Ein Hinweis vorweg Alle 60 Folien (im Vortrag wird nur die erste Hälfte verwendet) stehen zum Download bereit auf meiner Webseite www.hartmut-kasten.de Es gibt ein Buch von mir mit dem Titel „Pubertät und Adoleszenz – Wie Kinder heute erwachsen werden“ (Ernst Reinhardt Verlag, München). Entwicklungspsychologische Aspekte bei Jungen und Mädchen zwischen dem 10. und 18. Lebensjahr Thematische Schwerpunkte des Vortrags - Chronologie der Entwicklung - Entwicklungstheorien und Entwicklungsmodelle - Geschlechtersozialisation: Entstehung geschlechtstypischen Verhaltens und geschlechtstypischer Dispositionen - Unterschiede in der Entwicklung, Erziehung und Bildung von Jungen und Mädchen - Jungen: die Verlierer der Erziehungs- und Bildungsreform? Zeitliche Abgrenzung von Pubertät und Adoleszenz (s. Kasten 1999, S. 15) Mädchen Jungen Phase 8-10 Jahre 10-12 Jahre späte Kindheit 10-12 Jahre 12-14 Jahre Vorpubertät 12-14 Jahre 14-16 Jahre Pubertät 14-15 Jahre 16-17 Jahre frühe Adoleszenz 15-17 Jahre 17-19 Jahre mittlere Adoleszenz 17-19 Jahre 19-21 Jahre späte Adoleszenz Körperliche Unterschiede Mädchen werden im Durchschnitt 167 cm groß 68 kg schwer und haben eine Lebenserwartung von 81 Jahren Jungen werden im Durchschnitt 179 cm groß 82 kg schwer und haben eine Lebenserwartung von 76 Jahren Entstehung von Geschlechtsunterschieden Zusammenwirken von fünf Variablen genetischen Faktoren (Chromosomen) biologisch-körperlichen Faktoren (Hormone) epigenetischen Einflüssen (Suppression und Expression von Gen-Orten durch Erfahrungen) gesellschaftlich-sozialen Einflüssen (z. B. durch Bindungs- u. Bezugspersonen, Klischees, Stereotype und Modelle (Medien), Selbstausgestaltung (Wahrnehmung der eigenen Geschlechtsrolle) auf komplexe, teilweise noch unerforschte Weise Pubertät – begriffliche Annäherungen Eine kritische Lebensphase, für die es besonderer Ressourcen und CopingStrategien bedarf? Ein mehrere Jahre anhaltender Ausnahmezustand? Eine Entwicklungsstörung? Eine „normale Psychose“ (Lempp, 1984) Oder schlicht und einfach: eine Transition (wie viele andere Transitionen im Laufe eines Menschen-lebens), nämlich der Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenalter? Die zeitliche Abgrenzung von Pubertät und Adoleszenz ist relativ willkürlich Zu belegen ist, dass… die Abläufe während der Pubertät als komplexes Wechselspiel zwischen fünf Faktorenbereichen verstanden werden können: Anlage, Epigenetische Prozesse, Umwelteinflüsse, Einflüsse der Bindungs- u. Bezugspersonen und Selbstgestaltungskompetenzen wirken zusammen Pubertät zu einem großen Teil ein Kulturprodukt ist: Einige Forscher sprechen von kultureller Infantilisierung dieses Entwicklungsabschnitts, was durch einen Blick in andere Kulturen verdeutlicht werden kann Epigenetische Prozesse und Selbstgestaltungskompetenzen Epigenetische Prozesse: Erfahrungen der Abgrenzung (von den Eltern, Geschwistern usw.), die in den Zellen abgespeichert werden und dazu führen, dass sich die Epigenome verändern und von denen der Eltern immer weiter entfernen Selbstgestaltungskompetenzen: Zu wenig Beachtung findet oft, dass die Pubertät nicht nur ein hormon- u. milieugesteuertes Geschehen ist, sondern in beträchtlichem Maße auch von den Pubertierenden mitgestaltet (diese wählen ihre Vorbilder, Ideale und Idole) Einige Erläuterungen zur Epigenetik Epigenetik trägt zum Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Anlage und Umwelt bei. Epigenetik befasst sich mit vererbbaren Veränderungen in der Wirkungsweise von Genen, die zustande kommen, ohne dass sich die Gene in ihrer Feinstruktur, der DNA-Sequenz, verändern. Solche Veränderungen kommen durch Erfahrungen zustande und können besonders gut nachgewiesen werden, wenn es sich um extreme Erfahrungen (Traumata, Deprivationen) handelt. Einige Erläuterungen zur Epigenetik (2) Solche Erfahrungen bringen in den Zellen (nicht im Zellkern) biochemische Prozesse in Gang, welche die Wirksamkeit bestimmter Gen-Orte in der DNASequenz blockieren oder freisetzen (Methylierung u. Demethylierung). In den populären Medien besonders ausführlich behandelt wurde der „Amsterdamer Hungerwinter“. Geschlechtssspezifische Diskriminationen von Anfang an Unterschiedliche Behandlung von männlichen und weiblichen Säuglingen (besonders im ersten halben Lebensjahr) Väter diskriminieren stärker nach dem Geschlecht, erziehen sozusagen stereotyper Bau- und Puppenecke in der Kindertagesstätte Geschlechtssspezifische Diskriminationen von Anfang an (2) Jungen und Mädchen in Bilder- und Schulbüchern, in den Medien Grundschule: Sozialer Druck und Diskriminationen In den ersten 10 Lebensjahren: In der Sozialisation von Jungen haben männliche Bezugspersonen Seltenheitswert (wo sind die Väter, männlichen Erzieher und Lehrer?) Geschlechtsrollenklischees Mädchen/Frauen sind -abhängig -ängstlich -einfühlsam -anpassungsbereit -launisch -nachgiebig -sanft -schwach -schutzbedürftig -unselbständig -passiv Jungen/Männer sind -unabhängig -mutig -aggressiv -durchsetzungsfähig -entschlusskräftig -rational -stark -aktiv -überlegen -dominant -leistungsorientiert „Weibliche Expressivität“ und „Männliche Instrumentalität“ - Androgynität - - - - Expressivität Der Gefühle anderer bewusst Fähig auf andere einzugehen Freundlich Herzlich in Beziehungen zu anderen Sanft Verständnisvoll gegenüber anderen - Instrumentalität Aktiv Druck gut standhaltend Konkurrenzorientiert Leicht Entscheidungen fällend Nicht leicht aufgebend Selbstsicher Sich überlegen fühlend Unabhängigkeit anstrebend Geschlechtrollenklischees dominieren vor allem in Bilder- und Schulbüchern TV (Werbung, Vorabendserien, viele Kinderserien), aber auch in Berufsprofilen (typisch männliche und weibliche Berufe) s. nächste Folie Entmutigung des weiblichen Geschlechts während der Pubertät und Adoleszenz? Heute nicht mehr! Mädchen wurden früher massiv mit traditionellen Rollenerwartungen konfrontiert: in der Schule, im Elternhaus, von den Gleichaltrigen, von den Medien wurden auch auf der weiterführenden Schule seltener aufgerufen und angesprochen von den Lehrern Sind aber auch heute noch unterrepräsentiert in naturwissenschaftlichen, technischen und mathematischen Fächern Jungen – die neuen Loser? Neue Tendenz, die sich im letzten Jahrzehnt abzeichnet: Mädchen erfahren während ihrer gesamten Bildungslaufbahn zunehmend mehr Beachtung Ihre Kompetenzen und Leistungen werden positiv betrachtet und bekräftigt, sie passen besser ins Bildungssystem Jungen geraten mehr und mehr ins Bildungsabseits; Belege: Schullaufbahn Mädchen vs. Jungen zeigen in allen Altersstufen bessere schulische Leistungen erreichen höhere Bildungsabschlüsse verfügen über mehr und bessere Berufsausbildungsabschlüsse stellen 57% der Abiturienten und 55% der Studienanfänger an Universitäten (WS 2012/13) Hauptsch. Gymnasium Realsch. 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Mädchen Jungen Geschlechtsdifferenzen in der Bildungslaufbahn: Jungen, die neuen Loser Jungen brauchen länger bis zur Einschulung Jungen werden bundesweit häufiger aussortiert in Sonder- u. Förderschulen Die Hauptschule wird immer stärker eine Jungenschule Das Übergangssystem: ein „Exil“ für Jungen Jungen müssen auf dem Weg in das Gymnasium mehr leisten Der Weg auf das Gymnasium: versperrt für viele Jungen Geschlechtsdifferenzen in der Bildungslaufbahn: Jungen, die neuen Loser (2) Schulbesuch ohne Abschluss: ein Jungenschicksal Jungen haben schlechtere Startchancen für den Beruf Mädchen auf der Überholspur zum Abitur