Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft 1. 2. 3. 4. 5. Philologie, Sprachwissenschaft, Linguistik Vergleichende und indogermanische Sprachwissenschaft Indogermanische Sprachen: Stammbaummodell Urslavisch, Gemeinslavisch, Altkirchenslavisch, Missionierung (Kyrill und Method) Kurze Übersicht: Russisch, Polnisch, Tschechisch Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Die Sprache bezeichnet die wichtigste Kommunikationsform des Menschen. Sie wird akustisch durch Schallwellen (Lautketten) oder visuell-räumlich durch Gebärden (vgl. Gebärdensprache) oder Schrift (vgl. Schriftsprache) realisiert. Die Wissenschaft von Sprache als System heißt Allgemeine Sprachwissenschaft. Exemplarisch sei die Definition von Edward Sapir (1921) zitiert: – "Sprache ist eine ausschließlich dem Menschen eigene, nicht im Instinkt wurzelnde Methode zur Übermittlung von Gedanken, Gefühlen und Wünschen mittels eines Systems von frei geschaffenen Symbolen." (zitiert nach John Lyons, 4. Auflage, 1992, S. 13) Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Ferdinand de Saussure hat - einer Tradition folgend - Sprache als Zeichensystem konzipiert und das Sprachzeichen als Verbindung von Lautbild und Vorstellung, also als etwas Mentales gefasst. Karl Bühler sieht Sprache als "geformtes Gerät", als Medium des Verständigungshandelns mit den Grundfunktionen der Darstellung (Bezug auf die Wirklichkeit), des Ausdrucks (Befindlichkeit des Sprechers) und des Appells (Beeinflussung des Hörers). Damit wird die Auffassung von Sprache als Zeichensystem fraglich, denn nur symbolische Ausdrücke lassen sich als Zeichen im eigentlichen Sinn ("etwas steht für etwas") auffassen. Wofür steht der Artikel der, die Abtönungspartikel halt, das Zeigwort da, die Interjektion hm? Für die Pragmatik ist Sprache ein zweckorientiertes Handlungssystem, das mental verankert ist. Für manche Linguisten ist Sprache ein menschentypisches biologisches Organ (Noam Chomsky), für andere das Medium der Gedankenbildung schlechthin (W.v. Humboldt). Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Ferdinand de Saussure (* 26. November 1857 in Genf; † 22. Februar 1913 in Vufflens-le-Château bei Morges) war ein Schweizer Sprachwissenschaftler. De Saussure studierte in Leipzig und in Berlin Indogermanistik. Von 1906 bis 1911 hielt er an der Universität Genf Vorlesungen über allgemeine Sprachwissenschaft. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Ferdinande de Saussure Er wird als Begründer der modernen Linguistik und fälschlicherweise - des Strukturalismus betrachtet. In den posthum unter Saussures Namen erschienenen Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft (Cours de linguistique générale, 1916/dt. 1967; im folgenden CLG), wird eine allgemeine Theorie der Sprache als Zeichensystem entwickelt. Darin wird die Untersuchung von Sprache, verstanden als ein abstraktes und überindividuelles System von Zeichen (langue), als einzig relevanter Gegenstand der Sprachwissenschaft begriffen. Sprache wird so vom Sprechen, der parole, abgelöst und kann von diesem unabhängig untersucht werden. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Erst in den 1950er Jahren greift eine quellenkritische Rezeptionstradition Raum, die bemüht ist, die authentische Sprachidee Saussures aus seinem fragmentarischen Nachlass zu erschließen. Die Rezeptionsgeschichte Saussures ist mithin durch eine Kluft zwischen Cours-Rezeption und Saussure-Rezeption gezeichnet. Die gleichermaßen notwendigen wie erfolgreichen Bemühungen um eine Rekonstruktion des authentischen Sprachdenkens Saussures, das auch disziplinenübergreifend, etwa in der Medien-, und Kulturwissenschaft sowie der Neurolinguistik fruchtbar aufgegriffen worden ist, kann die weichenstellende Bedeutung des Cours, dessen Rezeption den strukturalistischen und poststrukturalistischen Diskurs maßgeblich geprägt und unzählige Anschlußdiskurse gezeitigt hat, nicht ungeschehen machen. Der Cours de linguistique générale bleibt das bedeutendste Buch, das Ferdinand de Saussure nie geschrieben hat. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Saussures Ruhm zu Lebzeiten begründete sich in seiner Leistung als Indogermanist. In seinem Mémoire sur le système primitif des voyelles dans les langues indo-européennes (1879) hat Saussure schon als 21-jähriger Student durch die Anwendung junggrammatischer Methoden die Laryngaltheorie angedacht. Bei der internen Rekonstruktion des indogermanischen Vokalsystems hat er unterliegende, abstrakte "Koeffizienten" (coefficients sonantiques) angenommen, die der dänische Sprachforscher Hermann Møller noch im 19. Jh. mit Laryngalen identifizierte. 1914, nach Saussures Tod, hat Bedřich Hrozný das Hethitische entziffert, und diese Sprache stellte sich dabei als indogermanische Sprache heraus. An manchen Stellen, wo Saussure seine Lautkoeffizienten rekonstruiert hatte, fand man im Hethitischen Laryngale. Obwohl mit wichtigen Einschränkungen zu rechnen ist, werden die Laryngalen im Hethitischen im Allgemeinen als Bestätigung von Saussures Rekonstruktion betrachtet. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Indogermanische Sprachfamilie Die indogermanische Sprachfamilie, von der nicht deutschsprachigen Philologie eher als indoeuropäische Sprachfamilie bezeichnet, deren Vokabular Übereinstimmung bei Flexion, Numerus, Genus und Ablaut aufweist, ist die mittlerweile vor allem auf Grund der Kolonisation meistverbreitete Sprachfamilie auf der Welt mit mehr als 2,5 Mrd. Muttersprachlern. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Inhaltsverzeichnis 1 Der Begriff „indogermanisch“ 2 Ursprung und Entwicklung 3 Untergruppen 4 Verwandtschaftsverhältnisse 5 Siehe auch 6 Literatur Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Der Begriff „indogermanisch“ Bei der Bildung der Bezeichnung Indogermanisch im 19. Jahrhundert gingen die Sprachforscher von den beiden Sprachgruppen aus, die damals als die räumlich am weitesten voneinander entfernten angesehen wurden, d. h. der indischen im Osten und im Westen der germanischen Gruppe (mitsamt des Isländischen). Die keltischen Sprachen wurden damals aufgrund grammatikalischer Besonderheiten noch nicht als indogermanisch angesehen und das Tocharische weiter östlich wurde erst 1890 entdeckt Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Die Bezeichnung Indogermanisch wurde im deutschen Sprachraum, der in dieser Forschungsdisziplin weltweit immer noch führend ist, beibehalten. In anderen Sprachen wird hingegen die Bezeichnung Indoeuropäisch (IE) verwendet. Der amerikanische Linguist Merritt Ruhlen benutzt die Bezeichnung IndoHethitisch, um eine vorgebliche Sonderstellung des Hethitischen bzw. der anatolischen Sprachgruppe innerhalb des Indogermanischen zu betonen. Ein solcher Stammbaum wird jedoch (zumindest in der weitreichenden Form) von den meisten anderen Forschern abgelehnt. Heute nehmen viele Forscher aber an, dass sich die anatolischen Sprachen tatsächlich als erste von der Ursprache abgespalten haben. