Vom Trauma zur Psychose Robert Bering Inhalt Zentrum für Psychotraumatologie, Krefeld Fallbeispiele GmP-Studie/ KS-Studie Diagnostische Kriterien von psychotischen Verlaufstypen Zentrum für Psychotraumatogie, Versorgungsnetzwerk im Rheinland Akutstation, Rehabilitation und Ambulantes Versorgungsnetzwerk Zentrum für Psychotraumatologie stationäre Akutversorgung - Stationäre Behandlung (12 Betten) Komplex-Liaison Ambulantes Versorgungsnetzwerk Rheinland - Krefeld Duisburg Rheinhausen Meerbusch Köln Krefelder Krisenhilfe Rehabilitationsklinik (18 Behandlungsplätzen) Dienstleitungskooperationen - Gesundheitsamt Düsseldorf - Berufsförderungswerk Köln/ Michaelshoven Zielsetzung des Zentrums für Psychotraumatologie I. I. II. Unmittelbare Hilfe für Opfer von Straftaten, Unfällen und Naturkatastrophen Überregionalität Überwindung der Schnittstellen im Gesundheitswesen ca. 50-60% ca. 70 bis 80% Patientenfluss in das ambulante Netzwerk des ZfP ca. 80% Ambulantes Netzwerk 10-15% ca. 30-40% Reha 10-15% Akutstation Notfallambulanz Netzwerk des Zentrums für Psychotraumatologie (2007) Art der Traumatisierung (2004/ 2007) Art des Traumas 30 50,0% 2004 2007 40,0% 20 30,0% 20,0% 10,0% Prozent Häufigkeit 10 0 sex. Gewalt Unfall Verlusttraumata Andere Gewaltkriminalität 0,0% negative Intimität Gewaltkriminalität Unfall Andere Verlust Kriegstraumat. Die Akutstation befasst sich primär mit den Folgen von sexuellem Missbrauch (ca. 40 - 50% der Patienten). Die Bedeutung von Gewaltkriminalität nimmt zu und die Bedeutung von Verlusttraumata nimmt ab. Erfolg- und Misserfolg IES negativer Verlauf negativer Verlauf positiver Verlauf positiver Verlauf 50 60 55 (Median-Split, n=20) Erfolgs- und Misserfolgsgruppe PTSS-10 46 42 50 38 45 34 40 30 35 26 22 30 18 25 14 10 20 t1 (prä) t2 (post) t1 (prä) t3 (kat) t2 (post) t3 (kat) negativer Verlauf negativer Verlauf BDI GSI positiver Verlauf positiver Verlauf 2 30 28 26 24 22 20 18 16 14 12 10 8 6 4 1,8 1,6 1,4 1,2 1 0,8 0,6 0,4 t1 (prä) t2 (post) t3 (kat) t1 (prä) t2 (post) t3 (kat) Analyse der Erfolgs- und Misserfolgsskripte Misserfolgsskripte Wunsch nach Berentung Komorbidität mit Persönlichkeitsstörungen Mangelnde Unterstützung durch das soziale Umfeld Unterbrechung des Heilungsprozesses Geringe Anerkennung durch Funktionsträger Erfolgsskripte Ressourcenorientierung: Rolle als Helfer Aufarbeiten von „Altlasten“: Berührung von Altlasten Positive Beziehung zum Therapeuten Soziale Unterstützung Zukunftsorientierung Myoreflextherapie Ergänzung der Mehrdimensionalen Psychodynamischen Traumatherapie (MPTT) nach Fischer durch die Myoreflextherapie nach Mosetter im Sinne einer körperzentrierten Komplementärtherapie: Palpation Druckpunktstimulation am Muskel/Sehnen/Knochen-Übergang Selbstregulation: Negative Feedbackmechanismen Absinken des Muskeltonus und Schmerzreduktion Ergebnisse A. Wirksamkeit bezüglich der Schmerzsymptomatik: 76.6 % der Patienten geben an, in Bezug auf die Schmerzsymptomatik von der Behandlung profitiert zu haben signifikanter Rückgang des affektiven und sensorischen Schmerzerlebens signifikant weniger Beschwerden, Reduktion der Schmerzintensität, weniger konstante Schmerzen 1 0 ,9 0 ,8 0 ,7 0 ,6 0 ,5 0 ,4 0 ,3 0 ,2 0 ,1 0 1,00 0,79 S ES Affektiv S ES S ensorisch Abbildung 2: Effektgrößen d’ für die Veränderung in den Subskalen der Schmerzempfindungsskala SES signifikanter Zusammenhang zwischen dem Grad der Veränderung in der psychotraumatischen Symptomatik und dem Grad der Veränderung im affektiven Schmerzleiden Schlafstörungen bei PTBS Kleen C, von Giesen HJ, Wagner D, Peters U, Bering R, 2009, ECOTS Oslo Sleep impairment prä / post to Trauma (Questionnaire) n = 30 0 35 Ca. 40% unser Patienten haben retrospektiv vor der Traumatisierung unter Schlafstörungen gelitten, nach der Traumatisierung geben 80% Schlafstörungen an 30 25 20 15 26 10 13 5 0 1 2 prä post Sleep disorders in Sleep Lab (n=40) Ergebnisse Polysomnographischer Untersuchung OSAS RL-OSAS UARS Rhonchopathie PLMS Bruxismus PPI keine 0 2 4 6 8 10 12 (multiple diagnoses possible !) 