Leistungsdifferenzen zuungunsten der Jungen vor allem in Hinblick auf Lesekompetenz Hochschulreife: Jungen zunehmend im Abseits An den Hochschulen: Frauen in der Mehrheit Schritte zum Abbau der Ungerechtigkeit im Bildungssystem Genderpädagogik (umfassendster Ansatz) Kompensatorische Erziehung und Bildung – Stichworte: Androgynität der Geschlechter Partielle Segregation (Jungen: Leseund Sozialkompetenzen, Mädchen: Mathematik, Technik u. Naturwissenschaften) Pubertät und Adoleszenz Ein komplexer, vielschichtiger, immer ganzheitlicher Prozess, an dem psychische (kognitive, sozial-kognitive, emotionale, motivationale, verhaltensbezogene) Faktoren soziale (kulturelle, ethnische, weltanschauliche, sozioökonomische, erziehungsbedingte) Faktoren biologische (genetische, epigenetische, hormonelle, neurophysiologische und körperlichphysische) Faktoren beteiligt sind Wichtig: Der werdende Jugendliche gestaltet, sozusagen als Ko-Produzent, seine eigene Entwicklung aktiv (wenn auch nicht immer bewusst und intendiert) mit Akzelerationen und Retardationen – Was beeinflusst das Reifungstempo? Genetische Prädispositionen, die zum Tragen kommen können (oder nicht): durch Ernährungsfaktoren, körperliche Belastungen, chronische Krankheiten, niedrigen oder hohen Sozialstatus, innerfamiliale Spannungen, Stress Vaterabwesenheit. Migrationshintergrund Körperliche Veränderungen beginnen bei den Mädchen früher und sind bei den Jungen umfangreicher – verantwortlich dafür sind die Geschlechtschromosomen XY und XX (unpaariges GH = kompliziertere Entwicklung beim Jungen? ) Hormonell: Testosteron und Östrogen bewirken, dass sich der Körper in der Pubertät entweder typisch männlich oder typisch weiblich entwickelt. An Fällen von TestosteronUnempfindlichkeit lässt sich zeigen, dass das Urgeschlecht weiblich ist Physisch: Ausreifung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale Neurophysiologisch (Gehirn): Umfassender Umbau, neuronale Neuverschaltungen und synaptische Neuvernetzungen – aus einem Pentium-Prozessor wird ein moderner Quadro-core-Prozessor Phänomene der Akzeleration bzw. Retardation und ihre Ursachen (Ernährung, Schichtunterschiede) Körperliche Veränderungen (2) Physische Kraft: Stärkeres und schnelleres Muskelwachstum bei den Jungen Grob- u. Feinmotorik: Vorübergehende Unsicherheiten bei Jungen und Mädchen Gehirnwachstum bei Mädchen früher abgeschlossen, bei Jungen dauert vor allem die Hemisphärenlateralisation noch länger an Geschlechtshormone und die Folgen: bei Mädchen die erste Regelblutung (der Eintritt der Menarche hängt u.a. vom Körpergewicht/Körperfettanteil) ab, bei Jungen der erste Samenerguss Unterschiedliches elterliches Verhalten! Mädchen klagen häufiger über körperliche Beschwerden während der gesamten Pubertät (größere Sensibilität für körpereigene Phänomene?) Nichtsynchronität des Wachstums – Reihenfolge: 1) 2) 3) 4) 5) Hände und Füße Hüften und Schultern Beine und Arme Rumpf Kopf Gehirnentwicklung Myelinisierung (Markscheidenreifung) der Nervenbahnen (Geschwindigkeit der Signalübertragung wird erhöht) In der Folge: Zunahme der weißen Substanz (Insgesamt der Nervenfasern und Synapsen) und Abnahme der grauen Substanz (Insgesamt der Neuronen): Pruning (Use it or lose it!)und Effizienzsteigerung Synapsendichte im präfrontalen Kortex (Stirnhirn) nimmt zu (in dem die Steuerungs-, Koordinations- und Regulationsfunktionen lokalisiert sind) Parallel dazu spielt sich eine Reduktion der Synapsendichte in anderen Hirnregionen ab Gehirnentwicklung (2) Die„ Umbauarbeiten“ erfolgen in drei Phasen gegliedert und dauern unterschiedlich lange; generelle Tendenz: Zunahme der weißen Substanz, Abnahme der grauen Substanz (Pruning): Phase 1: Veränderungen in Regionen im Scheitellappen (Informationen