ethische rahmenbedingungen für das wirtschaftliche handeln

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ETHISCHE RAHMENBEDINGUNGEN
FÜR DAS WIRTSCHAFTLICHE
HANDELN
Vorlesung 2006
Fakultät für Informatik
Prof. Dr. Karl Golser
Wirtschaftsethik
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Die Medizin und die Biologie sind sich schon seit der
ethischen Tragweite ihrer Disziplin bewusst sind - der
nun seit den siebziger Jahren geläufige Ausdruck
"Bioethik" ist ein Zeichen dafür.
Die Politik ruft in ihrer Krise nach Moral und Ethik
ruft, derart dass man in Italien unter der "questione
morale" gerade die moralische Infragestellung einer
gewissen Praxis der Parteien und der öffentlichen
Verwaltung verstanden hat.
Das Verlangen nach Ethik ist in der Wirtschaft
anscheinend nicht so präsent. Es ist aber im Steigen.
Die weltweiten Proteste gegen die Globalisierung
(Seattle, Davos, Genua, Porto Allegre) sind auch ein
Zeichen dafür.
Wirtschaftsethik
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Die Wirtschaftswissenschaften, die sich
im vorigen Jahrhundert als selbständige
Wissenschaft ursprünglich aus der
Staatsphilosophie entwickelt hatten,
entstanden in einem zeitgeschichtlichen
Kontext, der als Ideal für die Wissenschaft
gerade die empirisch exakten Methoden der
Naturwissenschaft angesehen hat.
Es ging ihnen also darum, die Prozesse in der
Wirtschaft selbst zu beschreiben, unabhängig
vom Menschen und von seinen moralischreligiösen Einstellungen.
Wirtschaftsethik
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Sowohl der damals vorherrschende
Liberalismus wie auch der Sozialismus als
Reaktion darauf, erhoben den Anspruch,
wissenschaftliche Theorien vorzulegen, in
denen die Moral keinen Platz hatte.
Die Wirtschaft und die von der Wirtschaft
geprägte Gesellschaft funktionieren für sich,
die Moral ist entweder störend - so im
Liberalismus - oder sie ist bloß die Folge
einer bestimmten gesellschaftlichwirtschaftlichen Entwicklung, so der
Sozialismus.
Wirtschaftsethik
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Heute ist die Ablehnung der Ethik für die Wirtschaft
nicht mehr so vorhanden, auch wenn der
Neoliberalismus gerade nach dem Zusammenbruch
des realen Sozialismus wieder stark im Aufwind ist.
Wenn schon, dann lehnt man heute eine von außen
kommende moralische Bewertung der Wirtschaft ab,
wohl aber ist man sich gewisser ethischer Fragen in
der Wirtschaft durchaus bewusst.
Gerade deshalb wurden in den letzten Jahrzehnten
auch eigene Lehrstühle für Wirtschaftsethik bzw. von
"economic ethics" und "business ethics" errichtet.
Dies gibt Anlass zu einer Unterscheidung.
Wirtschaftsethik
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Ethische Überlegungen in Bezug auf die Wirtschaft können nämlich auf
drei Ebenen angestellt werden:
a) auf der Ebene der "Unternehmer-Ethik". Es wird also hier gefragt,
welche Tugenden ein Unternehmer haben muss, welche sittlichen
Pflichten sich ihm stellen in Bezug auf das Gemeinwohl. Man könnte
dies die Mikro-Ebene bezeichnen.
b) auf der Ebene der "Unternehmens-Ethik". Auf dieser mittleren
Ebene, der Meso-Ebene, wird die Organisation eines Unternehmens
ethisch hinterfragt, werden ethische Leitlinien für die Unternehmen
diskutiert, werden auch spezifische Probleme erörtert, die mit gewissen
Branchen verbunden sind, z.B. mit der pharmazeutischen Industrie.
c) auf der Ebene der "Wirtschafts-Ethik". Auf dieser höchsten Ebene
wird die Wirtschaft als solche einer ethischen Reflexion unterzogen,
also die Elemente der Wirtschaft, ihre Gesetze, der Markt usw., werden
die verschiedenen Wirtschaftssysteme besprochen, wird der
weltwirtschaftliche Zusammenhang, werden die Auswirkungen auf die
Ökologie usw. besprochen.
Wirtschaftsethik
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Es ist nun interessant, dass schon in den siebziger
Jahren in den Vereinigten Staaten von Amerika in den
"business-schools", in den Schulen zur Ausbildung
der Geschäftsleute, ein eigenes Pflichtfach Ethik
eingeführt wurde.
Dieses Fach wurde bald "business ethics" oder auch
"corporate ethics" genannt (wobei man wiederum als
business-ethics mehr die Unternehmer Ethik und als
corporate ethics mehr die Unternehmens- oder
Betriebsethik verstehen könnte).