14 16 18 OSAS= Obstruktive sleep apnea, RL-OSAS= dorsal OSAS, UARS= Upper airway resistance syndrome, PLMS= Periodic Limb Movement Syndrome PPI= psychophysiologic insomnia Hoher Anteil organischer Schlafstörungen Zwischenbilanz: Klinische Studien Einbezug der Skripte ermöglicht eine frühzeitige Vorhersage einer Verlaufstendenz der traumatischen Reaktion Psychische Traumatisierung und Schmerzleiden sind verknüpft. Die Integration von körperzentrierten Verfahren in die Psychotherapie ermöglicht neuromuskuläre Erinnerungsfragmente des Traumaschemas aufzulösen, die einer verbalen Intervention nicht zugänglich sind. Berücksichtigung von organischen Schlafstörungen Inhalt Zentrum für Psychotraumatologie, Krefeld Trauma und Psychose GmP-Studie/ KS-Studie Diagnostische Kriterien von psychotischen Verlaufstypen Dynamische Beziehung zwischen Phänomenologie und Ätiologie Phänomenologie Symptome Erlebniszustände Verhaltensweisen Ätiologie Psychotraumatisch Biologisch Übersozialisiation (Konfliktmodell) Untersozialisation (Defizitmodell) These Psychotische Verlaufstypen einer Psychotraumafolgestörung können im ICD-10 nicht adäquat klassifiziert werden. Verlaufsmodell der Psychotraumatisierung Antezendente Situationsdynamik Einwirkung und Auswirkung Traumatischer Prozess Lebensgeschichte Traumatische Situation Schock Traumatische Reaktion Erholung Affektive Störungen (F3.*) Vermeidung Schizophrene & schizoforme Störungen (F2.*) Erregung Abhängigkeitserkrankungen (F1.*) Erregung Demenzielle Störungen (F0.*) Vermeidung Komorbidität, Verlaufstypen und Kontrollstile Angststörungen (F40.*/F41*) Traumabiographie Verlaufsachse Zwangsstörungen (F42.*) Belastungsstörungen (F43.*) Dissoziative Störungen (F44.*) Somatoforme Störungen (F45.*) Verhaltensauffälligkeiten (F5.*) Persönlichkeitsstörungen (F6.*) Schizophrenien, schizotypen und wahnhaften Störungen (F2) Die ICD-10 unterscheidet die: Schizophrenien (F20), Schizoaffektiven Störungen (F25), Schizotypen Störung (F21), Anhaltenden wahnhaften Störung (F22), Akute vorübergehende psychotische Störung (F23) und der induzierten wahnhaften Störung (F24). Unter Psychosen verstehen wir: Die Gesamtheit psychischer Störungen, die in unterschiedlicher Ausprägung die Ich-Funktion (z.B. Beeinflussungserleben), die Sinn-Kontinuität (z.B. Dämmerzustand), den Realitätsbezug (z.B. Wahn) und/ oder produktive Symptome (z.B. Halluzinationen) betreffen. Fallbeispiel: Gasexplosion (ICD-10: F23.0 bei chronischer F43.1) Als Fallbeispiel wird die Symptomatik eines Ingenieurs beschrieben. Auf einem Kontrollgang ereignete sich das Unglück einer Gasexplosion mit schweren Folgen. Seitdem leidet er unter unauslöschbaren Erinnerungsbildern über das Unfallereignis. Die Intrusionen zeichnen sich durch ein Binnenerleben aus, in denen er die Momentaufnahme der Explosion immer wieder durchlebt und Flammen vor sich sieht. Betritt unser Patient einen fremden Raum, so wird eine Blickwendung (Orientierungsreaktion) ausgelöst. Er muss sich vergewissern, dass