Geschichte der Semasiologie Teil 1 Historische Rekonstruktion [X] ‘Y‘ / [sø:] sore ‘wund‘ \ [ze:r] sehr ‘INTENS. ‘sehr‘ Apollonius Dyskolos “Jedes Wort muss von zwei Gesichtspunkten eingeschätzt werden: bezüglich seines gedanklichen Inhalts und bezüglich seiner lautlichen Form.” Aristoteles • principals: Wörter, die eine selbständige Bedeutung haben • accessories: Wörter, die nur im Zusammenhang der Rede eine Bedeutung gewinnen Cicero; Pejoration Stufe I: [perduellis] ‘Feind’ [hostis] ‘Auswärtiger’ Cicero; Pejoration Stufe I: Stufe II [perduellis] ‘Feind’ [hostis] [hostis] ‘Auswärtiger’ [peregrinus] ‘Auswärtiger’ ‘Feind’ Cicero; Pejoration Was determiniert den [hostis] Bedeutungswandel? ‘Auswärtiger’ | 1. Intention des Sprechers? \|/ [hostis] ‘Feind’ Cicero; Pejoration 1. Intention des Sprechers? ] ‘Feind’ [ ? Cicero; Pejoration 1. Intention des Sprechers? 2. {[perduellis] ‘Feind’} ] ‘Feind’ [ ? {[hostis] ‘Auswärtiger’} {[X] } {[Y] } Cicero; Pejoration 1. Intention des Sprechers? 2. {[perduellis] ‘Feind’} ] ‘Feind’ [ ? {[hostis] ‘Auswärtiger’} {[X] } {[Y] } Cicero; Pejoration 1. Intention des Sprechers? 2. {[perduellis] ‘Feind’} [hostis] ‘Feind’ {[X] } {[Y] } Cicero; Pejoration Was determiniert den [hostis] Bedeutungswandel? ‘Auswärtiger’ | 1. Intention des Sprechers? 2. Hörerbasiert? \|/ [hostis] ‘Feind’ Cicero; Pejoration Sprecher: [hostis] ‘Auswärtiger’ / Intention Cicero; Pejoration Sprecher: [hostis] ‘Auswärtiger’ / Intention Hörer: [hostis] ? Cicero; Pejoration Sprecher: [hostis] ‘Auswärtiger’ / Intention Hörer: [hostis] ‘Feind’ Karl Reisig (1825) Forderung, man müsse in den Wörterbüchern die verschiedenen Bedeutungen der Wörter in ihrer inneren Ordnung angeben, d.h. geordnet nach ihrer historischen Entwicklung. Karl Reisig (1825) Forderung, man müsse in den Wörterbüchern die verschiedenen Bedeutungen der Wörter in ihrer inneren Ordnung angeben, d.h. geordnet nach ihrer historischen Entwicklung. • “Semasiologie”: Untersuchung der Grundsätze, die bei der Entwicklung von Bedeutung gelten. Karl Reisig (1825) I. klassische Rhetorik: II. 1. Synekdoche • • pars pro toto Ein Teil für das Ganze totum pro parte das Ganze für einen Teil Karl Reisig (1825) 1. Synekdoche pars pro toto Ein Teil für das Ganze totum pro parte das Ganze für einen Teil Komm unter mein Dach [Dach = Haus] seine Brötchen verdienen [Brötchen = Lebensunterhalt] Karl Reisig (1825) I. klassische Rhetorik: 2. Metonymie (‘Umbenennung’) • Ursache für Wirkung Afrz. gehine > gêne ‘Geständnis’ ‘Folter’ Karl Reisig (1825) • Ursache für Wirkung Afrz. gehine > gêne ‘Geständnis’ ‘Folter’ Wirkung Ursache Karl Reisig (1825) I. klassische Rhetorik: 2. Metonymie (‘Umbenennung’) Ursache für Wirkung palle:re ‘blass sein > ‘sich fürchten’ Wirkung Ursache Karl Reisig (1825) • 2. Metonymie Wirkung für Ursache Werk für Autor “Goethe lesen” Karl Reisig (1825) • 2. Metonymie Bestellte Ware für Kunde “Das Schinkenbrot möchte gerne zahlen” Karl Reisig (1825) I. klassische Rhetorik: 3. Metapher ‘Ersatz von Vorstellungen des Nichtsinnlichen (Abstrakten) durch solche des Sinnlichen (Konkreten)’ begreifen ‘mit Händen b. > gedanklich b’ Stilmittel Lehrbücher der Renaissance: 65 -184 Rhetorik nicht primär: “Dekoration gewöhnlicher Sprache” sondern: ein Mittel den Gedanken “Klarheit und Lebendigkeit” zu verleihen. Aristoteles Rhetorik vs. Bedeutungswandel Erscheinungen des gebräuchlichen Bedeutungswandels kehren in der Rhetorik kunstmäßig wieder. Reisig Friedrich Haase (1874) Bedeutungslehre 1. Teil (1880) Bedeutungslehre 2. Teil “die Begriffe selbst verändern sich unabhängig von der Sprache, während ihre Worte dieselben bleiben” Bedeutungswandel: Wandel der Begriffe Friedrich Haase Bedeutungswandel: Wandel der Begriffe konkrete Bedeutungen eines Wortes immer älter als abstrakte Bedeutungen Friedrich Haase Bedeutungswandel: Wandel der Begriffe konkrete Bedeutungen eines Wortes immer älter als abstrakte Bedeutungen