Gemeinsame Ziele – Integrierte Strukturen, angestellte und niedergelassene Psychotherapeuten arbeiten an der Erhaltung und Wiederherstellung seelischer Gesundheit Dr. Christina Tophoven ver.di Landesbezirk Niedersachsen-Bremen 24. November 2007 Anpassungsbedarf der Versorgungsstrukturen und Inhalte Zunahme der Multimorbidität in einer älter werdenden Gesellschaft Verbreiterung und Vertiefung der diagnostischen und therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten bei gleichzeitig eingeschränkten Ressourcen Steigende Anforderungen an die Versorgung durch Patienten, andere Gesundheitsberufs, Kostenträger und Gesellschaft Integration, evidenzbasierte Leitlinien, Professionenmix 2 Zeit für Visionen: Zukunft der Krankenhausversorgung 2009 Neue Versorgungsformen (GRG, GMG, GKVWSG) Neue Versorgungsstrukturen im ambulanten Bereich (VÄndG) Professionsgrenzen (Sachverständigenrat) Erhebliche Dynamik durch gesundheitspolitische Weichenstellungen 3 Krankenhausversorgung psychisch kranker Menschen Stationär Teilstationär Ambulant Ambulantisierung und Mobilisierung 4 Krankenhausversorgung psychisch kranker Menschen Psychiatrie-Personalverordnung – Basis einer stärkeren Pauschalierung im stationären Bereich? Was ist aufgrund klinischer Erfahrung therapeutisch erforderlich? Was tun welche Therapeuten mit welchen Patienten zu welcher Zeit eines Tages? Basis: Erkenntnisstand 1988/89 5 Psychiatrie-Personalverordnung 1991 Nur noch bedingt Garant für eine definierte Strukturqualität Evidenzbasiertes Wissen, z. B. zur Psycho- und/oder Pharmakotherapie hat sich weiterentwickelt Berufsbilder sind neu entstanden bzw. haben sich diversifiziert Ambulantisierung und Mobilisierung nicht abgebildet Neue Vergütungsansätze setzen eine Überarbeitung der Psych-PV voraus 6 Psychiatrische Institutsambulanzen (PiA) Integrierte Versorgung par Exellence 418 Psychiatrische Institutsambulanzen an Krankenhäusern bzw. -abteilungen (494) PiA pro 180.000 Einwohner Keine Bedarfsplanung seit der Gesundheitsreform 2000! 7 Psychiatrische Institutsambulanzen (PiA) Vereinbarung gemäß § 118 Abs. 2. SGB V: Art, Schwere und Dauer der Erkrankung erfordert ein krankenhausnahes Versorgungsangebot Chronischer oder chronisch rezidivierender Verlauf Im Einzelfall auch bei Ersterkrankung … Hohe Varianz in Abhängigkeit von Versorgungssituation und Angebot der PiA 8 Psychiatrische Institutsambulanzen psychiatrisch-psychotherapeutische Komplexleistung Psychotherapie entsprechend der Richtlinien des G-BA ggf. im Rahmen eines individualisierten Behandlungsplans Multiprofessionelle Behandlungsteams Hohe Varianz der Personalstruktur (Arzt, Psychotherapeut, Pflege, Sozialarbeiter) und folglich auch des Versorgungsangebots 9 Psychiatrische Institutsambulanzen Pauschalierte Vergütung variiert zwischen den Bundesländern um mehr als 100,00 Euro Teilpauschalierung (EBM und Pauschale für nichtärztliche Leistungen) Bayrisches Vergütungsmodell (Einzelleistungsvergütung) zeigt große Spannbreite Hohe Varianz der Vergütung korreliert mit Varianz des Angebots 10 Psychiatrische Institutsambulanzen Leitlinienorientierung der diagnostischen und therapeutischen Standards? Evidenzbasierte Dosis: Psychotherapie bzw. Pharmakotherapie? Bedürfnis- und bedarfsorientiert oder finanzgesteuert? Antworten für die anstehende Krankenhausreform gesucht 11 Weichenstellung für neue Versorgungsformen Home-Treatment: Krankenhausbehandlung psychisch kranker Menschen Zuhause Im somatischen Krankenhaus Alten- und Pflegeeinrichtungen In der Heimerziehung Alexianer-Krankenhaus Krefeld, UKE-Hamburg uvm. 12 Weichenstellung für neue Versorgungsformen Need-adapted Treatment Ambulantisierung und Mobilisierung der Versorgung Psychotherapeutisch-systemische Ausrichtung Integration aller Hilfearten Psychosozialer Trägerverein Solingen 13 Weichenstellung für neue Versorgungsformen Kreis Steinburg: Regionales Psychiatriebudget Budget für die Versorgung psychisch kranker Menschen Vertragspartner GKV und Psychiatrische Krankenhäuser Itzehoe und Glückstadt (Modellprojekt) Regelungen der Psychiatrie-Personalverordnung und Überprüfungen des MDK außer Kraft 14 Weichenstellung für neue Versorgungsformen Kreis Steinburg Regionales Psychiatriebudget: Vollstationäre Kapazitäten werden abgebaut, parallel wird das teilstationäre und ambulante Behandlungsangebot ausgeweitet Der Anteil der teilstationären, ambulanten Patienten ebenso wie der Anteil derjenigen Patienten, die in allen drei Behandlungssettings betreut werden, nimmt deutlich zu Behandlungsteams werden gebildet, die sich auf einzelne Krankheitsbilder konzentrieren 15 Weichenstellung für neue Versorgungsformen Netz für seelische Gesundheit in Mainz (§ 140a SGB V) Vertragspartner