Grammatiktheorie und Grammatikographie Sitzung am 19.10.2009 1 Referatthemen • 26.10.09 – Der Grammatikbegriff im Mittelalter • • • • Vorscholastische Grammatikkonzeption Scholastische Grammatikkonzeption Nominalistische Grammatikkonzeption Der Grammatikbegriff bei Dante 2 Referatthemen • 02.11.09 – Der Grammatikbegriff in der frühen Neuzeit (15. Jh. – 18. Jh.) • Die humanistische Lateingrammatik – Melanchton, Scaligero, Campanella etc. • Die Grammatik von Port Royal – Der soziokulturelle Kontext – Die Grammatik(en) 3 Referatthemen • 09.11.09 – Der Beginn der italienischen Grammatikographie im 15. Jahrhundert • Sprachreflexion im italienischen Humanismus • Leben und Werk Leon Battista Albertis • Die Grammatica toscana Leon Battista Albertis 4 Referatthemen • 16.11.09 – Italienische Grammatiken des 16. Jahrhunderts (I) • Die Hauptpositionen der Questione della lingua • Gianfrancesco Fortunio, Regole grammaticali • Pietro Bembo – Leben und Werk – Le prose della volgar lingua 5 Referatthemen • 23.11.09 – Italienische Grammatiken des 16. Jahrhunderts (II) • Gian Giorgio Trissino – Leben und Werk – Grammatichetta (1529) • Pierfrancesco Giambullari – Leben und Werk – La lingua che si parla e scrive in Firenze 6 Referatthemen • 30.11.09 – Italienische Grammatiken des 17. Jahrhunderts (I) • Die Accademia della Crusca • Benedetto Buonmattei, Della lingua toscana 7 Referatthemen • 07.12.09 – Italienische Grammatiken des 17. Jahrhunderts (II) • Marc‘Antonio Mambelli, Delle osservationi • Agostino Lampugnani, Lumi della lingua italiana 8 Referatthemen • 14.12.09 – Italienische Grammatiken des 18. Jahrhunderts (I) • Kritik der Aufklärer an der Accademia della Crusca • Salvadore Corticelli, Regole ed Osservationi 9 Referatthemen • 21.12.09 – Italienische Grammatiken des 18. Jahrhunderts (II) • Francesco Soave – Die Rezeption der frz. Grammatikographie – Die Grammatica ragionata – Soave als Didaktiker 10 Referatthemen • 11.01.10 – Italienische Grammatiken des 19. Jahrhunderts (I) • Der kulturhistorische Kontext • Die traditionellen Schulgrammatiken (Trecento-Modell) – Saverio Chiaja, Gramaticella della lingua italiana – Giovanni Gherardini, Introduzione alla grammatica – Basilio Puoti, Regole elementari della lingua italiana 11 Referatthemen • 18.01.10 – Italienische Grammatiken des 19. Jahrhunderts (II) • Die Sprachreform Alessandro Manzonis • Schulgrammatiken unter dem Einfluss von Manzonis Ideen – Raffaello Fornaciari, Grammatica italiana – Carlo Collodi, Giannettino 12 Referatthemen • 25.01.10 – Grammatiktheorien des 20. Jhs. und ihre Rezeption in Italien (I) • Valenz-/Dependenzgrammatik • Transformationsgrammatik 13 Referatthemen • 01.02.09 – Grammatiktheorien des 20. Jhs. und ihre Rezeption in Italien (II) • Moderne Italienischgrammatiken und ihre linguistischen Modelle – Renzi – Schwarze 14 WISSENSCHAFTSGESCHICHTE • Die Geschichte des Grammatik-Begriffs und der Wandel von Grammatik-Modellen 15 Der moderne linguistische Grammatik-Begriff • Unter Grammatik versteht man in der Linguistik jede Form einer systematischen Sprachbeschreibung. – Im engeren Sinne besteht die Grammatik aus • als Formenlehre von Wörtern (Morphologie) und • Sätzen (Syntax). 