrer jeweiligen Stellungnahme im
Verhältnis zu Jesu zu beachten: Johannes der Täufer, die Jünger Jesu, die Mutter Jesu
und die Menschen, die an Jesum glaubten um der Zeichen willen, die er tat. Der Vertreter
dieser Menschen ist Nikodemus.
Im Mittelpunkt der mit diesen Persönlichkeiten verbundenen Erlebnisse steht die
Hochzeit zu Kana. Das Zeugnis des Johannes veranlaßte einige seiner Jünger, Jesum,
dem Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegnimmt, nachzufolgen. Mit diesen Jüngern nicht mit
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Johannes, sondern nur mit seinen Jüngern - wird Jesus dann in Kana zur Hochzeit
geladen.
Jesus benutzt die nach der Naturordnung erfolgte Hochzeit als Abbild für die wahre
himmlische Hochzeit zwischen dem Himmelsbräutigam und seiner Braut und
veranschaulicht bei dieser Gelegenheit, was für ein Unterschied zwischen Wasser und
Wein ist, indem er Wasser in Wein umwandelte.
In Kana hatten die Hochzeitsleute keinen Wein mehr. Sie hätten sich mit Wasser
begnügen müssen, wenn nicht Jesus für sie das Wasser in Wein umgewandelt hätte. Bei
der himmlischen Hochzeit besteht keine Gefahr, daß der Wein fehlt; denn zu der Zeit,
wenn diese Hochzeit gefeiert wird, ist genügend Wasser in den besten Wein
umgewandelt.
Nach der bedeutsamen Erfahrung bei der Hochzeit zu Kana folgt die Unterweisung
über die neue Geburt, die Jesus Nikodemus gab. Johannes, der Schreiber dieses
Evangeliums, hat diese Ordnung bereits an den Anfang des Evangeliums gestellt, indem
er darauf hinwies, daß ein Unterschied besteht zwischen dem, was aus dem Geblüt, aus
dem Willen des Fleisches, aus dem Willen des Mannes ist, und dem, was aus Gott
geboren ist. Diesen Unterschied erklärt nun Jesus Nikodemus gründlich, um ihm zu
zeigen, daß das, was vom Fleisch geboren ist, das Reich Gottes nicht sehen, noch in
dasselbe eingehen kann.
Wenn dieses Ziel, das Reich Gottes, erlangt werden soll, dann ist das nur auf
dem W0pöleg der Geburt aus Gott und Geist möglich
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Johannes-Evangelium Teil 3
Dabei muß klar unterschieden werden zwischen dem, was vom Fleisch geboren ist,
einerseits, und dem, was die Ordnung des Geistes darstellt und was aus Gott und Geist
geboren ist, anderseits.
Die von Moses in der Wüste erhöhte Schlange als Vorbild für die Geburt aus
dem Geist
Diesen Unterschied nun versucht Jesus dem Nikodemus, einem Lehrer des Volkes
Israel, klarzumachen, indem er auf die Bedeutung der Schlange hinweist, die Moses, der
Führer des Volkes Gottes, in der Wüste erhöhte. Durch Moses, den Gott an die Spitze
seines Volkes gestellt hatte, wurde dem Volke Gottes abbildlich der wahre göttliche
Heilsweg offenbart. Jesus hat auf das Abbild jener Handlung, die Moses in der Wüste
ausführen mußte, wohl aus dem Grund hingewiesen, weil er von Nikodemus, einem
Lehrer Israels, Verständnis für diese ihm vertraute Illustration erwartete, so daß er
dadurch besser verstehen sollte, auf welche Weise die neue Geburt, die
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Geburt aus Gott und Geist, erfolgen muß. Es sollte ihm als Antwort auf seine Frage
klarwerden, auf welche Weise alte Menschen noch einmal in den Mutterleib eingehen
können, um von neuem geboren zu werden. Er sollte diesen Mutterleib in dem Sinn
kennenlernen, daß das, was vom Fleisch geboren ist, Fleisch ist, weil es von Erde
gebildet ist. Nikodemus sollte verstehen lernen, daß die ganze erd- und fleischgeborene
Schöpfung von Gott um der Sünde willen verurteilt ist und durch den Tod wieder zu Erde
werden muß (1.Mos.3,19). Das schattet die von Moses in der Wüste erhöhte Schlange vor.
Alle, die ihren Glaubensblick auf sie richteten, sollten von den tödlichen Schlangenbissen
geheilt werden. Diese erhöhte Schlange ist der Hinweis auf den Weg, der dem
Menschensohn verordnet war, der für alle Menschen zur Sünde gemacht wurde
(2.Kor.5,21).
Dieser Schlange gleich, mußte Jesus am Kreuz erhöht werden, damit alles,
was unter dem Fluch der Sünde war, auf diese Weise beseitigt würde. Durch
die Auferstehung Jesu aus den Toten ist dann ein Neues geworden, eine
neue Geburt aus Gott und Geist
Deshalb geht jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren, sondern hat ewiges Leben.
Johannes der Täufer hat in seinem Dienst als Wegbereiter des Herrn auf die
Geburt aus dem Geist hingewiesen, aber er ging nicht auf diese Ordnung ein
Das bezeugt nun auch Johannes der Täufer, und zwar seinen Jüngern gegenüber, die
eifersüchtig geworden waren deshalb, weil Jesus mit seinen Jüngern auch angefangen
hatte, in ihrer nächsten Nähe zu taufen. Das betrachteten sie als eine gewisse
Konkurrenzarbeit. Sie sollten sich an das erinnern, was er ihnen bereits gesagt hatte,
nämlich daß er, Johannes, nicht der Christus sei, sondern nur vor ihm hergesandt. Es
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Johannes-Evangelium Teil 3
sollte ihnen klarwerden, daß der der Bräutigam ist, der die Braut hat, während der Freund
des Bräutigams nur dasteht, ihn hört und sich über des Bräutigams Stimme freut.
„Diese meine Freude ist nun erfüllt.” (Joh.3,25),
bezeugt Johannes. In diesen Worten wird seine Demutsstellung offenbar. Sie wird dann
noch erhärtet durch das sich anschließende Zeugnis:
„Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.” (Joh.3,30)
Das in diesen Worten angedeutete Geheimnis erklärt er dann noch genauer. Er
unterscheidet zwischen dem, der von oben kommt und über allem ist, und dem, der von
der Erde ist und von der Erde redet. So weist er klar darauf hin, daß, wer das Zeugnis
über den vom Himmel gekommenen Bräutigam nicht annimmt, nicht zur Braut des
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Bräutigams gehört. Denn die Braut bestätigt durch ihr gläubiges Annehmen des
Zeugnisses des Sohnes Gottes, daß Gott wahrhaftig ist. Denn wen Gott gesandt hat,
sagt Johannes weiter, der redet die Worte Gottes; und wer an den Sohn glaubt, hat
ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern
der Zorn Gottes bleibt auf ihm. Dieses Zeugnis beweist, daß Johannes der Täufer in
vollkommener Übereinstimmung ist mit den Worten Jesu, wenn er Nikodemus hinweist
auf die Stellung des erhöhten Menschensohnes und auf den Glauben an den
eingeborenen Sohn Gottes, wodurch man nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben hat.
Johannes konnte ebenso klar wie Jesus selbst, wenn auch mit andern Worten, die
Ordnung des Fleisches und die göttliche Ordnung des Geistes, das, was von der Erde ist
und das, was vom Himmel kommt, voneinander unterscheiden. Er konnte seinen Jüngern
genauso klar und bestimmt den Weg zum Reich Gottes zeigen wie Jesus, aber er selbst
kam nicht ins Reich Gottes hinein. Jesus muß in der Zeit, als Johannes im Gefängnis
war, bezeugen, daß dieser Johannes größer sei in Gottes Walten als alle Propheten, ja,
der Größte, von Weibern geboren, und doch geringer als der Kleinste im Reiche Gottes
(Matth.11,11). Er war Wegweiser zum Reich Gottes und konnte doch selbst nicht ins Reich
Gottes eingehen; er war Freund des Bräutigams, der die Braut hat, aber er selbst gehörte
nicht zur Braut. Er mußte sich gegen die falsche Auffassung wehren, daß er selbst der
Bräutigam, der Christus, sei, auch gegen die Vermutung, er sei Elias oder ein Prophet.
Und es scheint fast, als versäumte er den völligen Anschluß an Jesum aus Furcht, man
könnte ihn etwa für den Bräutigam und für Christum ansehen. Jedenfalls versäumte er
es, sich der Schar der Jünger des Bräutigams anzuschließen, um dadurch, vereint mit
der Braut, zum Bräutigam zu gehören. So war er ein treuer Wegweiser für andre, und
selbst ging er den Weg, den er andern so klar zeigen konnte, nicht mit. Man kann also
unter Umständen andern besser dienen als sich selbst. Wir trösten uns oftmals damit,
daß dies nur bei solchen Menschen möglich sei, die noch keine Kinder Gottes sind; wenn
wir aber in Betracht ziehen, daß sogar der Vorsteher der Gemeinde zu Ephesus, als
treuer Zeuge des Reiches Gottes, eine ähnliche Erfahrung durchgemacht hat wie
Johannes, so belehrt uns das, wie ernst und gefährlich es für Kinder Gottes ist, mehr
Erkenntnis zu haben, als praktisch für sich zu verwerten. Johannes der Täufer hat selbst
die Worte ausgesprochen, daß Gott dem Abraham aus Steinen Kinder erwecken könne
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Johannes-Evangelium Teil 3
(Matth.3,9).
Ob es ihm nie zum Bewußtsein gekommen ist, daß auch er ein solches Kind
Abrahams werden könnte? An Johannes wird uns der Unterschied klar zwischen der
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erlangten Erkenntnis und der Verwirklichung dieser Erkenntnis. Johannes hatte zwar die
Erkenntnis von der Ordnung des Reiches Gottes in Verbindung mit der neuen Geburt,
aber diese Ordnung hat sich in seiner Person, in seinem Leben nicht ausgestaltet. Er
blieb auf dem Boden der Naturordnung des Fleisches stehen. Der Ephesusengel hatte
die Erkenntnis von der Vollkommenheit im Reich Gottes, die in der Leibesverwandlung
ihre Krönung erfährt, aber diese Erkenntnis hat sich in seinem Leben auch nicht
verwirklicht. Johannes der Täufer konnte nicht in das Reich Gottes eingehen, das er doch
so gut kannte. Und der Ephesusengel konnte nicht heranreifen zur Vollendung im Reich
Gottes, d.h. zur Verwandlung seines Leibes, obwohl ihm dieses Endziel gut bekannt war.
Johannes der Täufer hilft durch seine Erkenntnis und sein klares Zeugnis im Bau des
Reiches Gottes mit, den Anfang zu machen, aber erfahrungsmäßig hatte er daran keinen
Anteil. Der Ephesusengel war, solange er in der ersten Liebe stand, nahe daran, durch
Essen vom Baum des Lebens im Paradiese Gottes die Aufrichtung des Reiches Gottes
zum Abschluß zu bringen, aber erfahrungsmäßig konnte er dieses Ziel nicht erlangen.
Die Samariterin, mit der Jesus am Jakobsbrunnen zusammentraf, stellt sich in
ihrem Verhältnis zu Jesu zu der Geburt aus dem Geist und ist dadurch Vorbild
für das Verhältnis der Braut zum Bräutigam
Gott zeigt uns nun noch eine weitere Person: die sündige Samariterin, die er für seinen Heilsweg mit den Menschen gebrauchen konnte. Sie hatte fünf Männer gehabt, und
der, den sie zu der Zeit hatte, als Jesus ihr begegnete, war nicht ihr Mann. Sie mußte nun
für ihre Volksgenossen illustrieren, wie man von einem Mann, der nicht der einer Frau
rechtmäßig anvertraute Mann ist, nach der göttlichen Ordnung in die Brautstellung zum
rechten Mann kommt, um mit ihm eins zu werden und ihn für immer zu besitzen. Jesus
war allein mit der Samariterin; die Jünger waren in die Stadt gegangen, um Speise zu
kaufen. Die Samariterin wußte, was es bedeutete, daß sich Jesus als ein Jude mit ihr ins
Gespräch einließ. Sie war genau darüber im Bilde, was für ein Abstand war zwischen den
an Gott gläubigen Juden und den Samaritern. Sie sagte zu Jesu:
„Wie begehrst du, ein Jude, von mir zu trinken, die ich ein samaritisches Weib
bin?” (Vers 9)
Sie sagt nicht: ... die ich eine Ehebrecherin bin, einen Mann habe, der nicht rechtmäßig
mein Mann ist. Aber Jesus wußte es trotzdem, und eigenartig: Gerade durch dieses Weib
konnte er seine Mission erfüllen. Zu ihr sagte er:
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„Fünf Männer hast du gehabt, und den du nun hast, der ist nicht dein Mann.”
(Vers 18)
In Verbindung mit dieser Frau konnte Jesus klarmachen, was es bedeutet, daß es ihm
nicht darum zu tun war, von dem zu essen, was seine Jünger in der Stadt für ihn
eingekauft hatten, sondern den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hatte, um sein
Werk zu vollbringen. Dafür hatte er keinen besseren Betätigungsboden als bei den
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Johannes-Evangelium Teil 3
Samaritern, insbesondere im Umgang mit diesem samaritischen Weib, zu dem er sagen
konnte:
„Fünf Männer hast du gehabt, und den du nun hast, der ist nicht dein Mann.”
(Vers 18)
In Joh.10,16 stehen die Worte:
„Ich habe noch andre Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch diese muß ich
herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein
Hirte werden.”
Welches diese andern Schafe sind, die Jesus noch herzuführen muß, das beweist er
gerade im Lande der Samariter. Dort will er zeigen, daß die andern Schafe des zerstreuten Nordreichs Israel andre Männer hatten, daß dieser Teil des Volkes Gottes, die
zehn Stämme im Nordreich, die sich vom Südreich Juda, vom Hause David und der
göttlichen Tempelordnung abgesondert hatten, in einer Stellung waren, in der der Mann,
den sie glaubten, rechtmäßig zu haben, nicht der ihnen von Gott bestimmte Mann war.
Seit der Trennung der beiden Reiche Israels hat sich das Nordreich an den Baal gehängt.
Es hat also einen Mann gesucht, der für das Volk Gottes nicht der Mann nach der
gottgewollten Ordnung ist, sondern ein Götze. Sobald die Trennung der beiden Reiche
vollzogen war, hat der König des Nordreichs dafür Sorge getragen, daß sein Volk vom
Nordreich aus nicht mehr der göttlichen Ordnung gemäß nach Jerusalem gehen mußte,
um Gott anzubeten. Deshalb richtete er für sein Reich Anbetungsstätten in Bethel,
außerdem eine an der Südgrenze und eine andre an der Nordgrenze seines Reiches auf.
Auf diese Weise hielt er sein Volk von der wahren Ordnung, die Gott seinem Volk durch
den Tempel in Jerusalem gegeben hatte, ab und verleitete es zum Götzendienst. Seither
hatte dieser Teil des Volkes Gottes nicht mehr seinen Gott als den Mann, den Gott selbst
für sein Volk bestimmt hatte. Der Mann, den das Volk nebst allen andern Männern,
denen es schon diente, zu der Zeit hatte, in der sich Gott seines Volkes annehmen
wollte, war nicht ihr richtiger Mann. Es ist beim Volke Gottes ähnlich wie bei der
Samariterin. Deshalb konnte Jesus durch dieses Weib, die Samariterin, so klar zeigen,
was für ihn der Wille Gottes war. Er konnte es den Seinen im Volk Gottes an dem
Erleben mit der
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Samariterin illustrieren, was für ihn die Speise war, die er genießen mußte, ohne daß
seine Jünger etwas davon wußten. Von diesem Willen Gottes, den er zu tun hatte, für
sein Weib, für das Volk Gottes der gottgewollte Mann zu werden, für die Braut der
Bräutigam zu sein, wußten seine Jünger noch nichts. Johannes wußte den Weg zu
dieser Ordnung. Das Zeugnis, das er darüber ablegte, war unantastbar. Es entsprach in
jeder Beziehung dem Zeugnis Jesu, das er selbst von dieser Ordnung ablegte; und doch
blieb Johannes von dieser Gottesordnung fern. Er kam in die Verbindung des Bräutigams
mit der Braut und der Braut mit dem Bräutigam nicht. Er blieb dem Reiche Gottes fern.
Ganz anders die Samariterin. Deshalb muß uns das, was Jesus dieser Samariterin sagte,
richtunggebend sein, um die Ordnung des Reiches Gottes zu erkennen.
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Johannes-Evangelium Teil 3
Das Vertrauensverhältnis der Samariterin zu Jesu, wie es sich im Gespräch mit
ihm so schnell und reibungslos ergab, müssen wir als Grundlage für die Stellung
der Braut zum Bräutigam, für die Verbindung des Weibes mit dem ihr rechtmäßig
zugehörenden Mann erkennen
Was Jesus der Samariterin sagt, hatte er bis dahin in dieser Weise noch nicht ausgesprochen. Und die Glaubens- und Vertrauensstellung, die die Samariterin zu ihm eingenommen hat, hatte bis dahin auch noch niemand, auch nicht seine eigene Mutter oder
seine Jünger eingenommen. Was durch die Herzensstellung der Samariterin und ihr
Verhalten offenbar wurde, daß das Feld reif zur Ernte ist, daß sie, bewußt oder
unbewußt, im Blick auf das Verhältnis der Braut zum Bräutigam eine ganze Stadt in
Bewegung setzen konnte, ist bis dahin auch noch nicht geschehen.
Das Vertrauen, das Jesus zur Samariterin beweist und das Vertrauen der
Samariterin zu Jesu liefert uns in einmaliger Weise Stoff, um das Verhältnis von
Bräutigam und Braut zu studieren
Wir können im Zeugnis von Johannes dem Täufer den Weg zum Reich Gottes erkennen.
Wir können in der Stellung von dem Ephesusengel den Weg zur Vollendung in der
Leibesverwandlung studieren. Aber weder in der Glaubensstellung Johannes des Täufers
noch in der Glaubensreife des Ephesusengels wird das persönliche Verhältnis zum
himmlischen Bräutigam offenbar, wodurch sich der Wille Gottes hätte verwirklichen
können. Johannes bezeugt zwar erkenntnismäßig den Anfang der göttlichen
Geheimnisse auf dem Weg zum Reich Gottes in einzigartiger Klarheit, aber er selbst ging
diesen Weg nicht mit. Und der Ephesusengel hat eine vollkommen klare Erkenntnis über
die Erfüllung des göttlichen Willens in der Leibesverwandlung als Ende des Weges zum
Reich Gottes, aber er selbst kann dieses
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Endziel nicht erreichen. An einer bestimmten Stelle weist das Leben dieser beiden
Gottesmänner einen Stillstand auf. Bis dahin waren sie ihres Gottes brauchbare
Werkzeuge, und dann mußte Gott sie beiseite setzen. Das ist praktisch bis heute noch
aller Kinder Gottes Erfahrung geblieben - ausgenommen die Trankopfer. An einem
bestimmten Punkt angelangt, konnte Gott sie nicht weiter gebrauchen. Zu dem
Ephesusengel hat der Herr gesagt: Wenn du nicht Buße tust, so werde ich dir kommen
und deinen Leuchter von seiner Stelle stoßen! (Offb.2,5). So klar lauten direkte
Offenbarungen des Herrn an seinen Knecht, aber alles bleibt erfolglos. Der Ephesusengel konnte das ihm verheißene Ziel, zu essen vom Baum des Lebens, der im
Paradiese Gottes ist, nicht erreichen.
Bei Johannes dem Täufer sowohl als auch bei den Jüngern und der Samariterin handelt es sich noch nicht gleich um das Erreichen des Endziels, der Leibesverwandlung,
sondern vielmehr um die anfängliche Stellungnahme in der Nachfolge Jesu.
Was nun Johannes der Täufer nicht erreicht hat, und was die Jünger, die bis dahin
Jesu nachgefolgt waren, noch nicht sehen konnten, das ging der Samariterin sozusagen
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Johannes-Evangelium Teil 3
in einem Augenblick auf. Darum ist es interessant, hineinzuschauen in das Geheimnis
der aufrichtig verlangenden Herzensstellung dieses Weibes, die zur Folge hatte, daß das
Wort Gottes, Jesu Wort, bei ihr wirken konnte.
Wir haben da wieder zwei Bilder, an denen wir studieren können. Da ist zuerst
Johannes der Täufer. Nachdem er Jesum getauft hatte und Jesus mit seinen Jüngern
auch taufte, wurden die für die Arbeit des Johannes interessierten Pharisäer eifersüchtig
(vgl.Joh.1,19-24). Da legte Johannes zum letzten Mal Zeugnis über Jesum ab. Dann ließ er
Jesum aus dem Land wegziehen in ein anderes Land nach Galiläa, damit er dort
weiterarbeite. Aber Johannes selbst blieb auch nicht in seiner Arbeit. Er verließ den
Boden des Zeugnisses der Wegbereitung für Jesum, ging zum König Herodes und
predigte ihm das Gesetz Moses. Er sagt dem Herodes: Es ist nicht recht, daß du deines
Bruders Weib hast. Nur versäumte er, ihm zu sagen: Für solche, die, wie du, ihres
Bruders Weib haben, ist ein Lamm Gottes da, das der Welt Sünde wegnimmt. Wenn ein
Weib einen falschen Mann hat, so gibt es für ein solches Weib auch einen rechten Mann;
und wenn ein Mann ein falsches Weib hat, gibt es für einen solchen Mann auch ein
rechtes Weib. Das sagte Johannes dem Herodes nicht, obgleich er es hätte sagen
können; denn er wußte es. Vielleicht hätte ihm Herodes dann gesagt: Hast du selbst
denn schon deinen rechten Mann und dein rechtes Weib? Dann hätte Johannes sagen
müssen: Ich habe zugesehen, wie mir Mann und Weib
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weggelaufen sind. Der Bräutigam war da, ich hätte mich ihm anschließen können, und
die Brautschar war auch in meiner Nähe, ich hätte mich auch dazu halten können. Beides
habe ich nicht getan. So hat Johannes von dieser Ordnung einfach nichts mehr gesagt,
und nicht lange darnach hat er sie auch nicht mehr klar gesehen. Denn er schickt Boten
zu Jesu und läßt fragen:
„Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?” (Matth.11,3)
In welche Dunkelheit und Unklarheit ist er durch seinen falschen Weg, den er ging,
hineingeraten! Das Licht, das er vom Reich Gottes, vom Bräutigam und der Braut gehabt
hat, ist in den vier Wänden des Gefängnisses für ihn verschwunden. Er hat durch sein
Gesetzeszeugnis den Haß der Herodias in einem solchen Maß gegen sich
heraufbeschworen, daß er den Folgen dieses Hasses nicht mehr entfliehen konnte. Es
kostete ihn den Kopf. Das war nicht der Wille Gottes, daß Johannes dem Herodes seine
Ehebruchssünden vorhielt. Johannes war nicht dazu bestimmt, Vertreter der mosaischen
Ordnung zu sein. Er war vielmehr Vorläufer einer neuen Ordnung, der Wegbereiter Jesu,
des Lammes Gottes, das erschienen war, um die Sünde der Welt wegzunehmen. Er
wußte, daß dieses Lamm Gottes da war. Deshalb hatte er mit dem Dienst des
Hohenpriesters nach dem Gesetz, mit dem Dienst der Priester und der Levitenordnung
nichts zu tun. Er hatte einen größeren Dienst ausgerichtet, als es bisher alle Propheten in
ihrem Hinweis auf das Lamm Gottes getan hatten. Wenn ihn sein Dienst, den er bis dahin
hatte so treu ausrichten können, in die Nachfolge Jesu gebracht hätte, dann wäre er mit
den Jüngern Jesu am Jakobsbrunnen gewesen und nicht im Gefängnis des Herodes.
