Straftheorien und empirische Befunde zur General- und Spezialprävention Frieder Dünkel Universität Greifswald 2008 1 1. • • • • • Zweck und Rechtfertigung von Strafen und Maßregeln (Roxin § 3) Das Wesen der Strafe Übelszufügung und sozialethisches Unwerturteil, Ächtung des Normbruchs 2 Was soll Strafrecht ? • • • • • Sicherung des ethischen Minimums ? Schutz von Rechtsgütern ? Stabilisierung von Verhaltenserwartungen ? Besserung des Täters ? Abschreckung anderer ? 3 2. Absolute und relative Straftheorien im Überblick • • • • Man unterscheidet herkömmlich Absolute und Relative Straftheorien. Absolute Straftheorien sind frei (lat. absolutus) von Strafzweckerwägungen, • Relative Theorien sind „relativ“ auf einen Strafzweck wie z. B. Besserung oder Abschreckung bezogen. • Mit der Durchsetzung des Strafzweckgedankens (vgl. Franz von Liszt: Marburger Programm, 1882) wurde ein insofern rationales Sanktionenrecht entwickelt, als es sich der empirischen Begründung und Evaluation öffnete. • Absolute Theorien (Schuld, Sühne, Vergeltung) sind der empirischen Überprüfung dagegen nicht zugänglich 4 Straftheorien Absolute „Vergeltung“ (Kant, Hegel) Relative Generalprävention Spezialprävention (v. Liszt) Negative (Abschreckung potentieller Täter, Feuerbach: Theorie des psychologischen Zwangs) Positive (Stärkung des Vertrauens in die Rechtsordnung, “Normvalidierung”, Jakobs) Negative (Individuelle Abschreckung, „Denkzettel“Strafen, z. B. Geldstrafen, kurzer Freiheitsentzug o. ä.) Positive (Resozialisierung, Behandlung, Erziehung, “Besserung” des Täters) 5 Struktur zu den Straftheorien Anknüpfungspunkt Blickrichtung Idee Theorien und Hauptvertreter Vergeltung Vorbeugung Schuld Sozialgefährlichkeit Blick zurück Blick voraus Repression Prävention Absolute Straftheorien Relative Straftheorien: Kant: „Der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden.“ Hegel: „ …als wenn man gegen den Hund den Stock erhebt.“ Vielmehr muss der Verbrecher als vernünftiges Wesen geehrt werden. Generalprävention negative/positive GP Spezialprävention negative Spezialprävention (Denkzettelstrafen zur individuellen Abschreckung positive Spezialprävention (Täter erst-/resozialisieren, v. Liszt, Moderne Schule) Ausführung Zufügung eines Übels Erziehung, Behandlung Ziel Sühne (= Versöhnung mit der Gesellschaft) als autonome sittliche Leistung Eine Gesellschaft und damit auch ein6 Leben des Einzelnen ohne Straftaten 3. Vergeltungstheorie (Schuldausgleich) • Die Vergeltungstheorie sieht den Sinn der Strafe darin, dass in der Auferlegung eines Übels die Schuld des Täters in gerechter Weise vergolten (ausgeglichen) wird. • Talionsprinzip • Die staatliche Schuldstrafe löst historisch gesehen die Privatrache, familien- und Stammesfehde ab und ist daher eng mit der Herausbildung staatlich zentrierter Herrschaft verknüpft (s. Vorlesung Sanktionenrecht Nr. 1/2). • Die Vergeltungsstrafe basiert auf der Philosophie des deutschen Idealismus (Kant, Hegel) 7 Vergeltungstheorie (2) • Kant (Metaphysik der Sitten, 1798): • „So viel also der Mörder sind, die den Mord verübt oder auch befohlen , oder dazu mitgewirkt haben, so viele müssen auch den Tod leiden; so will es die Gerechtigkeit als Idee der richterlichen Gewalt nach allgemeinen a priori begründeten Gesetzen. … Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ.“ • „Denn, wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben.“ … 8 Vergeltungstheorie (3) • Strafe muss sogar dann sein, wenn Staat und Gesellschaft nicht mehr bestehen; auch wenn diese sich auflösten, „müsste der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat.“ 9 Vergeltungstheorie (4) • Bedeutung des Talionsprinzips • „Auge um Auge Zahn um Zahn“ ist historisch zu lesen als „Auge nur um Auge“, • d. h. es ging um die Begrenzung der willkürlichen, unbegrenzten Rache! • Die Bibel kann daher nicht als Legitimation für ein hartes bzw. Tatschuld vergeltendes Strafrecht herangezogen werden. 10 Vergeltungstheorie (5) • Hegel (Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821) sieht das Verbrechen als Negation des Rechts, • die Strafe als Negation der Negation des Rechts und damit als • „Wiederherstellung des Rechts“. • Präventive Strafzwecke werden bei Hegel (wie bei Kant) abgelehnt: • „Es ist mit der Begründung des Strafe auf diese Weise, als wenn man gegen den Hund den Stock erhebt, und der Mensch wird nicht seiner Ehre und Freiheit, sondern wie ein Hund behandelt.“ 11 4. Negative und positive Generalprävention • Negative Generalprävention meint die Abschreckung anderer nach dem Prinzip der Furcht vor Strafe bzw. Strafandrohung • Prinzip des psychologischen Zwangs (Feuerbach) 12 Theorie der Generalprävention • Historischer Vorläufer bzw. Begründer: Paul Johann Anselm von Feuerbach (1755-1833) • Theorie des psychologischen Zwangs. • Die Seele des potenziellen Straftäters ist nach Feuerbach zwischen zur Tat hindrängenden und der Begehung widerstrebenden Motiven hin und her gerissen. • Durch die Ausgestaltung des Strafrechts müsse den der Begehung entgegenwirkenden Strebungen das Übergewicht verschaffen werden, d.h. ein „psychischer Zwang“ zur Unterlassung der Straftat. • Die Theorie ist primär eine Theorie der Strafdrohung, von der Unlustgefühle ausgehen sollen, die Straftaten vermeiden. 13 Theorie der Generalprävention (2) • Feuerbachs Thesen sind in den modernen generalpräventiven Ansätzen im Rahmen von individuellen Kosten-Nutzen-Abwägungen aufgegangen. • ökonomische Kriminalitätstheorien. • Freud: „Der eigentlich Beneidete muss um die Frucht seines Wagnisses gebracht werden“ (ansonsten finden sich zahllose Nachahmer) • Die Präventivwirkung des Strafrechts beruht auf der Erkenntnis: „crime doesn’t pay“. • Im modernen Strafrecht dienen dieser Überlegung alle Maßnahmen, die dem Täter die Vorteile der Tat entziehen: • Verfall, erweiterter Verfall, Strafbarkeit der Geldwäsche etc. 14 Theorie der Generalprävention (3) • Die Theorie der positiven Generalprävention zielt auf die Erhaltung und Stärkung des Vertrauens in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung ab. • Drei Aspekte können unterschieden werden: • Der sozialpädagogisch motivierte Lerneffekt, die „Einübung in Rechtstreue“ • Der Vertrauenseffekt der Bürger sieht, dass die Rechtsordnung sich durchsetzt • Der „Befriedungseffekt, der sich einstellt, wenn das allgemeine Rechtsbewusstsein sich aufgrund der Sanktion über den Rechtsbruch beruhigt und den Konflikt mit dem Täter als erledigt ansieht.“ (Roxin § 3 Rn. 27) 15 Theorie der Generalprävention (4) • Der Befriedungsaspekt wird auch als „Integrationsprävention“ bezeichnet. • Jakobs definiert den Sinn der Strafe unter Rückgriff auf die Systemtheorie von Luhmann in diesem Sinn der positiven Generalprävention: • „Stets geht es bei der Strafe um eine Reaktion auf einen Normbruch. Stets wird durch die Reaktion demonstriert, dass an der gebrochenen Norm festgehalten werden soll. Und stets erfolgt die demonstrierende Reaktion auf Kosten des für den Normbruch Zuständigen.“ (Jakobs AT I. Rn. 2) • Zweck der Strafe ist die Stabilisierung der verletzten Norm. 16 Theorie der Generalprävention (5) • Strafe ist das kontrafaktische Festhalten an der verletzten Norm. • An der Norm, die eine normative Erwartungshaltung darstellt, wird im Enttäuschungsfall kontrafaktisch festgehalten. Hierdurch wird Normvertrauen stabilisiert. • Die Reaktion muss aber nicht notwendig Strafe sein, auch Sanktionsverzicht, außerstrafrechtliche Sanktionen (zivilrechtlicher Schadensersatz o.ä.) können zur Normstabilisierung beitragen. 17 Theorie der Generalprävention (6) • Demgegenüber bedeutet negative Generalprävention das herkömmliche Konzept der Abschreckung potenzieller Täter durch • hohe Strafandrohungen, • hohe tatsächlich verhängte Strafen oder • andere Maßnahmen, die die Kosten des Verbrechens erhöhen bzw. den Nutzen minimieren. 18 Theorie der Generalprävention (7) • Vorteile der generalpräventiven Theorie: • Im Gegensatz zur Spezialprävention kann sie erklären, warum Strafe auch bei nicht besserungsbedürftigen Tätern notwendig ist. • Das Prinzip der Generalprävention tendiert nicht dazu, klare Tatbeschreibungen durch undeutliche und rechtsstaatlich bedenkliche Gefährlichkeitsprognosen zu ersetzen, • im Gegenteil muss der Gegenstand des Verbots möglichst klar definiert sein, wenn der Bürger zu rechtstreuem Verhalten motiviert werden soll. 19 Theorie der Generalprävention (8) • Nachteile der Theorie der Generalprävention: • Sie enthält keinen Maßstab zur Begrenzung der Strafdauer. • Wie viel Strafe ist notwendig, um die Rechtstreue der Bevölkerung zu erhalten oder potenzielle Täter abzuschrecken? • Gefahr des Umschlags in staatlichen Terror (vgl. zahlreiche Diktaturen) • Die Instrumentalisierung des Täters, um andere zu erziehen oder abzuschrecken, verstößt gegen die Menschenwürde, der Täter wird zum Objekt staatlichen Strafens! • Generalprävention vermag ebenso wenig wie die Vergeltungstheorie positive Impulse für die Sanktionsausgestaltung, insbesondere den Strafvollzug, zu geben. 