M.E. hat sich aber mehr der Ausdruck "business
ethics" durchgesetzt, und zwar auch für die
Unternehmensethik.
Wirtschaftsethik
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Von den USA aus haben sich die
Überlegungen zur Einführung eines EthikUnterrichts und ethischer Untersuchungen für
Unternehmen, Betriebe und die Wirtschaft als
solche auch in Europa breitgemacht, und
zwar wurde im Jahre 1987 ein "European
Business Ethics Network", abgekürzt EBEN,
gegründet, also eine Vereinigung dieser
verschiedenen Ethik-Schulen und EthikInstitute.
Wirtschaftsethik
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Im deutschen Sprachraum ist 1988 der erste
Lehrstuhl für Wirtschaftsethik an der Universität St.
Gallen gegründet worden (Prof. Peter Ulrich) und
1989 der Lehrstuhl an der Wirtschaftsfakultät der
Kath. Universität Eichstätt, die in Ingolstadt ihren Sitz
hat.
An der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in
Bozen wird seit dem Studienjahr 2002-2003 eine
eigene Vorlesung zur Ethik angeboten, ab dem
Studienjahr 2004-2005 gibt es einen eigenen
Studiengang „Ökonomie und Sozialwissenschaften“
der im Englischen „Philosophy, Politics and
Economics“ heißt..
Wirtschaftsethik
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In Europa, und ganz besonders im deutschen
Sprachraum, richtet man das Hauptaugenmerk nicht
so sehr auf die Unternehmer- bzw.
Unternehmensethik, sondern auf die Makro-Ebene
der Wirtschaftsethik und der Wirtschaftspolitik.
Damit knüpft man bewusst auch bei der
geschichtlichen Entstehung der
Wirtschaftswissenschaften an, die sich ja aus der
Staatsphilosophie heraus, und insofern aus einem
Ordnungsdenken heraus, entwickelt haben.
Aber die Ethik in den Wirtschaftswissenschaften steht
bei vielen noch unter einem Begründungszwang, so
dass sie ihre Relevanz für das rechte Wirtschaften
immer wieder unter Beweis stellen muss.
Begriff der Wirtschaft
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Wir alle haben hier ein bestimmtes
Vorverständnis, nachdem die wirtschaftliche
Tätigkeit jene Tätigkeit des Menschen ist,
durch die die materiellen Bedingungen für
seine Existenz hergestellt werden, dass also
der Mensch zu essen und trinken hat, dass er
eine Wohnung hat und all das, was an
materiellen Gütern aber auch an
Dienstleistungen in der jeweiligen Kultur für
die Menschen eben bereit gestellt werden
muss.
Begriff der Wirtschaft
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Es ist nun interessant, dass die Wirtschaftswissenschaft nach der auf L. Robbins zurückgehenden
Definition unter "Wirtschaften" "den rationalen
Umgang mit knappen Ressourcen zur Befriedigung
von Bedürfnissen versteht.
Der bekannte Sozialethiker Johannes Meßner
definiert Wirtschaften als die "bestmögliche Verwendung der knappen Mittel im Dienste der mit den
existentiellen Zwecken gestellten Aufgaben" (Das
Naturrecht, Berlin1984, 982 f.).
Mit diesen Definitionen wollte man den
"kulturinvarianten" Kern erfassen, der unter der
Oberfläche der sich historisch wandelnden
Handlungsweisen verborgen ist, durch die der
Mensch sein Leben in Auseinandersetzung mit der
Natur und seinen Mitmenschen sichert„.
Begriff der Wirtschaft
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Was dabei auffällt, ist zum einen eine totale
Abstraktion von einem umfassenden Menschenbild,
dass man also von einem "homo oeconomicus“
ausgeht, der nach rationalen Überlegungen nach
seinem wohlverstandenen Eigeninteresse sein Leben
zu sichern, ja gut zu sichern weiß.
Zum zweiten fällt der Ausgangspunkt der knappen
Ressourcen auf, dass also nicht vorausgesetzt wird,
dass der Mensch im Überfluss lebt und sich in der
Welt nur zu bedienen braucht, sondern dass es
knappe Güter gibt (nur knappe Güter haben einen
Preis) und dass der gute Wirtschaftler sich gerade
dadurch auszeichnet, ausgehend von knappen
Ressourcen seine latenten Bedürfnisse zu
befriedigen, man könnte auch sagen: seine (relative)
Armut in (relativen) Reichtum zu verwandeln.
Begriff der Wirtschaft
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Aber das Wirtschaften war eben verschieden
und wurde auch verschieden verstanden je
nach den geschichtlichen, sozialen und
kulturellen Voraussetzungen.
Deshalb möchte ich in einem ersten Schritt
ausgehen von antiken-biblischen Vorgaben
und dann einen Blick auf die Folgegeschichte
dieses Verständnisses werfen.