16 Grammatik – ein historischer Überblick • Etymologie des Grammatikbegriffs: – Gr. τέχνη γραμματική, technē grammatikē „Kunst des Lesens und Schreibens“, von γράμμα, gramma, „Geschriebenes, Buchstabe“; – Grammatik = Schriftsprache • Die Schrift konserviert sprachliche Äußerungen aus früheren Zeiten, die ab einem gewissen Zeitpunkt einer philologischen Interpretation bedeürfen • Sprache kann beobachtet werden • Entstehung einer Norm 17 Der GrammatikBegriff bei den Griechen Grammatik Interpretation von Texten Kenntnisse, die hierzu notwendig sind 18 Der GrammatikBegriff bei den Griechen Das Lehrbuch Techne grammatike, ist das älteste seiner Art und im Prinzip die Grundlage aller europäischen Grammatiken DIONYSIOS THRAX (2. Jh. v. Chr.) [it. Dionisio Trace] Die Grammatik im Sinne von Philologie Die Aufgaben des Grammatikers 1. Lesen eines Textes in der richtigen Aussprache 2. Erklärung von rhetorischen Figuren 3. Bedeutungsanalyse schwieriger Wörter und Redewendungen 4. Etymologische Worterklärungen 5. Formenlehre 6. Echtheitskritik und literarische Wertung 19 Der Grammatik-Begriff bei den Griechen Die kulturelle Einordnung der Grammatik von Dionysios Thrax Thrax war Schüler von Aristarchos von Samothrake (dessen Schriften nicht erhalten sind) Aristarchos war Direktor der Bibliothek von Alexandria Aristarchs Hauptbeschäftigung galt der Grammatik und insbesondere der Literatur- und Textkritik. Er leitete die Richtlinien seiner Textkritik aus den Texten Homers ab, den ältesten überlieferten Texten der griechischen Literatur. 20 Der GrammatikBegriff bei den Griechen Alexandrinische Textkritik (= Grammatik oder Philologie) Niedergang der alexandrinischen Poesie Aufstieg der alexandrinischen Grammatik Aristarchos von Samothrake bemühte sich um die Rekonstruktion des Sprachgebrauchs Homers 21 EXKURS Griechische Grammatikographie im 2. Jh. V.Chr. Italienische Grammatikographie um 1500 • Aristarchos • Pietro Bembo – Orientierung an der alten Dichtersprache – Vorbild HOMER – Orientierung an der Dichtersprache des 14. Jhs. – Vorbild BOCCACIO, PETRARCA 22 Der GrammatikBegriff bei den Griechen • Im Umfeld der Bibliothex von Alexandria verfasste Dionysios Thrax seine Elementargrammatik, in der auch eine Definition des Grammatikbegriffs enthalten ist – „Grammatik ist das praktische Studium der Sprache, wie sie gewöhnlich von Poeten und Schriftstellern verwendet wird“ 23 Der GrammatikBegriff bei den Griechen Dionysios Thrax unterscheidet insgesamt acht Wortarten Nomen (einschl. Adjektiv) [ónoma] Verb [rhema] Flektierbare Partizip [metoché] Wortarten Artikel [árthron] Pronomen [antonymia] Präposition [próthesis] Nicht Adverb [epírhema] flektierbare Wortarten Konjunktion [syndesmos] 24 Der GrammatikBegriff bei den Griechen • Schwachstelle der Grammatike Techne – Keine Behandlung der Syntaxg • Diese Lücke wurde von Apollonios Dyskolos (it. Apollonio Discolo) gefüllt – Er lebte im 2. Jahrhundert n. Chr. in Alexandria und verfasste als erster ein Werk über Syntax, das die Techne grammatike des Dionysios Thrax ergänzte. 25 Der GrammatikBegriff bei den Griechen • Vier erhaltene Bücher – Περὶ συντάξεως τοῦ λόγου μερῶν (La costruzione del discorso), – Περὶ ἀντωνομίας (I pronomi); – Περὶ συνδέσμων (Le congiunzioni); – Περὶ ἐπιρρημάτων (Gli avverbi). 