Dann hätte er es miterleben können, wie Jesus mit den Ehebrechern umgeht, und er
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Johannes-Evangelium Teil 3
hätte den Fehler, der ihm unterlief, indem er auf dem Boden des Gesetzes blieb und
ausschließlich Gesetz predigte, vermeiden können. Er hätte die ihm bekannte Ordnung
der neuen Geburt aus Gott und Geist nicht völlig übersehen und hätte nicht nur von der
Naturordnung des Fleisches geredet. Sehen wir, das ist der Unterschied zwischen
Erkenntnis einerseits und praktischer treuer Stellungnahme gemäß der erlangten
Erkenntnis anderseits. In dem Verhältnis zwischen Jesu und der Samariterin tritt das
Gesetz nicht in Erscheinung. Aber nicht etwa aus dem Grunde, weil Jesus gesagt hätte,
die Samariter seien für die Gesetzesordnung nicht würdig genug, oder sie hätten als
Mischvolk mit der reinen mosaischen Gesetzesordnung nichts mehr zu tun.
Wenn es uns klargeworden ist, daß Jesus der Samariterin mehr geben konnte
als jedem andern ihm bis dahin begegneten Juden,
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dann verstehen wir auch, daß sein Volk der zehn Stämme im Nordreich das
Evangelium des Heils, das er zu bringen hat, eher erfahren wird als sein eigenes
Stammhaus Juda, das Südreich Juda.
Er wendet sich von seinem Volk in Judäa weg, läßt dort seinen Vorläufer Johannes sein
Werk weiterführen und in die Gesetzesordnung zurücksinken. Jesus selbst führt seine
Arbeit unter den Samaritern weiter, wendet sich dem Teil des Volkes Gottes zu, das sich
von der göttlichen Ordnung, wie sie der Tempeldienst in Jerusalem darstellte, völlig
gelöst hatte und in den Götzendienst versunken war. Nun hat aber Jesus in der
Samariterin nicht etwa einen Menschen gesehen, der für Gottes Grundordnung, das
Gesetz, unwürdig war. Vielmehr hat er aus einem andern Grund das Gesetz
ausgeschaltet.
Mußte er doch seinem Volk zeigen, daß er nicht gekommen war, die Welt zu
richten, sondern zu retten (Joh.3,17).
Deshalb hat er nicht die Worte gebraucht, wie sie Johannes dem Herodes gegenüber
brauchte. In bezug auf ihr Zeugnis über das Reich Gottes waren sich beide Männer:
Johannes und Jesus, einig. Sobald es sich aber darum handelte, nach der Gesetzesordnung auf Sünde hinzuweisen, gingen ihre Wege auseinander. Johannes sagt dem
Ehebrecher Herodes: Es ist nicht recht, was du tust. Jesus sagt zu der ehebrecherischen
Samariterin: Das hast du getan, das tust du. Fünf Männer hast du gehabt, und den du
nun hast, der ist nicht dein Mann. Jesus hat zur Samariterin nicht gesagt wie später zu
jenem jüdischen reichen Jüngling: Du kennst ja die Gebote. Er hat dieses Weib nicht auf
die mosaischen Gebote verwiesen und gesagt: Um deiner Sünde, um deines sündigen
Lebenswandels willen bist du unter dem Fluch und unter der Verdammnis. In seinem
vorausgehenden Zeugnis hat Johannes zum Volk auch nicht gesagt, daß die Menschen
deshalb, weil sie die Gebote Gottes übertreten, verdammt und unter dem Fluch Gottes
seien. Er hat vielmehr gesagt: Wer nicht an den Sohn Gottes glaubt, auf dem bleibt der
Zorn Gottes (Joh.3,36). Das hat er aber zu Herodes nicht gesagt. Was er dem Herodes
sagte, war buchstäbliche Gesetzesordnung: Du machst entweder Schluß mit deinem
ehebrecherischen Leben, oder du mußt die Folgen deiner Handlungen: Gottes Strafe und
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Johannes-Evangelium Teil 3
Zorngericht tragen. Das war der Sinn seiner Worte. War es da ein Wunder, daß die
Herodias so in Zorn geriet, daß sie anfing, Intrigen zu schmieden so lange, bis sie den
Kopf dieses Mannes auf der Schüssel vor sich hatte? Hat diese Gefahr auch Jesu
gedroht, weil er einem Weib, das in gleicher Weise wie Herodias gesündigt hatte, in
ebenso klarer und bestimmter Weise wie Johannes - allerdings ohne sie zu verurteilen alles sagte, was sie getan
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hatte? Für Herodias wurden die Worte des Johannes Ursache zum. Haß gegen den
Boten Gottes. Für die Samariterin dagegen wurden die Worte Jesu Ursache, nach dem
Leben zu verlangen, das Jesus ihr darreichen wollte. Gehörte Johannes überhaupt in die
Umgebung des Königs Herodes? Hatte er dort etwas zu suchen? Hatte er dort eine
Mission auszurichten, die ihm von Gott übertragen war? Nichts von alledem. Er war dort
nicht an dem Platz, an dem Gott ihn haben wollte. Daß er sich an diesen Platz begeben
hatte, kostete ihn das Leben. Jesus bezeugt in Verbindung mit der Samariterin: Ich habe
eine Speise, von der ihr nichts wißt, und diese Speise bekomme ich an dem Platz, an
den mich mein Vater hingestellt hat, um seinen Willen zu tun. Das, was er der
Samariterin sagen und wie er mit ihr umgehen mußte, war für ihn der Wille Gottes. Das
zeigt uns den Unterschied zwischen der Stellung des Johannes und der Stellung Jesu.
Nun brauchen wir nur noch etwas gründlicher auf die unterschiedliche Wirkung zu
achten, die einerseits das Wort des Johannes auf Herodias erzeugte, und die anderseits
das Wort Jesu auf die Samariterin hervorbrachte. Wir finden dann, wie aus der gleichen
Erkenntnis heraus durch die verschiedenartige praktische Anwendung der Erkenntnis die
Wege wieder auseinandergehen können. Was brachte Johannes zu Herodes? Die
Unaufmerksamkeit, um nicht zu sagen: Die Untreue Jesu, dem Bräutigam, und seinen
wahren Jüngern, der Braut, gegenüber. Was brachte dagegen Jesum zu der
Samariterin? Seine Aufmerksamkeit, seine Treue gegenüber Gott und seiner
Gnadenordnung. Er hatte nicht die Absicht, in Samaria eine Samariterin aufzusuchen,
etwa so, wie Johannes die Absicht hatte, den König Herodes aufzusuchen, um ihm seine
Sünde vorzuhalten. Jesus wollte einfach das durch seinen neben Johannes
aufgenommenen Dienst entstandene Hindernis aus dem Weg räumen: die Eifersucht der
Menschen, die dadurch entfacht wurde, daß mehr Menschen zu Jesu liefen als zu
Johannes, um sich taufen zu lassen. Dieses Hindernis räumte Jesus hinweg, indem er
Judäa verließ. Weil er von Judäa wegging, um nach Galiläa zu ziehen, damit in der Arbeit
des Johannes Störungen verhindert würden, begegnet er auf dem Weg nach Galiläa
unbeabsichtigt der Samariterin am Jakobsbrunnen. Dieser Weg führte dann weiter zur
Offenbarung Gottes, und es ergab sich für Jesum die Möglichkeit, in Verbindung mit
einem samaritischen Weib den Willen seines Vaters zu tun, während Johannes, der
Wegbereiter Jesu, am Königshof in Verbindung mit Herodes und dessen Weib, der
Herodias, den Willen Gottes nicht mehr tun konnte!
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Johannes-Evangelium Teil 3
Die unterschiedliche Wirkung der Gnade
und des Gesetzes
„Saget ihr nicht: Es sind noch vier Monate, dann kommt die Ernte? Siehe, ich
sage euch, hebet euere Augen auf und beschauet die Felder; denn sie sind
schon weiß zur Ernte. Wer da erntet, der empfängt Lohn und sammelt Frucht
zum ewigen Leben, auf daß sich der Säemann und der Schnitter miteinander
freuen. Denn hier ist der Spruch wahr: Einer sät, der andere erntet. Ich habe
euch ausgesandt zu ernten, was ihr nicht gearbeitet habt. Andere haben
gearbeitet und ihr seid in ihre Arbeit eingetreten.“ (Joh.4,35-38)
Jesus vermittelt einer Sünderin aus Samaria das Wasser des Lebens,
und Johannes der Täufer wird durch eine Sünderin getötet
Wir haben bei der bisherigen Betrachtung dieses Kapitels zwei Männer miteinander
vergleichen müssen: Johannes den Täufer und Jesus - beide ihrer Stellung gemäß und auch zwei Frauen: Herodias, durch deren Einfluß Johannes der Täufer seinen Kopf
verloren hat, und die Samariterin, der sich Jesus wie bisher keinem Menschen, auch
nicht seinen Jüngern, als der Messias offenbaren konnte. Das ist eigenartig, daß diese
beiden göttlichen Werkzeuge: der Vorläufer und Wegbereiter Jesu, Johannes und Jesus
selbst in ihrem Leben so mit Frauen verwoben sind, daß sich dadurch ihre Wege
scheiden mußten. Johannes mußte durch den Einfluß der Herodias sterben, und die
Samariterin konnte durch Jesum Leben erfahren. Die Geschichte der beiden Frauen ist
die gleiche. Beide waren in ihrem Leben in unehelicher Verbindung mit ihren Männern.
Herodias war das Weib vom Bruder des Herodes, sie durfte also Herodes nicht gehören,
sie lebte mit ihm im Ehebruch.
Was war die Ursache, daß Herodias mit Johannes in Verbindung kam? Sie hätte
diesem Knecht Gottes doch bestimmt nichts nachgefragt; sicher hätte sich nie ein
Berührungspunkt für beide ergeben. Denn die Geschichte berichtet uns nicht, daß
Herodias unter denen war, die zu Johannes an den Jordan kamen, um sich von ihm
taufen zu lassen. Sie kam nicht zu Johannes. Wir haben gesehen, aus welchem
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Grund Johannes und Jesus voneinander scheiden mußten: weil die Leute es nicht
ertragen und nicht zusehen konnten, daß Jesus auch lehrte und in der kurzen Zeit seiner
Lehrtätigkeit größeren Anhang hatte als Johannes. Deshalb kam es zur Trennung
zwischen Johannes und Jesu. Jesus ging weg aus jener Gegend, und Johannes blieb bei
seinen Leuten. Er ging nicht zu Jesu. Dann dauerte es aber nicht mehr lange, bis er mit
Herodias - wenn auch nicht persönlich, so doch durch den gegenseitigen Einfluß - in
Berührung kam. Als Knecht Gottes rügte er die Verbindung, die zwischen Herodes und
Herodias bestand. Es war also nicht so, daß zuerst Herodias sich mit Johannes
beschäftigt hat; vielmehr hat sich Johannes mit Herodes beschäftigt und dem König
vorgehalten, daß sie nach Gottes Gesetz nicht in diesem Verhältnis leben dürften. Die
Folge davon war, daß Johannes durch ihren auf diese Weise heraufbeschworenen Haß
sterben mußte.
Nachdem Jesus mit der Samariterin gesprochen hatte, sagte er zu seinen Jüngern:
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Johannes-Evangelium Teil 3
„Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt.” (Vers 32)
Sie waren vorher in der Stadt gewesen und hatten Lebensmittel eingekauft, während
Jesus der Samariterin am Jakobsbrunnen begegnet war und das Gespräch mit ihr
geführt hatte. Sie war unterdessen nach Sichar zurückgegangen, und die Jünger waren
mit dem eingekauften Essen wieder zu Jesu gekommen. Nun wußten sie, daß er mit
diesem Weib geredet hatte; sie war noch bei Jesu, als sie kamen; aber keiner sagte: Was
fragst du? Was redest du mit ihr? Sie verließ nun Jesum, die Unterhaltung mit ihm war zu
Ende. Was mag den Abbruch dieser Unterredung vielleicht noch bewirkt haben? Die
Jünger staunten, daß Jesus nicht nur mit einer Samariterin, sondern überhaupt mit einem
Weib redete. Zweifellos wußten sie nicht, was für ein Weib die Samariterin war. Wenn sie
erst die ganze Unterredung mitangehört hätten, so hätten sie sich vielleicht noch mehr
gewundert, daß Jesus nicht nur mit einem Weib redete, sondern mit einem solchen Weib,
deren Vergangenheit in besonderer Weise belastet war. Jesus hatte ihr ihre ganze
Vergangenheit vorgehalten, und als sie ihre Lebensgeschichte vor ihm verbergen wollte,
indem sie zu ihm sagte, sie habe keinen Mann, antwortete er ihr klar und offen, sie sage
die Wahrheit, denn sie habe schon fünf Männer gehabt und der, den sie gegenwärtig
habe, sei ebensowenig ihr gesetzlich rechtmäßiger Mann, wie Herodes der gesetzlich
rechtmäßige Mann der Herodias ist. In diesem Punkt treffen sich Jesus und Johannes in
genau der gleichen Weise. Beide sind dem unrechten Verhältnis gegenübergestellt, in
dem diese Frauen zu ihren Männern waren.
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Wir sehen aber in dem Verhalten der Jünger, wie groß doch der Unterschied zwischen Johannes und der Stellung Jesu war, die er der Samariterin gegenüber eingenommen hat. Ganz entschieden hat Johannes die gesetzliche Ordnung vertreten und
sich nicht gefürchtet, dem König Herodes seine Gesetzesübertretung durch seinen
Ehebruch vorzuhalten. Wenn es ihn auch das Leben kostete, hat er dennoch seine Treue
zu Gott durch seine klare Stellung zum Gesetz bewiesen. Die Jünger Jesu waren schon
nicht mehr so treu zur Gesetzesordnung wie Johannes, sonst hätten sie sich nicht bloß
gewundert, daß Jesus mit einem Weib redete. Sie hätten dann vielmehr gefragt: Auf was
für Wegen ist dieses Weib, die hier mit einem Mann redet. Vielleicht vermuteten sie, daß
dieses Weib sozusagen den Männern nachläuft. Das hat Johannes in seiner klaren
Stellung zum Gesetz als erstes gerügt. Er hat darauf geachtet, was für ein Verhältnis das
Weib mit dem Mann pflegt, er hat den Finger darauf gelegt und gesagt: Euer Verhalten ist
nicht richtig, das dürft ihr nicht, in diesem Verhältnis dürft ihr nicht zueinander sein. Die
Jünger Jesu nahmen die Gesetzesordnung nicht mehr ganz so ernst; denn sie gingen in
ihrer Beurteilung der Verhältnisse nicht so weit wie Johannes, wunderten sich nur, daß
Jesus überhaupt mit einem Weib redete. Ob es wohl umsonst hier steht:
„Doch sagte keiner: Was fragst du? oder: Was redest du mit ihr?” (Vers 27)
Was liegt in diesen Worten? Doch gewiß die Neugierde dieser Männer, die gern etwas
gehört hätten, um ein wenig teilzunehmen an dem, was in der Zeit, in der sie weg waren,
zwischen diesem Weib und Jesu geredet worden sei! Denken wir aber, sie hätten von
dem, was geredet wurde, eine Ahnung gehabt? Denken wir, sie hätten vermutet, Jesus
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Johannes-Evangelium Teil 3
habe dieser Samariterin lebendiges Wasser angeboten, und er habe sich ihr als der
Messias, als ihr Christus geoffenbart? Das haben sie doch wohl nicht vermutet, das liegt
sicher nicht in den Worten: Doch sagte keiner: Was fragst du? oder: Was redest du mit
ihr? Darin liegt vielleicht eine geheime Vermutung, daß das Reden Jesu mit einem Weib,
so ganz allein in Abwesenheit aller seiner Jünger, doch nicht so ganz in Ordnung sei.
Das zeigt uns, daß die Herzensstellung der Jünger noch nicht völlig geklärt war, obgleich
sie Jesu nachfolgten und nicht bei Johannes geblieben waren. Sie schwankten noch
zwischen der Treue zum Gesetz, die Johannes bewiesen hatte, und der Gnadenordnung,
die Jesus überall bekundete; sie neigten anscheinend noch mehr der Rechtsstellung
aufgrund der gesetzlichen mosaischen Ordnung zu als dem, wie sich Jesus - dazu noch
in ihrer Abwesenheit - einem Weib gegenüber verhielt. Sie trauten ihm nicht gerade
etwas Unrechtes, Ungeziemendes zu, es war
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ihnen aber auch auf jeden Fall nicht klar, wie es möglich war, daß Jesus ganz allein mit
einem Weib redete. Sie wußten tatsächlich noch nicht so viel von Jesu, wie die
Samariterin in der kurzen Unterredung mit ihm erfahren hatte. Diese war nach jener
kurzen Unterhaltung eine bessere Missionarin als jeder von seinen Jüngern, die ihm bis
dahin nachgefolgt waren. Keiner von ihnen hatte bis jetzt von dem lebendigen Wasser,
das Jesus der Samariterin angeboten hatte, aus Jesu Mund etwas gehört. Keiner von
ihnen hatte Jesum so kennengelernt wie die Samariterin, und keiner war bis dahin in ein
solches Verhältnis zu Jesu gekommen wie sie. Sie schwankten zwischen ihrer Treue zu
Johannes und damit zum Gesetz, und der Treue zu Jesu, d.h. zur Gnadenoffenbarung,
hin und her. Etwas zog sie von Jesu an, so daß sie Johannes verließen und Jesu
nachfolgten, und etwas ließ sie wieder zögern in ihrem Verhältnis zu ihm. Es paßte ihnen
eben doch nicht alles, was er tat, auch nicht, was er redete. Es war für seine Jünger nicht
so einfach, das Verhalten des Johannes und das Verhalten Jesu recht zu erkennen und
zu unterscheiden. Wenn sie auch mit Jesu gingen, so konnten sie doch nicht gleich den
Grund und die Bedeutung dessen erkennen, warum sich Johannes und Jesus
voneinander getrennt hatten. Sie konnten das Verhältnis von Johannes zum Weib
einerseits und das Verhältnis von Jesu zum Weib anderseits nicht unterscheiden. Zuerst
mußte das Weib, die Samariterin, von Jesu das lebendige Wasser bekommen, und dann
erst konnte sie die Männer ihrer Stadt zu Jesu und damit auch zu dem lebendigen
Wasser führen, während bei Herodias das durch Johannes verkündigte Gesetzeswort
Gottes bewirkte, daß er sterben mußte.
Johannes konnte wohl der Herodias durch seine Stellung zum Gesetz der Sünde
Sold, den Tod, verkündigen, aber nicht Leben vermitteln. Sobald er diesen Dienst vom
Gesetzesboden aus durch Gottes Wort ausgerichtet hatte, wirkte sich das aus, was
Jesajas ausgesprochen hat:
„ … eure Hände sind mit Blut befleckt und eure Finger mit Unrecht; eure Lippen
reden Lügen und eure Zunge dichtet Verdrehungen. Niemand redet mit Gerechtigkeit, und keiner läßt sich richten durch die Wahrheit; man traut auf Eitles und
redet täuschende Worte, sie empfangen Lug und gebären Trug. Sie brüten
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Johannes-Evangelium Teil 3
Schlangeneier aus und weben Spinngewebe. Wer von ihren Eiern ißt, muß sterben; zertritt sie aber jemand, so fährt eine Otter heraus.“ (Jes.59,3-5)
Sobald Johannes diese Schlangeneier nach der Ordnung des Gesetzes zu zertreten
wagte, mußte er von der Otter, die dabei herausfuhr, gebissen werden. Er wollte den
Sündern durch das Gesetz das Todesurteil
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vorhalten und wußte nicht, daß er damit sein eigenes Todesurteil aussprach; denn er
hatte Jesum, der die Gnadenordnung gebracht hat, verlassen. Er ließ Jesum von sich
weggehen, nachdem er bei ihm gewesen war. Nach seinen eigenen Worten wußte
Johannes, daß Jesus das Lamm Gottes ist, das der Welt Sünde wegnimmt und daß auf
ihn der Geist Gottes gekommen ist, so daß Johannes bezeugen konnte, daß Jesus der
Sohn Gottes sei (Joh.1,29-34). Er hätte es also wissen müssen, daß er das Lebenswasser
von Jesu hätte bekommen können; jedoch danach hat er nicht begehrt. Als er aber dem
König Herodes und der Herodias ein Todesurteil vorhielt und dann selbst auch vom Tod
bedroht wurde, ließ er bei Jesu fragen:
„Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?” (Matth.11,3)
Bist du unser Leben, oder müssen wir das Leben in andrer Gestalt erwarten als durch
dich? Der Samariterin, die sich in der gleichen Lage befand wie die Herodias, hat dieses
Lebenswasser geholfen. Johannes aber war das Licht darüber verlorengegangen, daß
Jesus als der Sohn Gottes das Leben war und somit das Lebenswasser darreichen
konnte - weil er nicht bei Jesu geblieben war. Johannes ist der Größte von Weibern
geboren - das Zeugnis gibt ihm Jesus selbst -, aber der Kleinste im Himmelreich ist
größer als er (Matth.11,11). Er hat es nicht verstanden, das Lebenswasser zu erlangen und
so aufzunehmen, daß es in ihm zu einer Quelle des Wassers geworden wäre, das bis ins
ewige Leben quillt. Darum konnte er auch dem Herodes und der Herodias dieses
Lebenswasser nicht spenden.
Er hatte dazu die Ausrüstung nicht, weil er nicht in Verbindung mit Jesu
geblieben und ihm nachgefolgt war
Aber auch die Jünger Jesu mußten erst lernen, wie man dieses Lebenswasser empfangen muß, um es weiterleiten zu können; sie mußten die Ordnung des Johannes: auf
dem Boden des Gesetzes das Todesurteil zu verkündigen - und die Ordnung Jesu: den
Toten lebendiges Wasser zu geben - unterscheiden lernen. Und eigenartig, auf beiden
Seiten waren Männer und Frauen, die in ihrer Verbindung miteinander Tod und Leben
darstellten.
Jesus unterweist seine Jünger über die Frucht, die sich daraus ergab, daß er
die Sünderin aus Samaria nicht nach dem Gesetz verurteilte, sondern ihr das
Lebenswasser nach der Gnade Gottes vermittelte
So hat Jesus seinen Jüngern eine wunderbare Unterweisung gegeben. Als er zu ihnen
sagte:
„Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt!” (Vers 32),
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Johannes-Evangelium Teil 3
da fragten sich die Jünger gegenseitig:
„Hat ihm denn jemand zu essen gebracht?” (Vers 33)
Darauf antwortete ihnen Jesus:
„Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat, und
vollbringe sein Werk.” (Vers 34)
Was waren sie gewohnt zu sagen?
„Es sind noch vier Monate, dann kommt die Ernte.” (Vers 35)
Was heißt das? Sie beurteilten alles nach der natürlichen Ordnung. Wenn es eben bis
zur Ernte noch vier Monate dauerte, dann wußten sie das genau zu beurteilen und
konnten sagen: Es sind noch vier Monate, dann kommt die Ernte. Und was sagt Jesus?
