Ist VaR-basierte Risikosteuerung kontraproduktiv? von Prof. Dr. Siegfried Trautmann Gliederung: 1. Value-at-Risk (VaR) als Risikomaß 2. Kritikpunkt 1: VaR ist nicht kohärent 3. Kritikpunkt 2: VaR-basierte Risikosteuerung ist kontraproduktiv 3.1 Intuitive Erklärung 3.2 Modelltheoretische Erklärung von Daníelsson/Zigrand (2001) 3.3 Modelltheoretische Erklärung von Basak/Shapiro (2001) 4. Schlußfolgerungen prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 2 1. Value-at-Risk (VaR) als Risikomaß Value-at-Risk (VaR) ist das derzeit in der Finanzwelt populärste Risikomaß. „Over the last few years measures of market risk have become synonymous with the term Value-at-Risk.“ (J.P. Morgan) • Griffige, aber unpräzise Definition: Maximaler Vermögensverlust innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums unter „normalen“ Bedingungen. • Präzisere Definition: Der VaR für ein Konfidenzniveau (1- ), VaR( ), ist jener Vermögensverlust über die nächsten H Handelstage, der mit einer Wahrscheinlichkeit von (1- ) nicht überschritten wird. • Beispiel: Für ein Portefeuille mit einem VaR von € 100.000 ist für =1% und H=1 damit zu rechnen, daß in einem aus 100 Fällen der Verlust über einen Handelstag größer als € 100.000 ist. prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 3 • Statistische Definition: Der VaR( ) ist das -Quantil der Wahrscheinlichkeits- verteilung der Vermögensänderungen. Mit Wt Vermögen (Portefeuillewert) zum Zeitpunkt t gilt dann formal: Prob[(Wt H Wt ) VaR( )] • Bei normalverteilten Vermögensänderungen und Überschreitenswahrscheinlichkeit =1% gilt VaR=2,33*Vola mit Vola Volatilität von (Wt H Wt ). Wahrscheinlichkeitsdichte VaR=2.33*Vola Wahrscheinlichkeit=1% Erwarteter Gewinn Gewinn / Verlust in Mio. € prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 4 • In gängigen Kreditrisikomodellen dient der sogenannte Credit-Value-at-Risk (CVaR) als Risikokapital zur Abdeckung unerwarteter Kreditverluste: W-Dichte Extreme 99% Konfidenzniveau erwarteter Verlust (EL) gedeckt durch Pricing und Rückstellungen Kreditereignisse unerwarteter Verlust (UL) Kreditverluste gedeckt durch Eigenmittel (CVaR) prof. dr. s. trautmann • Bei voneinander unabhängigen, identisch verteilten Tagesrenditen gilt das sogenannte Quadratwurzelgesetz: ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 5 Realisationen eines driftlosen Zufallsprozesses für kumulierte Tagesrenditen mit Vola(Tagesrend.)=1 Vola(Jahre srend.) Vola(Tages rend.) H mit H=250 Handelstagen pro Jahr. • Bei einer Haltedauer von H Handelstagen beträgt der VaR das H-fache des VaR der Haltedauer von 1 Tag für alle : VaR( ; H ) VaR( ; 1) H • Beispiel: Bei einer Haltedauer von VaR( 1/ 6; H ) H=250 Handelstagen gilt: VaR( ; 250 ) VaR( ; 1) 16,1 Haltedauer H (=Handelstage) prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 6 2. Kritikpunkt 1: VaR ist nicht kohärent • Artzner/Delbaen/Ebner/Heath (1999) führen die Klasse kohärenter Risikomaße ein und begründen deren Sinnhaftigkeit. • Bezeichnet X bzw. Y den zufälligen Liquidationswert von zwei Handelsbüchern, so erfüllt ein kohärentes Risikomaß (.) die folgenden Bedingungen (Axiome): (1) Monotonie Y X (2) Positive Homogenität X X (3) Subadditivität X Y X Y . (4) Translationsinvarianz X BT X . falls X Y . mit 0. • Das spezielle Risikomaß VaR verletzt i.a. das Subadditivitätsaxiom: Die Aufteilung einer Risikoposition in zwei neue Positionen erfordert daher i.a. weniger Risikokapital. prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 7 3. Kritikpunkt 2: VaR-basierte Risikosteuerung ist kontraproduktiv • Der Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht hat im Januar 1998 beschlossen, großen Banken die Nutzung des Risikomaßes VaR zu erlauben, um die zur Deckung des Marktrisikos erforderliche Höhe der Kapitalreserven zu bestimmen. • Allgemein wird davon ausgegangen, daß VaR-basierte Risikosteuerung vor Banken-Schieflagen im großen Umfang schützt. • Die wissenschaftliche Literatur zu den Implikationen einer VaR-basierten Risikosteuerung (insbesondere Daníelsson/Zigrand (2001) und Basak/Shapiro (2001)) zeigt bisher allerdings das Gegenteil. • Insbesondere letztere