20 5. Negative und positive Spezialprävention • Negative Spezialprävention meint die individuelle Abschreckung des Täters durch sog. Denkzettelstrafen, z.B. Geldstrafen, aber auch kurze oder besonders lange Freiheitsstrafen. • Positive Spezialprävention meint Sanktionen, die das Ziel der Besserung, Erziehung u.ä. durch spezifische Behandlungsmaßnahmen verfolgen. 21 Theorie der Spezialprävention • Die Theorie der Spezialprävention zielt auf die künftige Legalbewährung (Rückfallfreiheit) des individuellen Täters ab. • als „relative“ Straftheorie verfolgt sie einen Zweck, d. h. sie ist auf die Verbrechensverhütung bezogen (lat. referre = bezogen auf …) • Historisch: schon Seneca († 65 n. Chr.) sagte unter Berufung auf Platon (427-347 v. Chr.): • „nemo prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur …“ • „Kein kluger Mensch straft, weil gesündigt worden ist, sondern damit nicht gesündigt werde.“ 22 Theorie der Spezialprävention (2) • In der Aufklärung entwickelte sich erstmals eine spezialpräventive Theorie und Praxis • vgl. die seit Ende des 16. Jh. unter dem Einfluss eines religiös gefärbten Besserungsgedankens entstandenen Gefängnisse („Zuchthäuser“) in den Niederlanden, England und später ganz Europa. • Das klösterliche Prinzip „ora et labora“ (bete und arbeite) herrschte in den frühen Gefängnissen vor, vgl. Vorlesung Strafvollzugsrecht Nr. 2/3. • Allerdings gewann die Vergeltungstheorie unter dem Einfluss von Kant und Hegel zunächst die Oberhand. 23 Theorie der Spezialprävention (3) • Der Durchbruch auf dem Weg zu einem „Zweckstrafrecht wurde durch den bedeutendsten deutschen Kriminalpolitiker Franz von Liszt (1851-1919) bewirkt. • Spezialprävention kann danach in drei Formen betrieben werden: • Die Sicherung der Allgemeinheit durch Einsperrung des Täters, • die individuelle Abschreckung des Täters vor der Begehung weiterer Straftaten durch Strafe, und • die Besserung des Täters durch Behandlung bzw. Resozialisierung 24 Theorie der Spezialprävention (4) • In seiner Marburger Antrittsvorlesung (sog. Marburger Programm, 1882) unterschied von Liszt dementsprechend drei Strategien der Behandlung nach den entsprechenden Tätergruppen: • die Unschädlichmachung der nicht abzuschreckenden und nicht besserungsfähigen „Gewohnheitsverbrecher“, • die Abschreckung der bloßen Gelegenheitstäter und • die Besserung der Besserungsfähigen. • Im Hinblick auf letztere Gruppe wurde die Resozialisierung, Sozialisation, Besserung zum Leitgedanken des modernen Strafrechts. 25 Theorie der Spezialprävention (5) • Franz von Liszt ist damit der Vater des Resozialisierungsvollzugs bzw. eines humanen Strafvollzugs oder einer „sozialen Strafrechtspflege“, aber auch • der Vater der Sicherungsverwahrung (SV), wie sie von den Nationalsozialisten mit dem Gesetz für „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ 1933 eingeführt wurde. • Nach ihrer weitgehenden Zurückdrängung in der Nachkriegszeit, insbesondere in den 1960er bis 1980er-Jahren erlebt die SV derzeit durch die Reformgesetze von 1998, 2002 bzw. 2004 eine Renaissance. 26 Theorie der Spezialprävention (6) • Franz von Liszt gründete zusammen mit dem Belgier Prins und dem Holländer van Hamel 1889 die Internationale Kriminalistische Vereinigung (IKV), die durch ihre Kongresse viel zur Verbreitung der spezialpräventiven Idee beitrug. • 1924 wurde die Internationale Strafrechtsvereinigung gegründet (AIDP), • 1947 die Gesellschaft für Sozialverteidigung (Défense Sociale). • Weitere Etappen des spezialpräventiven Strafrechts: • StÄndG 1953: Einführung der Bewährungshilfe, Ausweitung der Strafaussetzung zur Bewährung; • ebenfalls 1953: JGG-Reform mit der Einbeziehung der Heranwachsenden in das erzieherisch orientierte Jugendstrafrecht 27 Theorie der Spezialprävention (7) • Die Entwürfe der sog. Alternativ-Professoren zum StGB (1966) und zum Strafvollzug (1973) • Die Strafrechtsreformgesetze von 1969 und 1975. • § 46 I 2 StGB i. d. F. seit 1969: • „Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Lebens des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.“ • § 2 StVollzG von 1977: • „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Starftaten zu führen.“ • Resozialisierung als alleiniges Vollzugsziel! 28 Spezialprävention in der Rspr.: BVerfGE 35, 202, „Lebach-Urteil“(1973) • Der Resozialisierungsgrundsatz wird als unmittelbares Verfassungsprinzip aus dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 I i.V.m. 1 I GG (Menschenwürde) abgeleitet. • „Nicht nur der Straffällige muss auf die Rückkehr in die freie Gesellschaft vorbereitet werden; diese muss ihrerseits bereit sein, ihn wieder aufzunehmen. • Verfassungsrechtlich entspricht diese Forderung dem Selbstverständnis einer Gemeinschaft, die die Menschenwürde in den Mittelpunkt ihrer Wertordnung stellt und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist. ... • Vom Täter aus gesehen erwächst das Interesse an der Resozialisierung aus seinem Grundrecht aus Art 2 I i.V.m. Art 1 GG. 29 Spezialprävention in der Rspr.: BVerfGE 35, 202, „Lebach-Urteil“(1973) • Von der Gemeinschaft aus betrachtet verlangt das Sozialstaatsprinzip staatliche Vor- und Fürsorge für Gruppen der Gesellschaft, die auf Grund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind. ... • Nicht zuletzt dient die Resozialisierung dem Schutz der Gemeinschaft selbst: diese hat ein unmittelbares eigenes Interesse daran, dass der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut seine Mitbürger oder die Gemeinschaft schädigt“ (S. 235 f.). • Konkret wurde die Ausstrahlung eines Dokumentarfilms kurz vor der Entlassung des L. untersagt, da hierdurch die Resozialisierung gefährdet würde (vgl. LS Nr. 3). 30 Spezialprävention in der Rspr.: BGHSt 24, 40 • Der BGH betont, • „dass die Strafe nicht die Aufgabe hat, Schuldausgleich um ihrer selbst willen zu üben, sondern nur gerechtfertigt ist, wenn sie sich zugleich als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts erweist.“ 31 Probleme der spezialpräventiven Theorie • Die Spezialprävention liefert kein Maßprinzip für die Strafe. • Konsequent wäre, den Verurteilten so lange festzuhalten (z.B. im Strafvollzug), bis er resozialisiert ist, d.h. die Strafe müsste grds. von unbestimmter Dauer sein. • Wenn tief greifende Persönlichkeitsdefizite bzw. ein erheblicher Behandlungsbedarf bestehen, kann es auch bei lediglich geringfügigen (Bagatell-)Straftaten zu langjährigem Freiheitsentzug kommen. • Konsequenz? • Ein spezialpräventives Täterstrafrecht (gleiches gilt für ein erzieherisches Jugendstrafrecht) bedarf der Limitierung entweder durch das Schuldprinzip oder das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Proportionalität von Strafe und Anlasstat) 32 Probleme der spezialpräventiven Theorie (2) • Eine weitere Schwäche der spezialpräventiven Theorie liegt in der Problematik nicht resozialisierungsbedürftiger Täter: • Der Konflikttäter, der sein Opfer in einer einmaligen Konstellation getötet hat, • der NS-Mörder, der inzwischen jahrelang unauffällig und sozial integriert gelebt hat. • Aus rein spezialpräventiven Überlegungen müssten diese Tätergruppen freigelassen werden, weil spezialpräventive Strafbedürfnisse ausscheiden. • Aufgabe: Welche gesellschaftspolitische Lösung bzw. Begründung für Bestrafung halten Sie für angebracht? 33 Probleme der spezialpräventiven Theorie (3) • Hat der Staat das Recht, erwachsene Menschen gegen ihren Willen zu erziehen bzw. zu behandeln. • Ist Zwangsbehandlung, Zwangstherapie zulässig, ggf. unter welchen Umständen und wo sind die Grenzen? • Gehirnwäsche? • BVerfGE 22, 219: • „Der Staat hat … nicht die Aufgabe, seine Bürger zu bessern.“ • Art. 1 I GG verbietet die Zwangserziehung jedenfalls insoweit, als sie den unantastbaren Persönlichkeitskern eines Erwachsenen betrifft. 