Grammatiktheorie und Grammatikographie - UK

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Grammatiktheorie und
Grammatikographie
Sitzung am 19.10.2009
1
Referatthemen
• 26.10.09
– Der Grammatikbegriff im Mittelalter
•
•
•
•
Vorscholastische Grammatikkonzeption
Scholastische Grammatikkonzeption
Nominalistische Grammatikkonzeption
Der Grammatikbegriff bei Dante
2
Referatthemen
• 02.11.09
– Der Grammatikbegriff in der frühen Neuzeit (15.
Jh. – 18. Jh.)
• Die humanistische Lateingrammatik
– Melanchton, Scaligero, Campanella etc.
• Die Grammatik von Port Royal
– Der soziokulturelle Kontext
– Die Grammatik(en)
3
Referatthemen
• 09.11.09
– Der Beginn der italienischen Grammatikographie
im 15. Jahrhundert
• Sprachreflexion im italienischen Humanismus
• Leben und Werk Leon Battista Albertis
• Die Grammatica toscana Leon Battista Albertis
4
Referatthemen
• 16.11.09
– Italienische Grammatiken des 16. Jahrhunderts
(I)
• Die Hauptpositionen der Questione della lingua
• Gianfrancesco Fortunio, Regole grammaticali
• Pietro Bembo
– Leben und Werk
– Le prose della volgar lingua
5
Referatthemen
• 23.11.09
– Italienische Grammatiken des 16. Jahrhunderts
(II)
• Gian Giorgio Trissino
– Leben und Werk
– Grammatichetta (1529)
• Pierfrancesco Giambullari
– Leben und Werk
– La lingua che si parla e scrive in Firenze
6
Referatthemen
• 30.11.09
– Italienische Grammatiken des 17. Jahrhunderts
(I)
• Die Accademia della Crusca
• Benedetto Buonmattei, Della lingua toscana
7
Referatthemen
• 07.12.09
– Italienische Grammatiken des 17. Jahrhunderts
(II)
• Marc‘Antonio Mambelli, Delle osservationi
• Agostino Lampugnani, Lumi della lingua italiana
8
Referatthemen
• 14.12.09
– Italienische Grammatiken des 18. Jahrhunderts
(I)
• Kritik der Aufklärer an der Accademia della
Crusca
• Salvadore Corticelli, Regole ed Osservationi
9
Referatthemen
• 21.12.09
– Italienische Grammatiken des 18. Jahrhunderts
(II)
• Francesco Soave
– Die Rezeption der frz. Grammatikographie
– Die Grammatica ragionata
– Soave als Didaktiker
10
Referatthemen
• 11.01.10
– Italienische Grammatiken des 19. Jahrhunderts
(I)
• Der kulturhistorische Kontext
• Die traditionellen Schulgrammatiken (Trecento-Modell)
– Saverio Chiaja, Gramaticella della lingua italiana
– Giovanni Gherardini, Introduzione alla grammatica
– Basilio Puoti, Regole elementari della lingua italiana
11
Referatthemen
• 18.01.10
– Italienische Grammatiken des 19. Jahrhunderts
(II)
• Die Sprachreform Alessandro Manzonis
• Schulgrammatiken unter dem Einfluss von Manzonis
Ideen
– Raffaello Fornaciari, Grammatica italiana
– Carlo Collodi, Giannettino
12
Referatthemen
• 25.01.10
– Grammatiktheorien des 20. Jhs. und ihre
Rezeption in Italien (I)
• Valenz-/Dependenzgrammatik
• Transformationsgrammatik
13
Referatthemen
• 01.02.09
– Grammatiktheorien des 20. Jhs. und ihre
Rezeption in Italien (II)
• Moderne Italienischgrammatiken und ihre
linguistischen Modelle
– Renzi
– Schwarze
14
WISSENSCHAFTSGESCHICHTE
• Die Geschichte des Grammatik-Begriffs und
der Wandel von Grammatik-Modellen
15
Der moderne linguistische Grammatik-Begriff
• Unter Grammatik versteht man in der
Linguistik jede Form einer systematischen
Sprachbeschreibung.
– Im engeren Sinne besteht die Grammatik aus
• als Formenlehre von Wörtern (Morphologie) und
• Sätzen (Syntax).