Arbeit zeigt auf, daß wenn große Handelsverluste auftreten, diese größer sind als im Fall eines ansonsten identischen Händlers, der keiner VaR-Restriktion unterliegt. prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 8 3.1 Intuitive Erklärung • Verkauf von Puts bewirkt eine Verringerung des VaR für ein Portefeuille, obwohl der erwartete Verlust ansteigt. Erwarteter Gewinn = 1% VaR Erwarteter Gewinn = 1% VaR Gewinn / Verlust in Mio. € Gewinn / Verlust in Mio. € prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 9 3.2 Modelltheoretische Erklärung von Daníelsson/Zigrand (2001) • Das VaR-beschränkte Anlageproblem des Händlers h im Zeitpunkt t Zielfunktion: Nebenbedingungen: h h h max E W ( x ) Var W ( x t 1 t t 1 t ) xth 2 – Budget-Restriktion – VaR-Restriktion • Optimales Portefeuille im Falle (nur) eines risikobehafteten Wertpapieres mit Marktpreis St und Rendite R ~ N ( , ) fragt Händler h die folgende Stückzahl nach: xth 1 h th ( r )St 2 2 St mit th c ht , c 0 und ht Lagrange-Multiplikator der VaR-Restriktion. prof. dr. s. trautmann • ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 10 Gleichgewichtspreise Wird die aggregierte Nachfrage gleich dem Angebot gesetzt, führt dies zum folgenden Gleichgewichtspreis im Zeitpunkt t : t r St t 2 • mit 1 1 t h dh 0 h t 1 Weitere Modellimplikationen (1) VaR-Regulierung führt zu riskanteren Strategien bei weniger risikofreudigen Händlern. (2) VaR-Regulierung führt zu einer geringeren Marktliquidität. (3) VaR-Regulierung führt zu volatileren Gleichgewichtspreisen. prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 11 • Simulation gleichgewichtiger Preisentwicklungen Daníelsson/Shin/Zigrand (2001) revidieren dabei die Renditeverteilung auf der Basis realisierter Renditen: Verteilungsannahme x th Nachfrage Preise Renditen (μt ,σ t ) St Rt 1 Realisierte Auszahlungen Dt 1 prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 12 • Simulation des Einflusses einperiodiger Anlageentscheidungen auf Marktpreise und deren Volatilität bei einer VaR-Regulierung: (1) VaR-Regulierung führt zu niedrigeren Marktpreisen Preise Zeit (2) VaR-Regulierung erhöht die Volatilität insbesondere in Baisse-Phasen Vola Zeit prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 13 3.3 Modelltheoretische Erklärung von Basak/Shapiro (2001) • Das Entscheidungsverhalten von Portfoliomanagern unter einer VaR-Restriktion wird in einem zeitstetigen Modellrahmen à la Black/Scholes/Merton untersucht. • Danach halten VaR-Manager gerade in relativ schlechten Marktsituationen, d.h. bei hohen Werten von ξ(t) (den normierten Zustandspreisen) riskantere Positionen (im Vergleich zum unregulierten B-Manager), um unter günstigen Marktbedingungen zum Anlagehorizont T den vorgegebenen VaR nicht zu überschreiten: prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 14 Die optimale Position eines VaR-Managers entspricht • der eines PI-Managers (der eine perfekte Portefeuille-Absicherung betreibt) plus einer Short-Position von entsprechenden Binär-Optionen, oder • der einer B-Managers (der keiner Regulierung unterliegt) plus einer LongPosition von entsprechenden Korridor-Optionen. prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 15 Der VaR-Manager erleidet demnach gerade in bad-case-Szenarien höhere Vermögensverluste als der nicht regulierte B-Manager: prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 16 Wird dagegen in diesem Modellrahmen eine Regulierung über das Risiko-Maß LEL (Limited Expected Loss = begrenzter erwarteter Verlust) betrieben, so ist der LEL-Manager gerade in bad-case-Szenarien besser gestellt als der nicht regulierte B-Manager: prof. dr. s. trautmann ist VaR-basierte risikosteuerung kontraproduktiv ? 17 4. Schlußfolgerungen • Verwendung alternativer Konzepte ist auch aus Regulatoren-Sicht bedenkenswert, z.B. ES-basierte Risikosteuerung (ES = Expected Shortfall = erwarteter Ausfall) anstelle VaR-basierte Risikosteuerung • konzentriert sich derzeit auf dieses Forschungsfeld. • Erste Ergebnisse findet man z.B. bei Schulmerich/Trautmann (2001): Local Expected Shortfall Hedging in Discrete Time, erscheint in: European Finance Review.