34 6. Täter-Opfer-Ausgleich als selbständiger Strafzweck? • Einige Autoren (z.B. Ostendorf) sehen in der Wiedergutmachung bzw. dem Täter-Opfer-Ausgleich einen selbständigen Strafzweck. • Vgl. die Ansätze einer Restorative Justice • Richtig daran ist, dass ein wesentlicher, häufig übersehener Aspekt des modernen Strafrechts in der friedensstiftenden Funktion, der Schaffung von Rechtsfrieden bzw. im positiven Fall einer echten Aussöhnung zwischen Täter, Opfer und Gesellschaft liegt. • Andere Autoren (z.B. Roxin) sehen die Wiedergutmachung als integrierten Bestandteil der Spezial- und Generalprävention an. 35 Das Modell von S. Walther: Sozialkonstruktive Tatbewältigung („Wiedergutmachung“) als dritte Spur neben Strafen und Maßregeln • Walther (ZStW 1999, 122 ff.) knüpft an der Tat als Realkonflikt bzw. u. U. traumatischem sozialen Geschehen an ( Verbrechen als abstrakte Rechtsgutverletzung). • Die Konsequenz ist, nach sozialkonstruktiven Lösungen zu suchen, die im geltenden Strafrecht auch schon angelegt sind (§§ 46, 46a StGB, §§ 153a, 155a, 155b StPO etc.). • Walther schlägt „Maßnahmen“ als eigenständige zweite Spur vor, die vorwiegend Wiedergutmachungsfunktion haben sollen, u.U. auch im Rahmen von selbständigen Bewährungs-, Reparationssanktionen, Verwarnungen, etc. 36 Das Modell von S. Walther: Sozialkonstruktive Tatbewältigung („Wiedergutmachung“) als dritte Spur (2) • Strafe wird bei Walther zur „symbolischen Justizgewährung gegenüber dem Opfer und der Gemeinde.“ • „Dreh- und Angelpunkt ist die förmliche Zurückweisung und Missbilligung des vom Täter zu verantwortenden Unrechts.“ • „Auch die Maßnahmen der Wiedergutmachung sollten unter einen neuen Leitgedanken gestellt werden, den der sozialkonstruktiven Konfliktbewältigung.“ (S. 137) • Sanktionspolitisch schlägt Walther eine wiedergutmachungsorientierte Umgestaltung der §§ 152 ff. StPO vor. 37 Das Modell von S. Walther: Sozialkonstruktive Tatbewältigung („Wiedergutmachung“) als dritte Spur (3) • Auf richterlicher Ebene sollten der Schuldspruch mit Ermahnung, eine echte Bewährungsstrafe, die Geldstrafe zur Bewährung, • ggf. jeweils zu koppeln mit Wiedergutmachungsleistungen oder gemeinnütziger Arbeit, • eingeführt werden. • Eine echte Bewährungsstrafe, ggf. mit restorativen Elementen verknüpft, haben auch schon Dünkel/Spieß in BewHi 1992, S. 117 ff. vorgeschlagen. • Einen konsequent wiedergutmachungsorientierten Gesetzesvorschlag hat der Arbeits- kreisdeutscher, schweizerischer und österreichischer Strafrechtslehrer mit dem Alternativ-Entwurf Wiedergutmachung (AE-WGM) 1992 vorgelegt. Die Wiedergutmachung wird in Abgrenzung zur Strafe als der „autonomiebetonte und opferbezogene Weg zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens“ bezeichnet (S. 24). WG soll in allen Verfahrensstadien und im Vollzug eine zentrale Rolle spielen. 38 7. Vereinigungstheorien • Seit Roxins bahnbrechendem Aufsatz in der JuS 1966, S. 377 ff. dominieren in der deutschen Strafrechtsdogmatik die sog. Vereinigungstheorien, die die verschiedenen Strafzwecke auf unterschiedlichen Ebenen verankern und so zu einem vernünftigen Ausgleich gelangen wollen. • Stichwort: Dreisäulentheorie der Strafrechtspflege 39 Struktur der „dialektischen Vereinigungstheorie“ (nach Roxin JuS 1966, 377) Das Strafrecht tritt dem Einzelnen gegenüber Insoweit dominiert die Idee der Anknüpfungspunkt ist Eine Grenze ist gezogen durch androhend verhängend vollziehend Generalprävention Vergeltung Spezialprävention Die Schuld des Täters Die Erforderlichkeit der Erst-/Resozialisierung Das Erkenntnisproblem (was ist Schuld?) Die Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 I GG) Der Schutz der Gesellschaft Den fragmentarischen Charakter des StR, Subsidiaritätsprinzip (Strafe als ultima ratio) 40 8. Empirische Voraussetzungen der Wirksamkeit von Generalprävention 1. Adressaten des generalpräventiven Strafrechts, d.h. alle Bürger, müssen über die Faktoren, von welchen die generalpräventive Wirkung erhofft wird, informiert sein • Kenntnis der Norm und der Strafdrohung bzw. des Strafvollzugs. 41 Empirische Voraussetzungen der Wirksamkeit von Generalprävention (2) 2. Durch diese Faktoren müssen die Bürger für ein bestimmtes Verhalten motivierbar sein. • Motivation durch die Norm; • Stichwort: homo oeconomicus; • utilitaristische Abwägung i.S.d. Kosten-NutzenRelation. 42 Empirische Voraussetzungen der Wirksamkeit von Generalprävention (3) 3. Diese Motivation muss gerade vom generalpräventiv wirkenden Faktor ausgelöst werden (Eignung der Präventionsmittel); • bestimmen Strafdrohung und Strafvollzug die Gesetzmäßigkeit menschlichen Lebens? • Stichwort: verhaltenssteuernde Wirkung anderer Normensysteme, moralische Verbindlichkeit der Norm. • Vgl. Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, § 30 I 2. 43 9. Forschungsansätze zur Generalprävention: Negative Generalprävention • Abschreckung potentieller Täter durch Strafandrohung, Strafverfolgung und u.U. harte Strafen • Konzept: Angst vor Strafe, • psychologischer Zwang, • Aufbau von Hemmungen, die Tat zu begehen, • vgl. bereits Feuerbach 44 9.1 Methodischer Ansatz: Makroanalytisch • Vergleich unterschiedlicher Sanktions- bzw. Strafzumessungspraktiken mit Straftaten- bzw. Verurteiltenziffern anhand offizieller Statistiken. • Querschnittsuntersuchungen Vergleich der Kriminalitätsentwicklung in verschiedenen Regionen mit unterschiedlicher Strafzumessungspraxis. • Längsschnittuntersuchungen Vergleich der Kriminalitätsentwicklung innerhalb einer Region vor und nach einer Änderung des Strafrechts oder der Strafrechtspraxis. 45 Quer- und Längsschnittvergleiche zu Auswirkungen unterschiedlicher Strafzumessungspraktiken • Beispiele: Sellin 1959 zur Todesstrafe in den USA, die in machen Bundesstaaten eingeführt bzw. abgeschafft wurde; später Ehrlich auf der Basis eines utilitaristischen Handlungskonzepts; hierzu kritisch (und lesenswert!) Köberle, MschrKrim 1982, S. 200 ff. • Schöch, NStZ 1991 und in Krüger 1998 zur Geldstrafe im Vergleich zu den vor 1969 üblichen kurzen Freiheitsstrafen bei Trunkenheitsfahrten. • Die Einführung der Diversion in den USA und in Deutschland hat nicht zur Erhöhung der Kriminalitätsraten geführt, vgl. z.B. Heinz, NK Heft 1/1994. 46 Aspekte der (negativen) Generalprävention bzgl. Delikten der Trunkenheit im Verkehr • Mit der Strafrechtsreform 1969 wurde die vorher übliche Verhängung von kurzen Freiheitsstrafen ohne Bewährung bei Trunkenheitsfahrten durch die Geldstrafe ersetzt. • Zugleich wurde das Instrument des Führerscheinentzugs ausgeweitet (durchschnittlich längere Sperrfristen). • Würde von der Schwere der Bestrafung eine abschreckende Wirkung ausgehen, wäre angesichts der Milderung der Sanktionspraxis (Kurze Freiheitsstrafe ohne Bewährung Geldstrafe) ein Anstieg der entsprechenden Delikte zu erwarten. • Tatsächlich ergab sich jedoch eine gegenteilige, d.h. die Abschreckungsthese insoweit widerlegende Entwicklung: 47 Generalprävention bzgl. Delikten der Trunkenheit im Verkehr • Im Ergebnis zeigte sich seit 1970 ein drastischer Rück-gang der Verurteiltenzahlen und vor allem der KFZ-Belastungsziffer, d.h. der wegen Trunkenheitsdelikten im Verkehr Verurteilten pro 100.000 zugelassene Kfz. • Der Wandel der Sanktionspraxis hat dazu beigetragen, dass man das Straf- und Ordungswidrigkeitenrecht als das „erfolgreichste Modell bei der Bekämpfung des Alkohols im Verkehr“ bezeichnen kann (vgl. Schöch 2001, S. 28). 48 Verurteilungen wegen alkoholbedingter Straßenverkehrsvergehen im Vergleich mit dem Kfz-Bestand (alte Bundesländer) 1960-1998 Delikt Merkmal §§ 222, 315c* 1960 1970 1980 1990 1995 1998 Kfz-Belas tungs ziffer*** 3,6 5,1 2,5 0,8 0,7 0,5 §§ 230, 315c** Kfz-Belas tungs ziffer 60,2 77,8 40,5 24,9 18,4 16,7 Alle Trunkenheitsdelikte im Verkehr Kfz-Belas tungs ziffer 451 758 604 420 373 327 * Fahrlässige Tötung und alkoholbedingte Straßenverkehrsgefährdung ** Fahrlässige Körperverletzung und alkoholbedingte Straßenverkehrsgefährdung *** Verurteilte pro 100.000 zugelassene Kraftfahrzeuge Quelle: Schöch, Neue Kriminalpolitik 1/2001, S. 29. 49 Aspekte der „Positiven“ Generalprävention bzgl. Trunkenheit im Straßenverkehr • Die moralische Verbindlichkeit der Norm, nicht alkoholisiert zu fahren, ist in Ost- und Westdeutschland sehr hoch • Die Normakzeptanz liegt auf einer Skala von 0-10 bei mehr als 9 (vgl. Krüger u. a. 1998). • Nur ca. 0,5% der bei Allgemeinkontrollen getesteten Fahrer fielen 1992-94 mit einem BAK von mehr als 0,8‰ auf. • Dennoch gibt es zwei Problemgruppen, die vor allem in Ostdeutschland überrepäsentiert sind: die sog. fahren-den Trinker und männliche bis zu 24-jährige junge Täter. 50 Diversionsraten und Legalbewährung bei einfachem Diebstahl (gem. BZR für den Geburtsjahrgang 1961) Quelle: Storz 1994. • Der general- (und spezialpräventive) Einfluss kann auch anhand des „natürlichen“ Experiments unterschiedlicher Diversionsraten einzelner Bundesländer in Deutschland eingeschätzt werden: • Wie hat sich die höhere bzw. niedrigere Einstellungsrate in einzelnen Ländern auf die (Rückfall-)Kriminalität ausgewirkt?, bzw.: • Führt eine härtere Sanktionierung durch weniger Diversion zu weniger Rückfall? 