26 Der Grammatik-Begriff bei den Griechen Kontroverse zwischen Analogisten und Anomalisten (bis zum 1. Jh. v.Chr.) Krates von Mallos vs. Aristarchos von Samothrake Die Analogisten (insbes. in Alexandria) In der Sprache gibt es Harmonie, Symmetrie und Logik wie in der Natur Der Reichtum sprachlicher Formen lässt sich auf Normen und Systeme zurückführen Analogieprinzip als Rechtfertigung sprachnormierender Eingriffe in die Sprache Beseitigung abweichender Formen im Flexionssystem 27 Der Grammatik-Begriff bei den Griechen Kontroverse zwischen Analogisten und Anomalisten (bis zum 1. Jh. v.Chr.) Die Anomalisten In der Sprache gibt es keine durchgehende Ratio In der Sprache gibt es keine geschlossenen Systemordnungen Besonderheiten und und Zufälligkeiten gehören zur Sprache 28 Der GrammatikBegriff bei den Griechen Die Kontroverse zwischen Anomalisten und Analogisten hat sich als fruchtbar für die Erforschung der Grammatik erwiesen Anhäufung eines umfassenden grammatischen Wissens Die Analogisten mussten lernen, dass die grammatische Ordnung der Sprache ein historisch gewachsenes Gebilde ist, in dem Systemordnungen unterschiedlichen Typs und unterschiedlicher Zeiten ineinander verwachsen sind. Alle Versuche, diese Ordnung als ein logisch kohärentes System darzustellen, mussten daher scheitern. 29 Der Grammatik-Begriff bei den Griechen • Ergebnis der Kontroverse – Die Anomalisten mussten erkennen, dass die grammatische Ordnung einer Sprache dennoch kein Konglomerat zufälliger Konventionen ist, sondern ein Strukturgebilde, das einenm immanenten Zwang zur Systematisierung ausgesetzt ist, weil es sonst nicht mehr durchschaubar ist. – Viele grammatische Widersprüchlichkeiten lösen sich auf, wenn man die Entwicklung der grammatischen Systemordnungen in seine Betrachtungen einbezieht. 30 Der Grammatik-Begriff bei den Griechen Übertragung der • Die kulturhistorische Einordnung griechischen Diskussion auf die des Analogie-Anomalie-Streits lateinische Sprache Analogisten Caesar Scipio Varro – Streit über die korrekte der Sprache • Welches Kriterium entscheidet über die Richtigkeit der Sprache? • Norm- (Analogisten) vs. UsusOrientierung (Anomalisten) Anomalisten Cicero Horaz Quintilian 31 Die lateinische Grammatikographie von der klassischen Antike zur Spätantike • Die von Dionysios Thrax für das Griechische festgelegten Kategorien wurden von den römischen Sprachgelehrten auf das Lateinische übertragen. 32 Die lateinische Grammatikographie De lingua Latina (ein Höhepunkt antiker lateinischer Sprachtheorie) bestand aus drei Hauptteilen Etymologie Morphologie Syntax Der Syntaxteil ist verloren gegangen, aber aus einem erhalten gebliebenen Fragment ist erkennbar, dass Syntax für Varro offenbar das gleiche bedeutete wie für die Stoiker, nämlich Aussagenlogik. Es sind jedoch nur die Bücher über etymologische Praxis und morphologische Theorie erhalten Vgl. http://www.thelatinlibrary.com/varro.html 33 Die lateinische Grammatikographie Erhaltene Teile von De lingua latina (6 „Bücher“ von insgesamt 25) Liber V [Etymologie] Liber VI [Etym.] Liber VII [Etym./Dichtersprache: „Difficilia sunt explicatu poetarum vocabula.