Tanzperformance im Schlachthaus Theater Ich bin gerne Aktmodell Wir Menschen kommen nackt zur Welt. Meistens bedecken danach Kleider unseren Körper. Das ist unpraktisch. Darum müssen wichtige Teile nackt bleiben, die Hände zum Beispiel. Wir wollen einander sehen. Darum soll auch der Kopf unverhüllt bleiben. Sobald wir ihn ganz zudecken, merken wir, wie sehr Kleider isolieren. Beklemmung, gar Angst stellt sich ein. Ich möchte mich meinen Mitmenschen zeigen. Ganz. Ich möchte diese Isolation ablegen, möchte für sie ganz offen sein. Sie dürfen mich anschauen, überall. Sie dürfen meinen Körper erkunden, auch meine intimsten Stellen. Als Aktmodell bin ich sehr empfindsam. Ein Windhauch streicht über die Haut, der Schein der Lampe wärmt. Ich spüre den Boden, wie er mich beim Stehen trägt, einen Stuhl oder eine Wand beim Anlehnen. Es ist schön, wenn andere mich anschauen. Manchmal geht ein Kribbeln durch meinen Bauch und ich möchte es in mir behalten. Doch es verschwindet jeweils schnell wieder. Als Aktmodell bin ich verletzlich. Ein unbedachtes Wort ist dann halt auszuhalten. Doch das Vertrauen ist rasch wieder da. Ich vertraue mich gerne den Mitmenschen an, lasse mich von ihnen behüten. Ich werde gerne nackt auf der Bühne sein, im Keller des Schlachthaus Theaters. Das Publikum wird mich schützen, und die anderen Schauspielerinnen auch. Ida wird mich beschützen. Wozu all die Angst? Als Aktmodell lasse ich mich abbilden. Es entstehen Zeichnungen von mir, Fotos und Tonfiguren. Leute werden sich an mich erinnern. Auch nach meinem Tod wird etwas von mir zurückbleiben. Nun soll ich also im Schlachthaus auftreten, als Aktmodell eine viertel Stunde, danach als Einzelfigur, in einer eigenen Szene, in kurzen Posen bewegt, vieles ist möglich. Wie wird das sein? Und so war’s: Am 2. Dezember war die letzte Aufführung in Bern. Alle 4 Abende waren ausverkauft, am letzten liessen sie sogar 15 Leute mehr rein, als erlaubt. Damals machte auch ein Fotograf die Bilder, von denen ich ein paar hier präsentiere. Die Aufführungen verliefen ohne Probleme. Zweimal war es sogar besonders gut. Bei Beginn war ich ja Zuschauer, wartete mit dem Publikum an Kasse, machte Smalltalk. Dann war abgemacht, dass ich für meinen Auftritt die auffälligste Stelle unter den Leuten aussuchen solle. Einmal waren das etwa sechs Besucherinnen, die eine der Schauspielerinnen organisiert hatte, aber das merkte ich erst nach der Vorführung. Sie sassen am Boden und ich also setzte ich mich vor sie. Dann begann mein Part: Ich zog die Jacke aus, Hemd, Leibchen, dann die Hose, entsetztes Getuschel in meinem Rücken, nun auch den Rest weg. Sorgfältig faltete ich alles zusammen und mache ein sauberes Häuflein und stand ganz nackt da. Vermutlich dämmerte es ihnen, denn nun stieg ich langsam die Treppe hinauf, wo auch viele sassen. Sie machten artig Platz und ich ging in den anderen Raum, wo der zweite Teil der Tanzperformance folgen sollte. Dort wartete ich, bis das Publikum herüber geleitet wurde. Nun begannen die Szenen, welche mir beim Proben so viel Panik bereitet hatten, das Posieren als Aktmodell in einer Kabine. Ich durfte ja die Leute nicht sehen, sie mich aber schon. Sowas von unfair! Und ich hatte mir eingeredet, dass plötzlich ein Spinner da ist. Das ganze heisst ja Schlachthaus Theater. Er nimmt sein Werkzeug raus und beginnt mich fein sauber zu zerlegen. So stellte ich mir alles vor! Nun, einmal sah ich plötzlich eine Hand vor mir, eine Frauenhand. Und die hielt mir ein Browny hin. Ich wusste sofort, das ist Glynis. Sie kommt immer, wenn ich mir was eingebrockt hab und ich auch bei ihr. Sie hatte noch eine rothaarige Kollegin dabei und früher war sie Ballerina am Opernhaus Zürich gewesen. Also voll Profi. So begann unsere kleine Improvisation, ohne Schlachtergerät und ohne Fleischhacken! Die anderen Leute stauten sich vor meiner Kabine, schauten zu, eine fotografierte gar und alles lief prima. Daneben warteten andere im Dunkeln, schauten sich ein nerviges Video an. Also, was wenn der Schlachter doch gekommen wäre. So eine Schlagzeile hätte sich bestimmt auch in eurer Presse gut gemacht, oder etwa nicht? Mord im Schlachthaus Theater, echt, das hättest Du mitbekommen, passierte aber nicht. Meine Vergangenheit mit einem Vater als ZuchthausOberaufseher hat mir da wohl einen Streich gespielt, denn ich kannte solche Monster sehr wohl! Dafür hast Du nun eine spannende Geschichte und vier Aufführungen verpasst. Veranstalterin war die Hochschule der Künste in Bern. Peter Voser, 22. Oktober und 10. Dezember 2012 [email protected]