Geschichtliche Entwicklung der
Einstellung zu den Gütern der
Erde
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Man könnte sehr ausführlich die
verschiedenen geschichtlichen Aussagen zu
Armut und Reichtum besprechen, zum Sinn
der Arbeit, zum rechten Umgang mit den
Gütern der Erde usw.
Mir scheint aber eine sehr alte, aus dem 9.
Jahrhundert vor Christus stammende
Erzählung aufschlussreich, die im 21. Kapitel
des ersten Buchs der Könige der Bibel steht:
Geschichtliche Entwicklung der
Einstellung zu den Gütern der Erde
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„Danach trug sich folgendes zu. Nabot aus Jesreel
hatte einen Weinberg in Jesreel neben dem Palast
Ahabs, des Königs von Samarien. Ahab verhandelte
mit Nabot und schlug ihm vor: Gib mir deinen
Weinberg! Er soll mir als Gemüsegarten dienen; denn
er liegt nahe bei meinem Haus. Ich will dir dafür
einen besseren Weinberg geben. Wenn es dir aber
lieber ist, bezahle ich dir den Kaufpreis in Geld. Doch
Nabot erwiderte: Der Herr bewahre mich davor, dass
ich dir das Erbe meiner Väter überlasse. Darauf
kehrte Ahab in sein Haus zurück. Er war missmutig
und verdrossen, weil Nabot aus Jesreel zu ihm gesagt
hatte: Ich werde dir das Erbe meiner Väter nicht
überlassen.“(1 Kg 21,1-5).
Geschichtliche Entwicklung der
Einstellung zu den Gütern der Erde
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Die Geschichte geht dann weiter, dass sich
die Frau des Königs Ahab Isabel einschaltet,
die einen Brief an die Ältesten und
Vornehmen der Stadt schreiben lässt, in dem
Nabot der Gottes- und Königslästerung
beschuldigt wird, so dass sie ihn zu Tode
verurteilen. Nach dessen Tod kann der König
Ahab sich den Weinberg aneignen.
Doch da tritt der Prophet Elija auf und
verheißt ihm die Strafe Gottes.
Geschichtliche Entwicklung der
Einstellung zu den Gütern der Erde
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Uns soll aber hier die Verhandlung zwischen Nabot und Ahab
interessieren, denn hier stoßen zwei verschiedene Verständnisse
der Wirtschaft aufeinander.
Der König Ahab hat ein modernes Verständnis, der Wirtschaften
als einen Markt zwischen verschiedenen Gütern ansieht. Alles ist
im Grunde umtauschbar und käuflich. Es kommt darauf, einen
Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zustande zu
bringen. Er hat dem Nabot ein gutes Geschäft angeboten.
Nabot hingegen hat ein antiquiertes Verständnis. Sein Weinberg
ist ihm das Erbe seiner Väter, das er um keinen Preis hergeben
will. Ein solches Verständnis hatten auch früher unsere Bauern.
Heute aber scheinen die Verlockungen des Geldes zu
überwiegen, vor allem wenn der landwirtschaftliche Grund zu
Baugrund umgewidmet wird. Der alttestamentliche Bauer weiß
sich nicht bloß in der Tradition seiner Vorfahren, deren Gut er zu
erhalten hat, sondern er weiß auch, dass er über das Land
Anteil an den Bundesgott selber hat.
Geschichtliche Entwicklung der
Einstellung zu den Gütern der Erde
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Denn in der ganzen biblischen Zeit und auch in der
christlichen Geschichte bis herauf in die Neuzeit hat
man Gott als den eigentlichen Eigentümer der Erde
angesehen und auch gewusst, dass die Güter der
Erde zuerst für alle Menschen da sind. Wer etwas
privat besitzt, der hat es gleichsam als Lehen von
Gott erhalten.
Gott hat das dominium altum, während der Mensch
bloß ein dominium humile hat, also mehr ein
Verfügungsrecht über seinen Grund, der aber immer
auch eine soziale Auflage hat.
Geschichtliche Entwicklung der
Einstellung zu den Gütern der Erde
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Thomas von Aquin z.B. hat das Privateigentum
teleologisch, d.h. von den Folgen her verteidigt. Es ist
gut, dass die Menschen etwas besitzen können, denn
auf diese Weise strengt sich jeder mehr für seinen
eigenen Besitz an und so trägt dies auch besser zum
Wohlstand, ja sogar zum sozialen Frieden bei.
Der Besitzer hat aber die Verpflichtung, etwas von
seinem „superfluum“, von dem, was er über seinen
standesgemäßen Lebensunterhalt hinausgeht, den
Armen zu geben.
In äußerster Not hat der Arme sogar das Recht, sich
das zu nehmen, was er zum Überleben braucht, denn
in diesem Fall wäre es kein Diebstahl (vgl. dazu aus
der „Summa Theologiae II II quaestio 66).