16
Grammatik – ein historischer Überblick
• Etymologie des Grammatikbegriffs:
– Gr. τέχνη γραμματική, technē grammatikē „Kunst
des Lesens und Schreibens“, von γράμμα,
gramma, „Geschriebenes, Buchstabe“;
– Grammatik = Schriftsprache
• Die Schrift konserviert sprachliche Äußerungen aus
früheren Zeiten, die ab einem gewissen Zeitpunkt einer
philologischen Interpretation bedeürfen
• Sprache kann beobachtet werden
• Entstehung einer Norm
17
Der GrammatikBegriff bei den
Griechen
 Grammatik
 Interpretation von Texten
 Kenntnisse, die hierzu notwendig
sind
18
Der GrammatikBegriff bei den
Griechen
Das Lehrbuch Techne
grammatike, ist das
älteste seiner Art und
im Prinzip die
Grundlage aller
europäischen
Grammatiken
 DIONYSIOS THRAX (2. Jh. v. Chr.)
[it. Dionisio Trace]
 Die Grammatik im Sinne von
Philologie
 Die Aufgaben des Grammatikers
 1. Lesen eines Textes in der richtigen
Aussprache
 2. Erklärung von rhetorischen Figuren
 3. Bedeutungsanalyse schwieriger Wörter
und Redewendungen
 4. Etymologische Worterklärungen
 5. Formenlehre
 6. Echtheitskritik und literarische Wertung
19
Der Grammatik-Begriff bei den Griechen
 Die kulturelle Einordnung der
Grammatik von Dionysios Thrax
 Thrax war Schüler von Aristarchos
von Samothrake (dessen Schriften
nicht erhalten sind)
 Aristarchos war Direktor der
Bibliothek von Alexandria
 Aristarchs Hauptbeschäftigung galt
der Grammatik und insbesondere der
Literatur- und Textkritik.
 Er leitete die Richtlinien seiner Textkritik
aus den Texten Homers ab, den ältesten
überlieferten Texten der griechischen
Literatur.
20
Der GrammatikBegriff bei den
Griechen
 Alexandrinische Textkritik
(= Grammatik oder
Philologie)
 Niedergang der
alexandrinischen Poesie
 Aufstieg der
alexandrinischen Grammatik
 Aristarchos von Samothrake
bemühte sich um die
Rekonstruktion des
Sprachgebrauchs Homers
21
EXKURS
Griechische Grammatikographie im
2. Jh. V.Chr.
Italienische Grammatikographie
um 1500
• Aristarchos
• Pietro Bembo
– Orientierung an der alten
Dichtersprache
– Vorbild HOMER
– Orientierung an der
Dichtersprache des 14. Jhs.
– Vorbild BOCCACIO, PETRARCA
22
Der GrammatikBegriff bei den
Griechen
• Im Umfeld der Bibliothex von Alexandria verfasste
Dionysios Thrax seine Elementargrammatik, in der
auch eine Definition des Grammatikbegriffs
enthalten ist
– „Grammatik ist das praktische Studium der
Sprache, wie sie gewöhnlich von Poeten und
Schriftstellern verwendet wird“
23
Der GrammatikBegriff bei den
Griechen
 Dionysios Thrax unterscheidet insgesamt acht
Wortarten
 Nomen (einschl. Adjektiv) [ónoma]
 Verb [rhema]
Flektierbare
 Partizip [metoché]
Wortarten
 Artikel [árthron]
 Pronomen [antonymia]
 Präposition [próthesis]
Nicht
 Adverb [epírhema]
flektierbare
Wortarten
 Konjunktion [syndesmos]
24
Der GrammatikBegriff bei den
Griechen
• Schwachstelle der Grammatike Techne
– Keine Behandlung der Syntaxg
• Diese Lücke wurde von Apollonios
Dyskolos (it. Apollonio Discolo) gefüllt
– Er lebte im 2. Jahrhundert n. Chr. in
Alexandria und verfasste als erster ein Werk
über Syntax, das die Techne grammatike des
Dionysios Thrax ergänzte.
