Haschisch

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Haschisch in der Hosentasche
Sollte der Staat hier großzügiger werden?
Prof. Dr. Christian Pfeiffer
Von Zeit zu Zeit gibt es immer wieder die Forderung, den schlichten Besitz von sogenannten
leichten Drogen nicht mehr länger als Straftat zu verfolgen. Besonders im Hinblick auf
Haschisch oder Marihuana – beides Cannabisprodukte – wird diese These gerne vertreten. Es
wird empfohlen, der Staat sollte zumindest die Grenze dafür heraufsetzen, bis zu der man
Haschisch straflos zum Eigengebrauch besitzen darf. Was ist davon aus wissenschaftlicher
Sicht zu halten?
Der Vater des 15-jährigen Max ist vor zwei Jahren bei einem selbstverschuldeten
Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Danach gerät die Familie in finanzielle
Schwierigkeiten. Das Häuschen muss verkauft werden. Für Max bedeutet das: Umzug in eine
Kleinstadt nahe der holländischen Grenze, Verlust von Freunden, Schwieriger Neuanfang in
der Schule, Sitzenbleiben. Aber auf einmal läd ihn Phillipp aus der neuen Klasse für
Samstagabend zu einer kleinen Party ein – sturmfreie Bude, Eltern sind verreist. Das sieht
Max als seine Chance, endlich wieder irgendwo dazuzugehören, rauszukommen aus seiner
Isolation. Als Philipp einen Joint anbietet, der dann unter den sechs Jugendlichen kreist, tut
Max so, als hätte er damit schon viel Erfahrung. Und natürlich ist er dann auch dazu bereit
von Philipp zum Selbstkostenpreis 10 Gramm Haschisch zu kaufen, als der berichtet, er hätte
kürzlich einen Familienausflug nach Holland dazu genutzt, von einem Freund100 Gramm zu
erwerben.
Aber dann geht auf einmal alles schief. Am Wochenende gerät Max am Rande eines
Schützenfestes in eine Schlägerei. Einer wird durch einen Messerstich verletzt. Keiner will es
gewesen sein. Die Polizei nimmt erst einmal fünf Beteiligte mit auf die Wache. Bei Max finden
sie in der Hosentasche die 10 Gramm Haschisch.
Was geschieht nun mit Max? Das hängt zunächst einmal davon ab, ob seine neue Heimatstadt
in Nordrhein-Westfalen oder in Niedersachsen liegt. In NRW hätte er nichts zu befürchten.
Dort hat man sich auf 10 Gramm als Obergrenze dafür geeinigt, was man straflos zum
Eigenbedarf besitzen darf. Sollte er aber in Niedersachsen wohnen, wäre er in jedem Fall
dran. Denn dort gelten sechs Gramm als Obergrenze des noch Erlaubten. Die Polizei würde
die Mutter von Max informieren und sie dazu einladen, an der Vernehmung ihres Sohnes
teilzunehmen. Anschließend hätte die Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob hier in Verbindung mit
einer erzieherischen Maßnahme eine schlichte Ermahnung ausreicht oder ob Anklage zum
Jugendgericht erhoben werden sollte. Doch was ist nun besser? Das Wegsehen in NRW oder
das Verfahren in Niedersachsen?
Wenn man für diese Frage eine Antwort finden möchte, muss man sich vorher etwas
klarmachen. Würden die 12 Länder, in denen gegenwärtig die Obergrenze von sechs Gramm
gilt, auf den Kurs einschwenken, der in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern gilt,
gäbe es zuvor eine große öffentliche Debatte. Die Menschen in den 12 Bundesländern würden
darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Staat bei ihnen den Besitz von Haschisch und
Marihuana noch weiter entkriminalisieren will, als er das bisher getan hat. Das könnte von
vielen so interpretiert werden, als gäbe es neue Erkenntnisse, wonach diese Droge nicht allzu
gefährlich ist. Es erscheint deshalb sinnvoll, sich mit dem aktuellen Stand der Erkenntnisse
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auseinanderzusetzen. Haben wir wirklich Anlass dazu, den Konsum von Haschisch und
Marihuana generell zu verharmlosen?
Zweifel an dieser Grundposition leiten sich für uns aus Erkenntnissen ab, die das KFN durch
repräsentative Jugendbefragungen gewinnen konnte. Besonders breit abgesicherte Befunde
haben sich dabei aus einer bundesweiten Schülerbefragung der Jahre 2007/2008 ergeben, an
der sich knapp 45.000 14 bis 16-Jährige beteiligt hatten. Von den Neuntklässlern hatten 85,7
Prozent angegeben, dass sie noch nie Cannabisprodukte konsumiert hätten. Weitere 10,2
Prozent wurden von uns als seltene Konsumenten eingestuft (ein bis 12 Mal pro Jahr). 4,1
Prozent hatten angegeben, dass sie mindestens mehrmals pro Monat, teilweise aber sogar
täglich Haschisch oder Marihuana konsumiert haben. Sie werden als „häufige Konsumenten“
bezeichnet. Die Datenanalyse hat zu diesen drei Gruppen fünf Erkenntnisse erbracht, die
besondere Beachtung verdienen:

Je häufiger Cannabis konsumiert wird, umso schlechter fallen die Schulnoten aus.
Beispielsweise erreichten Gymnasiasten, die nie Cannabis konsumiert haben, in den
drei Fächern Deutsch, Mathematik und Geschichte eine Durchschnittsnote von 2,79.
Zu den seltenen Konsumenten ergibt sich hier ein Wert von 3,10 und bei häufigen
Konsumenten eine Durchschnittsnote von 3,30.

