Kommunikation in Gruppen I: Einführung in die IPA Interaktions-Prozess-Analyse Johann F. Schneider 5.3 Psychologie Universität des Saarlandes Saarbrücken Bearbeitet von Sascha Schwindt und Lars Erbel Was versteht man unter Interaktionsanalyse Zur Beschreibung der Gruppe und zur Erfassung der Gruppenvariablen bedient man sich der Interaktionsanalyse. Im weitesten Sinn versteht man darunter, „...all die (alltäglichen und wissenschaftlichen) Versuche, Informationen über zwischenmenschliche Beziehungen (Interaktionen) unter spezifischer Fragestellung zu gewinnen und zu verarbeiten.“ Schwerpunkt: methodische Ansätze der systematischen Verhaltensbeobachtung Nur die systematische Verhaltensbeobachtung, die sich an vereinbarten Gütekriterien orientiert, kann zu Ergebnissen mit einer ausreichend hohen Messgenauigkeit führen und für sich den Status einer wissenschaftlichen Methode der Datenerhebung beanspruchen. Interaktions-Prozess-Analyse von Bales (1950) Theoretischer Ansatz 1. Ebene: Die polaren Ausgangsprozesse Äußere Anpassung (Differenzierung) Aufgabe lösen Integration nach innen (Integration) Solidarität herstellen 2. Ebene: Orientierung Entscheidung Die funktioBewertung Spannungsnalen SystemKontrolle bewältigung reaktionen Integration 3. Ebene: Die komplemen- 7. 6. tären Kategorien (Frag. ./. Antw.; F A konkordante ./. diskonkordante Gefühlsreaktionen) 5. 8. 4. 9. 3. 10. F F A + A - 2. 11. + - 1. 12. + - Kategoriensystem A Sozialemotionaler Bereich: positive Reaktionen B Aufgabenbereich: Versuche der Beantwortung C Aufgabenbereich: Fragen D Sozialemotionaler Bereich: negative Emotionen 1. Zeigt Solidarität; bestärkt den anderen; hilft; belohnt. 2. Entspannte Atmosphäre; scherzt; lacht; zeigt Befriedigung 3. Stimmt zu; nimmt passiv hin; versteht; stimmt überein; gibt nach a-Probleme der Orientierung 4. Macht Vorschläge; gibt Anleitung, wobei Autonomie des anderen impliziert ist 5. Äußert Meinung; bewertet; analysiert; drückt Gefühle oder Wünsche aus b-Probleme der Bewertung 6. Orientiert; informiert; wiederholt; klärt; bestätigt. c-Probleme der Kontrolle a b c d e f 7. Erfragt Orientierung; Information; Wiederholung; Bestätigung d-Probleme der Entscheidung 8. Fragt nach Meinungen; Stellungnahmen; Bewertung; Analyse; Ausdruck von Gefühlen e-Probleme der Spannungsbewältigung 9. Erbittet Vorschläge; Anleitung; mögliche Wege des Vorgehens 10. Stimmt nicht zu; zeigt passive Ablehnung; Förmlichkeit; gibt keine Hilfe 11. Zeigt Spannung; bittet um Hilfe; zieht sich zurück 12. Zeigt Antagonismus; setzt andere herab; verteidigt oder behauptet sich f-Probleme der Integration Leistung des Beobachters 1.Takt: Einheitenbildung Zeit Klasse A Klasse B Klasse C Klasse D 2.Takt: Klassifikation Beobachtungsbogen zur „Interpersonal Process Analysis“ von Bales (1970) Eine Beobachtungseinheit ist die kleinste erkennbare Einheit des Verhaltens. Jede neue Information ist eine Einheit; jedes Mal, wenn die handelnde Personen wechselt, beginnt eine neue Einheit! IPA-Kategorie 1 Wirkt freundlich 2 Übertreibt, schauspielert 3 Stimmt zu 4 Macht einen Vorschlag 5 Äußert Meinung 6 Gibt Information 7 Erbittet Information 8 Fragt nach Meinung 9 Erbittet Vorschlag 10 Stimmt nicht zu 11 Zeigt Spannung 12 Wirkt unfreundlich Disk.-Nr.: Beurteiler: Zeitausschnitt: Datum: Beobachtungsbogen: Anwendungsbeispiel A: „ Nun meine Herrschaften [(6) A-O]...