Einführung in die Meteorologie - Teil V: Synoptische Meteorologie Clemens Simmer Meteorologisches Institut Rheinische Friedrich-Wilhelms Universität Bonn Sommersemester 2008 V Synoptische Meteorologie Synoptik ist die Zusammenschau der Wettervorgänge in Raum und Zeit mit dem Ziel der Wetteranalyse und Wettervorhersage. Die Synoptik ist Teil der Angewandten Meteorologie. 1. Allgemeines – – – 2. Definitionen Darstellungsweisen Dreidimensionale Sicht Synoptische Systeme mitterer Breiten – – verschiedene Skalen Frontentheorien V.1 Allgemeines zur Synoptik • Definition, wissenschaftliche und technische Grundlagen, Geschichte Darstellung synoptischer Felder • – – – • • Bodenkarten Höhenkarten Stationsmodell Thermische Verknüpfung von Boden- und Höhenwetterkarten, thermischer Wind Barotrope und barokline Felder V.1.1 Definition und Grundlagen • Synoptik: Zusammenschau der 4D-Verteilung der meteorologischen Parameter mit dem Ziel der Wetteranalyse und der Prognose. • Wetter: 4D-Zustand der meteorologischen Parameter (Vorauss.: 4D-Beobachtungen der meteorologischen Parameter) • Prognose erfordert – quasi-Echtzeitverfügbarkeit globaler Daten in den nationalen oder internationalen Vorhersagezentren – meteorologischer (synoptischer) Sachverstand – und/oder Prognosemodelle (Nutzung von Erkenntnissen der theoretischen Meteorologie, numerische Mathematik und Informatik Synoptische Skala Auflösung von Tiefdruckgebieten (einschließlich Fronten) und Hochdruckgebieten andere Größenordnungen U ~ 10 m/s T~ h–d zwischen globaler Skala und Mesoskala notwendiges Beobachtungsnetz: < 50 km ~3h Beobachtungssysteme (1) • per Global Telecommunication System (GTS) in quasiEchtzeit verfügbar – synoptische Stationen (1 pro 40 km, Land und VOS) • • • • • Druck, Temperatur und Feuchte in 2 m, Wind in 10 m Höhe Niederschlagsmessung (Ablesung nur 6 und 18 UTC) Maximum- (18 UTC) und Minimumtemperatur (6 UTC) Wolkenbeobachtungen und allgemeine Wetterbeobachtungen um 00, 03, 06, …UT global gleichzeitig – aerologische Stationen (1 pro 200 km, vorw. Land, Wetterschiffe) • T(z), p(z), RH(z), ff(z), dd(z) • um 00, 06, 12, 18 UT (viele auch nur 00) – asynoptisch teilweise über GTS in Echtzeit verfügbar • Flugzeugmessungen (T(z), p(z)) • Satelitenmessungen (fast alle Parameter mit unterschiedlicher Qualität) Karten Beobachtungssysteme (2) • ca. 1 x pro Monat verfügbar, u.A. für Validierung – Klimastationen (1 pro 20 km, Land und VOS) • alle meteorologischen Parmeter ähnlich synoptische Stationen • Beobachtungszeiten an Lokalzeiten orientiert – Niederschlagsmessnetze (1 pro 10 km, Land) • nur Tagessummen • werden stark ausgedünnt • teilweise Ersatz durch in Echtzeit meldende zeitlich hochauflösende Regenmesser zur Eichung von Radarniederschlägen • Radarnetzwerke (alle 5-10 Minuten, quasi-Echtzeit) – – – – derzeit nur nationale Netzwerke Eichung mit Regenmessern Qualität ca. 100% zunehmenden Nutzung für Prognose Karten Radarnetzwerk DWD DWD- Radarverbund - Horizontabtastungen a 5 min - Auflösung 2x2 km2 - 16 Reflektivitätsklassen X-Band Radar Bonn - Volumenscans alle 15 min - Horizontabtastungen a 5 min - Auflösung 0.25x0.25 km2 - Reflektivität voll aufgelöst Bonn Europäische Wetterradarnetze Prognosemodelle • In Europa derzeit noch vier nationale Prognosemodellsysteme – DWD et al. (GME, 50 km Aufl., LM 7km Aufl., LMK 2,8 km Aufl. >30 