Dissoziation und Multiple Persönlichkeitsstörung als Folge schwerer Traumata 15. Riehener Seminar 26. Oktober 2004 R. Stettler Oberarzt, Klinik Sonnenhalde www.seminare-ps.net Workshop - Agenda 1. 2. 3. Konzept der Dissoziation Dissoziative Symptomatik Dissoziative Identitätsstörung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 4. Erscheinungsbild Epidemiologie Diagnostik Zusammenhang mit Traumatisierung Kritik des DIS-Konzepts / False Memory Syndrome Behandlung Psychotherapie und Seelsorge www.seminare-ps.net Konzept der Dissoziation Pierre Janet (1859-1947) – – – Einführung des Begriffs “Dissoziation” als Desintegration und Fragmentierung des Bewusstseins Real erlebte Traumata als einen der wichtigsten auslösenden Faktoren (1889) Idées fixes www.seminare-ps.net Konzept der Dissoziation Morton Prince: The dissociation of personality (1905) – – Einführung des Störungsbegriffs der multiplen bzw. alternierenden Persönlichkeit (Fallschilderung Miss Beauchamp) “Kobewusstsein” als Bezeichnung der mentalen Funktionen innerhalb verschiedener Identitäten www.seminare-ps.net Konzept der Dissoziation Morton Prince: The dissociation of personality (1905) – erstmalige Beschreibung der Zusammen-hänge zwischen früher traumatischer Erfahrung und Dissoziativer Identitätsstörung www.seminare-ps.net Konzept der Dissoziation Freud und Breuer (1895): Studien über Hysterie – – – Fallbeispiel der Anna O. als Grundlage für Theorientwicklung und Behandlungs-konzept der hysterischen Störungen “hypnoide Zustände” später Abwendung von der Hypothese des realen Traumas www.seminare-ps.net Konzept der Dissoziation Janet versus Freud – – Freud: dissoziative Störungen als psychodynamisches Ergebnis aktiver mentaler Verdrängungsprozesse (Hysterie als Konversion) Janet: passive mentale Prozesse, die auf autoregulative (hypnoide) Verarbeitung traumatischer Erfahrungen rückschliessen lassen (Hysterie als Dissoziation) www.seminare-ps.net Konzept der Dissoziation DSM und ICD – – – Kontroverse spiegelt sich auch in den über die Jahre wiederholt wechselnden Klassifizierungen der Hysterie als “Konversion” oder “Dissoziation” wider Dissoziative Identitätsstörung erstmals im DSM-III (1980) posttraumatische Belastungsstörung erstmals im DSM-III-R (1987) www.seminare-ps.net Konzept der Dissoziation „Die Dissoziation ist gewissermassen auf ihrem Irrweg aus den Pariser Salons des 19. Jahrhunderts, wo sie dem Spektakel des Bürgertums diente, in den Labors der Naturwissenschaften angekommen.“ Hoffmann SO, Eckhardt-Henn A, 2004 www.seminare-ps.net Dissoziation: Definition im engeren Sinne definiert: – komplexer psychophysiologischer Prozess, bei dem es zu Desintegration und Fragmentierung des Bewusstseins und anderer verwandter höherer psychischer Funktionen wie des Gedächtnisses, der Identität und der Wahrnehmung von sich selbst und der Umwelt kommt – plötzlich, in Stufen, vorübergehend, chronisch www.seminare-ps.net Dissoziation: Definition kein grundsätzlich pathologischer Prozess allgemein menschliche Verarbeitungs-möglichkeit teils anlage-, teils umweltbedingter Trait Dissoziationsfähigkeit bei Kindern besonders ausgeprägt, lässt mit zunehmendem Alter nach keine grundlegende geschlechtsspezifische Unterschiede nachweisbar www.seminare-ps.net Dissoziative Phänomene im Alltag Tagträume Gedankenabschweifen daraus resultierende Amnesien www.seminare-ps.net Dissoziative Symptome 5 dissoziative Hauptsymptome – – – – – Amnesie Depersonalisation Derealisation Identitätsunsicherheit Identitätswechsel www.seminare-ps.net Dissoziative Symptome relativ häufig v.a. in belastenden Situationen Überarbeitung Erschöpfung Verkehrsunfall plötzlicher Tod eines nahestehenden Menschen pathologische Dissoziationen sind posttraumatische Symptome www.seminare-ps.net Formen Dissoziativer Störungen ICD-10 DSM-IV F44.0 Dissoziative Amnesie 300.12 Dissoziative Amnesie F44.1 Dissoziative Fugue 300.13 Dissoziative Fugue F44.2 Dissoziativer Stupor F44.3 Dissoziative Trance- und Bessenheitszustände F44.4 Dissoziative Bewegungsstörungen 300.11 Konversionsstörung F44.5 Dissoziative Krampfanfälle F44.6 Dissoziative Sensibilitäts- u. Empfindungsstrg. F44.7 Dissoziative Störungen, gemischt F44.8 Sonstige Dissoziative Störungen F44.80 Ganser-Syndrom F44.81 Multiple Persönlichkeit 300.14 Dissoziative Identitätsstörung F44.88 sonstige, näher bezeichnete Diss. Störungen F44.9 Nicht näher bezeichnete Dissoziative Störung 300.15 F48.1 Depersonalisations- / Derealisationsstörung 300.60 Nicht näher bezeichnte Dissoziative Störung Depersonalisationsstörung www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Hauptmerkmal Vorhandensein von mindestens zwei unterscheidbaren Teilidentitäten oder Persönlichkeitszuständen (Selbst-zuständen), die wiederholt die Kontrolle über das Verhalten der Person übernehmen, verbunden mit dem Auftreten Dissoziativer Amnesien www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Systeme von Selbst-Zuständen Zumeist 8-10 verschiedene „Persönlichkeiten“ Nur in ca. 20% sehr komplexe Aufspaltungen mit 20 und mehr Persönlichkeitszuständen www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Alter-Persönlichkeiten dissozierte Aspekte der Gesamtpersönlichkeit Alter, Geschlecht, Sprache, Fähigkeiten, Wissen, vorherrschender Affekt können unterschiedlich sein werden als nicht zur eigenen Persönlichkeit gehörend wahrgenommen Übernahme der Kontrolle auf innere oder äussere Auslösereize hin häufig teilweise oder vollständige Amnesie für Vorhandensein oder Handlungen der anderen Teilpersönlichkeiten www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Systeme von Selbst-Zuständen Unterschiedliche Selbst-Konzepte Unterschiedliche Körpervorstellungen Unterschiedliche Fähigkeiten Unterschiedliche Wertvorstellungen Unterschiedliche Lebensalter Unterschiedliches Geschlecht Verschiedene sexuelle Orientierung Unterschiedliche wichtige Beziehungspersonen Unterschiede in Mimik, Gestik, Stimmintonation, Wortwahl, Sprachmuster, Handschrift www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Systeme von Selbst-Zuständen Dissoziative Barrieren, welche Persönlichkeitszustände voneinander trennen, sind unterschiedlich durchlässig Emotional neutrale Informationen werden eher ausgetauscht, als hoch affektiv besetzte (z.B. traumatisches Material) Informationsfluss kann auch nur in einer Richtung erfolgen www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Systeme von Selbst-Zuständen Charakteristische Aufspaltung Alltags-Persönlichkeit Kinder Interne Helfer Interne Verfolger www.seminare-ps.net („Host“) Dissoziative Identitätsstörung – Systeme von Selbst-Zuständen Switch = Wechsel von einer Alter-Persönlichkeit zur anderen Erfolgt kontrolliert oder unkontrolliert Vermehrte Kontrolle über Switch durch therapeutische Arbeit an Auslösesituationen und verbesserte Affekttoleranz www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Systeme von Selbst-Zuständen Ursprünglicher Sinn der Aufspaltung Schaffen einer inneren Wirklichkeit, in der ein emotionales Überleben in einer traumatisierenden Situation gewährleistet Durch Bahnung auch bei weniger schwerwiegender Erfahrung