Geschichtliche Entwicklung der
Einstellung zu den Gütern der Erde
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Im ausgehenden Mittelalter war es auch
teilweise so, dass Handelsverträge oder auch
Testamente erst nach einer Spende für
karitative Zwecke ihre Gültigkeit bekamen.
In Florenz gab es auch den Brauch, dass man
bei Handelsgeschäften eine Quote direkt auf
Gott selber überschrieb, so dass deren
Einkünfte (Rendite) direkt den Armen
zukommen mussten; auf eine gewisse Weise
beteiligte man so auch die Armen an den
Handelsgeschäften.
Geschichtliche Entwicklung der
Einstellung zu den Gütern der Erde
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Dies alles erscheint uns heutigen Menschen so ferne
und überholt. Aber es war erst der im Jahre 1704
(also vor 300 Jahren) verstorbene englische
Philosoph John Locke, der die Vorstellung von einem
absoluten Privateigentum eingeführt hat, indem er
das Recht etwas zu besitzen als Ausdehnung der
Freiheit verstand, die jedem Menschen zukommt.
In dem allmählich sich entwickelnden
Demokratieverständnis Englands war es auch so,
dass nur die Besitzenden ihre Rechte gegenüber dem
Staat geltend machen konnten. Dabei wurde in der
ebenfalls damals entstehenden liberalen Philosophie
der Staat immer mehr als Nachtwächterstaat
verstanden, dessen oberste Aufgabe es war, den
privaten Besitz und die privaten Geschäfte zu
schützen.
2) Privatinitiative, Unternehmen und
Wettbewerb – verschiedene
Wirtschaftstheorien
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Machen wir jetzt einen Sprung in unsere Zeit.
Wir stehen in Europa in einer Phase, in der was nach
dem Zweiten Weltkrieg als Sozialstaat aufgebaut
wurde, immer mehr in Krise gerät, einerseits weil
auch durch ein Nachlassen der beim unmittelbaren
Wiederaufbau nötigen ethischen Anstrengung von
vielen die sozialen Leistungen des Staates als
selbstverständlich angesehen und so auch ausgenutzt
wurden, was auch zur Verschuldung unserer Staaten
beigetragen hat, andererseits aber auch durch die
dominierende Ideologie des Neoliberalismus mit
ihrem Slogan „Weniger Staat und mehr Markt“.
2) Privatinitiative, Unternehmen und
Wettbewerb – verschiedene
Wirtschaftstheorien
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Die Meinung, dass letzten Endes der freie Markt alle
Probleme lösen wurde, hat gewaltigen Auftrieb durch
den Zusammenbruch der sozialistischen Systeme der
Planwirtschaft erhalten, bei denen es evident
geworden war, dass eine bürokratische Planung von
oben her den vielfältigen Bedürfnissen der Menschen
nicht gerecht werden kann.
Es scheint aber wichtig, die Entwicklung der
Wirtschaftstheorien der letzten 50 Jahre kurz
zu skizzieren.
Entwicklung der Wirtschaftstheorien
der letzten 50 Jahre
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a) Nach dem zweiten Weltkrieg, mit Ansätzen in den
Zwischenkriegsjahren, war der Einfluss von Keynes
sehr groß, auf den immer noch Bezug genommen
wird.
Der Keynesianismus geht von der Überlegung aus,
dass wirtschaftliche Gleichgewichte weder in der
Realität vorgegeben sind noch vom wirtschaftlichen
Ablauf tendenziell angestrebt werden. Sein
Hauptvertreter ist J.M. Keynes (+1946), der schon
1919 Berater der britischen Regierung beim
Friedensvertrag von Versailles war und ebenso
zwischen 1944 und 1946 bei der Neugestaltung der
Weltwirtschaft und Währungsordnung beteiligt war.
Allerdings setzte sich seine Konzeption nicht durch.
Der Keynesianismus
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Schon 1919 wies Keynes darauf hin, dass
Deutschland den Siegermächten niemals die
Reparationszahlungen leisten werden, wenn man
seiner Wirtschaft nicht helfen wollte, auch
Exportüberschüsse zu erzielen.
Die Weltwirtschaftskrise von 1930 gab ihm Recht. Er
schrieb daraufhin im Jahre 1936 das Buch, das über
30 Jahre hindurch die westlichen
Wirtschaftswissenschaften beeinflusst hat, nämlich
seine Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des
Zinses und der Währung.
Trotzdem konnte er sich auch nicht am Ende des 2.
Weltkrieges durchsetzen, denn er hatte sich für
flexible Wechselkurse ausgesprochen;
Der Keynesianismus
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Die Ideen von Keynes begannen in den 1960er Jahren die
praktische Wirtschaftspolitik der USA und auch der BRD zu
prägen. Allerdings wurde diese Politik überzogen. Die Folge war
Preissteigerung und Inflation. Ab den 70er Jahren ging der
Einfluss von Keynes wieder deutlich zurück.