Schichten) – MeteoFrance et al. (ALADIN) – UK MetOffice et al. (UM) – Schweden et al. (HIRLAM) • Europäisches Zentrum für Mittelfristige Wettervorhersage (EZMW, ECMWF, Reading, UK) – – – – getragen von fast allen nationalen europäischen Wetterdiensten Beschränkung auf Mittelfrist international bestes Vorhersagesystem für synoptische Skala erstellt globale Reanalysen (z.B. ERA40), alternativ die USamerikanischen NCEP Reanalysen Historische Entwicklung 1842 erste aktuelle synoptische Karte aus per Telegraph übermittelten Messungen (USA) 1849 erste aktuelle Zeitungswetterkarte (UK) 1854 erster deutscher meteorologischer Dienst (Einrichtung nach Schiffskatastrophe durch Wettereinwirkungen) 1873 International Meteorological Organisation (IMO, heute World Meteorological Organisation, WMO) 1877 Internationale Vereinbarungen über globale Wetterdatenübermittlung 1922 Richardson macht die erste numerische Wettervorhersage für 6 Stunden (braucht dazu Monate) 1923 Polarfronttheorie von Bjerknes und Solberg 1950 erster brauchbarer Computer 1960 erster meteorologischer Satellit V.1.2 Darstellung synoptischer Felder (Wetterkarten) • • • • • Kodierung synoptischer Beobachtungen Aufbau des „Stationsmodells“ Bodenwetterkarten Höhenkarten Relative Topographie synoptische Wetterbeobachtung IIiii Nddff VVwwW PPPTT NLCLhCMCH TdTdapp 7RRTnTn 7RRTxTx 10111 81020 ccccc 12754 4cccc 55+06 7cc57 7cc51 6 UTC 18 UTC II Zonenbezeichnung iii Stationskennung N Bedeckungsgrad dd Windrichtung in Dekagrad ff Windgeschwindigkeit in Knoten (1 kn =ca. 0,5 m/s) VV Sichtweite (kodiert) ww Wetter zum Beobachtungszeitpunkt W Wetter seit letztem Haupttermin (6 oder 3 Stunden) PPP Luftdruck ohne 100er, reduziert, in 10tel hPa TT Lufttemperatur in°C NL Bedeckungsgrad der tiefen Wolken CL,M,H Art der tiefen, mittelhohe, hohen Wolken (kodiert) h Unterkantenhöhe der tiefsten Wolken (kodiert) TD Taupunkttemperatur in °C a Verlauf der Barographenkurve pp Luftdruckänderung in 10tel hPa der letzten 3 Stunden RR Niderschalg der vergangenen 12 Stunden (kodiert) Tn,x Minimum bzw. Maximumtemperatur Aufbau des Stationssymbols TT CH PPP VV CM pp ww N TddTd h CL NL a W Beispiel: 22°C Lufttemperatur, 18°C Taupunkt, 1021 hPa Luftdruck, um 0,5 hPa in den letzten 3 Stunden gestiegen, 2/8 Bewölkung, nur niedrige Wolken, Cumulus, Wind aus Ostsüdost mit 10 Knoten, die Sichtweite ist gering, es gibt und ab keine signifikanten Wettererscheinungen,… Einige Charaktersistika der Bodenwetterkarte 27.10.2002 00 UTC Charakteristika der Bodendruckkarte 1. 2. 3. 4. 5. 6. Winde sind parallel zu Isobaren mit niedrigem Druck links und Richtungstendenz zum niedrigen Druck Je enger die Isobaren, desto stärker der Wind In Tiefs ist die Strömung links herum (zyklonal) in Hochs rechts herum (antizyklonal) 1-3 folgen aus der geostrophischen Windrelation (Ausgleich von Druckgradient und Coriolisbeschleunigung) Tiefs haben Frontalzonen (Warm- und Kaltfronten) an denen die Isobaren (und der Wind) einen zyklonalen Sprung aufweisen (Margulessche Grenzflächenneigung). In Tiefs – besonders an Fronten – tritt vermehrt Bewölkung und Niederschlag auf (folgt u.a. aus Konvergenz (=Zusammenströmen) der Luftströmung verbunden mit Aufsteigen) (Aufgleiten, Querzirkulation) Frontenkennzeichnung Warmfront mit Erwärmung in allen Schichten Warmfront mit Erwärmung nur am Boden Warmfront mit Erwärmung