51 100 80 60 40 20 0 Rh-Pf. Nds. Bay Saar Bln HH Diversionsrate Nachentscheidungsrate 52 Quer- und Längsschnittvergleiche (2) • Senkungen des Strafenniveaus oder sogar eine generelle Amnestie (vgl. den Extremfall einer vorangekündigten Amnestie in der DDR 1987) hatte i.d.R. keine negativen Auswirkungen i. S. einer Kriminalitätszunahme. • Daraus wurde gefolgert: • Die These von der weitgehenden Austauschbarkeit und Alternativität strafrechtlicher Sanktionen, vgl. Albrecht/Dünkel/Spieß, MschrKrim 1981, S. 310. 53 Quer- und Längsschnittvergleiche (3) • Ergebnisse: für eine Abschreckungswirkung härterer Sanktionen, insbesondere der Todesstrafe in den USA sowie längerer Freiheitsstrafen (vgl. z.B. BRD) gibt es keine überzeugenden empirischen Belege. • Ein bestimmender Einfluss der Entdeckungs- bzw. Verfolgungswahrscheinlichkeit konnte demgegenüber nachgewiesen werden. • Die Bestrafungsschwere spielt andererseits nur eine untergeordnete Rolle. 54 Quer- und Längsschnittvergleiche (4) • Auch Variationen der Polizeistärke (Erhöhung der Polizeidichte, vgl. hierzu die Vorlesung Nr. 3 zur Kriminalprävention sowie Feltes in NK Heft 2/1990) und • eine Erhöhung der Ausgaben für die Strafverfolgung haben unter der Abschreckungsperspektive keine eindeutigen Zusammenhänge ergeben. 55 9.2 Methodischer Ansatz: Mikroanalytisch • Individuen (d.h. potentielle Täter) werden über ihre subjektive Wahrnehmung von Strafdrohungen, Strafverfolgungsrisiken (Entdeckungswahrscheinlichkeit) und zur (subjektiv empfundenen) Strafschwere befragt • Zugrunde liegt diesem Ansatz das Menschenbild des „homo oeconomicus“ • Nützlichkeitserwägungen, Kosten-Nutzen-Erwägungen bestimmen menschliches Handeln, vgl. die theoretischen Überlegungen von Ehrlich). 56 Mikroanalytischer Ansatz (2) • D.h., es handelt sich um eine Rückverlagerung des Ab- schreckungskonzepts von der (gesamtgesellschaftlichen, durch aggregierte Daten charakterisierten) Makroebene auf die individuelle Ebene als sozialpsychologische Frage- stellung. • insoweit kommt es von der Theorie her nicht so sehr auf die objektive Entdeckungswahrscheinlichkeit und Straf- schwere, sondern auf die subjektive Einschätzung der entsprechenden Variablen an. 57 Mikroanalytischer Ansatz (3) • Rückschlüsse aus gegenwärtigen Einstellungen (Furcht vor Strafe; subjektiv empfundene Strafschwere) auf tatsächliches kriminelles Verhalten sind nur durch Längsschnittuntersuchungen zuverlässig möglich, • d. h. Einstellung zum Zeitpunkt t1 (Furcht vor Strafe) • Strafbares Verhalten bis zum Zeitpunkt t2 (d. h. im Zeitraum t2-t1); • so der Forschungsansatz bei Schumann u. a. 1987; 58 Mikroanalytischer Ansatz (4) • Werden Einstellungen und Verhaltensdaten bzgl. Kriminalität im Rahmen einer Querschnittserhebung gleichzeitig erhoben, • ist nicht auszuschließen, dass Einstellungen zur Furcht vor Strafe auf vorangegangenem strafbaren Verhalten und Erfahrungen mit der Strafverfolgung beruhen, • also eine umgekehrte Kausalität, als sie theoretisch von der Abschreckungshypothese vorausgesetzt wird, besteht (so die Kritik von Schumann u. a. an der Untersuchung von Schöch). Beispiele: Bremer Studie von Schumann u. a. 1987; Göttinger Studie von Schöch 1985. 59 Mikroanalytischer Ansatz (5) • Die Ergebnisse zur Mikroebene der Generalpräventionsforschung lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Es sind konsistente Zusammenhänge zwischen dem subjektiv empfundenen Entdeckungsrisiko und der Häufigkeit selbstberichteter Delinquenz zu beobachten. • Die Bestrafungsschwere gewinnt allenfalls bei einem subjektiv empfundenen hohen Entdeckungsrisiko eine nennenswerte Bedeutung. 60 Mikroanalytischer Ansatz (6) • Die Bedeutung der Furcht vor Strafe wird weiter relativiert, wenn die erwartete soziale Ablehnung des Verhaltens in die Analyse mit einbezogen wird. • Die erwartete soziale Ablehnung bzw. informelle Sanktionierung durch Familie, Nachbarschaft, Freundeskreis, Kollegen etc. hat weit größere Bedeutung als die erwarteten Konsequenzen in Form staatlicher Strafe. • Ferner hat neben der informellen Reaktion die moralische Verbindlichkeit der Norm die generalpräventiv größte Bedeutung (Schöch 1988). 61 Mikroanalytischer Ansatz (7) • Die perzipierte Strafverfolgungswirklichkeit hat für den Normalbürger nur geringe oder keine Bedeutung, weil die moralische Verbindlichkeit der Norm so hoch ist, dass selbst bei minimalem Entdeckungsrisiko oder bei mildester Strafzumessungspraxis keine verbreitete Neigung zur Deliktsbegehung besteht (innere Distanz zur Kriminalität). • Nach Schumann u. a. wird das Generalpräventionskonzept nur bei Bagatelldelikten in gewissem Umfang bestätigt, • hier wäre jedoch ein härteres Strafrecht gerade nicht vertretbar ( Schuld- und Verhältnismäßigkeitsprinzip; Gedanke der Tatproportionalität). 62 Mikroanalytischer Ansatz (8) • Kriminalpolitisches Problem: • Wenn dem Entdeckungsrisiko die entscheidende verhaltenssteuernde Funktion zukommt und die meisten Menschen subjektiv das Entdeckungsrisiko ohnehin überschätzen, sind polizeiliche Maßnahmen u.U. allenfalls in der Lage das objektive dem subjektiven Risiko anzugleichen; 63 Mikroanalytischer Ansatz (9) • Weitergehende Präventionseffekte sind nur mit unverhältnismäßigem Kostenaufwand und u.U. um den Preis der Entwicklung zum Polizeistaat zu erreichen. • Weitere Gefahr bei einer Maximierung der Verfolgungswahrscheinlichkeit: • Verlust an Präventionswirkung, wenn die Strafe ihren Ausnahmecharakter verliert • Vgl. Popitz 1968, „Präventivwirkung des Nichtwissens“. 64 Exkurs: Zitate aus Popitz, „Über die Präventivwirkung des Nichtwissens“, 1968 • Kein System sozialer Normen könnte einer perfekten Verhaltenstransparenz ausgesetzt werden, ohne sich zu Tode zu blamieren. • Eine Gesellschaft, die jede Verhaltensabweichung aufdeckte, würde zugleich die Geltung ihrer Normen ruinieren (S. 9). • Die Sanktionsgeltung ist eine unerlässliche Geltungskomponente der Norm, aber sie kann in der Regel nur einen sehr kleinen Teil der Geltung tragen. Sie kann ihre Schutzfunktion nur erfüllen, wenn sie quantitativ auf einen bestimmten Spielraum beschränkt bleibt... 65 Popitz, „Über die Präventivwirkung des Nichtwissens“, 1968 (2) • Die Nichtentdeckung von Normbrüchen ist daher auch, ja vor allem zur Entlastung der Sanktionskomponente wesentlich (S. 15). • Wenn auch der Nachbar zur Rechten und zur Linken bestraft wird, verliert die Strafe ihr moralisches Gewicht. Etwas, das beinahe reihum passiert, gilt nicht mehr als diskriminierend. • Auch die Strafe kann sich verbrauchen. Wenn die Norm nicht mehr oder zu selten sanktioniert wird, verliert sie ihre Zähne, muss sie dauernd zubeißen, werden die Zähne stumpf. ... 66 Popitz, „Über die Präventivwirkung des Nichtwissens“, 1968 (3) • Aber nicht nur die Sanktion verliert ihr Gewicht, wenn der Nachbar zur Rechten und zur Linken bestraft wird. • Es wird damit auch offenbar - und zwar in denkbar eindeutiger Weise, dass auch der Nachbar die Norm nicht einhält. Diese Demonstration des Ausmaßes der Nichtgeltung der Norm wird sich aber ebenso wie der Gewichtsverlust der Sanktion auf die Konformitätsbereitschaft auswirken. • Werden allzu viele an den Pranger gestellt, verliert nicht nur der Pranger seine Schrecken, sondern auch der Normbruch seinen Ausnahmecharakter und damit den Charakter einer Tat, in der etwas „gebrochen“, zerbrochen wird (S. 17). 67 Popitz, „Über die Präventivwirkung des Nichtwissens“, 1968 (4) • Die Strafe kann ihre soziale Wirksamkeit nur bewahren, solange die Mehrheit nicht bekommt, was sie verdient. • Auch die Präventivwirkung der Strafe bleibt nur bestehen, solange die Generalprävention der Dunkelziffer erhalten bleibt. • Glanz und Elend der Strafe beruhen auf der wundervollen, der schönen Fürsorge der Natur, der wir es verdanken, dass sie (die Mehrzahl der Bürger) nicht Bescheid wissen - oder doch sehr wenig (S. 20). 68 9.3 Forschungsansätze zur Generalprävention: Positive Generalprävention • Denkmodelle der positiven Generalprävention: • Sittenbildende Kraft des Strafrechts (H. Mayer), d.h. das Strafrecht gestaltet die Moral mit, • Integrationsprävention (Roxin), d.h. die gerechte, tatschuldangemessene Strafe trägt zur Integration durch Befriedigung des Rechtsgefühls bei (Strafe stabilisiert die Moral), • Normbestätigung („Normvalidierung“), -bekräftigung, d.h. durch das Festhalten an der Norm gegenüber der durch die Normverletzung eingetretenen Erwartungsenttäuschung wird die Norm verdeutlicht (Jakobs). 