Es zeigen sich so die Grenzen dieser Theorie. In einer
Rezessionsphase ist sie sinnvoll, um die Wirtschaft wieder
anzukurbeln. In einer Hochkonjunkturphase, die ohnehin durch
Preissteigerungen gekennzeichnet ist, wäre es dagegen nötig,
durch Kürzungen der Staatsausgaben und durch
Steueranhebungen eine überschäumende Nachfrage wieder
zurückzudrängen.
Das Problem besteht nur darin, dass Politiker zwar bereit sind,
hohe Staatsschulden einzugehen, aber zumeist in einer
Konjunktur nicht mehr die Kraft zu Kürzungen haben. Das aber
führt dann zur Inflation - denken wir an die zweite Hälfte der
siebziger Jahre in Italien.
Der Keynesianismus
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Dem Keynesianismus wurde also eine
Überschätzung der Durchsetzungskraft der
Politiker vorgeworfen, ebenso der Fähigkeit
zur Wirtschaftsanalyse des Staates, dass er
also jeweils die nötigen Informationen hat,
um eine Feinsteuerung der Wirtschaftsabläufe
vorzunehmen.
Die staatlichen Maßnahmen kämen oft erst
zum Tragen, wenn es schon zu spät ist,
sodass sie also kontraproduktiv sind.
Monetarismus
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Diese Kritik wurde nun von den sogenannten
Monetaristen vorgetragen mit deren bekanntesten
Vertreter Milton Friedman (*1912).
Der Begriff Monetarismus bezeichnet eine
angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, die es sich
zum Ziel setzt, die allgemeine Investitionsbereitschaft
zu stärken. Durch diese Förderung entsteht mehr
Wachstum und damit einhergehend mehr
Arbeitsplätze.
Der grundlegende Unterschied zum Keynesianismus
liegt in der Rolle des Staates, genauer dessen
ordnungspolitischer Funktion.
Monetarismus
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Der Staat soll keine aktive Rolle einnehmen, sondern
sich auf die Vorgabe der Rahmenbedingungen
beschränken.
Als Hemmnisse für Investitionen, die es abzubauen
gilt, werden angesehen: zu hohe Staatsverschuldung,
weil diese zu Inflation und einem höheren Zinsniveau
führt, zu viele staatliche Einmischungen z.B.
Umweltauflagen, Subventionen, Schutzgesetze für
Arbeitnehmer, zuviel Sozialstaat (Erhöhung der
Lohnnebenkosten), zu hohe Steuern, Gewerkschaften
als Störenfriede durch zu hohe Löhne.
Monetarismus
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Der Monetarismus geht also davon aus, dass die Störungen des
wirtschaftlichen Ablaufs im wesentlichen durch den
intervenierenden Staat hervorgerufen werden. Salopp
formuliert: es geht den angebotsorientierten Politikern um die
Senkung der Kosten, wobei die Lohnkosten hier als
entscheidendes Faktum angesehen werden können.
Priorität hat die Preisstabilität, daher auch die Bezeichnung
"Monetaristen/Monetarismus". Durch die Regulierung der
Geldmengenentwicklung soll Inflation vermieden werden. In den
Prioritäten liegt auch der Unterschied. Bei John Maynard Keynes
ist das höchste Prinzip die Vollbeschäftigung, im Monetarismus
ist es die Bekämpfung der Inflation.
Die Lehre vertraut daher auf die Selbstheilungskräfte des
Marktes.
Der Ordoliberalismus
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Wir haben im dem Wort zwei Ideen:
Erstens will es ein Liberalismus sein,
also eine Marktwirtschaft, zweitens aber
wird betont, dass der Markt eine
Ordnung braucht, einen Rahmen. Diese
sich vor allem in Deutschland entfaltete
Richtung geht auf Walter Eucken und
Franz Böhm zurück.
Der Ordoliberalismus
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Der an der Freiburger Universität lehrende
Eucken versuchte ein „wissenschaftliches
Alphabet“ zu entwickeln, um die
wirtschaftlichen und sozialen Geschehnisse zu
klassifizieren. Er hatte sich nach der
Reichskristallnacht engagiert gegen das
Regime engagiert und auch an einem
Memorandum zur Verteidigung von Dietrich
Bonhoeffer mitgewirkt; er entging nur knapp
der Verhaftung.
Eucken veröffentlichte im Jahre 1940 sein
Hauptwerk „Die Grundlagen der
Nationalökonomie“.
Der Ordoliberalismus
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Eucken stützte sich in seinem Werk auf Franz
Böhm, der an der Universität Jena lehrte, und schon
1933 in einer Arbeit über das Monopol in Deutschland
die Idee eine „wirtschaftlichen Ordnung“ entwickelt
hatte.
Darin wird dem Staat eine wichtige Rolle als
Ordnungsmacht der Wirtschaft zugewiesen. Manche
sahen im nationalsozialistischen Staat, der nach den
Unruhen der Weimarer Zeit sich durchsetzen konnte,
diese Ordnungsfunktion, gerade um eine liberale
Wirtschaftsordnung zu garantieren.