nur in der Höhe Maskierte Warmfront mit Abkühlung am Boden Quasistationäre Front Kaltfront mit Abkühlung in allen Schichten Kaltfront mit Abkühlung nur am Boden Kaltfront mit Abkühlung nur in der Höhe Maskierte Kaltfront mit Erwärmung am Boden Okklusionsfront (Zusammenschluß von Warm- und Kaltfront) Gealterte Okklusionsfront Warmfront-Okklusion mit Erwärmung am Boden Kaltfront-Okklusion mit Abkühlung am Boden Konvergenzlinie Druckverteilung und Niederschlag aus Vorhersagemodell Höhenkarten • sind Topographien von isobaren Flächen, angegeben in geopotentiellen Metern (gpm) – absolute Topographien, z.B. 850 hPa, 700 hPa, 500 hPa, 300 hPa, … enthalten • h850, h700, … als Isolinien (sog. Isohypsen) in gpd(eka)m (warum, siehe später) • Isothermen • relevante Messwerteintragungen (Radiosonden, Flugzeuge, Satellit) als reduziertes Stationsmodell – relative Topographien, z.B. h300 – h700 • geben Informationen über die mittlere virtuelle Temperatur in den Schichten (niedrige Höhendifferenz = kalt, große Höhendifferenz = warm, siehe später) Beispiel einer 500 hPa Höhenkarte (oben, ohne Stationseintragungen) Kennzeichen: • kaum abgeschlossene Isohypsen • Drängung der Isohypsen im Bereich der Polarfront • keine eingezeichnete Fronten • Tröge gegenüber Tiefs am Boden nach Westen verschoben Zusammenhang Isobaren - Isohypsen • Beim Übergang zu Isohypsen vereinfacht sich die Gleichung für den geostrophischen Wind weil die Dichte entfällt. • Dadurch entsprechen gleicher Isohypsendrängung der gleiche geostrophische Wind – und zwar unabhängig von der Höhe gz g 0 1 p z gz h vg k h p , g g 0 g 0 f x x x x x mit h geopotenti elles Meter. Es folgt damit dp dx y,z p dh g 0 x dx und schließlic h g0 vg k ph f y, p h g 0 x z+Δz Δp=-ρgΔz p-Δp Δx z p Zusammenhang Relative Topographie – mittlere virtuelle Schichttemperatur statische GG : dp gdz , ideale Gasgleichu ng p RLTv pg dz RLTv dp g d ln p dz p RLTv Integratio n mit Tv Tv g ln p2 ln p1 ( z 2 z1 ) RLTv g 0 h2 h1 gz2 gz1 Tv RL (ln p1 ln p2 ) RL (ln p1 ln p2 ) Die (geopotentielle) Dicke einer Schicht zwischen zwei festen Druckflächen ist direkt proportional zur mittleren virtuellen Temperatur der Schicht. V.1.3 Thermische Verknüpfung von Boden und Höhenwetterkarten - thermischer Wind Horizontale Temperaturunterschiede erzeugen horizontale Druckunterschiede in der Höhe und damit unterschiedlichen geostrophischen Wind in der Grenzzone z warme Luft kalte Luft pj-3Δp pj-2Δp pi-2Δp pi=pj pj-Δp pj pj-Δp pi horizontale Druckgradienten x höhenabhängiger geostrophischer Wind = thermischer Wind Thermischer Wind (1) vg po-2p po-p vg S, warm po Selbst bei Druckgleichheit am Boden (kein geostrophischer Wind am Boden) nimmt der Wind durch horizontale Temperaturänderungen mit der Höhe zu Beispiel für die Entstehung von Strahlströmen über Frontalzonen N, kalt Durch horizontale Temperaturunterschiede entsteht ein (geostrophischer) Wind, der die kalte Luft umströmt, die der geostrophische Wind das Tief. Thermischer Wind (2) vg vg po-2p po-p vg S, H, warm po N,T, kalt Haben wir im Süden ein warmes Hoch und im Norden ein kaltes Tief, so wird mit der Höhe der am Boden schon herrschende Westwind mit zunehmender Höhe verstärkt. Beispiel für die Westwinddrift der mittleren Breiten Thermischer Wind (3) vg vg S, T, warm po-2p po-p po Haben wir im Süden ein warmes Tief und im Norden ein kaltes