Häufiger Cannabis-Konsum fördert das Schuleschwänzen. Jugendliche, die kein
Cannabis konsumiert haben, gehörten nur zu 8,3 Prozent der Gruppe von Schülern an,
die im letzten Halbjahr an mindestens fünf Tagen dem Unterricht unentschuldigt
ferngeblieben sind. Diese Quote erhöht sich bei den seltenen Konsumenten auf 27,3
Prozent und bei den häufigen Konsumenten auf 48,5 Prozent.

Häufiger Cannabis-Konsum fördert das Sitzenbleiben. Jugendliche ohne CannabisKonsum hatten nur zu 21 Prozent eine Klasse wiederholt; bei seltenen Konsum beträgt
diese Quote 37,8 Prozent und bei häufigem Konsum 48,2 Prozent.

Häufiger Cannabis-Konsum fördert die Bekanntschaft mit delinquenten Freunden.
Von denen, die nie Cannabis konsumieren, haben nur 9,3 Prozent mehr als fünf
Freunde, die bereits Straftaten begangen haben. Diese Quote erhöht sich bei seltenem
Konsum auf 34,9 Prozent und bei häufigem Konsum auf 61,1 Prozent.

Häufiger Cannabis-Konsum fördert die Jugendgewalt. Seltene Konsumenten gehören
nur zu 2,3 Prozent zu der Gruppe der Mehrfachtäter von Jugendgewalt (mindestens
fünf Taten im letzten Jahr), seltene Konsumenten zu 11,0 Prozent und häufige
Konsumenten zu 27,8 Prozent.
Natürlich konnte Cannabis bei keiner der fünf Punkte als Alleinursache des jeweiligen
Verhaltens ermittelt werden. Andere Faktoren spielten jeweils eine gewichtige Rolle, wie
etwa belastende familiäre Erfahrungen (Gewalt, Vernachlässigung), wenig Erfolgserlebnisse
im schulischen oder sozialen Bereich, häufiger Alkoholkonsum. Zudem gibt es
Wechselwirkungen. Wer in eine Jugendszene gerät, in der es normal ist, gemeinsam
Verbotenes zu tun wie etwa Haschisch zu rauchen, der gerät dann oft unter Druck, auch bei
anderen kriminellen Aktivitäten mitzumachen. Man will ja kein Feigling sein. Haschisch und
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Marihuana wirken dann als ein Einstiegsfaktor in Verhaltensweisen, die die Jugendlichen in
Schwierigkeiten bringen.
Hinzu kommen Befunde aus der Gesundheitsforschung, die deutlich aufzeigen, dass der
regelmäßige Konsum von Cannabisprodukten insbesondere für Jugendliche und
Heranwachsende mit beträchtlichen Risiken verknüpft ist. So gelangt die Deutsche
Hauptstelle für Suchtgefahren zu der Einschätzung, dass bei der speziellen Gruppe von
Konsumenten, bei der Cannabis-Konsum und zusätzlich persönliche und soziale
Risikofaktoren zusammen kommen, eine besondere Gefährdung bestehe, welche
folgendermaßen beschrieben wird:
Zwar hat der Konsument selbst ein Gefühl erhöhter Leistungsfähigkeit, die jedoch
objektiv betrachtet immer mehr abnimmt. An die Stelle geordneten Denkens und
logischer Schlussfolgerungen tritt häufig eine Art Scheintiefsinn, wovon vor allem
Sorgfaltsleistungen betroffen sind (…). Im Zusammenhang mit dem genannten AMotivationssyndrom zeigt sich ein zunehmendes allgemeines Desinteresse, gepaart
mit verminderter Belastbarkeit. Der Konsument zieht sich immer mehr in sich zurück
und wird sich selbst und den Aufgaben des Alltags gegenüber immer gleichgültiger.
Er fühlt sich den Anforderungen der Leistungsgesellschaft allmählich immer weniger
verpflichtet, aber auch immer weniger gewachsen, und schert mehr und mehr aus
seinem bisherigen sozialen Gefüge aus (abc-Drogenlexikon, Deutsche Hauptstelle für
Suchtfragen, abgerufen am 08.04.2013).
Die Erkenntnisse der Wissenschaftler bieten damit gleichzeitig eine Erklärung für die
Befunde, die das KFN im Hinblick auf die schlechten Noten, das Schuleschwänzen und das
Sitzenbleiben gefunden hat. Hinzu kommt, dass es aus der medizinischen Forschung Belege
gibt, wonach regelmäßiger Konsum von Cannabisprodukten insbesondere bei Jugendlichen
und Heranwachsenden zu Hirnveränderungen führen kann; einige Studien kommen sogar zum
Ergebnis, dass diese Veränderungen irreversibel sein könnten. Hierzu gibt es aber auch