über den sich schnell verändernden eigenen Körper betreffend und die sich verändernden Reaktionen der sozialen Umwelt auf sich selbst), Prävalenz des limbischen Systems: hinter einer Fassade von Gelassenheit und Souveränität starke Emotionalität und emotionale Schwankungen Gehirnentwicklung (3) Phase 2: Veränderungen in Regionen im Stirn- und Schläfenlappen (kognitive und emotionale Prozesse betreffend): Wechsel von der Stufe des konkret-operationalen Denkens auf die Stufe des formal-operationalen Denkens: Dezentrierung (wie nehmen mich andere wahr?); Verbesserung der Gedächtnisleistung, Sprachkompetenz und Leseleistung Phase 3: Veränderungen im vordersten Teil des Stirnlappens (präfrontalen Kortex), die (kognitive, emotionale und moralischempathische) Kontroll-, Planungs- und Steuerungsfähigkeiten betreffen Gehirnentwicklung (4) Das ermöglicht insgesamt eine erhöhte Effizienz und Feinabstimmung der neurophysiologischen Prozessen. Prosaisch könnte man sagen: Durch die schnellere Reizweiterleitung und die zahlreichen Neuvernetzungen (auch zwischen weit voneinander entfernten Nervenzellregionen) wird das Gehirn in seiner Funktionalität optimiert. Auch wenn dabei ein paar Millionen Nervenzellen, die selten oder nie benutzt worden waren, auf der Strecke bleiben. Durchgängig höhere Hirndurchblutung (besonders in Regionen, die für „soziale und emotionale Belange zuständig sind) von der mittleren Pubertät an bei Mädchen, die ein Leben lang bestehen bleibt. Entwicklungsaufgaben während der Pubertät und Adoleszenz Aufbau eines Freundeskreises: Zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts werden neue, tiefere Beziehungen hergestellt Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinung Sich das Verhalten aneignen, das man in unserer Gesellschaft von einem Mann bzw. einer Frau erwartet Aufnahme intimer Beziehungen zum Partner Entwicklungsaufgaben während der Pubertät und Adoleszenz (2) Von den Eltern unabhängig werden Sich klar werden, was man lernen will und was man dafür können muss Vorstellungen entwickeln, wie Partner/in und die zukünftige Familie sein sollen Sich klar werden, wer man ist und was man will Entwicklung einer eigenen Weltanschauung Entwicklung einer Zukunftsperspektive Hormone und Verhalten Hormone sind biochemische Botenstoffe, die als Neurotransmitter zwischen den Nervenzellen wirken. Es gibt eine ganze Reihe unterschiedlicher männlicher und weiblicher Hormone. Bekannt sind Testosteron als »typisch männliches« und Östrogen als »typisch weibliches« Hormon. Hormone bestimmen unter anderem mit darüber, wozu wir Lust haben. Sie steuern fürsorgliches, soziales, sexuelles und aggressives Verhalten. Hormonale Veränderungen während der männlichen Pubertät Testosteron (wird in den Hoden, Eierstöcken und in der Nebennierenrinde gebildet) bewirkt hautpsächlich die sexuelle Entwicklung zum Mann sekundäre männliche Geschlechtsmerkmale (z.B. Bartwuchs, Stimmbruch etc.) Bildung von Samenzellen kann Aggressions- und Sexualtrieb steigern Dihydrotesteron (DHT) wird hauptsächlich in der Prostata gebildet nur bei Jungen und Männern beeinflusst sehr stark das Wachstum der männlichen Geschlechtsorgane Hormonale Veränderungen während der weiblichen Pubertät Östrogene (Östradiol, Östron, Östriol) Bildungsorgane: Ovarien, Plazenta, Nebennierenrinde Bildung der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale Freisetzung der Eizellen aus den Eierstöcken (macht die Frau fruchtbar) Gestagene werden in den Ovarien und Hoden produziert Steuern den Menstruationszyklus und die Empfängnisbereitschaft die Funktion des Progesterons beim Mann ist nach wie vor unbekannt Psychische (kognitive, emotionale) Faktoren während der Pubertät Ingesamt betrachtet kann man bei beiden