“] Liber VIII [Declinatio = Morphologie: „Quae Dicantur Cur Non Sit Analogia”] Liber IX [Decl.] Auseinandersetzung Liber X [Decl.] mit der Analogie- und Fragmenta Anomalie-Problematik http://www.thelatinlibrary.com/varro.html 34 Die lateinische Grammatikographie • Die rekonstruierte Struktur von De lingua latina – Buch I: *Einleitung • 1. Hexade – Buch II-IV : [*theoretische Erörterung der Etymologie] – Buch V-VII: historisch-exemplarische Erörterung der Etymologie • 2. Hexade – Buch VIII-X: theoretische Erörterung der „Declinatio“ – Buch XI-XIII : [*historisch-exemplarische Erörterung der „Declinatio“] 35 Die lateinische Grammatikographie • Die rekonstruierte Struktur von De lingua latina • 3. Hexade – Buch XIV-XVI : [*theoretische Erörterung der Syntax] – Buch XVII-XIX: *[historisch-exemplarische Erörterung der Syntax] • 4. Hexade – Buch XX-XXII: *[historisch-exemplarische Erörterung der Syntax] – Buch XI-XIII : [*historisch-exemplarische Erörterung der Syntax] 36 Die lateinische Grammatikograph ie – Terentius Varro (116-27 v.Chr.) • De lingua latina (ein Höhepunkt antiker lateinischer Sprachtheorie) – Orientierung an der Mathematik – Der zentrale Begriff (10. Buch) lautet DECLINATIO (jedoch nicht im heute üblichen Sinne von Deklination, sondern in Bezug auf jede morphologische Variation von Wörtern) 37 Die lateinische Grammatikographie Terentius Varro, De lingua latina Systematisierung von Wortbildungsprozessen Unterscheidung zwischen declinatio voluntaria (= Derivation) und declinatio naturalis (= Flexion) Die Declinatio voluntaria: verläuft meist anormal Die Declinatio naturalis: folgt der Analogie 38 Die lateinische Grammatikographie Es gibt – wie gesagt – zwei Arten von morphologischer Variation (declinatio) Wörter ändern ihre Form durch die arbiträre voluntas des Sprechers, oder die systematische natura der Sprache Die Declinatio voluntaria entspricht der heutigen Derivationsmorphologie Die Declinatio naturalis entspricht der heutigen Flexionsmorphologie Varro ist der erste Grammatiker, der eine solche Unterscheidung vornimmt 39 Die lateinische Grammatikographie Für Varro gibt es auf der Ebene der declinatio naturalis nur zwei Kriterien zur Bestimmung der linguistischen Ähnlichkeit oder similitudo: figura oder vox, d.h. die phonologische Form (Laut oder Schrift) materia oder res, d.h. die grammatische Substanz, z.B. Kasus, Tempus etc. Damit Wörter legitimerweise verglichen und klassifiziert werden können, müssen sie eine Analogie (analogia) aufweisen, die "zweifach und vollendet" ist, (duplex et perfecta) 40 Die lateinische Grammatikographie Varro als Vermittler von analogistischer und anomalistischer Lehre Gemäßigte Position des Analogismus Die Flexion wird als naturgegebene, analogische Beugung von morphologisch veränderbaren Wörtern dargestellt Unregelmäßige Flexion wird von Varro bekämpft Einsatz einer radikal morphologischen Systematik bei den Wortarten (partes orationis) unter Umgehung semantischer oder funktionaler Bestimmungen 41 Die lateinische Grammatikographie DE LINGUA LATINA LIBER X „ In verborum declinationibus disciplina loquendi dissimilitudinem an similitudinem sequi deberet, multi quaesierunt. Cum ab his ratio quae ab similitudine oriretur vocaretur analogia, reliqua pars appellaretur anomalia…“ http://www.thelatinlibrary.com/varro.ll10.html 42 Die lateinische Grammatikographie Varro Verbum (Wort) genus sterile (unveränderlich) genus fecundum (veränderlich) Verteilung von flektierten Wörtern auf vier Klassen, wobei nur 2 Kriterien ausschlaggebend sind: Tempus und Kasus Wörter mit Kasus- und Zeitmarkierung (Partizipien) Wörter ohne Kasus- und Zeitmarkierung (Adverbien) Nur zeitmarkierte Wörter (Verben) Nur kasusmarkierte Wörter (Substantive und Adjektive) 43 Die lateinische