Differentialdiagnose/Fallbeispiele Heinz Reichmann FRCP Neurologische Universitätsklinik Dresden Fallbeispiel 1 • Ein 66 jähriger Architekt berichtet Ihnen, dass er seit 2 Jahren an einem idiopathischen Parkinson-Syndrom leide. Er habe auf 3 x 100 mg L-Dopa nur unzureichend angesprochen. Jetzt falle ihm auf, dass er auf Baustellen sehr unsicher beim Gehen sei und auch immer wieder zur Seite gezogen werde. Welche Differentialdiagnose ist zu prüfen? Welche diagnostischen Schritte leiten Sie ein? Aus: Praxis der neurodegenerativen Erkrankungen, H. Reichmann et al., Uni-Med Verlag, 1999. Warnzeichen für ein atypisches Parkinsonsyndrom • Pyramidenbahnzeichen • Cerebelläre Zeichen • Störung der Okulomotorik • Schwere Beeinträchtigung des autonomen NS • Frühe Demenz Aus: Praxis der neurodegenerativen Erkrankungen, H. Reichmann et al., Uni-Med Verlag, 1999. Patient mit MSA-Typ C Hot cross bun Subtypen (nach Wenning et al., 1994) MSA-P-Subtyp: MSA-C-Subtyp: Bei 80% der Patienten Bei 20% der Patienten Parkinsonsymptomatik vorherrschend Zerebelläre Ataxie dominierend Neuropathologisch striatonigrale Degeneration (SND) Neuropathologisch olivopontozerebelläre Atrophie (OPCA) Multisystematrophie Typ-P Progressives hypokinetischrigides Syndrom Keine Antwort auf L-Dopa Antecollis Störungen des autonomen NS Pyramidenbahnzeichen Lidöffnungs-Apraxie Posturale Instabilität, Stürze Multisystematrophie Typ-C • Cerebelläres Syndrom • Asymmetrisches hypokinetisches rigides Syndrom • Keine Antwort auf L-Dopa • Pyramidenbahnzeichen • Störungen des autonomen NS (orthostatische Hypotension, Harninkontinenz MRT: Atrophie des Hirnstammes und Cerebellum • sporadisch, progressiv Fallbeispiel 2 • Eine 62 jährige Lehrerin beklagt eine 2 jährige Anamnese mit Rigor und Akinese. Sie kann ihnen die stärker betroffene Seite nicht angeben. Jetzt falle ihr auf, dass sich die Lider immer wieder unkontrolliert zuziehen und sie Mühe habe, die Augen wieder zu öffnen. Zudem müsse sie den Kopf mehr als früher drehen und heben, um die Umwelt zu sehen. Welche Verdachts-Diagnose stellen Sie? Welche diagnostischen Schritte leiten Sie ein? Aus: Praxis der neurodegenerativen Erkrankungen, H. Reichmann et al., Uni-Med Verlag, 1999. Progressive Supranukleäre Blickparese (PSP) Progressive Supranucleäre Lähmung Das Applaus-Zeichen Mickey-Mouse Zeichen Fallbeispiel 3 • Eine 58 jährige Hausfrau beklagt, dass ihr die rechte Hand nicht mehr gehorche und sie damit auch nichts mehr ertasten könne. Manchmal komme es zu Zuckungen in den Händen. Dazu komme eine Unbeweglichkeit. Welche Verdachts-Diagnose stellen Sie? Welche diagnostischen Schritte leiten Sie ein? Aus: Praxis der neurodegenerativen Erkrankungen, H. Reichmann et al., Uni-Med Verlag, 1999. Klinische Hauptsymptome Klinische Hauptsymptome Corticobasale Degeneration (CBD) Neuropsychologische Störungen ideomotorische Apraxie, alien limb-Syndrom, Aphasie, Sehstörung, Frontalhirnsyndrom Bewegungsstörungen asymmetrische Akinese und Rigidität, Extremitätendystonie, posturale