Geschlechtern durchaus von einem vorübergehenden, intervallhaft auftretenden, psychischen Derangiert-Sein, einem kognitiven Tohuwabohu und einem emotionalen Chaos sprechen (im Gehirn reifen die Steuerungs- und Kontrollareale im präfrontalen Stirnhirn zuletzt aus): Schwan- kungen zwischen exzessiver Unabhängigkeit und extremer Abhängigkeit Zustände, die jedoch schlussendlich zu einem höheren, in sich konsolidierten Entwicklungsniveau führen. Kognitive Veränderungen während der Pubertät und Adoleszenz Jungen wie Mädchen klettern von der Stufe des konkretoperationalen Denkens auf die Stufe des formal-operationalen Denkens Voraussetzung dafür sind (genetisch gesteuerte) Reifungsprozesse im präfrontalen Kortex Sie verabschieden sich ganz allmählich vom anschauungsgebundenen Denken Und lernen es Denkoperationen abstrakt, nur unter Rückgriff auf Zeichen, Symbole und Begriffe, auszuführen Kognitive Veränderungen während der Pubertät und Adoleszenz (2) Wenn sie die Stufe des formal-operationalen Denkens erreicht haben, können sie hypothetisch-deduktiv vorgehen, d. h. sich mit den Konsequenzen einer vorangehend aufgestellten theoretischen Annahme (Hypothese) beschäftigen. Dies entspricht der höchsten Form des logischen Denkens. Ihr Denken stützt sich jetzt vorwiegend auf verbale bzw. symbolische Elemente und nicht mehr auf anschauliche Gegenstände und Ereignisse. Kognitive Veränderungen während der Pubertät und Adoleszenz – Jugendliche lernen kognitive Operationen nur abstrakt, unter Rückgriff auf Zeichen und Symbole - durchzuführen. Sie verstehen mathematische Beweisführungen und die Begriffe analytische Wahrheit und logische Notwendigkeit. Sie lernen Hypothesen geleitet zu denken (gesetzt der Fall: was wäre dann?) ! Kognitive Veränderungen während der Pubertät und Adoleszenz – Jugendliche lernen deduktiv zu denken (ohne sich auf konkrete Kontexte beziehen zu müssen) und logische Schlussfolgerungen aus Prämissen zu ziehen. Sie verstehen, dass mehrere Faktoren am Zustandekommen eines Effekts beteiligt sein können. Sie lernen es Variablen zu isolieren und zu kontrollieren. Kognitive Veränderungen während der Pubertät und Adoleszenz Das Arbeitsgedächtnis nimmt an Umfang zu Die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit steigt an bis zum 16. Lebensjahr und flacht dann wieder etwas ab Impulse können wirksamer gehemmt und reguliert werden Exekutive Funktionen werden effizienter Intelligente Problemlösungsstrategien werden immer häufiger eingesetzt Der Umfang und der Organisiertheitsgrad des Wissens nehmen zu Kognitive Veränderungen während der Pubertät und Adoleszenz (2) Zunahme der Leistung in Intelligenztests (abstraktes Denken) nimmt zu, mehr Aspekte eines Problems werden berücksichtigt „Bildungsfreie“ Leistungen steigen, bildungsabhängige sinken eher Enormer Wissenszuwachs in Bereichen, die den Jugendlichen interessieren Kognitive und sozial-kognitive Veränderungen während der Pubertät und Adoleszenz Die anfänglich nur beschränkt vorhandene Fähigkeit zu dezentrieren und der damit verbundene relative Egozentrismus wandeln sich allmählich zum Relativismus (genereller Zweifel an der Möglichkeit zu absoluter Erkenntnis) Verbunden damit kann es zum Skeptizismus und Dogmatismus kommen Im Bereich der Entwicklung des moralischen, wertbezogenen Denkens: moralischer Relativismus (Geschlechtsunterschiede) Sozial-kognitive Veränderungen Ausdifferenzierung des Selbstkonzepts (Komponenten) – Aufbau und Ausbau der persönlichen Identität Als Selbstkonzept bezeichnet man das Insgesamt der Kognitionen und Emotionen eines Menschen, die sich auf die eigene persönliche Identität zentrieren, also die Gedanken und Gefühle, die bei der Beantwortung der Frage »Wer bin ich?