kritische Gegenpositionen. Teilweise werden die dargestellten gesundheitlichen
Auswirkungen bestritten. Weitgehende Einigkeit besteht allerdings dazu, dass das häufige
Rauchen von Cannabisprodukten das Lungenkrebs-Risiko weit stärker erhöht als es sich bei
normalem Zigarettenrauchen ergibt. Ferner gilt als gesicherte Erkenntnis, dass der CannabisKonsum die Fahrtauglichkeit herabsetzt.
Über diese Risiken, die mit dem Konsum von Cannabisprodukten einhergehen, ist in den
letzten 10 Jahren zunehmend öffentlich informiert worden. Viele Präventionsprojekte haben
die Erkenntnisse in ihr Programm integriert. Dazu gehört dann auch der Hinweis, dass sich
der THC-Gehalt der Cannabisprodukte und damit ihre „Rauschwirkung“ aufgrund gezielter
Pflanzenzüchtung im Laufe der letzten 20 bis 30 Jahre deutlich erhöht hat. Dies alles mag
dazu beigetragen haben, dass die Nutzung von Haschisch und Marihuana stark
zurückgegangen ist. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat kürzlich das
Ergebnis von wiederholt durchgeführten Repräsentativbefragungen veröffentlicht. Danach hat
die Quote der Jugendlichen, die regelmäßig Cannabis konsumieren, zwischen 2001 und 2010
von 3 Prozent auf 0,9 Prozent abgenommen. Insgesamt zeigt sich zu den 12 bis 25-Jährigen
ein Rückgang von 3 auf 2,2 Prozent. Diese Forschungsbefunde werden für den Zeitraum
zwischen 2004 und 2011 auch von der polizeilichen Kriminalstatistik bestätigt. Insbesondere
für die jungen Menschen zeigt sich hier pro 100.000 der jeweiligen Altersgruppe eine
deutliche Abnahme der Zahl derjenigen, die als Besitzer von Cannabisprodukten registriert
wurden (Kinder minus 63,4%, Jugendliche minus 46,1% und Heranwachsende minus 39,8
%).
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Die Daten können als Beleg dafür gewertet werden, dass sich der Kurs, den Bund, Länder und
Kommunen in der Prävention und Strafverfolgung des Besitzes kleiner Mengen von
Cannabisprodukten eingeschlagen haben, bewährt hat. Dann aber erscheint es doch sehr
zweifelhaft, ob die 12 Bundesländer die seit vielen Jahren die Strafverfolgung ab sechs
Gramm beginnen, sich auf eine Debatte über eine Anhebung dieser Eigenbedarfsgrenze
einlassen sollten. Angesichts der oben dargestellten Risiken, die mit einer derartigen
kriminalpolitischen Diskussion verbunden wären (Stichwort „Verharmlosung“), dürfte es
klüger sein, am bisherigen Kurs festzuhalten.
Diese Einschätzung bestätigt sich auch dann, wenn man anhand des Eingangsbeispiels prüft,
welche Konsequenzen es denn nun hat, wenn Max ein Jugendstrafverfahren erleben sollte.
Am KFN wurde dazu kürzlich anhand der verfügbaren Daten der Strafverfolgungsstatistik
ermittelt, welcher Verfahrensausgang wahrscheinlich ist. Danach haben Jugendliche, die der
Staatsanwaltschaft wegen des Besitzes kleiner Mengen von Haschisch oder Marihuana als
Tatverdächtige gemeldet worden sind, nur zu etwa 1,8 bis 2 Prozent mit einer Verurteilung zu
rechnen. Das dürften dann primär solche jungen Angeklagte sein, die nicht zum ersten Mal
wegen dieses Delikts auffällig geworden sind oder gegen die sich noch ergänzende Vorwürfe
ergeben haben, wie etwa das Mopedfahren unter Einfluss von Cannabis oder die kostenlose
Weitergabe von Cannabis an Freunde. Die große Mehrheit der Täter wird dagegen die
Einstellung ihres Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft erleben und dies meist in
Verbindung mit einer der im JGG vorgesehenen erzieherischen Maßnahmen. Von einer
massiven Kriminalisierung der Jugendlichen, die mit mehr als sechs Gramm Cannabis
erwischt worden sind, kann also nicht die Rede sein. Im Ergebnis ist deshalb von einer
Änderung der aktuellen Strafverfolgungspraxis des Besitzes kleiner Mengen von Cannabis
abzuraten.
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