Universität Koblenz-Landau Campus Landau Institut für Sozialwissenschaften Abteilung Politikwissenschaft Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich Schweiz Sitzung vom 21.05.2008 Sommersemester 2008 Proseminar für Studierende im Grundstudium Dozent: Torsten Stollen, M.A. Referenten: Anna Gärtner Tatja Stockmann Tabea Gießen Kerstin Wiehn Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. Statistische Grunddaten Kernelemente des Gesundheitssystems Institutionelle Merkmale des politischen Systems Gesundheitspolitische Reformen Aktuelle Debatten, öffentliche Meinung und wissenschaftliche Expertise Verwendete Literatur und Quellen Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 2 1. Statistische Grunddaten Bevölkerung • • • Einwohner: 7,5 Millionen – jünger als 15 Jahre: 16,3% – über 65 Jahre: 15,8% Fläche: 41.000 km² / Einwohner/km²: 180 • Lebenserwartung bei Geburt (2007): Männer: 78,6 / Frauen: 83,7 Lebenserwartung mit 65 (2007): Männer: 18,1 / Frauen: 21,6 Sterbeziffer je 100.000: 519 • Anteil Sek. II-Abschluss oder höher: 89% • Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 4 Wirtschaft und Staat • BIP je Einwohner (2007): 37526 € • BIP je Einwohner nach KKS (2006): 133 • Öffentlicher Schuldenstand (2006): 59,1% (BIP) • Staatsdefizit im Verhältnis zum BIP (2003,2004,2005): -1,7%, -1,8%, -0,7% • Arbeitslosenquote (2007): 3,30% Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 5 Gesundheit und Soziales • Gesamtausgaben für soziale Sicherheit - Pro Kopf in Euro (2005): 11.767 - in % des BIP (2005): 29,2% - In KKE je Einwohner (2005): 8891 • • Praktizierende Ärzte je 100.000 Einwohner (2007): 375 Krankenhausbetten je 100.000 Einwohner (2003): 588 Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 6 2. Kernelemente des Gesundheitssystems Merkmale des Gesundheitssystems 1. 2. 3. 4. Beherrschende Stellung der kurativen Medizin Föderalismus, der dem Bund im Gesundheitsbereich eine subsidäre Rolle zuweist Liberalismus, der dem privaten Sektor den Vorzug gibt Auf dem Konzept der Solidarität beruhender Sozialstaat Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 8 Bundesgesetz über die Krankenversicherung KVG • seit 1996 • Ziele: Solidarität bei gesundheitlicher Versorgung Kostendämpfung in der soz. Krankenversicherung Wettbewerbsmechanismen für Kostenentwicklung • Bestimmungen werden über die Krankenversicherung KVV konkretisiert Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 9 Akteure und Regelungskompetenzen Komplexes Gesundheitssystem mit unters. Elementen: • Sozialversicherung • staatliche und private Steuerung • Verbände Kompetenzverteilung • Bund (Bundesrat/Eidgenössisches Departement d. Inneren EDI; Bundesamt für Gesundheit BAG) • Kantone • Gemeinde Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 10 Bund (esrat/EDI/BAG) • • • • • • • • • • • Rahmengesetzgebung Aufsicht über Krankenversicherung und Kantone Leistungskatalog Tarife öffentl. Gesundheit und Krankheitsprävention Bestimmungen zur Finanzierung der Krankenversicherung Beschwerdeinstanz für Kantone Preisordnung der Arzneimittel Ausbildung und Zulassung akademischer Berufe Zulassung der Krankenkassen (BAG) Zulassung neuer Medikamente (Swissmedic) Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 11 Kantone (26) • • • • • • • Hauptakteure für gesundheitliche Versorgung Spitalplanung Tarifverträge Patientenrechte öffentl. Gesundheit und Krankheitsprävention Ausbildung und Zulassung nicht-akademischer Berufe interkantonale Organisationen Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 12 Gemeinde • stationäre Versorgung • öffentl. Gesundheit und Krankheitsprävention • schulärztliche Betreuung Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 13 Verbände private Interessenverbände Zusammenschlüsse Santésuisse FMH Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz H+ Die Spitäler der Schweiz 14 Krankenversicherungssystem • Das Krankenversicherungssystem der Schweiz besteht aus einer obligatorischen Grundversicherung für jeden Einwohner und freiwilligen Zusatzversicherungen. • Die Krankenversicherung ist freiwählbar • Die Prämien innerhalb einer Versicherung sind für alle Versicherten gleich, variieren aber in den Regionen und Kantonen. Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 15 Finanzierung • Das Gesundheitssystem der Schweiz ist ein Pflichtversicherungssystem. • Es besteht eine Versicherungspflicht für jeden Einwohner der Schweiz. • Jeder Einwohner zahlt eine Pauschalprämie, die 10% des Jahreseinkommens nicht übersteigen darf. Für einkommensschwache Bürger und unter 25-jährige (keine Mitversicherung möglich) gibt es eine steuerfinanzierte Prämienverbilligung. • Die Gesundheitsausgaben der Schweiz sind mit 11,5% des BIP die höchsten in Europa Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 16 Parität und Zuzahlung • In der Schweiz gibt es keine Arbeitgeberbeteiligung. Jeder Bürger zahlt die Pauschalprämie, die 2006 im Durchschnitt bei 306 SFr lag, selbst. • Zuzahlungen im Krankheitsfall: Jahresfranchise 300 SFR + max. 700 SFr Selbstbehalt = max. 1000 SFr private Kostenbeteiligung • 3 Möglichkeiten zur Senkung der Pauschalprämie: 1. Höhere Jahresfranchise=> Rabatt auf Pauschalprämie 2. Bonusversicherung 3. Managed care-Konzept=> Prämienreduktion bis 20% Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 17 Anteil der Versicherten nach Franchisestufen 60 47,7 50 42,6 40 29,2 30 Anteil 1999 Anteil 2004 19 20 17,9 8,3 10 9,9 7,8 8,3 5,2 2,4 2,1 er un g 15 uf e an de r e V er s ch is ic h es t sf or m en Fr 00 S 00 12 uf e Fr an Fr an ch is es t es t ch is S FR fr S 0 60 uf e 40 uf e Fr an ch is es t re s Fr an Ja h lic he se tz ge S 0 fr an c is e Fr 0 Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 18 Leistungen • Der Grundleistungskatalog ist bei allen OKPV gleich. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Leistungen der Krankenversicherungen festgelegt und ist im KVG festgehalten. • Er umfasst alle von Ärzten oder Krankenhäusern durchgeführte oder veranlasste Leistungen, die wirksam, zweckmäßig und wirtschaftlich sind. • Darüber hinaus reichende Leistungen können durch freiwillige Zusatzversicherungen abgedeckt werden, z.B. Zahnbehandlung. Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 19 Grundleistungskatalog • • • • • Ambulante und stationäre medizinische Versorgung Medizinische Präventionsmaßnahmen (z.B. Impfungen) Ambulante und stationäre Pflegeleistungen Versorgung mit Medikamenten Ärztlich veranlasste Leistungen anderer Heilberufe (z.B. Physiotherapeuten) • Leistungen bei Schwangerschaft Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 20 3. Institutionelle Merkmale des politischen Systems Das schweizerische Verfassungs- und Regierungssystem und seine Besonderheiten: • direkte Demokratie (Volksinitiative →Aufhebung, Änderung oder Neuschaffung eines Verfassungsartikels; Referendum →Volksentscheid über verwerfen oder annehmen eines Parlamententscheides) • Föderalismus (nicht nur Bund, sondern auch die 26 Kantone verfügen über eine Verfassung und die rund 3000 Gemeinden verfügen über eine weitgehende Selbstorganisation und Autonomie) Bundespräsident: Unterzeichnung und Ausfertigung Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 22 Parlament (Bundesversammlung): Nationalrat und Ständerat: Nationalrat: 200 Sitze →den Kantonen nach ihrer Bevölkerungszahl zugeteilt Ständerat: 46 Sitze→2 für jeden Vollkanton und einen für die 5 Halbkantone) • beide Kammern gleichberechtigt (jede Vorlage bedarf Zustimmung beider Kammern) • selbstständig Gesetzes- und Verfassungsänderungen unter Umgehung von Regierung und Verwaltung • Aufgaben: Budget, Finanzen und Geschäftsprüfung • starke Stellung (politische Stellung