keine Stromleitungen frei liegen, die seine Sicherheit gefährden könnten. Vereinzelt kommt es zu Parasomnien, für die er keine Erklärung findet. So wacht er z. B. morgens neben seinem Bett auf dem Fußboden auf und kann sich nicht erklären, wie es zu der nächtlichen Umbettung gekommen ist. Gelegentlich - wenn er nicht schlafen kann -, stellt er sich an sein Fenster; mit versteinertem Blick schaut er auf den Rhein. Er entwickelt Todesphantasien und Beziehungsideen zu seinem verstorbenen Vater. Fallbeispiel: negative Intimität BPS (F60.31) bei komplexer PTBS (F43.1) Frau B. berichtet über massive traumatische Erfahrungen, die sich durch ihr gesamtes bisheriges Leben zogen. Dabei geht es um innerfamiliäre Gewalterfahrungen mit Erfahrungen negativer Intimität, körperlichen und schwersten psychischen (emotionalen) Misshandlungen. Dies alles sei unter dem Deckmantel des Religiösen geschehen. Frau B. berichtet, dass sie fast ständig unter „Erinnerungsblitzen“ und „inneren Filmen“ leide oder das „innere Radio“ eingeschaltet sei mit lautstarken erniedrigenden und beschimpfenden Sätzen, die sie ihr Leben lang von den Eltern gehört habe. Sie könne sich gegenüber diesen inneren Stimmen nicht abgrenzen, komme überhaupt nicht zur Ruhe und stehe unter ständiger Anspannung. Sie habe das Gefühl, als säßen die Eltern „in jeder Zelle“, was sie „verrückt“ mache. Oft leide sie unter Schmerzen am ganzen Körper und fühle sich, als ob sie „innerlich zerfressen“. Inhalt Zentrum für Psychotraumatologie, Krefeld Trauma und Psychose GmP-Studie/ KS-Studie Diagnostische Kriterien von psychotischen Verlaufstypen Frage nach Ereigniskriterien in der Biographie entlang des Kölner Traumainventar Studie 1 (Bering, 2000) Gummersbacher Psychotraumatologie Studie (n= 25); F20.* Störung// 58% Männer : 42% Frauen Studie 2 (Bering & Zilinskaite, 2009) N=32; F20.* Störung // 66% Männer: 34 % Frauen; 36,4 Jahre N=30; Kontrollgruppe// 47% Männer: 53% Frauen; 36,9 Jahre Traumabiographie/ u.a. Faktoren schizophrener Patienten Fallbeispiel: Heilserwartung (ICD-10: F20.0, F10.2) Die Mutter unseres Patienten ist frühzeitig verstorben, so dass er mit drei älteren Brüdern und seinem Vater groß geworden ist. Der Vater neigte zu Gewalttätigkeit und die Brüder haben dieses Muster übernommen und auf ihren jüngsten Bruder übertragen. Er war das schwächste Glied in der Familie. Anfang 20 erkrankte unser Patient an einer schweren Psychose. Er litt unter paranoiden Ängsten, verließ das Haus, vagabundierte und ließ keinen Kontakt mehr zu seiner Familie zu. Im Kern war dieses Verhalten verständlich; in der Ausgestaltung entwickelte er ein manifestes Wahnsystem mit einer durchschlagenden Wahndynamik. So war er z. B. der Überzeugung, dass eine größere Summe Geld auf einem Konto einer bestimmten Bank in seiner Heimatstadt hinterlegt sei. Mit einer imaginären Bankangestellten dieser Filiale stand er über dialogisches Stimmenhören ständig in Kontakt. Nach seiner Vorstellung hat diese Bankangestellte das Konto für ihn verwaltet. Mit dieser Wahnvorstellung suchte er zu dieser Angestellten Kontakt, ging in die Bank und verlangte von ihr, dass sie ihn auszahle. Inhalt Stationäre Zentrumsversorgung ambulante Regionalversorgung Trauma und Psychose GmP-Studie/ KS-Studie Diagnostische Kriterien von psychotischen Verlaufstypen Verlaufsgestalt der komplexen PTBS Antezendente Situative Komponente Bewältigungsversuche 2a Vermeidung 3a 4 Verlaufsgestalt TKS Trauma biographie Traumafolgestörung ReaktualisierungsTraumatische dynamik Situation