Fall: Das Missverständnis – Gliederung Anspruch des B gegen M auf Lieferung von 100 Kilo Mehl aus § 433 I 1 BGB Voraussetzung: Wirksamer Kaufvertrag Zwei übereinstimmende Willenserklärungen: Angebot (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147 I 1 BGB) 1. Wirksamer Kaufvertrag a) Angebot des B durch Anruf bei M Abgabe (+) Zugang? Problem: M hat Erklärung des B hinsichtlich der gewünschten Menge falsch verstanden, § 147 I 2 BGB analog aa) Strenge Vernehmungstheorie: Willenserklärung geht unter Anwesenden zu, wenn der Erklärungsempfänger diese richtig wahrnimmt (WE geht nur zu, wenn diese richtig empfangen wurde) Erklärender trägt volles Erklärungsrisiko hier: Kein Zugang des Angebots des B, da M es falsch verstanden hat bb) Abgeschwächte Vernehmungstheorie: Willenserklärung gilt unter Anwesenden auch dann als zugegangen, wenn sie der Empfänger nicht richtig verstanden hat, der Erklärende aber damit rechnen konnte, dass der Empfänger seine Erklärung richtig verstanden hat hier: Zugang des Angebots des B, da B davon ausgehen konnte, dass M das Angebot richtig vernommen hatte Angebot auf Lieferung von 200 kg Mehl cc) Entscheidung für abgeschwächte Vernehmungstheorie: Strenge Vernehmungstheorie geht zu weit, indem dem Erklärenden sämtliche Empfangsrisiken aufgebürdet werden Abgeschwächte Vernehmungstheorie: Berücksichtigung des Verkehrsschutzes und allgemeiner Zurechnungskriterien b) Annahme des M Problem: M wollte nur einem Verkauf von 100 kg Weizenmehl zustimmen B hat Erklärung des M aber dahingehend verstanden, dass dieser der Lieferung von 200 kg Weizenmehl zugestimmt hat © Zimmermann, Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht, 1. Semester Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont, §§ 133, 157 BGB: „Wie durfte der Empfänger B die Erklärung des M nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen?“ B durfte davon ausgehen, dass M seine Erklärung richtig verstanden hat Annahme des Angebots des B durch M c) Zwischenergebnis: Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrages über Lieferung von 200 kg Mehl zum Preis von 0,50 € pro Kilo 2. Nichtigkeit des Kaufvertrages gemäß § 142 I BGB? Problem: Wirksame Anfechtung? a) Anfechtungserklärung, § 143 I, II BGB aa) Gebot der Unzweideutigkeit Die Erklärung des M muss unzweideutig zum Ausdruck bringen, dass das Rechtsgeschäft nicht gelten soll Gebrauch des Wortes „Anfechtung“ ist nicht erforderlich (lebensfremder Formalismus) Auslegung der Erklärung des M, weitere 100 kg Mehl nur zu einem Preis von 0,60 € liefern zu wollen: Bestreiten einer weiteren Verpflichtung: Anfechtungserklärung bb) Nennung des Anfechtungsgrundes (Problem: Begründungspflicht)? Gegen Begründungspflicht: gesetzlich nicht angeordnet, Härte der Wirkungslosigkeit einer nicht näher begründeten Anfechtung Für Begründungspflicht: legitimes Interesse des Anfechtungsgegners (Beurteilung einer etwaigen Verspätung der Anfechtung, Vertrauensschaden), Nachschieben von Anfechtungsgründen Lösung: Mittelweg Nennung verzichtbar, soweit Anfechtungsgründe bekannt oder erkennbar hier: Erklärung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Reklamation der Lieferung b) Anfechtungsfrist, § 121 I 1 BGB c) Anfechtungsgrund, §§ 119 ff. BGB aa) Inhaltsirrtum, § 119 I Alt. 1 BGB Irrtum des M über den Bedeutungsgehalt seiner Erklärung: Verpflichtung zur Lieferung von 200 kg, nicht von 100 kg Mehl bb) Kausalität zwischen Irrtum und Erklärung Hätte M bei Kenntnis der wahren Sachlage und verständiger Würdigung des Falles den Vertrag nicht abgeschlossen? Motiv für Anfechtung: Gewinnsteigerung: Nachträgliche Durchsetzung eines höheren Preises (wirtschaftlicher Vorteil) Verstoß gegen Treu und Glauben, § 242 BGB: Verbot des „venire contra