25
Der GrammatikBegriff bei den
Griechen
• Vier erhaltene Bücher
– Περὶ συντάξεως τοῦ λόγου μερῶν (La
costruzione del discorso),
– Περὶ ἀντωνομίας (I pronomi);
– Περὶ συνδέσμων (Le congiunzioni);
– Περὶ ἐπιρρημάτων (Gli avverbi).
26
Der Grammatik-Begriff bei den Griechen
 Kontroverse zwischen Analogisten und
Anomalisten (bis zum 1. Jh. v.Chr.)
 Krates von Mallos vs. Aristarchos von Samothrake
 Die Analogisten (insbes. in Alexandria)
 In der Sprache gibt es Harmonie, Symmetrie und Logik
wie in der Natur
 Der Reichtum sprachlicher Formen lässt sich auf
Normen und Systeme zurückführen
 Analogieprinzip als Rechtfertigung sprachnormierender
Eingriffe in die Sprache
 Beseitigung abweichender Formen im Flexionssystem
27
Der Grammatik-Begriff bei den Griechen
 Kontroverse zwischen Analogisten und
Anomalisten (bis zum 1. Jh. v.Chr.)
 Die Anomalisten
 In der Sprache gibt es keine durchgehende Ratio
 In der Sprache gibt es keine geschlossenen
Systemordnungen
 Besonderheiten und und Zufälligkeiten gehören
zur Sprache
28
Der GrammatikBegriff bei den
Griechen
 Die Kontroverse zwischen Anomalisten und
Analogisten hat sich als fruchtbar für die
Erforschung der Grammatik erwiesen
 Anhäufung eines umfassenden grammatischen
Wissens
 Die Analogisten mussten lernen, dass die
grammatische Ordnung der Sprache ein
historisch gewachsenes Gebilde ist, in dem
Systemordnungen unterschiedlichen Typs und
unterschiedlicher Zeiten ineinander verwachsen
sind.
 Alle Versuche, diese Ordnung als ein logisch
kohärentes System darzustellen, mussten daher
scheitern.
29
Der Grammatik-Begriff bei den Griechen
• Ergebnis der Kontroverse
– Die Anomalisten mussten erkennen, dass die
grammatische Ordnung einer Sprache dennoch
kein Konglomerat zufälliger Konventionen ist,
sondern ein Strukturgebilde, das einenm
immanenten Zwang zur Systematisierung
ausgesetzt ist, weil es sonst nicht mehr
durchschaubar ist.
– Viele grammatische Widersprüchlichkeiten
lösen sich auf, wenn man die Entwicklung der
grammatischen Systemordnungen in seine
Betrachtungen einbezieht.
30
Der Grammatik-Begriff bei den Griechen
Übertragung der
• Die kulturhistorische Einordnung
griechischen
Diskussion auf die
des Analogie-Anomalie-Streits
lateinische Sprache
Analogisten
 Caesar
 Scipio
 Varro
– Streit über die korrekte der Sprache
• Welches Kriterium entscheidet über die
Richtigkeit der Sprache?
• Norm- (Analogisten) vs. UsusOrientierung (Anomalisten)
Anomalisten
 Cicero
Horaz
Quintilian
31
Die lateinische Grammatikographie von der klassischen
Antike zur Spätantike
• Die von Dionysios Thrax für das
Griechische festgelegten Kategorien
wurden von den römischen
Sprachgelehrten auf das Lateinische
übertragen.
32
Die lateinische Grammatikographie
 De lingua Latina (ein Höhepunkt antiker
lateinischer Sprachtheorie) bestand aus drei
Hauptteilen
 Etymologie
 Morphologie
 Syntax
 Der Syntaxteil ist verloren gegangen, aber aus
einem erhalten gebliebenen Fragment ist
erkennbar, dass Syntax für Varro offenbar das
gleiche bedeutete wie für die Stoiker, nämlich
Aussagenlogik.
 Es sind jedoch nur die Bücher über
etymologische Praxis und morphologische
Theorie erhalten
Vgl. http://www.thelatinlibrary.com/varro.html
33
Die lateinische Grammatikographie
 Erhaltene Teile von De lingua latina (6
„Bücher“ von insgesamt 25)
 Liber V [Etymologie]
 Liber VI [Etym.]