Der Ordoliberalismus
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Nach dem zweiten Weltkrieg wurden diese Ideen von
jedem totalitären Zug gereinigt und konnten sich im
Aufbau der bundesdeutschen Wirtschaft durchsetzen.
Der bekannteste Name dieser
Wirtschaftswissenschaftler war der deutsche
Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (+1977).
Ihm stand als Theoretiker A. Müller-Armack (+1978)
zur Seite. Von ihnen stammt der Begriff "soziale
Marktwirtschaft" im Sinne einer Verbindung
zwischen individueller Freiheit und sozialer
Gerechtigkeit ebenso der Impuls, wirtschaftlich auf
die europäische Integration zu setzen.
Der Ordoliberalismus
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Sie entwickelten das Konzept einer stabilen Wirtschaftsordnung,
deren erstes Ziel die Sicherung des Wettbewerbs durch eine
staatliche Wettbewerbspolitik sein sollte, indem vor allem die
Kontrolle der Märkte durch Kartelle unterbunden und auch
Monopole unter Staatsaufsicht gestellt werden sollten. Man
sprach sich für eine ausgedehnte Sozialpolitik aus und ebenso
für eine Einbeziehung der Gewerkschaften in die
Wirtschaftspolitik bzw. für eine Mitbestimmung der Mitarbeiter
in den Unternehmen.
Wichtig war auch die Sicherung der Geldwertstabilität durch
eine vom Staat unabhängige Notenbank.
Der Ordoliberalismus setzt einen starken Staat voraus, in
welchem die Politiker den Pressionen einzelner
Interessengruppen sich weitgehend entziehen können. Ein
solches Idealbild der Staatsmacht wird aber nur ausnahmsweise
und in besonders günstigen Zeiten (wie es die Zeit des Aufbaus
der Wirtschaft in der BRD war) erreicht.
Neoliberalismus
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Ab den achtziger Jahren, zuerst in den USA, dann
aber auch in unseren Ländern, gab es wieder eine
Gegenbewegung, weil die Staaten sich stark
verschuldet hatten. So verlangte man wieder „Mehr
Markt und weniger Staat“. Es kam ein
Neoliberalismus auf.
In den USA hat man diese neoliberalen Kreise, die
sich vor allem auf den Präsidenten Reagan bezogen,
der der US-amerikanischen Wirtschaft durch
Steuersenkungen neuen Auftrieb gab, die
"Reaganomics genannt.
Neoliberalismus
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In Großbritannien hat einen Umbruch in
dieser Richtung vor allem die Politik unter
Margareth Thatcher gebracht.
In Frankreich gab es genauso einen
Rechtsruck unter den letzten Regierungen,
ich erinnere an den früheren
Ministerpräsidenten Balladur und an den
jetzigen Staatspräsidenten Chirac, in Italien
ist es die jetzige Rechtsregierung unter
Berlusconis ("Forza Italia" und Fini, in
Spanien unter Aznar (bis 2004).
Neoliberalismus
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Die Theoretiker dafür sind vor allem Friedrich August von
Hayek (1899-1993), der 1974 den Nobelpreis für
Wirtschaftswissenschaften erhielt. Für ihn ist der freie
Wettbewerb bzw, der Markt, ein Spiel (er nennt es das
Wettbewerbs oder "Katallaxie"-Spiel, dessen Ausgang vom Glück
und von der Geschicklichkeit der Spieler abhängt. Bei einem
Spiel gibt es eben Gewinner und Verlierer; wenn man verliert,
darf man nicht nach Ungerechtigkeit schreien.
Eine nachträglich politische Umverteilung würde gegen die
Spielregeln verstoßen. Der Ausdruck "soziale Gerechtigkeit“ ist
für Hayek ein "quasi religiöser Aberglaube", ebenso ist für ihn
die "soziale Marktwirtschaft" ein abwegiger Begriff.
Die Gerechtigkeit zeigt sich in der Einhaltung der Spielregeln im
Spiel des Wettbewerbs und nicht in den Ergebnissen; langfristig
pendelt sich alles ein, so wie eben die Warteschlangen bei
verschiedenen Schaltern sich automatisch gleichmäßig verteilen.
Neoliberalismus
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Diese Neoliberalen haben wiederum das optimistische
Menschenbild der Aufklärung, dass langfristig "die Reichen die
Schrittmacher des allgemeinen Reichtums" sind. Dabei verteidigt
Hayek nicht nur den Reichtum der Unternehmer, die investieren,
sondern auch die müßigen Reichen, die Playboys. Auch ihr
Luxus hat eine Leader-Funktion für die Artikulation neuer
Bedürfnisse; viele Spiele und Sportgeräte. die später Mittel der
Erholung für die Massen wurden, sind von "Playboys" erfunden
worden.