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Ursprung und Entwicklung Die indogermanischen Sprachen sind nach Meinung der Indogermanistik im linguistischen Sinne genetisch verwandt. Dass ihre Ähnlichkeit nur auf typologischer Angleichung nach Art eines Sprachbunds zustande kam, kann ausgeschlossen werden. Ende des 18. Jahrhunderts erkannte der englische Orientalist William Jones aus Ähnlichkeiten zwischen dem Sanskrit und einigen europäischen Sprachen, dass es für diese Sprachen eine gemeinsame Wurzel geben muss. Der Deutsche Franz Bopp brachte 1816 in seinem Buch Über das Konjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache den methodischen Beweis für die Verwandtschaft dieser Sprachen und gilt zumindest im deutschsprachigen Raum als Entdecker des Indogermanischen. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Diese indogermanische Ursprache ließ sich sprachwissenschaftlich rekonstruieren, obwohl aus dieser Zeit keine Schriftdokumente vorliegen. Für die Sprachen, die auf das Indogermanische zurückgehen, lässt sich auf der Grundlage der Forschungsergebnisse des deutschen Linguisten August Schleicher ein „Stammbaum“ darstellen, der den Ursprung und die Verwandtschaftsstruktur dieser Sprachen wiedergibt. In diesem „Stammbaum“ gibt es sowohl gesicherte als auch spekulative Verzweigungen; letztere betreffen insbesondere ausgestorbene Sprachen, die keine Nachfolgesprachen hinterlassen haben. Schleicher versuchte das hypothetische Protoindogermanische zu rekonstruieren, indem er sich ursprünglicher Formen diverser indogermanischer Sprachen bediente. Daraus entstand eine Übersetzung der sog. indogermanischen Fabel „Das Schaf und die Pferde“ als „Avis akvasasca“. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass solche Rekonstruktionen in der Regel zu Wortwurzeln einerseits und morphologischen und phonologischen Erscheinungen andererseits führen. Auch syntaktische Merkmale des Indogermanischen konnten mit Einschränkungen rekonstruiert werden. Eine Grundsprache im Sinne eines kommunikativen Verständnisses wird mit dieser Rekonstruktion jedoch nicht erreicht. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Stammbaumtheorie Die Stammbaumtheorie in der Linguistik wurde von August Schleicher (1821-1868) Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Er ging davon aus, dass sich Sprachen analog der Evolution biologischer Arten aus Ursprachen entwickeln. Danach verhalten sich die Beziehungen und Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Sprachen genau so wie die Relationen der Arten in der Biologie, die sich in Form von Stammbäumen darstellen lassen. Ausgehend von seinen evolutionstheoretischen Überlegungen entwickelte August Schleicher u. a. das Stammbaummodell der indogermanischen Sprachfamilie. Stammbaummodelle sind hierarchische Modelle, in denen sich Tochtersprachen "genetisch" zusammenhängend aus Elternsprachen entwickeln. So sind die romanischen Sprachen Tochtersprachen von Latein, Latein ist eine Tochtersprache von Italisch, Italisch eine Tochtersprache des Indogermanischen. Stammbaummodelle werden heute verwendet, um die Beziehungen zwischen Sprachen darzustellen und sie zu gruppieren. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Durch Sprachvergleich kann man Verwandtschaften entdecken und Elternsprachen teilweise rekonstruieren. So wurde die indoeuropäische Sprache zum Teil rekonstruiert. Das Stammbaummodell führt, zu Ende gedacht, gegebenenfalls zu einer gemeinsamen Ursprache aller Sprachen. Darauf deuten bestimmte Erscheinungen des Basiswortschatzes und neuerer genetischer Forschungen hin, es ist aber umstritten, da jede weitere erschlossene ältere Stufe des Sprachstammbaums größere Unsicherheiten beinhaltet. Mit "Stammbäumen" ließen sich bis Mitte des 20. Jahrhunderts Erscheinungen der Durchdringung und Überlagerung von Sprachen nicht gut erklären. Einfacher zu begreifen war das von Johannes Schmidt um 1870 entwickelte Wellenmodell. Aufgrund neuerer Erkenntnisse über genetische Abweichungen, Veränderungen und die Entwicklung der Arten in der Biologie, für die es jetzt Simulations- und Berechnungsmöglichkeiten mittels mathematischer Modelle gibt, lebt heute jedoch die Stammbaumtheorie als Erklärungsmodell für "genetische" Sprachveränderungen wieder auf. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Indogermanische Ursprache Die indogermanische Ursprache ist der hypothetische gemeinsame Vorfahre der indogermanischen Sprachen. Da die Ursprache nicht direkt überliefert ist, wurden alle Laute und Wörter durch die Komparativmethode erschlossen. Man hat sich darauf geeinigt, nicht bestätigte Formen mit einem Sternchen zu markieren: *wódr "Wasser", *ḱwṓn "Hund", *tréyes "drei (maskulin)", etc. Viele der Wörter in den modernen indogermanischen Sprachen stammen durch regelmäßige Lautverschiebung von diesen "Urwörtern" ab (z.B. Grimms Gesetz). Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Phonologie Es wird angenommen, dass die indogermanische Ursprache folgende Phoneme verwendete: Konsonanten labial koronal palatovelar velar labiovelar laryngal Stimmlose Plosive p t ḱ k kw Stimmhafte Plosive b d ǵ g gw Aspirierte Plosive bh dh ǵh gh gwh Nasale m n Frikative s h1, h2, h3 Approximanten w r, ly Vokale Kurze Vokale a, e, o Lange Vokale ā, ē, ō Diphthonge ei, eu, ēi, ēu, oi, ou, ōi, ōu Ablaut Die indogermanische Ursprache hatte eine charakteristische, generelle Ablautsequenz der Phoneme o/e/Ø. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Verben Das urindogermanische Verbsystem ist extrem kompliziert und beinhaltet eine Ablautsequenz, die in den germanischen Sprachen noch immer vorhanden ist. Verben haben mindestens vier Modi (Indikativ, Imperativ, Konjunktiv und Optativ, und vielleicht auch den Injunktiv, der sich aus dem Sanskrit rekonstruieren lässt), eine Diathese (Aktiv and Mediopassiv), sowie drei Personen und drei Numeri (Singular, Dual und Plural). Verben werden in drei Tempora konjugiert (Präsens, Aorist, und Perfekt). Konjugation Die Wurzel ist das grundlegende Morphem eines Wortes. Der Stamm ist ein Wort, dem die flektierten Endungen abgeschnitten wurden. Im einfachsten Fall besteht der Stamm aus der einfachen Wurzel Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Konjugation des Präsens Im Präsens wurden Verben folgendermaßen konjugiert: Stamm *gwh(é)n- "schlagen" 1.sg. *gwhén-mi 2.sg. *gwhén-si 3.sg. *gwhen-ti 1.pl. *gwhn-més 2.pl. *gwhn-té 3.pl. *gwhn-énti Konjugation des Präteritums Im Präteritum wurden Verben folgendermaßen konjugiert: Stamm *w(ó)id- "wissen" 1.sg. *wóid-h2a 2.sg. *wóid-th2a 3.sg. *wóid-e 1.pl. *wid-mé 2.pl. *wid-té 3.pl. *wid-é:r Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Indogermanische Fabel Von August Schleicher wurde erstmals ein kurzer Text verfaßt, den er als Fabel in der rekonstruierten Ursprache Indogermanisch verstanden wissen wollte. Hiervon gibt es bislang zwei neuere Fassungen, eine von Hermann Hirt und eine von Norbert Oettinger. Schleicher verfaßte den Text, um nicht nur einzelne rekonstruierte Wortformen, sondern auch deren syntaktische Verbindung im Satz zeigen zu können. Fassung von Schleicher (1868:207) Avis akvāsas ka. Avis, jasmin varnā na ā ast, dadarka akvams, tam, vāgham garum vaghantam, tam, bhāram magham, tam, manum āku bharantam. vais akvabhjams ā vavakat: kard aghnutai mai vidanti manum akvams agantam. Akvāsas ā vavakant: krudhi avai, kard aghnutai vividvant-svas : manus patis varnām avisāms karnauti svabhjam gharmam vastram avibhjams ka varnā na asti. Tat kukruvants avis agram ā bhugat. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Übersetzung der Fabel Übersetzung mit im Text nicht vorhandenen in eckigen, mit erklärenden Zusätzen in runden Klammern: [Das] Schaf und [die] Pferde. [Ein] Schaf, [auf] welchem Wolle nicht war (ein geschorenes Schaf), sah Pferde, das [einen] schweren Wagen fahrend, das [eine] große Last, das [einen] Menschen schnell tragend. [Das] Schaf sprache [zu den] Pferden: [Das] Herz wird beengt [in] mir (es tut mir sehr leid), sehend [den] Menschen [die] Pferde treibend. [Die] Pferde sprachen: Höre, Schaf, [das] Herz wird beengt [in den] gesehen-Habenden (es tut uns sehr leid, da wir wissen): [der] Mensch, [der] Herr macht [die] Wolle [der] Schafe [zu einem] warmen Kleide [für] sich und [den] Schafen ist nicht Wolle (die Schafe haben aber keine Wolle mehr, sie werden geschoren; es geht ihnen noch schlechter als den Pferden). Dies gehört habend bog (entwich) [das] Schaf [auf das] Feld (es machte sich aus dem Staub). Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Fassung von Hirt (1939:114) Owis ek’wōses-kwe owis, jesmin wьl∂nā ne ēst, dedork’e ek’wons, tom, woghom gwьrum weghontmo , tom, bhorom megam, tom, gh’ьmonmo ōk’u bherontmo. owis ek’womos ewьwekwet: k’ērd aghnutai moi widontei gh’ьmonmo ek’wons ag’ontmo . ek’wōses ewьwekwont: kl’udhi, owei!, k’ērd aghnutai vidontmos: gh’ьmo, potis, wьl∂nām owjôm kwroneuti sebhoi ghwermom westrom; owimos-kwe wьl∂nā ne esti. Tod k’ek’ruwos owis ag’rom ebhuget. (Textcodierung: Western) Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Ausgehend von Wortstämmen, die allen indogermanischen Sprachen gemeinsam sind, wurde weiterhin in Zusammenarbeit mit der Archäologie versucht, das Ursprungsgebiet der Indogermanen zu bestimmen. Dabei wurden sowohl Ostanatolien, Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres oder Südosteuropa vorgeschlagen. Von den zahlreichen Hypothesen über diese Urheimat der Indogermanen, beispielsweise Kurgan-These, Anatolien-These ist keine allgemein akzeptiert. Einige Wissenschaftler stellen den Migrationsmodellen die Konzeption eines ausgedehnten indogermanischen Sprachkontinuums gegenüber. Es ist sogar strittig, ob eine 'Urheimat' überhaupt definiert werden kann, weil schon deren Existenz nicht gesichert werden könne, geschweige denn eine auch nur mehr als vage zeitliche und räumliche Ansetzung möglich sei. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Auch die Methodik der Glottochronologie liefert nur vermeintlich exakte Daten. Sie versucht an Hand einer Testliste von Begriffen, die in möglichst vielen Sprachen vorhanden sind, Verwandtschaftsbeziehungen von Sprachen festzustellen: je größer der Prozentsatz an als verwandt vermuteten Wörtern der Liste, desto enger seien die Sprachen verwandt. Unter der Hypothese einer konstanten Ersetzungsrate (früher für alle Sprachen, heute je Einzelsprache oder gar Einzelwort) wird der Verlust an gemeinsamem Wortbestand in einem belegbaren Zeitraum mit verschiedenen Methoden einfach zurückprojiziert. Daraus ergäbe sich dann automatisch der zeitliche Abstand der Trennung der Schwestersprachen. Kritisiert an dieser Methodik wird v.a. die Überzeugung, dass für die verschiedenen Stufen der Ausgliederung eine absolute Chronologie bestimmt werden könne. Dies gilt auch für die in der Presse stark beachtete Berechnung von Gray/Atkinson von der Universität Auckland (Neuseeland) aus dem Jahr 2003, die mit Computerprogrammen der Bioinformatik arbeitet. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Wahrscheinlich lassen sich sprachliche Rekonstruktionen nur in der Zusammenarbeit von Sprachwissenschaft und Archäologie erarbeiten. Ob die Humangenetik dabei eine Rolle spielen kann, ist umstritten. Populationsgenetiker wie Luigi Cavalli-Sforza versuchen nachzuweisen, dass sich zwischen der genetischen Verwandtschaft auch weit auseinander lebender Bevölkerungsgruppen und sprachlicher Verwandtschaft Parallelen ziehen lassen. Vermutungen zu entfernter Verwandtschaft wurden zu beinahe allen Sprachen der Welt angestellt. Die engste Verwandtschaft wird auf Grund grammatischmorphologischer Gemeinsamkeiten mit den uralischen Sprachen angenommen. Darüber hinaus wird eine lose Verwandtschaft mit unter anderem Afro-Asiatischen Sprachen, sowie mit den altaischen Sprachen angenommen und unter dem Begriff Nostratisch untersucht. Eine überholte Unterteilung der indogermanischen Sprachen erfolgte früher nach dem Zahlwort für „hundert", der erschlossenen Urform *kmtom, siehe Kentumsprachen. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Kentumsprachen Als Kentumsprachen (seltener Centumsprachen) bezeichnete die frühere Indogermanistik eine indogermanische Sprachgruppe der Jungsteinzeit. Alle anderen indogermanischen Sprachen gehören nach dieser Theorie zu den Satem-Sprachen. Heute spielt diese Unterscheidung in der Forschung keine Rolle mehr. Benannt sind die beiden Gruppen nach dem lateinischen bzw. altiranischen Wort für "hundert", die beide aus einem urindogermanischen */dk’mtóm/ entstanden sind. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Ältere Annahme Früher nahm man an, dass sich das Indogermanische - noch bevor die Völker westwärts nach Europa kamen - zuerst in eine Kentumsprache und eine Satem-Sprache geteilt habe. Beim Proto-Indoeuropäischen geht man von der „k“-Aussprache aus. Irgendwann tendierten einige indoeuropäische Sprachen dazu, dieses „k“ zu palatalisieren, also zu einem Zischlaut /s/ bzw. /ʃ/ werden zu lassen, ähnlich, wie dies später in den meisten romanischen Sprachen mit dem lateinischen <c> in centum passierte. Dieser Wandel trat bei den heute östlichen Zweigen wie z. B. den Indoiranische Sprachen ein, zu denen Sanskrit und Persisch gehören. Auch bei den frühen slawischen und baltischen Sprachen sowie dem Albanischen ereignete sich Ähnliches. Andere Sprachen wie die germanischen und die keltischen blieben (wenigstens zunächst) beim ursprünglichen Laut. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Moderne Annahme Die Unterscheidung zwischen Kentum- und Satemsprachen einer Epoche, als die vergleichende Sprachwissenschaft noch allzu sehr in einem sturen Denkschema mit Sprachstammbäumen, die sich ständig verästeln, gefangen war. Dagegen besteht heute Einigkeit, dass die tatsächlichen Verhältnisse viel komplexer waren und insbesondere das Stammbaummodell spätere Beeinflussungen durch Sprachkontakte ignorierte. Außerdem ist nicht zu beweisen, dass der Unterschied zwischen Kentum- und Satemsprachen der am frühesten eingetretene Unterschied zwischen indogermanischen Sprachen ist. Zudem konnte man feststellen, dass in den Satemsprachen einige Wörter existieren, die den bewussten Lautwandel nicht zeigen, sondern noch das ursprüngliche -kaufweisen. Es kann sich aber auch nicht um Lehnwörter aus irgendeiner Kentumsprache handeln. Da die Unterscheidung zwischen Kentum- und Satemsprachen sich also als nicht so grundlegend herausgestellt hat, wie man lange gemeint hatte, spielt sie in der aktuellen Forschung der Indoeuropäistik praktisch keine Rolle mehr. Damit läge bei diesem Begriff ein weiteres Beispiel dafür vor, wie ein Forschungsergebnis zu einer gewissen Zeit über die ursprüngliche Forschergemeinde hinaus populär geworden und dies geblieben ist, während es in der eigentlichen Forschung keine Rolle mehr spielt. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Untergruppen Zu den indogermanischen Sprachen gehören die folgenden Gruppen lebender und ausgestorbener (†) Sprachen: Albanisch Anatolische Sprachen † Armenisch Baltische Sprachen – Ostbaltische Sprachen – Westbaltische Sprachen † Germanische Sprachen – Nordgermanische Sprachen – Ostgermanische Sprachen † – Westgermanische Sprachen Griechisch Illyrisch † Indoiranische Sprachen – Indoarische Sprachen – Iranische Sprachen Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Italische Sprachen – Latino-faliskische Sprachen (mit Latein und den romanischen Sprachen) – Oskisch-umbrische Sprachen † Keltische Sprachen – Festlandkeltische Sprachen † – Inselkeltische Sprachen Phrygisch † Slawische Sprachen – Ostslawische Sprachen – Westslawische Sprachen – Südslawische Sprachen Thrakisch † Tocharisch † Venetisch † Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Slawische Sprachen Übersichtskarte der Slawischen Sprachen Die slawischen Sprachen sind ein Zweig der indogermanischen Sprachen. Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines 2 Überblick über die slawischen Sprachen – 2.1 Tabelle 3 4 5 6 7 8 Ausgestorbene slawische Sprachen Andere slawische Sprachen und Dialekte Charakteristika der slawischen Sprachen Maschinelle Übersetzung zwischen slawischen Sprachen Wörter mit slawischem Ursprung Literatur Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Allgemeines Nach der geltenden wissenschaftlichen Auffassung sind sie aus dem sog. Urslawischen entstanden, dem die älteste slawische Schriftsprache, das Altkirchenslawische (ab dem 9. Jahrhundert), noch sehr nahe stand. Aus dem Altkirchenslawischen entwickelten sich etwa dem 11. Jahrhundert verschiedene Varianten, die man traditionell als Kirchenslawisch bezeichnet. Dabei unterscheidet man zwischen Bulgarisch-Kirchenslawisch (oft auch Mittelbulgarisch genannt), Russisch-Kirchenslawisch, Serbisch-Kirchenslawisch, Kroatisch-Kirchenslawisch und Tschechisch-Kirchenslawisch. Auch in Rumänien war bis in das 19. Jahrhundert eine spezielle Variante des Kirchenslawischen als Kirchensprache in Gebrauch. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Am nächsten steht den slawischen Sprachen der baltische Sprachzweig, was auf die lange Nachbarschaft zurückzuführen ist und darauf, dass sich beide Sprachgruppen aus ähnlichen indogermanischen Dialekten entwickelt haben. Einige Sprachwissenschafter gehen sogar von einer baltisch-slawischen Spracheinheit aus, diese Meinung gilt jedoch als umstritten. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Die folgende Übersicht enthält, gegliedert nach den drei geografischen Untergruppen Ostslawisch, Westslawisch und Südslawisch zunächst die slawischen Standardsprachen und danach die sog. Mikroliteratursprachen -- dieser Ausdruck ist in der Slawistik für Sprachformen üblich, in denen schriftliche Texte verfasst werden, die aber nicht alle Eigenschaften vollgültiger Standardsprachen aufweisen. Innerhalb jedes Abschnitts sind die Sprachen alphabetisch angeordnet. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Überblick über die slawischen Sprachen KURZÜBERBLICK: Westslawische Sprachen: Sorbisch – Niedersorbisch – Obersorbisch Polabisch ausgestorben Polnisch Pomoranisch – Kaschubisch – Slowinzisch ausgestorben Tschechisch – Lachisch Slowakisch Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft ostslawische Sprachen: Russisch Weißrussisch Ukrainisch Karpato-Russinisch Jugoslawo-Russinisch Westpolessisch Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft südslawische Sprachen: Bosnisch Bulgarisch Kroatisch Mazedonisch Slowenisch Serbisch Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Tabelle In der Spalte Verbreitung sind Gebiete, in denen die betreffende Sprache Amtssprache ist, fett und Gebiete, in die die betreffende Sprache erst durch Auswanderungen in jüngerer Zeit gekommen ist, kursiv hervorgehoben. Sprache Verbreitung Sprecher ostslawische Standardsprachen Russisch (русский язык) Russland, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisien, Krim (Ukraine); weitere Länder der ehemaligen Sowjetunion (vor allem Ukraine, Lettland, Estland); USA, Israel, Deutschland, weitere westeuropäische Länder 180.000.000 Ukrainisch (українська мова) Ukraine, Russland, Kasachstan, Moldawien, Polen, Weißrussland, Slowakei, Rumänien, Nordamerika, Argentinien, Kirgisien, Lettland, Westeuropa, Tschechien 