„Siehe, ich sage euch, hebt eure Augen auf und beschaut die Felder!” (Vers 35)
Um zu sehen, daß es bis zur Ernte noch vier Monate sind, braucht man seine Augen
nicht aufzuheben; da braucht man bloß die Kalendermonate abzuzählen, dann kann man
sagen, es müssen jetzt erst noch vier Monate vergehen, ehe das Getreide zur Ernte reif
ist. So ungefähr, wie wir sagen: Unter den gegebenen Umständen und Verhältnissen
muß es nach dem natürlichen Gang der Dinge so und so gehen, so muß sich alles
auswirken und gestalten. In wirtschaftlich schlechten Zeiten sind die Menschen oft
arbeitslos. Wenn aber diese Zeiten vorüber sind, gibt es auch wieder Arbeit, dann kommt
wieder eine Erntezeit. Oder wir sind krank und hätten gern, daß es bald Frühling wird,
damit wieder eine Linderung eintritt - dann kommt sozusagen nach vier Monaten die
Ernte, d.h. die Besserung. So gibt es in allen Lagen und Verhältnissen eine natürliche
Ordnung, nach der man gewohnt ist zu urteilen. Man weiß auch, wenn man gesät hat,
wie lange es braucht, bis sich alles so entfalten und entwickeln kann, daß die Zeit der
Ernte kommen kann. Das ist nur ein irdisches Bild, das Jesus den Jüngern vorgehalten
hat. Weil von der Zeit an, als er dort am Jakobsbrunnen eine Unterredung mit der
Samariterin hatte, vermutlich noch vier Monate waren bis zur Ernte, darum sagte er
ihnen:
„Sagt ihr nicht: Es sind noch vier Monate, dann kommt die Ernte?” (Vers 35)
Was hat er ihnen daraufhin gesagt?
„Hebt eure Augen auf und beschaut die Felder.” (Vers 35)
Nach welcher Richtung hin sollten sie wohl die Felder beschauen? Doch sicher nach der
Richtung hin, die ihnen bekannt war durch den Weg, den sie nach Samaria gegangen
waren, um Speise zu kaufen. Denn was würden ihre Augen bald sehen dürfen? Eine
Volksbewegung von Samaria her! Ein Todeskandidat, eine dem Tod geweihte Sünderin,
war bei Jesu gewesen, ein Weib, das fünf Männer gehabt hatte und das nun im
unrechten Verhältnis mit einem weiteren Mann
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lebte und Verbindung mit ihm pflegte. Ein solches Weib, das in seiner Umgebung
öffentlich als Gesetzesübertreterin bekannt war! Dieses Weib war bei Jesu gewesen.
Wenn die Jünger wüßten, mit was für einem Weib er geredet hatte, wenn sie gewahr
würden, daß sie nicht nur ein sündiges Weib ist in dem Sinn, wie sie die Sünde im
Verhältnis des Weibes zum Mann so gut kannten, sondern daß sie in so grober Weise
durch Übertretung des göttlichen Gesetzes eine sündige Verbindung mit dem Mann
andauernd pflegte - dann hätten sie es erst recht nicht verstanden, daß Jesus, dem sie
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Johannes-Evangelium Teil 3
als Israeliten ohne Falschheit, als einem von Gott gesandten Lehrer, nachfolgten, mit
einer solch offensichtlichen Ehebrecherin Umgang pflegte. Konnte ihnen Jesus zumuten,
daß sie da noch länger bei ihm blieben? Vielleicht glaubten sie, hierin einen Grund dafür
zu sehen, daß auch Johannes, anstatt Jesu nachzufolgen, zurückgeblieben war.
Johannes hatte zwar auf Jesum hingewiesen als auf das Lamm Gottes, das der Welt
Sünde wegnimmt, aber er hatte seinen Platz nicht verlassen, um mit ihm zu gehen.
Warum wohl? Hatte Johannes etwa Ursache, Jesu, dem Lamm Gottes, für das er den
Weg bereitet hatte, nicht volles Vertrauen zu schenken? Werden die Jünger nicht allerlei
solche und ähnliche Gedanken bewegt haben und aufgrund dessen, was sie nun mit
Jesu selbst erfahren mußten, in allerlei Nöte und Schwierigkeiten geraten sein? Jesus
mag das geahnt haben. Aber er geht nicht direkt auf die Gewissensnöte seiner Jünger
ein, rechtfertigt sich auch nicht, sondern richtet ihren Blick auf die Ordnungen des
Reiches Gottes, indem er zu ihnen sagt:
„Siehe, ich sage euch: Hebt eure Augen auf und beschaut die Felder; denn sie
sind schon weiß zur Ernte. Wer da erntet, der empfängt Lohn und sammelt
Frucht zum ewigen Leben, auf daß sich der Sämann und der Schnitter miteinander freuen.” (Vers 35-36)
Und er fährt fort:
„Denn hier ist der Spruch wahr: Einer sät, der andre erntet. Ich habe euch ausgesandt zu ernten, was ihr nicht gearbeitet habt. Andre haben gearbeitet, und ihr
seid in ihre Arbeit eingetreten.” (Vers 37-38)
In der Zeit des Johannes ist nach Jesu Worten durch Gottes Wort der Boden zum
Wachsen und Gedeihen bis zur Ernte zubereitet worden, und nun müssen die Arbeiter,
die bis jetzt gearbeitet haben, andern Arbeitern Platz machen; die Säleute müssen den
Schnittern Platz machen. Die Schnitter müssen nun kommen und eine Arbeit ausführen,
die die Säleute nicht tun können. Aber es könnte auch niemand schneiden, wenn nicht
zuvor gesät worden wäre. Ihr seid jetzt diejenigen, die ernten sollen, was die andern
gearbeitet haben, und die Säleute und die Schnitter werden sich miteinander freuen,
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wenn sie alle an dem Anteil haben können, woran sie gemeinsam gearbeitet haben. Es
wird nicht mehr allzu lange dauern, dann kommen sie von Samaria, und dann werdet ihr
sehen, was das Wort Gottes wirkt. An dieser Frucht habt ihr bis jetzt nicht gearbeitet, ihr
braucht bloß zu ernten. Ob ihr aber ernten werdet, das hängt davon ab, ob ihr mir
weiterhin nachfolgt und das ausführt, was ich euch auftrage, ob ihr bei mir bleibt oder von
mir weggeht, wie Johannes, mein Wegbereiter.
Die Menschen, die sich von Jesu ihre Sünden sagen lassen, nehmen von ihm
das Wasser des Lebens und folgen ihm nach; diejenigen aber, die ihre Sünden
verschweigen, folgen ihm nicht nach
Was bewirkt am Ende die Scheidung zwischen denen, die Jesus nachfolgen, und
denen, die ihm nicht nachfolgen? Wäre Herodes vielleicht nicht auch Jesu nachgefolgt?
Es war ein Verlangen in dem Mann, das ihn zu Jesu zog. Selbst in der Zeit, als es sich
darum handelte, daß Jesus sterben sollte, wollte er ihm gern noch begegnen und ein
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Johannes-Evangelium Teil 3
Zeichen von ihm sehen (Luk.23,7-8). Aber er war in Verbindung mit einem Weib, unter
deren Einfluß er nicht Leben empfangen konnte, sondern der Tod wirken mußte.
Als Jesus zur Samariterin sagte:
„Gehe hin, ruf deinen Mann …!” (Vers 16),
bekannte sie:
„Ich habe keinen Mann.” (Vers 17)
Jesus konnte ihr darauf mit Bestimmtheit antworten:
„Fünf Männer hast du gehabt, und den du nun hast, der ist nicht dein Mann.”
(Vers 18)
Was wollte er ihr damit sagen? Fünf sind deinem Einfluß bis jetzt erlegen. Wirst du jetzt
von dieser Stunde an auf deine Umgebung einen andern Einfluß ausüben? „Gib mir zu
trinken”, hatte ihr Jesus zuerst gesagt. Darauf wunderte sie sich, daß er als Jude von ihr,
der Samariterin, zu trinken haben möchte. Natürlich ahnt sie nicht, daß er ihre
Lebensgeschichte kannte; das wird erst nachher offenbar. Sie weiß nur, daß die Juden
sich besser dünken als die Samariter und daß sie darum die Samariter verachten, weil
sie sich als Juden für das Volk Gottes halten. Sie weiß aber auch, daß der Messias
kommt, sie wartet sogar auf ihn. Sie seufzt auch unter der Last ihrer Sünden, sie weiß
nicht recht, wo anbeten - hier auf dem Berg Garizim oder dort in Jerusalem. Jene sagen
so, unsre sagen so. Wer hat nun recht? Aber eins hat sie: eine durchs Wort Gottes
gewirkte Hoffnung. Bisher konnte sie ja nichts anderes tun, als einen Mann um den
andern
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ihrem todwirkenden Einfluß zu unterwerfen. Mit fünf ist sie schon fertig geworden, mit
einem weiteren hat sie es gerade zu tun. Und jetzt steht ihr durch ihre Begegnung mit
diesem Juden und durch das, was er mit ihr vom Lebenswasser geredet hat, nachdem er
von ihr Wasser haben wollte, die Tatsache vor Augen: Wer hat eigentlich recht, wenn es
sich um das ewige Leben handelt? Haben sie, die Samariter, recht, oder haben doch am
Ende diese Juden recht? Jesus hatte ihr die eigenartigen Worte gesagt:
„Wenn du erkennetest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir spricht: Gib mir
zu trinken! du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser!” (Vers 10)
Du willst mir Wasser geben, du, der Jude, willst mir, der Samariterin, Wasser geben, wie
soll das geschehen, du hast ja nicht einmal ein Gefäß, und der Brunnen ist tief! Woher
hast du denn das lebendige Wasser? Bist du größer als unser Vater Jakob, der uns
diesen Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat samt seinen Söhnen und
seinem Vieh? (Joh.4,11-12). Darauf gibt ihr Jesus keine Antwort, vielmehr inspiriert er sie
noch mehr, nach dem Wasser zu verlangen, das er ihr geben will, indem er ihr sagt:
„Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem
Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle des
Wassers werden, das bis ins ewige Leben quillt.” (Vers 13-14)
Nun ist ihr Verlangen geweckt, und Jesus kann ganz klar und entschieden mit ihr reden.
Jetzt will sie endlich ihren Durst stillen durch das Wasser, das Jesus ihr angeboten hat,
so daß sie nicht mehr kommen und schöpfen müsse.
Ist es nicht eigenartig, daß Jesus ihr daraufhin sagt:
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Johannes-Evangelium Teil 3
„Gehe hin, ruf deinen Mann und komm hieher!” (Vers 16),
daß also jetzt ihre ganze Lebensweise offenbar wird und sie erfahren muß, daß er sie
mindestens so gut kennt, wie sie sich selbst kennt! Durch seine genaue Schilderung ihrer
Person muß sie nun einsehen, daß sie in dem, was sie ist, und wie sie ihren
Lebenswandel geführt hat, vor Gott offenbar ist. Jetzt redet sie nicht mehr von ihrem
Wasser, vom Schöpfen, vom Kommen, vom Durst, jetzt sagt sie ohne Umschweife:
„Herr, ich sehe, daß du ein Prophet bist.” (Vers 19)
Und nun ist der Riegel ihrer Herzenstür aufgestoßen. Wenn der Jude, der mit ihr spricht,
nach ihrer Überzeugung ein Prophet ist, dann muß er ihr auch die Frage beantworten
können, die sie gewiß schon lange
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Zeit bewegt hat. Er muß wissen, wie und wo man Gott richtig anbetet. Sie sagt:
„Unsre Väter haben auf diesem Berg angebetet; und ihr sagt, zu Jerusalem sei
der Ort, da man anbeten soll.” (Vers 20)
Das heißt mit andern Worten: Was für ein Unterschied ist zwischen eurer Art, Gott zu
dienen und anzubeten, und unsrer Art? Bei uns sagt man, auf diesem Berg Garizim
sollen wir anbeten, und ihr habt wieder eine andre Ordnung, ihr sagt, zu Jerusalem sei
der Ort, da man anbeten soll. Wer hat nun eigentlich recht? Wie kann man gerettet
werden, wie kann man das ewige Leben erlangen? Ich weiß ja auch, daß der Messias
kommt, ich glaube doch auch. Und nun macht ihr Jesus die tiefsten Geheimnisse klar:
„Weib, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berg noch zu
Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten
an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die
Stunde und ist schon da, wo die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im
Geist und in der Wahrheit; denn der Vater sucht auch solche Anbeter. Gott ist
Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.”
(Vers 21-24)
Darauf antwortet ihm das Weib:
„Ich weiß, daß der Messias kommt, welcher Christus genannt wird; wenn derselbe kommt, wird er uns alles verkündigen.” (Vers 25)
Damit will sie sagen: Wenn ich dich jetzt nur verstehen könnte in dem, was du mir sagst,
wenn ich jetzt nur wüßte, was für eine geheimnisvolle Wahrheit du mir unterbreitest! Es
ist ja schön zu wissen, daß es so sein wird, daß man Gott im Geist und in der Wahrheit
anbeten muß. Aber was ist Wahrheit?
Nachdem Jesus dem Weib noch hatte antworten können:
„Ich bin es (der Messias), der mit dir redet.” (vgl.Vers 26)
waren inzwischen auch die Jünger herangekommen. Vielleicht haben sie die letzten
Worte von der Unterhaltung noch gehört, aber sie wissen doch nicht, was sie wissen
wollen. Sie wundern sich nur, daß sich ihr Meister so intensiv mit einem Weib unterhalten
konnte. Jedenfalls muß Jesus abbrechen. Er hat eine kurze Zeit ungestört mit diesem
Weib reden und ihr genug sagen können, gerade so viel, daß sie alles Vorhergehende
vergessen hat: den Durst, den Krug, den sie mitgebracht hatte, um Wasser zu schöpfen,
weshalb sie doch überhaupt gekommen war. Sie hat nur noch den einen Gedanken,
schnell nach Sichar zu gehen und ihren Bekannten, wenigstens denen, die sie am besten
verstehen konnten, zu sagen:
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Johannes-Evangelium Teil 3
„Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt, was ich getan habe, ob dieser nicht der Christus sei!” (Vers 29)
Warum konnte dieses Weib die bestehende Ordnung durchbrechen, warum konnte sie
vom Gesetz weg zu Jesu kommen? Erstlich war sie nicht durchs Gesetz gebunden, sie
war ja eine Samariterin und stand nicht so sehr unter dem knechtischen Joch des
todwirkenden Buchstabens wie Johannes der Täufer und wie auch noch die Jünger Jesu.
Und wenn sich auch bei ihr die Wirkung des Gesetzes in dem Sinn ergeben hatte wie bei
der Herodias - indem sie schon fünf Männer durch ihren Einfluß „getötet” hatte -, so gab
es in ihrem Leben nun doch eine plötzliche Wendung: Der todwirkende Einfluß wurde bei
diesem Weib plötzlich in einen lebenwirkenden Einfluß umgewandelt. Und wie kam das?
Was sich bisher noch kein Mensch von Jesu hatte sagen und aufdecken lassen, das
durfte sich die Samariterin von ihm sagen lassen. Johannes konnte sich das nicht sagen
lassen, die Jünger Jesu ebenfalls nicht, und Herodes und Herodias ließen sich ihren
Lebenswandel und Sündenzustand nicht so zeigen, wie ihn Jesus der Samariterin
aufdecken konnte. Wenn Herodes sich auch ein ganz Teil sagen ließ, so sorgte doch
Herodias dafür, daß sich das nicht wiederholte. Die Samariterin ließ sich nicht nur alles,
was sie getan hatte, sagen; sie ging sogar hin und stellte sich auch den Menschen
gegenüber, unter denen sie in ihrem bisherigen Lebenswandel bekannt war, zu allem,
was Jesus ihr gesagt hatte. So wurde hier in einzigartiger Weise eine Verbindung
hergestellt zwischen Jesu und der Samariterin, wie sie bis dahin, seit Jesus aufgetreten
war, mit niemand erreicht worden war. Sie war die erste, die alles, was ihr Jesus sagte,
so ganz ohne Bedenken und ohne Widerstand aufnahm. Und so mußten die Jünger an
einem solchen Weib, an dieser Samariterin erfahren, wie man vom Tod zum Leben
gelangt. Sehen wir, warum auch bei uns der Tod die Herrschaft behält wie bei Herodes
und der Herodias, selbst bei Johannes dem Täufer und zu der Zeit noch bei den Jüngern
Jesu? Wenn die Samariterin dem gegenüber, daß Jesus ihr bisheriges Leben offenbar
gemacht hatte, dieselbe Rache nehmen wollte wie die Herodias, dann wäre auch Jesus
womöglich in Lebensgefahr gekommen wie Johannes - wenn auch zu der Zeit, als er
das Gespräch mit der Samariterin führte, seine Todesstunde noch nicht gekommen war.
Aber sie war durch das, was sie bis dahin schon in ihrem Geist verarbeitet hatte,
vorbereitet und ließ sich nun alles sagen, was Jesus ihr zu sagen hatte. Weil sie das tat
und seine Worte aufnahm, wurde es Licht in ihrer Finsternis. Von der Stunde an, in der
diese Samariterin sich von Jesu alles offenbaren ließ, war das Feld zur Ernte weiß,
während
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nach natürlicher Ordnung noch vier Monate bis zur Ernte hätten verstreichen müssen.
Wenn einem Menschenkind das Licht der Wahrheit aufgeht, wenn es willig wird, sich
alles sagen zu lassen, was es getan hat, um auf diese Weise aufrichtig zu erkennen, daß
es erlösungsbedürftig ist, dann kann es das lebendige Wasser so bekommen, daß es in
ihm ein Quell des Wassers wird, das ins ewige Leben fließt. Dann ist die Zeit zum Ernten
gekommen.
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Johannes-Evangelium Teil 3
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Gemeinsame Freude von Sämann und
Schnitter im Reich Gottes
„Saget ihr nicht: Es sind noch vier Monate, dann kommt die Ernte? Siehe, ich
sage euch, hebet euere Augen auf und beschauet die Felder; denn sie sind
schon weiß zur Ernte. Wer da erntet, der empfängt Lohn und sammelt Frucht
zum ewigen Leben, auf daß sich der Säemann und der Schnitter miteinander
freuen. Denn hier ist der Spruch wahr: Einer sät, der andere erntet. Ich habe
euch ausgesandt zu ernten, was ihr nicht gearbeitet habt. Andere haben
gearbeitet und ihr seid in ihre Arbeit eingetreten.
Aus derselben Stadt aber glaubten viele der Samariter an ihn um des Weibes
Rede willen, welches da bezeugte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.
Als nun die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er
blieb daselbst zwei Tage. Und noch viel Mehrere glaubten um seines Wortes
willen. Und zu dem Weibe sprachen sie: Nun glauben wir nicht mehr um deiner
Rede willen; wir haben selbst gehört und erkannt, daß dieser wahrhaftig der Welt
Heiland, der Christus, ist!“ (Job.4,35-42)
Der Gehorsam Jesu dem Willen seines himmlischen Vaters gegenüber und
der Glaube der sündigen Samariterin an den Messias bewirken die Erntezeit im
Reich Gottes
Johannes der Täufer, sowie die Bewohner der Heimatstadt Jesu, tragen
durch ihren Unglauben Jesu gegenüber nichts dazu bei, daß Erntezeit im
Reich Gottes sein kann
Die Samariterin, von der in diesem Kapitel die Rede ist, und mit der Jesus am
Jakobsbrunnen zusammentraf, beweist durch ihr Verhalten, daß sie Jesum verstanden
hat. Sie sagt den Leuten in der Stadt Sichar in Samarien:
„Kommt, sehet einen Menschen, der mir alles gesagt, was ich getan habe, ob
dieser nicht der Christus sei!“ (Vers 29)
Sie weiß nun, daß sie jetzt nicht mehr darauf zu warten braucht, daß der Messias kommt,
welcher Christus genannt wird, um von ihm zu hören, was er verkündigen würde,
nachdem Jesus ihr gesagt hatte:
„Ich bin es, der mit dir redet!” (Vers 26)
Wir kennen aus eigener Erfahrung Hindernisse des Glaubens. Wenn Jesus in seiner
Heimatstadt Nazareth wenig Wunder tun konnte um des Unglaubens der Menschen
willen, wenn er selbst bezeugte, daß ein Prophet in seinem eigenen Vaterlande nichts gilt
(Matth.13,57-58),
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so müssen wir immer besser darauf achten lernen, in welcher Stellung man so glauben
kann, wie es hier von dem samaritischen Weib bezeugt ist. Obgleich sie zu den Leuten
sagt:
„Kommt, sehet einen Menschen, der mir alles gesagt, was ich getan habe, ob
dieser nicht der Christus sei!“ (Vers 29),
so beweist sie doch durch ihr Verhalten, daß sie nicht daran zweifelt, daß Jesus der von
ihr erwartete Messias, der Christus, sei. Hier haben wir wieder den Unterschied vor
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Johannes-Evangelium Teil 3
Augen, der zwischen dieser Samariterin und Johannes dem Täufer, dem Vorläufer Jesu,
besteht. Johannes konnte vor ihm hergehen, in herrlichen Zeugnissen auf ihn hinweisen
und ihm den Weg bereiten, und doch konnte er es nicht erfassen, daß der Messias, von
dem er Zeugnis ablegte, auch für ihn gekommen sei. Er konnte sein Kommen einigen
Menschen bezeugen, aber dann hörte das Zeugnis auf; er selbst konnte Jesus vom
Gefängnis aus nur noch fragen lassen:
„Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?” (Matth.11,3)
Hier wird ein Unterschied offenbar in der Stellung von Menschen, die im engsten Sinn zu
dem Vaterhaus, zu dem Vaterland Jesu gehörten, und solchen Menschen, die für ihn
zunächst Fremde waren. Die Juden hatten mit den Samaritern keine Gemeinschaft, sie
pflegten mit ihnen keinen Verkehr, sie waren ihnen wie Fremde. Aber von diesen
Fremden wurde Jesus aufgenommen, sie erlangten in kurzer Zeit die Erkenntnis, daß er
der Welt Heiland, der Christus, sei; der Knecht Gottes aber, den Gott zu seiner
Wegbereitung ausersehen hatte, und der aus der Verwandtschaftslinie Jesu stammte,
hat diese Erkenntnis, die er noch viel klarer als die Samariter als direkte göttliche
Offenbarung erlangt hatte, wieder verloren. Bei diesen eigenartigen Tatsachen müssen
wir stehenbleiben und sie gründlich überlegen, denn sie sind ja für alle Zeiten berichtet
und treten immer wieder in der gleichen Weise in Erscheinung. Hat nicht deshalb auch
Jesus gesagt, daß Erste Letzte und Letzte Erste sein werden? (Matth.20,16)
Jesus redet mit seinen Jüngern über die Erfahrung, die er mit diesem samaritischen
Weib gemacht hatte. Das tut er gewiß in der Absicht, ihnen diese Erfahrungen zum
Anschauungsunterricht werden zu lassen. Dieser Anschauungsunterricht soll auch uns
dienen. Er soll uns zeigen, wie die Hindernisse, die der Entwicklung des Reiches Gottes
im Wege sind, erkannt und beseitigt werden können.