“ IPA-Kategorie 1 Wirkt freundlich 2 Übertreibt, schauspielert 3 Stimmt zu 4 Macht einen Vorschlag 5 Äußert Meinung 6 Gibt AO Information 7 Erbittet Information 8 Fragt nach Meinung 9 Erbittet Vorschlag 10 Stimmt nicht zu 11 Zeigt Spannung 12 Wirkt unfreundlich Disk.-Nr.: Beurteiler: Zeitausschnitt: Datum: Beobachtungsbogen: Anwendungsbeispiel A: „ ... sicherlich gibt es eine Menge Fragen zu dem, was wir hier gerade tun [(5) A-O]! “ IPA-Kategorie 1 Wirkt freundlich 2 Übertreibt, schauspielert 3 Stimmt zu 4 Macht einen Vorschlag 5 Äußert AO Meinung 6 Gibt AO Information 7 Erbittet Information 8 Fragt nach Meinung 9 Erbittet Vorschlag 10 Stimmt nicht zu 11 Zeigt Spannung 12 Wirkt unfreundlich Disk.-Nr.: Beurteiler: Zeitausschnitt: Datum: Beobachtungsbogen: Anwendungsbeispiel A: „ ...ich stelle mir vor, dass sie eine Menge Fragen im Sinn haben, was in aller Welt , dies hier zu bedeuten hat [(5) A-O].“ IPA-Kategorie 1 Wirkt freundlich 2 Übertreibt, schauspielert 3 Stimmt zu 4 Macht einen Vorschlag 5 Äußert AO AO Meinung 6 Gibt AO Information 7 Erbittet Information 8 Fragt nach Meinung 9 Erbittet Vorschlag 10 Stimmt nicht zu 11 Zeigt Spannung 12 Wirkt unfreundlich Disk.-Nr.: Beurteiler: Zeitausschnitt: Datum: Beobachtungsbogen: Anwendungsbeispiel A: „ Nun, worum geht es [(8) A-O]? “ IPA-Kategorie 1 Wirkt freundlich 2 Übertreibt, schauspielert 3 Stimmt zu 4 Macht einen Vorschlag 5 Äußert AO AO Meinung 6 Gibt AO Information 7 Erbittet Information 8 Fragt nach AO Meinung 9 Erbittet Vorschlag 10 Stimmt nicht zu 11 Zeigt Spannung 12 Wirkt unfreundlich Disk.-Nr.: Beurteiler: Zeitausschnitt: Datum: Beobachtungsbogen: Anwendungsbeispiel A: „ Hat jemand eine Vorstellung darüber, was zum Teufel wir hier erreichen könnten [(8) A-O]? “ IPA-Kategorie 1 Wirkt freundlich 2 Übertreibt, schauspielert 3 Stimmt zu 4 Macht einen Vorschlag 5 Äußert AO AO Meinung 6 Gibt AO Information 7 Erbittet Information 8 Fragt nach AO AO Meinung 9 Erbittet Vorschlag 10 Stimmt nicht zu 11 Zeigt Spannung 12 Wirkt unfreundlich Disk.-Nr.: Beurteiler: Zeitausschnitt: Datum: Beobachtungsbogen: Anwendungsbeispiel E: „ Nur eine kleine Zusammenkunft [(5) E-A]? “ IPA-Kategorie 1 Wirkt freundlich 2 Übertreibt, schauspielert 3 Stimmt zu 4 Macht einen Vorschlag 5 Äußert AO AO EA Meinung 6 Gibt AO Information 7 Erbittet Information 8 Fragt nach AO AO Meinung 9 Erbittet Vorschlag 10 Stimmt nicht zu 11 Zeigt Spannung 12 Wirkt unfreundlich Disk.-Nr.: Beurteiler: Zeitausschnitt: Datum: Beobachtungsbogen: Anwendungsbeispiel E: „ Das ist es wohl, ein geselliges Treffen [(7) E-A].“ IPA-Kategorie 1 Wirkt freundlich 2 Übertreibt, schauspielert 3 Stimmt zu 4 Macht einen Vorschlag 5 Äußert Meinung 6 Gibt Information 7 Erbittet Information 8 Fragt nach Meinung 9 Erbittet Vorschlag 10 Stimmt nicht zu 11 Zeigt Spannung 12 Wirkt unfreundlich AO AO EA AO EA AO AO Disk.-Nr.: Beurteiler: Zeitausschnitt: Datum: Beobachtungsbogen: Anwendungsbeispiel A: „ Nun, das ist eine Seite [(3) A-E].“ IPA-Kategorie 1 Wirkt freundlich 2 Übertreibt, schauspielert 3 Stimmt zu 4 Macht einen Vorschlag 5 Äußert Meinung 6 Gibt Information 7 Erbittet Information 8 Fragt nach Meinung 9 Erbittet Vorschlag 10 Stimmt nicht zu 11 Zeigt Spannung 12 Wirkt unfreundlich AE AO AO EA AO EA AO AO Disk.-Nr.: Beurteiler: Zeitausschnitt: Datum: Beobachtungsbogen: Anwendungsbeispiel A: „Wie stehts, stimmen sie ihm zu [(8) A-O]? “ IPA-Kategorie 1 Wirkt freundlich 2 Übertreibt, schauspielert 3 Stimmt zu 4 Macht einen Vorschlag 5 Äußert Meinung 6 Gibt Information 7 Erbittet Information 8 Fragt nach Meinung 9 Erbittet Vorschlag 10 Stimmt nicht zu 11 Zeigt Spannung 12 Wirkt unfreundlich AE AO AO EA AO EA AO AO AO Disk.