Grammatikographie Zur Erklärung seiner Konzeption von grammatischer Analogie verwendet Varro eine Reihe arithmetischer Proportionen. Gleich deklinierte Nomina gleichen einer disjunkten Proportion – rex:regis :: lex:legis (wie 1:2 :: 10:20) Gleich konjugierte Verben entsprechen einer konjunkten Proportion – legebam:lego::lego:legam (1:2::2:4), denn Präteritum verhält sich zu Präsens wie Präsens zu Futur Varro ist der einzige antike Sprachforscher, der abstrakte Modelle formuliert hat. 44 Die lateinische Grammatikographie • In der Spätantike verengte sich der Grammatikbegriff dann zunehmend auf die Beschreibung und normative Festschreibung des klassischen lateinischen Sprachsystems, insbesondere durch – Aelius Donatus und – Priscianus Caesariensis 45 Die lateinische Grammatikographie Inhalt der Ars minor De Nomine De Pronomine De Verbo De Adverbio De Participio De Coniunctione De Praepositione De Interiectione Aelius Donatus (4. Jh. n.Chr.) war der einflussreichste römische Grammatiker des 4. Jahrhunderts. Er schrieb zwei Grammatiken Die Ars minor, die nur die Wortarten behandelt und als Dialog abgefasst ist zwischen dem Lehrer, der Fragen stellt und dem Schüler, der sie beantwortet Die Ars maior, die auch eine kurze Phonologie enthält und Aspekte des korrekten und unkorrekten Lateins behandelt. 46 Die lateinische Grammatikographie • Beispiel – De Nomine • Nomen quid est? Pars orationis cum casu corpus aut rem proprie communiterve significans Nomini quot accidunt? Sex. Quae? Qualitas conparatio genus numerus figura casus[…]. 47 Die lateinische Grammatikographie Priscian (6. Jh. n.Chr.) stellt gleichzeitig den Höhepunkt und das Ende der Römischen Grammatikographie dar Er sammelte und systematisierte die Ergebnisse jahrhundertelanger grammatischer Forschung in der römischen Welt Priscian wurde einer der einflussreichsten Grammatiker überhaupt und ein Großteil der Grammatikographie des Mittelalters basierte auf seinen Arbeiten. 48 Die lateinische Grammatikographie Priscians Hauptwerk, die Institutiones grammaticae (in 18 Büchern), geht weit über das hinaus, was andere römische Grammatiker je erstrebt oder erreicht hatten. Der syntaktische Teil dieses Werkes ist von den Arbeiten des führenden Alexandrinischen Grammatikers Apollonius Dyscolus beeinflusst, dem einzigen griechischen Grammatiker, der über Syntax geschrieben hatte. 49 Die lateinische Grammatikographie Priscians Behandlung der lateinischen Morphologie gehört zu den gründlichsten und bestdokumentierten morphologischen Beschreibungen überhaupt Seine Regeln zur Ableitung von Wortformen innerhalb eines FlexionsParadigmas sind auch heute noch von theoretischem Interesse Priscian arbeitet mit einem System von Regelketten, wobei er mit einer Grundform beginnt (z.B. Nominativ), daraus eine andere ableitet (z.B. Genitiv), die ihrerseits die Basis für eine weitere bildet (z.B. Dativ), usw. 50 Die lateinische Grammatikographie Priscians letzten beiden Bücher (Priscianus Minor) behandeln die Syntax. Sie bilden die Grundlage für spätere syntaktische Untersuchungen im Mittelalter. Kein anderes erhalten gebliebenes Werk eines römischen Sprachforschers ist der Syntax gewidmet. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Kapitel einiger Grammatiken über syntaktische Fehler (soloecismus) viele interessante Beobachtungen über die Syntax enthalten. 