Dipl.-Psych Tobias Hayer Institut für Psychologie und Kognitionsforschung Einführung in die Psychologie der Aggression Universität Bremen FB 11 – Studiengang Psychologie Aggression Alltagsdefinitionen 1 „Ein Lehrer gibt einem Schüler in einer Hausarbeit eine schlechte Note, weil er während des Unterrichts häufig und penetrant stört“ . Ja: 29 (71%) Nein: 12 (29%) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Alltagsdefinitionen 2 „Während eines Zahnarztbesuchs wird bei einem schmerzempfindlichen Patienten ohne Narkose gebohrt, was zu extremen Schmerzempfinden führt und eine zweiwöchige Krankschreibung nach sich zieht“. Ja: 11 (27%) Nein: 30 (73%) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Alltagsdefinitionen 3 „Ein Mitarbeiter der Universität verlangt in dominanter Weise eine Gehaltserhöhung und bringt mit eindeutigen Worten zum Ausdruck, dass er bei Nicht-Erfüllung seiner Forderung kündigen wird“. Ja: 21 (51%) Nein: 20 (49%) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Alltagsdefinitionen 4 „Eine Frau erzählt über ihre Nachbarin, sie sei Alkoholikerin – was jedoch unbegründet ist“. Ja: 30 (73%) Nein: 11 (27%) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Alltagsdefinitionen 5 „Ein Boxer schlägt in einem Ringkampf seinen Gegner k.o., der daraufhin an einer Hirnblutung verstirbt“. Ja: 19 (46%) Nein: 22 (54%) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Alltagsdefinitionen 6 „Seit geraumer Zeit bekommt Joana diverse Nachrichten per SMS wie ‚Fette Sau, die Turnhalle ist bald zu klein für Dich!‘ Oder ‚Du fette Sau wirst bald geschlachtet‘. Schließlich erhält sie sogar nachts Nachrichten zugeschickt, und an einem Tag manchmal bis zu zehn“. Ja: 41 (100%) Nein: 0 (0%) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Der Versuch einer Begriffsbestimmung 1 • Aggression = aggression (engl.); aggredior/aggredi (lat.) herangehen, auf jemanden oder etwas zugehen • Aggression beschreibt spezifische Verhaltensausschnitte • Aggressives Verhalten impliziert mindestens zwei Protagonisten/Rollen („Täter“)(„Opfer“) • Die Definitionskriterien aggressives Verhaltens verweisen auf subjektive Deutungen eines Sachverhalts (⇨ Beobachtungs- und Beurteilungsprädikat; keine eindeutig quantifizierbare Größe bzw. keine feste Klasse an aggressiven Verhaltensweisen) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Der Versuch einer Begriffsbestimmung 2 • Es existieren über 200 unterschiedliche Definitionen aggressiven Verhaltens (enge Definition) • Gemeinsamkeiten (I) Verhalten mit Schädigungsabsicht (Intention/Gerichtetheit) (II) Verhalten wird vom Opfer als verletzend empfunden (Schaden) (III) Normabweichung das Konstrukt der Aggression kann folgendes umfassen (A) verschiedene Erscheinungsformen (z.B. jemanden Schlagen) (B) aggressionsaffine Emotionen (z.B. Wut, Zorn, Ärger, Hass) (C) best. Einstellungen oder Absichten (motivationale Ebene: z.B. Feindseligkeit, Rache, Vergeltung) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Der Versuch einer Begriffsbestimmung 3 • weite Definition = jede gerichtete, offensive Aktivität (wird zumeist als wertneutral oder sogar positiv wertend aufgefasst) z.B. „wir haben heute den Gegner aggressiv unter Druck gesetzt“ • enge Definition = schädigendes (verletzendes, zerstörendes) Angriffsverhalten, was in der Regel als negativ bewertet wird z.B. Treten, Schubsen, Schlagen, Würgen (physisch) z.B. Beschimpfen Drohen, Spotten, Hetzen (verbal) z.B. Gerüchte verbreiten, jemanden Ausgrenzen (relational) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Der Versuch einer Begriffsbestimmung 4 „Human aggression is any behavior directed toward another individual that is carried