factum proprium“ M hätte bei Kenntnis der wahren Sachlage und verständiger Würdigung des Falles dieselbe Erklärung abgegeben © Zimmermann, Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht, 1. Semester Kein Kausalität zwischen Irrtum und Erklärung d) Zwischenergebnis: Kein Anfechtungsgrund im Sinne des § 119 I BGB 3. Ergebnis: B kann von M die Lieferung weiterer 100 kg Mehl zum ursprünglichen Preis verlangen © Zimmermann, Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht, 1. Semester Fall: Die Mietwohnungen – Gliederung I. Anspruch der F gegen M auf Zahlung der Miete aus § 535 II BGB 1. Schriftlicher Mietvertrag, §§ 535, 549 I, 550 BGB 2. Nichtigkeit nach § 142 I BGB infolge Anfechtung? a) Anfechtungserklärung, § 143 I, II BGB Gebot der Unzweideutigkeit: Gebrauch des Wortes „Anfechtung“ nicht erforderlich Erklärung des M, sich wegen des Verhaltens des A nicht gebunden zu fühlen Anfechtungserklärung b) Anfechtungsgrund, §§ 119 ff. BGB Widerrechtliche Drohung, § 123 I Alt. 2 BGB: Drohung: Vorsätzliches Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf das der Drohende Einfluss zu haben vorgibt Widerrechtlichkeit des Mittels: Drohung des A gegenüber M mit dem Verlust des Arbeitsplatzes Widerrechtlichkeit der Zweck-Mittel-Relation: Abschluss des Mietvertrages steht in keinem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis c) Kausalität zwischen Drohung und Erklärung Bestimmung zur Abgabe der Willenserklärung durch die Drohung: M hätte den Mietvertrag ansonsten nicht unterzeichnet d) Drohung durch einen Dritten (A) Wortlaut des § 123 I BGB besagt nicht, dass Drohung gerade vom Vertragspartner ausgehen muss Systematik des § 123 BGB: Absatz 2: Einschränkung der Anfechtung bei Täuschung durch Dritten Umkehrschluss: Keine Einschränkung der Anfechtung bei Drohung durch Dritten Sinn und Zweck des § 123 BGB: Schutz der freien Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiet: Drohung im Verhältnis zur Täuschung als schlimmere Störung Anfechtung erst recht zulässig, wenn Erklärender von Drittem bedroht wurde e) Anfechtungsfrist, § 124 BGB f) 3. Zwischenergebnis: Wirksame Anfechtung Ergebnis: Kein Anspruch der F gegen M auf Zahlung der Miete © Zimmermann, Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht, 1. Semester II. Anspruch des K gegen S auf Zahlung der Miete aus § 535 II BGB 1. Schriftlicher Mietvertrag, §§ 535, 549 I, 550 BGB 2. Nichtigkeit nach § 142 I BGB infolge Anfechtung? a) Anfechtungserklärung, § 143 I, II BGB Gebot der Unzweideutigkeit: Gebrauch des Wortes „Anfechtung“ nicht erforderlich Erklärung des S, wegen der Missbilligung der M in die Wohnung nicht einziehen zu wollen Anfechtungserklärung b) Anfechtungsgrund, §§ 119 ff. BGB Eigenschaftsirrtum, § 119 II BGB: Eigenschaften: alle unmittelbar kennzeichnenden Faktoren, welche dauerhaft mit ihr verbunden sind Missbilligung durch M hat mit der Beschaffenheit der Wohnung nichts zu tun Unbeachtlicher Motivirrtum des S, dass M mit dem Anmieten der Wohnung einverstanden sei c) Zwischenergebnis: Kein Anfechtungsgrund somit: Keine wirksame Anfechtung des Mietvertrages 3. Kündigung des Mietvertrages, §§ 542 I, 549 I BGB? a) Kündigungserklärung des S Erklärung des S, sich vom Mietvertrag lösen zu wollen b) Nichtigkeit nach § 125 S. 1 BGB § 568 I BGB: Schriftformerfordernis der Kündigung eines Mietvertrages über Wohnraum (§ 126 BGB) hier: S erklärte die Kündigung gegenüber K nur mündlich c) Zwischenergebnis: Keine wirksame Kündigung 4. Fälligkeit des Mietzinses Nach der im Mietvertrag enthaltenen Vorauszahlungsvereinbarung 5. Ergebnis: K kann von S gemäß § 535 II BGB Mietzins (auch) für den Monat Dezember verlangen © Zimmermann, Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht, 1. Semester