ständig wiederholt und zunehmend dysfunktional Kluft, 1996 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Systeme von Selbst-Zuständen Namensgebung Abkömmlinge des ursprünglichen Namens Nach externen und internen Funktionen (Wächter, Botin, Chronistin) Vorherrschender Affekt (Traurige, Stille) – Wichtig, alle Namen zu kennen und sie auch in Therapie zu benutzen Putnam et al., 1986 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Auftreten zumeist schon im frühen Kindesalter oft erst im Erwachsenenalter diagnostiziert verläuft ohne adäquate Behandlung chronisch Frauen: 3-9 x häufiger www.seminare-ps.net Prävalenz Dissoziativer Störungen Allgemeinbevölkerung Dissoziative Störungen: 2-7% Dissoziative Identitätsstörung: bis1% (Studien aus USA, Kanada, Belgien, Niederlande, Türkei, Ungarn) www.seminare-ps.net Prävalenz Dissoziativer Störungen Psychiatriepatienten Dissoziative Störungen: 5-15% Dissoziative Identitätsstörung: 1-5% www.seminare-ps.net Prävalenz Dissoziativer Störungen Psychiatriepatienten Spezielle Risikogruppen – – – – – posttraumatische oder akute Belastungsstörung Borderline-Persönlichkeitsstörung Essstörungen Suchterkrankungen forensische PatientInnen u.a. Steinberg, 1996; Liss 2001 www.seminare-ps.net Prävalenz Dissoziativer Störungen Bedeutung für das Gesundheitssystem lange psychiatrische Vorgeschichte häufige stationäre Aufenthalte durchschnittlich ca. 3 Vordiagnosen Latenzzeit bis zur richtigen Diagnose: - 22 Jahre ! www.seminare-ps.net 6 Dissoziative Identitätsstörung Klinisches Erscheinungsbild verschiedene Teilpersönlichkeiten können Diagnosekriterien verschiedener psychischer Störungen erfüllen oder auch ein gutes psychisches Funktionsniveau aufweisen! Huber 1995 www.seminare-ps.net Dissoziative Störungen Klinische Diagnostik Viele suchen wegen Folgeproblemen oder Begleiterscheinungen Hilfe (Depression, Essstörung etc.) Viele versuchen dissoziative Symptome gezielt zu verstecken oder zu bagatellisieren Auf Risikofaktoren und diskrete Symptome achten www.seminare-ps.net Dissoziative Störungen Operationalisierte Diagnostik Screeninginstrumente Primär psychologische Dissoziation Dissociative Experience Scale (DES) deutsche, ergänzte Bearbeitung: Fragebogen für dissoziative Symptome (FDS) Dissociation Questionnaire (DIS-Q) www.seminare-ps.net Dissoziative Störungen Operationalisierte Diagnostik Screeninginstrumente Somatoforme Dissoziation Somatoform Dissociation Questionnaire in Kurz(SDQ-5) und Langform (SDQ-20) www.seminare-ps.net Dissoziative Störungen Operationalisierte Diagnostik Diagnostische Interviews Dissociative Disorders Interview Schedule (DDIS); deutsche Bearbeitung (SIDDS) in Erprobungsphase Structured Clinical Interview for Dissociative Disorders (SCID-D); autorisierte deutsche Bearbeitung: strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV-dissoziative Störungen (SKID-D), Validierungsstudie erfolgt www.seminare-ps.net Nicht näher bezeichnete Dissoziative Störungen Definition Dissoziative Symptomatik, die Diagnosekriterien für spezifische DS nicht oder nicht vollständig erfüllt Verschiedene Persönlichkeitszustände, die nicht als völlig getrennt von der eigenen Person erlebt werden NNBDS und DIS können im Krankheitsverlauf ineinander übergehen www.seminare-ps.net Komplexe dissoziative Störungen A-Kriterien – Durchgehendes Muster dissoziativen Funktionierens (Gedächtnisprobleme, Amnesie, Depersonalisation etc.) B-Kriterien – Subjektiv erlebte Manifestation teilweise abgespaltener SelbstZustände (Hören von Stimmen im Kopf, innerer Kampf etc.) C-Kriterien – Objektive und subjektive Manifestationen vollständig abgespaltener Selbst-Zustände (krasse Diskontinuität im Zeiterleben, Entdecken von Selbstverletzungen, an die man sich nicht erinnern kann etc.) – Taxometrische Diagnosestellung (Konzept für DSM V) Dell, 2001 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Komorbidität Achse I – Depressionen – Psychotische Störungen – PTSD – Angststörungen – Substanzmissbrauch – Somatoforme Störungen – Ess-Störungen Achse II – Borderline PS – Ängstlich-vermeidende PS Ellason et al. 1996 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Pseudopsychotische Symptome Akustische Pseudohalluzinationen – Herabsetzende und beschimpfende Stimmen (meist an „Alltags-Persönlichkeit“ gerichtet) – Imperative Stimmen, sich selbst zu bestrafen – Kommentierende oder streitende Stimmen – Weinen, Schreien, typischerweise von Kind, das in Not Stimmen sollten sich im weiteren Therapieverlauf den verschiedenen Selbst-Zuständen zuordnen lassen www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung posttraumatische Störung Nachweis von langandauernden schweren frühkindlichen Traumatisierungen in Form von sexuellen, körperlichen und emotionalen Misshandlungen: bei um 90% www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung posttraumatische Störung Autor Jahr N Ergebnisse Coons und Milstein 1986 20 75% sexueller Missbrauch in der Vorgeschichte Putnam 1991 100 Boon und Draijer 1993 71 Ross et al. 1989 236 Ross et al. 1990 102 83% schw ere Form en sexueller und körperlicher Misshandlungen in der Vorgeschichte 94.4% körperliche u/ o sexuelle Misshandlungen, davon 80.6% PTSD 79.2% schw erer sexueller Missbrauch, 74.9% schw ere körperliche Misshandlung 90.2% schw erer sexueller Missbrauch, 82.4% schw ere körperliche Misshandlung nach Eckhardt-Henn A u. Hoffmann SO, 2000 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung posttraumatische Störung Traumatisierte Kinder zeigten sowohl zu Beginn der Messung als auch nach 1 Jahr mehr dissoziative Prozesse als nichttraumatisierte Kinder Grad an Dissoziation stieg bei Traumatisierten noch an, ging bei nicht traumatisierten zurück N = 199 Vorschulkinder Mc Fie, 1999 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung posttraumatische Störung Bindungsforschung: Desorganisierter Bindungsstil – – Nachweis vermehrter Episoden von tranceartigen Zustände bei Kindern mit desorganisiertem Bindungsstil (= Indikator für traumatische Erfahrungen) erhöhte Vulnerabilität für Dissoziative Störungen Liotti 1992, Main u. Morgan 1996, Carlson 1998 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung posttraumatische Störung Dissoziative Antwort auf Traumata als kreative Überlebensstrategie, die hilft, mit den überwältigenden Erfahrungen fertig zu werden (Kind kann fantasieren, dass Traumatisierung nicht ihm, sondern anderer Person passiert sei) Alternativpersönlichkeiten können sich an den Missbrauch nicht mehr erinnern Preis für diese Traumabewältigung ist unkontrollierte Dissoziation im Erwachsenenalter www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Soziokognitives Modell Infragestellung der DIS als psychiatrische Störung Phänomenologie sei erlerntes, durch Medien oder Therapeuten iatrogen suggeriertes Rollenverhalten (“multiple identity enactment”) Spanos, 1994 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung False-Memory-Syndrom illusorische bzw. falsche Erinnnerungen an nie stattgefundenen sexuellen Missbrauch in der Kindheit könne durch spezielle therapeutische Techniken produziert werden Hypnose – – – – Traumdeutung