out with the proximate (immediate) intent to cause harm. In addition, the perpetrator must believe that the behavior will harm the target, and the target is motivated to avoid the behavior“ (Anderson & Bushman, 2002, p. 28) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Der Versuch einer Begriffsbestimmung 5 „Als Aggression soll solches Verhalten bezeichnet werden, bei dem schädigende Reize gegen einen Organismus (oder ein Organismussurrogat) ausgeteilt werden. Dieses Verhalten muß als gerichtet interpretiert werden (vom Wissenschaftler, nicht vom Opfer und nicht vom Täter)“ (Selg, Mees & Berg, 1997, S. 7) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Abgrenzung zu verwandten Konstrukten 1 Aggressivität Persönlichkeitsdimension: „jemand ist aggressiv“ (Form, Intensität, Häufigkeit, Kontext,...) relativ überdauernde Persönlichkeitseigenschaft individuelle Ausprägung des Merkmals „Aggressionsbereitschaft“ Gewalt strukturell vs. personale (nach Galtung, 1975) personale Gewalt meint erhebliche, direkte, böswillige Destruktionen zwischen Individuen (insbesondere körperliche Schädigungen oder deren Androhung) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Abgrenzung zu verwandten Konstrukten 2 Mobbing/Bullying (a) spezielles Muster aggressiven Handelns; (b) passiert im Rahmen eines asymmetrischen physischen und/oder psychischen Kräfteverhältnisses; (c) erfolgt wiederholt und über einen längeren Zeitraum sowie (d) in einem gegebenen sozialen Kontext (Schule, Arbeitsplatz) und (e) kann sich in heterogenen Verhaltensweisen ausdrücken Viktimisierung Prozess der Opferwerdung (primär, sekundär, tertiär) eigenständiger, interdisziplinärer Forschungszweig) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Erscheinungsformen – Taxonomien 1 feindselig mit dem Ziel, einer Person direkt Schaden zuzufügen versus instrumentell mit dem Ziel, indirekt etwas Bestimmtes zu erreichen offen direkt, eher impulsiv und unkontrolliert versus verdeckt indirekt, eher kontrolliert Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Erscheinungsformen – Taxonomien 2 reaktiv als Reaktion auf eine wahrgenommene Bedrohung/Provokation versus aktiv zielgerichtet ausgeführt, um etwas Bestimmtes zu erreichen affektiv unkontrolliert, ungeplant, impulsiv versus räuberisch kontrolliert, zielorientiert, geplant, versteckt Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Erscheinungsformen – Taxonomien 3 indirekt mittelbare Schädigung versus direkt unmittelbare personale Aggression physisch versus psychisch gegen Personen versus gegen Objekte nach außen gewandt versus nach innen gewandt individuell versus kollektiv Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Ein allgemeines Aggressionsmodell 1 Inputs: personale Faktoren z.B. genetische Prädisposition, Einstellungen, Eigenschaften Inputs: Situationsbedingungen z.B. anwesende Personen, Schlüsselreize, Lärm, Hitze, Dichte, Schmerzen, Anreize Routes: Informationsverarbeitung/aktuelle innere Prozesse z.B. selektive Wahrnehmnung, Gedanken, Gefühle Outcomes: Entscheidungsprozesse und Verhalten z.B. geplantes Vorgehen, impulsives Handeln soziale Interaktion z.B. Reaktion des Umfeldes, Effektivität des Handelns, Entwicklung von Skripts (Ereignis-Schemata) Dipl.-Psych. Tobias Hayer Aggression Populäre Mythen – Eine Auswahl Geschlechtsunterschiede im aggressiven Verhalten: Männer (Jungen) > Frauen (Mädchen)?! Täter kompensieren einen negativen Selbstwert/haben soziale Defizite/sind abgestumpfte Individuen?! Katharsis-/Ventil-Hypothese: Das Abreagieren oder Ausleben von bestimmten angestauten Impulsen ist ein anzustrebendes Mittel der Prävention aggressiven Verhaltens?! Dipl.-Psych. Tobias Hayer