Instabilität, orolinguale Dyskinesien, Athetose, fokaler Stimulus-sensitiver Myoklonus, Aktionstremor weitere Symptome kortikale Sensibilitätsstörung, supranukleäre Blickstörung, Babinski-Zeichen, Pseudobulbärparalyse Aus: Praxis der neurodegenerativen Erkrankungen, H. Reichmann et al., Uni-Med Verlag, 1999. Fallbeispiel 4 • Ein 64 jähriger Patient wird von seiner Ehefrau vorgestellt. Er leide seit ca. 9 Monaten an einem Parkinsonsyndrom, das nicht besonders gut auf die bisher verschriebenen Medikamente anspreche. In letzter Zeit mache sie sich Sorgen, da ihr Mann verwirrt sei und über schlimme Träume berichte, so z.B. über Ritter, die aus der Wand auf ihn zukämen und ihn bedrohten. Welche Verdachts-Diagnose stellen Sie? Welche diagnostischen Schritte leiten Sie ein? Aus: Praxis der neurodegenerativen Erkrankungen, H. Reichmann et al., Uni-Med Verlag, 1999. Kriterien für die klinische Diagnose Diffuse Lewy-Körperchen Erkrankung 1. Essentielle Symptome 2. Fakultative Symptome • • • • • progressives kognitives Defizit, das zu einer Beeinträchtigung sozialer oder beruflicher Kompetenzen führt eindeutige Beeinträchtigung amnestischer Funktionen in Anfangsstadien oder dominierend im weiteren Verlauf Aufmerksamkeitsstörung Dysfunktion des Frontallappens visuspatiale Defizite • • fluktuierende Intensität der Aufmerksamkeit und Vigilanz intermittierende visuelle Halluzinationen Parkinson-Syndrom mit Rigor, Ruhe- • • tremor und Akinese mit variablen Symptomdominanzen ähnlich wie bei Morbus Parkinson • • • • • häufige Stürze in Anfangsstadien der Erkrankung Synkopen intermittierende Somnolenzen abnorme Sensitivität für Neuroleptika systematisierte Verkennungen nichtvisuelle Halluzinationen Häufigkeit neuropsychiatrischer Symptome bei Patienten mit Parkinsonerkrankung (N=1.331) Demenz u. Psychose 9,02 % Depression u. Psychose 2,63 % alle drei Symptome 6,09 % keine neuropsych. Symptome 36,44 % Demenz u. Depression 10,82 % Psychose 2,25% Depression 17,81% Demenz 14,94% Wittchen et al. 2006 Epidemiologie der Demenz bei M. Parkinson Eine regionale norwegische Longitudinalstudie mit N=224 Parkinson-Patienten zeigte: eine kumulierte Inzidenz von Demenz bei ParkinsonPatienten von über 50% eine 8-Jahres-Prävalenz von fast 80 % sowie ein 5fach erhöhtes Demenzrisiko für PD-Patienten 80 78,2 PD-D 70 60 % 90 51,6 50 40 30 26 20 10 0 Jahr 9 Jahr 13 Jahr 17 Erhebungszeitpunkt Aarsland D et al. Arch Neurol 2003;60:387–92 Cholinerge Defizite bei der mit Parkinson, Lewy Body u. AD einhergehenden Demenz 300 250 200 150 100 50 0 Kontrollen Demenz bei PD DLB AD Tiraboschi P et al. Neurology 2000;54:407–11 Rivastigmine versus Placebo Changes from Baseline on the ADAS-cog Change from baseline, ADAS-cog –2.5 * ** Rivastigmine (n = 329) –2.0 Placebo (n = 161) Improvement –1.5 –1.0 –0.5 Baseline 0 0.5 Deterioration 1.0 Week: 0 16 *p = 0.002; **p < 0.001, ITT-RDO analysis 24 Fallbeispiel 5 • Ein 58 jähriger Rechtsanwalt, der noch in seiner Kanzlei tätig ist, setzt derzeit 1 mg Rasagilin und