« entstehen. Das Selbstkonzept entspricht also schlussendlich dem Bild, das man von sich selbst hat. Männliche Sachorientierung vs. Weibliche Personorientierung im Selbstkonzept Geschlechtsrolle: Hohe traditionelle Konformität während des gesamten Jugendalters bei beiden Geschlechtern – Sexualmoral und Sexualverhalten Moral- und Wertorientierungen: männliche und weibliche Moralmaßstäbe (generelle Regeln vs. situationsangepasste Bewertungen, männliche und weibliche Werte (Leistung, Kontrolle und Ordnung vs. Zwischenmenschlichkeit, soziale Interessen und (Aus-)Bildung Emotionale Veränderungen Empathie (Mitgefühl und Einfühlung) Mitgefühl als emotionale Basis von Empathie variiert um das aus der Kindheit mitgebrachte Niveau, verändert sich aber im Wesentlichen nicht Einfühlung als kognitive Komponente von Empathie wird qualitativ verbessert und ausdifferenziert Gezieltes (auch strategisches) sich in die Lage einer anderen Person Versetzen wird ausgebaut Motivationale Veränderungen Vorübergehende Leistungseinbußen in der Pubertät in Funktionen, die vom präfrontalen Kortex gesteuert werden, z.B. also Einbußen im Bereich der Selbstkontrolle und im Hinblick auf sozial kognitive Leistungen (Schwanken zwischen Egozentrik oder Dezentrierung) Misserfolgsängstliche Mädchen und erfolgszuversichtliche Jungen: u. U. stabil über das gesamte Jugendalter hinweg Soziale Veränderungen Gesellschaftliche Fundierung: Schichtunterschiede (Benachteiligung durch Armut und Bildungsferne) Bedeutung der Gleichaltrigengruppe als soziales Lernfeld nimmt zu Sekundäre Sozialisationseinflüsse über die modernen Medien: Smartphones, Netzwerke und die Folgen Parallel dazu: Soziale Ablösung und Distanzierung vom Elternhaus Wegen Umbauarbeiten vorübergehend geschlossen… Klare Regeln während dieser Zeit oder flexibles, situationsangepasstes elterliches Verhalten? Ein Balance-Akt zwischen emotionalem Verbundenbleiben und faktischem Loslösen Bitte bedenken Sie: Jede Pubertät ist ein einzigartiges singuläres Ereignis – jedes Kind pubertiert auf seine Weise – es gibt nicht nur Frühreife und Spätentwickler Manche Forscher meinen, es gibt mehr individuelle Unterschiede zwischen einzelnen Kindern und Jugendlichen als zwischen den Geschlechtern im Pubertätsverlauf Achtung! Baustelle… Stereotype oder nicht? Mädchen neigen zu mehr Stimmungsschwankungen in der Pubertät (himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt, auch das Selbstbewusstsein leidet darunter: Depressivität) Jungen sind in der Pubertät auf der Suche nach dem Kick (agieren ihre überschüssigen körperlichen Kräfte häufiger aus) Einige Heranwachsende pubertieren heftig über Jahre, andere entwickeln sich fast unbemerkt und „nebenbei“ zum Mann oder zur Frau Geschlechtersozialisation in der Schule Gestalten Lehrer/-innen (unbewusst und automatisch) die Interaktion im Unterricht geschlechtsspezifisch, geben sie z. B. einem der Geschlechter bevorzugt das Wort oder sprechen sie Ermahnungen vermehrt in Bezug auf ein Geschlecht aus? Wenn ja, ist dies im tatsächlichen Verhalten der Lernenden begründet oder drückt sich darin lediglich eine subjektive Wahrnehmung aus? Was ist dran am Klischee, dass Mädchen sprachlich und musisch „begabter“ sind und Jungen in Politik und Naturwissenschaften? Warum bekommen Jungen im Sportunterricht selten die Möglichkeit an rhythmischer Sportgymnastik teilzunehmen bzw. Mädchen, am Boxen teilzunehmen? Wodurch ergibt sich die geschlechtsspezifische Verteilung des Lehr- und Führungspersonals, z. B. die Dominanz von Frauen an Grundschulen oder von Männern in leitenden Positionen? Wege des Erwachsenwerdens Es gibt 13jährige in Highheels und Top-Make up Und es gibt 19jährige, die sich nie schminken, abgewetzte Turnschuhe tragen und in Jeans und XL-Sweatshirts herumlaufen