-Nr.: Beurteiler: Zeitausschnitt: Datum: Beobachtungsbogen: Anwendungsbeispiel A: „ ... C, stimmen sie ihm zu [(8) A-C] ? “ IPA-Kategorie 1 Wirkt freundlich 2 Übertreibt, schauspielert 3 Stimmt zu 4 Macht einen Vorschlag 5 Äußert Meinung 6 Gibt Information 7 Erbittet Information 8 Fragt nach Meinung 9 Erbittet Vorschlag 10 Stimmt nicht zu 11 Zeigt Spannung 12 Wirkt unfreundlich AE AO AO EA AO EA AO AO AO AC Disk.-Nr.: Beurteiler: Zeitausschnitt: Datum: Auswertung Durchschnittliche Interaktionsmatrix für eine Gruppe von fünf Personen (A-E), Angaben in Prozent (Bales, 1970) an A v o n A B C D E Summe Summe Total an an gesendet Indiv. O 5,0 4,0 3,9 1,9 14,8 32,1 46,9 2,3 2,1 0,5 16,5 5,4 21,9 0,7 0,5 11,4 4,0 15,4 0,3 7,7 2,6 10,3 4,2 1,3 5,5 54,6 45,4 B 11,6 C 8,4 1,8 D 5,7 1,3 0,4 E 2,7 0,6 0,5 0,4 28,4 8,7 7,2 7,1 Summe erhalten 3,2 100,0 Partizipationsgradient 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 A B C D E 1 2 3 4 5 Rangposition Partizipationsgradient und Gruppengröße (Bales et al. 1951) 50 50 30 30 10 10 0 0 1 2 3 50 50 30 30 10 10 0 1 2 3 0 4 50 50 30 30 10 10 0 1 2 3 4 5 0 1 1 1 2 2 2 3 3 3 4 4 4 5 5 5 6 6 6 7 7 8 Durchschnittliche Häufigkeit von Kategorienbesetzungen in Prozent (Angaben aus Bales 1950b, S. 262) Kategorien-Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Kurzbezeichnung Zeigt Solidarität Entspannte Atmosphäre Stimmt zu Macht Vorschläge Äußert Meinung Orientiert Erfragt Orientierung Fragt nach Meinung Erbittet Vorschläge Stimmt nicht zu Zeigt Spannung Zeigt Antagonismus Häufigkeit (%) 1,0 7,3 12,2 5,2 30,0 21,2 5,4 3,5 0,8 6,6 4,4 2,4 Anwendungsbeispiel Interaktionsprofile von Trainern, Co-Trainern und Teilnehmern gruppendynamischer Laboratorien (Svensson, 1972) Interaktionskategorien 1.Wirkt freundlich 2.Dramatisiert 3. Stimmt zu 4.Macht Vorschlag 5.Äußert Meinung 6.Gibt Information 7.Erfragt Information 8.Erfragt Meinung 9.Erbittet Vorschlag 10.Stimmt nicht zu 11.Zeigt Spannung 12. Wirkt unfreundlich Trainer % 1,9 17,0 3,8 24,5 23,6 11,1 1,9 4,2 0,3 2,5 7,8 1,4 100,0 Co-Trainer % 0,8 12,3 4,2 20,9 21,6 10,1 2,2 6,2 1,2 3,5 16,3 0,7 100,0 Teilnehmer % 1,8 22,6 4,4 6,4 22,9 9,5 2,1 4,8 1,0 3,2 13,2 1,8 100,0 Gruppenentwicklung nach Bales & Strodtbeck (1951) Inhalte von 22 Gruppendiskussionen im Verlauf der Zeit Zahl der Inhalte Diskussionsinhalte Bewertung 1500 Positive Reaktionen 1000 Orientierung 500 Kontrolle Negative Reaktionen Gruppenphase Anstieg Mitte Ende Der Gruppenentwicklungsprozess nach Tuckman (1965) Tuckman hat 50 Arbeiten über die Entwicklung von Gruppen ausgewertet und dabei versucht, Gemeinsamkeiten zu finden. Er beschreibt erst viel später fünf Phasen in der Gruppenentwicklung: 1. Phase : Forming: Phase des Ausprobierens und der Abhängigkeit. Verhaltensweisen und Grenzen, die in der Gruppe toleriert werden, werden gesucht. Angst und Unsicherheit dominieren. Gruppenmitglieder suchen Unterstützung und Führung. 2. Phase : Storming: Konflikte entstehen. Polarisierungen finden statt. Gruppenmitglieder reagieren emotional. 3. Phase : Norming: Es kommt zur Gruppenkohäsion. Konflikte werden vermieden. Zeit des offenen Informationsaustausches. 4. Phase : Performing: Es kommt zur Übernahme von Rollen. Konzentriertes Arbeiten (Aufgabenaktivität). 5. Phase : Adjourning: Verabschiedung (Tuckman & Jensen, 1977)