geführte Imagination Teilnahme an Selbsthilfegruppe für missbrauchte Frauen Gruppentherapien Lindsay und Read 1994 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung False-Memory-Syndrom Retractors - Distanzierung von miss-brauchter Erinnerung: – Untersuchung von 20 Frauen – – – – bei 19 Erinnerungen wd Psychotherapie (20. las Buch über sexuellen Missbrauch) bei 18 wurden Trance-Zustand/Hypnose in der Psychotherapie verwendet suggestive Deutung regressiven Verhaltens Richtung Missbrauch 14 nahmen zusätzlich an Gruppentherapien teil (“Leugnung der Realität” vorgeworfen) Nelson und Simpson, 1994 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung Methode der Wahl hochfrequente ambulante Einzeltherapie eklektischer Therapieansatz – – – – psychodynamisch kognitiv-behavioral hypnotherapeutisch familientherapeutisch Durchschnittliche Therapiedauer 4-8 Jahre ISSD, 1997 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung Primärziel Förderung innerer Verbundenheit und der Beziehungen zwischen alternierenden Persönlichkeitsanteilen Entwicklung eines zunehmenden Gefühls für einheitliches und alltagstaugliches Selbst www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung Übergeordnetes Therapieziel vollständige Integration aller Teilidentitäten in die Gesamt-persönlichkeit www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung Minimalziel weitgehende Kooperation aller Alternativ-Ichs, so dass kein Anteil Amnesien im Tagesbewusstsein aufweist bewusste Kontrolle, welche Anteile zu welchem Zeitpunkt aktive Kontrolle übernehmen innerlich soll kein Anteil abgespalten, abgelehnt oder stigmatisiert werden www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung 4 Phasen Aufbau der therapeutischen Beziehung und Stabilisierung Förderung der Kommunikation zwischen den Teilpersönlichkeiten Traumabearbeitung und Integration der Teilpersönlichkeiten postintegrative Psychotherapie Kluft, 1999 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung Errichten von Sicherheit zuverlässiger therapeutischer Rahmen mit klaren, überschaubaren Regeln aktive Haltung, in der reinszenierte Grenzüberschreitungen (Test der Vertrauenswürdigkeit der Therapeutin) immer wieder thematisiert werden achten auf aktuelle äussere Gefährdungen (persistierender Täterkontakt etc.) Absprachen hinsichtlich Suizid- und Selbstverletzungsimpulse www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung Klärung und Mitteilung der Diagnose Psychoedukation (Wesen der Störung, Chancen an Veränderung/Verbesserung) Ermutigung, Persönlichkeitssystem besser zu erforschen (Tagebuch, Achten auf innere Stimmen) Konsequente Widerstandsarbeit allenfalls gezielt bestimmte Persönlichkeitsanteile zu Beginn der Behandlung fördern, um Gesamtsystem zu stabilisieren (Wächter-/Beschützer-persönlichkeiten) www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung Erstellen einer inneren Landkarte Überblick über das innere Persönlichkeitssystem für Patientin und Therapeut Ermutigung der Patientin mit den verschiedenen Alters in Kontakt zu treten, sie kennen zu lernen, Kompromisse aushandeln www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung Entwicklung Kommunikation und Kooperation Förderung Kommunikation/Kooperation zwischen den verschiedenen dissoziierten Anteilen TherapeutIn als Vermittlerin www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung Traumaarbeit imaginative Techniken zur besseren Kontrolle über traumatische Erinnerungen – – – Stoppen von Flash-backs Deponieren traumatischer Erfahrungen in einem Safe Aufsuchen des