„Was meinen die denn mit ‚GUI‘*?!“ – Interprofessionelle Zusammenarbeit bei der Entwicklung nutzerorientierter Software-Lösungen * Graphical User Interface Aline Kunz, Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg Sabrina Pohlmann, Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg Martina Kamradt, Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg Antje Brandner, Zentrum für Informations- und Medizintechnik, Universitätsklinikum Heidelberg Christina Reiß, Selbsthilfe Heidelberg/Mannheim Oliver Heinze, Zentrum für Informations- und Medizintechnik, Universitätsklinikum Heidelberg Joachim Szecsenyi, Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg Dominik Ose, Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg Kontakt: [email protected] Hintergrund und Motivation Die Entwicklung von Software-Lösungen für das Gesundheitswesen sieht sich heute mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert: Entwicklerteams müssen einem stetig steigenden Bedarf an IT-Lösungen begegnen und sich dabei auch kontinuierlich wandelnden technischen Möglichkeiten stellen. Darüber hinaus ist die Einbeziehung der Lebens- und Arbeitswelt aller Zielgruppen, die die entwickelte Informationstechnologie anwenden sollen, aus dem Entstehungsprozess nicht mehr wegzudenken (vgl. Schmidt-Kraepelin et al, 2014; Goldberg et al, 2011). Ein Scheitern von Software-Entwicklungen im Gesundheitswesen, das darauf zurückzuführen ist, dass entscheidende Rahmenbedingungen des Versorgungsalltags außer Acht gelassen wurden, ist nicht nur mit Frustration seitens der Anwender, sondern letztlich auch mit hohen finanziellen Risiken für die Entwicklungsorganisationen verbunden (vgl. Boddy et al, 2009). Seit 2012 wird das Projekt INFOPAT (Informationstechnologie für eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung) durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Wettbewerbs „Gesundheitsregion der Zukunft“ gefördert. Das Ziel von INFOPAT ist es, Strukturen und Prozesse zu etablieren, welche eine integrierte und sektorenübergreifende Versorgung von chronisch kranken Menschen ermöglichen. Zentraler Baustein für die Erreichung dieser Zielsetzung ist die Etablierung der persönlichen, einrichtungsübergreifenden elektronischen Patientenakte (PEPA). Dabei werden in einem „Entwicklungsprojekt“ der technische Aufbau der PEPA-Architektur und in einem „Anwendungsprojekt“ exemplarisch die Herausforderungen der Implementierung in der Versorgung von Patienten mit Darmkrebs in den Blick genommen. In der ersten Projektphase wurde im Entwicklungsprojekt die Infrastruktur der PEPA durch ein Entwicklerteam aus Industrie und Wissenschaft entwickelt und implementiert. Parallel dazu wurden im Anwendungsprojekt Fokusgruppen mit Patienten, Ärzten und Gesundheitsberufen durchgeführt und ein Anforderungsprofil entwickelt. Dieses soll nun technisch auf der vorhandenen Infrastruktur umgesetzt werden. Damit verbunden ist ein enger Rückkopplungsprozess zwischen „Medizininformatikern“ im Entwicklungsprojekt und „Sozialwissenschaftlern“ im Anwendungsprojekt. Im Projektverlauf erwies es sich jedoch als sehr schwierig, aus den im Anwendungsprojekt entwickelten Anforderungen klare Handlungsschritte und Prioritäten abzuleiten, die in den weiteren Entwicklungsprozess aufgenommen werden können. Trotz regelmäßigen Austauschs fehlte eine „gemeinsame Sprache“. Beschreibung des Projekts Um die interdisziplinäre Abstimmung zu vereinfachen entstand die Idee, auch die entwickelten Anforderungen aus dem Anwendungsprojekt am Vorgehen der technischen Software-Entwicklung (SCRUM) auszurichten (vgl. Abbildung 1). Die Zielsetzung bestand dabei darin, den bestehenden Anforderungskatalog in konkrete, priorisierte und allgemein verständliche Arbeitspakete zu untergliedern. Dazu werden nun im Anwendungsprojekt sogenannte „Action Sheets“ entwickelt und mit dem Product Owner von Seiten des Entwicklungsteams abgestimmt. Durch die zweigeteilte Rolle des Product Owner‘ ist nun sowohl ein Wirtschaftsinformatiker als auch ein Sozialwissenschaftler für die Vorgaben zur PEPA verantwortlich. Gemeinsam erstellen, priorisieren und erläutern sie die zu entwickelnden und in „Action Sheets“ ausgearbeiteten Produkteigenschaften, und urteilen darüber, welche Arbeitspakete in den zweiwöchigen Sprint-Phasen bearbeitet werden sollen. Die „Action Sheets“ beinhalten beispielsweise klare Definitionen, User Stories und Akzeptanzkriterien zu verschiedenen Nutzeranforderungen. Insgesamt sollen die „Action Sheets“ den Mitarbeitern im Entwicklungsprojekt als konkrete „Fallbeispiele“ dienen anhand derer die Funktionalitäten der Software zielgerichtet entwickelt werden. Alle am Entwicklungsprozess Beteiligten sollen sich durch die „Action Sheet“-gestützte Vorgehensweise besser mit den Nutzeranforderungen identifizieren können. Auf diese Weise kann eine stabile Basis für ein System geschaffen werden, das die tatsächlichen Bedarfe adressiert. Im Rahmen der ENI 2015 werden diese „Action Sheets“ in einem Vortrag ausführlich dargestellt und diskutiert. Kritische Reflexion Da sich die PEPA nach wie vor im Aufbau befindet, lässt sich noch nicht abschließend feststellen, ob die modifizierte Arbeitsweise nachhaltig positive Auswirkungen auf den Entwicklungsprozess haben wird. Die ersten Erfahrungen mit der neu gewählten Abstimmungsweise zeigen jedoch, dass es allen Beteiligten leichter fällt andere Blickwinkel und Denkweisen einzunehmen. Dies ist jedoch mit einem erhöhten Zeitaufwand für die erneute Aufbereitung des Anforderungskatalogs sowie noch häufigeren Rückspracheterminen verbunden. Im Rahmen der nochmaligen Auseinandersetzung mit den Inhalten des Anforderungskatalogs konnte allerdings auch die Schwerpunktsetzung weiter konkretisiert werden, was letztlich ebenfalls dem Projektfortschritt zugutekommt. Insgesamt wurde die Diskussion über wichtige Aspekte des Entwicklungsprozesses zielgerichteter und das Kennenlernen der genauen Erwartungshaltung der Projektpartner befördert. Ausblick Der funktionstüchtige Prototyp der PEPA wird in einer zweiten Projektphase im Versorgungsprozess bei Patienten mit Darmkrebs evaluiert. Diese Evaluation macht weitere Rückkopplungsprozesse zwischen Sozialwissenschaftlern und Entwicklerteam erforderlich. Wenn sich die gemeinsame Verständigung anhand von Action Sheets in der laufenden Phase bewährt, dann kann im weiteren Verlauf auf ein bereits funktionierendes Abstimmungsinstrument zurückgegriffen werden, um nutzerorientierte Anpassungen am Prototypen zu steuern. Literaturverzeichnis Boddy, D., King, G., Clark, J. S., Heaney, D., Mair, F. (2009): The influence of context and process when implementing e-health. BMC Medical Informatics and Decision Making, 9:9. Goldberg, L., Lide, B., Lowry, S., Masset, H. A., O’Connell, T., Preece, J., Quesenbery, W., Shneiderman, B. (2011): Usability and Accessibility in Consumer Health Informatics. Current Trends and Future Challenges. AM J Prev Med; 40(5S2): 187-197. Schmidt-Kraepelin, M., Dehling, T., Sunyaev, A. (2014): Usability of Patient-Centered Health IT: Mixed-Methods Usability Study of ePill. Stud Health Technol Inform. 198: 32-9. Abbildung