PiA, Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten Psychiater oder Psychotherapeut stellen Diagnose und entwickeln individuellen Behandlungs- und Betreuungsplan Komplexe, auf die individuelle Krankheitssituation zugeschnittene Hilfsangebote durch ein multiprofessionelles Team Differenziertes Qualitätsmanagement inkl. Patientenbefragung Pauschale Vergütung in Abhängigkeit vom Zeitaufwand (Zuordnung der Patienten zu Hilfebedarfsgruppen) 16 VÄndG: Neue ambulante Versorgungsstrukturen Anstellung von Vertragspsychotherapeuten und -ärzten In Planungsbereichen ohne Zulassungsbeschränkung können mehrere Vertragsärzte bzw. -psychotherapeuten angestellt werden Bei Leistungsbegrenzung ist diese als Obergrenze zu beachten, mehrere Teilzeitbeschäftigte sind jedoch möglich Das Modell der Freiberuflichkeit bekommt eine Alternative 17 VÄndG: Neue ambulante Versorgungsstrukturen Flexibilisierung der Tätigkeit Teil- oder Vollzeit Tätigkeit im Krankenhaus oder Reha-Klinik kombinierbar mit Niederlassung bzw. Tätigkeit im ambulanten Bereich Das Modell des notwendigerweise vollen Versorgungsauftrags wird aufgegeben 18 VÄndG: Neue ambulante Versorgungsstrukturen MVZ: Neue Anbieterstruktur neben Vertragsarztpraxis Fachübergreifend, ärztlich geleitete Einrichtungen „Sind in einem MVZ Angehörige unterschiedlicher Berufsgruppen, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen tätig, ist auch eine kooperative Leitung möglich.“ 19 VÄndG: Neue ambulante Versorgungsstrukturen Berufsausübungsgemeinschaft Unter allen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringern möglich Interdisziplinäre Versorgung insbesondere bei chronischen Krankheiten und Komorbidität möglich Überörtlich und bezogen auf Teilleistungen möglich 20 VÄndG: Neue ambulante Versorgungsstrukturen Musterberufsordnung-Ärzte § 19 Abs. 1 und § 2 Abs. 4 MBO-Ärzte : Beschäftigung ärztlicher Mitarbeiter setzt Praxisleitung durch einen niedergelassenen Arzt voraus Standespolitisch motivierte Engführung 21 VÄndG: Neue ambulante Versorgungsstrukturen MBO-Psychotherapeuten § 3 Abs. 5 „Allgemeine Berufspflichten“: „Fachliche Weisungen dürfen sie nur von Personen entgegennehmen, die über die entsprechende Qualifikation verfügen“ § 20 Abs. 3 MBO-Psychotherapeuten: „Die Beschäftigung von PP, KJP, Ärzten und Zahnärzten setzt die Leitung der Praxis durch den niedergelassenen Psychotherapeuten voraus.“ 22 Regulierung von Professionsgrenzen In Deutschland besonders stark ausgeprägter Arztvorbehalt Arztvorbehalt legt die anderen Gesundheitsberufe dauerhaft auf die Rolle der unselbstständig Zuarbeitenden fest Sozialrechtliche Privilierung: Arzt als Filterinstanz für den Zugang zu GKV-finanzierten Leistungen 23 Regulierung von Professionsgrenzen Muster interprofessioneller Beziehungen Keine zwangsläufigen Anpassungsprozesse an die Erfordernisse der medizinischen Dienstleistungsproduktion Das gleiche Maß an Gesundheit wird in unterschiedlichen Gesundheitssystemen von unterschiedlich zusammengesetzten „Behandlungsteams“ erbracht Siehe Großbritannien und USA 24 Regulierung von Professionsgrenzen Deutschland – Bezeichnungsschutz über Berufsrecht Privilierung der Ärzteschaft und seit 1999 auch Verkammerung der Psychotherapeuten Großbritannien und USA – gesetzlich geregelter Bezeichnungsschutz, aber auch Etablierung von Selbstverwaltungsorganisation, die Ausbildungs- und Tätigkeitsinhalte selber bestimmt Regelungsdualismus zwischen Sozial- und Berufsrecht 25 Regulierung von Professionsgrenzen Erster Schritt: Verkammerung der Psychotherapeuten Zweiter Schritt: Orientierung des Professionenmixes in multiprofessionellen Behandlungsteams an evidenzbasierten Leitlinien Dritter Schritt: Ausrichtung der Finanzierung an den daraus abgeleiteten Anforderungen an Struktur- und Prozessqualität 26 Professionsgrenzen neu denken Abkopplung der für die Qualitätssicherung und das Qualitätsmanagement notwendigen Funktionen (fachliche Leitung) von organisatorischen Vorgaben, wie z. B. hierarchische Weisungsbefugnis Gleichberechtigung und Flexibilisierung gegenseitiger Anstellungsmöglichkeiten der Profession Einweisungsrecht für Psychotherapeuten in stationäre Einrichtungen sowie Verordnungsbefugnis für Heilmittel 27 Entscheidend wird sein… Ob Versorgungsstrukturen und -angebote sich ausreichend an Patientenpräferenzen orientieren Ob dem sich wandelnden Krankheitspanorama angemessen integrierte Versorgungsstrukturen/Professionenmix entstehen Ob eine evidenzbasierte Versorgung der Patienten mit psychotherapeutischen Leistungen in allen Versorgungsbereichen sichergestellt werden kann Zweitrangig aus dieser Perspektive ist, ob Psychotherapeuten als Angestellte oder Niedergelassene an der Versorgung teilnehmen 28 Nur, wer sein Ziel kennt, findet den Weg - Lao Tse - 29