Das Aussterben der Reichen, die weder Erwerbsarbeit verrichten
müssen noch wollen, hat für Hayek schwerwiegende
Konsequenzen. Deshalb spricht er sich gegen die
Steuerprogression aus. Hayek spricht sich dagegen aus
ethischen Gründen aus. Die Steuerprogression würde gegen den
Grundsatz verstoßen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, vor allem
würde sie die
Neoliberalismus
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Der Theoretiker der Reaganomics Arthur Laffer hat eine
Laffer-Kurve entworfen, um aufzuzeigen, dass mit zunehmenden
Steuerdruck die Steuereinnahmen des Staates nicht nur
zunehmen, sondern ab einem bestimmten Punkt abnehmen
werden, weil dann die Wirtschaftstreibenden ihre
Wirtschaftstätigkeit mangels Rentabilität einstellen bzw. in
Billiglohnländer auslagern oder in die Untergrundwirtschaft
abgedrängt werden.
Die These dieser Neoliberalen lautet: Will man die Armut
bekämpfen, so hat man nicht die Armen, sondern im Gegenteil
die Reichen zu fördern. Denn von einer dynamischen,
expansiven Wirtschaft profitieren dann alle, auch die Armen. Ein
Auseinanderdriften der Einkommensschere zwischen arm und
reich wird also bewusst in Kauf genommen.
Neoliberalismus
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Eine "neue Armut" hat sich in den sogenannten reichen Ländern
breit gemacht. Die Neoliberalen sind in ihrem Optimismus davon
überzeugt, dass wenn nur der Kuchen der Wirtschaft wächst,
langfristig auch die Armen mehr abbekommen werden.
Nur fragt es sich, um bei der Idee des Spiels zu bleiben, ob
dann nicht bloß die Kuchenstücke für die Tüchtigen größer
werden, während jene der weniger Tüchtigen nicht nur kleiner,
sondern aufgrund des Bevölkerungswachstums und der
allgemeinen Steigerung der Preise für Sozialleistungen noch
ungenügender werden. So ist dies ja auf Weltebene in dem
Nord-Süd-Gefälle überdeutlich. Wenn schon müssten die
Spielregeln des Spiels selbst aufgrund elementarer Prinzipien
der Gerechtigkeit bzw. gerechter Ausgangsschancen für alle
Spieler überdacht werden.
Neoliberalismus
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Prof. Zamagni hat dazu bei seinem Vortrag in Bozen am
6.4.2000 ausgeführt: Es stimmt nicht, dass mit der Zunahme
des Bruttosozialprodukts (PIL) das Armutsproblem bewältigt
wird, im Gegenteil steigt dadurch die Ungleichheit.
In den USA gibt es 38 Millionen Bürger, die unter der
Armutsgrenze sind; 48 Millionen Bürger sind ohne soziale
Absicherung. Die Lebenserwartung in einigen Stadtteilen von
New York ist geringer als die in Indien.
Grund dafür sind auch die modernen Technologien, ebenso der
sogenannte Super-Star-Effekt (wer siegt, räumt ab; wer verliert,
verliert alles). Die Prämisse ist falsch: es stimmt nicht, dass
wenn die Flut steigt, auch alle Boote steigen – es gibt z. B.
Boote, die verkeilt sind.
Neoliberalismus
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Auch muss gefragt werden, ob nicht ein solches
Auseinanderdriften zwischen Reich und Arm gewaltige politische
Risiken mit sich bringt. Die neoliberalen Berater des
postkommunistischen Russlands mussten sich z.B. fragen, ob sie
mit ihren Rosskuren nicht schuld an der politischen
Destabilisierung Russlands geworden waren, mit gewaltigen
Risiken für den Weltfrieden selbst. Schließlich stellt sich die
Frage, ob ein neoliberales Konzept überhaupt in der Lage ist,
den ökologischen Herausforderungen und immer gravierenden
Nord-Süd-Gefälle und dessen destabilisierenden Auswirkungen
auf den Weltfrieden eine adäquate Antwort zu geben. Ebenso ist
hier eine der Ursachen des Terrorismus zu sehen und auch der
Gewalt bei den Globalisierungsgegnern, beim sogenannten
„Seattle-People“ bzw. dem „Socialforum“ und bei den „NoGlobals“ (vgl. Genau 2001).
Amartya Sen
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In diesem Sinne sind zum Beispiel die theoretischen Vorschläge
des Wirtschaftswissenschaftler und Moralphilosophen Amartya
Sen, der im Herbst 1998 den Nobelpreis erhalten hat,
interessant. Nach Professuren an der „London School of
Economics“ in Delhi und Oxford hatte Sen bis 1987 einen
Lehrstuhl für Ökonomie und Philosophie an der Harvard
University. Seit 1998 ist er nun als Master des Trinity College
nach Cambridge (GB) zurückgekehrt.