 Liber VII [Etym./Dichtersprache: „Difficilia
sunt explicatu poetarum vocabula.“]
 Liber VIII [Declinatio = Morphologie:
„Quae Dicantur Cur Non Sit Analogia”]
 Liber IX [Decl.]
Auseinandersetzung
 Liber X [Decl.]
mit der Analogie- und
 Fragmenta
Anomalie-Problematik
http://www.thelatinlibrary.com/varro.html
34
Die lateinische Grammatikographie
• Die rekonstruierte Struktur von De lingua latina
– Buch I: *Einleitung
• 1. Hexade
– Buch II-IV : [*theoretische Erörterung der Etymologie]
– Buch V-VII: historisch-exemplarische Erörterung der
Etymologie
• 2. Hexade
– Buch VIII-X: theoretische Erörterung der „Declinatio“
– Buch XI-XIII : [*historisch-exemplarische Erörterung der
„Declinatio“]
35
Die lateinische Grammatikographie
• Die rekonstruierte Struktur von De lingua latina
• 3. Hexade
– Buch XIV-XVI : [*theoretische Erörterung der Syntax]
– Buch XVII-XIX: *[historisch-exemplarische Erörterung der
Syntax]
• 4. Hexade
– Buch XX-XXII: *[historisch-exemplarische Erörterung der
Syntax]
– Buch XI-XIII : [*historisch-exemplarische Erörterung der
Syntax]
36
Die lateinische
Grammatikograph
ie
– Terentius Varro (116-27 v.Chr.)
• De lingua latina (ein Höhepunkt
antiker lateinischer
Sprachtheorie)
– Orientierung an der Mathematik
– Der zentrale Begriff (10. Buch)
lautet DECLINATIO (jedoch nicht
im heute üblichen Sinne von
Deklination, sondern in Bezug auf
jede morphologische Variation von
Wörtern)
37
Die lateinische Grammatikographie
Terentius Varro, De lingua latina
Systematisierung von
Wortbildungsprozessen
Unterscheidung zwischen
declinatio voluntaria (= Derivation)
und declinatio naturalis (= Flexion)
Die Declinatio voluntaria: verläuft
meist anormal
Die Declinatio naturalis: folgt der
Analogie
38
Die lateinische Grammatikographie
 Es gibt – wie gesagt – zwei Arten
von morphologischer Variation
(declinatio)
 Wörter ändern ihre Form durch die
arbiträre voluntas des Sprechers,
oder die systematische natura der
Sprache
 Die Declinatio voluntaria entspricht der
heutigen Derivationsmorphologie
 Die Declinatio naturalis entspricht der
heutigen Flexionsmorphologie
 Varro ist der erste Grammatiker, der eine
solche Unterscheidung vornimmt
39
Die lateinische Grammatikographie
 Für Varro gibt es auf der Ebene der
declinatio naturalis nur zwei Kriterien
zur Bestimmung der linguistischen
Ähnlichkeit oder similitudo:
 figura oder vox, d.h. die phonologische
Form (Laut oder Schrift)
 materia oder res, d.h. die grammatische
Substanz, z.B. Kasus, Tempus etc.
 Damit Wörter legitimerweise verglichen und
klassifiziert werden können, müssen sie eine
Analogie (analogia) aufweisen, die "zweifach
und vollendet" ist, (duplex et perfecta)
40
Die lateinische Grammatikographie
 Varro als Vermittler von
analogistischer und
anomalistischer Lehre
 Gemäßigte Position des Analogismus
 Die Flexion wird als naturgegebene,
analogische Beugung von
morphologisch veränderbaren
Wörtern dargestellt
 Unregelmäßige Flexion wird von Varro
bekämpft
 Einsatz einer radikal morphologischen
Systematik bei den Wortarten (partes
orationis) unter Umgehung
semantischer oder funktionaler
Bestimmungen
41
Die lateinische Grammatikographie
 DE LINGUA LATINA LIBER X
 „ In verborum
declinationibus disciplina
loquendi dissimilitudinem an
similitudinem sequi deberet,
multi quaesierunt. Cum ab
his ratio quae ab similitudine
oriretur vocaretur analogia,
reliqua pars appellaretur
anomalia…“
http://www.thelatinlibrary.com/varro.ll10.html
42
Die lateinische Grammatikographie
 Varro
 Verbum (Wort)
 genus sterile (unveränderlich)
 genus fecundum (veränderlich)
 Verteilung von flektierten Wörtern
auf vier Klassen, wobei nur 2
Kriterien ausschlaggebend sind:
 Tempus und Kasus
 Wörter mit Kasus- und
Zeitmarkierung (Partizipien)
 Wörter ohne Kasus- und
Zeitmarkierung (Adverbien)
 Nur zeitmarkierte Wörter (Verben)
 Nur kasusmarkierte Wörter
(Substantive und Adjektive)
43
Die lateinische Grammatikographie
 Zur Erklärung seiner Konzeption von
grammatischer Analogie verwendet
Varro eine Reihe arithmetischer
Proportionen.