51 Die lateinische Grammatikographie Die Institutiones grammaticae bestimmten die Grammatikographie über Jahrhunderte hinweg. Es wurden acht grammatische Kategorien unterschieden, und zwar Nomen, Pronomen, Verb, Adverb, Partizip, Koniunktion, Präposition und Interjektion: Ziel war die Anleitung zur korrekten Anwendung der Sprache. 52 Von der Antike zum Mittelalter: vom Lateinischen zum Romanischen 53 Von der Antike zum Mittelalter: vom Lateinischen zum Romanischen 54 Von der Antike zum Mittelalter: vom Lateinischen zum Romanischen 55 Der Grammatik-Begriff im Mittelalter Drei große Grammatikvorstellungen Vorscholastische Grammatikkonzeption Donatus (4. Jh.) Priscianus (6. Jh.) Scholastische Grammatikkonzeption Einfluss der Aristoteles-Rezeption Nominalistische Grammatikkonzeption Einfluss psychologischer Kategorien 56 Antike Tradition im Mittelalter Die karolingische Renaissance Als karolingische Renaissance bezeichnet man den kulturellen Aufschwung zur Zeit der frühen Karolinger, ausgehend vom kaiserlichen Hof Karls des Großen. Anmerkung: Der Begriff der Renaissance ist dabei umstritten, weil er das Gewicht zu stark auf das Wiederaufleben der Antike und die Säkularisierung des Denkens legt. Man spricht daher auch treffender von der Bildungsreform Karls des Großen oder der karolingischen Erneuerung (lat. renovatio). 57 Antike Tradition im Mittelalter Lateinische Tradition im Mittelalter Alcuin von York De grammatica Rückbesinnng auf die sieben freien Künste, deren Struktur auf Martianus Capella (aus Carthago) im 5. Jh.n.Chr. zurückgehen. Sein Hauptwerk wurde wie folgt gegliedert: Bücher III-V : das (sprachliche) Trivium Grammatik, Rhetorik, Logik Bücher VI-IX : das (mathematische) Quadrivium Arithmetik, Geometrie, Musiktheorie, Astronomie In der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts wurde diese Schrift durch Abschriften und Kommentare in Europa weit verbreitet. 58 Der Grammatik-Begriff in der Mittelalter • Die lateinische Grammatik als elementarer Bestandteil der 7 freien Künste – Trivium • Grammatik • Rhetorik • Dialektik – Quadrivium • • • • Arithmetik Geometrie Astronomie Musik Der Grammatik-Begriff in der Mittelalter • Weitere karolingische Grammatiker – – – – Petrus von Pisa (Ars grammatica) Paulus Diaconus (Ars minor) Clemens Scotus (Ars grammatica) Smaragdus von St.-Mihiel (Liber in partibus Donati) 60 61 Der Grammatik-Begriff im Mittelalter Die Rolle der Grammatik im mittelalterlichen Bildungssystem Grammatik war der zentrale Studieninhalt der „Artistenfakultät“, die alle Studenten durchlaufen mussten, bevor sie zum Studium der Spezialwissenschaften (Theologie, Philosophie, Jurisprudenz, Medizin) zugelassen wurden. Grammatik als Schlüssel zum Textverständnis 62 Der Grammatik-Begriff im Mittelalter Das Grammatikkonzept der vorscholastischen Epoche (empirisch und deskriptiv) Studium der deskriptiven Grammatiken von Donatus und Priscianus Lesen und Verstehen überlieferter Texte Herstellen adäquater Texte 63 Der Grammatik-Begriff im Mittelalter Scholastik (lat. Adjektiv scholasticus) ist die wissenschaftliche Denkweise und Methode der Beweisführung, die in der Gelehrtenwelt des Mittelalters entwickelt wurde. Scholastische Grammatikkonzeption Die Kategorienlehre des Aristoteles sollte auf die Sprachbetrachtung angewandt werden Philosophische Grammatik (Grammatik