Dazwischen entfaltet sich eine breite Palette unterschiedlicher Wege ins Erwachsenenalter Die Peergroup bestimmt i. a. entscheidend mit, was man macht und was man lässt, was angesagt ist und was „out“ ist Eltern sind nicht selten, wenn ihre heranwachsenden Kinder etwas wollen oder nicht wollen, das ihnen (aus welchen Gründen auch immer) überhaupt nicht passt Wann sind Interventionen notwendig? Wie sollten sie erfolgen? Bei totalem Rückzug, Isolation, depressivem Verhalten Bei extrem (auto)aggressivem Verhalten (Gewalt gegen sich selbst und Andere) Bei delinquentem Verhalten (Drogenmissbrauch, Kleinkriminalität) Sorgfältige Analyse der verursachenden und auslösenden Bedingungen Ggf. Hinzuziehen von professionellem Sachverstand Geschlechtsunterschiede - psychische und psychosomatische Beschwerden Bei Mädchen überwiegen internalisierende (nach innen gerichtete) Verhaltensweisen beispielsweise Essstörungen. Bei Jungen überwiegen externalisierende (nach außen gerichtete) Verhaltensweisen, wie Aggressivität. Geschlechtsunterschiede – gesundheitsrelevantes Verhalten Suchtmittel werden mittlerweile von Jungen und Mädchen nahezu gleichhäufig ausprobiert. Je "härter" aber das Konsumverhalten, also je stärker getrunken und geraucht wurde, desto höher ist der Jungenanteil. Dreimal so viele Jungen wie Mädchen sind alkoholabhängig. Verhaltensweisen wie gefährliche Mutproben oder riskantes Fahrverhalten führen bei Jungs zudem häufiger zu Unfällen. Schönheitsideale stehen gesundheitsrelevantem Verhalten entgegen (stärker ausgeprägt bei Mädchen). Weitere Geschlechtsunterschiede Mädchen wollen sich drei Mal so oft das Leben nehmen wie Jungen. Allerdings führt der Suizidversuch bei den Jungen drei Mal häufiger zum Tod als bei den Mädchen. Der Grund dafür könnte in den unterschiedlichen Beweggründen für den Suizid liegen. Männliche Jugendliche wählen „härtere “ Mittel, wie z.B. erhängen, erschießen oder sich vor den Zug werfen. Sie wollen den Suizid „durchziehen“, reine Versuche sind seltener. Weitere Geschlechtsunterschiede (2) Suizidversuche von Mädchen hingegen weisen oft einen deutlicheren Appellcharakter auf und sollen nicht zwangsläufig zum Tod führen. Mädchen und Frauen bringen sich oft in der Nähe des Elternhauses bzw. ihrer Wohnung um. Jungen und junge Männer dagegen wählen vielfach einen weiter entfernt liegenden Ort, so dass die Wahrscheinlichkeit, rechtzeitig aufgefunden zu werden, relativ geringer ist Männliche und weibliche „Themen“ während der frühen Erwachsenenjahre Stärkere Personbezogenheit bei Frauen Intimität, Nähe, Offenheit und Austausch ist Frauensache Stärkere Sachbezogenheit bei Männern Leistung, Karriere, Status und Erfolg ist Männersache Entwicklungsaufgaben für die Eltern pubertierender Kinder? Loslassen, endgültig abnabeln lassen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der emotionalen Verbundenheit und des partnerschaftlichen Kontaktes auf Augenhöhe Eine Gratwanderung, die immer wieder neu austariert werden muss! Hinweis Alle 60 Folien (im Vortrag wird nur die erste Hälfte verwendet) stehen zum Download bereit auf meiner Webseite www.hartmut-kasten.de Es gibt ein Buch von mir mit dem Titel „Pubertät und Adoleszenz – Wie Kinder heute erwachsen werden“ (Ernst Reinhardt Verlag, München). Weiterinformierende Links http://www.elternimnetz.de/elternbriefe/10-18jahre.php http://www.starke-eltern.de/htm/12%20%2018%20Jahre.htm http://www.starke-eltern.de/htm/6%20%2012%20Jahre.htm http://www.helles-koepfchen.de/wissen/pubertaet/vomjungen-zum-jungen-mann/http://www.helleskoepfchen.de/wissen/pubertaet/vom-jungen-zum-jungenmann/ http://www.helles-koepfchen.de/wissen/pubertaet/vomjungen-zum-jungen-mann/ http://www.familie-undtipps.de/Kinder/Pubertaet/Maedchen.html