Das größte Hindernis ist zweifellos in der Stellung der Kinder Gottes zu suchen;
es ist die Tatsache, daß man nicht bestrebt ist, das Wort Gottes gründlich
zu verstehen
Seite 79
Man kann sich gar nicht denken, daß Johannes und der Ephesusengel in einer solchen
Stellung, wie wir sie bei ihnen finden, verharrt hätten, wenn sie den Willen Gottes
gründlich gekannt hätten. Jesus hält seinen Jüngern diesen Willen vor, wenn er ihnen
sagt:
„Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat, und
vollbringe sein Werk.” (Vers 34)
Sein Werk, das er auf diese Weise zu vollbringen bestrebt war, als Wille und Werk
dessen, der ihn gesandt hatte, wäre auch nicht zustande gekommen, wenn er sich hätte
so aufhalten lassen, wie Johannes und der Ephesusengel in ihrem Glaubensleben
aufgehalten worden sind. Darum zeigt Jesus gleich am Anfang seines Wirkens die
Bedeutung der Hochzeit, der Verbindung des Bräutigams mit der Braut. Er zeigt die
Stellung, von der auch Johannes geredet hat: daß der Bräutigam die Braut hat. In diesem
Gedanken an die Ordnung des Bräutigams und der Braut machte Jesus eine Geißel und
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Johannes-Evangelium Teil 3
reinigte den Tempel; er trieb das, was seines Vaters Haus zu einem Kaufhaus machte,
aus dem Tempel hinaus. Vor den in der Hochzeit und der Tempelreinigung
veranschaulichten Gottesordnungen: dem Einswerden des Bräutigams mit der Braut und
der Reinigung des geistigen Tempels, machten Johannes und der Vorsteher der
Gemeinde zu Ephesus Halt.
Johannes der Täufer wollte sich dem Bräutigam nicht anschließen; er wollte
nicht zu der Braut des Bräutigams gehören. Ob er sich bewußt war, daß er
dadurch vom Reich Gottes fernblieb?
Auch der Ephesusengel wollte sich für die völlige Verbindung des Bräutigams mit der
Braut, für die Vollendung des gereinigten Hauses Gottes, nicht einsetzen. Ob er sich
bewußt war, welche Folgen seine Stellung für das Reich Gottes haben würde?
Das samaritische Weib hat das, was Jesus ihr gesagt hat, angenommen und aufgenommen. Sie hat an der Wahrheit der Worte Jesu nicht gezweifelt. Ihr wurde dadurch
klar, was sie zu tun hatte, wie und wo sie anbeten mußte. Sie wurde davon überzeugt,
daß das Heil von den Juden kommt, daß aber die wahre Anbetung weder an den Berg in
Samaria, noch, nach der damals herrschenden Ordnung, an Jerusalem gebunden war,
sondern einzig an die richtige Stellung im Geist und in der Wahrheit. Ob die Samariterin
die Erklärung Jesu, daß der Vater solche Anbeter sucht, die ihn als Geist erkennen und
im Geist und in der Wahrheit anbeten sollen, verstanden, ob sie etwas davon geahnt und
erfaßt hat? Das können wir aus dem Bericht nicht herauslesen, weil von diesem Punkt im
weiteren nicht mehr die Rede ist. Nur das eine steht hier, daß auf diese Worte hin das
Weib zu Jesu sagte:
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„Ich weiß, daß der Messias kommt, welcher Christus genannt wird; wenn derselbe kommt, wird er uns alles verkündigen.” (Vers 25)
Damit meint sie nicht, daß der Messias, wenn er kommt, ihr etwas anderes sagen würde,
als Jesus ihr eben gesagt hatte; sie will mit diesen Worten vielmehr zum Ausdruck
bringen, daß sie das, was Jesus ihr jetzt gerade sagte, nicht oder wenigstens noch nicht
gründlich genug verstehen könne. Aus diesem Grunde bezeugt sie, daß sie mit dem
Kommen des Messias rechnet, um, wenn er kommt, über den Weg, den sie zu gehen
hat, über die Stellung, die sie zu ihrem Gott einnehmen muß, die nötige Aufklärung zu
erlangen. Daß das Heil von den Juden kommt, hindert diese Samariterin nicht, den
Messias, der von den Juden Christus genannt wird, zu erwarten, um durch ihn
Unterweisung über den Willen Gottes zu erlangen. Für sie ist die Scheidung, die
zwischen den Juden und Samaritern bestand und ein Hindernis hätte sein können,
überwunden. Damit ist aber das überwunden, was Johannes und selbst an einem
gewissen Punkt der Vorsteher der Gemeinde zu Ephesus als Hindernis nicht überwinden
konnten. Für die Samariterin waren alle Hindernisse, die sie hätten aufhalten können,
den Willen Gottes zu tun, beseitigt. Diese Hindernisse bestanden auch für Jesum nicht
mehr. Es gab für ihn keine Hindernisse, den Willen seines Vaters, der ihn gesandt hatte,
zu tun. Nichts störte ihn in seiner Stellung zu Gott, um den Willen seines Gottes zu tun.
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Johannes-Evangelium Teil 3
Wenn Jesus in seinem Vaterland nicht geachtet wurde, dann ging er in ein andres
Land, verließ sein Volk und ging zu Fremden. Was es aber bedeutete, unter diesen
fremden Samaritern den Willen Gottes zu tun, das hat er seinen Jüngern gezeigt. Er wies
sie auf die Felder hin, die schon weiß waren, so daß in vier Monaten Ernte sein konnte,
und er forderte sie in Verbindung damit auf, die Augen aufzuheben. Dieses Bild aus der
natürlichen Ordnung sollte für seine Jünger ein Hinweis auf die Arbeit des Säens und
Erntens im göttlichen Ackerfeld sein. Jesus wollte ihnen an der Samariterin die Ordnung
des Säens und des Erntens zeigen, die Aussaat und die Ernte, die Ordnung, daß die
einen arbeiten und die andern das, was bereits erarbeitet ist, einernten. In der
Herzensstellung dieses Weibes und in ihrem Einfluß hatten sie beides vor Augen: die
Saat, d.h. die Arbeit an dem Weib - und die Ernte als das, was sich aus der Arbeit und
der Stellung dieses Weibes ergeben hatte. Durch das Zeugnis der Samariterin kamen
viele ihres Volkes zu Jesu und baten ihn, bei ihnen zu bleiben. Und er blieb daselbst zwei
Tage. Das genügte schon, daß sie nicht mehr um der Rede des Weibes willen, sondern
um dessetwillen, was sie von Jesu selbst gehört und erkannt hatten, überzeugt waren,
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daß er der Welt Heiland, der Christus, sei. Das war Ernte. Wer aber hatte gesät? Wer
hatte gearbeitet, damit der Same aufgehen und solche Frucht hervorbringen konnte, daß
der Arbeiter: der Sämann und der Schnitter, Lohn empfangen und die geerntete Frucht
zum ewigen Leben gesammelt werden konnte, und daß an solcher Frucht Sämann und
Schnitter sich miteinander freuen konnten? Die Antwort auf diese Frage können wir aus
Gottes Wort nicht herauslesen. Jedenfalls dürfen wir annehmen, daß an der Samariterin
schon Vorarbeit geleistet war. Jesus durfte dann die angesetzte Frucht zum Reifen
bringen, und er und seine Jünger durften an der Ernte Anteil haben. Dieses Walten
Gottes zeigt uns klar, daß es nur darauf ankommt, ob der Wille Gottes richtig und ganz
getan wird oder nicht. Wir brauchen nur diese Ordnung, wie sie Jesus den Jüngern vom
Säen und Ernten zeigt, gründlich zu vergleichen mit dem Verhältnis zwischen Johannes
und Jesu, dann wird es uns klar, was der Lohn ist und wer den Lohn für seine Stellung
zum Reich Gottes empfängt.
„Wer da erntet, der empfängt Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, auf
daß sich der Sämann und der Schnitter miteinander freuen.” (Vers 36),
sagt Jesus zu seinen Jüngern. Es ist die Ordnung, die der Apostel den Hebräern vorgehalten hat, bei denen die Gefahr bestand, daß sie das, was sie gehört hatten, wieder
verlieren könnten. Es heißt da in Hebr.3,6:
„Christus aber ist treu als Sohn über sein eigenes Haus, und sein Haus sind wir,
wenn wir die Freudigkeit und den Ruhm der Hoffnung bis zum Ende fest behalten.”
Und im Hebr.3,14 heißt es:
„Denn wir sind Christi teilhaftig geworden, wenn wir anders die anfängliche
Zuversicht bis ans Ende fest bewahren.”
Wenn die Gefahr besteht, daß man das, was man gehört hat, wieder verlieren könnte,
oder daß, während die Verheißung, einzukommen zu seiner Ruhe, noch vor uns liegt,
man als zurückgeblieben erfunden werden könnte, dann geht daraus hervor, daß der
Lohn im Reich Gottes einfach darin besteht, daß man die Freudigkeit und den Ruhm der
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Johannes-Evangelium Teil 3
Hoffnung bis zum Ende fest behält, daß man in der Stellung, in der man Christi teilhaftig
geworden ist, in der anfänglichen Zuversicht bis ans Ende fest bleibt. Darum ermahnt der
Apostel:
„ ... daß ihr nicht träge werdet, sondern Nachfolger derer, welche durch Glauben
und Geduld die Verheißungen ererben.” (Hebr.6,12),
und deutet auf Abraham hin mit den Worten:
„Denn als Gott dem Abraham die Verheißung gab, schwur er, da er bei keinem
Größeren schwören konnte, bei sich selbst und
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sprach: „Wahrlich, ich will dich segnen und vermehren! Und so harrte er geduldig
aus und erlangte die Verheißung.” (Hebr.6,12-15)
Damit weist der Schreiber des Hebräerbriefes auf dieses geduldige Ausharren Abrahams
bis ans Ende hin, bis er die Verheißung erlangt hatte, und im 10.Kapitel sagt er deshalb
zum Schluß:
„Denn noch eine kleine, ganz kleine Weile - so wird kommen, der da kommen
soll, und nicht verziehen; mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er
aber zurückweicht, so hat meine Seele kein Wohlgefallen an ihm! Wir aber sind
nicht von denen, die feige weichen zum Verderben, sondern die da glauben zur
Rettung der Seele.” (Hebr.10,37-39)
Das feige Weichen ist die Stellung, daß man die Freudigkeit und den Ruhm der Hoffnung
nicht bis ans Ende fest behält, daß man die anfängliche Zuversicht nicht bis ans Ende
fest bewahrt, daß man, ehe das Ende erlangt ist, einem hindernden, aufhaltenden Einfluß
zum Opfer fällt. Somit liegt der Lohn des Reiches Gottes in der Ernte, in der voll
ausgereiften Frucht, und nicht schon in dem, was zu einer vorausgehenden Zeit
gearbeitet wird.
Die Arbeit, die geleistet wird in der jeweiligen Stellung, in der sich das Kind Gottes
befindet, muß die volle, reife Frucht des Reiches Gottes zeitigen
Ob dann die Arbeit im Säen, im Pflanzen, im Begießen oder im Ernten liegt, ob der,
welcher die Arbeit für das Reich Gottes getan hat, auch die Ernte einsammelt, oder ob
ein anderer in seine Arbeit eingetreten ist und erntet, was er nicht gesät hat, woran er
nicht gearbeitet hat - ist untergeordnet, wenn nur die gesamte Entwicklung vom Säen bis
zur Ernte ein Ganzes darstellt! Dann können sich beide: der Sämann und der Schnitter,
an der Frucht, dem Lohn für ihre Arbeit, dem ewigen Leben, in der gleichen Weise
freuen, dann haben nicht nur Sämann und Schnitter, sondern alle im Reich Gottes
mitbeteiligten Arbeiter, vom ersten bis zum letzten, den gleichen Anteil. Wenn dann nach
aller Arbeit, die getan werden mußte, die Frucht des ewigen Lebens gereift ist, dann
können sich alle an dieser Frucht in der gleichen Weise freuen und haben darin ihren
Lohn im Reich Gottes.
Wenn aber diese Frucht reifen und es zur Ernte für das Reich Gottes, zum ewigen
Leben, kommen soll, so reicht dazu die Arbeit von Johannes dem Täufer nicht aus. Auch
die Arbeit des Ephesusengels reicht nicht aus. Wenn die Ernte eingebracht werden soll,
so geschieht das nur dadurch, daß der Wille Gottes vollkommen getan wird. Dieser Wille
Gottes wurde von Johannes nicht vollkommen getan,
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Johannes-Evangelium Teil 3
sonst hätte er an der Ernte bei den Samaritern Anteil gehabt. Dann hätte sich das Wort
erfüllt, daß, wer sät und wer erntet, Lohn empfängt und sich an der Frucht, dem Lohn des
ewigen Lebens, freuen kann. Weil aber Johannes an dem bestimmten Punkt in seinem
Leben Halt gemacht hatte, konnte er die Frucht der Arbeit in Samaria nicht mitgenießen.
Wenn Jesus auch, so wie Johannes, an einem bestimmten Punkt in seinem Dienst Halt
gemacht hätte, dann wäre es zu dieser Ernte in Samaria nicht gekommen. Er wäre dann
in Judäa geblieben und hätte sich dort bei den Pharisäern mit ihrer Eifersucht, bei
Johannes und seiner Arbeit und mit allerlei anderem aufgehalten. Vielleicht hätte er sich
dort in die Verhältnisse eingemischt in der guten Absicht, sie zurechtzubringen, und die
Samariterin hätte auf den verheißenen Messias umsonst gewartet. An der Frucht, die
sich aus der Stellung der Samariterin für das Reich Gottes, aus ihrer Erkenntnis des
Christus, des Messias, und ihrem Vertrauen zu ihm ergeben hat, hätte niemand Anteil
haben können, wenn Jesus nicht den Willen dessen, der ihn gesandt hatte, erfüllt hätte.
Nichts konnte ihn hindern, den Willen seines Vaters im Himmel zu tun. Daß die
Menschen in seinem Vaterland ihn, den Propheten und gottgewollten Messias, nicht
achteten, daß er als Folge davon ihr Land verließ, daß er Johannes, seinen Vorläufer,
seinem Schicksal überlassen mußte, daß sich seine Arbeit, die er geleistet hatte, in ein
Nichts auflöste - alles das konnte ihn nicht aufhalten, den Willen dessen zu tun, der ihn
gesandt hatte. Weil sein Leben der Ausdruck des Gehorsams zum Willen Gottes war,
deshalb gab es Frucht und damit Lohn des Reiches Gottes; denn auf diese Weise konnte
das Gesäte, das, woran bis dahin schon andre nach der gottgewollten Ordnung
gearbeitet hatten, zur vollen Frucht werden. Diese reife Frucht für den Bräutigam - die
Brautstellung dem Bräutigam gegenüber - konnte Jesus nun in der Stellung der
Samariterin und der Wirkung ihrer Arbeit seinen Jüngern vor Augen halten.
Daran erkennen wir, daß es nicht das Entscheidende ist, was man für das Reich
Gottes tut, ob man sät oder erntet. Das Entscheidende liegt nur darin, daß man in dem,
was man tut, den Willen Gottes tut, daß man nicht versagt und man das, was man macht,
recht macht. Man darf seine Arbeit nicht nur halb machen, denn ein nicht richtig
ausgestreuter Same bringt keine Frucht, so wenig wie der richtig ausgestreute Same
Nutzen bringen kann, wenn die ausgereifte Frucht nicht geerntet wird. Alle Arbeit für das
Reich Gottes, welcherart sie auch sei, muß recht getan werden. Es darf bei dieser Arbeit
keine halbe Sache geben; sie muß gründlich getan werden, damit daraus köstliche
Frucht für das Reich Gottes entstehen kann.
________
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Die Samariterin am Jakobsbrunnen wurde
dadurch, daß Jesus sich ihr als der Messias
offenbaren konnte und sie an ihn glaubte,
die erste Missionarin für das Evangelium
„Inzwischen aber baten ihn die Jünger und sprachen: Rabbi, iß! Er aber sprach
zu ihnen: Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennet! Da sprachen die
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Johannes-Evangelium Teil 3
Jünger zueinander: Hat ihm denn jemand zu essen gebracht? Jesus spricht zu
ihnen: Meine Speise ist die, daß ich tue den WilIen dessen, der mich gesandt hat
und vollbringe sein Werk. Saget ihr nicht: Es sind noch vier Monate, dann kommt
die Ernte? Siehe, ich sage euch, hebet euere Augen auf und beschauet die
Felder; denn sie sind schon weiß zur Ernte. Wer da erntet, der empfängt Lohn
und sammelt Frucht zum ewigen Leben, auf daß sich der Säemann und der
Schnitter miteinander freuen. Denn hier ist der Spruch wahr: Einer sät, der
andere erntet. Ich habe euch ausgesandt zu ernten, was ihr nicht gearbeitet habt.
Andere haben gearbeitet und ihr seid in ihre Arbeit eingetreten.
Aus derselben Stadt aber glaubten viele der Samariter an ihn um des Weibes
Rede willen, welches da bezeugte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.
Als nun die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er
blieb daselbst zwei Tage. Und noch viel Mehrere glaubten um seines Wortes
willen. Und zu dem Weibe sprachen sie: Nun glauben wir nicht mehr um deiner
Rede willen; wir haben selbst gehört und erkannt, daß dieser wahrhaftig der Welt
Heiland, der Christus, ist!“ (Hebr.4,31-42)
Wir wollen auf den Unterschied achten, der zwischen der Stellung besteht, die
Nikodemus, einer der Obersten aus dem Volk Israel, zu Jesu hatte, und der Stellung, die
Johannes der Täufer zu Jesu eingenommen hat. Beiden gegenüber wird uns nun die
Samariterin vor Augen geführt.
Wie nahe Johannes zu Jesu stand, wie deutlich Jesus dem Nikodemus die Ordnung
der neuen Geburt erklärt hat - das alles wird übertroffen von dem, was Jesus der
Samariterin am Jakobsbrunnen sagte. Bisher hatte er sich noch keinem Menschen so
klar wie diesem Weib als der Messias, der Christus, offenbart, und von keiner Seite war
bisher eine solche Bewegung durch jemand erfolgt, waren so viele Leute zu Jesu
gebracht worden wie durch dieses samaritische Weib. Die Jünger waren auch in Sichar,
sie kamen zu Jesu zurück mit der Speise, die sie dort gekauft hatten; aber durch sie hat
kein Mensch etwas von Jesu gehört. Nikodemus hatte für sich allein zu tun mit dem, was
Jesus ihm gesagt hatte, während Johannes durch sein Zeugnis über Jesum einige seiner
Jünger veranlassen konnte, etwas ernstlicher nach Jesu zu fragen. Im weiteren aber
führte es nur dahin, daß Jesus die dortige Gegend verließ und sich von Johannes
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und seinem Wirkungsgebiet trennte, weil Neid und Eifersucht unter den Jüngern des
Johannes Jesu gegenüber entstanden waren. Das samaritische Weib hatte aber aufgrund dessen, was Jesus zu ihr gesagt hatte, die ganze Stadt in Bewegung gebracht, so
daß Jesus seinen Jüngern zeigen konnte, daß die Felder schon weiß zur Ernte seien,
obgleich sie der Naturordnung zufolge sagten: Es sind noch vier Monate bis zur Ernte.
Das, was Jesus mit diesem Weib geredet hatte, machte es offenbar, wie reif die Felder
schon zur Ernte waren. Worin hat sich nun dieses Weib von den übrigen Jüngern, auch
von Johannes und von Nikodemus unterschieden? Nachdem Jesus zuerst von ganz
natürlichen Dingen mit ihr geredet hatte und er Wasser von ihr zu trinken begehrte, stellte
es sich im weiteren Gespräch bald heraus, was für eine Absicht er damit hatte, daß er mit
diesem Weib überhaupt sprach. Nicht die Tatsache, daß Jesus als Jude mit ihr sprach,
sondern das, was er mit ganz persönlichen Worten ihr sagte, hatte die Wirkung, daß ihr
Verlangen, ihre Sehnsucht nach dem Messias, nach dem Christus, befriedigt werden
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Johannes-Evangelium Teil 3
konnte. Würde jemand vermutet haben, daß dieses Weib in ihrem tiefsten Herzensgrund
so sehr nach dem verheißenen Christo verlangte? Daß Johannes sich mit ihm
beschäftigte und sein Kommen ankündigte, können wir verstehen; denn Jesu Kommen
sollte nach dem Willen Gottes angekündigt werden durch seinen Vorläufer, der darüber
eine göttliche Offenbarung bekommen hatte. Darin sehen wir eine göttliche Berufung.
Und darum fällt es uns nicht schwer, Johannes in seinem Dienst als Wegbereiter des
Herrn zu finden. Durch seinen Dienst kamen etliche seiner Jünger zu Jesu. Auch das
können wir gut verstehen. Wenn Johannes, der Wegbereiter, ihnen so klar sagte, daß
Jesus das Lamm Gottes sei, das der Welt Sünde wegnimmt, so ist es nicht erstaunlich,
daß einige seiner Jünger Jesu nachfolgten; andre aber trugen dazu bei, daß Jesus aus
jener Gegend wegging. Sogar Johannes wurde durch den Einfluß seiner Jünger von Jesu
getrennt. Wir könnten auch verstehen, daß Nikodemus, ein Oberster und Schriftforscher,
für Jesum und seine Tätigkeit Interesse hatte und daß er sich persönlich ernstlich mit
dem beschäftigte, was ihm Jesus von der neuen Geburt gesagt hatte. Es ist auch gut zu
verstehen, daß die spätere Betätigung von Johannes ihm den Haß der Herodias
einbrachte und daß er durch ihren Einfluß sogar das Leben verlieren mußte. Das alles
gehört in die uns gut bekannten verständlichen Erfahrungen nach beiden Seiten: nach
der Seite, die die Jünger Jesu in ihrer Verbindung mit Jesu darstellten, und nach der
andern Seite: wie eine Herodias ihren Haß gegen Johannes entfaltete. Für diese beiden
Seiten können wir Verständnis aufbringen.
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Aber von diesen beiden Seiten unterscheidet sich die Samariterin. Sie vereinigt zwar
beide Seiten in sich: die Stellung, die die Jünger bisher zum Herrn einnahmen, und die
Stellung der Herodias als Gesetzesübertreterin. Die Samariterin war eine Gesetzesübertreterin wie die Herodias - aber sie war auch eine Jüngerin Jesu, und zwar
gestaltete sich im Verlauf eines einzigen Gesprächs mit Jesu ihr Verhältnis zu ihm so
innig, wie wir das unter den uns bekannten bisherigen Jüngern Jesu nicht finden, weder
bei Johannes dem Täufer noch bei den übrigen Jüngern Jesu, noch bei Nikodemos. Ihre
Gesetzesübertretung, die eine Mißachtung der göttlichen Ordnung war, hatte bewirkt,
daß die Samariterin vielleicht von jedermann verachtet wurde. Johannes verurteilte durch
seinen Dienst unter dem Gesetz das gleiche Verhalten bei der Herodias, und die Jünger
Jesu wundern sich, daß Jesus mit der Samariterin redet.