als Logik bzw. Sprachphilosophie) Grammatica speculativa 64 Der Grammatik-Begriff im Mittelalter • Die Grammatica speculativa – Suppositionslehre • Untersuchung und Klassifizierung des Sachbezugs (Suppositio) sprachlicher Zeichen • Unterscheidung zwischen – – – – wörtlicher ironischer metaphorischer sprachbezogener Bedeutung 65 Der Grammatik-Begriff im Mittelalter Modistae (< modus): Anhänger der spekultatven Grammatik Die modistische Tradition ist in gewissem Sinn eine Synthese der philologisch orientierten griechisch-römischen, auf Dionysios Thrax zurückgehenden Tradition mit zunächst unabhängigen philosophischen Strömungen des Mittelalters. Ein Wegbereiter des Modismus ist Petrus Helias, der im Jahr 1150 einen Prisciankommentar (Summa super Priscianum) verfasst hat, in dem er versucht, Priscians Analyse zu den lateinischen Wortarten auf die Basis der aristotelischen Organon-Schriften ( Όργανον „Werkzeug“, „Methode) Kategorien und De Interpretatione (Περὶ ἑρμηνείας) zu stellen. 66 Der Grammatik-Begriff im Mittelalter MODISTEN Ziel: Entwicklung einer Universalgrammatik Thomas von Erfurt Tractatus de modis significandi (= Grammatica speculativa) Lehre von den modi significandi (= Lehre von den Bedeutungsweisen und Bedeutungsformen sprachlicher Formen) Wahrnehmungsformen (modi intellegendi) Seinsformen (modi essendi) 67 68 http://www.uni-erfurt.de/sprachwissenschaft/personal/lehmann/CL_Publ/Thomas_von_Erfurt.pdf Der Grammatik-Begriff im Mittelalter Der Grammatik-Begriff im Mittelalter Grammatik als Wissenschaft 69 Der Grammatik-Begriff in der italienischen Renaissance (15. Jahrhundert) 70 Der kulturhistorische Kontext • umanesimo volgare vs. umanesimo latino 71 Der kulturhistorische Kontext Humanismus • Das Zeitalter des Humanismus Die antike Bildung wurde als unübertreffliches Vorbild empfunden und das lebensbejahende und schöpferische Individuum rehabilitiert. – Hinwendung zur Antike • Intensives Studium antiker Quellen • Rekonstruktion der klassischen lateinischen Sprache • Frage nach der Beschaffenheit des Lateinischen in der Antike • Frage nach der Dekanenz des Lateinischen während der Völkerwanderung 72 Die italienischen Humanisten und die Frage nach der Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum „Sprachhistorische Reflexion“ im Humanismus Das Hauptziel des frühen Humanismus war – wie bereits erwähnt – eine Wiederbelebung der geistigen Errungenschaften der klassischen Antike. Das philologische Interesse der Humanisten des späten 14. sowie des frühen 15. Jahrhunderts beschränkte sich auf die Suche nach verschollenen lateinischen Schriften in den europäischen Bibliotheken. 73 Die italienischen Humanisten und die Frage nach der Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum Poggio Bracciolini (1380-1459) entdeckte z.B. Institutio oratoria von Quintilian, De rerum natura von Lukrez, Silvae von Statius, De re architectura von Vitruv, Punica von Silius Italicus, Argonautica von Valerius Flaccus sowie zehn Reden Ciceros. Das philologische Interesse der Humanisten des späten 14. sowie des frühen 15. Jahrhunderts beschränkte sich auf die Suche nach verschollenen lateinischen Schriften in den europäischen Bibliotheken. 