69 Forschungsansätze zur positiven Generalprävention (2) • Wirksamkeit von Hinweisen auf Sanktionen bzw. Appellen an das Gewissen: Beispiel bei Schwartz/Orleans 1967 bzgl. Steuerehrlichkeit. • Experiment: 3 Gruppen von Steuerzahlern wurden per Zufallsauswahl gebildet: • Gruppe 1 (Experimentalgruppe „Sanktion“) erhielt vertiefte Informationen über die möglichen strafrechtlichen Folgen der Steuerhinterziehung; • Gruppe 2 (Experimentalgruppe „Gewissen“) erhielt Informationen über die staatliche Unterstützung für Arme, Arbeitslose, Kranke, Bedürftige, die von Steuereinnahmen abhängt. 70 Forschungsansätze zur positiven Generalprävention (3) • Gruppe 3 (Kontrollgruppe) erhielt keinerlei Zusatzinformationen i.S.d. Gruppen 1 und 2. • Für alle drei Gruppen teilte das Finanzamt die durchschnittlichen Angaben über die Höhe des Einkommens im Jahr vor und im Jahr nach der Befragung mit: • Die Kontrollgruppe gab durchschnittlich 87 $ weniger an als zuvor; • Die Gruppe 1 („Sanktion“) gab 181 $ mehr und die Gruppe 2 („Gewissen“) sogar 804 $ mehr an als zuvor! • Fazit: Moralische Darlegungen über den Nutzen der Steuerehrlichkeit haben größere Bedeutung als der Hinweis auf drohende Strafen. 71 Forschungsansätze zur positiven Generalprävention (4) • Zum Einfluss von Gesetzesänderungen auf die Normakzeptanz: (vgl. Schumann 1989) • Die Normdistanz nahm nach Strafschärfungen im BtMG 1982 eher zu! • Umgekehrt kann beim Wegfall von Strafnormen die moralische Missbilligung der Norm auch zunehmen. • Beispiel: Entkriminalisierung des Selbstmordversuchs in England. 72 Forschungsansätze zur positiven Generalprävention (5) • Aus dem Fehlen von Selbstjustiz wird auf die Existenz des Vertrauens der Bürger in die Schutzgewährung des Staats geschlossen (= Systemeinfluss des Strafrechts); • ähnlich wird die generelle Abschreckungswirkung des Strafrechts unter dem Gesichtspunkt der „Wirksamkeit des institutionellen Zwanges“ (J-Kurve bzgl. Eintragungen im Straf- und Verkehrszentralregister) als Ausdruck des Konformitätsdrucks bewertet, • vgl. Kaiser 1993, S. 146 f. 73 74 Forschungsansätze zur positiven Generalprävention (7) • Weitere Beispiele: • Verhaftung der dänischen Polizei durch die Nazis 1940; • generelle Absenz der Polizei in gesellschaftlichen Umbruchsituationen, z.B. neue Bundesländer 1990/91 • kann zu anomischen Zuständen und Kriminalitätsanstieg führen. 75 9.4 Zusammenfassung zur Generalprävention • Die kriminalrechtlichen Sanktionen sind in ein umfassendes System sozialer Normen eingebettet, deren Bedeutung für die Verhaltenskonformität größer ist als die der Strafe. • Die moralische Verbindlichkeit der Norm und die informellen Reaktionen (insbesondere im sozialen Nahraum) weisen generalpräventiv das größte Gewicht auf, • und zwar sowohl im Hinblick auf die Abschreckungswirkung als auch bzgl. der positiven Generalprävention, d.h. der Rechtstreue und Normbekräftigung. 76 Zusammenfassung zur Generalprävention (2) • Fast genauso bedeutsam sind in gegenläufiger, also delinquenzfördernder Richtung die vermuteten Gruppennormen • delinquente Subkultur. • Die subjektiv vorgestellte Strafverfolgungswirklichkeit hat nur geringe oder keine Bedeutung, während die subjektive Strafempfindlichkeit relevant ist. 77 Zusammenfassung zur Generalprävention (3) • Dies bedeutet, dass für den Bevölkerungsdurchschnitt die Begehung von Straftaten wegen der hohen moralischen Verbindlichkeit von Strafrechtsnormen so fern liegt, dass selbst bei minimalem Entdeckungsrisiko oder bei mildester Strafzumessungspraxis keine verbreitete Neigung zur Deliktsbegehung besteht. • Dementsprechend ist nicht davon auszugehen, dass der angedrohten Strafhöhe nennenswerte generalpräventive Wirkung zukommt. 78 Zusammenfassung zur Generalprävention (5) • Wenn überhaupt, entfalten • ein vermutetes hohes Entdeckungsrisiko und • eine entsprechende Verfolgungswahrscheinlichkeit generalpräventive Wirkungen. • Der Erhöhung der Verfolgungswahrscheinlichkeit sind allerdings rechtsstaatliche ( Polizeistaat) und wirtschaftliche Grenzen gesetzt ( Kostenfaktor bei erheblichem Ausbau von Polizei, Justiz und Strafvollzug). 79 10. Empirische Befunde zur Spezialprävention • Historisch: Mit dem Besserungsgedanken im Strafrecht als Ablösungsbegriff in Bezug auf das klassische tatvergeltende Strafrecht werden empirische Untersuchungen zur Rückfälligkeit etc. notwendig • Franz von Liszt, Marburger Programm 1882 • Strafrechtsreformen insbesondere in den 1920er, 1960er und 1970er Jahren • Seit Mitte der 1970er Jahre: Krise des Resozialisierungsprinzips • Seit Mitte der 1990er Jahre: „Revitalisierung“ des Behandlungs- und Resozialisierungsparadigmas 80 Straftheorien Absolute (Kant, Hegel) Relative Generalprävention Spezialprävention (v. Liszt) Negative (Abschreckung potentieller Täter, Feuerbach: Theorie des psychologischen Zwangs) Positive (Stärkung des Vertrauens in die Rechtsordnung, “Normvalidierung”, Jakobs) Negative (Individuelle Abschreckung, „Denkzettel“Strafen, z. B. Geldstrafen, kurzer Freiheitsentzug o. ä.) Positive (Resozialisierung, Behandlung, Erziehung, “Besserung” des Täters) 81 10.1 Rückfalluntersuchungen im Überblick • Warum brauchen wir Rückfalluntersuchungen? • Erkenntnisse zu Basisrückfallraten bestimmter Tätergruppen als Voraussetzungen für individuelle Prognosestellungen siehe Vorlesung Kriminologie II Nr. 7/8 • Vergleichende Sanktionsforschung: • Wie ist die Rückfälligkeit nach unterschiedlichen Sanktionsformen? Vergleichsprognosen • Gibt es überlegende Strategien der Sanktionierung? • Welche Sanktion „wirkt“ wie bei welchem Täter? 82 Rückfalluntersuchungen im Überblick (2) • Was wissen wir überhaupt zur Rückfälligkeit von Straftätern? • Datenquellen: • Bundeszentralregister Rückfalldaten bzgl. erneuter registrierter Auffälligkeit (i.d.R.: Wiederverurteilungen) • Probleme: • Dunkelfeld, Registrierfehler 83 Rückfalluntersuchungen im Überblick (3) • Bis vor kurzem beschränkte sich das Wissen über Rückfälligkeit auf (zumeist regional begrenzte) Einzelstudien, z.B. • Zur Rückfälligkeit nach bestimmten jugendstrafrechtlichen Sanktionen (Jugendstrafe, Jugendarrest etc.) • Zur Rückfälligkeit nach Geldstrafen (H.-J. Albrecht 1980), • Nach einer Behandlung im sozialtherapeutischen Behandlungsvollzug (Rehn 1979; Dünkel 1980; Dünkel/Geng 1993; 1994) • Gesamtdeutsche repräsentative Daten fehlten völlig! 84 Rückfalluntersuchungen im Überblick (4) • Im Auftrag des BMJ erarbeiteten Jehle, Heinz, Sutterer und Mitarbeiter in Göttingen und Konstanz die • sog. Rückfallstatistik • Vgl. Jehle/Heinz/Sutterer 2003; Heinz ZJJ 2004, 35 ff.; Heinz/Jehle 2004; im Internet unter www.bmj.bund.de • Erfasst wurden ca. 947.000 im Jahr 1994 im BZR registrierte Verurteilte oder 1994 aus einer freiheitsentziehenden Sanktion Entlassene. • Überprüfter Rückfallrisikozeitraum: 4 Jahre, d.h., alle erneuten Registrierungen bis 1999 wurden erfasst. 85 86 87 88 89 90 91 92 93 10.2 Problematik des Erfolgskriteriums (Rückfall, Sozialbewährung, Differenzierungen des Rückfallkriteriums) • In der Sanktions- und Behandlungsforschung wurde zumeist das Kriterium der Legalbewährung (aus rein pragmatischen Gründen der leichten Erhebbarkeit, in Deutschland über eine Abfrage des Bundeszentralregisters) bevorzugt verwendet. • Wichtig ist es, den Rückfall differenziert nach • Schwere, • Häufigkeit und • Intervall zu untersuchen. 94 Problematik des Erfolgskriteriums (2) • Im Allgemeinen wird ein Risikozeitraum von 3-5 Jahren als ausreichend angesehen, da die meisten Rückfälle sich bereits innerhalb des ersten Jahres nach der Sanktionierung oder Entlassung aus dem Strafvollzug ereignen. • Andere Kriterien des Erfolgs, die man unter dem Stichwort „Sozialbewährung“ zusammenfassen kann, sind u.U. aussagekräftiger, da sie direkter an die Intervention anknüpfen, • z. B. Drogen-/Alkoholfreiheit bei Entzugstherapien, • ein erfolgreicher Berufsausbildungsabschluss bei entsprechenden Behandlungsprogrammen im Strafvollzug, 95 Problematik des Erfolgskriteriums (3) • eine geringere Aggressivität bei Anti-AggressivitätsTrainingsprogrammen, • die dauerhafte Beschäftigung bei Arbeitsvermittlungsprogrammen für entlassene Gefangene, • verbesserte familiäre Beziehungen oder Bindungen bei Partnerschafts-/Familientherapie, • Veränderungen bzgl. psychologischer Persönlichkeitsdimensionen wie antisozialer Einstellungen o.ä. bei verhaltenstherapeutischen oder anderen Therapieprogrammen. 