begreifen ‘etwas mit den Händen begreifen’ begreifen ‘etwas gedanklich begreifen’ Friedrich Haase Bedeutungswandel: Wandel der Begriffe konkrete Bedeutungen eines Wortes immer älter als abstrakte Bedeutungen kalt ‘niedrige Temperatur’ kalt ‘emotionslos’ F. Heerdeggen (1890) Bedeutungslehre 2. Teil + Grundzüge der Bedeutungslehre logische Grundlage, weil wir es in der Sprache “doch einmal mit Begriffen zu tun haben, die sich nach den Gesetzen der Logik richten” F. Heerdeggen 1. Bedeutungsverengerung hostis “Fremdling” > “Feind” F. Heerdeggen 1. Bedeutungsverengerung 2. Bedeutungsübertragung fingere “kneten, bilden” > “ersinnen” F. Heerdeggen 1. Bedeutungsverengerung 2. Bedeutungsübertragung 3. Bedeutungsverschiebung dicere “zeigen” > “sagen” (ersetzt orare “sagen” > “bitten”) F. Heerdeggen 1. Bedeutungsverengerung ‘unabhängig’ 2. Bedeutungsübertragung ‘unabhängig’ 3. Bedeutungsverschiebung ‘abhängig’ 4. dicere “zeigen” > “sagen” (ersetzt orare “sagen” > “bitten”) -> ursächlicher Einteilungsgrund F. Heerdeggen 1. Bedeutungsverengerung 2. Bedeutungsübertragung 3. Bedeutungsverschiebung Erscheinungen des Bedeutungswandels im allgemeinen erschöpft => keine Gesetze! O. Hey Einteilung auf ursächlicher Grundlage: • 1. Objektiver Bedeutungswandel: Ursachen außerhalb der Seele • => Berührung mit Kulturgeschichte • O. Hey Einteilung auf ursächlicher Grundlage: 1. Objektiver Bedeutungswandel: Ursachen außerhalb der Seele 2. 3. 2. Subjektiver Bedeutungswandel: Ursachen innerhalb der Seele 4. O. Hey Einteilung auf ursächlicher Grundlage: 1. Objektiver Bedeutungswandel: Ursachen außerhalb der Seele changement historique Darmesteter 2. Subjektiver Bedeutungswandel: Ursachen innerhalb der Seele modification psychologique Darmesteter Darmesteter (1925) • I. Bedeutungswandel innerhalb derselben Begriffssphäre 1. Spezialisierung 2. Verallgemeinerung Darmesteter (1925) • II. Bedeutungswandel durch Übergang in eine andere Begriffssphäre 1. durch gedankliche Vermittlung der Begriffe (=> Metapher) 2. durch Vermittlung sachlicher Übereinstimmung (=> Metonymie) M. Bréal (1897) Sprache als Institution Sprechen als Mittel der Kommunikation M. Bréal (1897) Sprache als Institution Sprechen als Mittel der Kommunikation => semantischer Wandel M. Bréal (1897); Pejoration Es gibt keine Wörter, die inhärent eine “pejorative Tendenz” haben. Pejoration ist vielmehr die Folge einer euphemistischen Verwendung. Bréal; Pejoration 1. Intention des Sprechers? 2. [ ? ‘neg.’ ] Bréal; Pejoration 1. Intention des Sprechers? 2. {[übel] ‘neg.’} [ ? ‘neg.’ ] {[sleht] ‘einfach’} {[X] } {[Y] } Bréal; Pejoration 1. Intention des Sprechers? 2. {[übel] ‘neg.’} [ ? ‘neg.’ ] {[sleht] ‘einfach’} {[X] {[Y] } } Bréal; Pejoration 1. Intention des Sprechers? 2. {[übel] ‘neg.’} [sleht] ‘neg.’ {[X] } {[Y] } Bréal; Pejoration 1. Intention des Sprechers? 2. {[übel] ‘neg.’} [sleht] {[schlicht] ‘einfach’} ‘neg.’ {[X] {[Y] } } Pejoration aufgrund von Assoziationen des Hörers Sprecher: [sleht] ‘einfach’ / Intention Pejoration aufgrund von Assoziationen des Hörers Sprecher: Hörer: [sleht] [sleht] ‘einfach’ / Intention ? Pejoration aufgrund von Assoziationen des Hörers Sprecher: Hörer: [sleht] [sleht] ‘einfach’ / Intention ‘neg.’ Karl Jaberg (1901) - (1905) Pejoration wichtigste Ursache: Wandel des Gefühls- und Vorstellungswertes (Assoziationen) sou ‘wertvolle Münze’ > ‘wertlose Münze’ Bréal; Polysemie Neue Verwendungsweisen entstehen durch z.b. Metapher kalt ‘niedrige Temperatur’ kalt ‘niedrige Temperatur’ ‘emotionslos’ kommunikativ unproblematisch (Kontext) => “eine Stärke der Sprache” H. Paul (1880) Prinzipien der Sprachgeschichte (1897) Wörterbuch der deutschen Sprache Verquickung von Semasiologie und Lexikographie H. Paul Kontext: Von dem “usuellen” Gebrauch eines Ausdrucks kann in besonderen Zusammenhängen “okkasionell’ abgewichen werden. => Etablierung einer neuen Verwendungsweise Kontext Frz. traire ‘ziehen’ > ‘melken’ Frz. pondre ‘legen’ > ‘Eier legen’ MHD. gerwen ‘fertig machen’ > ‘gerben’ Kontext usuelle Bedeutung: Frz. traire ‘ziehen X’ Frz. pondre ‘legen X’ MHD. gerwen ‘fertig machen X’ Kontext okkasionelle Bedeutung: Frz. traire ‘ziehen (X=Zitzen)’ Frz. pondre ‘legen (X= Eier)’ MHD. gerwen ‘fertig machen (X= Häute)’ Kontext okkasionelle Bedeutung: Frz. traire ‘ziehen (X=Zitzen)’ => melken Frz. pondre ‘legen (X= Eier)’ MHD. gerwen ‘fertig machen (X= Häute)’ Kontext okkasionelle Bedeutung: Frz. traire ‘ziehen (X=Zitzen)’ => melken Frz. pondre ‘legen (X= Eier)’ => Eier legen MHD. gerwen ‘fertig machen (X= Häute)’ Kontext okkasionelle Bedeutung: Frz. traire ‘ziehen (X=Zitzen)’ => melken Frz. pondre ‘legen (X= Eier)’ => Eier legen MHD. gerwen ‘fertig machen (X= Häute)’ => gerben Kontext usuelle Bedeutung: Lat. cubare ‘liegen ?’ Kontext okasionelle Bedeutung: Lat. cubare ‘liegen (wo?/warum? auf Eiern)’ => Frz. couver ‘brüten’ Kontext Kenntnis von Wörtern anderer Sprachen => Lehnbedeutungen (Betz 1949) Lehnbedeutung bigiht ‘Aussage vor Gericht’ > ‘Beichte’ Lehnbedeutung bigiht ‘Aussage vor Gericht’ > ‘Beichte’ lat. ‘confessio’ Lehnbedeutung feuern 1. ‘Feuer machen, heizen’ 2. ‘Feuer geben, schießen’ 3. entlassen Lehnbedeutung feuern 1. ‘Feuer machen, heizen’ 2. ‘Feuer geben, schießen’ 3. entlassen Englisch fire ‘entlassen’ Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: 1. Bedürfnis nach Bedeutungswandel bei Kulturwandel (Englisch car, write, dinner) Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: • 2. Deutlichkeitstrieb • wenn ein Wort mehrere Bedeutungen hat, • wird die ein oder andere abgestoßen, wenn • sich ein Ersatz dafür findet. Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: • 3. Bequemlichkeitstrieb • wenn der geforderte Ausdruck nicht gleich • gefunden wird. Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: • 4.. Nachahmungstrieb • Macht des Beispiels: wenn ein Prominenter • ein Wort in einer neuen Bedeutung • verwendet. Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: 5. Beeinflussung durch die Umgebung des Wortes Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: 5. Beeinflussung durch die Umgebung des Wortes • NEG persona (nicht eine Person) • NEG passus (geht nicht einen Schritt) Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: 5. Beeinflussung durch die Umgebung des Wortes • ne personne • ne pas Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: 5. Beeinflussung durch die Umgebung des Wortes • personne (NEG) • pas (NEG) Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: 6. Sinnliche Kraft des Ausdrucks • wenn in affektbetonten Augenblicken die • landläufige Bedeutung eines Wortes als nicht • ausreichend empfunden wird und man daher • ein anderes Wort mit stärkerer Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: 6. Sinnliche Kraft des Ausdrucks • Die Party war sehr langweilig. Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: 6. Sinnliche Kraft des Ausdrucks • Die Party war schrecklich langweilig. Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: 6. Sinnliche Kraft des Ausdrucks • Die Party war furchtbar langweilig. Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: 6. Sinnliche Kraft des Ausdrucks • Die Party war grauenvoll langweilig. Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: 6. Sinnliche Kraft des Ausdrucks • • Ich verhungere. sterben Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: • 7. Zartgefühl/Euphemismus • heimgehen, pass away Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: • 8. Höflichkeit/ Tabu • ass (Verlust von „Esel“) (ass = arse) Karl Schmidt (1894) Die Gründe des Bedeutungswandels: • 8. Höflichkeit/ Tabu • • • ass (Verlust von „Esel“) (ass = arse) white/red meat (Gewinn von „Geflügelbrust, Schenkel) Semasiologie: Herangehensweisen 1. logisch-klassifizierende (Reisig, Heerdeggen) 2. psychologisch-erklärende (Hey, Darmesteter, Schmidt)