74 Die italienischen Humanisten und die Frage nach der Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum • Im Mittelpunkt sprachplanerischer Bemühungen stand die Wiederherstellung des klassischen Lateins. • In diesem geistigen Klima sind Werke wie Lorenzo Vallas Elegantiarum Latinae Lingue libri sex (1435-1444) entstanden. – In sprachgeschichtstheoretischer Hinsicht interessierten sich die Gelehrten vor allem für die Beschaffenheit und Entwicklung des Lateinischen, während die Geschichte der italoromanischen Volkssprachen allenfalls indirekt im Zusammenhang mit der lateinischen Sprachgeschichte behandelt wurde. Die italienischen Humanisten und die Frage nach der Beschaffenheit des Lateinischen im Altertum • Im März 1435 diskutierten Leonardo Bruni und Flavio Biondo im Vorzimmer des Papstes Eugen IV. über die Beschaffenheit der lateinischen Sprache in der Antike und Spätantike. – Flavio Biondo richtete seine Streitschrift De verbis romanae locutionis an Leonardo Bruni. – Ausgangspunkt war die in Brunis Schrift An vulgus et literati eodem modo per Terentii Tullique tempora Romae locuti sint vertretene Auffassung, dass bereits in der Antike von den Ungebildeten ein volgare gesprochen wurde, das dem des Quattrocento nicht unähnlich war. Die sprachhistorische Auffassung von Leonardo Bruni Quaestio nostra in eo consistit, quod tu apud veteres unum eumdemque fuisse sermonem omnium putas, nec alium vulgarem, alium litteratum. Ego autem, ut nunc est, sic etiam tunc distinctam fuisse vulgarem linguam a litterata existimo. Apud veteres: bei den Alten, d.h. in der Antike unum (…) sermonem omnium: nur eine einzige Sprache, d.h. das Lateinische nec alium vulgarem, alium litterarium: keine Vulgärsprache, nur die Gelehrtensprache (= klass. Latein) Ego autem (…) distinctam fuisse vulgarem linguam a litterata existimo: Ich bin der Auffassung, dass die Vulgärsprache von der Gelehrtensprache verschieden war http://www.bibliotecaitaliana.it/repository/bibit/bibit000097/bibit000097.xml 77 Die sprachhistorische Auffassung von Leonardo Bruni Atque latina lingua a vulgari in multis differt, plurimum tamen terminatione, inflexione, significatione, constructione et accentu (…) • Hinweis auf die Unterschiede morphosyntaktischen, semantischen und phonetischen Unterschiede zwischen der „latina lingua“ und der „[lingua] vulgaris“ An dem Disput war auch Leon Battista Alberti beteiligt und fertigte nach dem Vorbild von Donatus und Priscianus eine Grammatik des volgare an… 78 Die Entdeckung der Muttersprache als Objekt der Grammatikographie Vorwort Albertis Grammatichetta (um 1435) Que' che affermano la lingua latina non essere stata comune a tutti e' populi latini, ma solo propria di certi dotti scolastici, come oggi la vediamo in pochi, credo deporranno quello errore vedendo questo nostro opuscolo, in quale io raccolsi l'uso della lingua nostra in brevissime annotazioni. Qual cosa simile fecero gl'ingegni grandi e studiosi presso a' Greci prima e po' presso de e' Latini, e chiamorno queste simili ammonizioni, atte a scrivere e favellare senza corruttela, suo nome, grammatica. Questa arte, quale ella sia in la lingua nostra, leggetemi e intenderetela. 79 Fortsetzung folgt… 80 Bibliographische Hinweise zur Vertiefung • Zur Geschichte der Grammatikographie – Jungen, Oliver / Lohnstein, Horst: Geschichte der Grammatiktheorie, München 2007. • Zur „Grammatica speculativa“ – http://www.unierfurt.de/sprachwissenschaft/personal/lehmann/CL_Publ/ Thomas_von_Erfurt.pdf 81