96 10.3 Zu Kosten und Wirksamkeit justizieller Interventionen • vgl. Moxon in Goldblatt/Lewis 1998, S. 85 ff. • Diversion • Ambulante Sanktionen (Verwarnung, gemeinnützige Arbeit, Geldstrafe, Wiedergutmachung, soziales Training, Verkehrserziehungskurse, Alkohol-/Drogentherapie etc.) • Strafaussetzung und Bewährungshilfe • Intensivierte Bewährungsaufsicht 97 Kosten und Wirksamkeit justizieller Interventionen (2) • shock probation, shock incarceration • Hausarrest, ggf. mit elektronischer Überwachung • Boot camps • Unbedingte Freiheitsstrafe Behandlungsprogramme: Sozialtherapie, Drogentherapie etc. • Sicherungsverwahrung 98 10.4 Aspekte der vergleichenden Sanktionsforschung (einschließlich KostenNutzen-Analysen) • Der Vorrang weniger eingriffsintensiver und von spezialpräventiv- bzw. behandlungsorientierten Sanktionen wird empirisch bestätigt! • Diversion ist bei vergleichbaren Tätergruppen günstiger als eine formelle Verurteilung, insbesondere bei Ersttätern. • Ambulante sozialintegrative Maßnahmen, insbesondere Täter-Opfer-Ausgleich, Wiedergutmachung, gemeinnützige Arbeit u.ä. sind kostengünstigere und effektivere Alternativen im Vergleich zum Freiheitsentzug. 99 Aspekte der vergleichenden Sanktionsforschung (2) • Innerhalb verschiedener ambulanter Sanktionen gilt die These der weitgehenden Austauschbarkeit von Sanktionen • hierbei: Geldstrafe ist die kostengünstigste Variante. • Die bedingte Entlassung (ggf. mit Bewährungsaufsicht) ist günstiger als eine volle Strafverbüßung (vgl. Nomos-Kommentar-Dünkel 2005, § 57 Rn. 129 ff.) • Behandlungsprogramme im Strafvollzug sind besser als die bloße Verwahrung. • Die Inhaftierung (Sicherung) gefährlicher Täter bzw. von Intensivtätern ist nur erfolgreich bezogen auf die kleine Gruppe von besonders Rückfallgefährdeten. 100 10.5 Ergebnisse zu neueren amerikanischen Strafkonzepten 10.5.1 Sicherung durch Freiheitsentzug (incapacitation) (Kunz § 35) • Parallelen im Bereich der Kriminalprävention: situative KP, indem auf die Tatgelegenheitsstruktur negativ gestaltend Einfluss genommen wird (hier werden Tatgelegenheiten durch sichere Verwahrung unterbunden. 10.5.2 „Just deserts” und „Three strikes and you’re out” (Kunz § 36) • „Just deserts“ hatte ursprünglich liberale Grundlagen, indem gegen die ausufernden, zeitlich unbestimmten Freiheitsstrafen im amerikanischen Strafrecht argumentiert wurde. Begrenzung durch „Tatproportionalitätr“. Jedoch wurde die Bewegung schnell von „Law-and-Order“Mentalitäten vereinnahmt! 101 10.6 Ergebnisse der Behandlungsforschung im Strafvollzug, insbesondere in der Sozialtherapie • zusammenfassend: Lösel 1994; Dünkel 1996, S. 21-29; Lipton 1998; Vennard/Hedderman 1998; Dünkel/Drenkhahn 2001. • In der neueren Literatur hat sich die sog. Meta-Analyse von Rückfallstudien, d.h. die gewichtete Zusammenfassung zahlreicher Studien zu bestimmten Behandlungsprogrammen wie z.B. der Sozialtherapie im Strafvollzug als aussagekräftige Evaluationsmethode erwiesen. • Hierdurch werden methodische Schwächen und Besonderheiten einzelner Studien nicht überbewertet. 102 Rückfall nach Sozialtherapie am Beispiel der Studien zu Berlin-Tegel • Untersucht wurden in einer ersten Studie alle 1971-74 behandelten Sozialtherapiefälle im Vergleich zu verschiedenen Kontrollgruppen des sog. Regelvollzugs (Gesamt-N = 1.503, vgl. Dünkel 1980) • Risikozeitraum: 4,5 Jahre • In einer zweiten Studie wurden 510 sog. Karrieretäter (mindestens 3 Vorstrafen) mit einem Risikozeitraum von 10 Jahren nachuntersucht (vgl. Dünkel/Geng 1993; 1994) • In der ersten Untersuchung traten Rückfallprozentsatzdifferenzen von 15-20% zugunsten der Sozialtherapie auf. 103 Rückfall nach Sozialtherapie (2) • Theoretische Grundlagen der Sozialtherapie • Gibt es begründete Hoffnung, dass Behandlung im Strafvollzug etwas bringt oder gilt das Prinzip • „nothing works“? (vgl. Martinson 1974) • Dazu ein Zitat aus den 1950er Jahren: 104 Der „verbrecherische Mensch“ • „Verbrecherisch ist jemand, der das Böse, zu dem ihn eine teuflische Stimme treibt, in die Tat umsetzt. • Nicht nur in der Hefe des Volkes, auch auf Ministersesseln, ja auf „Höhen der Menschheit“, zu denen der Arm des Gesetzes nicht reicht, findet man Verbrecher. • Der verbrecherische Mensch bleibt, auch wenn der Staat ihn in Verwahrung nimmt, zumeist sein Leben lang ein Böse-wicht, und Strafen aller Art gleiten wirkungslos an ihm ab. • Nur wenn ihn die Gnade berührt, sei das durch einen menschlichen Mittler oder unmittelbar durch göttliche Offenbarung, kann er eine Wandlung erleben.“ • (E. Oppenheim: Charakterkunde von A bis Z. Stuttgart, Bern 1955) 105 Voraussetzungen der Behandlungsforschung • Inzwischen wissen wir allerdings, dass es nicht unbedingt auf die göttliche Gnade ankommt, sondern auf: • Methodisch angemessene Standards der Erfolgsmessung und • Wissenschaftlich gesicherte Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung 106 Methodische Kriterien der Sanktions- und Behandlungsforschung 1. Angemessene Begriffsbestimmung der Behandlungs- oder Sanktionsform 2. Verwendung eines Kontrollgruppendesigns, wenn möglich unter Zufallszuteilung der Probanden auf Kontroll- und Experimentalgruppe 3. Der empirische Nachweis, dass die Experimentalgruppe die definierte Behandlung für die Gesamtdauer des Experiments auch tatsächlich erhielt, die Kontrollgruppe aber nicht 4. Die Kontrolle der Verhaltensänderung durch Vorher- und Nachhermessung des Verhaltens, das geändert werden soll 5. Genaue Festlegung eines verlässlichen und gültigen Erfolgskriteriums sowie die 6. Nachuntersuchung für Kontroll- und Experimentalgruppe nach Ablauf einer mehrjährigen Risikozeit • Quelle: Kaiser: Kriminologie. Ein Lehrbuch. 3. Aufl. 1996, S. 981. 107 Interpersonale Problemlösungskompetenz* Kognitiver Denkstil Soziale Perspektiven übernahme Konkret Äußerlich (External) Gegenwartsorientiert (Hier-und-jetztOrientierung) Kognitive Defizite bei Straftätern Werte Selbstkontrolle Gering ausgeprägtes, inkonsistentes wertebezogenes Denken Impulsiv Unreflektiert Kritische Reflexionsfähigkeit Denkfehler *Geringe Problemwahrnehmung, Wenig ausgeprägtes konsequenzenorientiertes Denken, Geringe Fähigkeit, Alternativen zu bedenken; Wenig ausgeprägtes Austesten von Mitteln der Zielerreichung (Means-end testing) 108 50% 37,5% 46,9% 60% 15,8% 30% 10% 8,2% 20% 23,1% 40% 22,3% 70% 59,8% 70% 63,1% 80% Regelvollzug Sozialtherapie Differenz 78,9% 90% Entlassung 1971-1974 aus Berlin-Tegel, Risikozeitraum Ø 10 Jahre 79,4% Wiederverurteilungen in Prozent (%) 100% 87,6% Wiederverurteilung von Karrieretätern aus unterschiedlichen Strafvollzugsformen 0% Rückfalldefinition: jede neue Wiederverurteilung mehr als 3 Monate Freiheitsstrafe oder 90 Tagessätze Geldstrafe Freiheitsstrafe ohne Bewährung mind. 12 Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung © Prof. Dr. Frieder Dünkel, Universität Greifswald, Lehrstuhl für Kriminologie 109 Anteile von Rückfälligen mit Freiheitsstrafen ohne Bewährung in beiden Beobachtungszeitraum-Hälften nach Strafvollzugsformen bezogen auf den Gesamtbeobachtungszeitraum 65,3% Anteile in Prozent (%) 70% in beiden Intervallen nur im jeweiligen Intervall 60% 50% 41,9% 36% 40,6% 40% 29,4% 30% 24,4% 36% 20% 29,3% 10% 24,4% 17,5% 0% Sozialtherapie (n=160) Regelvollzug (n=323) 1. 5-Jahres-Intervall 5% 4,6% Sozialtherapie (n=160) Regelvollzug (n=323) 2. 5-Jahres-Intervall © Prof. Dr. Frieder Dünkel, Universität Greifswald, Lehrstuhl für Kriminologie 110 Deliktsperseveranz bei Karrieretätern Wahrscheinlichkeit der Wiederverurteilung bez. eines gleichartigen Delikts innerhalb von 10 Jahren 100 Wahrscheinlichkeit einer Wiederverurteilung in % 100 90 80 70 92 89 79 23 100 95 Anteile ganzzahlig gerundet 89 86 83 80 90 88 64 28 30 51 50 29 67 65 35 33 48 42 76 69 40 88 80 58 57 66 42 56 41 52 50 100 37 33 29 30 25 20 11 10 17 14 9 0 0 37 31 56 58 60 33 78 75 75 75 25 69 81 80 86 83 0 Eigentumsdel. (ninsg. =276) (nSozth.=71) (nRegelv. =189) Vermögensdel. Raubdel. (ninsg. =59) (nSozth.=26) (nRegelv. =29) 0 0 Tötungsdel. (ninsg. =54) (nSozth.=23) (nRegelv. =29) Insgesamt (n=510): gleichartiges Delikt Sozialtherapie (n=160): gleichartiges Delikt Regelvollzug (n=323): gleichartiges Delikt (ninsg. =8) (nSozth.=3) (nRegelv. =5) Körperv erl. Sexualdel. Verkehrsdel. (ninsg. =24) (nSozth.=12) (nRegelv. =12) (ninsg. =41) (nSozth.=12) (nRegelv. =27) (ninsg. =19) (nSozth.=7) (nRegelv. =9) jeweils anderes Delikt © Prof. Dr. Frieder Dünkel, Universität Greifswald, Lehrstuhl für Kriminologie 111 10.7 Erfolgreiche Strategien der Straftäterbehandlung • Programme sind erfolgreich, wenn sie auf die speziellen Probleme und Lebenslagen der Probanden zugeschnitten und gut strukturiert sind (Lösel). • Dabei sind Methoden des sozialen Lernens i. S. des Sozialen Trainings zur Verbesserung der Problemlösungs- und Handlungskompetenzen besonders vielversprechend. 