muss sich nicht um Machterhalt der Regierung kümmern) → Einschränkung durch direkte Demokratie Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 23 Staatsoberhaupt und Regierung: Der Bundesrat • • • • • • • Funktion des Staatsoberhaupts auf jährlich wechselnden Bundespräsidenten oder auf den Bundesrat übertragen wird von der Vereinigten Bundesversammlung auf eine Amtsdauer von 4 Jahren gewählt besteht aus 7 Mitglieder (einzeln gewählt bei absoluter Mehrheit; keine Abwahl und auch kein Misstrauensvotum durch Parlament) relativ starke, vom Einfluss der Parteien und Fraktionen unabhängige Regierungspolitik Aufgaben: Staatsleitung, Gesetzvollzug und Prärogativen in der Außenpolitik Kollegialbehörde: Jeder Bundsrat ist gleichberechtigt im Kollegium und ist zugleich Vorsteher eines der 7 Departemente der Bundesverwaltung Aus 4 Parteien zusammengesetzt (gesellschaftlich - kultureller Ausgleich) Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 24 Gesetzgebungsprozess in der Konkordanzdemokratie: • • • • Der administrative Entscheidungsprozeß (Überprüfung ob Rechtsänderungen überhaupt notwendig sind und auf welcher Stufe sie vorzunehmen sind) Das vorparlamentarische Verfahren (erster Teil: Expertenkommissionen entscheiden über Grundzüge der Regelung und es werden um Kompromisse „gefeilscht“; zweiter Teil: Entwürfe werden vorgestellt und der Bundesrat entscheidet, ob das Projekt fortgesetzt werden soll) Das parlamentarische Verfahren (Fraktionen und Kommissionen behandeln die Vorlage des Bundesrats →nach Vorberatung ins Plenum →Schlussabstimmung in beiden Räten → Volksabstimmung → Die plebiszitäre Nachentscheidung der Prozess einer größeren Gesetzesrevision dauert mehrere Jahre Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 25 Parteiensystem und innerparteiliche Willensbildung: • Parteien haben keine starke Stellung • Regierungsparteien: FDP, CVP, SPS • Nicht-Regierungsparteien: z.B. EVP, LPS Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 26 Interessenverbände Starke Stellung →enge Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft Bundesgericht 60 Mitglieder von Bundesversammlung gewählt; kontrolliert korrekte Anwendung des Bundesrechts; Keine Befugnisse zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bundesgesetzte; wirkt bei Entwicklung und Durchsetzung der Grundrechte mit Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 27 4. Gesundheitspolitische Reformen 5. Aktuelle Debatten, öffentliche Meinung und wissenschaftliche Expertise Aktuelles • 2007: Festigung der finanziellen Situation der Krankenversicherer • Anstieg von chronischen Krankheiten • Am 01.06.2008 Abstimmung über den Verfassungsartikel „Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung“ • 61. Weltgesundheitsversammlung (WHA) vom 19.-24.05.2008 in Genf Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 30 Öffentliche Meinung • Euro-Canada Health Consumer Index 2008: Platz 4 von 30 - Sehr zufrieden mit den Wartezeiten - Gesundheitsrechte stimmen mit Menschenrechten überein • European Observatory 2005 Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 31 6. Verwendete Literatur und Quellen Quellenangaben • Rosenbrock, Rolf und Thomas Gerlinger (2006): Gesundheitspolitik – Eine systematische Einführung. Bern: Huber. Auszug: Kapitel 6 (S. 291-311)- Gesundheitspolitik in der Schweiz • Minder, Andreas und Marianne Amietund Hans Schoenholzer (2000): Health Systems in Transition – Switzerland. Copenhagen: WHO Regional Office for Europe on behalf of the European Observatory on Health Systems and Policies. • URL (02.04.08):http://www.euro.who.int/document/e68670.pdf • URL (19.05.08): http://www.boeckler.de/pdf fof/S-2004-672-4-1.pdf • URL (08.04.08): http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/14/22/publ.Docu ment.90620.pdf Gesundheitspolitik im europäischen Vergleich - Schweiz 33