Diese aber wird die erste Evangelistin für Jesum, die erste, die durch ihr gutes
Verhältnis zu Jesu gelernt hatte, den Leuten etwas von Jesu zu sagen
Wir haben ja das Zeugnis des Johannes gehört, und es ist uns auch von einzelnen
Jüngern berichtet, was sie von Jesu gesagt haben. Johannes konnte bezeugen, daß
Jesus das Lamm Gottes sei, welches der Welt Sünde wegnimmt (Joh.1,29). Das interessierte einzelne seiner Jünger. Sie konnten daraufhin zu andern sagen: Wir haben
den gefunden, von dem Moses im Gesetz und die Propheten geschrieben haben
(Joh.1,46-48). Das hatte aber nur die Wirkung, daß Nathanael, ein wahrer Israelit, sagte:
„Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?” (Joh.1,47)
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Johannes-Evangelium Teil 3
Er, der dann Jesu auch nachfolgte, war zunächst der Meinung, daß er besser sei als
Jesus, weil Jesus von Nazareth komme. Ein ganz neues Zeugnis legt die Samariterin in
der Stadt Sichar unter ihren Bekannten ab, und ihre Worte sind auch bis heute wenig
nachgesprochen worden. Die Kinder Gottes gleichen meist den Jüngern Jesu oder
Johannes dem Täufer oder auch Nikodemus; andre wieder bleiben in ihrer Herzensverstockung wie die Herodias, selbst wenn sie dem Volk Gottes angehören. Wie
sonderbar ist es, daß diese Samariterin zu ihren Leuten nicht sagt: Ich habe den Messias
gefunden; Christus, auf den wir warten, ist da, ich habe ihn am Jakobsbrunnen getroffen,
er hat mit mir geredet. Er hatte ihr doch klar gesagt: Ich bin es, der mit dir redet! So hatte
er weder zu Johannes, noch zu den ersten Jüngern, noch zu Nikodemus gesprochen.
Dieser Samariterin bestätigte er es ganz klar, nachdem sie ihm gesagt hatte:
„Ich weiß, daß der Messias kommt, welcher Christus genannt wird; wenn
derselbe kommt, wird er uns alles verkündigen.” (Vers 25)
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Darauf antwortete ihr Jesus:
„Ich bin es, der mit dir redet!” (Vers 26)
Vergegenwärtigen wir uns demgegenüber die Frage von Johannes! Stellen wir uns vor,
wie er, sowie die übrigen Jünger und Nikodemus zu Jesu standen! Wie bald sandte
Johannes Leute zu Jesu und ließ ihn fragen:
„Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?” (Matth.11,3)
Und nach Jahren, als Jesus seinen Erdendienst fast völlig ausgerichtet hatte, sagten ihm
seine Jünger:
„Nun wissen wir, daß du alles weißt und nicht nötig hast, daß dich jemand frage;
darum glauben wir, daß du von Gott ausgegangen bist.” (Joh.16,30)
Das also war die Stellung der Jünger während der ganzen Zeit, als sie mit Jesu gingen.
Trotz dem Zeugnis, das wir schon in der früheren Zeit von Petrus hören:
„Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens. Und wir haben
geglaubt und erkannt, daß du bist der Heilige Gottes!” (Joh.6,68-69),
wankten und schwankten seine Jünger noch bis zu Jesu Tod zwischen Glauben und
Unglauben hin und her. Selbst nach der Auferstehung mußte Jesus sie zurechtweisen
und strafen um ihrer Herzenshärtigkeit und um ihres Unglaubens willen dafür, daß sie
denen nicht glaubten, die ihn als Auferstandenen aus den Toten gesehen hatten.
Aufgrund dessen, wie Jesus sich der Samariterin als Messias offenbarte, berührt es uns
eigentümlich, daß sie zu ihren Leuten so eigenartig redete. Sie sagte:
„Kommt, sehet einen Menschen, der mir alles gesagt, was ich getan habe, ob
dieser nicht der Christus sei!” (Vers 29)
Überlegen wir uns diese Worte! Die wenigsten Jünger Jesu haben solches Vertrauen zu
Jesu wie die Samariterin; die meisten gleichen entweder Johannes oder den übrigen
Jüngern. Warum hatte Nikodemus solche Mühe, Jesum zu verstehen? Die neue Geburt,
von der Jesus ihm sagte, war ihm ein völlig fremdes Gebiet. Wenn Jesus zu ihm von der
Gesetzesordnung und von Gebotsübertretungen geredet hätte, wenn er ihn auf Buße,
Reue, auf die Opfer zur Sündenvergebung und Schuldtilgung hingewiesen hätte oder ein
den Geboten entsprechendes, Gott wohlgefälliges Leben gefordert hätte, so hätte
Nikodemus den Herrn in jedem Wort verstanden. Aber die neue Geburt, die Jesus als
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Johannes-Evangelium Teil 3
das Notwendigste hinstellte, war ihm völlig fremd. Jesus hätte über die Sünden des
Volkes Gottes und auch des Nikodemus viel sagen können, und er hätte sicher bei ihm
Verständnis
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gefunden; aber als das Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegnimmt, durfte er ihn in
seiner persönlichen Stellung nicht antasten; Nikodemus gab Jesu keine Möglichkeit, ihm
zu zeigen, daß seine eigenen Sünden zwischen ihm und Gott, zwischen ihm und seinem
Retter eine Scheidewand bildeten. Johannes konnte zwar bezeugen, daß Jesus, das
Lamm Gottes, der Welt Sünde wegnimmt; aber ihn selbst störte es nicht, daß er sich
weiterhin mit der Gesetzesordnung abgab, die doch die Sünde der Welt nicht
wegnehmen kann. Auch bekümmerte es ihn anscheinend nicht, daß er Jesum, den er
taufen mußte, damit alle Gerechtigkeit erfüllt würde, wieder von sich wegziehen lassen
mußte. Selbst einige seiner Jünger konnte er ohne Bedenken Jesu überlassen. Es schien
ihm richtig, daß sie glaubten, er sei der, von dem Moses und die Propheten geredet
hatten. Johannes selbst aber ging nicht mit Jesu. Und hatte je einer der ehemaligen
Jünger des Johannes, die dann zu Jesu übergegangen waren, bekannt: Er hat mir alles
gesagt, was ich getan habe?
So gibt es seither Kinder Gottes, die während der ganzen Zeit, in der sie Jesu
nachfolgen, ängstlich darauf bedacht sind, nur niemand erfahren zu lassen, was Jesus
persönlich für sie bedeutet. Wenn von ihnen verlangt würde, vor den Leuten zu
bezeugen: Hier ist einer, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe, würden sie sich
lieber nicht unter den Jüngern Jesu aufhalten. Ihre Taktik ist „Verbergen” und ihr Leben,
so gut es nur geht, unter den Mitmenschen ins beste Licht zu stellen. Die Kinder Gottes
wissen gewöhnlich, daß Jesus die Sünde der Welt weggenommen hat; sie wissen auch,
daß er ihre eigenen Sünden getragen hat - aber sind sie Zeugen für Jesum? Hat ihr
Zeugnis von Jesu in ihrer Umgebung Kraft? Bringt es Leute zu Jesu? Warum nicht? Es
gibt in unserer Umgebung Nikodemusgestalten, die auch gern zu Jesu kommen, weil sie
Interesse für ihn haben. Dann gibt es unter denen, die Kinder Gottes sind, Menschen, die
Interesse für Gottes Sache haben, wie es die Jünger Jesu im allgemeinen haben, weil sie
der für die ganze Welt bestimmte Ratschluß Gottes interessiert; wie Johannes wollen sie
diesen Ratschluß Gottes, Jesum als Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegnimmt, gern
kennenlernen. Das sind einzelne, die auch in der heutigen Zeit öfter bei Jesu
vorsprechen. Wo sind aber die Scharen, die durch das Zeugnis eines einzigen Kindes
Gottes von „Sichar” zu Jesu kommen? Worin lag die Anziehungskraft der Samariterin?
Was fehlt bei den Gläubigen? Das, was damals selbst den Jüngern Jesu gefehlt hat: daß
sie von Samaria nichts anderes bringen konnten als Lebensmittel, um mit Jesu etwas zu
essen. Als sie diese Frage mit ihm behandelten, sagte er ihnen:
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„Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat, und
vollbringe sein Werk.” (Vers 34)
Seine Jünger wollten ihn mit der Nahrung versorgen, die sie eingekauft hatten; die
Samariterin aber versorgte ihn mit der wahren Speise, nachdem er mit ihr geredet hatte,
denn auf ihre Veranlassung hin strömten die Bewohner ihrer Heimatstadt hinaus zu Jesu.
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Johannes-Evangelium Teil 3
Die Jünger brauchten nur ihre Augen aufzuheben, so daß sie schauen konnten, wie weiß
die Felder schon zur Ernte waren. Es wird nicht lange gedauert haben, bis die Jünger all
die Menschen gewahr wurden, die von der Stadt zu Jesu hinauskamen. Und Jesus
konnte nun seinen Jüngern sagen, daß sie die Erntenden seien, während die
vorausgegangene Arbeit von andern geleistet worden sei, und so seien sie in die Arbeit
der andern getreten. Das, was sie zu tun hätten, sei nur, die Ernte einzuheimsen, und
zwar nicht nur zu ihrer eigenen Freude, sondern daß auch der Sämann und der Schnitter
sich miteinander freuen.
Die Urheberin von allem war das samaritische Weib. Worin lag die Kraft, daß auf ihr
Wort hin die Leute aus der Stadt kamen, um Jesum zu hören? Das müssen wir eben
gründlich studieren, sonst haben wir die Hauptsache in dieser ganzen Geschichte
unbeachtet gelassen. Das, was ihr selbst geholfen und dazu geführt hatte, daß sie ihren
Messias finden konnte, das half auch den andern Leuten. Zuerst war es für die
Samariterin keine Hilfe, daß Jesus anfing, mit ihr zu reden; es brachte sie bloß in
Verwunderung, daß sich ein Jude mit ihr unterhielt; wenn er ihr auch lebendiges Wasser
anbot, so glaubte sie doch nicht, daß er imstande sei, ihr solches zu geben; denn er hatte
ja kein Gefäß, und der Brunnen war tief. Die ersten Worte Jesu wirkten bei ihr noch nicht.
Sie vermutete nur, daß er sich für größer hielt als der Vater Jakob, der, wenn er Wasser
für sich, seine Familie und sein Vieh haben wollte, auf dieselbe Weise aus dem Brunnen
schöpfen mußte, wie es bis dahin immer noch üblich war. Erst als Jesus ihr sagte, daß
man in Ewigkeit keinen Durst mehr bekommt, wenn man von seinem Wasser trinkt, daß
es zu einer Quelle werde, die ins ewige Leben quillt - da erst wurde sie verlangend und
begehrte von diesem Wasser. Aber die eigentliche Hilfe wurde diesem Weib erst zuteil,
als ihr Jesus sagen konnte, was sie getan hatte, als er ihr enthüllte, daß sie fünf Männer
gehabt hatte und daß der Mann, den sie nun hatte, nicht ihr Mann war. Und nun sagte er
ihr erstaunlicherweise nicht einmal, was Johannes der Herodias und dem Herodes
gesagt hatte. Diesen beiden Menschen hatte Johannes gesagt, daß es nicht recht sei,
wenn sie sich als Eheleute miteinander verbunden hatten, weil sie sich nach dem Gesetz
nicht haben durften (Mark.6,17-18).
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Aber das, was Jesus der Samariterin gesagt hatte, bewirkte, daß er sich als ihr Messias,
ihr Christus, offenbaren konnte. Sie bekam dadurch Licht über alles, was sie durch den
kommenden Messias erwartete, und fand durch ihn den Weg zu Gott: nämlich Gott im
Geist und in der Wahrheit anzubeten. Um das tun zu können, hatte Jesus sich ihr nur zu
offenbaren brauchen, indem er ihr sagte:
„Ich bin es, der mit dir redet!” (Vers 26)
Vielleicht wäre die interessante Auseinandersetzung mit diesem Weib nicht in dem
Augenblick abgebrochen worden, wenn die Jünger Jesu nicht gerade von Sichar
gekommen wären, also wenn durch ihr Kommen Jesus und dieses Weib nicht voneinander getrennt worden wären. Sie konnten nun nicht mehr ungestört miteinander
reden; darum ließ sie ihren Wasserkrug stehen, lief in die Stadt und sprach zu den
Leuten:
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Johannes-Evangelium Teil 3
„Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat, und
vollbringe sein Werk.” (Vers 34)
Nun ist ihr der Durst, das Bedürfnis nach dem täglichen Wasser, auf einmal ganz
vergangen. Sie hat nicht aus dem Brunnen geschöpft, sie hat nicht getrunken, sie hat
Jesu nicht zu trinken gegeben, sie hat auch kein Wasser mitgenommen. Ohne Wasser ist
sie in der sechsten Stunde, also in der brennenden Mittagshitze, wieder nach der Stadt
zurückgelaufen und hat angefangen, die Leute auf Jesum aufmerksam zu machen. Es ist
in dieser Schilderung nichts erwähnt über den Glauben dieses Weibes. Das ist doch
eigenartig! Nur die Leute sagen nachher, nachdem viele der Samariter um des Weibes
Rede willen an ihn glaubten:
„Nun glauben wir nicht mehr um deiner Rede willen; wir haben selbst gehört und
erkannt, daß dieser wahrhaftig der Welt Heiland, der Christus, ist!” (Vers 42)
Das alles hatte das Weib aufgrund dessen bewirkt, was sie von Jesu als durststillendes
Lebenswasser im Glauben aufgenommen hatte. Die Worte Jesu beeindruckten sie so
mächtig, daß sie darüber alles andre vergaß. Sie konnte den Krug stehen lassen, sie
konnte ohne Wasser sein; sie konnte hineilen und Leute zu Jesu bringen, ohne daß sie
von dem, was sie eigentlich beim Brunnen gesucht hatte, noch beeinflußt und
aufgehalten wurde. Zum Wasserschöpfen beim Brunnen war immer noch Zeit, aber mit
Jesu in Verbindung zu kommen und die Leute zu Jesu zu bringen, dazu war nicht immer
Zeit, das mußte sie sofort, in diesem Augenblick, da es möglich war, tun. Nachdem sie
ihre Erfahrungen mit Jesu gemacht hatte, ließ es ihr keine Ruhe, nur für sich selbst zu
wissen, daß der Messias, der Christus, da war. Sie mußte jetzt hineilen und ihren
Bekannten sagen, daß sie dasselbe
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auch erfahren könnten. Sie sollen auch hingehen und .sehen, ob dieser, der ihr alles
gesagt, was sie getan hatte, nicht der Christus sei. Eine solche Gesinnung, wie sie
dieses samaritische Weib offenbarte, findet man selten, und die Art, wie sie die Leute zu
Jesu brachte, ist ebenso selten anzutreffen. Der Grund dafür ist in der Geschichte, die
uns berichtet ist, leicht zu erkennen. Nachdem Jesus der Samariterin das, was sie getan,
gesagt hatte, war sie im Gespräch mit ihm sofort im rechten Fahrwasser. Da gab es kein
Verdrehen, kein Entstellen, kein Vertuschen und kein Verleugnenwollen; sie hatte
zunächst kein anderes Interesse, als ihren Messias persönlich kennenzulernen. Als sie
sich nun von ihm erkannt wußte und sah, daß er mindestens ein Prophet sein müsse,
stellte sie sich zu seinem Wort, das er ihr gesagt hatte.
Und dann äußerte sie ihre Hoffnung, die sie für den kommenden Messias hatte.
Wenn er kommt, dann sagt er uns alles, was wir wissen müssen, damit uns geholfen
wird. So, wie wir jetzt anbeten, ist uns nicht geholfen, und was ihr in Jerusalem anbetet,
hilft uns auch nicht; aber wenn der Christus kommt, dann wird er mir helfen. Und als er zu
ihr gesagt hatte:
„Ich bin es, der mit dir redet!” (Vers 26),
hält es sie nicht mehr lange bei ihm. Sie hat ihn als den Messias erkannt, auf den sie
gewartet hatte. Nun hat sie keine Aufklärung mehr von ihm zu erwarten, hat ihm auch
nichts weiter zu sagen; er weiß ja alles. Jetzt braucht sie nur zu den andern zu gehen
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Johannes-Evangelium Teil 3
und sie aufzufordern: Nun geht auch ihr hin und seht, ob das nicht der Christus sei, ob
euch nicht auch auf dieselbe Weise geholfen wird, wie mir geholfen worden ist!
Der Unterschied zwischen der Stellung dieser Samariterin einerseits und der des
Nikodemus, Johannes des Täufers und der Jünger Jesu anderseits liegt darin, daß die
letzteren mehr oder weniger zunächst nur an sich selbst dachten. Die Samariterin
dagegen ist so erfüllt von ihrer Begegnung mit Jesu, daß sie sofort andre Menschen
inspiriert. Nikodemus konnte niemand zu Jesu bringen; denn das, was ihm Jesus sagte,
verstand er selbst nicht. Johannes konnte nur wenige zu Jesu bringen; denn das, was er
sagte, interessierte nur solche, die nach dem Reich Gottes suchten. Das samaritische
Weib konnte viele zu Jesu bringen, die vermutlich dasselbe getan hatten, was sie in
ihrem Leben gemacht hatte, und sie war überzeugt, daß Christus genauso für sie alle wie
für sie selbst da war.
Dieses Weib unterscheidet sich von vielen andern, selbst von vielen Gläubigen, und
ihre Art, Menschen zu Jesu zu bringen, unterscheidet sich auch dementsprechend. Denn
sie war Jesu gegenüber aufrichtig
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und ebenso aufrichtig den Leuten gegenüber, indem sie nichts von dem, was sie in ihrem
Leben getan hatte, verheimlichen, verbergen wollte. Sie kam mit dem Zeugnis zu den
Leuten:
„Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.” (Vers 39)
Wir aber kommen gewöhnlich mit dem Zeugnis zu den Leuten: Wir haben den gefunden,
von dem Moses und die Propheten geweissagt haben. Wir haben das Schriftzeugnis, wir
verstehen den Willen Gottes, wir wissen, daß Jesus das Lamm Gottes ist, das der Welt
Sünde wegnimmt, Jesus ist der Heiland! Und dann versuchen wir es gewöhnlich den
Leuten klarzumachen, daß Jesus weiß, wie gut wir sind - wahre Israeliten ohne Falsch.
Ein solches Zeugnis hat vielleicht zur Folge, daß die Leute den Eindruck bekommen:
Solange wir nicht so gut sind wie diese, dürfen wir nicht wagen, diesem Heiland zu
nahen. So kommt es dann meistens nicht dahin, daß die eigenen Hausgenossen von
dem Zeugnis der Gläubigen zu Jesu geleitet werden; entweder sie trauen dem Frieden
der Gläubigen nicht recht, sie sagen: Hier stimmt etwas nicht, oder aber sie sind von der
guten Stellung der Gläubigen im eigenen Hause so beeindruckt, daß sie meinen, man
könnte nur dann zu Jesu kommen, wenn man einigermaßen gut oder makellos sei. So
werden die Menschen durch die Gläubigen von Jesu ferngehalten, weil entweder das
Zeugnis und das Leben dieser Gläubigen nicht übereinstimmen, oder aber dadurch, daß
der Eindruck erweckt wird, man dürfe erst dann zu Jesu kommen, wenn man ein guter
Mensch geworden sei. Wenn wir uns ernstlich prüfen, dann steckt auch in uns irgend
etwas von der Gesinnung des Nikodemus oder von Johannes dem Täufer oder auch von
den Jüngern Jesu. Inwieweit wir aber der Samariterin gleichen, das müßten die
Menschen bezeugen, die durch uns zu Jesu gebracht worden sind.
Nikodemus, Johannes der Täufer und die Jünger Jesu hatten bis dahin gar keine
oder nur sehr wenige Menschen mit Jesu in Verbindung bringen oder auf ihn aufmerksam machen können; die Masse kam durch die Stellung dieses samaritischen
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Johannes-Evangelium Teil 3
Weibes. Sie war die erste und die rechte Evangelistin; ihr muß die große Schar der
Evangelistinnen, von der im Ps.68,12 (s.Lutherübersetzung) die Rede ist, entsprechen.
Dieses Weib fand den rechten Ton, nachdem ihr geholfen war, und das war geschehen,
sobald Jesus ihr die Worte gesagt hatte: „Ich bin es!” Von da an war ihr Verhältnis zu
Jesu und ihr Einfluß unter ihren Bekannten verändert. Wir wissen ja, was für einen
Eindruck man im allgemeinen von Menschen bekommt, die offensichtlich als Sünder
bekannt sind, wie man über sie urteilt und sich ihnen gegenüber verhält. Und als nun ein
solches Weib kam und
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sagen konnte: Da ist ein Mensch, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe, kommt
und seht, ob das nicht der Christus sei, da hatten ihre Worte eine solche Wirkung, wie sie
bis dahin in ihrer Umgebung noch nie erlebt worden ist. Das war etwas völlig Neues.
Vorher folgten die einen ihrem Sündeneinfluß und wandelten ihre Sündenwege mit ihr,
während andre sich gegen diese Sündenwege empörten. Und nun auf einmal kommen
sie alle zu Jesu. Sie werden alle an das erinnert, was sie getan haben, und sie sehen
alle, daß sie den Messias, den Christus, nach dem ihr Herz im tiefsten Grund begehrt,
brauchen. Sie gehen hin, sie finden ihn und können ihr sagen:
„Nun glauben wir nicht mehr um deiner Rede willen, wir haben selbst gehört und
erkannt, daß dieser wahrhaftig der Welt Heiland, der Christus, ist.” (Vers 42)
So hat dieses Gespräch am Jakobsbrunnen dazu geführt, daß Jesus zum ersten Mal in
einem nicht mehr ganz israelitischen Volk bezeugen konnte, daß er der Welt Heiland sei;
in seinem eigenen Volk mußte er meist erfahren, daß ein Prophet in seinem Vaterlande
nicht geachtet wird (vgl.Matth.13,53-58). Nun konnte er sich unter den Samaritern als der
Welt Heiland, der Christus, offenbaren; für sie hatte das aber nicht die Wirkung wie für
Johannes, den Vorläufer Jesu, der Jesum als Weltheiland ankündigte, während er sich
gleichzeitig ohne Bedenken von ihm trennen und ihn ruhig ziehen lassen konnte,
nachdem er eine kleine Begegnung mit ihm gehabt hatte. Unter diesen Samaritern wurde
Jesus als der Weltheiland, der Christus, offenbar, weil sie ihn nicht nur gehört, sondern
auch durch ihre persönliche Erfahrung als solchen erkannt hatten. Sie alle stellten sich
auf den Boden, auf dem dieses samaritische Weib seine Erfahrungen gemacht hatte. Sie
alle konnten bezeugen: Er hat mir gesagt, was ich getan habe; alles, was wir getan
haben, ist offenbar geworden. Durch diesen Weltheiland, durch diesen Christus, ist uns
wirklich geholfen, und so, wie er uns geholfen hat, so will er der ganzen Welt helfen. Auf
diese Weise und auf dem Weg, auf dem wir zu Jesu gekommen sind, können alle
Menschen zu ihm kommen, wenn sie sich alles sagen lassen wollen, was sie getan
haben.
Und nun prüfen wir uns, ob wir auch so zum Heiland gekommen sind, oder ob wir ihn
immer noch als den Heiland für die andern ansehen, weil wir uns einbilden, wir können
alles, was wir getan haben, verborgen halten, es brauche nie völlig offenbar zu werden,
wir brauchen nie vor den Menschen so dazustehen, wie wir in Wirklichkeit gelebt haben.