 Gleich deklinierte Nomina gleichen
einer disjunkten Proportion – rex:regis ::
lex:legis (wie 1:2 :: 10:20)
 Gleich konjugierte Verben entsprechen
einer konjunkten Proportion –
legebam:lego::lego:legam (1:2::2:4),
denn Präteritum verhält sich zu Präsens
wie Präsens zu Futur
 Varro ist der einzige antike Sprachforscher,
der abstrakte Modelle formuliert hat.
44
Die lateinische Grammatikographie
• In der Spätantike verengte sich der
Grammatikbegriff dann zunehmend auf
die Beschreibung und normative
Festschreibung des klassischen
lateinischen Sprachsystems,
insbesondere durch
– Aelius Donatus und
– Priscianus Caesariensis
45
Die lateinische Grammatikographie
Inhalt der Ars minor
De Nomine
De Pronomine
De Verbo
De Adverbio
De Participio
De Coniunctione
De Praepositione
De Interiectione
 Aelius Donatus (4. Jh. n.Chr.) war
der einflussreichste römische
Grammatiker des 4. Jahrhunderts.
Er schrieb zwei Grammatiken
 Die Ars minor, die nur die Wortarten
behandelt und als Dialog abgefasst
ist zwischen dem Lehrer, der Fragen
stellt und dem Schüler, der sie
beantwortet
 Die Ars maior, die auch eine kurze
Phonologie enthält und Aspekte des
korrekten und unkorrekten Lateins
behandelt.
46
Die lateinische Grammatikographie
• Beispiel
– De Nomine
• Nomen quid est? Pars orationis
cum casu corpus aut rem proprie
communiterve significans Nomini
quot accidunt? Sex. Quae?
Qualitas conparatio genus
numerus figura casus[…].
47
Die lateinische Grammatikographie
 Priscian (6. Jh. n.Chr.) stellt gleichzeitig den
Höhepunkt und das Ende der Römischen
Grammatikographie dar
 Er sammelte und systematisierte die
Ergebnisse jahrhundertelanger
grammatischer Forschung in der römischen
Welt
 Priscian wurde einer der einflussreichsten
Grammatiker überhaupt und ein Großteil
der Grammatikographie des Mittelalters
basierte auf seinen Arbeiten.
48
Die lateinische Grammatikographie
 Priscians Hauptwerk, die Institutiones
grammaticae (in 18 Büchern), geht weit
über das hinaus, was andere römische
Grammatiker je erstrebt oder erreicht
hatten.
 Der syntaktische Teil dieses Werkes ist
von den Arbeiten des führenden
Alexandrinischen Grammatikers
Apollonius Dyscolus beeinflusst, dem
einzigen griechischen Grammatiker, der
über Syntax geschrieben hatte.
49
Die lateinische Grammatikographie
 Priscians Behandlung der lateinischen
Morphologie gehört zu den gründlichsten
und bestdokumentierten morphologischen
Beschreibungen überhaupt
 Seine Regeln zur Ableitung von
Wortformen innerhalb eines FlexionsParadigmas sind auch heute noch von
theoretischem Interesse
 Priscian arbeitet mit einem System von
Regelketten, wobei er mit einer Grundform
beginnt (z.B. Nominativ), daraus eine
andere ableitet (z.B. Genitiv), die ihrerseits
die Basis für eine weitere bildet (z.B. Dativ),
usw.
50
Die lateinische Grammatikographie
 Priscians letzten beiden Bücher
(Priscianus Minor) behandeln die
Syntax.