inneren sicheren Ortes erst wenn diese Techniken zur Verfügung stehen, kann an eigentliche Traumaexposition gedacht werden www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung Kontrollierte Traumaexposition sonstige Lebensumstände müssen einigermassen stabil sein (kein bevorstehender Urlaub etc.) Drittel-Regel Methoden – – fraktionierte Abreaktion (Kluft, Fine) EMDR (Shapiro, Hofmann) www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung Behandlung Postintegrative Psychotherapie Trauerarbeit um die zerstörte Kindheit und die erlebten Verletzungen Gewöhnung an völlig verändertes Selbst- und Lebensgefühl (neue Bewältigungsstrategien) Psychotherapeutische Behandlung von bestimmten Problemen der einzelnen AlternativIchs (Ess-/Schlafstörung/Borderlinestruktur) www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – EMDR EMDR = – – – – Eye Movement Desensitization and Reprocessing Francine Shapiro (Psychologin) Manualisiertes Therapieverfahren zur Behandlung von PTSD (1989) www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – EMDR Kombination von Exposition mit traumatischer Erinnerung mit bilateraler Stimulation Augenbewegungen Berührungsreize Auditive Reize Vermuteter Wirkungsmechanismus: Vergleichbar mit Vorgängen der Verarbeitung von Erinnerungen im Traumschlaf Stickgold, 2002 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – EMDR Wirksamkeit von EMDR-Behandlung bei PTSD empirisch gut belegt Bisher keine systematischen Untersuchungen bei PatientInnen mit dissoziativen Störungsbilder Richtlinien zur Behandlung von Patienten mit dissoziativen Störungen erarbeitet Fine CG et al., 1995 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – EMDR 8 Schritte der EMDR-Behandlung 1. Anamnese und Behandlungsplanung 2. Vorbereitung und Stabilisierung 3. Bewertung des Traumas (Subjective units of discomfort) 4. Desensibilisierung und Durcharbeitung 5. Verankerung eines positiven Gedankens (Validation of Cognition Scale) 6. Überprüfung der Körperempfindungen 7. Abschluss 8. Überprüfung in der nächsten Sitzung www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – EMDR Niemals EMDR anwenden ohne Ausbildung in einem zertifizierten Institut! Ohne ausreichende Stabilisierung keine EMDRBehandlung! EMDR muss in einen Gesamt-behandlungsplan eingebettet sein! Huber M, 2003 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Psychotherapie und Seelsorge „Traumatische Ereignisse unterminieren das Vertrauen des Opfers in eine natürliche oder göttliche Ordnung und stossen es in eine tiefe existentielle Krise“ Judith Herman, Die Narben der Gewalt, 1998 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Psychotherapie und Seelsorge „Das bittere Leid der traumatischen Erfahrung und seine quälenden Folgen vernichten oft auch das Vertrauen in Gott. Die drückende Last der von Gewalt verseuchten Vergangenheit kann den Zugang zu Religion und Spiritualität völlig verschütten.“ Cornelia Faulde, 2002 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Psychotherapie und Seelsorge Alter-Persönlichkeiten sind keine Dämonen! – Exorzistische Rituale führen oftmals zu erneuten traumatischen Erfahrungen – Enge Zusammenarbeit zwischen SeelsorgerInnen und Psycho-therapeutInnen ist unabdingbar www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Psychotherapie und Seelsorge Problematik des Exorzismus Oft von SeelsorgerInnen vorgenommen mit wenig oder fehlendem Wissen über dissoziative Störungen Oft auch in kontrollierender und entwertender Art, mehr mit den PatientInnen gemacht, weniger in enger Zusammenarbeit mit