Wir sind der Meinung, wir können ganz gut Kinder Gottes, Jünger Jesu sein, wenn wir
nur nach der Bibel, nach
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Johannes-Evangelium Teil 3
der Heiligen Schrift, wissen, daß Jesus die Sünden der Welt auf sich genommen hat auch wenn wir es nicht bezeugen können, daß er unsre eigenen Sünden alle gesehen,
aufgedeckt und weggenommen hat.
Unser Verhältnis zu Jesu ist aber nur dann gesund, wenn dieses sein Lebenswasser,
das er der Samariterin gegeben hat, auch in uns zu einem Quell des Wassers wird, das
ins ewige Leben quillt. Nur dann haben wir aus der Erfahrung dieses Weibes unsre
Lektion gelernt.
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Unterweisung über die rechte und falsche
Stellung zum Bräutigam und zur Braut
„Nach den zwei Tagen aber zog er von dannen und ging nach Galiläa. Denn
Jesus selbst bezeugte, daß ein Prophet in seinem eigenen Vaterlande nicht
geachtet werde. Da er nun nach Galiläa kam, nahmen ihn die Galiläer auf, weil
sie alles gesehen, was er zu Jerusalem am Feste getan hatte, denn auch sie
waren auf das Fest gekommen.
Er kam nun wieder nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht
hatte. Und es war ein königlicher Diener, dessen Sohn lag krank zu Kapernaum.
Als dieser hörte, daß Jesus aus Judäa nach Galiläa gekommen wäre, ging er zu
ihm und bat ihn, daß er hinabkäme und seinen Sohn gesund machte, denn er
war todkrank. Da sprach Jesus zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder
sehet, so glaubet ihr nicht! Der königliche Diener spricht zu ihm: Herr komm
hinab, ehe mein Kind stirbt! Jesus spricht zu ihm: Geh hin, dein Sohn lebt! Der
Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sprach, und ging hin. Als er aber
noch unterwegs war, kamen ihm seine Knechte entgegen und verkündigten ihm:
Dein Sohn lebt! Nun erkundigte er sich bei ihnen nach der Stunde, in welcher es
mit ihm besser geworden. Und sie sprachen zu ihm: Gestern um die siebente
Stunde verließ ihn das Fieber. Da erkannte der Vater, daß es eben in der Stunde
geschehen, in welcher Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt! Und er glaubte
samt seinem ganzen Hause. Dieses ist das zweite Zeichen, welches Jesus
wiederum tat, als er aus dem Lande Judäa nach Galiläa kam.“ (Joh.4,43-54)
Johannes der Täufer reihte sich, obwohl er der größte von Weibern Geborene
und der Wegbereiter des Herrn war, nicht in die Brautschar Jesu ein und wurde
kein Anbeter Gottes im Geist und in der Wahrheit
Jesus wußte, daß ein Prophet in seinem Vaterland nichts gilt (Matth.13,57). Deshalb hat er
auch Johannes wieder verlassen, nachdem er von ihm getauft worden war und unter den
Jüngern des Johannes Neid und Eifersucht entstanden waren, weil Jesus mehr Jünger
hatte als Johannes. Er hat sich auch nicht anderswo in der näheren Umgebung
niedergelassen, um seine Arbeit in seinem Vaterland bei seinem Volk und den ihm
Nahestehenden zu beginnen. Er wandte sich wieder nach Galiläa, dorthin, wo er das
erste Zeichen getan hatte, indem er auf der Hochzeit zu Kana Wasser in Wein
verwandelte. Die Erfahrung, die er unterdessen in Samaria gemacht hatte, seine
Begegnung mit der Samariterin, die die erste Missionarin wurde,
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Johannes-Evangelium Teil 3
war nur eine Zwischenerfahrung auf dem Weg von Judäa nach Galiläa. Er hatte sich von
seinem Volk weggewandt, weil sie ihn nicht anerkannt und aufgenommen hatten, und
ging wieder dahin, wo er wußte, daß sie ihn aufnehmen würden, da, wo sein Wunder
schon Glauben an ihn gewirkt hatte. Mit diesen Gläubigen sich wieder zu verbinden, war
nun seine Absicht; danach strebte er. Diese Verbindung konnte er mit Johannes, seinem
Wegbereiter, von dem er sich hatte taufen lassen, nicht haben.
An Erkenntnis war Johannes sicher allen andern, die bis dahin an Jesum gläubig
geworden waren, weit überlegen. Er wußte mehr als alle andern vom Willen und Ratschluß Gottes in bezug auf das kommende Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegnehmen würde. Er hatte sogar einen bestimmten Blick für das Verhältnis zwischen
Bräutigam und Braut, also für die wahre Verbindung dieses Lammes Gottes mit den
Seinen, wie sie Jesus bei der Hochzeit in Kana, als er das Wasser in Wein verwandelte,
vorbildlich ins Licht gestellt hat. Nun haben wir einen Ausspruch von Jesu über Johannes
in Matth.11,7-15:
„Als aber diese aufbrachen, fing Jesus an zum Volke zu reden von Johannes:
Was seid ihr in die Wüste hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen,
das vom Winde bewegt wird? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen?
Wolltet ihr einen Menschen sehen, mit weichen Kleidern angetan? Siehe, die
weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige! Oder was seid ihr hinausgegangen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, einen, der
mehr ist als ein Prophet! Denn dieser ist’s, von dem geschrieben steht: ‘Siehe,
ich sende meinen Boten vor deinem Angesichte her, der deinen Weg vor dir
bereiten soll.’ Wahrlich, ich sage euch, unter denen, die von Weibern geboren
sind, ist kein größerer aufgestanden als Johannes der Täufer. Doch der Kleinste
im Himmelreich ist größer als er. Aber von den Tagen Johannes des Täufers an
bis jetzt leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalt anwenden, reißen es an
sich. Denn alle Propheten und das Gesetz bis auf Johannes haben geweissagt.
Und wenn ihr es annehmen wollt: er ist der Elias, der da kommen soll. Wer Ohren
hat, zu hören, der höre!“
Als die Eifersucht der Anhänger des Johannes gegen Jesum im Entstehen war, hat
Johannes die Worte ausgesprochen:
„Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam; der Freund des Bräutigams aber, der
da steht und ihn hört, freut sich hoch über des Bräutigams Stimme. Diese meine
Freude ist nun erfüllt. Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.” (Vers 29-30)
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Mit diesen Worten hat Johannes das, was Jesus von ihm bezeugte, daß von Weibern
kein Größerer geboren worden sei als Johannes der Täufer, daß er mehr sei als ein
Prophet, bestätigt. Damit hat er seine wahre Größe in seiner Stellung zu Jesu bekundet.
Seine Größe bestand darin, daß er Jesu gegenüber am rechten Platz bleiben wollte.
„Ihr selbst seid mir Zeugen, daß ich gesagt habe: Nicht ich bin der Christus, sondern vor ihm hergesandt.” (Joh.3,28),
hat er seinen Leuten gesagt. Wenn er ihnen gesagt hätte, er sei Christus, hätten sie es
auch geglaubt. Es wären gewiß genug Menschen unter dem Volk gewesen, die ihn als
Christum an- und aufgenommen hätten. Als er dann von dem Lamm Gottes, das der Welt
Sünde wegnimmt, Zeugnis gegeben hatte und etliche seiner Jünger anfingen, Jesu
nachzufolgen, so daß Jesus bald größeren Anhang hatte als Johannes, gab es Streit und
Uneinigkeit in seiner Jüngerschar und gewiß auch unter dem übrigen Volk. Die Jünger
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Johannes-Evangelium Teil 3
des Johannes hatten die Gesinnung, die Johannes von sich bezeugen konnte, nicht. Es
gefiel ihnen nicht, daß Jesus größer sein sollte als ihr Führer; sie wollten sozusagen
Johannes ehren und Jesu gegenüber seine Ehre retten. Jesus sollte nicht größer sein als
Johannes der Täufer. Johannes aber folgte diesem Einfluß des Volkes nicht; er blieb
dabei, daß er selbst nicht Christus sei, nur vor ihm hergesandt, daß nur der Bräutigam
die Braut habe, also nicht er, sondern Jesus, und daß er nur der Freund dieses
Bräutigams sei. Deshalb sollte Jesus zunehmen, er aber wollte abnehmen. Diese
Stellung gefiel seinen Leuten aber nicht. Ihretwegen brauchte Jesus nicht zuzunehmen,
wenn nur ihr Meister, Johannes der Täufer, nicht abnahm in seiner Stellung und seinem
Einfluß, den er ausübte. Die Aussage Jesu, daß bis dahin kein Größerer von Weibern
geboren wurde als Johannes der Täufer, aber der Kleinste im Reich Gottes größer sei als
er, war ja Johannes in der Zeit seiner Wirksamkeit noch nicht bekannt. Für uns kommt
aber jetzt nur das eine in Betracht, worauf wir schon früher hingewiesen haben, daß der
Glaube, den Johannes hatte, ihn nicht dahin brachte, ein Jünger Jesu zu werden und
dadurch zu seiner Braut .gehören zu können. Er blieb in seiner Stellung und tat seine
Arbeit unter seinen Jüngern weiter wie bis dahin; aber von einem weiteren Zeugnis über
das vom Himmel kommende Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegnimmt, hören wir bei
ihm nichts mehr. Er hat diese Botschaft dem Herodes und der Herodias nicht verkündigt.
Wir müssen also bei Johannes ein langsames Abgleiten von seinem ursprünglich
trefflichen Zeugendienst und damit ein „Abnehmen” feststellen, je weiter wir ihn auf
seinem Weg begleiten,
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bis er dann hinter Kerkermauern lag, zu Jesu sandte und ihn fragen ließ:
„Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?” (Matth.11,3)
Er nahm nicht nur äußerlich ab, indem er von seinem Wirkungskreis abtreten mußte und
die Hoffnung seiner Jünger, die in ihm am liebsten den Christum selbst gesehen hätten,
nicht in Erfüllung ging, sondern er nahm auch in seiner inneren Stellung Christus, dem
Lamm Gottes, gegenüber ab, auch da wurde er kleiner. Sein klares Zeugnis als Botschaft
der Wegbereitung verstummte und wurde immer mehr eine Gesetzesbotschaft, wodurch
er den Tod als der Sünde Sold verkündigte. Sein Glaube reifte nicht dazu aus, daß er ein
wahrer Anbeter wurde, der Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten konnte. Diese
Möglichkeit ging ihm dadurch verloren, daß er sich nicht dem Lamm anschloß, und daß
er Jesum, der alle, die an ihn glaubten, zu diesem Ziel bringen wollte, nicht folgte.
Johannes blieb unter seinen Jüngern und setzte sich mit dem Sünder Herodes und der
Sünderin Herodias auseinander. Dadurch versäumte er es, auf den Weg zu kommen,
Gott im Geist und in der Wahrheit anzubeten, auf den Jesus die Samariterin wies. Jesus
sagte von Johannes, obwohl er ihn als den Größten, von Weibern geboren, größer als
die Propheten, bezeichnet hatte, daß der Kleinste im Himmelreich größer sei als er.
Seine Größe, von der Jesus redete, bestand vermutlich in der unmittelbaren Nähe, in der
er Jesu gegenüber stand. Die Propheten waren in ihrer Stellung Gottes Willen und
Ratschluß gegenüber kleiner als Johannes, weil sie Jesu, den kommenden Retter, nur im
Geist aus weiter Ferne schauen konnten, Johannes dagegen war in seiner unmittelbaren
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Johannes-Evangelium Teil 3
Nähe. Er war in seinem Dienst als Vorläufer Jesu auch nur sechs Monate älter als er.
Johannes stellte die Erfüllung der Verheißung dar:
„Siehe, ich sende meinen Engel, der vor mir her den Weg bereiten soll.” (Mal.3,1)
Und in diesem Dienst der Wegbereitung war er größer als die vor ihm gewesenen
Propheten, die nur im Geiste suchen und forschen konnten, auf welche Zeit der Geist
Christi hinwies, der davon zeugte, daß Christus zuerst leiden und nachher zur Herrlichkeit gelangen sollte (1.Petr.1,10-11). Aber trotz seiner Größe als Wegbereiter blieb
Johannes Jesu gegenüber in seiner zurückhaltenden Stellung, sein Dienst als Wegbereiter hörte bald auf. Er war tatsächlich nur der Wegbereiter; unmißverständlich erfüllte
sich an ihm das Wort, das ihm diesen Platz anwies, und, anstatt Jesu Jünger zu werden,
blieb er nur sein Freund. Aber auch diese Freude - der Freund des
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Bräutigams zu sein - war von kurzer Dauer. Als die Verbindung, die er mit Jesu hatte,
durch das Wegziehen Jesu nach Galiläa gelöst war, hörte sein Dienst als Wegbereiter für
Jesu und sein Verhältnis zu ihm als sein Freund bald auf; er wurde Gesetzesprediger
nach der mosaischen Ordnung und mußte deshalb bald sterben.
Jesus kann der Samariterin den Weg zur Anbetung Gottes im Geist und in der
Wahrheit zeigen und dadurch auch die Brautstellung
Jesus ging nun seinen Weg und erklärte der Samariterin das Geheimnis der wahren
Anbetung Gottes, der Anbetung im Geist und in der Wahrheit. Damit zeigte er ihr die
Brautstellung und das Ziel, zu dem er die Brautseelen, die an ihn glaubten, führen wollte.
Wir haben gesehen, daß Johannes durch den Einfluß eines Weibes, der Herodias,
sterben mußte; Jesus aber konnte einem Weib, der Samariterin, die erste Offenbarung
der Brautstellung „Gott im Geist und in der Wahrheit anzubeten” geben, obwohl sich
diese ihrem äußeren Verhalten nach von der Herodias nicht unterschieden hatte. Die
Samariterin gehörte nicht zum Volk Gottes, wohingegen die Herodias in engerer
Verbindung war mit diesem Volk, über das Herodes von der römischen Oberherrschaft
zum Regenten (Vierfürsten) gesetzt war. Seinem eigenen Volk konnte Jesus den Weg
zur Brautstellung nicht zeigen, wohl aber einer Samariterin; nicht, weil sie ein besseres
Leben geführt hätte als die Herodias, sondern weil sie unter andern Einfluß gekommen
war als jene. Johannes verkündigte dem Herodes und der Herodias das Mosaische
Gesetz. Jesus aber zeigte der Samariterin die wahre Anbetung Gottes im Geist und in
der Wahrheit. Jesus mußte nachher sagen, daß viele vom Westen und Osten kommen
und mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische sitzen würden; die Kinder des Reiches aber
würden hinausgestoßen werden (Matth.8,11). So mußte der Herr gleich von Anfang an
seine Brautseelen in Samaria und Galiläa suchen; in seinem Vaterhaus und in seinem
engeren Vaterland fand er sie nicht. Selbst der Freund des Bräutigams, Johannes der
Täufer, blieb in seiner Freundschaftsstellung; obwohl er sich über den Bräutigam und die
Braut freute, schloß er sich doch der Braut und damit auch dem Bräutigam nicht an.
Darum suchte Jesus die Verbindung mit Brautseelen, die an ihn glaubten, dort, wo ihm
sein himmlischer Vater bei der Hochzeit zu Kana den Weg für seinen Dienst bereitet
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Johannes-Evangelium Teil 3
hatte. Auf dem Weg dorthin zeigte er seinen Jüngern die zur Ernte, d.h. die zur
Brautstellung reifgewordenen Felder. So schaute er schon im Geiste seine um ihn
versammelte Braut: die wahren Anbeter, die den Vater im Geist und in der Wahrheit
anbeten würden, und solche sucht der Vater.
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Jesus kann den königlichen Diener, der angesichts seines todkranken Sohnes
an ihn glaubte, zur Brautstellung leiten
Nachdem sich Jesus zwei Tage bei den Samaritern aufgehalten hatte, zog er nach
Galiläa. Kaum war er in Kana angelangt, da kam auch schon ein königlicher Diener zu
ihm; aber er kam nicht als Brautseele, er sollte seinen todkranken Sohn gesund machen.
Daraufhin sagt ihm Jesus die bedeutsamen Worte:
„Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht!“ (Vers 48)
Das heißt mit andern Worten: Ihr wollt nicht wahre Anbeter Gottes im Geist und in der
Wahrheit werden, keine Brautseelen für den Bräutigam, sondern ihr begehrt nur Hilfe für
euch, es ist euch nur um eure Befriedigung durch Zeichen und Wunder zu tun. Dieser
Sinn liegt in den Worten:
„Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht!“ (Vers 48)
Ist es nicht eigenartig, daß Jesus diesem königlichen Diener nichts von dem sagt, was er
der Samariterin gesagt hatte:
„Es kommt die Stunde und ist schon da, wo die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit”? (Vers 23)
Dieses grundlegende Geheimnis für die Braut hat Jesus nur diesem sündigen samaritischen Weib enthüllt. Von dem königlichen Diener war kein Makel aus seinem Leben
bekannt; er fragt aber auch nicht nach der wahren Anbetungsstätte, nach der die
Samariterin trotz ihrem schlechten Lebenswandel ausschaute. Fünf Männer konnte sie
gehabt haben und gegenwärtig mit einem Mann zusammen leben, der nicht ihr Mann
war, und doch bewegte es sie, wo und wie man eigentlich Gott anbeten müsse - ob nach
ihrer samaritischen Gewohnheit oder nach der jüdischen Art. Jesus führt sie nun den
rechten Weg. Er zeigt ihr, daß beides: die Art, die sie in Samaria gewohnt waren, und die
Art, nach der die Juden in Jerusalem anbeten, nicht die wahre Anbetung sei. Deshalb
geleitet er sie nun in ihrem Geist zu dem Geist Gottes und zeigt ihr, welches wirkliche,
wahrhaftige Anbetung ist, mit andern Worten das Verhältnis der Braut zum Bräutigam,
die wahre Gemeinschaft, welche alle die, die an Jesum glauben, mit ihm erlangen
müssen. Deshalb macht Jesus auf den Unterschied aufmerksam, der zwischen dem
Verlangen: Zeichen und Wunder zu sehen - und der wahren Gemeinschaft mit Jesu
durch den Glauben an ihn besteht. Er will dem königlichen Diener sagen: Wenn ihr nur
um der Zeichen und Wunder willen zu mir kommt und an mich glaubt, weil ihr nur danach
verlangt, daß ich euch in euren Schwierigkeiten helfe, so seid ihr damit noch nicht in
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der wahren Gemeinschaft mit mir, ihr gehört dann doch nicht zu mir als Brautseelen zu
ihrem Bräutigam. Denn solange ihr in eurer Gesinnung verharrt, sind wir im Geiste nicht
so einig, wie wahre Anbeter, die Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten, mit ihm eins
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Johannes-Evangelium Teil 3
sein müssen. Ihr wollt in Wirklichkeit nur um der Zeichen und Wunder willen glauben; ihr
möchtet das anbeten, was euch in diesen Zeichen und Wundern befriedigt.
Das war eine andre Stellung, als sie Johannes hatte. Dieser wußte zwar mehr von
der wahren Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit und der Gemeinschaft der
Braut mit dem Bräutigam, aber er begehrte doch weniger als die Samariterin und selbst
als der königliche Diener, der nur um der Zeichen und Wunder willen glaubte. Die
Samariterin wußte nicht viel von der wahren Anbetung Gottes im Geist und in der
Wahrheit, aber sie suchte danach. Johannes wußte viel davon und suchte doch nicht
danach. Der königliche Diener wußte gar nichts von dieser wahren Anbetung im Geist
und in der Wahrheit. Er suchte nur Hilfe aufgrund von Zeichen und Wundern, ohne als
Brautseele zum Bräutigam zu kommen; und doch konnte der Herr ihm mehr geben, als er
Johannes dem Täufer, trotz all seiner Erkenntnis über das Geheimnis des Einsseins
zwischen Braut .und Bräutigam, geben konnte. Und die Jünger des Johannes und das
übrige Volk konnten von diesem Verhältnis zu Gott, das Jesus der Samariterin und dann
dem königlichen Diener aufschließen konnte, nichts erfahren, weil sie über die beiden
Persönlichkeiten, Johannes den Täufer und Jesu, das Lamm Gottes, das der Welt Sünde
wegnimmt, in Streit gerieten. Selbst Jesu eigene Jünger konnten zunächst in das
Geheimnis der wahren Anbetung nicht eingeweiht werden. Wir müssen die
verschiedenen Geisteshaltungen, wie sie Johannes seinen Jüngern einerseits und wie
sie Jesus der Samariterin und dem königlichen Diener anderseits zeigt, recht gründlich
beachten.
Das Wort Gottes dient uns nur insoweit, wie es unsre eigene Stellungnahme
beeinflussen kann. Wir können Johannes dem Täufer oder den eifersüchtigen Jüngern
gleichen; wir können auch der Samariterin gleichen, aber nur dann, wenn wir in unsrem
Leben schon schlecht genug geworden sind, so schlecht, wie diese Samariterin. Wir
können auch dem anscheinend unbescholtenen königlichen Diener gleichen, der
berechtigt zu sein glaubte, Jesum zu bitten, daß er hinabkomme nach Kapernaum, um
seinen Sohn gesund zu machen.
Ein anderes Zeugnis ist von einem heidnischen Hauptmann abgelegt, der zu Jesu
sagte, als sein Knecht krank war:
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„Ich bin nicht wert, daß du unter mein Dach kommst; ... sprich nur ein Wort, so
wird mein Knecht gesund.” (Luk.7,1-10)
Die Gesinnung dieses Mannes war wieder etwas anders als die des königlichen Dieners.
Dieser erwähnt mit keinem Wort, daß in seinem Leben vielleicht ein Hindernis wäre, das
Jesum davon abhalten könnte, seinem Verlangen zu entsprechen, d.h. mit ihm zu gehen,
um seinen Sohn gesund zu machen. Davon erwähnt dieser königliche Diener nichts.