 Sie bilden die Grundlage für spätere
syntaktische Untersuchungen im
Mittelalter.
 Kein anderes erhalten gebliebenes Werk
eines römischen Sprachforschers ist der
Syntax gewidmet.
 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass
die Kapitel einiger Grammatiken über
syntaktische Fehler (soloecismus) viele
interessante Beobachtungen über die
Syntax enthalten.
51
Die lateinische Grammatikographie
 Die Institutiones grammaticae
bestimmten die Grammatikographie
über Jahrhunderte hinweg.
 Es wurden acht grammatische Kategorien
unterschieden, und zwar
 Nomen,
 Pronomen,
 Verb,
 Adverb,
 Partizip,
 Koniunktion,
 Präposition und
 Interjektion:
 Ziel war die Anleitung zur korrekten Anwendung
der Sprache.
52
Von der Antike zum Mittelalter:
vom Lateinischen zum Romanischen
53
Von der Antike zum Mittelalter:
vom Lateinischen zum Romanischen
54
Von der Antike zum Mittelalter:
vom Lateinischen zum Romanischen
55
Der Grammatik-Begriff im Mittelalter
 Drei große
Grammatikvorstellungen
 Vorscholastische
Grammatikkonzeption
 Donatus (4. Jh.)
 Priscianus (6. Jh.)
 Scholastische
Grammatikkonzeption
 Einfluss der Aristoteles-Rezeption
 Nominalistische
Grammatikkonzeption
 Einfluss psychologischer Kategorien
56
Antike Tradition im Mittelalter
 Die karolingische Renaissance
 Als karolingische Renaissance bezeichnet
man den kulturellen Aufschwung zur Zeit
der frühen Karolinger, ausgehend vom
kaiserlichen Hof Karls des Großen.
 Anmerkung:
 Der Begriff der Renaissance ist dabei
umstritten, weil er das Gewicht zu stark auf
das Wiederaufleben der Antike und die
Säkularisierung des Denkens legt.
 Man spricht daher auch treffender von der
Bildungsreform Karls des Großen oder der
karolingischen Erneuerung (lat. renovatio).
57
Antike Tradition im Mittelalter
 Lateinische Tradition im Mittelalter
 Alcuin von York
 De grammatica
 Rückbesinnng auf die sieben freien Künste,
deren Struktur auf Martianus Capella (aus
Carthago) im 5. Jh.n.Chr. zurückgehen. Sein
Hauptwerk wurde wie folgt gegliedert:
 Bücher III-V : das (sprachliche) Trivium
Grammatik, Rhetorik, Logik
 Bücher VI-IX : das (mathematische) Quadrivium
Arithmetik, Geometrie, Musiktheorie,
Astronomie
 In der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts wurde
diese Schrift durch Abschriften und
Kommentare in Europa weit verbreitet.
58
Der Grammatik-Begriff in der Mittelalter
• Die lateinische Grammatik
als elementarer Bestandteil
der 7 freien Künste
– Trivium
• Grammatik
• Rhetorik
• Dialektik
– Quadrivium
•
•
•
•
Arithmetik
Geometrie
Astronomie
Musik
Der Grammatik-Begriff in der Mittelalter
• Weitere karolingische
Grammatiker
–
–
–
–
Petrus von Pisa (Ars grammatica)
Paulus Diaconus (Ars minor)
Clemens Scotus (Ars grammatica)
Smaragdus von St.-Mihiel (Liber in
partibus Donati)
60
61
Der Grammatik-Begriff im Mittelalter
 Die Rolle der Grammatik im
mittelalterlichen Bildungssystem
 Grammatik war der zentrale
Studieninhalt der „Artistenfakultät“, die
alle Studenten durchlaufen mussten,
bevor sie zum Studium der
Spezialwissenschaften (Theologie,
Philosophie, Jurisprudenz, Medizin)
zugelassen wurden.
 Grammatik als Schlüssel zum
Textverständnis
62
Der Grammatik-Begriff im Mittelalter
 Das Grammatikkonzept
der vorscholastischen
Epoche (empirisch und
deskriptiv)
 Studium der deskriptiven
Grammatiken von Donatus
und Priscianus
 Lesen und Verstehen
überlieferter Texte
 Herstellen adäquater Texte
63
Der Grammatik-Begriff im Mittelalter
Scholastik (lat. Adjektiv
scholasticus) ist die
wissenschaftliche
Denkweise und Methode
der Beweisführung,
die in der Gelehrtenwelt
des Mittelalters entwickelt
wurde.