112 Erfolgreiche Strategien der Straftäterbehandlung (2) • Dementsprechend scheinen Behandlungsprogramme viel versprechend, die zu einer Verbesserung der Chancenstruktur bzw. der Lebenslagen beitragen (z.B. Freigängerprogramme). • Insgesamt kommen die aktuellen Meta-Analysen in den USA und Deutschland zu dem auffällig übereinstimmenden Befund, dass man eine Effektstärke von ca. .10-.12 für Behandlungsprogramme im Strafvollzug annehmen darf. 113 Die Bedeutung der Maßeinheit „Effektstärke“ Recidivism Rate Comparison of Recidivism Rates Effect Size, r = .65 -.35 = .30 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 65% 35% Control Illustration of Binomial Effect Size Display ( r ) Treatment 114 Erfolgreiche Strategien der Straftäterbehandlung (3) • Die Effektstärke von .10 kann mit einer Reduzierung der Rückfallquote um ca. 10% gleichgesetzt werden. • Ob dies als viel oder wenig einzuschätzen ist, bleibt eine Wertungsfrage. • Dazu Lösel: Die in neueren Meta-Analysen im In- und Ausland auffällig konsistente mittlere Effektstärke von .10 bedeutet übertragen auf den medizinischen Bereich folgendes: 115 Erfolgreiche Strategien der Straftäterbehandlung (4) • „Wenn von einer unbehandelten Gruppe Kranker 50 Prozent genesen, dann sind dies in der behandelten Gruppe 60. • Wer würde selbst bei einem solchen scheinbar kleinen Effekt bei einer schwerwiegenden Krankheit auf die Therapie verzichten? • Die Straftäterbehandlung sollte sich vor entsprechenden Kosten-Nutzen-Analysen nicht scheuen.“ 116 Mittlere Effektstärken (r) bei unterschiedlichen Programmen der Straftäterbehandlung Strafvollzug/Regelvollzug ohne Behandlung(n=107) 0,00 0,01 mittl. Effektstärke (r), ungewichtet mittl. Effektstärke (r), gewichtet Standardabweichung 0,13 0,04 0,04 "Boot Camps"(n=24) Intensive Überwachung in Freiheit ("Intensive Community 0,09 0,04 0,03 0,17 Supervision") (n=132) 0,28 0,25 0,25 "Mentoring" (n=15) Erziehungsprogramme insg. 0,10 0,08 (n=47) 0,18 Schulbildungsmaßnahmen 0,02 0,05 ("College Coursework") (n=12) 0,10 Verhaltenstherapie und soziales Training(n=54) Soziales Kompetenztraining 0,13 0,14 0,15 0,14 0,18 0,18 (n=20) 0,09 Alkohol- und Drogentherapie 0,07 (n=107) 0,16 0,16 Therapeutische Gemeinschaft 0,12 (n=16) 0,21 0,08 Gesprächsgruppentherapie 0,04 (n=53) 0,19 0,30 "Realitätstherapie"(n=6) Quelle: Lipton, D. S. (1998): The Effectiveness of Correctional Treatment. Seoul. 0,26 0,19 0,00 0,05 0,10 0,15 0,20 0,25 0,30 117 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (1) • In den neueren Sekundär- und Meta-Analysen werden folgende Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung genannt: • Risk classification: Risikoeinschätzung und Intervention entsprechend unterschiedlicher Risikogruppen (intensivere Programme sind stärker gefährdeten Verurteilten vorzubehalten); • Targeting criminogenic needs: Orientierung an direkt die Straftatbegehung begünstigenden Faktoren („kriminogen wirkende Bedürfnisse“, z.B. anti-soziale Einstellungen, geringe soziale Handlungskompetenz); 118 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (2) • Programme integrity: Programmdefinition und gute Implementation des Behandlungsprogramms; • Responsivity: Ansprechbarkeit der Straftäter (Methoden der Behandlung müssen der Lernkompetenz und -form der Probanden angepasst werden. • Das bedeutet z.B., dass strukturierte Lernformen i. S. des sozialen Trainings unstrukturierten Gesprächs-formen z.B. des counselings vorzuziehen sind; 119 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (3) • Treatment modality: Orientierung des Behandlungsprogramms an der Vermittlung beruflicher Fähigkeiten, sowie sozialer Handlungs- und Problemlösungskompetenz einschließlich der Stär-kung positiver Einstellungen und Werthaltungen • eher verhaltenstherapeutische Formen des sozialen Trainings u.ä. anstatt ggf. unstrukturierte psycho-therapeutische Verfahren; • Community base: Gemeindeorientierung von Behandlungsprogrammen 120 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (4) • Lösel hebt ergänzend zu diesen Strategien erfolgreicher Straftäterbehandlung in einer Zusammenfassung des Forschungsstandes folgende Dimensionen hervor: • Wichtig erscheint • ein positives institutionelles Klima, • sensibler, konstruktiver und unterstützender Umgang des Personals, • das sorgfältig ausgewählt, geschult und supervidiert werden sollte, und 121 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (5) • die Neutralisierung ungünstiger sozialer Netzwerke (innerhalb oder außerhalb der Institution, insbesondere der negativen Tendenzen der Gefängnissubkultur). • Wesentlich ist weiterhin • die Stützung „protektiver“ Faktoren des sozialen Umfelds des Gefangenen, • z.B. positive Partnerbeziehungen sowie • die differenzierte Nachsorge und Rückfallprävention (vgl. Lösel 2001, S. 49ff). 122 Differenzielle Effekte von Straftäterbehandlungsprogrammen bzgl. Rückfallraten (Effektstärken entsprechend Phi-Koeffizienten; in Klammern: Anzahl der Studien; Quelle: Andrews u. a. 1990) • Programme, die den o. g. Kriterien erfolgreicher Straftäterbehandlung entsprechen, weisen deutlich bessere Effektstärken der Rückfallreduzierung auf als Programme, die in diesem Sinne als nicht angemessen zu klassifizieren sind! • Unangemessene bzw. schlecht implementierte Pro-gramme können sogar Negativeffekte aufweisen. • D.h. gelegentlich ist es besser, nicht zu behandeln als mit theoretisch schlecht begründeten bzw. praktisch schlecht implementierten Programmen zu arbeiten! 123 Angemessene Behandlungsprogramme Nicht angemessene Behandlungsprogramme Zielgruppe Jugendliche Erwachsene .29 (45) .34 ( 9) -.07 (31) -.03 ( 7) Jahr der Publikation Vor 1980 Nach 1980 .24 (33) .40 (21) -.09 (22) -.03 (16) Methodische Qualität der Studie Schwächer Stärker .32 (26) .29 (28) -.04 (10) -.08 (22) .35 (37) -.14 (31) .20 (17) -.15 (7) Behandlungs-Setting Gemeindebezogen (ambulant) Institutionell/Gefängnis (Freiheitsentzug) 124 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (8) • Ein wesentliches Element der responsivity (Ansprechbarkeit) ist die Einbeziehung verhaltenstherapeutischer Methoden (u.a. Methoden des sozialen Trainings). • Auch hier zeigten sich starke Effekte, wenn diese Methoden in „angemessener“ Weise eingesetzt wurden: • Einer positiven Effektstärke von .31 standen negative Effekte von -.09 bei unangemessener Programmumsetzung gegenüber. 125 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (9) • Bemerkenswert ist ferner die Aussage, dass im Vergleich ambulanter und stationärer Behandlungsprogramme erstere immer deutlich günstiger abschnitten, • letztere bei guter Programmimplementation gleichwohl ebenfalls deutlich positive Effekte zeigten. • Man kann daraus zweierlei schlussfolgern: 126 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (10) • Behandlung in Freiheit (z.B. im Rahmen der Bewährungshilfe) ist Erfolg versprechend. • Sie ist im Zweifel gegenüber stationärer Behandlung nicht nur aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorzugswürdig, sondern auch, weil die negativen Auswirkungen des Freiheitsentzugs die positiven Behandlungseffekte nicht überlagern. • Soweit Freiheitsentzug unerlässlich erscheint, ist er behandlungsorientiert auszugestalten und bei guter Programmimplementation ebenfalls Erfolg versprechend. 127 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (11) • Zur Qualitätssicherung von Behandlungsprogrammen im Strafvollzug: • die „Akkreditierung“ von Behandlungsprogrammen ist sinnvoll! • (vgl. die Erfahrungen des englischen Home Office) 128 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (12): Effektstärken bei Beachtung von RNR-Prinzipien, nach Andrews 2006 Mean Effect Size by Adherence to Principles (k = 374) 0.25 0.23 No 0.19 0.2 Yes 0.15 0.1 0.1 0.05 -0.01 0 -0.05 0.04 0.03 Risk Need Responsivity Mean Effect Size ( r ) by Adherence with Principles (based on Dowden 129 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (13): Effektstärken bei Beachtung von keinem, einem, zwei oder allen drei RNR-Prinzipien, nach Andrews 2006 Mean ES by Adherence to RNR 0.30 .26 0.25 0.20 Mean Effect Size .18 0.15 0.10 0.05 0.00 -0.05 .02 -.02 0 1 2 3 130 Prinzipien erfolgreicher Straftäterbehandlung (14): Effektstärken bei Beachtung von nicht kriminalitätsfördernden (-3 bis -1) und kriminalitätsfördernden Bedürfnissen (needs) (+1 bis +6), nach Andrews 2006 Mean ES by Criminogenic - NonCriminogenic Need 0.6 0.5 .51 Mean ES 0.4 .32 0.3 0.2 .14 .19 .22 .25 0.1 0 -.07 -.05 -.04 -.01 -0.1 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6 131 Gendreau, Little & Goggin: Effektstärken bezogen auf Programme, die folgende kriminalitätsfördernde Faktoren behandeln: (Criminology, 1996) Anti-soziale Einstellungen Anti-soziale Freunde Anti-soziale Persönlichkeit Anti-soziale Vergangenheit Kriminalitätsfördernde