Darüber scheint er sich gar keine Gedanken zu machen. Er hielt es für
selbstverständlich, daß er Jesum nur zu bitten brauchte, hinabzukommen, um seinen
Sohn gesund zu machen; denn es war ihm bekannt, daß Jesus Zeichen und Wunder
vollbrachte. Er hatte ja dort in Kana das erste Zeichen getan, und die Zeichen und
Wunder, die er in der Zwischenzeit in Jerusalem und in Judäa vollbracht hatte, waren ihm
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Johannes-Evangelium Teil 3
auch nicht verborgen geblieben. Aufgrund der Zeichen und Wunder, die ihm von Jesu
bekannt waren, hielt er es in seiner großen Angst, daß sein Sohn sterben könnte, für
selbstverständlich, daß er als königlicher Diener nur hinzugehen und ihn persönlich zu
bitten brauchte, ohne von ihm abgewiesen zu werden. Er hätte auch einen seiner
Knechte senden können; sie kamen ihm ja am folgenden Tag entgegen. Sicher hat er sie
aber aus dem einfachen Grund nicht gesandt, weil er durch sein persönliches Kommen
zu Jesu größeren Einfluß auszuüben hoffte, so daß Jesus seiner Bitte eher entsprechen
und es ihm nicht abschlagen würde, mit ihm zu gehen, um seinen todkranken Sohn
gesund zu machen. Er bewies damit seinen Glauben - aber nur an die Zeichen und
Wunder. Sein Glaube an Jesum zielte nur darauf hin, von ihm etwas zu bekommen. Nach
der wahren Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit, also danach, wirklich mit Gott
in Gemeinschaft zu kommen, hatte dieser königliche Diener nicht so viel Verlangen wie
das sündige samaritische Weib. Aber doch war sein Verhältnis zu Jesu so, daß ihn dieser
auf den rechten Weg führen konnte. Er hatte nicht die Erkenntnis und den Platz wie
Johannes der Täufer und erlangte doch mehr als er. Wenn er auch von Jesu zunächst
nur etwas für sich begehrte und ihm weder die Brautstellung noch die Anbetung Gottes
im Geist und in der Wahrheit bekannt war, wie Johannes dem Täufer, so war sein
Vertrauen zu Jesu doch nur die Vorbereitung dazu, daß Jesus ihn weiterführen konnte; er
blieb nicht, wie Johannes, nur wohlwollender Freund. Er ließ sich auf die gleiche Weise
wie die Samariterin von Jesu weiterführen. Die Kleinsten im Himmelreich sind größer als
Johannes, der zwar der Größte von Weibern Geborene war, aber doch nur Freund des
Bräutigams und seiner Braut war und blieb. Die Kleinsten, wenn sie zur Braut des
Lammes heranreifen,
Seite 103
sind größer als Johannes, der Größte von Weibern Geborene, weil dieser nicht danach
verlangte, zur Braut des Bräutigams zu gehören. Was mag wohl der Grund gewesen
sein, daß sich die Samariterin und der königliche Diener von Jesu zur Brautstellung
führen ließen, während Johannes, der von dem Verhältnis zwischen Braut und Bräutigam
wußte, nicht danach verlangte? Seine Jünger, die durch ihren Meister, Johannes den
Täufer, davon hörten, hatten erst recht kein Verständnis und kein Interesse dafür, daß es
im Reich Gottes einen Bräutigam und eine Braut geben sollte. Das ließ sie völlig
unberührt. Worin haben sich wohl diese Leute in ihrem Verhältnis zum Bräutigam
unterschieden? Johannes war der Wegbereiter des Bräutigams und kannte den Willen
Gottes und die göttliche Ordnung für diese Braut und das Verhältnis des Bräutigams zur
Braut. Danach hätte es eigentlich für ihn nicht schwer sein müssen, sich seiner
Erkenntnis gemäß Jesu anzuschließen und sich zur Braut zu stellen. Sicher hätte er
durch einen solchen Schritt viele seiner Jünger veranlaßt, ebenfalls die Brautstellung zu
suchen; andre wiederum wären durch einen solchen Schritt ihres Führers vielleicht
enttäuscht worden und hätten nachgelassen in ihrem Eifer, den sie unter dem Einfluß des
Johannes bewiesen hatten.
Johannes wußte, daß er nicht der Christus war, er wollte es auch nicht sein und
konnte der Anfechtung, von Seiten seiner Jünger oder vom Volk zum Christus gemacht
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Johannes-Evangelium Teil 3
zu werden, widerstehen. Aber durfte er deswegen auch nicht zur Braut hinzukommen?
Mußte er darum, weil er nicht der Bräutigam war, auch als Braut den Bräutigam meiden?
Ist er nur deshalb Freund des Bräutigams und der Braut geblieben, um nach Gottes
Ordnung abzunehmen, wozu er ja auch willig war? Oder wollte er unter seinen Jüngern
keine Trennung verursachen? Gewiß wollte er nicht veranlassen, daß während sich ein
Teil für die Braut entschieden hätte, ein anderer Teil sich dagegen stellen würde; damit
hätte sich eine Spaltung unter seinen Jüngern vollzogen, Das hat Johannes verhindert.
Eine solche Spaltung verursachte er nicht. Aber die Folge davon, daß er seine Jünger
weiterhin als Einheit zusammen erhielt, war, daß er sich selbst der Braut des Bräutigams
nicht anschließen konnte. Das Ende davon war sein baldiger Tod.
Nun kommt aber nach dem Wort des Herrn dieser sein Wegbereiter für die, die es
annehmen wollen, noch einmal als der Elias. Und dann wird das Verhältnis zwischen
dem Freund des Bräutigams zur wahren Verbindung mit dem Bräutigam und der Braut
geführt werden. Was Johannes damals als Elias nicht erreicht hat, das wird dieser nach
Jesu Wort noch kommende Elias erreichen, wenn er um des Bräutigams
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und der Braut willen wiederkommt. Das hat Jesus aber nur zu denen gesagt, die Ohren
haben zum Hören. Ehe sich das erfüllen kann, müssen zuerst Sünder, wie die
Samariterin, nach der wahren Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit suchen und
Menschen dasein wie der königliche Diener, der zuerst von Jesu durch Zeichen und
Wunder nur Hilfe in seiner Angst haben wollte, der aber durch Jesu Wort zum wahren
Glauben an ihn durchdringen konnte. Solche werden von Jesu zur Brautstellung und zu
der Verbindung mit Gott geführt, daß sie ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten
können. Erst wenn solche Leute gelernt haben, danach zu trachten, Gott im Geist und in
der Wahrheit anzubeten, können sie in die rechte Verbindung, d.h. in die Gemeinschaft
ihres Geistes mit dem ewigen Geist Gottes, gelangen. Erst wenn solche Seelen vom
Herrn zur Brautstellung gebracht sind, kann das Ende dem Anfang die Hand reichen, so
daß am Ende der Eliasgeist als Wegbereiter des Bräutigams nicht nur Freund desselben
bleibt, sondern sich zuletzt doch mit dem Bräutigam und der Braut vereinigt. Zuerst aber
müssen solche, die sich vom Herrn zur Stellung der Braut zubereiten lassen wollen, es
lernen, dem Wort, das Jesus spricht, zu glauben. Von der Samariterin haben wir weiter
nichts über ihren Glauben gehört. Nachdem Jesus ihr das Geheimnis der wahren
Anbetung geoffenbart hatte, sagte sie:
„Ich weiß, daß der Messias kommt, welcher Christus genannt wird; wenn derselbe kommt, wird er uns alles verkündigen.” (Vers 25)
Und als Jesus dann zu ihr sprach:
„Ich bin es, der mit dir redet!” (Vers 26),
war auch die Unterredung der beiden zu Ende; denn die Jünger kommen, mischen sich
jetzt ein und unterbrechen, so daß wir kein weiteres Zeugnis aus dem Mund dieser
Samariterin hören. Vielmehr heißt es: Sie geht fort, läßt ihren Krug stehen und bringt
viele, die sich in der Stadt von ihr beeinflussen lassen, zu Jesu hinaus. Sie sagt ihnen
aber nicht: Der Messias ist da, der Bräutigam ist da. Wahrscheinlich hat sie selbst die
Festigkeit im Glauben noch nicht; denn obwohl Jesus ihr diese Worte sagte, mußte sie es
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Johannes-Evangelium Teil 3
doch erst irgendwie beweisen, daß sie das, was er ihr sagte, wirklich glaubte. Nun holt
sie Hilfe herbei, die andern sollen ihr helfen, ihre Zweifel demgegenüber, was dieser
Mann ihr gesagt hat, zu überwinden. Sie kamen auch, um zu sehen, ob er wirklich der
Messias sei, und nachdem sie zwei Tage mit ihm zusammengewesen waren, konnten sie
es auch glauben.
Anders war es nun beim königlichen Diener. Bei ihm stand das Leben seines Sohnes
auf dem Spiel; bei der Samariterin und den Samaritern
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ging es auch um Tod und Leben; sie waren tot in Sünden, und Jesus führte sie zum
Leben. Aber Jesus hat der Samariterin gegenüber diesen Tod, auf den Johannes den
König Herodes hinwies, mit keinem Wort erwähnt. Er hat zu der Samariterin nicht gesagt:
Wenn du jetzt nicht an mich glaubst, mußt du um deines Unglaubens willen in deinen
Sünden sterben. Sie suchte ja in Wirklichkeit schon die wahre Anbetung Gottes; sie
wollte aus dem Tod zum Leben gelangen. Aber der königliche Diener hatte in seinem
todkranken Sohn den Tod vor Augen. Sein Glaube, daß dieser Jesus seinen todkranken
Sohn gesund machen, ihn vom Tode retten und am Leben erhalten könne, war einzig nur
in den ihm bekannten Zeichen und Wundern Jesu gegründet. Sicher hat er den Tod in
der Weise, wie das samaritische Weib ihn darstellte, nicht gesehen und auch das Leben
nicht, das Jesus diesem Weib dadurch gezeigt hat, daß er sie auf die wahre Anbetung
Gottes im Geist und in der Wahrheit hinwies. Doch für den königlichen Diener war jetzt
nicht das das Entscheidende, was er in dieser Stunde erkennen konnte, sondern das für
ihn Maßgebende lag einzig darin, ob er dem Wort Jesu, an den er um der Zeichen und
Wunder willen glaubte, nun auch ohne Zeichen und Wunder glauben würde, ob er jetzt
glaubt, nicht allein, weil es um Tod oder Leben seines Kindes geht, sondern weil es um
seine Stellung geht, die er zu dem Wort einnimmt, das Jesus zu ihm sagte. Als Jesus
sprach:
„Geh hin, dein Sohn lebt!” (Vers 50),
glaubte er dem Wort, das Jesus zu ihm gesagt hatte, ging hin und hatte den Blick nicht
mehr auf den Zustand seines Kindes gerichtet wie bis dahin. Vorher war er von den
Zeichen und Wundern beherrscht und dadurch von der Persönlichkeit Jesu überzeugt,
daß er nichts anderes sagen konnte als: Komm herab und mach meinen Sohn gesund!
Da sah er immer nur den todkranken Sohn und glaubte aufgrund der Zeichen und
Wunder, die ihm von Jesu bekannt waren, daß er seinen Sohn gesund machen könnte.
Jesus soll nur zum todkranken Sohn kommen, um ihn gesund zu machen. Daß es sich
jetzt nicht darum handelt, daß Jesus hingeht, wie er es erwartet, sondern daß es nur auf
sein Wort ankommt - das muß der königliche Diener in dieser Mittagsstunde lernen.
Jesus führt ihn zu einem Glauben, den wir weder bei Johannes und seinen Jüngern,
noch bei der Samariterin und den Samaritern kennengelernt haben. Es heißt wohl bei
den Samaritern noch:
„Nun glauben wir nicht mehr um deiner Rede willen.” (Vers 42)
Aber dieser Glaube an Jesum dort, wo er das Wasser in Wein verwandelt hatte, wo er die
wahre Verbindung der Brautseelen mit dem
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Johannes-Evangelium Teil 3
Bräutigam gekennzeichnet hatte, war bei diesem königlichen Diener doch noch tiefer und
grundlegender vorhanden als bei den Samaritern; denn er hat angesichts von Tod und
Leben seines Sohnes dem nackten Wort aus Jesu Mund geglaubt.
Nun können wir uns prüfen, ob wir schon einmal in unserem Leben so geglaubt
haben wie dieser königliche Diener, ob es uns schon einmal im Ernst darum zu tun war,
aufs Wort hin so zu glauben wie er, um dann in diesem Glauben durch Anbeten im Geist
und in der Wahrheit die wahre Verbindung im Geist mit Gott, dem Geist, zu erlangen.
Johannes der Täufer blieb mit seinen Leuten dieser Entwicklung fern. Nur die, die
sich von Jesu ganz führen lassen wollten, konnten diese Brautstellung kennenlernen und
sie erlangen.
__________
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Die königliche Freiheit in Jesu
Missionsdienst
als Vorbild für alle Kinder Gottes
„Nach den zwei Tagen aber zog er von dannen und ging nach Galiläa. Denn
Jesus selbst bezeugte, daß ein Prophet in seinem eigenen Vaterlande nicht
geachtet werde. Da er nun nach Galiläa kam, nahmen ihn die Galiläer auf, weil
sie alles gesehen, was er zu Jerusalem am Feste getan hatte, denn auch sie
waren auf das Fest gekommen.
Er kam nun wieder nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht
hatte. Und es war ein königlicher Diener, dessen Sohn lag krank zu Kapernaum.
Als dieser hörte, daß Jesus aus Judäa nach Galiläa gekommen wäre, ging er zu
ihm und bat ihn, daß er hinabkäme und seinen Sohn gesund machte, denn er
war todkrank. Da sprach Jesus zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder
sehet, so glaubet ihr nicht! Der königliche Diener spricht zu ihm: Herr komm
hinab, ehe mein Kind stirbt! Jesus spricht zu ihm: Geh hin, dein Sohn lebt! Der
Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sprach, und ging hin. Als er aber
noch unterwegs war, kamen ihm seine Knechte entgegen und verkündigten ihm:
Dein Sohn lebt! Nun erkundigte er sich bei ihnen nach der Stunde, in welcher es
mit ihm besser geworden. Und sie sprachen zu ihm: Gestern um die siebente
Stunde verließ ihn das Fieber. Da erkannte der Vater, daß es eben in der Stunde
geschehen, in welcher Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt! Und er glaubte
samt seinem ganzen Hause. Dieses ist das zweite Zeichen, welches Jesus
wiederum tat, als er aus dem Lande Judäa nach Galiläa kam.“ (Jes.4,43-54)
Jesus wirkte nicht da, wo Menschen nicht an ihn glaubten, und er blieb nicht da,
wo es um seines Dienstes willen Streit und Eifersucht unter den Menschen gab
Nachdem Jesus in Judäa, in der Umgebung von Jerusalem, also in derselben
Gegend, in der Johannes der Täufer taufte, auch angefangen hatte zu lehren und zu
taufen, entstand im Kreis der Jünger des Johannes eine Beunruhigung, und sie sagten,
jedermann gehe zu Jesu, während doch nach ihrer Meinung ihr Meister, nämlich
Johannes der Täufer, vor Jesu getauft hatte. Auch die Pharisäer hatten erfahren, daß
Jesus taufe und mehr Jünger gewinne als Johannes. Das war für sie Grund genug zu
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Johannes-Evangelium Teil 3
Neid und Eifersucht (Joh.3,22-26; 4,1-3). Um jeder weiteren Auseinandersetzung, die nur vor
der Zeit den Haß gegen Jesum geschürt hätte, aus dem Weg zu gehen, hielt
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es Jesus für besser, jene Gegend zu verlassen und nach Galiläa zu ziehen. Die Folge
davon war seine Begegnung mit dem Weib aus Samaria am Jakobsbrunnen, dem er sich
als der Christus, der gekommene Messias, offenbaren konnte. Das Ergebnis dieser
Unterredung war, daß viele Samariter an Jesum gläubig wurden. Das war eine
Erfahrung, die Jesus nicht in seinem eigenen Land, unter seinen Leuten, den Juden,
machte, sondern bei den Samaritern.
Jesus bezeugte selbst, daß ein Prophet in seinem eigenen Vaterland nicht geachtet
werde (Matth.13,57-58; Joh.4,44). Die Galiläer, die auch auf dem Jerusalemer Fest gewesen
waren und dort alles gesehen hatten, was Jesus getan hatte, nahmen ihn auf, als er zu
ihnen kam, während die Juden, seine eigenen Leute, sein eigenes Volk, seine Brüder ihn
nicht aufnahmen (Joh.4,43-45). Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht
auf (Joh.1,11). Diese Worte hat der Apostel Johannes gleich an den Anfang seines
Evangeliums gesetzt. Wenn er anschließend sagte:
„Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben; welche nicht aus dem Geblüt, noch
aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus
Gott geboren sind.” (Joh.1,12-13),
so ist mit diesen Worten gezeigt, daß die Seinen zwar als Volk Jesum nicht aufnahmen,
daß aber doch einzelne ihn aufnahmen, dadurch Kinder Gottes wurden und durch ihn die
Geburt aus Gott erfahren konnten. Das zeigt uns, daß Jesus überall, wo er war - ob in
Jerusalem bei seinem Volk oder am Jakobsbrunnen bei der Samariterin oder auf dem
Weg nach Galiläa und durch seinen Aufenthalt daselbst - nur eins suchte: daß er den
Menschen den Weg der Zeugung und Geburt aus Gott zeigen wollte.
Wie ganz anders handelte Jesus, als wir Gläubigen es gewöhnlich tun! Wir haben
meist unsre Lieblinge. Wir meinen gewöhnlich, daß vor allen Dingen die Menschen, die
uns am nächsten stehen, die uns besonders am Herzen liegen, selig werden müßten; die
nächststehenden ungläubigen Hausgenossen, die Familienangehörigen, der Mann, die
Frau, die Eltern, die Kinder, Brüder, Schwestern, Verwandte, nahestehende Bekannte,
mit denen wir verbunden sind. Diese liegen uns besonders am Herzen. Wenn wir das
Heil in Christo erkannt haben, dann möchten wir es diesen unsern Nächststehenden
vermitteln. Und da meinen wir nun, es müsse nach unserem Willen gehen und
geschehen. Manchmal werden wir enttäuscht, wenn sie uns nicht gerade gern anhören,
wenn sie nicht alles annehmen, was wir ihnen sagen; dann gibt es Not, Traurigkeit und
vielleicht noch Hader, Zank und
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Streit um des Evangeliums willen. Und wir sind doch gewöhnlich davon überzeugt, daß
wir es mit ihnen nur gut meinen.
Jesus hat seine Arbeit auch bei seinem Volk begonnen, aber es dauerte nicht lange,
bis er bezeugen mußte, daß ein Prophet in seinem eigenen Vaterland nicht geachtet
wird. Wenn er Frieden haben wollte, durfte er nicht bei seinem Volk bleiben. Darin liegt
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Johannes-Evangelium Teil 3
der große Unterschied zwischen dem, wie Jesus handelte, und dem, wie wir zu handeln
gewohnt sind. Wir meinen, es müßte erzwungen werden, unsre Lieblinge müßten das
Evangelium annehmen, sie müßten es anerkennen, wie gut wir es mit ihnen meinen.
Jesus hat nichts erzwungen; er hat eingesehen, daß es besser war, wenn er wegging. Er
verließ sein Volk und ging aus der Gegend weg, wo Johannes wirkte. Einige wurden
seine Jünger, diese gingen mit ihm. Johannes selbst blieb in seinem Wirkungskreis, er
blieb bei seinem Volk, aber als Folge davon konnte er seine Arbeit nicht mehr lange
weiter tun. Nachdem die Trennung von Jesu erfolgt war und er Jesum aus jener Gegend
hatte ziehen lassen, ohne mit ihm zu gehen, hören wir nichts mehr davon, daß er Jesum
bezeugte als das Lamm Gottes, das gekommen war, der Welt Sünde wegzunehmen.
Was wir weiter noch von ihm hören, ist nur noch sein Zeugnis nach der Ordnung des
Gesetzes, und das kostete ihn bald darauf sein Leben. Jesus beharrte nicht darauf, daß
er unter seinem Volk wirken wollte; er fügte sich, wenn sein Volk ihn verachtete und ging
einfach weiter (vgl.Matth.10,12-15). Johannes konnte den bestehenden Unterschied
zwischen den Juden als dem Volk Gottes und den Samaritern nicht überbrücken; Jesus
aber hat es getan. Es war ihm ebenso recht, einer Samariterin den Weg des Lebens zu
zeigen wie seinem eigenen Volk. Und als er nun zu den Galiläern ging, wanderte er nur
weiter auf dem Weg, den er von seinem Volk weg durch Samaria eingeschlagen hatte.
Er kam nun wieder nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte.
Was mag ihn wohl dorthin zurückgeführt haben? Zu Kana war ein königlicher Diener, der
einen todkranken Sohn hatte, und als dieser hörte, daß Jesus aus Judäa nach Galiläa
gekommen sei, ging er zu ihm und bat ihn, daß er hinabkäme und seinen Sohn gesund
machte. Jesus sagte zu ihm:
„Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht!” (Vers 48)
Der königliche Diener ließ sich durch diese Rüge aus Jesu Mund nicht davon abhalten,
Jesum zu bitten, doch in sein Haus zu kommen, ehe sein Kind sterbe. Und als daraufhin
Jesus zu ihm sagte:
„Geh hin, dein Sohn lebt!” (Vers 50),
Seite 110
glaubte der Diener dem Wort Jesu und ging hin. Dieser Vorgang erklärt uns, warum
Jesus von Judäa weg nach Galiläa und nach Kana ging, wo er das Wasser zu Wein
gemacht hatte. Er ging einfach den Weg, auf dem er bei Menschen Glauben wirken
konnte. Er hatte nicht, wie wir so oft, die Neigung, den Leuten seinen Willen und seine
Überzeugung aufzuzwingen; wir finden bei ihm keine Gewaltanstrengung seinem Volk
gegenüber; selbst Johannes, seinem Vorläufer, sagt er kein einziges, zurechtweisendes
Wort. Er verläßt einfach die Gegend. Da war kein Stürmen, Erzwingen und
Überzeugenwollen, wie es uns, wenn auch in guter Absicht, so oft eigen ist. Sobald die
Leute Stellung gegen Jesum nehmen, neidisch und eifersüchtig auf seinen Dienst sind,
verläßt er die Gegend und wirkt da, wo er gerade hinkommt, und wie es sich ergibt. Das
zeigt uns die Begegnung mit der Samariterin am Jakobsbrunnen. Während seine Jünger
in Sichar Lebensmittel beschaffen und er auf sie wartet, zeigt er einer Samariterin den
Weg des Lebens, offenbart sich ihr als ihr Messias und Erlöser. Da muß er nicht drängen,
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Johannes-Evangelium Teil 3
da kommt alles ganz von selbst, und er kann sich diesem Weib als ihr Heiland, ihr
Christus und Erlöser, offenbaren, so daß er dann noch zwei Tage dort bleibt und durch
das, was er den Samaritern persönlich sagt, noch viele an ihn glauben. So finden wir ihn
wieder in Kana. Wenn ein Prophet in seinem Vaterland nicht geachtet wird, war er damit
einverstanden. Er hätte den übrigen Propheten gegenüber eine Ausnahmestellung
einnehmen können, aber er tat es nicht. So wie das Volk seine Gesinnung offenbarte,
ging er darauf ein, fügte sich und respektierte diese Gesinnung seines Volkes.
Was veranlaßte ihn nun, nach Kana zu gehen, wo er sein erstes Wunder getan hatte,
als er bei der Hochzeit das Wasser in Wein verwandelte? Der Grund dafür, daß Jesus
nach Kana ging, war gewiß der, daß er stets den Blick darauf .gerichtet hatte, da zu sein,
wo sein Vater ihn haben wollte. Wie konnte er aber wissen, daß sein Vater ihn in Kana
haben wollte? Um darauf eine Antwort zu bekommen, müssen wir uns daran erinnern,
daß Jesus in Kana Wasser in Wein verwandelt hatte und daß dort Gott in seiner Macht
offenbar geworden war. Wenn wir auf die Unterweisung achten, die Jesus seinen
Jüngern nachher in einem Hause gegeben hat, wo sie aufgenommen worden waren,
können wir daraus ersehen, was ihm den Willen Gottes dahingehend klarmachte, daß er
wieder nach Kana gehen sollte. Dort hatte ihm der Vater den Weg für seine Wirksamkeit
bereitet. Nachdem es ihm wie allen Propheten ergangen war, daß er in seinem eigenen
Vaterland nicht geachtet wurde, war es für ihn das beste, wieder dahin zu gehen, wo sein
Dienst anerkannt worden war.
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Er ging also nach Kana zurück. Das sind ganz klare Linien im Leben Jesu, die für jedes
Kind Gottes Wegweiser sein können. Würde man dasselbe tun, was Jesus getan hat,
dann müßte man nicht so viele Enttäuschungen, Unannehmlichkeiten und
Widerwärtigkeiten erfahren. Das alles kommt meistens nur daher, daß man nicht am
rechten Platz ist, nicht da, wo man nach Gottes Willen sein müßte.