ihnen. Oft als Retraumatisierung erlebt! Bull DL, 2001 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Psychotherapie und Seelsorge Exorzismus als therapeutische Intervention Nur bei Patientinnen, in deren Glaubenssystem Exorzismus einen positiven Stellenwert hat Voraussetzungen – Vertiefte Kenntnis und guter Kontakt zu den verschiedenen Alter-Persönlichkeiten – Bewährte psychologische Interventionen wurde bereits ohne Erfolg eingesetzt – Einverständnis aller Alter-Persönlichkeiten Rosik CH, 2003 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Psychotherapie und Seelsorge Trotz Überlappungen und gegenseitiger Unterstützung sind die Ziele der Psychotherapie und der Religion nicht identisch: – Es gibt religiöses/spirituelles Heil, das inmitten von Ängsten und Depressionen Bestand hat, aber diese psychische Leiden nicht beseitigt – Freisein von psychischen Beeinträchtigungen ist noch kein Heil im religiösen Sinne www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Psychotherapie und Seelsorge Beistand des Glaubens – In der Sprachlosigkeit des Leids den eigenen Gefühlen eine Stimme geben – Lebensfeindliche Lebensmuster in Frage stellen – Alternative Vorstellungen von einem gelungenen Leben vermitteln www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Psychotherapie und Seelsorge Beistand des Glaubens – Angebot der Gemeinschaft gegen die Isolation der Opfer – Vision von Solidarität und Heil gegen Verzweiflung über die Grausamkeit der Menschen – Erfahrung von Trost und einer tiefen Geborgenheit in allem Leid www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Psychotherapie und Seelsorge „Aber auch eine sehr gute Therapie ist keine ausreichende Voraussetzung zur Heilung. Heilung von den Lasten der Vergangenheit ist nur möglich, wenn in der Gegenwart Sicherheit, Geborgenheit und mitmenschliche Nähe erlebt werden können.“ Cornelia Faulde, 2002 www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Psychotherapie und Seelsorge Zerbrochenheit Eines Tages brachte ich ein zerbrochenes Spielzeug zu meinem Vater. Ging geradewegs zu ihm, das Spielzeug in der Hand. Ich schaute ihn an, streckte meine Hände aus. „Kannst du es heil machen?“ Er nahm mein kleines, wehrloses Spielzeug, bastelte daran herum mit betrunkenen Händen, und er zerbrach es so sehr, dass es nicht mehr zu reparieren war. Als ich es retten wollte, stiess er mich beiseite……… www.seminare-ps.net Dissoziative Identitätsstörung – Psychotherapie und Seelsorge Zerbrochenheit (II) Gott, manchmal fühle ich mich zerbrochen. Ich bringe mein zerbrechliches Leben zu dir, gehe geradewegs auf dich zu, mein Leben in der Hand. „Können wir es heil machen?“ Ich halte meinen Atem an und warte, was du tun wirst….. Nach: Catherine Foote, Survivor Prayers, 1994 www.seminare-ps.net Dissoziation als Folge schwerer Traumata Literaturauswahl 1. Deistler I + Vogler A: „Einführung in die Dissoziative Identitätsstörung“; Junfermann 2002 2. Eckhardt-Henn A + Hoffmann SO: „Dissoziative Bewusstseinsstörungen“; Schattauer, 2004 3. Faulde C: „Wenn frühe Wunden schmerzen“; Grünewald, 2002 4. Fiedler P: „Dissoziative Störungen und Konversion“; Beltz PVU, 2. Aufl., 2001 5. Herman JL: „Die Narben der Gewalt“; Kindler,1993 6. Huber M: „Multiple Persönlichkeiten“; Fischer, 7. Aufl., 2001 7. Huber M: „Trauma und Traumabehandlung“; Band 1+2; Junfermann, 2003 8. Putnam FW: „Diagnose und Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung“; Junfermann, 2003 9. Reddemann L, Hofmann A, Gast U: „Psychotherapie der dissoziativen Störungen“; Thieme, 2004 www.seminare-ps.net