ein 8 mg Rotigotin-Pflaster ein. Er beklagt, dass er zunehmend Probleme habe, die rechte Hand am Computer und bei Unterschriften gut zu bewegen. Zusätzlich habe er verstärkt Schulter-Arm-Schmerzen. Welche therapeutischen Schritte leiten Sie ein? Fallbeispiel 6 • Ein 59 jähriger Handwerkermeister berichtet Ihnen, • dass er weniger belastungsfähig sei, beim Treppensteigen rasch außer Atem gerate, obwohl er sonst immer gut trainiert gewesen sei. Seine aktuelle Medikation ist 3 x 1,5 mg Pergolid und 3 x 100 mg L-Dopa. Welche therapeutischen Schritte leiten Sie ein? Aus: Praxis der neurodegenerativen Erkrankungen, H. Reichmann et al., Uni-Med Verlag, 1999. Figure. Ergotism with cyanosis of the fingers bilaterally is evident in our patient while on pergolide (A and B). One week after stopping pergolide and starting ropinirole, the ergotism was remarkably improved (C and D). Morgan: Neurology, Volume 67(1).July 11, 2006.104 Fallbeispiel 7 Ein 33 jähriger Patient stellt sich mit einem diskreten Tremor der rechten Hand vor. Er ist besorgt, Parkinson zu haben, da sein Vater diese Krankheit habe. Wie wollen Sie vorgehen? Was für einen Tremor hat der junge Patient ? Was ist zur Erblichkeit der ParkinsonKrankheit bekannt? Genetisch-determinierte Parkinson-Syndrome Moore et al. (2005) Fallbeispiel 8 Der Neffe eines Parkinsonpatienten kommt zu Ihnen und fragt, was die Parkinsonkrankheit auslösen kann und wie er sich davor schützen kann, wie sein Onkel Parkinson-krank zu werden. Fallbeispiel 9 (Schlafattacken) 52 jähriger Lehrer seit 3 Jahren idiopathisches Parkinson-Syndrom vom Aequivalenztyp 10 mg Selegilin 16 mg Ropinirol (ReQuip®) Seit Erhöhung des Ropinirol von 12 mg auf 16 mg/Tag bestehen sog. Schlafattacken Fallbeispiel 9 (Schlafattacken) Welche Therapie empfehlen Sie? Einsatz von Modafenil Einsatz von Amantadin Reduktion von Ropinirol und Beginn mit Levo-Dopa Absetzen von Ropinirol und Beginn mit Rotigotin als Pflaster Alles absetzen und nur noch mit Levo-Dopa therapieren Transdermale versus orale Anwendung von DopaminrezeptorAgonisten: Extrapolation der möglichen Vorteile Vorteile der transdermalen Anwendung • konstante Zufuhr des Wirkstoffes • Umgehung des first-pass-Effektes • • Einmaldosierung pro Tag besseres Verträglichkeitsprofil • sofortige Unterbrechung der Wirkstoffzufuhr durch Entfernen des Pflasters Klinische Auswirkungen kontinuierliche Rezeptorstimulation weitere Verringerung der Inzidenz von motorischen Fluktuationen und Dyskinesien höhere absolute Bioverfügbarkeit und geringere Streuung der Plasmaspiegel einfachere Dosierungsempfehlungen verbesserte Compliance weniger gastrointestinale, kardiovaskuläre und psychische (?) Nebenwirkungen Verkürzung der Titrationsphase Einsatz höherer Dosen gleiche Wirksamkeit wie L-Dopa in der Frühphase der Erkrankung weiteres Hinauszögern des L-Dopa Einsatzes Monotherapie auch bei älteren Parkinson Patienten (>70 Jahre) gute Steuerbarkeit beim Auftreten von Nebenwirkungen, wenn Halbwertszeit bzw. Wirkungsdauer kurz ist