Warum haben wir durch die Menschen unsrer Umgebung, wenn sie neidisch,
eifersüchtig und gehässig sind, so viel Not auszuhalten, Schwierigkeiten
durchzumachen? Weil wir aus irgendwelchen Gründen bei ihnen bleiben. Irgend
etwas veranlaßt uns, in den Verhältnissen und Umständen, bei den Menschen zu
bleiben, durch die wir in Nöte und Schwierigkeiten kommen
Jesus hatte diese Nöte nicht, aus dem einfachen Grund, weil er da, wo man ihm
Schwierigkeiten bereiten wollte, nicht mehr blieb. Er ging dahin, wo man ihn gern
aufnahm, wo man mit ihm einig war, wo man sich über seinen Besuch freute, wo man an
ihn glaubte.
Jesus folgte den Spuren des Glaubens
Wäre er in der Gegend von Johannes dem Täufer geblieben, dann wäre er bei
Menschen geblieben, die neidisch, eifersüchtig und mißgünstig waren. Daß dagegen in
Kana Gläubige waren, wußte er; sie waren durch das erste Wunder, das er dort gewirkt
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Johannes-Evangelium Teil 3
hatte, zum Glauben an ihn gekommen. Und nun ging er einfach wieder dahin, wo er nicht
mit Neid und Mißgunst betrachtet werden würde, sondern wo man ihn gern aufnahm.
Wieviel könnte von uns daraus gelernt werden!
Weil Jesus nichts auf Erden sein eigen nannte und er von allen Menschen, selbst
von seinem Wegbereiter, Johannes dem Täufer, gelöst war, konnte er in voller
Freiheit ungehindert den Willen seines himmlischen Vaters tun und da wirken,
wo Menschen an ihn glaubten
Was ergab sich für Jesum daraus, daß er nach Kana ging? Ein königlicher Diener kam zu
ihm und bat ihn, nach Kapernaum zu kommen, weil sein Sohn dort todkrank lag.
Johannes hatte auch mit königlichen Leuten zu tun, aber dieser Umgang führte dahin,
daß er getötet wurde. Jesus kam in ähnliche Gesellschaft. Zuerst bestand die Ähnlichkeit
zwischen dem Erleben Jesu und Johannes darin, daß beide Männer einem sündigen
Weib begegneten. Dann hatte Johannes mit dem König Herodes Umgang, und hier
kommt ein königlicher Diener zu Jesu. Beide hatten ein gewisses Verlangen, eine
gewisse Sehnsucht. Herodes war in seinem Herzen nicht geneigt, Johannes enthaupten
zu lassen? diese Tat war nur die Folge der Intrigen eines
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Weibes. Er wurde gegen seinen Willen von der Herodias veranlaßt, Johannes enthaupten zu lassen. Auch solch hochstehende Persönlichkeiten, Könige und königliche
Diener können unter Einflüsse kommen, die bewirken, daß sie etwas ausführen, was sie
im Grunde selbst gar nicht tun möchten. Aber Jesus macht im Umgang mit einem
königlichen Diener wieder ganz andre Erfahrungen als Johannes im Umgang mit dem
König Herodes. Jesus sagt ihm auch nicht gleich solche Worte, die von ihm besonders
angenehm empfunden werden mußten; er hielt ihm vor:
„Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht!” (Vers 48)
Das hatte aber bei diesem königlichen Diener nicht die Wirkung wie bei Herodes, als
Johannes ihm sagte, was er tun und nicht tun sollte. Auch Jesus sagt diesem königlichen
Diener, was er und seine Volksgenossen falsch machten, aber die Wirkung seiner Worte
war eine ganz andre als bei Johannes. Der königliche Diener spricht zu Jesu:
„Herr komm hinab, ehe mein Kind stirbt!” (Vers 49)
Auf der Seite Johannes des Täufers konnte der Sieg des Lebens über den Tod nicht
offenbar werden. Alles, was Johannes sagte, führte nur dahin, daß er selbst getötet
wurde. Der königliche Diener aber hatte ein todkrankes Kind. Hier stand das Leben
seines Sohnes auf dem Spiel. Er hatte in Jerusalem auf dem Fest gesehen, was Jesus
getan hatte. Deshalb kam er nun zu Jesu, sobald er hörte, daß Jesus aus Judäa nach
Galiläa gekommen war, und er bat ihn, hinabzukommen und seinen Sohn gesund zu
machen. Auf Jesu Worte hin:
„Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht!” (Vers 48),
bat er Jesum einfach noch einmal:
„Herr komm hinab, ehe mein Kind stirbt!” (Vers 49)
Damit bezeugte er sein Vertrauen zu Jesu und seine Überzeugung, daß er sein todkrankes Kind gesundmachen könne.
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Johannes-Evangelium Teil 3
Dieses Verhältnis des königlichen Dieners zu Jesu würden wir Glauben nennen.
Jesus hat diesen Mann in seiner Stellung anders beurteilt. Er hat gesagt: Ihr glaubt nur,
wenn ihr Zeichen und Wunder seht? ihr glaubt nur, weil ich hier Wasser zu Wein gemacht
habe; ihr glaubt nur, weil ihr das gesehen und davon gehört habt, was ich in Jerusalem
getan habe. Ihr glaubt also nur unter bestimmten Bedingungen? wenn ihr glauben wollt,
müßt ihr etwas sehen. Dann sagt Jesus zu dem königlichen Diener:
„Geh hin, dein Sohn lebt!” (Vers 50)
Der Bericht lautet weiter:
„Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sprach, und ging hin.” (Vers
50)
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Diese Worte machen es uns klar, daß die Worte Jesu: „Geh hin, dein Sohn lebt!” auf den
königlichen Diener die Wirkung hatten, daß er, wie es auch Gottes Wort bezeugt,
glauben und als Folge davon sein Sohn vom Tode gerettet werden konnte. Während es
also auf der Seite des Johannes nur Todeswirkungen gab, konnte auf der Seite Jesu der
Sieg des Lebens über den Tod offenbar werden. Der tiefste Grund dafür war aber nicht
der Glaube des königlichen Dieners, sondern die innere Einstellung Jesu und sein sich
daraus ergebendes Verhalten. Warum war Jesus nach Kana in Galiläa gegangen?
Jesus wollte mit den Gläubigen zusammensein
Deshalb verließ er die, die nicht an ihn glaubten, und selbst wenn sein Wegbereiter sich
unter denen aufhielt, die nicht an ihn glaubten, so nahm er auch auf ihn keine Rücksicht
und blieb auch um seinetwillen nicht in seinem alten Arbeitsgebiet. Selbst auf die Gefahr
hin, daß er sich von seinem Wegbereiter trennen mußte, verließ er diejenigen, die
neidisch und eifersüchtig auf ihn waren. Er ging von ihnen weg und suchte die, die an ihn
glaubten, mit denen er im Glauben Gemeinschaft pflegen konnte, denen er im Glauben
helfen und dienen konnte.
Kinder Gottes als Jünger Jesu sollen in der gleichen Freiheit wie Jesus dem
Willen Gottes zur Verfügung stehen
Das zeigt uns, was für eine Wirkung es auch in unsrem Leben hätte, wenn wir so handeln
würden wie Jesus. Die Folge davon wäre dann auch bei uns, daß die Gläubigen
Gemeinschaft miteinander hätten; sie wären jederzeit bestrebt zusammenzukommen, so
wie Jesus bestrebt war, dahin zu gehen, wo Menschen waren, die an ihn glaubten.
Machen das die Gläubigen auch? Gehen sie auch immer dahin, wo sie mit ihren
Mitgläubigen zusammensein können, weil sie überzeugt sind, daß die, die im Glauben
einig sind, zusammensein sollten?
Das tun die Gläubigen oftmals nicht. Und es hat auch seinen Grund, warum sie
es nicht tun: sie können es praktisch nicht ausführen. Sie können sich aus ihren
Verhältnissen nicht lösen und bleiben mit ungläubigen Menschen zusammen,
obwohl sich für sie daraus nur Nöte und Schwierigkeiten ergeben
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Johannes-Evangelium Teil 3
Warum sind die Gläubigen, die sich verstehen und durch ihren Glauben einig
sind, nicht beieinander? Weil sie nicht können, weil sie in ihren Verhältnissen
und unter den ungläubigen Menschen festgehalten sind
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Sogar Johannes der Täufer war von den Menschen, mit denen er zusammen war,
festgehalten, so daß er nicht mit Jesu gehen, bei ihm bleiben und da sein konnte, wo
Jesus war. Das kostete ihn aber sein Leben.
Vergleichen wir Jesum mit den Gläubigen, dann müssen wir feststellen, daß Jesus
frei war, dahin zu gehen, wohin er gehen wollte, um da zu sein, wo sein Vater ihn haben
wollte, während die Kinder Gottes diese Freiheit gewöhnlich nicht haben. Sie sind nicht
frei, daß sie gehen können, wohin sie wollen, und immer da sein können, wo sie nach
dem Willen Gottes sein sollten. Sie können nicht wählen zwischen der Gemeinschaft mit
den Gläubigen und den Ungläubigen. Diese Bewegungsfreiheit haben Kinder Gottes
gewöhnlich nicht. Nun müssen wir uns nur darüber klarwerden, ob sie diese
Bewegungsfreiheit haben sollten, wie sie Jesus hatte, oder ob es Gottes Wille ist, in
Verhältnissen und unter Menschen gebunden zu sein und zu bleiben, mit denen sie nicht
eins sind und als Folge davon ihre täglichen Nöte und Schwierigkeiten haben.
War es ein besonderes Vorrecht für Jesum, daß er so frei war, daß er sein konnte,
wo er wollte, daß er dahin gehen konnte, wo er mit solchen Menschen zusammen war,
die mit ihm im Glauben eins waren? Jesus hatte sich sogar schon als zwölfjähriger
Knabe, also in einem Alter, in dem er nach der Ordnung Gottes, nach dem Gesetz, noch
seinen Eltern untertan sein mußte, die Freiheit genommen, da zu sein, wo er wollte,
wenn es sich darum handelte, da zu sein und zu bleiben, wo sein himmlischer Vater ihn
haben wollte. Weil er diesen Willen Gottes kannte, blieb er im Tempel, ließ seine Eltern
weggehen und sie besorgt sein um ihn, so daß sie ihn mit Schmerzen suchten, und als
sie ihn endlich im Tempel fanden, sagte er ganz schlicht zu ihnen:
„Was ist's, daß ihr mich gesucht habt? Wußtet ihr nicht, daß ich sein muß in dem,
das meines Vaters ist?” (Luk.2,41-49)
Damit hat er ihnen klar bezeugt, wonach er sich in seinem praktischen Verhalten richtete.
Petrus hat nachher zum Hohenrat gesagt, sie sollen selbst prüfen, ob man Menschen
mehr gehorchen müsse als Gott (Apg.4,19; 5,27-29). Jesus hat es schon sehr früh
bewiesen, daß er Gott mehr gehorchen wollte als Menschen. Vergleichen wir
diesbezüglich Jesum mit seinen Jüngern, die ihm nachfolgten, dann finden wir bei ihnen
die gleiche Freiheit, die Jesus hatte, so daß sie immer da sein konnten, wo Gott sie
haben wollte. Am Pfingsttag bekamen hundertzwanzig, die da sein wollten, wo Gott sie
haben wollte, den Heiligen Geist (Apg.1,4. 12-15; 2,1-4). Jesus hatte
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keine besondere Freiheit, die ihn als den Sohn Gottes vor den gläubigen Menschen
auszeichnete. Er hatte sich vielmehr die Freiheit, zu gehen, wohin er wollte, selbst
genommen. Und das trifft auch für seine wahren Jünger zu. Diese Freiheit sollte jedes
Kind Gottes haben. Hat ein Kind Gottes die Freiheit nicht, zu sein, wo es will und
jederzeit zu gehen, wohin es will, dann kann es auch die Stellung nicht haben, die die
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Jünger Jesu in der Zeit seines Erdenwandels hatten, als sie ihm nachfolgten, und in
gleicher Weise auch nach der Auferstehung, als es sich für sie darum handelte, mit dem
Heiligen Geist zum Zeugendienst ausgerüstet zu werden.
Aus alledem können wir erkennen, daß wer diese Freiheit, die Jesus hatte,
nicht hat, auch nicht sein Jünger, sein Knecht und Zeuge sein kann
Worin besteht die Freiheit, die Jesus hatte? Und woran liegt es, daß die Gläubigen diese
Freiheit, die Jesus hatte, meistens nicht haben? Die Freiheit, die Jesus hatte, beruhte
darauf, daß er sich keine Verhältnisse geschaffen hatte, die ihn hindern konnten,
jederzeit den Willen seines Vaters zu tun.
Die Gläubigen aber schaffen sich oftmals Verhältnisse, in denen sie gezwungen
werden, sich nach Ordnungen zu richten, die dem Willen Gottes
nicht entsprechen.
Gläubige, die in ihrer Verbindung mit Jesu den Willen Gottes tun wollen wie
Jesus, müßten alles, was sie hindert, alle Fesseln in ihren Verhältnissen, die
sie binden, lösen
Was für Verhältnisse können das sein, in denen Gläubige verhindert werden, den Willen
Gottes zu tun? Das sind ihre täglichen Verhältnisse, in denen sie sich mit Nahrung,
Kleidung und Obdach, mit dem Nötigen, was sie zum Leben brauchen, oder mit dem,
was sie in diesem Leben oder in der Welt haben wollen, beschäftigen müssen. Dazu
gehört dann natürlich auch die Familie, der Mann, die Frau, die Kinder, das Verhältnis zu
den Eltern, zwischen Eltern und Kindern und alles, was damit in Verbindung ist. Oft sind
die Gläubigen mit den Ungläubigen in ihren Alltagsverhältnissen so verquickt, daß die
Gläubigen unter dem Einfluß der Ungläubigen den Willen Gottes nicht in allem tun
können, wie Jesus ihn tun konnte, weil er frei war. Ihn konnte niemand daran hindern,
den Willen Gottes zu tun, von einem Ort zum andern zu gehen, um gerade da zu sein,
wo er nach dem Willen Gottes sein sollte. Entspricht es nun dem Willen Gottes, daß
Kinder Gottes auch solche Freiheit haben, oder sollen sie nach Gottes Willen in solchen
Verhältnissen mit Ungläubigen
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bleiben, die ihnen diese Freiheit nicht einräumen? Was ist Gottes Wille?
Gottes Wille für ein Kind Gottes besteht darin, daß es so frei ist wie Jesus, um
immer den Willen Gottes tun zu können. Um diese Freiheit zu haben, müßten sich
Kinder Gottes freimachen. Aber den Preis für diese Freiheit wollen sie nicht
bezahlen. Sie wollen die Freiheit nicht, die sie haben könnten, um den Willen
Gottes zu tun, weil sie allerlei in dieser Welt besitzen und genießen möchten,
und wenn sie sich mit dem, was dieser Welt angehört, verbunden haben,
kommt hinterher die Reue.
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Wenn sie etwas später zu der Einsicht kommen, daß sie praktisch die Freiheit, den Willen
Gottes in allen Lagen zu tun, nicht mehr haben, dann möchten sie den Menschen
gegenüber, mit denen sie sich verbunden haben, ihre Freiheit wieder erzwingen. Wenn
sie sich mit Ungläubigen verbunden, etwa verheiratet haben, wenn sie eine Familie
gegründet haben, dann möchten sie in diesen Verhältnissen die bisherige Freiheit, den
Willen Gottes zu tun, erzwingen; aber dann stoßen sie auf Widerstand, dann wird es
offenbar, daß die Ungläubigen damit nicht einverstanden sind, und daraus ergeben sich
dann ihre Nöte.
Die Schwierigkeit bei den Gläubigen liegt aber darin, daß sie zwischen der Treue, wie
sie Jesu eigen war, und ihrem eigenen Verlangen nach Weltlichem hin und her getrieben
werden. Sie können nicht so Stellung nehmen, wie Jesus das getan hat und wie es
solche Gläubigen tun müssen, die seine wahren Jünger sein wollen. Weil Kinder Gottes
ein geteiltes Herz haben, schwanken sie in ihrem Verhältnis zu Gott und zu der Welt.
Darum neigen sie auf der einen Seite zu Gott, und auf der andern Seite verbinden sie
sich mit der ungläubigen Welt. Wenn sie sich dann selbst solche Schwierigkeiten
geschaffen haben, möchten sie hinterher doch wieder solche Verhältnisse haben, in
denen sie den Willen Gottes tun könnten. Aber diese Verhältnisse müssen nach ihrer
Meinung dadurch zustandekommen, daß die Ungläubigen willig werden, die Gläubigen
den Willen Gottes tun zu lassen. Oder die Gläubigen geben sich alle Mühe, die
Ungläubigen, an die sie gefesselt sind, zu bekehren. Von ihnen weggehen, wie Jesus es
getan hat, wollen und können sie nicht, weil sie an sie gebunden sind. Deshalb sind sie
der Meinung, es bleibe nichts anderes übrig, als daß sich ihre ungläubigen Angehörigen
bekehren, damit alle zusammen den Willen Gottes besser tun können. Und dann kann es
sein, daß sich der eine oder andre „auf Kommando” bekehrt.
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So kommt es dann, daß manchmal ein Kind Gottes zwar den Willen Gottes tun
möchte, aber nicht tun kann, einfach weil es in seinen Verhältnissen die Freiheit nicht hat,
sich von dem, was mit dem Willen Gottes nicht in Übereinstimmung ist, zu lösen und sich
mit gläubigen Menschen zu verbinden, mit denen es in der rechten Übereinstimmung mit
dem Willen Gottes sein kann. Wie sollte es nun von biblischer Sicht her sein? Kann sich
ein Kind Gottes unter allen Umständen und Verhältnissen diese Freiheit, die es haben
müßte, um den Willen Gottes zu tun, verschaffen? Kann es, wenn es mit Ungläubigen auf
irgendwelchen Gebieten verbunden ist, diese Bande lösen? Solche Bande sind alle in
dieser Welt vorhandenen Verhältnisse: die Familie, der Unterhalt, alles, was das Leben in
dieser Welt ausmacht. Kann sich ein Kind Gottes freimachen? Über diesen Punkt
bestehen im großen ganzen grundverkehrte Ansichten. Da meinen die Gläubigen immer,
sie müssen in den Fesseln, die sie an diese Welt ketten, bleiben, Die schwierigsten
Fesseln sind die Familienbande, die ehelichen Bande und die Bande der
Lebensversorgung. Darum schreibt Paulus den Korinthern z.B. in bezug auf die Ordnung
der Ehe:
„Wenn ein Bruder ein ungläubiges Weib hat, und diese ist einverstanden, bei ihm
zu wohnen, so soll er sie nicht entlassen; und wenn ein Weib einen ungläubigen
Mann hat, und dieser ist einverstanden, bei ihr zu wohnen, so soll sie den Mann
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Johannes-Evangelium Teil 3
nicht verlassen. Denn der ungläubige Mann ist geheiligt durch das Weib, und das
ungläubige Weib ist geheiligt durch den Bruder; sonst wären eure Kinder unrein,
nun aber sind sie heilig. Will sich aber der Ungläubige scheiden, so scheide er!
Der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht gebunden. Im Frieden
aber hat euch Gott berufen. Denn was weißt du, Weib, ob du den Mann retten
wirst? Oder was weißt du, Mann, ob du das Weib retten wirst? Doch, wie der Herr
einem jeglichen zugeteilt hat, wie der Herr einen jeglichen berufen hat, also
wandle er! Und so verordne ich es in allen Gemeinden. Ist jemand als Beschnittener berufen, der suche es nicht zu verbergen; ist jemand im unbeschnittenen
Zustand berufen, der lasse sich nicht beschneiden.” (1.Kor.7,12-18)
Was sagt Paulus mit diesen Worten? Ist der Sinn der, daß sich Gläubige dem Einfluß der
Ungläubigen so unterstellen sollen, daß sie dadurch die Freiheit, den Willen Gottes zu
tun, einbüßen? So wird es oftmals angesehen. Man beurteilt das Verhältnis in der Ehe
gewöhnlich so, daß man unter allen Umständen in der bestehenden Verbindung bleiben
müsse, auch wenn man den Willen Gottes dabei nicht tun kann. Das Gegenteil sagt
Paulus. Er sagt, der gläubige Teil
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soll sich völlige Freiheit verschaffen, um den Willen Gottes tun zu können. Wenn es dem
ungläubigen Teil gefällt, daß der gläubige Teil Gott völlig treu ist, und er in Verbindung
mit ihm bleiben will, dann hat der gläubige Ehepartner keine Ursache, eine Trennung zu
veranlassen. Wenn aber dem ungläubigen Teil der gläubige Teil, der dem Herrn ganz
treu sein will, nicht behagt, so kann er sich scheiden lassen; er kann sich also vom
Gläubigen trennen, er kann die Ehe auflösen und seine Wege gehen. Paulus meint also
tatsächlich, daß sich Kinder Gottes sogar in den schwierigsten praktischen alltäglichen
Verhältnissen, in denen sie mit Ungläubigen zusammengejocht sind, um jeden Preis die
nötige Freiheit verschaffen müssen, um den Willen Gottes zu tun.
Wie sieht es nun in der Praxis aus? Meist ist es so, daß die Gläubigen diese Freiheit
gar nicht wollen, daß ihnen die Verbindung mit dem Ungläubigen - selbst auf die Gefahr
hin, daß sie dabei den Willen Gottes nicht tun können - viel lieber ist als die Freiheit, in
der sie jederzeit den Willen Gottes tun können, wenn sie auch dabei den weltlichen
Gewinn und Vorteil nicht haben, den sie sonst hätten. Das ist der Grund, weshalb die
Gläubigen um ihrer Stellung als Gläubige willen die Verbindung mit Ungläubigen nicht
aufgeben wollen; der irdische Gewinn, der Hausfrieden ist ihnen wichtiger, als in solcher
Freiheit eine Stellung zu haben, in der sie den Willen Gottes unter allen Umständen und
Verhältnissen tun können.
Nur in solcher Freiheit konnte Jesus von einem Ort weggehen, weil er wußte, daß er
nach Gottes Willen weggehen sollte, und er konnte gehen, wohin er nach Gottes Willen
gehen sollte. Nur solche Kinder Gottes, die sich diese Freiheit verschaffen, können die
wahre Gemeinschaft in ihrem Glauben untereinander haben. Diese Gemeinschaft
können solche Kinder Gottes, die diese Freiheit nicht haben, nicht pflegen, weil ihre
Verbindung mit Ungläubigen der herrschende, bestimmende Einfluß ist, der sie an ihrem
Einssein mit Gleichgesinnten, Gläubigen hindert.
Wenn also Kinder Gottes durch Verbindung mit Ungläubigen in ihrer Stellung zum
Herrn gehindert werden, sind nie die Ungläubigen schuld daran; der Grund liegt immer
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bei den Gläubigen selbst. Es hängt von ihnen ab, wenn sie in Verbindung mit
Ungläubigen sind und bleiben und durch sie die wahre Freiheit für Gott nicht haben
können.
Wir reden viel von Jesu und dem Vorbild, das wir in ihm haben; aber die praktische
Seite sieht beim Kinde Gottes gewöhnlich ganz anders aus als das Vorbild, das uns
Jesus gibt.
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
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