 Scholastische
Grammatikkonzeption
 Die Kategorienlehre des
Aristoteles sollte auf die
Sprachbetrachtung
angewandt werden
 Philosophische Grammatik
(Grammatik als Logik bzw.
Sprachphilosophie)
 Grammatica speculativa
64
Der Grammatik-Begriff im Mittelalter
• Die Grammatica speculativa
– Suppositionslehre
• Untersuchung und Klassifizierung
des Sachbezugs (Suppositio)
sprachlicher Zeichen
• Unterscheidung zwischen
–
–
–
–
wörtlicher
ironischer
metaphorischer
sprachbezogener
Bedeutung
65
Der Grammatik-Begriff im Mittelalter
Modistae (< modus):
Anhänger der
spekultatven
Grammatik
 Die modistische Tradition ist in gewissem
Sinn eine Synthese der philologisch
orientierten griechisch-römischen, auf
Dionysios Thrax zurückgehenden Tradition
mit zunächst unabhängigen
philosophischen Strömungen des
Mittelalters.
 Ein Wegbereiter des Modismus ist Petrus
Helias, der im Jahr 1150 einen
Prisciankommentar (Summa super
Priscianum) verfasst hat, in dem er versucht,
Priscians Analyse zu den lateinischen
Wortarten auf die Basis der aristotelischen
Organon-Schriften ( Όργανον „Werkzeug“,
„Methode) Kategorien und De
Interpretatione (Περὶ ἑρμηνείας) zu stellen.
66
Der Grammatik-Begriff im Mittelalter
 MODISTEN
 Ziel: Entwicklung einer Universalgrammatik
 Thomas von Erfurt
 Tractatus de modis significandi (= Grammatica speculativa)
 Lehre von den modi significandi (= Lehre von den Bedeutungsweisen
und Bedeutungsformen sprachlicher Formen)
 Wahrnehmungsformen (modi intellegendi)
 Seinsformen (modi essendi)
67
68
http://www.uni-erfurt.de/sprachwissenschaft/personal/lehmann/CL_Publ/Thomas_von_Erfurt.pdf
Der Grammatik-Begriff im Mittelalter
Der Grammatik-Begriff im Mittelalter
Grammatik als Wissenschaft
69
Der Grammatik-Begriff in der italienischen Renaissance
(15. Jahrhundert)
70
Der kulturhistorische Kontext
• umanesimo volgare vs. umanesimo
latino
71
Der kulturhistorische Kontext
Humanismus
• Das Zeitalter des Humanismus
Die antike Bildung
wurde als
unübertreffliches
Vorbild empfunden
und das
lebensbejahende und
schöpferische
Individuum
rehabilitiert.
– Hinwendung zur Antike
• Intensives Studium antiker Quellen
• Rekonstruktion der klassischen
lateinischen Sprache
• Frage nach der Beschaffenheit des
Lateinischen in der Antike
• Frage nach der Dekanenz des
Lateinischen während der
Völkerwanderung
72
Die italienischen Humanisten und die Frage nach der
Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum

„Sprachhistorische
Reflexion“ im Humanismus
 Das Hauptziel des frühen Humanismus war
– wie bereits erwähnt – eine
Wiederbelebung der geistigen
Errungenschaften der klassischen Antike.
 Das philologische Interesse der Humanisten
des späten 14. sowie des frühen 15.
Jahrhunderts beschränkte sich auf die
Suche nach verschollenen lateinischen
Schriften in den europäischen Bibliotheken.
73
Die italienischen Humanisten und die Frage nach der
Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum
 Poggio Bracciolini (1380-1459) entdeckte
z.B. Institutio oratoria von Quintilian, De
rerum natura von Lukrez, Silvae von
Statius, De re architectura von Vitruv,
Punica von Silius Italicus, Argonautica von
Valerius Flaccus sowie zehn Reden
Ciceros.