Phänomenologie abhängig psychotisch depressiv schmerzhaft 1 2b TS Erregung 3b Dimension II Dimension III Dimension I Dimension IV Schizophrene Psychose versus psychotischer Verlaufstyp 1. K. Schneider Kriterien nicht überzeugend erfüllt 2. Zeitliche Verknüpfung von traumatischen Ereignis und Symptomen 3. Resistenz auf neuroleptische Behandlung klassischen NL > atypischen NL 4. Psychodynamische Verfestigung der produktiv psychotischen Symptome (Sie sind Teil des Traumakompensatorischen Schemas) 5. Relativer Hyperkortisolismus im 24 Std. Sammelurin 6. Hypersensibilisierung vegetativer Reaktionen 7. Höhere spezifische psychotraumatologische und allgemeinpsychopathologische Belastung in der Psychometrie als bei Schizophrenen Psychosen 8. Negative Familienanamnese 9. Pseudohalluzinatorischer Charakter Kriterium Psychotische Verlaufsgestalt Schizophrene Störung Traumabiographie Immer auffällig Partiell auffällig, selten Typ I Traumatisierung Phänotyp Symptome 1. Ranges Gelegentlich Stimmenhören mit imperativem Charakter, die Symptomen 1. Ranges ähneln. Oft verbergen sich hinter diesen Stimmen Täterintrojekte bei sexuellem Missbrauch. Symptome 1. Ranges nach K. Schneider sind erfüllt. Phänotyp Halluzinose Pseudohalluzinatorischer Charakter. Häufig mischen sich der akustische und optische Anteile. In der Regel akustische Halluzinationen Verlauf Die Entwicklung der Psychose folgt dem traumatischen Ereignis. Sie kann nach Latenz im Rahmen einer Reaktualisierungsdynamik exazerbieren. Der schubförmige Verlauf fehlt. Die Psychose entwickelt sich aus dem „Nichts“. Produktiv psychotische Symptome folgen meistens dem schubförmigen Verlauf schizophrener Psychosen. Sie können auch zur Residualsymptomatik gehören Ätiologie Überwiegend Psychotraumatisch Überwiegend biologisch, ideopathisch Psychometrie Im Durchschnitt findet sich bei der komplexen PTBS ein Globaler Symptom Index (GSI) im SCL90 R von ca. 1,6 bis 1,8. Schizophrene Patienten haben bei Behandlungsbedürftigkeit einen GSI von ca. 1.2. Zyklus der Traumaverarbeitung Hallusinosen entsprechen Erregungszuständen. Kein Bezug zur Traumaverarbeitung Kontrollstil Nicht selten sind die halluzinosen Teile des Traumakompensatorischen Schemas, d.h. Beziehungs- und Verfolgungsideen können Bestandteil einer präventiven Wachsamkeit sein. In anderen Fällen handelt es sich um Täterintrojekte. Halluzinosen und Wahnbilder haben keinen direkten inhaltlichen Bezug zu kritischen Lebensereignissen. Schwere formale Denkstörungen lassen diese inhaltlichen Bezüge kaum zu. PharmakoTherapie Keine Remission der Symptome unter Neuroleptika. Gelegentlich werden immer höhere Dosierungen verabreicht oder Umstellungen durchgeführt, da ein Behandlungserfolg ausbleibt. Remission der produktiv psychotischen Symptome unter Neuroleptika FamilienAnamnese Negative Familienanamnese Positive Familienanamnese Kognition Keine progredienten kognitiven Einbußen Progrediente kognitive Einbußen dissoziativen stationärer Bilanz: Vom Trauma zur Psychose Patienten mit chronischen Verläufen einer PTBS können psychotische (dissoziative) Symptome entwickeln (selten) Aus komplexen Psychotraumafolgestörungen können auch psychotische (dissoziative) Verlaufsformen entstehen, die von Symptomen 1. Ranges nach Schneider abzugrenzen sind. Die diagnostische Abgrenzung dieser Verläufe zu Schizophrenien hat große Relevanz für die Therapie. Schizophrene Patienten weisen häufig auffällige Traumabiographien auf, die bei der Behandlung zu berücksichtigen sind. Vielen Dank an das Team