Er hat sich kritisch und konstruktiv mit dem Utilitarismus
auseinandergesetzt. „Sen hat in theoretischen und empirischen
Arbeiten das Thema ‚Gerechtigkeit‘ und damit das
Verteilungsproblem, das Ökonomen seit dem Übergang zur
modernen Wohlfahrtstheorie weitgehenden mieden, in die
moderne Wirtschaftswissenschaft zurückgebracht.
Amartya Sen
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Sen geht von der Feststellung aus, dass Grundwerte
wie die Freiheit unter einem bestimmten
Wohlstandsniveau nicht gelebt werden können. Es
genügt nicht, durch die Wirtschaft eine bloße Fülle
von Gütern und Dienstleistungen herzustellen, wenn
die Einzelnen auch nicht die Fähigkeit haben, sich
dieser Güter für die eigenen Bedürfnisse zu bedienen.
Das Problem des Hungers in der Welt ist nicht bloß
das Problem der Produktion entsprechender
Nahrungsmittel, es genügt auch nicht, allen den
gleichen Ausgangspunkt zu gewährleisten, sondern
es geht auch um die Spielregeln in diesem
Wirtschaftssystem
Amartya Sen
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Sen bringt das Beispiel einer armen Gesellschaft, in der es
zuerst zwei Gruppen gibt, die in gleicher Versorgungslage
stehen. Wenn nun durch äußeren Eingriff die Kaufkraft der
einen Gruppe erhöht wird, dann werden die Preise steigen, und
es wird - bei gleicher zur Verfügung stehender Menge von
Nahrungsmitteln, die früher für alle ausreichte - nun eintreten,
dass die eine Gruppe vor Hunger umkommen wird.
Dies zeigt zum einen die planetarische Vernetzung in diesem
delikaten Wirtschaftsgleichgewicht auf (durch den
Wirtschaftskolonialismus ist dieses Gleichgewicht radikal aus
den Fugen geraten), zum anderen aber auch, dass die
Spielregeln selbst gerecht sein müssen, aber immer auch von
kulturellen und sozialen Faktoren abhängen (die z.B. die andere
Arbeitsmoral in den asiatischen Ländern erklären).
Amartya Sen
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Auch hat Amartya Sen als einer der ersten die
Kategorie der öffentlichen Güter eingeführt, wie es
dann auch Georges Enderle noch weiter ausführt. Es
geht darum, dass man die Natur bzw. die relevanten
Dimensionen unserer Mit- und Umwelt als “öffentliche
Güter” erklärt.
Öffentliche Güter zeichnen sich dadurch aus, dass sie
alle Menschen oder Gruppen von Menschen
unausweichlich betreffen, dass sie den gleichzeitigen
Konsum durch andere nicht ausschließen (z.B. beim
Sonnenschein) und auch nicht der Konkurrenz
unterworfen sind; es kann globale öffentliche Güter
geben (z.B. Klimaveränderung) oder lokale (z.B. Luftund Wasserschmutzung einer Stadt).
Amartya Sen
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Die öffentlichen Güter können sogar noch weiter
gefasst werden als Möglichkeitsbedingungen des
gesellschaftlichen und individuellen Lebens und
Wirtschaftens.
Eines steht nach Georges Enderle nun fest, “dass
private Märkte zu einer Unterversorgung mit
öffentlichen Gütern und zu einer Überversorgung mit
öffentlichen Nichtgütern (“public bads”) tendieren”.
Auch die staatliche Erstellung öffentlicher Güter
begegnet beträchtlichen Problemen, die Enderle im
einzelnen analysiert.
Amartya Sen
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Die Schlussfolgerung von Enderle lautet: “Globale öffentliche
Güter können nur erstellt werden und Bestand haben, wenn sie
von einem globalen ethischen Konsens getragen werden. Dies
verlangt ein Weltethos, das sich einerseits auf die verschiedenen
ethischen Traditionen religiöser und nichtreligiöser Herkunft
stützt und andererseits einen ‚gemeinsamen Boden‘ ... bietet,
der über die einzelnen Traditionen hinausgeht. .. Über diese
theoretischen Perspektiven hinaus stellt die Problematik
öffentlicher Güter in der Weltwirtschaft vor allem auch eine
enorme praktische Herausforderung.
Nur wenn hinreichende ethische Ressourcen mobilisiert werden
können, ist die Menschheit an der Wende zum nächsten
Jahrtausend befähigt, die gewaltigen gemeinsamen Probleme zu
lösen.
Auf alle Fälle braucht der Markt, soll er funktionieren, wie es
auch die Spieltheorie verlangt, zuerst einmal als
Voraussetzung gerechte Ausgangsbedingungen. Dies ist
Aufgabe der Politik, die als Gesamtverantwortung für die
Gesellschaft über dem Markt und der Wirtschaft stehen muss.
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