Hoch, so haben wir am Boden Ostwinde und in der Höhe Westwinde. Warme Tiefs und kalte Hochs sind „flach“ (denn sie schlagen in Hochs bzw. Tief um mit der Höhe) N,H, kalt Beispiel für die HadleyZirkulation der Tropen/Subtropen Formale Ableitung des thermischen Windes im z-System R T p 1 p p ln p vg k H p , , g , g L v RLTv f RLTv z p z z RLTv RLTv 1 RLTv k H p k H p k H ln p fp f p f z v g RLTv Tv ln p RL k H k ln p H z f z f z 1 1 T RLTv g 1 Tv gTv v g k H k H vg v f z f z RLTv Tv Tv Tv gTv 1 1 Tv g 1 T k 2 H Tv v g k H Tv v g v Tv f Tv z fTv z Tv 10 10 Skalenanalyse 10 4 10 300 100000 1 300 1 100 vg 0 , 03 0 , 003 g k H Tv z Tv f Der thermische Wind - Zusammenfassung vg g 1 k H Tv vg : k H p z Tv f f Der thermische Wind (= Änderung des geostrophischen Windes mit der Höhe durch einen horizontalen Temperaturgradienten) „weht“ um ein Kaltluftgebiet, wie der geostrophische Wind um das Tief. T H W K T H Der thermische Wind - Indikator für Temperaturadvektion und Möglichkeit des Nowcasting von Temperaturänderungen- T H W K T H Rechtsdrehung mit der Höhe = Es wird wärmer T H W K T H Linkssdrehung mit der Höhe = Es wird kälter Achtung: Nicht mit der Rechtsdrehung des Windes in der Grenzschicht durch Reibung verwechseln. Obiges gilt nur in der freien Atmosphäre! Formale Ableitung des thermischen Windes im p-System 1 vg k p f , gz Geopotenti al , RT z 1 g L v p p stat.GG v g idealeGasG RLTv 1 1 1 1 k p k p k p p f f p Annahme f p g const RL k pTv fp v g RL p k pTv p f vg RL k pTv ln p f Ableitung wesentlich einfacher im p-System. Zudem gilt die „einfache“ Beziehung ohne Näherung. Die Isohypsen der relativen Topographie bilden Stromlinien des thermischen Windes, wie die Isobaren und die Isohypsen Stromlinien des geostrophischen Windes bilden. Zusammenhang zwischen Boden und Höhenkarten Gegeben sei das Isohypsenfeld der 1000 hPa Druckfläche (untere Abb., durchgezogen) mit Isothermen (untere Abb., gestrichelt). Bei gleicher Temperaturabnahme mit der Höhe folgen obige Isothermen und Isohypsen der 500 hPa-Fläche. • In der Höhe geht das Zellenfeld am Boden in eine Wellenform über • Das Tief wird in der Höhe nach Nordwest und das Hoch nach Südwest verschoben. Verifiziere den Übergang zwischen beiden Druchfeldern(unten → oben) qualitativ mit der thermischen Windgleichung. Was ergäbe sich qualitativ für ein Isohypsenfeld in der Höhe, wenn am Boden Hoch und Tief vertauscht wären bei gleicher Temperaturverteilung? Versuchen Sie die Zusammenhänge zwischen Boden- und Höhenkarte aus der letzten Folie in diesen Wetterkarten wieder zu finden. Barotrope und barokline Felder • barotrop: Isoflächen von Druck und Temperatur sind parallel zueinander pTv 0 vg ln p 0 geostrophischer Wind mit der Höhe konstant • baroklin: Isoflächen von Druck und Temperatur sind gegeneinander geneigt pTv 0 vg ln p 0 geostrophischer Wind ändert sich mit der Höhe Barokline Felder - 2 Fälle h1 < h2 < … Isohypsen einer Druckfläche , T1 < T2 < … die Temperaturen N N h 1 T 1 T 2 T 3 T 4 a h 2 v g h 3 h 4 E a: Es herrscht keine Temperaturadvektion. Dieser Fall ist typisch für Höhenkarten ab 500 hPa. Es ist ein Initialfeld für barokline Wellen h 1 T 1 T 2 T 3 T4 h 2 v g h 3 h 4 E b b: Es herrscht Temperaturadvektion. Dieser Fall ist typisch für die Bodenwetterkarten. S sind verantwortlich z.B. für die Intensivierung von Wellen in den Höhenkarten.