 Das philologische Interesse der
Humanisten des späten 14. sowie des
frühen 15. Jahrhunderts beschränkte sich
auf die Suche nach verschollenen
lateinischen Schriften in den
europäischen Bibliotheken.
74
Die italienischen Humanisten und die Frage nach der
Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum
• Im Mittelpunkt sprachplanerischer
Bemühungen stand die Wiederherstellung des
klassischen Lateins.
• In diesem geistigen Klima sind Werke wie
Lorenzo Vallas Elegantiarum Latinae Lingue
libri sex (1435-1444) entstanden.
– In sprachgeschichtstheoretischer Hinsicht
interessierten sich die Gelehrten vor allem für
die Beschaffenheit und Entwicklung des
Lateinischen, während die Geschichte der
italoromanischen Volkssprachen allenfalls
indirekt im Zusammenhang mit der
lateinischen Sprachgeschichte behandelt
wurde.
Die italienischen Humanisten und die Frage nach der
Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum
• Im März 1435 diskutierten Leonardo Bruni
und Flavio Biondo im Vorzimmer des
Papstes Eugen IV. über die Beschaffenheit
der lateinischen Sprache in der Antike und
Spätantike.
– Flavio Biondo richtete seine Streitschrift De
verbis romanae locutionis an Leonardo Bruni.
– Ausgangspunkt war die in Brunis Schrift An
vulgus et literati eodem modo per Terentii
Tullique tempora Romae locuti sint vertretene
Auffassung, dass bereits in der Antike von den
Ungebildeten ein volgare gesprochen wurde, das
dem des Quattrocento nicht unähnlich war.
Die sprachhistorische
Auffassung von
Leonardo Bruni
Quaestio nostra in eo
consistit, quod tu
apud veteres unum
eumdemque fuisse
sermonem omnium
putas, nec alium
vulgarem, alium
litteratum. Ego autem,
ut nunc est, sic etiam
tunc distinctam fuisse
vulgarem linguam a
litterata existimo.
 Apud veteres: bei den Alten, d.h. in der
Antike
 unum (…) sermonem omnium: nur eine
einzige Sprache, d.h. das Lateinische
 nec alium vulgarem, alium litterarium:
keine Vulgärsprache, nur die
Gelehrtensprache (= klass. Latein)
 Ego autem (…) distinctam fuisse vulgarem
linguam a litterata existimo: Ich bin der
Auffassung, dass die Vulgärsprache von der
Gelehrtensprache verschieden war
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77
Die sprachhistorische Auffassung von Leonardo Bruni
Atque latina lingua a
vulgari in multis differt,
plurimum tamen
terminatione, inflexione,
significatione,
constructione et accentu
(…)
• Hinweis auf die Unterschiede
morphosyntaktischen,
semantischen und
phonetischen Unterschiede
zwischen der „latina lingua“
und der „[lingua] vulgaris“
An dem Disput war auch Leon
Battista Alberti beteiligt und
fertigte nach dem Vorbild von
Donatus und Priscianus eine
Grammatik des volgare an…
78
Die Entdeckung der Muttersprache als Objekt der
Grammatikographie
 Vorwort Albertis Grammatichetta (um 1435)
 Que' che affermano la lingua latina non essere
stata comune a tutti e' populi latini, ma solo
propria di certi dotti scolastici, come oggi la
vediamo in pochi, credo deporranno quello errore
vedendo questo nostro opuscolo, in quale io
raccolsi l'uso della lingua nostra in brevissime
annotazioni. Qual cosa simile fecero gl'ingegni
grandi e studiosi presso a' Greci prima e po'
presso de e' Latini, e chiamorno queste simili
ammonizioni, atte a scrivere e favellare senza
corruttela, suo nome, grammatica. Questa arte,
quale ella sia in la lingua nostra, leggetemi e
intenderetela.
79
Fortsetzung folgt…
80
Bibliographische Hinweise zur Vertiefung
• Zur Geschichte der Grammatikographie
– Jungen, Oliver / Lohnstein, Horst: Geschichte der
Grammatiktheorie, München 2007.
• Zur „Grammatica speculativa“
– http://www.unierfurt.de/sprachwissenschaft/personal/lehmann/CL_Publ/
Thomas_von_Erfurt.pdf
81
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