47.000.000 Weißrussisch (беларуская мова)Weißrussland, Russland, Ukraine, Polen (in der Umgebung von Białystok), Lettland, Litauen, Kasachstan, USA 8.000.000 Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Mikroliteratursprachen Karpato-Russinisch (Ruthenisch) (руски язик)Karpato-Ukraine (Ukraine, dort aber nicht offiziell anerkannt, sondern als ukrainischer Dialekt betrachtet), nordöstliche Slowakei und angrenzende Gebiete Polens, Emigranten v.a. in Nordamerika 830.000Jugoslawo-Russinisch (BatschkaRussinisch) (бачвански руски язик)Vojvodina (Serbien) und Slawonien (Kroatien) (ursprüngliche Herkunft: Karpato-Ukraine) 23.000Westpolessischim Grenzbereich zwischen der Ukraine und Weißrussland Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft westslawische Standardsprachen Niedersorbisch (dolnoserbska rěc) Niederlausitz (Deutschland) in der Umgebung von Cottbus 12.000 Obersorbisch (hornjoserbska rěč) Oberlausitz (Deutschland) in der Umgebung von Bautzen 55.000 Polnisch (język polski) Polen, Weißrussland, Ukraine, Tschechien, Litauen, Nordamerika, Westeuropa, Brasilien, Australien 50.000.000 Slowakisch (slovenský jazyk) Slowakei, Vojvodina (Serbien), Ungarn, Rumänien, Tschechien, Ukraine, Kroatien, Nordamerika, Australien, Westeuropa 6.000.000 Tschechisch (český jazyk) Tschechien, angrenzende Länder (v.a. Slowakei), Nordamerika, Westeuropa, Australien 12.000.000 westslawische Mikroliteratursprachen Kaschubisch (kaszëbsczi jãzëk)in Polen westlich und südlich von Danzig 50.000 Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft südslawische Standardsprachen Bosnisch (bosanski jezik) Bosnien und Herzegowina, Serbien und Montenegro, Nordamerika Westeuropa 2.000.000 Bulgarisch (български език) Bulgarien, Ukraine, Moldawien, angrenzende Länder, USA, Westeuropa 9.000.000 Mazedonisch (македонски јазик) Mazedonien, angrenzende Länder (v.a. Griechenland, Bulgarien), Westeuropa 2.000.000 Kroatisch (hrvatski jezik) Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Westeuropa 4.800.000 Serbisch (српски језик) Serbien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Westeuropa 10.000.000 Slowenisch (slovenski jezik)Slowenien, südliches Kärnten, Provinzen Triest und Görz (Italien), westliches Ungarn 2.000.000südslawische Mikroliteratursprachen Banater Bulgarisch (bâlgarsći jazič) Banat (Rumänien) 18.000 Burgenlandkroatisch (gradišćansko-hrvatski jezik)Burgenland (Österreich) 19.000 MolisekroatischMolise (Italien) 2.500 Resianisch (rozojanski lengač)Resia-Tal in der Provinz Udine (Italien) 19.000 Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Charakteristika der slawischen Sprachen Die slawischen Sprachen gelten als für Westeuropäer und insbesondere Deutsche schwer erlernbar. Diese Meinung beruht nicht nur auf Erfahrungen von Ausländern, die eine slawische Sprache lernen wollten, sondern auch auf dem Widerstand gegen das (z.B. nach 1945 in der DDR) oktroyierte Russische und auf Meinungen von Slawen über die schwere Erlernbarkeit ihrer Sprachen (auf die sie ausdrücklich stolz sind). Objektiv zu beschreiben sind die folgenden Faktoren, die sich jedoch nicht bei allen slawischen Sprachen in gleicher Weise auswirken: für manche slawischen Sprachen (vor allem Russisch, Polnisch, Bulgarisch) sind weiche bzw. palatalisierte Konsonanten charakteristisch, deren Aussprache Ausländern Schwierigkeiten bereitet als typisch slawisch gelten Konsonantengruppen, die aber vor allem in den Sprachen vorkommen, in denen r und/oder l an Stelle von Vokalen gebraucht werden können (Tschechisch, Slowakisch, Kroatisch, Serbisch, Bosnisch), Bsp.: č. Strč prst skrz krk, vlk. man sagt den slawischen Sprachen, die zu den flektierenden Sprachen gehören, einen großen "Formenreichtum" nach; in der Tat haben die meisten slawischen Sprachen sechs oder sieben Kasus, Bulgarisch und Mazedonisch jedoch keine, manche ein reicheres Tempussystem (so die sorbischen Sprachen, das Kroatische, das Serbische, das Bulgarische und das Mazedonische) usw. als schwer erlernbar gilt der in allen slawischen Sprachen vorkommende Verbalaspekt. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Vom Urslavischen zum Kirchenslavischen Urheimat der Slaven (UdS): nördlich der Karpaten, laut der klassischen Theorie L. Niederles (1902; 1923; 1953) erstreckte sich die UdS von den Flüssen Weichsel, W von Bug und Pripjet (pripjat‘) bis zum Mittellauf des Dnjepr, zum Oberlauf von S Bug und Dnjestr (d.h., sie umfasste Ostpolen, Südweißrussland, einen Teil der Ukraine); T. Lehr-Spławiński (1946) verschiebt die Urheimat stark westwärts: Mittellauf der Elbe bis auf das Gebiet Wolhyniens (SW Ukraine), im NO bis zur Weichsel. Hydronymie: J. Udolph (1979) Nordhang der Karpaten, etwa zwischen Zakopane im W und der Bukowina im O. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Gliederung der slavischen Sprachen und älteste Schriftsprachen der Slaven Aksl. i. J. 863 zur ältesten slav. Schriftsprache erhoben 2. Die tsch. SSpr. 14. Jh. 3. Die sloven. SSpr. 16. Jh. 4. Die Maked. SSpr. i. J. 1944-1945 5. Die bisher übliche klassische wiss. Einteilung beruht vor allem auf historisch-phonolog. bzw. morpholog. Kriterien: Lautlehre (Phonologie): ursl. Lautgruppen *tj/kt', dj : *světja „Kerze“ / *năktь „Nacht“, *medja „Rain, Grenze“: Dreiteilung (Trichotomie) 1) Südslav.: Bulg., Mak., Skr., Sloven. unterschiedl. Reflexe: свещ, нощ, межда (bulg.); 1. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft mak. свеќа, ноќ, меѓа; skr. sv(ij)eća/noć ; međa; sloven. sveča, noč, meja // 2. Westslav.: Tsch., Slovak., Ober-, Niedersorb., Poln.: c, z (poln. dz): tsch. svíce, noc, mez (poln. miedza) // 3. Ostslav.: Ukr., Wßr., Russ. – č, ž: свеча, ночь, межа (ukr. свiча, нiч, ночi, межа aber: ходжу ‚ich gehe‘; wrß. свеча, ноч, межа). Zum Westl. gehören die ausgestorbenen Sprachen Polab. und Ostseeslav. (Pomor.), die nie zur Stufe einer SSpr. erhoben wurden, vgl.: polab. svec‘a/nüc, miʒ‘a; kasch. sv’ėca/noc, m’eʒa. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Urslavisch: Entwicklungsstufe und Vorstufe der slavischen Sprachen. Zeit: von der Ausgliederung aus der baltisch-slav. Sprachgemeinschaft (2.-1. Jahrtausend v. Chr.) bis zu den Anfängen der mehr oder weniger selbständigen Entwicklung der slav. Einzelsprachen (Ende 10. Jh. n.Chr.) Gemeinslavisch: Periode kurz vor der Ausgliederung in die einzelnen slav. Sprachen; sie zeichnet sich durch dialektalen Zerfall in die drei Gruppen: ost-, west- und südslav. Spr. (spätestens seit 800 n.Chr. Karl d. Gr. > ostsl. korol‘, westsl. Krol > poln. król, südslav. kral(j), tsch. král „König“) aus. [vgl. Liquidametathese]. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Das Vokalsystem des Urslavischen – Gemeinslav. vordere hintere vordere hintere ī ĭ ǖ ü i ь y ъ e ě o a ĕ ē ă ā Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Vokalquantität: kurze und lange Vokale (wie heute im Tschech.: dráha „die Bahn“ : drahá „teuer“ Adj.fem. Nom.Sg.) Akzent: frei und beweglich (wie heute im Russ.: жен'а : жен'ы : ж'ёны (NSg. : GSg. : NPl.)), um grammatische Formen zu unterscheiden oder um lexikalische Bedeutung zu unterscheiden: мук'а «Mehl» // м'ука «Qual» з'амок „Schloss (chateau)“ // за'мок „Schloss (Verschluss)“ Intonation: vier Intionationen wie im Sbkr.: kurzsteigend, langsteigend, kurzfallend und langfallend: Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Intonation und Quantität (Tonsilben) Intonationen Quantitäten kurz fallend steigend “ ̀ ̀ lang ˆ ́ Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Silbenharmonie (Palatalisation) I. und II. Palatalisation Gesetz der offenen Silben (TSS) = Liquidametathese: tart/talt, tert/telt > Südslav., Tsch./Slk.: trat/tlat, trět tlět Lechit. (Poln., Pomor., Kasch.) + Sorb.: trot/tlot, tret/tlet Ostslav.: Vollaut (Pleophonie, Polnoglasie). Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft 1. Silbenharmonie: 1., 2. u. 3. Palatalisation Die Silbenharmonie kommt zum Tragen in der Abfolge: velarer Konsonant + palataler (vorderer) Sonant/Vokal (vordere Vokale sind ь, i, e, ě, ę) sowie der Gleitlaut j 1. (urslav.) Palatalisation: k, g, ch + ь, i, e, ě, ę > k‘, g‘, ch‘ > č, ž, š: Belege: V.Sg. (o-Stämme) *rake, * Boge, dauche > rače, Bože duše. kj, gj, chj > č, ž, š: Belege: *bikj- > bičь ‚Geißel‘, *mangj- > manžь (aksl. mąžь) ‚Mann‘, *pěchjь > pěšь ‚zu Fuß gehend‘ Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft 2. (gemeinslav.) Palatalisation: k, g, ch + ai, oi, ei > (ě2 i2) > k', g', ch' > c, (d)z, s (š) Belege: *kaina, *nagai, *sachai > cěna, nodzě (poln. nodze, tsch. noze), westsl. soše, sonst sosě DLSg. der a-Stämme; im Russ. wurde die 2. Palat. wieder rückgängig gemacht, vgl. tsch. ruka : ruce, noha : noze // russ. нога : ноге, рука : руке (aruss. rącě, nozě) 3. progressive Palatalisation: ь, i + velarer Konsonant (= k, g, ch) + a > c, (d)z, s (š) Belege: *avьka > ovьca ‚Schaf‘, *kЪninga > aksl. kЪnędzь ‚Fürst‘ zu got./urgerm. kuningaz, russ. князь ,Fürst‘, tsch. kněz ‚Pfarrer‘; *vьcha > russ. вся, все, sbkr. sve < vьse // wesl. vše, wšo, wszystko Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Belege für die Liquidametathese (TSS): *tart > grad, hrad grod *talt > glava, hlava głowa golova *tert > brěgъ brzeg bereg *telt > mlěko mleko meleko> moloko gorod Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Literatur Trautmann, Reinhold: Die slavischen Völker und Sprachen. Eine Einführung in die Slavistik. Leipzig 1948 (alt, aber immer noch gut) ' Rehder, Peter (Hrsg.): Einführung in die slavischen Sprachen. Darmstadt 1998(3). Comrie, Bernard: The Slavonic languages. London 1993. Von "http://de.wikipedia.org/wiki/Slawische_Sprachen" Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Russische Sprache Bedeutung, Struktur Die russische Sprache gehört neben Weißrussisch und Ukrainisch zum östlichen Zweig der slawischen Sprachen. Sie ist Erstsprache für etwa 150 Millionen Sprecher und Zweitsprache für ca. 42 Mio. Sprecher der nichtrussischen Bevölkerung auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Einstmals die Lingua franca des Russischen Reiches und der Sowjetunion, wird sie heute immer noch als zweite Sprache auch in den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken verwendet. Es gibt drei Dialektgruppen des Russischen: Nordrussisch, Südrussisch und Mittelrussisch, wobei Mittelrussisch eine Übergangsgruppe zwischen Nordrussisch und Südrussisch ist. Hochrussisch basiert auf dem in Moskau gesprochenen Mittelrussisch. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Russische Sprache Die russische Sprache wird im kyrillischen Alphabet geschrieben. Die Rechtschreibung folgt im Wesentlichen der Aussprache, die Ausspracheregeln sind einfach und nicht sehr zahlreich. Das russ. Alphabet ist phonemographisch und weist 31 kyrillische Buchstaben und zwei Zeichen, das sog. ‚harte‘ ъ und das ‚weiche‘ ь, auf: Аа (a), Бб (b), Вв (v), Гг (g), Дд (d), Ее (je), Ëё (jo), Жж (ž), Зз (z), Ии (i), Йй (j), Кк (k), Лл (l), Мм (m), Нн (n), Оо (o), Пп (p), Рр (r), Сс (s), Тт (t), Уу (u), Фф (f), Хх (ch), Цц (c), Чч (č), Шш (š), Щщ (šč), Ъъ (") Ыы (y), Ьь (' ), Ээ (ė), Юю (ju), Яя (ja). Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Das russ. Vokalsystem: Lage der Zunge Vertikal hoch Mittel Tief horizontal vordere mittlere /i/ hintere /u/ /e/ /o/ /a/ Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Das russische Konsonantensystem Artikulationsart Plosive sth. stl. Nasale sth. stl. Frikative sth. stl. Affrikaten sth. stl. Laterale sth stl. Vibranten sth. stl. Artikulationsstelle Bilabiale Labiodentale Alvelo-dentale Palato-alveolare Palatale Velare P. V. P. V. /b‘/ /b/ /p‘/ /p/ /m‘/ /m/ /v‘/ /f‘/ /v/ /f/ P. V. P. /d‘/ /d/ /n‘/ /n/ /z‘/ /s‘/ /z/ /s/ /l‘/ /c/ /l/. /r‘/ /r/ V. P. V. P. V. /g‘/ /g/ /k‘/ /k/ /ž/ / š/ /č '/ /j/ /x‘/ /x/ Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Im Russischen gibt es weder unbestimmte noch bestimmte Artikel. Es gibt drei grammatische Geschlechter (Maskulinum, Femininum und Neutrum) und sechs Fälle (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Instrumentalis und Präpositiv). Im Numerus unterscheidet man Singular (Einzahl) und Plural (Mehrzahl). Adjektive stimmen in Genus, Kasus und Numerus mit den Substantiven überein. Das Verb kommt in den Tempora Präsens, Präteritum und Futur vor. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Aufgrund des ausgeprägten Flexionssystems – ähnlich dem Lateinischen - ist die Wortstellung im Russischen (naturgemäß!) relativ frei. Der russische Wortschatz zeichnet sich durch große Wortfamilien aus, die mittels verschiedener Vorsilben und Endungen aus demselben Stamm abgeleitet werden. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Geschichte der russischen Sprache Bis zum 14. Jahrhundert wird das Altostslawische als gemeinsame Grundlage für das Russische, Ukrainische und Weißrussische angenommen. Die ersten schriftlichen Zeugnisse in russischer Sprache gehen auf das Ende des 10. Jahrhunderts zurück, nachdem die slawischen Völker zum Christentum übergetreten waren. Als Literatursprache wurde das Altkirchenslawische (auch Altbulgarisch oder Altslawisch) verwendet, das die Missionare ins Land gebracht hatten, und das den Ostslawen unmittelbar verständlich war. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Im Laufe der Zeit wuchsen jedoch die Unterschiede zwischen der gesprochenen altrussischen und der geschriebenen Sprache, da die gesprochene Sprache einige Vereinfachungen auf phonologischer (lautlicher) und morphologischer (in der Wortbildung) Ebene durchlief. Altkirchenslawisch wurde bis Ende des 17. Jahrhunderts als Literatursprache verwendet. Nur in Verwaltungs- und Gerichtsschriften war die Schriftsprache vollkommen frei von altkirchenslawischen Einflüssen. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Die Verweltlichung und Verwestlichung der Kultur in der Regierungszeit Peters des Großen im 18. Jahrhundert (die so genannte „Europäisierung Russlands”) verursachte einschneidende Veränderungen im Bereich der Sprache. Die alte Schriftsprache, sowohl das liturgische Altkirchenslawisch als auch die weltliche Verwaltungssprache, war nicht in der Lage, die vielen wissenschaftlichen, technischen, kulturellen und politischen Vorstellungen zu transportieren, die ins Land kamen. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Nach der Reformierung des russischen Schriftsystems durch Peter den Großen schwand der Einfluß des Griechischen, Polnischen und Kirchenslawischen auf die russische Sprache. Im Jahr 1708 wurde das erste Buch in der neuen russischen Schrift gedruckt. Das Russische weist seit dem 18. Jahrhundert viele Lehnwörter aus dem Niederländischen, Deutschen, Französischen, Englischen und Italienischen auf. Viele Vertreter der russischen Oberschicht orientierten sich an westlicher, vor allem französischer Kultur. Daneben entwickelte sich eine Schriftsprache, die eine regelrechte Stilmischung aus dem Altkirchenslawisch, der Umgangssprache und kürzlich entlehnten, westlichen Sprachelementen war. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Erste Versuche, die Trennung zwischen den unterschiedlichen Sprachformen zu überwinden, unternahm Nikolaj M. Karamsin Ende des 18. Jahrhunderts. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte sich mit dem Werk Aleksandr S. Puschkins eine Literatursprache, die als einheitliche Norm der russischen Schriftsprache anerkannt wurde, und die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den gegenwärtigen Entwicklungsstand erreichte. Quelle: MS Encarta Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Die polnische Sprache gehört zu der westslawischen Gruppe der indoeuropäischen Sprachen. Ihre Entwicklung begann - wie sämtlicher slawischer Sprachen - im 10 Jh. nach Chr. Das Lautsystem setzt sich aus fünf Vokalen und 35 Konsonanten zusammen, die in einem an das Polnische angepaßten lateinischen Alphabet wiedergegeben werden. Sprachlaute, die im lateinischen Alphabet über kein entsprechendes Zeichen (Graphem) verfügen, werden durch Doppelgrapheme wie sz und cz (die mit dem deutschen sch und tsch vergleichbar sind) und durch aus dem Tschechischen kommende diakritische Zeichen wie ż und ś (die dem zh und einem weichen sch ähneln) gekennzeichnet. Eine Besonderheit des Polnischen ist das ł (vergleichbar mit dem englischen w). Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Die polnische Sprache ist flektierbar, hat sieben Fälle, zwei Numeri, drei Artangaben (Genus) im Singular und zwei im Plural. Auch die Verben sind stark flektierbar: Es werden die Kategorien der Person, der Tempora, der Modi, der Genera und der Aspekte angewandt. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Die polnische Sprache weist noch – wie z.B. das Französische - nasalierte Vokale auf (ą und ę), was unter den slawischen Sprachen sonst nicht vorkommt. Im Lauf seiner Entwicklung ging im Polnischen die Unterscheidung von langen und kurzen Vokalen verloren. Die Betonung fällt auf die vorletzte Silbe– in den anderen slawischen Sprachen ist der Wortakzent beweglich. Der Singular hat drei Genera, maskulin, feminin und neutrum; im Plural kommt eine neue Subkategorie hinzu, die auf männliche Personen beschränkt ist und von einer allgemeinen Pluralform für sonstiges Belebtes und Unbelebtes unterschieden wird. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Polnisch verfügt über ein gut ausgebautes Formensystem und hat das altslawische Kasussystem bewahrt: sechs Kasus für Nomen, Pronomen und Adjektive und ein siebter Kasus, der Vokativ (der in der direkten Anrede gebraucht wird) für Nomen und Pronomen. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Verben werden nach Person, Numerus und Genus flektiert. Das Tempussystem hat eine Vereinfachung erfahren, indem drei alte Tempora (Aorist, Imperfekt und Plusquamperfekt) aufgegeben wurden. Das sog. Slawische Perfekt ist die einzige Vergangenheitsform, die in der Alltagss prache gebraucht wird. Das Polnische hat eine sehr freie Wortstellung. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Etwas überspitzt könnte man sagen: In der polnischen Grammatik und Interpunktion gelten sehr viele Regeln und doppelt so viel Ausnahmen Sicherlich ist dies einer der Gründe, warum Polnisch zu den weltweit schwierigsten Sprachen zählt. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Tschechische Sprache Die tschechische Sprache wird von den meisten Bewohnern der Tschechischen Republik gesprochen (10 Mio). Sie wird in lateinischen Buchstaben geschrieben und zählt neben Slowakisch, Polnisch und Sorbisch zum westlichen Zweig der slawischen Sprachen. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Slowakisch, die Sprache der Slowakei, besitzt große Ähnlichkeit mit dem Tschechischen. Zwischen Slowaken und Tschechen gibt es keine Verständigungsschwierigkeiten. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Sowohl die Tschechen als auch die Slowaken gebrauchten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die tschechische Schriftsprache. Von diesem Zeitpunkt an wurde eine eigenständige slowakische Schriftsprache entwickelt, die auf einem mittelslowakischen Dialekt beruht. Im heutigen Gebrauch weisen die beiden Sprachen nur geringfügige phonetische und syntaktische Unterschiede auf. Das Slowakische hat einen etwas älteren Lautstand, während das Tschechische ein älteres Flexionssystem benutzt. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Das Tschechische unterscheidet sich von anderen slawischen Sprachen durch ein besonderes Intonationsmuster im Satz, die Betonung der Wörter auf der ersten Silbe, das Fehlen von Elisionen (Lautauslassungen aus Gründen des Wohlklangs), den Gebrauch des lateinischen statt des kyrillischen Alphabets, die ungewöhnlich freie Wortstellung und die Häufigkeit des stimmhaften r und l. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Bis zum 11. Jahrhundert schrieben die Tschechen in Kirchenslawisch, der ersten slawischen Schriftsprache, die von Kyrill für die Missionierung von Großmähren (die heutige Slowakei und die östlichen Gebiete Tschechiens) entwickelt wurde. Im 11. Jahrhundert fanden zwei wichtige Einschnitte in der Geschichte der tschechischen Sprache statt: In Böhmen, Mähren und der Slowakei ersetzte das Lateinische das Kirchenslawische in Liturgie und Literatur, und die regionalen slawischen Dialekte entwickelten sich zu eigenständigen Sprachen. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Nach Hunderten von Jahren, in denen das Tschechische geringschätzig als Bauernsprache galt, standardisierte der böhmische Kirchenreformer Jan Hus im 14. Jahrhundert die tschechische Orthographie. Seine Stellung als Nationalheld verhalf der bäuerlichen Mundart, die er gebrauchte, zu neuer Bedeutung. Hus’ Werk wurde im 15. und 16. Jahrhundert von der Brüdergemeinde, einer protestantischen Sekte, die später unter dem Namen Böhmische Brüder bekannt wurde, vertieft und weiterentwickelt. Die Schriften dieser Sekte stabilisierten die tschechische Sprache und bestimmten ihre Zukunft als Schriftsprache. 1593 wurde die tschechische Bibelübersetzung zum allgemeinen Sprachstandard. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Abgesehen vom Anwachsen des Wortschatzes haben sich das Tschechische und das Slowakische seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr einschneidend verändert. Das moderne Tschechisch verfügt bei den Hauptwörtern über sieben Fälle, bei den Verben über drei Personen, drei Zeiten (Vergangenheit, Präsens und Futur) und drei Modi (Indikativ, Imperativ und Konjunktiv). Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Wichtige Persönlichkeiten der Linguistik des 20./21. Jahrhunderts Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Noam Chomsky Noam Chomsky beim Weltsozialforum 2003 Avram Noam Chomsky (* 7. Dezember 1928 in Philadelphia, Pennsylvania, USA) ist Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er entwickelte die nach ihm benannte Chomsky-Hierarchie, seine Beiträge zur allgemeinen Sprachwissenschaft förderten den Niedergang des Behaviorismus und den Aufstieg der Kognitionswissenschaft. Neben seiner linguistischen Arbeit gilt Chomsky als einer der bedeutendsten Intellektuellen Nordamerikas und ist als scharfer Kritiker der US-amerikanischen Außenpolitik bekannt. Seine politische Heimat ist der Anarchosyndikalismus. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft 2 Wirkung – 2.1 Beiträge zur Linguistik 2.1.1 Generative Grammatik 2.1.2 Chomsky-Hierarchie 2.1.3 Kritik an Chomskys Linguistik – 2.2 Beiträge zur Psychologie 3 4 5 6 Auszeichnungen Rezeption in Deutschland Original-Zitate (übersetzt) Literatur – 6.1 Linguistik – 6.2 Politische Werke – 6.3 Über Chomsky 7 Filme 8 Weblinks 9 Siehe auch Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft Leben Chomsky wurde am 7. Dezember 1928 in Philadelphia (Pennsylvania, USA) als Sohn des jüdischen Gelehrten William Chomsky geboren. Im Jahr 1945 begann er, an der University of Pennsylvania Philosophie und Linguistik zu studieren. Zu seinen Lehrern zählten der Sprachwissenschaftler Zellig Harris und der Philosoph Nelson Goodman. Chomskys anarchistische Überzeugungen bildeten sich schon in den 1940er Jahren heraus. Von großer Bedeutung war dabei die Auseinandersetzung mit den anarchistischen Experimenten während des Spanischen Bürgerkriegs. Chomsky hatte in dieser Zeit auch Kontakte zu zionistischen Organisationen. Anfang der 1950er Jahre studierte er einige Jahre an der Harvard University, bis er 1955 an der Universität von Pennsylvania in Linguistik promovierte. In seiner Doktorarbeit The Logical Structure of Linguistic Theory begann er bereits damit, einige der Ideen zu entwickeln, die er 1957 in seinem Buch Syntactic Structures, einem der bekanntesten Werke der Linguistik, ausarbeitete. Nach der Verleihung der Doktorwürde lehrte Chomsky zunächst als Assistenzprofessor, seit 1961 als ordentlicher Professor für Linguistik und Philosophie am Massachusetts Institute of Technology. In den 1960er Jahren wurden seine revolutionären linguistischen Arbeiten weltweit anerkannt, seither gilt er als einer der wichtigsten Theoretiker auf diesem Gebiet. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft In dieser Zeit begann Chomsky, sich in der Öffentlichkeit deutlicher politisch zu artikulieren. Seit 1964 protestierte er gegen das Eingreifen der USA in Vietnam. 1969 veröffentlichte er "Amerika und die neuen Mandarine", eine Sammlung von Aufsätzen über den Vietnamkrieg. Ebenso deutlich bezog Chomsky Stellung gegen die US-amerikanische Politik in Kuba, Haiti, Ost-Timor, Nicaragua, im Palästinakonflikt und gegenüber den "Schurkenstaaten" sowie zum Golf- und Kosovokrieg, zur Frage der Menschenrechte, zu Globalisierung und neoliberaler Weltordnung. Heute ist er, neben seiner weiter unbestrittenen Bedeutung für die Linguistik, zu einem der bedeutendsten Kritiker der US-Außenpolitik, der politischen Weltordnung und der Macht der Massenmedien geworden. Einführung in die Slavische Sprachwissenschaft In der "New York Times Book Review" wurde Chomsky einmal als der "wichtigste Intellektuelle der Gegenwart" bezeichnet. Noam Chomsky hierzu: "Das Zitat wurde von einem Verlagshaus veröffentlicht. Doch da sollte man immer sehr genau lesen: Wenn man nämlich das Original nachschaut, dann heißt es weiter: 'wenn dies der Fall ist, wie kann er dann solchen Unsinn über die amerikanische Außenpolitik schreiben?' Diesen Zusatz zitiert man nie. Aber um ehrlich zu sein: Gäbe es ihn nicht, würde ich glauben, ich mache etwas falsch." Noam Chomsky gilt in Hinblick auf sein politisches Schrifttum als der "meistzitierte Außenseiter der Welt". Er wird als einer der Vorsprecher und Vordenker der Antiglobalisierungsbewegung angesehen. Nach dem 11. September 2001 postulierte Noam Chomsky in einer Reihe von Interviews sinngemäß, dass Osama Bin Laden gleichsam in Vertretung der Dritten Welt das Zentrum des internationalen Kapitalismus und der Globalisierung angegriffen habe, während die USA nach seiner Darstellung in Afghanistan zu einem Genozid ansetzten. Kritiker hingegen werfen ihm ein schlichtes Weltbild vor, das nur die Farben Schwarz und Weiß, nur Druck und Gegendruck kenne und demzufolge die USA und Israel stets Unrecht, die Befreiungsbewegungen der Erde stets Recht hätten.