Bedürfnisse Schul./berufliches Ausbildungsniveau Herkunft aus unteren sozialen Schichten Persönliche Leiden (Krankheiten, Depression etc.) Geringe Intelligenz .19 (29) .18 (27) .18 (62) .16 (245) .15 (175) .15 (27) .06 (24) .05 (64) .07 (31) 132 Mittlere Effektstärken bezogen auf spezifische kriminalitätsfördernde Faktoren: (Criminogenic Needs; Gesamtdurchschnitt der Effektstärke = .08) Anti-soziale Kognitionen Selbstkontrolldefizite Anti-soziale Partner Familiäre Dynamik (Gruppenprozesse in der Familie ) Individualisierte Anpassung (Matching) Schule/Arbeit Drogen-/Medikamenten-/Alkoholmissbrauch .21 (78) .22 (59) .21 (51) .29 (30) .21 (61) .15 (88) .11 (36) ns 133 Mittlere Effektstärken bezogen auf spezifische kriminalitätsfördernde Faktoren: (Criminogenic Needs; Gesamtdurchschnitt der Effektstärke = .08) Furcht vor staatlicher Strafe Persönliche Leiden Körperliche Aktivitäten (Sport etc.) Konventionelle Ziele Persönlichkeitsbezogene nicht kriminalitätsfördernde Faktoren insgesamt Auf die zwischenmenschliche Kommunikation bezogene nicht kriminalitätsfördernde Faktoren insgesamt -.05 (43) .08 (101) ns .08 (43) ns .08 (29) ns .04 (171) ns .01 (45) ns 134 Strukturierung und Qualitätssicherung von Behandlungsprogrammen • Im einzelnen kommt es bei der Bewertung eines Programms an auf: • ein klares Modell der Verhaltensänderung, das wissenschaftlich abgesichert ist, • die Definition der Zielgruppe, • die Orientierung an die Straftatbegehung begünstigende Faktoren („targeting dynamic risk factors“), • die eindeutige Vorgabe von Behandlungszielen, • validierte (effektive) Behandlungsmethoden, 135 Die Beachtung von RNR*-Prinzipien und geschlechtsspezifische Effektstärken • Level der Beachtung von RNR Nicht beachtet Niedrig Mittel Corr w Stark ES. Frauen • .02 (14) .03 (10) .17 (09) .36 (12) .57 Männer • -.02 (110) .02 (96) .18 (75) .24 (48) .56 * Risikoeinschätzung, kriminalitätsfördernde Bedürfnisse, Ansprechbarkeit 136 Strukturierung und Qualitätssicherung von Behandlungsprogrammen (2) • die Orientierung an der Vermittlung sozialer Handlungskompetenz und von Einsichtsfähigkeit („skills oriented“), • die modulare Aufteilung, Intensität und Dauer des Programms, • das Engagement und die Motivation der Behandler, • die Kontinuität des Angebots, • die fortlaufende Kontrolle der Behandlung („monitoring“), sowie • die fortlaufende Evaluation. 137 Lektüreempfehlung: • Albrecht/Dünkel/Spieß, Empirische Sanktionsforschung und die Begründbarkeit von Kriminalpolitik, MSchrKrim 1981, S. 310-326. • Arbeitskreis deutscher, schweizerischer und österreichischer Strafrechtslehrer: Alternativentwurf Wiedergutmachung (AE-WGM), 1992 • Dölling, Generalprävention durch Strafrecht: Realität oder Illusion? ZStW 1990, S. 1-20. • Doob/Webster: Sentencing Severity and Crime: Accepting the Null Hypothesis. In: Tonry (Hrsg.): Crime and Justice, Bd. 30, 2003, S. 143-195. • Dünkel, Freiheitsentzug für junge Rechtsbrecher, 1990, Kap. 7. • Dünkel, Empirische Forschung im Strafvollzug, 1996, S. 21-29. • Dünkel, Empirische Fragen der Rechtswirkungsforschung – dargestellt anhand aktueller Projekte der Kriminologie in Greifswald. In: Rodi (Hrsg.): Recht und Wirkung. Greifswalder Beiträge zur Rechtswirkungsforschung, 2002, S. 109-151. • Dünkel/Drenkhahn, Behandlung im Strafvollzug: von „nothing works“ zu „something works“, in Bereswill/Greve (Hrsg.): Forschungsthema Strafvollzug, 2001, S. 387-417. • Dünkel/Geng, Zur Rückfälligkeit von Karrieretätern nach unterschiedlichen Strafvollzugs- und Entlassungsformen. In: Kaiser/Kury, Hrsg., Kriminologische Forschung in den 90er Jahren, 1993, S. 193-257. • Eisenberg, Kriminologie, 6. Aufl. 2005, §§ 41-42. • Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, 2. Aufl. 1990, §§ 5, 28-30. • Heinz/Jehle (Hrsg.): Rückfallforschung, 2004 (KrimZ, Bd. 45) • Hof, Lübbe-Wolf, Wirkungsforschung zum Recht, Bd. I und II, 1999, 2000. • Jehle/Heinz/Sutterer: Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen, 2003 (s. auch www.bmj.bund.de) • Jung, Sanktionensysteme und Menschenrechte, 1992. 138 Lektüreempfehlung: • Kaiser, Kriminologie, 10. Aufl. 1997, § 13, 4.-5. • Kaiser u. a., Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3. Aufl. 1993, Stichworte „Behandlungsforschung“ (Kury), „Erfolg, Bewährung, Effizienz“ (Kaiser), „Generalprävention“ (H.-J. Albrecht). • Kunz, Kriminologie, 4. Aufl. 2004, §§ 28-33. • Moxon, The role of sentencing policy, in Goldblatt/Lewis (Hrsg.), Reducing offending: an assessment of research evidence on ways of dealing with offending behaviour, 1998 (Home Office Research Study 187), S. 85-100. Lösel, Meta-analytische Beiträge zur wiederbelebten Diskussion des Behandlungsgedankens. In: Steller/Dahle/Basqué, Hrsg., Straftäterbehandlung. Argumente für eine Revitalisierung in Forschung und Praxis, 1994, S. 13-34. Raiser, Das lebende Recht, 3. Aufl. 1999, 14. Abschnitt. Rehbinder, Rechtssoziologie, 5. Aufl. 2003, § 7. Röhl, Rechtssoziologie, 1987, §§ 29-30. Schöch, Empirische Grundlagen der Generalprävention, in: FS für Jescheck, 1985, 1081-1105. Schumann, u. a., Jugendkriminalität und die Grenzen der Generalprävention, 1987. Schumann, Positive Generalprävention, 1989. Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 1991, S. 5-26. Sherman, u. a., Preventing Crime: What works, what doesn’t, what’s promising, National Institute of Justice, Research in Brief, July 1998 (ausführlicher Bericht zu erhalten über: http://www.ojp.usgoj.gov/nij oder über: http://www.preventingcrime.org Vennard/Hedderman, Effective interventions with offenders, in Goldblatt/Lewis (Hrsg.), Reducing offending: an assessment of research evidence on ways of dealing with offending behaviour, 1998 (Home Office Research Study 187), S. 101-119. • • • • • • • • • • 139 Kontrollfragen 1. 2. 3. 4. 5. Welche Straftheorien mit welchen Zielsetzungen kann man unterscheiden? Worin unterscheiden sich absolute und relative Straftheorien grundlegend? Was sind die Grundaussagen der Theorie negativen und der positiven Generalprävention? Was sind die Grundaussagen der Theorie negativen und der positiven Spezialprävention? In der Rechtssoziologie wird als Aufgabe sozialer und rechtlicher Normen u.a. genannt, auf die Wertvorstellung von Menschen einzuwirken. In diesem Zusammenhang wird auch von den symbolischen Funktionen des Rechts gesprochen. Zu welcher Straftheorie lassen sich hierbei Parallelen ziehen? a) Negative Generalprävention, b) Positive Generalprävention, c) Negative Spezialprävention, d) Positive Spezialprävention? (Zutreffendes ankreuzen) Begründen Sie Ihre Auffassung! 140 Kontrollfragen 6. Wie werden die unterschiedlichen Straftheorien im Rahmen der sog. Vereinigungslehre zusammengebracht? 7. Was ist der Sinn und Wesensgehalt von Strafe? 8. Nach welchen Kriterien kann Strafe von anderen Sanktionen abgegrenzt werden ? 9. Welches sind die empirischen Grundlagen der Theorie der Generalprävention? 10. a) Beschreiben Sie die historische Entwicklung, Fragestellungen und Hauptergebnisse der Generalpräventionsforschung! b) Was ist zu den immer wieder (vor allem in Wahlkampfzeiten) vorgetragenen Forderungen nach einer verbesserten Abschreckung durch härtere Strafen aus empirischer Sicht zu sagen? 11. Welche methodischen Probleme sind bei der Forschung zur negativen Generalprävention zu beachten? 141 Kontrollfragen 12. Beschreiben Sie Forschungsansätze und Ergebnisse zur positiven Generalprävention! 13. Beschreiben Sie die methodischen Probleme der Rückfallforschung (Spezialprävention)! 14. Welche Erfolgskriterien werden in der spezialpräventiven Rückfallforschung zugrunde gelegt? Beschreiben Sie die Probleme der Erfassung, (notwendige) Differenzierungen sowie die Vor- und Nachteile der entsprechenden Kriterien! 15. Fassen Sie die Ergebnisse der empirischen vergleichenden Sanktionsforschung (auch unter den Aspekten von Kosten und Wirksamkeit) zusammen! 16. Was lässt sich zu den neueren amerikanischen Strafkonzepten aus empirischer Sicht sagen? a) Incapacitation (Unschädlichmachung durch lange und sichere Verwahrung)? b) Just deserts und „Three strikes and you’re out“? 142 Kontrollfragen 17. Fassen Sie die Ergebnisse der Behandlungsforschung im Strafvollzug, insbesondere zur Sozialtherapie zusammen! 18. Gibt es erfolgreiche Modelle der Gewalt- und Sexualtäterbehandlung und ggf. welche? 19. Welche erfolgreichen Strategien der Täterbehandlung im Strafvollzug lassen sich allgemein unterscheiden? 20. Was folgt aus den Ergebnissen der Sanktions- und Behandlungsforschung für die Kriminal- und Strafvollzugspolitik? 143 Ende! Danke! Honoré Daumier: Les Parlementaires, 1848, Musée d‘Orsay, Paris 144